R. CHETWYND-HAYES
DER HOLSTEIN-HORROR
- 13 SHADOWS, Band 49 -
Erzählungen
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DIE GHULE (The Ghouls)
ETWAS KOMMT VOM GARTEN REIN (Something Comes In From The Garden)
HEILIGER ABEND (Christmas Eve)
DIE WINSELNDE WAISE VON BATTERSEA (The Wailing Waif Of Battersea)
DER HOLSTEIN-HORROR (The Holstein Horror)
Das Buch
Sie gingen Hand in Hand die leere Straße hinunter, und es sah manchmal aus, als zöge ein Vater seinen widerstrebenden Sohn zur Schule. Mr. Goldsmith verzehrte sich nach dem Anblick seines Freundes, des Polizisten, aber das Wesen kannte anscheinend alle Nebenstraßen und Gassen, zog sein Opfer durch Zaunlücken und nutzte jeden Schatten, jede dunkle Ecke. In den kurzen Momenten, in denen Mr. Goldsmith zusammenhängend denken konnte, sagte er sich, dass das die Instinkte einer Straßenkatze, die automatischen Reflexe eines Fuchses waren. Das Wesen war auf dem Weg zu seiner Höhle und schleppte sein Opfer mit.
Sie waren in der Hafengegend. Schwarze, verrußte Gebäude ragten in den düsteren Himmel. Gassen mit Kopfsteinpflaster führten zu Eisenbahnunterführungen, an finsteren Speichern vorbei und endeten auf mit Unrat übersätem Ödland, das Hitlers Bomben vor dreißig Jahren geschaffen hatte. Mr. Goldsmith stolperte über Erdwälle, auf denen schütteres, trockenes Gras stand. Er stürzte sogar einmal in eine Vertiefung, wurde aber sofort herausgezogen, da das Wesen schwerfällig und unwiderstehlich wie ein Panzer weiterlief...
DER HOLSTEIN-HORROR von R. Chetwynd-Hayes (geboren am 20. Mai 1919 in Isleworth, Middlesex; gestorben am 20. März 2001 in Teddington, London) wurde in Deutschland erstmals im Jahr 1977 als VAMPIR-HORROR-TASCHENBUCH Nr. 50 (unter dem Titel HORROR-ZEIT) veröffentlicht.
DER HOLSTEIN-HORROR erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Horror-Reihe 13 SHADOWS aus dem Apex-Verlag, die ganz in der Tradition legendärer Heftroman-Reihen wie GESPENSTERKRIMI und VAMPIR-HORROR-ROMAN steht.
DIE GHULE (The Ghouls)
Die Türklingel läutete. Ein widerliches langes Schrillen, das an einen ungeduldigen Besucher oder einen schadhaften Klingelknopf denken ließ. Mr. Goldsmith empfing nicht viel Besuch. Er brummte ärgerlich, schob einen Topf mit Bohnen vom Gasbrenner, stapfte dann aus der kleinen Küche über den noch winzigeren Flur und öffnete die Eingangstür. Die Klingel läutete weiter.
Vor ihm stand ein großer, magerer Mann. Ein Finger klebte wie angeleimt am Klingelknopf. Das hagere Gesicht zeigte einen schwachen Anflug von ungesundem Grün. Die schwarzen, merkwürdig stumpfen Augen starrten in die von Mr. Goldsmith, und der Mund öffnete sich.
»Hob her mol gölubt...«
In das heisere Kauderwelsch mischte sich das schrille Läuten der Türklingel, und Mr. Goldsmith empfand eine Mischung aus Furcht und Wut. Er schrie den unangenehmen Störenfried an: »Hören Sie auf zu klingeln!«
»Hob her mol gölubt...«, wiederholte der Fremde.
