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Leseprobe

 

 

 

 

MANLY W. WELLMAN

 

 

INVASION VON DER EISWELT

- Galaxis Science Fiction, Band 29 -

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

INVASION VON DER EISWELT 

Prolog 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Epilog 

 

Das Buch

Die Invasion der Eiswesen war gelungen. Sie beherrschten den Planeten. Nur wenige Menschen hatten die Katastrophe überlebt und vegetierten jetzt wie die Tiere in den Tiefen der tropischen Dschungel. Mark Darragh war einer von ihnen. Er träumte davon, die Erde zu befreien und die Invasoren zu vernichten. Mit den primitiven Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, machte er sich auf den Weg zu den Eiswesen. Er musste ihre Schwachstelle finden...

 

Invasion von der Eiswelt von Manly W. Wellman (geboren am 21. Mai 1903 in Kamundongo, Portugiesisch-Westafrika; gestorben am 5. April 1986 in Chapel Hill, North Carolina) erscheint in der Reihe GALAXIS SCIENCE FICTION aus dem Apex-Verlag, in der SF-Pulp-Klassiker als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden. 

  INVASION VON DER EISWELT

 

 

 

 

 

 

»...wer nicht erkennt, was im Universum ist, bleibt dem Universum ein Fremder... Sieh, wie sich alle Dinge unaufhörlich ändern und gewöhne dich an die Erkenntnis, dass es der Natur höchste Freude ist, Bestehendes zu ändern...«

Marcus Aurelius Antonius,

An sich selbst.

Buch IV

 

 

 

 

  Prolog

 

 

Jeder hat schon unzählige Theorien über den Ursprung der Kalten gehört, doch mit Sicherheit konnte niemand etwas behaupten. So plötzlich hatte sich ihre Ankunft auf der Erde vollzogen, so schnell und überwältigend war der Kampf siegreich entschieden, dass den Männern und Frauen der Erde keine Zeit zum Überlegen oder zum Betrachten der Tatsachen blieb nur Zeit, zu fliehen.

Die Kalten waren große, durchscheinende, helmförmige Wesen, die sich mit Rutsch- und Krümmbewegungen auf gummiartigen Fußorganen fortbewegten, schneckengleich, aber erstaunlich schnell und wendig. Der kammartige Kopfteil eines solchen Lebewesens ragte volle eineinhalb Meter hoch. An der tiefsten und dicksten Stelle war der Körper etwas breiter als lang. Dicht am Ansatz des gezackten Kammes spross ein Büschel von sechs bis acht Fühlern, gleich einer wehenden, wippenden Helmfelder. Diese Fühler waren von schlangenartiger Beweglichkeit und konnten sich bis auf eine Länge von beinahe zwei Metern und mehr ausstrecken. Jeder Fühler endete in einem runden, einer Handfläche ähnelndem Saugorgan, welches fassen, halten oder etwas auf der offenen Hand tragen konnte. Inmitten der trübe schimmernden, grauen Körpermasse hing und pulste ein gewichtig aussehendes Ding von Fußballgröße, das ein schwach rötlich-blaues Licht ausstrahlte. Vielleicht war es das lebenswichtigste Organ oder das Sinneszentrum oder beides zugleich. Manchmal pulsierte es wild, und die Lichtintensität änderte sich auf seltsame Weise.

Die Kalten nahmen ihre Nahrung – es handelte sich dabei um synthetische Nährstoffe, aus verschiedenen Chemikalien gemixte Flüssigkeiten – durch sofortige Absorption durch die Körperoberfläche auf. Die meisten Untersuchungen stimmten dahingehend überein, dass sie geschlechtslos waren und dass ihre Fortpflanzung wahrscheinlich auf Sprossung beruhte, wie bei den einfachen irdischen Lebensformen. Andere Körperfunktionen beruhten auf ebenso primitiven Prinzipien. Manche menschliche Wissenschaftler waren der Meinung, dass diese, auf der Erde fremden Wesen, Einzeller waren, die sich erstaunlicherweise zu höherer Intelligenz entwickelt hatten. Andere wieder behaupteten, dass sie die extreme Entwicklungsstufe eines ursprünglich komplexen Organismus zu einer gewissen Spezialisierung der rationalen und manipulativen Fähigkeiten darstellten. Wieder hatte man weder Zeit noch Gelegenheit zur Schlichtung solcher Meinungsverschiedenheiten.