»Verdammt nochmal, hören Sie auf zu klingeln!« Mr. Goldsmith streckte die Hand aus der Tür und zog am verschmutzten Arm. Er fiel kraftlos nieder und schwang langsam hin und her, vier Finger gekrümmt, der fünfte, der Zeigefinger, steif gestreckt, als suche er noch immer einen Klingelknopf, den er drücken konnte. In der Stille, die darauf folgte, räusperte sich Mr. Goldsmith. »Also, was wollen Sie?«
»Hob her mol gölubt.« Der Fremde, der wieder nicht zu verstehen war, drängte sich an Mr. Goldsmith vorbei und betrat die Wohnung.
»Hören Sie mal...«
Der kleine Mann rannte hinter dem Störenfried her und versuchte, an ihm vorbei zu kommen; die große, magere Gestalt ging jedoch rücksichtslos zum Wohnzimmer, wo sie sich in Mr. Goldsmiths Lieblingssessel fallen ließ und ausdruckslos auf den billigen Druck eines Bildes von Gauguin über dem Kamin blickte.
»Ich weiß nicht, was Sie sich da ausgedacht haben«, sagte Mr. Goldsmith und bemühte sich, nicht ängstlich zu wirken, »aber wenn Sie nicht in genau zwei Minuten draußen sind, dann hole ich die Polizei. Haben Sie gehört?«
Der Fremde hatte vergessen, den Mund zu schließen. Der Unterkiefer hing wie ein Deckel mit zerbrochenem Scharnier nieder. Der schäbige schwarze Mantel wurde vorn von nur einem Knopf zusammengehalten, von dem ein Stück abgeplatzt war. Ein zerschlissener, schmutziger roter Schal war fest um den dünnen Hals gewickelt. Eine schreckliche, widerliche Erscheinung, die außerdem noch roch.
Langsam kam der Kopf herum, und Mr. Goldsmith sah, dass die Augen jetzt wässrig waren, als wollten sie über die aufgedunsenen Lider und die grünlichen Backen fließen.
»Hob her mol gölubt.«
Die Stimme war ein Gurgeln, das irgendwo tief in der zusammengepressten Kehle begann, und die Worte blubberten wie schwach siedender Eintopf.
»Was? Was sagen Sie?«
Der Kopf drehte sich hin und her. Die lockere Haut des Halses legte sich in Ziehharmonikafalten, und die Hände trommelten auf die Sessellehnen.
»H-oh-b h-e-r m-oh-1 g-ö-l-u-b-t.«
»Hab hier mal gelebt!« Mr. Goldsmith ging plötzlich ein Licht auf, und er war recht erfreut über seine Deutungskünste. »Nun, jetzt leben Sie nicht mehr hier, und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie gehen würden.«
Der Fremde bewegte sich. Er setzte die Beine, die in abgenutzten Cordhosen steckten, zurück. Die Hände stemmten sich gegen die Sessellehnen und die große Gestalt erhob sich. Sie schlurfte auf Mr. Goldsmith zu, und mit ihr kam der Gestank, der einem den Magen umdrehen konnte. Mr. Goldsmith konnte sich vor Entsetzen nicht bewegen und konnte das sich nähernde Gräuel nur aus schreckgeweiteten Augen anstarren.
»Kommen Sie nicht näher«, flüsterte er. »Fassen Sie mich an – und ich werde schreien.«
Das Gesicht war bis auf wenige Zoll herangekommen. Die Hände gingen in die Höhe, packten die Aufschläge seiner Jacke, und er wurde überraschend kräftig, aber doch sanft geschüttelt. Er hörte wieder das Gurgeln aufsteigen, das langsam zu Sprache wurde.
»Ach – ben – dud... Ach – ben – dud...«
Mr. Goldsmith starrte in die wässrigen Augen. Wäre noch eine Person im Zimmer gewesen, so hätte sie vielleicht angenommen, die beiden tauschten Blicke stummen Einverständnisses.
»Sie sind... was?«
Wieder wurden Worte geblubbert.
»Ach – ben – dud.«
»Sie sind total verrückt«, flüsterte Mr. Goldsmith.