Sie kamen unerwartet und unvorhergesehen mitten im Winter. Eine Regenflut schwarzer Schiffe, die sich über ganz Europa, Nordamerika und das nördliche Asien ergoss. Zu diesem Zeitpunkt herrschten anormale Witterungsverhältnisse – die nördlichen Klimazonen wurden von ausgedehnten Kältewellen heimgesucht.

Die ersten Menschen, die die Kalten zu Gesicht bekamen, waren fast im gleichen Augenblick auch schon tot. Denn jedes Schiff hatte während des Näherkommens ein grässliches weißes Licht in großen, konzentrischen Ringen ausgestrahlt, das alles Leben, mit dem es in Berührung kam, explodieren ließ. Städte, Häfen und Verteidigungsanlagen schienen buchstäblich zu schmutzigem Nebel zerstäubt zu werden. Was von Staaten und Bevölkerung übrigblieb, ergriff vor diesen ersten Schiffslandungen entsetzt die Flucht, aber nur, um auf weitere zu stoßen und in sinnlosem Fliehen unterzugehen.

Wer von den Regierungsspitzen die ersten Stunden überlebte, machte zunächst heimtückische Angriffe gegnerischer Mächte für alles verantwortlich. Dann aber war man gezwungen, der Wahrheit – und war sie auch noch so seltsam – ins Auge zu sehen. Menschen und Nationen unternahmen einen Versuch zur Verteidigung. Armeen und Flotten wurden mobilisiert, Schwärme von Jagd- und Bombenflugzeugen zum Schlag gegen die schneeumgürteten Lager der Invasoren ausgeschickt. Doch Bomben und Kugeln wurden von dunkelgrünen Strahlenschildern zurückgeworfen, während weißes Licht, gebündelt und wie aus Schläuchen entströmend, die Flugzeuge geschwaderweise fällte – wie eine von einer plötzlichen Seuche heimgesuchte Generation von Heuschrecken. Piloten, Navigatoren und Bombenwerfer schmolzen vor den feindlichen Geräten zu blasigen Massen, ihre Maschinen zerschellten am Boden, während die Kalten auf der ganzen Welt zu weiterem Angriff rüsteten.

Man kam gegen sie nicht an. Gelenkte Raketen vermochten die Schilde nicht zu durchdringen. Artilleriebeschuss war ebenso fruchtlos, da die Geschütze samt der Mannschaft vernichtet wurden. Die Überlebenden waren die Flinken, die Verstohlenen, die Feiglinge. Und stündlich fielen noch mehr der schwarzen Raumschiffe vom Himmel.

Die Fremden richteten Posten ein, stellten die Verbindung zwischen den einzelnen Stationen her und verbanden die verschiedenen Einheiten zu tödlichen Armeen. Kleinere Maschinen schossen zu Erkundungsflügen hinaus und in Kämpfen, die zu Lande und zur See von Alaska bis Wladiwostok ausgetragen wurden, löschten sie mühelos die letzten Reste der irdischen Armeen samt Waffen, Stützpunkten und Städten aus.

Dass es überhaupt Wesen gab, die entkommen konnten, war ein Wunder, das auf einer weiteren Laune des Wetters beruhte. In dem Augenblick, als die Überlebenden der weltumspannenden Katastrophe entflohen, setzte Tauwetter ein – überall – im verwüsteten Russland, im zerstörten England und Deutschland, im verbrannten und gequälten südlichen Kanada und in den von der Katastrophe geschlagenen Vereinigten Staaten. So wie die große Kälte die Invasion mit sich gebracht zu haben schien, so brachte das große Tauen sie durcheinander. Die Eroberer zogen sich vor dem Tauwetter in den Norden zurück, sie wichen zurück, wie Menschen vor einem großen Feuer. Sie schlossen sich in ihren Schiffen und Unterkünften ein. Am zweiten Tag des Tauwetters – als der blaue Himmel in fast sommerlicher Hitze flimmerte und der auftauende Schnee in Rinnsalen und Bächen über die Kontinente verrann – war kein einziger helmförmiger Sieger im Freien, um die triumphale Zerstörung, die sein Kommen der Erde gebracht hatte, zu begutachten.

Dieses Phänomen gab der gejagten Menschheit den ersten Hinweis auf die Natur des Feindes. Die Invasion war also von einer weit von der Sonne entfernten Welt gestartet worden, von einer Welt, deren Bewohner bei einer Temperatur gediehen, die Erdbewohner hätte erfrieren lassen und die in einem Wetter dahinwelkten, das auf der Erde als mild gegolten hätte. Wollten die Menschen überleben, dann mussten sie in den Süden, in Regionen, die für ihre Gegner zu heiß waren.

Und die Menschen zogen in den Süden. Sie verließen die unvergesslichen Orte zivilisierter Kultur und Ordnung. New York, London, Moskau, Paris, Peking, St. Louis, San Francisco, Tokio – sie alle waren verlassen und menschenleer, wenn sie nicht schon beim ersten schrecklichen Angriff zerstört worden waren. Nicht alle flohen rechtzeitig und schnell genug. Die Kalten, die sich inzwischen auf Bewegung und Aktivität in der Hitze vorbereitet hatten, wagten sich wieder hervor.

Es war klar – sie wollten einen totalen Vernichtungskrieg. Für die neue Offensive war gegen eventuell auftretende, schädigende Hitzeeinflüsse Vorsorge getroffen worden. Jedes helmförmige Wesen trug jetzt einen merkwürdig versiegelten Panzer, viele flogen in isolierten Flugschiffen. Wieder wurde die Nachhut der flüchtenden Menschheit von Gemetzel und Terror heimgesucht. Man konnte die neuen Herren der Erde weder in Schach halten noch ihnen offen entgegentreten – nicht, ehe die Flucht in die Tropen ihr Ende gefunden hatte. Erst dann war die schmähliche Verfolgung zu Ende. Die wild verstreuten, erschöpften Reste der Menschheit biwakierten in den Sümpfen von Florida, den Dschungeln von Yukatan, in den Oasen Indochinas und der Sahara, und entlang heißer, mangrovenbestandener Küsten.

Noch lange Zeit sollte es bei diesem grausamen Versteckspiel bleiben. Die Menschheit setzte den Kalten nicht einmal die Andeutung eines Widerstandes entgegen. Kleine Geschwader blitzschneller Maschinen – isoliert, eisgekühlt und uneinnehmbar bewaffnet – jagten hier und dort sogar über Städte auf dem Äquator hinweg, um das Volk, dessen Hände zu schwach geworden waren, die Mutter Erde festzuhalten, zu bombardieren oder mit tödlichen Strahlen zu beschießen. Die wenigen Menschen, die in den gemäßigten und subarktischen Regionen noch versteckt waren, wurden unbarmherzig ausgelöscht. Die zu allem entschlossenen Überlebenden stürzten sich tief in die heißen Dschungel am Äquator, um dort ihre Wunden zu lecken, Nester zu bauen und ihre Kinder Hass und Schrecken zu lehren.

Und die Kinder – sie wuchsen in vager, banger Hoffnung auf, jene Welt, die ihre Eltern einst beherrscht hatten, zurückzuerobern... doch sollte ein halbes Jahrhundert vergehen, ehe die Kinder überhaupt einen Versuch machen konnten...

  Erstes Kapitel

 

 

Fünf Häuptlinge hockten um ein Beratungsfeuer nahe dem Mittellauf des Orinoco auf einer Lichtung zwischen den üppigen, stolzen Bäumen, die vom Land wieder Besitz ergriffen hatten, seit die Angriffe der Kalten die Menschen von Ackerbau und Viehzucht abgeschreckt hatten. Ursprünglich hatten sich sechs zur Beratung zusammengesetzt, doch der sechste – der schwarzbärtige Anführer eines Clans, dessen Angehörige vom Fischfang mit dem Spieß lebten – hatte sich als starrhalsig und hitzköpfig erwiesen. Gleich zu Beginn der Verhandlungen war er mit dem selbsternannten Vorsitzenden in Streit geraten, Beschuldigungen und Beleidigungen waren aufgeflackert und hatten schließlich zu einem Duell mit hirschfängerähnlichen Macheten geführt. Die anderen hatten dem fairen Kampf mit wohlwollendem Interesse zugesehen. Jetzt war der Schwarzbart tot und lag, etwas abseits, unter einem Gestreu breiter grüner Blätter.

Der Sieger in diesem Handel beendete die Reinigung seiner Klinge, indem er sie mehrmals in die feuchte dunkle Erde stieß. Dann polierte er sie an seiner zerfetzten Baumwollhose bis sie glänzte und steckte sie in die Lederschlaufe, die an seinem Gürtel hing und eigentlich für einen Säbel bestimmt war.