»Ach – ben – dud.«
Mr. Goldsmith schrie wie ein erschrockener junger Hund auf, riss sich los und rannte zur Eingangstür. Er sprang mit Beinen, die sich wie von selbst bewegten, die Stufen hinab. In seinem angstbesessenen Hirn war kein Platz für Gedanken.
Schaufenster glitten vorbei, Pflastersteine wurden undeutlich sichtbar, gelb im Licht der Lampen, erschrockene Gesichter tauchten vor ihm auf, verschwanden, und die ganze Zeit hallten die blubbernden, verstümmelten Worte durch die dunklen Gänge seines Hirns.
»Ach – ben – dud.«
»Einen Augenblick, Sir.«
Eine starke Hand packte seinen Arm, und er flog mitten im Schwung aufgehalten herum. Ein stämmiger Polizist blickte argwöhnisch aus kleinen blauen Augen auf ihn herab.
»Also was soll das, Sir. Sie werden sich noch wehtun, wenn Sie so weiterrennen.«
Mr. Goldsmith bemühte sich, zu Atem zu kommen, weil er unbedingt wichtige Meldung machen wollte. Die Last wollte er abwälzen.
»Er... er ist tot.«
Der Griff um seinen Arm wurde fester.
»Also beruhigen Sie sich. Erzählen Sie von Anfang an. Wer ist tot?«
»Er«, keuchte Mr. Goldsmith, »er klingelte, wollte den Finger nicht vom Knopf nehmen... Hat mal dort gelebt... Dann hat er sich in meinen Sessel gesetzt, stand dann auf und sagte mir, dass er tot ist.«
Darauf herrschte tiefes Schweigen, das nur vom Brummen eines vorbeifahrenden Autos unterbrochen wurde. Der Fahrer warf, interessiert einen Blick auf das Schauspiel. Ein kleiner Mann wurde von einem großen Polizisten festgehalten. Der Arm des Gesetzes löste schließlich den Griff.
»Er sagte Ihnen, er ist tot?«
»Ja.« Mr. Goldsmith nickte und war froh, sein schreckliches Wissen dem Vertreter einer Behörde mitgeteilt zu haben. »Er sprach es wie dud aus.«
»Ohne Zweifel eine Leiche aus dem Norden«, bemerkte der Polizist mit schwerfälliger Ironie.
»Glaube ich nicht.« Mr. Goldsmith schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube, seine Stimmbänder zersetzen sich. Er blubbert seine Worte so. Er... Also, er schleimt sie heraus.«
»Schleimt sie heraus«, wiederholte der Wachtmeister trocken.
»Ja.« Mr. Goldsmith fiel noch ein wichtiger Punkt ein. »Außerdem riecht er.«
»Nach Alkohol?«, wollte der Polizist wissen.
»Nein, eine Art süßsaurer Geruch. Eher wie saure Milch und verwelkte Rosen.«
Das zweite Schweigen währte ein wenig länger als das erste, dann seufzte der Wachtmeister tief auf.
»Ich glaube, wir gehen besser zu Ihrem Wohnsitz und schauen nach.«
»Muss das sein?« Mr. Goldsmith zitterte, und der Polizist nickte.
»Ja, das muss sein.«
Die Eingangstür stand noch immer offen. Das Licht im Flur forderte Mr. Goldsmith zum Eintreten auf, doch in den dunklen Ecken lauerte die Angst.
»Würden Sie«, sagte Mr. Goldsmith zögernd, da sich kein Feigling gern zu erkennen gibt, »würden Sie als erster hineingehen?«
»Klar.« Der Wachtmeister nickte, zog die Schultern hoch und betrat die Wohnung. Mr. Goldsmith brachte genug Mut auf, bis zum Türvorleger zu gehen.
»Im Wohnzimmer«, rief er. »Als ich ging, war er im Wohnzimmer, die Tür links.«
Der Polizist ging schwerfällig in das bezeichnete Zimmer und kam nach ein paar Minuten wieder heraus.