»Und jetzt«, verkündete er, »wird die Sitzung wieder zur Ordnung zurückkehren.«

Die anderen nickten zustimmend und sahen ihn mit jener Bewunderung an, die Kämpfer für Kämpfer hegen. An den Ohren trug er Ringe, um den Kopf einen zerfetzten roten Schal, wie ein Pirat aus alter Zeit, doch seine hageren Wangen und sein Akzent verrieten Yankee-Tradition. Seine Großeltern hatten zu jenen Überlebenden gezählt, die aus Lynn, Massachusetts, in den ersten schrecklichen Tagen der Kalten-Invasion hatten fliehen können.

»Wie ich schon vor dieser rüden Unterbrechung ausgeführt habe«, fuhr er trocken fort, »so rechne ich damit, dass die Mehrheit von uns mit dem Bündnis einverstanden ist.« Die hellen Augen sahen kurz zur stillen Wölbung unter den Blättern hinüber. »Eigentlich müsste ich sagen, dass die Sache einmütigen Beifall gefunden hat.«

»Ja«, meinten die anderen. »Das stimmt.« Wild aussehend und behaart, mit den verschiedensten Waffen ausgerüstet, wirkten sie, als wären sie Gewalttaten nicht abgeneigt. Wie ihr Vorsitzender, erinnerten sie an Figuren aus einem Piratenstück.

»Gut«, sagte der Vorsitzende. Er lächelte mit harten Lippen. »Wessen Wort gilt etwas bei seinem Stamm? Seid ihr sicher, dass eure Leute mit unseren Entscheidungen einverstanden sind?«

»Ich kann für meine Gruppe und die Haufen flussaufwärts sprechen«, meldete sich ein dunkelhäutiger Kerl mit dem Namen Megan. »Drei oder vier Häuptlinge haben sich mit mir besprochen, kurz bevor ich zu dieser Versammlung kam. Sie sind in dieser Sache auf unserer Seite, Spence. Jetzt erwarten sie mich zurück, damit ich berichten kann, wie der Rat entschieden hat.«

»Gut«, sagte der Vorsitzende. »Und was ist mit den anderen?«

Ein zweiter Häuptling versprach Unterstützung von Nachbarstämmen und dann noch einer. Spence lächelte froh und stolz.

»Mit unseren Gruppen und jenen anderen, die versprechen, dass sie mit uns Zusammengehen wollen, haben wir für den Anfang ein starkes Bündnis«, sagte er. »Genügend Leute und gute, befähigte Anführer, die noch mehr anwerben können. Diese Gruppen und Grüppchen im Hinterland werden eines nach dem anderen mitmachen.«

Megan wandte seinen Blick vom Feuer ab und sah zu dem Toten hinüber. »Und was ist mit seinen Leuten? Wie werden sie es aufnehmen, wenn sie erfahren, dass ihr Anführer beseitigt wurde?«

»Damit habe ich gerechnet«, nickte Spence und spuckte ins Feuer. »Sie haben keinen Anführer mehr, also werden sie sich vielleicht meinem Haufen anschließen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie froh sein werden, einen besonnenen Anführer zu bekommen und diesen großmäuligen, streitsüchtigen Kerl los zu sein. Ist jemand dagegen, dass sie sich meiner Gruppe anschließen?«

»Der Antrag liegt zur Abstimmung vor«, sagte Megan.

»Antrag angenommen«, warf sein Nachbar am Feuer ein.

»Ist jemand dagegen?«, fragte Spence. »Die Ja-Stimmen überwiegen, wir werden also seine Gruppe einladen, sich mir anzuschließen. Ich werde uns alle zu einem Ausschuss ernennen, der die Leute aufsucht und ihnen sagt, was geschehen ist und was jetzt das vernünftigste für sie ist. Wenn fünf Anführer sprechen, wird es wohl kaum Gegenargumente geben.« Wieder spuckte er aus. »Langsam glaube ich, dass unsere Schwierigkeiten jetzt überwunden sind.«

»Nicht ganz«, sagte eine Stimme hinter ihm.

Spence drehte sich blitzschnell um und erhob sich geschmeidig. Dabei glitt seine Hand wie durch einen Impuls bewegt, zum Griff seiner Machete.

In dem Dickicht breiter Blätter, aus denen man dem toten Streitsucher ein provisorisches Leichentuch gepflückt hatte, bewegte es sich. Vor die Augen aller trat ein hochgewachsener, junger Mann.