»Niemand drin«, stellte er einfach fest.
»Das Schlafzimmer.« Mr. Goldsmith zeigte auf eine andere Tür. »Er muss da rein sein.«
Der Polizist sah sich pflichtschuldig das Schlafzimmer, die Küche und auch das Bad an, bevor er in den Flur zurückkehrte.
»Ich glaube, Sie können jetzt unbesorgt hereinkommen«, bemerkte er schneidend. »Hier ist niemand, weder tot noch lebendig.«
Mr. Goldsmith ergriff wieder Besitz von seinem Reich, beinahe wie ein König, der aus dem Exil auf seinen wackelnden Thron zurückkehrt.
»Und jetzt«, sagte der Polizist und zog Notizbuch und Kugelschreiber heraus, »wollen wir mal eine Beschreibung.«
»Wie bitte?«
»Wie hat der Bursche ausgesehen?«, fragte der Beamte sehr geduldig.
»Ach so. Groß, dünn, sehr dünn, irgendwie triefäugig, als wollten die Augen jeden Augenblick auslaufen, das Haar schwarz und verfilzt, und er hatte einen Mantel mit einem Knopf an...«
»Einen Moment«, mahnte der Beamte. »Sie machen zu schnell. Knopf...«
»Ein Stück war abgeplatzt«, fügte Mr. Goldsmith wichtigtuerisch hinzu. »Und er hat schreckliche Cord-Samthosen angehabt. Und er sah tot aus. Wenn ich es mir jetzt überlege, kann ich mich nicht daran erinnern, dass er geatmet hätte. Ja, ich bin sicher, dass er nicht geatmet hat.«
Der Wachtmeister nahm auf dem Kaminvorleger Haltung an und steckte sein Notizbuch weg.
»Hören Sie, Mister...«
»Goldsmith. Edward J. Goldsmith.«
»Nun, Mr. Goldsmith...«
»Das J steht für Jeremia, aber ich verwende es nie.«
»Wie ich eben sagen wollte, Mr. Goldsmith«, brachte der Wachtmeister unter Anzeichen großer Nervenbelastung hervor, »ich habe eine ziemliche Menge Tote gesehen – Leichen, meine ich – aber keine von denen hat je geredet. Ich möchte sagen, darauf können Sie fast wetten. Die können aufstoßen, zucken, sich aufrichten, Umfallen, die Zähne entblößen, glotzen, etwas festhalten, wenn die Leichenstarre einsetzt, aber auf keinen Fall reden.«
»Aber er hat es doch gesagt!« Mr. Goldsmith war verzweifelt, dass dieser nette, hilfsbereite Polizist unfähig war, den springenden Punkt zu begreifen. »Er sagte, er sei dud, und er sah tot aus und roch auch so.«
»Also das ist was ganz anderes.« Der Wachtmeister sah wie Sherlock Holmes aus, gerade im Begriff, den dämlichen Watson aufs äußerste zu verblüffen. »Der Kerl, den Sie beschrieben haben, kommt mir wie ein alter Pennbruder vor. Ein richtiger alter Stromer, der im Freien schläft und aus Restaurantküchen und so weiter klaut, was er nur kriegen kann. Säuft sicher Fusel und hat schon lange das letzte bisschen Grips verloren. Ich glaube, er wollte betteln. War wahrscheinlich bis oben hin voll und stolperte an Ihnen vorbei, als die Tür offen war und wollte dann in Ihrem Wohnzimmer pennen. Ich werde es dem Revierleiter melden, und wir werden ihn aufgabeln. Sie verstehen, der hat keinen Lebensunterhalt.«
»Danke.« Mr. Goldsmith versuchte, Erleichterung zu empfinden. »Aber...«
»Machen Sie sich keine Sorgen mehr.« Der Wachtmeister ging zur Tür. »Der belästigt Sie nicht nochmal. Wenn Sie wirklich solche Sorgen haben, dann machen Sie eine Kette an die Eingangstür, dann können Sie nachsehen, wer da ist, bevor Sie ihn hereinlassen.«
Mr. Goldsmith sagte: »Ja.«
Ihm war etwas leichter ums Herz, als er den Polizisten zur Tür brachte und ihm höflich den Helm reichte.
»Ein Toter, der redet!« Der Wachtmeister schüttelte den Kopf und lachte ein paarmal laut auf. »Quatsch!«
Mr. Goldsmith warf die Tür ein wenig heftig zu und lehnte sich gegen ihre helle Täfelung.
»Das war er.« Er sagte es laut. »Er war tot, das weiß ich.«
Er wärmte die Bohnen wieder auf, machte Toast im Grill, öffnete eine Dose Pilze und speiste in der Küche.
Der Abend verstrich. Der Fernseher glühte und teilte ihm Dinge mit, die er nicht wissen wollte, die Zeitung entsetzte ihn, und der Gasofen ging aus. Er hatte keine weiteren Five-Pence-Stücke, und ihm blieb nichts weiter übrig, als zu Bett zu gehen.
Im Bett war es warm, weich – und sicher war es dort. Sollte etwas Schreckliches geschehen, konnte er sich immer unter der Decke verstecken. Er hatte ein tröstliches Buch. Es berichtete von einem schönen, jungen Mädchen, das zum berühmten Filmstar werden könnte, wenn es nur mit dem widerlichen, fetten Produzenten schliefe. Das Mädchen machte den Geldklotz jedoch fertig und heiratete den Liebsten aus seiner Kindheit, der in der kleinen Bankfiliale arbeitete und zwanzig Pfund die Woche verdiente. Mr. Goldsmith war zutiefst zufrieden über diesen Stand der Dinge, legte das Buch unter sein Kopfkissen, löschte das Licht und schickte sich an, das Land der Träume zu betreten.
Er hätte es beinahe erreicht.
Sein Herzschlag verlangsamte sich. Sein Hirn schickte Mitteilungen durch das komplizierte Geflecht der Nerven und war zufrieden, dass alles in Ordnung war, obwohl der Magen wegen der Bohnen eine offizielle Beschwerde anbrachte. Bevor der Tresor geöffnet wurde, in dem die Schätze der Phantasie gestapelt waren, schaltete es die fünf Sinne aus. Doch dabei fingen seine Ohren ein Geräusch auf, und sein Hirn setzte alle Sinne in Alarmzustand.
Mr. Goldsmith setzte sich auf und suchte vergeblich nach dem Lichtschalter, während seine Zunge eine Reihe nutzloser Verweigerungen von sich gab.
»Nein-nein-nein...«
Die Schranktüren öffneten sich. Ein großer, schöner Schrank mit zwei Spiegeltüren versehen, und Mr. Goldsmith sah, wie die Glasflächen aufblitzten, als sie sich teilten. Aus den Tiefen des Schrankes kam ein dunkler Schatten zum Vorschein, eine große, magere Gestalt, die sich langsam bewegte. Mr. Goldsmith hätte geschrien, hätte er die Stimme gehabt, aber der Hals zog sich trocken zusammen und brachte nur ein paar krächzende Töne hervor. Die dunkle Gestalt schlurfte zum Bett, neigte sich einen Augenblick wie ein Baum, der fallen wollte, drehte sich um und setzte sich nieder. Als die lange Gestalt die Beine hochnahm und sich neben Mr. Goldsmith legte, entrang sich seinem geplagten Hals ein Wimmern. Sehr gut sehen konnte er nicht, aber er konnte riechen, und hören konnte er auch. Durch die Finsternis blubberten erstickte Worte.
»Se brochten – Bollen – met... Ach – mog – kane Bollen...«
Sie lagen einige Zeit nebeneinander, und Mr. Goldsmiths Wimmern vermischte sich mit dem blubbernden Klagelied.