»He«, sagte Spence. »Ich dachte, du wärst schon weg.«

Der junge Mann trug Ledersandalen und aus Flicken zusammengesetzte Shorts von grobgewebtem Baumwollstoff. Der schlanke Körper und das glattrasierte Gesicht waren so sonnengebräunt, dass sich ihre Farbe kaum noch jener der Ledersandalen abhob. Dadurch wirkte das Blau der gutgeschnittenen weitoffenen Augen um so anziehender. Der schwarze Haarschopf, das starke Kinn, die große, gerade Nase und die markanten Backenknochen, zusammen mit der hageren Größe gemahnten an das Aussehen des jungen Abraham Lincoln. An seinen Gürtel hing keine Waffe – nur ein Beutel aus gegerbtem Katzenfell.

Spence schob die Kiefer vor und sah ihn ein wenig fassungslos an. »Ich habe dich zu dieser Versammlung nur mitgenommen, damit du über deine Nordexpedition berichten kannst«, grollte er. »Du bist kein Häuptling, du hast also keine Stimme in diesem Rat! Ich dachte, du wärst nach deiner Berichterstattung schon weggegangen.«

Der große junge Kerl grinste ohne eine Spur von Verlegenheit. »Ich wollte gerade aufbrechen, als sich der Kampf zusammenbraute.«

»Sagen wir lieber, die kleine parlamentarische Debatte«, sagte Spence im Befehlston.

»Also... dann hat sich eben diese kleine parlamentarische Debatte zusammengebraut. Ich habe da drüben in den Büschen gewartet, um zuzusehen. Dann bin ich geblieben und konnte nicht umhin zu hören, was ihr nachher besprochen habt.«

»Was meinst du mit nachher besprochen?«, forderte Spence ihn heraus.

»Dass es mit den Schwierigkeiten jetzt vorbei wäre.« Wieder grinste der junge Mann. »Die beginnen doch jetzt erst recht, wenn ich so sagen darf.«

Alle fünf Häuptlinge machten ein finsteres Gesicht.

»Du darfst es sagen, schon recht«, sagte der dunkelgesichtige Megan mit einem vernichtenden Blick. »Aber diese Behauptung führt zu nichts.«

»Es führt zu nichts, wenn ihr glaubt, mit den Schwierigkeiten wäre es nun vorbei«, lautete die gutmütige Antwort.

Spence runzelte die Stirn. »So habe ich es ja gar nicht gemeint. Es sollte nicht heißen, dass es mit allen Schwierigkeiten aus wäre. Nur die größte – nämlich die Bildung eines Bündnisses...« Er machte eine vage Handbewegung. »Diesen größten Schritt auf dem Weg zum Kampf gegen die Kalten – den haben wir getan. Jetzt können wir uns auf den nächsten Schritt vorbereiten.«

»Auf den Kampf mit den Kalten vorbereiten?«, warf der junge Eindringling skeptisch ein. »Auf den Vormarsch... ja, in welche Richtung denn... nach Norden oder Süden? Ich habe gehört, dass ihr Hauptstützpunkt irgendwo in der Antarktis liegen soll.«

»Wir gehen nach Norden«, sagte Megan grimmig. »Dort werden wir mit ihnen Zusammentreffen.«

»Und wenn ihr auf sie trefft – was dann?« Das schmale junge Gesicht hatte sein Lächeln verloren und war düster geworden. »Haltet ein und überlegt! Ihr Häuptlinge! Jeder von euch hat eine Gruppe, eine ganze Gemeinschaft, die von eurem vernünftigen Urteil abhängt.«

»Und«, fuhr Spence fort und schob den Gürtel, der die Machete hielt, hoch, »du glaubst also, unser Urteil wäre nicht vernünftig?«

»Ich denke daran, dass fünfzig Jahre vergangen sind, seit die Kalten auf die Erde kamen. Ich denke daran, dass sie die Nationen der Erde in fünfzig Stunden weggefegt haben. Und ich glaube, ihr habt ganz vergessen, was es heißt, geschlagen und zerschmettert zu werden.«

»Hm«, brummte Megan, »wenn wir schon vom Schlagen und Treten sprechen, junger Mann, wie würde es dir wohl gefallen...«

»Wenn ihr und die anderen es vergessen habt«, fuhr der andere fort, »würden wir es dann nicht am eigenen Leibe erfahren müssen, sobald wir in die Reichweite der Kalten kommen?«