»Se – brochten – Bollen met... Ach – ben – dud... Mog – kane – Bollen... Olle – Bollen – stenken.«
Mr. Goldsmith wagte, an Bewegung zu denken. Mr. Goldsmith sehnte sich danach, zwischen sich und was da blubbernd im Bett lag, Abstand zu bringen. Er bewegte die Hand, um die Decke zurückzuschlagen. Sofort umklammerten kalte Finger sein Handgelenk, glitten dann weiter und fassten seine Hand.
»Ach – ben – dud...«
»Nicht wieder«, flehte Mr. Goldsmith. »Nicht wieder!«
Minuten verstrichen. Mr. Goldsmith wollte seine Hand aus dem feuchtkalten Griff befreien, aber er wurde nur fester. Schließlich bewegte sich die Gestalt, setzte sich zum Entsetzen von Mr. Goldsmith auf und tappte mit der freien Hand herum. Licht platzte in die Finsternis, trieb die Schatten in dunkle Ecken, und Mr. Goldsmith musste sich das anblicken, was er nicht sehen wollte.
Das Gesicht war noch grüner geworden. Die Augen waren vielleicht noch wässriger und waren offensichtlich kurz davor, die Backen hinabzurinnen. Der Mund war ein weites Loch, in dem sich die schwarze Zunge wie ein flachgedrückter Wurm wälzte. Das blubbernde Geräusch fuhr mit dem Gurgeln eines müde gewordenen Geysirs die Luftröhre hinauf.
»Zehen – Se sech – on.«
Die Gestalt nahm die Beine vom Bett und fing an, sich auf den Kamin zuzubewegen. Sie hielt Mr. Goldsmiths Hand mit eiskaltem Griff auch weiter fest und zwang ihn, sich aus den Decken zu wühlen und hinter ihr zu stolpern. Über dem Kamin hing ein alter Marinesäbel mit Bronzegriff, den Mr. Goldsmith damals für dreißig Shilling erstanden hatte, als er zum erstenmal die Drei Musketiere las. Das Wesen nahm ihn unter Schwierigkeiten von den Haken, drehte sich langsam um, hob ihn hoch über den Kopf des entsetzten kleinen Mannes. Das Blubbern wurde lauter und wiederholte den Befehl von vorhin.
»Zehen – Se sech – on.«
Mr. Goldsmith zog sich an.
Sie gingen Hand in Hand die leere Straße hinunter, und es sah manchmal aus, als zöge ein Vater seinen widerstrebenden Sohn zur Schule. Mr. Goldsmith verzehrte sich nach dem Anblick seines Freundes, des Polizisten, aber das Wesen kannte anscheinend alle Nebenstraßen und Gassen, zog sein Opfer durch Zaunlücken und nutzte jeden Schatten, jede dunkle Ecke. In den kurzen Momenten, in denen Mr. Goldsmith zusammenhängend denken konnte, sagte er sich, dass das die Instinkte einer Straßenkatze, die automatischen Reflexe eines Fuchses waren. Das Wesen war auf dem Weg zu seiner Höhle und schleppte sein Opfer mit.
Sie waren in der Hafengegend. Schwarze, verrußte Gebäude ragten in den düsteren Himmel. Gassen mit Kopfsteinpflaster führten zu Eisenbahnunterführungen, an finsteren Speichern vorbei und endeten auf mit Unrat übersätem Ödland, das Hitlers Bomben vor dreißig Jahren geschaffen hatte. Mr. Goldsmith stolperte über Erdwälle, auf denen schütteres, trockenes Gras stand. Er stürzte sogar einmal in eine Vertiefung, wurde aber sofort herausgezogen, da das Wesen schwerfällig und unwiderstehlich wie ein Panzer weiterlief.
Der Boden senkte sich zu einem Durchgang zwischen Resten von Ziegelmauern ab. Dann war da eine Decke, an der noch Putzstückchen hingen. Dann der Geruch von brennendem Holz und dann ein merkwürdiger, neuer Geruch von Verwesung.