»Eure Väter und Großväter wurden geschlagen«, höhnte ein bronzegetönter Mann mit feingebogener Nase. Es war Capato, ein venezolanischer Indianer, der eine Föderation von Eingeborenendörfern regierte. »Mein Volk ist von den Kalten nie geschlagen worden!«

»Weil dein Volk nie gegen sie gekämpft hat«, schleuderte der hochgewachsene Jüngling ihm entgegen. »Ihr steht jetzt kurz davor, gegen sie anzutreten und ihr werdet euren Buckel voll bekommen. Vielleicht wird niemand aus dem Kampf zurückkehren und berichten, wie arg die Schläge waren.«

»Na schön, Söhnchen«, warf ein anderer ein. »Du steckst voller Kritik. Was hast du an vernünftigen Ratschlägen auf Lager?«

»Ich wiederhole: Haltet ein und überlegt zuerst. Wenn uns die Kalten einmal geschlagen haben, damals, als sie kaum gelandet waren und erst Atem holen mussten – wenn wir damals vom Thron stürzten, als wir glaubten, sicher darauf zu sitzen – was werden sie diesmal tun, jetzt, da sie die gut verschanzten Verteidiger sind und wir die Angreifer?«

»Du bist ein verdammter Miesmacher«, schnaubte Spence.

»Ich weiß dafür einen besseren Namen«, sagte Megan verächtlich. »Er ist ein Feigling.«

Das gebräunte Gesicht wandte sich Megan zu, die jungen Lippen enthüllten weiße, ebenmäßige Zähne. Zwei große Hände ballten sich zu Fäusten. Megan wich einen Schritt zur Seite und zog die Machete aus der Schlaufe.

»Er ist unbewaffnet«, warf Capato rasch ein. »Einen Unbewaffneten darfst du nicht töten, Megan!«

»Gib ihm einen Dolch«, grollte Megan.

Capato legte die Hand an die eigene Waffe, doch der junge Mann machte eine Geste der Ablehnung. »Ich lasse diese Beleidigung durchgehen«, sagte er gedehnt. »Mag sie für den Augenblick ungerächt bleiben. Jemand hat gefragt, ob ich einen vernünftigen Rat hätte. Warum setzen wir uns nicht?«

Er hockte sich auf seine in Sandalen steckenden Fersen ans Feuer. Spence starrte ihn einen Augenblick lang an und ließ sich dann auf seinen eigenen Platz fällen. Auch die anderen setzten sich und warteten ab.

»Eben jetzt«, fing der junge Späher wieder an, »gibt es sehr viel anderes zu tun, als Zweikämpfe auszutragen. Zweikämpfe lösen nämlich keine Probleme. Und der getötete Häuptling ist bereits selbst zu einem Problem geworden. Ihr alle müsst jetzt hingehen und den Vorfall seinem Stamm erklären.«

»Er hat mich tödlich beleidigt«, rechtfertigte sich Spence. »Was hättest du an meiner Stelle getan?«

»Ihr habt gesehen, was ich getan habe, als ich beleidigt wurde. Ich habe es hingenommen und mich wichtigeren Dingen zugewandt. Denn es gibt wichtigere Dinge, als die Frage zu lösen, ob dieser Häuptling – Euer Name ist Megan, nicht wahr? – mich in einem hart auf hart geführten Kampf mit Macheten besiegen kann. Viel wichtiger wäre es, herauszufinden, ob die menschliche Rasse die Kalten schlagen kann.«

»Wir können sie schlagen«, schnappte Spence zurück, als ob eine scharfe Bejahung die Frage beantworten könnte. »Sie haben niemals echte, unüberwindliche Überlegenheit in der Kriegsführung gezeigt. Von wo sie auch hergekommen sein mögen...«

»Von wo immer sie aus hergekommen sein mögen – sie waren bloß eine, weit durch den Weltraum ausgeschickte Expedition«, beendete der junge Mann den Satz. »Sie sind mit kleinem Gepäck gereist, eine kleine Nutzlast in einem Fortbewegungsmittel, das auf große Entfernungen das All durchquert. Die mitgeführten Waffen reichen wahrscheinlich an die besten, die ihnen zur Verfügung stehen, nicht annähernd heran.« Er breitete seine großen Hände aus. »Ich sehe, wie sie gleich einem Polizeikommando in alten Zeiten ausrücken, um einem großen, unbewaffneten Pöbelhaufen entgegenzutreten. Ich habe von solchen Aktionen gehört. Es wurden Pistolen, Gummiknüppel und Tränengasbomben mitgeführt. Falls diese Waffen nicht sofort gewirkt hätten – wenn sich also der Pöbel zur Wehr gesetzt und der Polizei ernsthaft zu schaffen gemacht hätte –, dann wären sie mit Maschinengewehren nachgerückt. Und im Falle einer Revolution gab es schwere Geschütze, Panzer, Flugzeuge. Gut und schön. Unsere Vorfahren wurden von den leichten Waffen der Kalten besiegt – und wir sind seither von unserem damaligen Stand beträchtlich abgesunken.«

»Wir besitzen noch immer das, was im Krieg wirklich zählt«, beharrte Spence. »Wir haben jahrelang alte Ausrüstung erneuert. Wir verfügen über Gewehre und Munition. Wir haben Chemikalien, sogar ein paar Flugzeuge.«

»Alles, was vor fünfzig Jahren überhaupt nicht gezählt hat!«

Das war völlig richtig, doch die fünf Häuptlinge wollten nicht daran erinnert werden. Das gaben sie dem jungen Quälgeist durch ihre finsteren Mienen zu verstehen.

»Ich glaube, du nimmst den Mund schön voll – wenn man bedenkt, dass du in diesem Rat keine Stimme hast«, sagte Spence. »Wir wissen nicht einmal, wie du heißt.«

»Ich heiße Darragh. Mark Darragh. Um eine Stimme im Rat geht es mir nicht. Ich versuche bloß, euch die Tatsachen ins Gedächtnis zu rufen. Wartet – gebt mir nur noch eine Minute, bitte. Ihr alle wiegt euch hier in den Tropen in Sicherheit.«

»Wir sind hier seit einem halben Jahrhundert sicher«, entgegnete Capato.

»Weil sie uns vergessen haben. Angenommen, ihr und ein paar andere stellt eine Streitmacht auf, zieht nach Norden und werdet besiegt. Ihr habt gekämpft, ihr habt ihre Aufmerksamkeit auf euch gelenkt. Sie werden nach Süden dringen und das letzte menschliche Wesen ausrotten.«

»Unsinn«, explodierte Capato. »In diese Temperaturen können sie sich nicht vorwagen. Überdies bietet uns der Dschungel gute Deckung.«

»Sie können bis hinauf in die Stratosphäre über unserem Gebiet«, sagte Mark Darragh. »Dort oben ist es für sie ausreichend kalt. Und von dort aus können sie ihre Vernichtungsstrahlen auf die Dschungelgebiete richten. Sie könnten uns auslöschen, wie wir Ungeziefer auslöschen, indem wir das Gras anzünden.«

Dieses Schicksalsbild, das ihnen hier kurz und drastisch gemalt wurde, veranlasste die fünf Anführer zu einer nachdenklichen Pause. Darragh nutzte den Augenblick und bohrte weiter.

»Ich möchte euch nochmals bitten, euch vor Augen zu halten, dass sich die Dinge geändert haben. Als die ersten von ihnen zur Erde kamen, waren wir gerüstet und mächtig und befanden uns in der Überzahl. Jetzt haben sie Befestigungen. Ich bin dort oben gewesen – oben im Golf von Mexiko. Ich habe ihre Vorposten gesehen...«

»Das wissen wir«, versuchte Spence ihm das Wort abzuschneiden. »Du hast ja über deine Beobachtungen berichtet.«

»Ich habe ihre Vorposten gesehen«, wiederholte Darragh hartnäckig. »Große Forts, versiegelt, kuppelförmig und vermauert. Darüber kreisende Flugzeuge. Die Reste menschlicher Behausungen liegen in Schutt und Asche. Ich weiß also, wovon ich rede. Ich bezweifle, ob jemand durch so viele Jahre und so tief in ihr Gebiet eingedrungen und lebend zurückgekommen ist.«

»Ein törichtes Jugendabenteuer«, meinte einer der Häuptlinge verächtlich.

»Sie haben recht, Sir – wahrscheinlich war es wirklich töricht. Ich bin als Junge in den Norden gezogen und habe dort zwei Jahre Beobachtungen gemacht. Ich spüre, dass ich als Erwachsener zurückgekommen bin, mit nützlichem Wissen über den Feind.«

»Eine große Hilfe bist du nicht, wenn du verlangst, wir sollten den Kampf vergessen«, sagte Megan herausfordernd.