Sie befanden sich im einstigen Keller eines großen Speichers. Das Hauptgebäude war ausgebrannt, und die Mauern waren eingerissen worden, aber die tiefen Fundamente, von Feuer und Bomben unbehelligt gelassen, waren noch vorhanden. Feuchtigkeit rann die Wände hinunter, die Decke hing durch, der Boden war uneben, aber der Keller war durchaus noch vorhanden. Auf zwei Ziegelreihen stand eine uralte Badewanne. In ihre Seiten hatte man Löcher gebohrt, und in ihr brannte jetzt ein Stoß Holz. Qualm und Feuerschein ließ den Raum wie eine vergessene Hölle aussehen. Von Deckenträgern und Wänden hingen ein paar Sturmlampen, und wieder war Mr. Goldsmith gezwungen, etwas zu erblicken, was er lieber nicht gesehen hätte.
Sie saßen in einem großen Kreis geduckt um das Feuer, hatten alle möglichen alten Kleidungsstücke an, hatten grünliche Gesichter mit wässrigen Augen und offenen Mündern, hatten steife Finger. Mr. Goldsmiths Begleiter wischte alle Zweifel mit der Direktheit eines Schmiedehammers beiseite, der eine Walnuß zerquetscht.
»Olle-dud... Olle-dud.«
»Was soll das denn?«
Hinter Mr. Goldsmith und seinem Begleiter standen zwei Männer. Der eine war ein Koloß von einem Kerl, der andere ein Zwerg mit einem schlauen Rattengesicht. Der Kleine hatte gesprochen. Er sah Mr. Goldsmith tief erstaunt an und blickte dann böse auf das Wesen.
»Wo hast du den denn aufgegabelt?«
Die blubbernde Stimme versuchte eine Erklärung.
»Hob durt mol gölubt...«
»Du saublöder Kerl!« Der kleine Mann fing an, Bauch und Brust des Wesens Schläge zu versetzen, und es zog sich zurück, wobei die Blubber stimme wie ein Teekessel unter Hochdruck aufheulte.
»Hob durt mol gölubt... Hot Bollen metgöbrocht...«
Der kleine Mann ließ die Bestrafungsaktion und wandte sich mit unruhigem Gesicht an seinen Begleiter.
»Was soll das denn heißen? Hat der Bulle gesagt? Dem großen Tier wird das nicht passen. Bloß nicht die Polizei verwickeln, hat er gesagt.«
Der große Mann sprach langsam, hatte es nur auf die Beruhigung seines Freundes abgesehen.
»Mach mal halblang, Maurice. Der alte Penner ist doch ziemlich am Ende. Der fällt bald auseinander, wenn die ihn nicht ausbessern und ’n bisschen aufpolieren. Der Hirnkasten muss ganz schön durcheinander sein.«
Maurice ließ sich jedoch nicht trösten. Er drehte sich um und packte Mr. Goldsmith am Mantel.
»Haben Sie die Polizei geholt? Haben Sie ’nen Bullen gerufen?«
»Allerdings holte ich einen Polizeibeamten herbei, als dieser – diese Person meine Wohnung nicht verlassen wollte«, sagte Mr. Goldsmith zögernd.
»Mich trifft der Schlag.« Maurice drehte die Augen zur Decke. »Er sagt zu ’nem Bullen Polizeibeamter! Anständig wie ein Sonntagsessen. Hat wahrscheinlich so ’n Hauskreuz, das Zeter und Mordio schreit, wenn sein kleiner Herumtreiber nicht heimkommt, um seine Milch zu trinken.«
»Sind Sie verheiratet?«, fragte der große Mann, und Mr. Goldsmith schüttelte den Kopf, angetrieben von dem Wunsch, die, die ihn gefangen hatten, mild zu stimmen.