»Das habe ich nicht verlangt. Ich habe bloß gesagt, wir sollten nicht auf ihre Weise kämpfen. Meidet die Taktik, die uns schon einmal Schläge eingebracht hat. Entwickelt eine andere Politik und andere Waffen.«

»Welche Politik und welche Waffen wären das?«, warf Spence ein.

Darragh machte ein finsteres Gesicht. Zum ersten Mal wirkte er ratlos. »Ich weiß es nicht – noch nicht«, musste er nach einem Augenblick zugeben.

Verbittertes Auflachen rund ums Feuer war die Reaktion.

»Gut, Darragh – mir scheint, du bist jetzt mit deiner kleinen Komödie am Ende«, sagte Spence. »Ich stehe diesem Rat vor, und ich gebe dir die Erlaubnis zu gehen, damit wir unsere Angelegenheiten beenden können.«

Darragh stand auf. »Gut, ich gehe«, sagte er. »Doch lasst mich als Späher gehen, meine Herren.«

»Späher?«, kam von Megan das Echo.

»Lasst mich noch einmal hinaufziehen. Lasst mich das Land und die Kalten auskundschaften. Lasst mich das Geheimnis erforschen, das sie vernichten wird.«

»Donnerwetter, ich will verdammt sein, wenn der Junge kein gutes Mundwerk hat«, kicherte Megan. »Er überzeugt mich beinahe. Das heißt, er hätte mich überzeugt, wenn ihm nicht der Schnitzer mit der neuen Politik und den neuen Waffen passiert wäre, von denen er nichts weiß.«

»Ich werde das Geheimnis erforschen«, beharrte Darragh.

Spence schüttelte den Kopf. »Auch wenn du dahinterkommst, dauert es zu lange«, widersprach er. »Wir haben es satt, uns zu verkriechen und zu verstecken. Du hast berichtet, dass dort oben in dem Land, in dem wir eigentlich leben sollten, die Kalten immer zahlreicher werden.«

»Das stimmt«, nickte Capato. »Wir müssen sie jetzt oder nie zusammenschlagen.«

»Jetzt?«, wiederholte Darragh. »Wie bald ist das? Wir haben jetzt Anfang September. Ihr plant doch wohl keinen Winterfeldzug, oder?«

»Nein, das tun wir nicht«, sagte Spence. »Wir werden unsere Leute sammeln und bewaffnen. Im Herbst und Winter werden wir die Sache organisieren und mit dem Drill beginnen. Wenn die Hitze kommt, ziehen wir in den Norden. Wir müssen die Kalten in der für sie ungünstigsten Jahreszeit erwischen.«

»Das heißt also von jetzt ab in einem halben Jahr?«, fasste Darragh zusammen. »Dann gebt mir für die Expedition ein halbes Jahr Zeit.«

Hinterhältig lächelnd zuckte Spence mit verächtlicher Zustimmung die Achseln. »Gut«, sagte er. »Komm in sechs Monaten wieder und berichte uns alles. Dann wirst du uns kampfbereit vorfinden.«

»Das nenne ich einen fairen Handel«, sagte Darragh. Er sah auf Megan hinab. »Wenn ich zurück bin, wirst du vielleicht den kleinen Zwist, den du mir aufzwingen wolltest, wieder aufnehmen wollen.«

Megan lachte und schüttelte gutmütig den Kopf. »Sieh mal, Söhnchen, ich schließe mit dir einen Handel. Ich nehme zurück, was ich gesagt habe. Du bist kein Feigling – sonst würdest du nicht ins Land der Kalten ziehen. Also – nichts für ungut.«

»Nett von euch«, sagte Darragh.

»Junger Mann, wir haben uns über dich lustig gemacht«, warf Capato ein. »So oder so – du hast es verdient, weil du als Störenfried hereingeplatzt bist. Doch du hast Mut, und ich wünsche dir Glück! Kehre in einem halben Jahr heil wieder!«

»Amen«, sagte ein anderer. »Du bist ein langer, junger Kerl. Dich und viele von deiner Sorte brauchen wir in der Armee.

»Und wenn ich das Geheimnis herausfinde,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Manly W. Freeman/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: N. N. /Christian Dörge.
Cover: N. N. /Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Mina Dörge.
Übersetzung: Ingrid Rothmann (OT: The Dark Destroyers).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 03.09.2020
ISBN: 978-3-7487-5611-8

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