»Leben allein, was?« Der große Mann lachte leise. »Hab ich mir gedacht. Den Typ kenn ich. Kannst dir die Aufregung sparen, Maurice, der wird bloß ein weiterer Vermisster sein.«
»Ja, Harry.« Maurice nickte und ließ Mr. Goldsmith los. »Du hast recht. Wir fesseln ihn und legen ihn wo hin, bis das große Tier da ist. Das kann dann entscheiden, was mit ihm gemacht werden soll.«
Harry brachte ein Stück Seil, und Mr. Goldsmith ließ sich bescheiden verschnüren, während das Wesen, das ihn hergebracht hatte, ständig an Maurices Arm zerrte.
»Ach – well – Miithy...«
»Du hast kein Methy verdient, Charlie.« Maurice stieß die grässliche Gestalt zur Seite. »Machst hier so ein Schlamassel.«
»Miithy«, wiederholte Charlie, »ach – well – Miithy.«
»Wär ’ne ganz schöne Verschwendung von dem blauen Zeug«, bemerkte Maurice trocken. »Der ist an den Rändern schon ein bisschen ausgefranst. Ich werd ihm den Schädel einschlagen.«
»Nee.« Harry schüttelte den Kopf, »’s große Tier hat’s nicht gern, wenn wir uns Freiheiten mit den Einheiten erlauben. Außerdem kann die neue Reparatur– und Lackiermaschine Wunder mit denen tun. Wir geben ihm lieber mit den anderen seine Ration.«
Mr. Goldsmith wurde gut verpackt in einer Ecke abgelegt, wo er bald eine Szene miterlebte, die an Schrecken alles übertraf, was er erlebt hatte, seit Charlie bei ihm geklingelt hatte.
Harry kam aus einem Kämmerchen und trug einen großen Topf ohne Griff. Maurice folgte ihm mit einer angeschlagenen Tasse. Sofort kam groteske Bewegung in den Alptraum von Kreis. Beine bewegten sich, Arme winkten, Münder öffneten sich zu den üblichen blubbernden Worten, zu heiseren Schreien. Der Topf wurde auf einen wackligen Tisch gestellt, und Maurice rief mit hoher Stimme: »Methy... Kommt also her... Methy, Methy!«
Es erhob sich ein Scharren und Trampeln, ein einziger blubbernder, gurgelnder, heiserer Schrei, und der ganze Haufen kam schwankend daher. Man wollte unbedingt den Emailletopf und die angeschlagene Tasse erreichen, und die Schwachen wurden zur Seite gestoßen. Eine Gestalt, die in einen alten Militärmantel gehüllt war, stürzte oder wurde umgestoßen und fiel mit einem lauten Krachen nicht weit von Mr. Goldsmith zu Boden. Als sie wieder aufstehen wollte, gab ihr linkes Bein unter ihr nach, und der entsetzte Zuschauer sah durch einen Riss in der abgewetzten Hose das zersplitterte Ende eines Oberschenkelknochens zum Vorschein kommen. Auf dem grün angelaufenen Gesicht war kein Anzeichen von Schmerz zu erkennen. Was in dem Hirn noch an Verstand geistern mochte, brachte das Wesen schließlich so weit, über den unebenen Boden zum Tisch zu kriechen. Maurice sah hinunter und stieß die zuckende Gestalt um. Sie lag wie ein Käfer auf dem Rücken, jaulte protestierend und ruderte hilflos mit Armen und Beinen.
Die angeschlagene Tasse wurde in den Topf getaucht, zu einem Viertel mit einer blauen Flüssigkeit gefüllt und dann zum nächsten offenen Mund geführt. Ein grünlicher, faltiger Hals zog sich zusammen, dann wurde die Tasse weggerissen, um für den nächsten Mund gefüllt zu werden. Harry zog die Gefütterten zur Seite und gab ihnen
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: 1975 by R. Chetwynd-Hayes/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Pixabay.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Mina Dörge.
Übersetzung: Jürgen Saupe (OT: The Night Ghouls, Part 1). This edition published by permission of the Estate of R. Chetwynd-Hayes.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 05.09.2020
ISBN: 978-3-7487-5639-2
Alle Rechte vorbehalten