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Leseprobe

 

 

 

 

HERBERT ZIERGIEBEL

 

 

Zeit der Sternschnuppen

 

 

KOSMOLOGIEN – SCIENCE FICTION AUS DER DDR, Band 7

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

 

ZEIT DER STERNSCHNUPPEN 

Prolog 

1. Teil: NÄCHTE AUF MANIK MAYA 

2. Teil: NORDWESTLICH JUPITER 

3. Teil: DIE QUADRATUR DES KREISES 

 

 

Das Buch

Immer, wenn im Juli und August am Nachthimmel Sternschnuppen aufleuchten, erinnert sich Hans Weyden an das Abenteuer seines Lebens. Sie hieß Aul, hatte langes schwarzes Haar und trug zu jeder Stunde ein enganliegendes Trikot, denn auf dem sechsten Jupitermond, wo sie sich mit ihrem Vater vorübergehend aufhielt, gibt es keine Jahreszeiten und keine Mode, übrigens auch keinen Spiegel. Hans Weyden war in ihrem Leben der erste Mann – und voraussichtlich auch der letzte. Aber bevor es zu einem herzzerreißenden Abschied kommt, nehmen wir zusammen mit Hans Weyden und dem Dackel Waldi Kurs auf den Jupiter und betreten an seiner Seite eine wunderliche Welt, in der unvorstellbare Zukunft und längst vermoderte Vergangenheit eine seltsame Ehe miteinander eingegangen sind. Ahnungsvoll begleiten wir Weyden bei seiner Rückkehr zur Erde und wünschen ihm, er möge sich der unabwendbar auf ihn zukommenden Entscheidungen gewachsen zeigen...

 

Herbert Ziergiebel schrieb mit Zeit der Sternschnuppen ein modernes Märchen über einen Menschen unserer Tage. Er legt ihn so an, dass Weyden manchmal unseren Widerspruch herausfordert, ja, man möchte ihn öfter bei den Ohren nehmen und ihn kräftig schütteln, damit er begreift, dass er nicht der Nabel der Welt ist und dass ein wenig Selbstkritik und Bescheidenheit ihn trefflich kleiden würden. Die Verbindung von Utopie und Wirklichkeit, in der utopischen Literatur äußerst selten anzutreffen, ist für den Leser außerordentlich reizvoll. Ziergiebels Roman bietet dafür ein gutes Beispiel.

 

Zeit der Sternschnuppen, erstmals im Jahr 1972 veröffentlicht, erscheint als durchgesehene Neuausgabe im Apex-Verlag in der Reihe Kosmologien – Science Fiction aus der DDR.

Der Autor

Herbert Ziergiebel,  (* 27. Juni 1922 in Nordhorn; † 11. September 1988 in Berlin).

Herbert Ziergiebel war ein deutscher Schriftsteller.

Ziergiebel wollte ursprünglich Ingenieur werden und erlernte zunächst den Beruf des Schlossers. Danach war er einige Zeit als technischer Zeichner und Konstrukteur tätig.

Während des Zweiten Weltkrieges war er im antifaschistischen Widerstand aktiv und wäre wegen illegaler Flugblätter in seiner Wohnung beinahe verhaftet worden, konnte aber kurz davor fliehen. Er tauchte zunächst in Tirol unter, wurde jedoch 1942 doch noch verhaftet und erst in Innsbruck, dann im KZ Dachau inhaftiert. Dort flüchtete er unter abenteuerlichen Umständen kurz vor der Befreiung 1945 durch die Amerikaner.

Er studierte nach dem Krieg Philosophie und Geschichte an der Humboldt-Universität in Berlin. Einige Jahre war er als Journalist u. a. in Budapest tätig, von wo er während des Volksaufstandes 1956 zurückbeordert wurde. Er hatte aber auch schon seine ersten Veröffentlichungen als freier Schriftsteller in Presse und Rundfunk (u. a. die Hörspiele Auf Wiedersehen, Gustav und Kapitän Brown verliert seine Wette).

Sein erster Roman Rebellen um Ferdinand von Schill wurde 1953 veröffentlicht. Es folgten zeitgeschichtliche Romane und Erzählungen wie 1959 Das Gesicht mit der Narbe (1962 von der DEFA verfilmt unter dem Titel Die letzte Chance – Regie: Hans-Joachim Kasprzik) und 1962 Satan hieß mich schweigen, in denen er sich mit seiner Zeit im KZ und den Wirren danach auseinandersetzt. Eine erste Skizze zu Das Gesicht mit der Narbe wurde bereits 1955 als autobiografische Kurzgeschichte unter dem Titel Die Flucht aus der Hölle veröffentlicht. Sein fast vergessener Roman Wenn es Tag wird (1963) ist ein familienbiografisches Werk, das in der Zeit der Weimarer Republik angesiedelt ist.

Nach seiner historischen Phase verlegte sich Ziergiebel auf Philosophisch-Fiktionales und veröffentlichte 1966 beim Verlag Das Neue Berlin seinen vielbeachteten Science-Fiction-Roman Die andere Welt, der – seiner Zeit weit voraus – die inneren Konflikte einer Raumschiffbesatzung schildert, die durch einen Unfall ins Weltall hinauskatapultiert wurde und mit der Tatsache ihres nahenden Todes zurechtkommen muss. Das Buch erlebte zahlreiche Nachauflagen und wurde ins Tschechische und ins Ungarische übersetzt. Franz Rottensteiner schrieb dazu: »Größere Ambitionen verrät Herbert Ziergiebels Raumfahrtroman Die andere Welt, eine ehrgeizige psychologische Studie einiger havarierter Raumfahrer.«

1972 folgte Zeit der Sternschnuppen, worin auf originelle und humorvolle Weise die Frage nach Leben im Weltraum beantwortet wird. Hier wird der Protagonist des Buches (samt seinem Dackel Waldi) von Aliens aufgelesen, weil ihnen aufgefallen ist, dass das irdische Mädchen, das sie vor ein paar tausend Jahren in Babylon mitgenommen hatten und infolge Dilatation kaum gealtert ist, nun einen Sexualpartner benötigen könnte. Großzügig setzen sie ihn und den Dackel noch einmal zu Hause ab, damit er sich zwischen seiner Heimat einerseits und einer Existenz zwischen den Sternen andererseits entscheiden kann. Er entscheidet sich gegen das Abenteuer.

Zerwürfnisse mit dem Schriftstellerverband der DDR im Zusammenhang mit der Ausbürgerung von Wolf Biermann ließen es ruhiger werden um Herbert Ziergiebel. Er veröffentlichte lediglich noch die Science-Fiction-Erzählung Die Experimente des Professors von Pulex (erschienen im Sammelband Der Mann vom Anti) und 1975 unter dem Titel Vizedusa eine Sammlung humoristischer Anekdoten.

Danach zog er sich auf sein Grundstück Manik Maya in Spree-Au bei Berlin zurück, das seinen Lesern auch als Start- und Landeplatz der Raumschiffe aus seinen Romanen bekannt ist. Dort beschäftigte er sich viel mit Astronomie und verlegte sich mehr und mehr auf die Malerei.

Die Probleme der Umwelt und die Zukunft der Menschheit sollten das Thema eines weiteren Romans werden, der auf mehrere hundert Seiten angewachsen unter dem Arbeitstitel Am Tag als der Laleb kam unvollendet blieb.

Herbert Ziergiebel starb nach kurzer, schwerer Krankheit an einem Krebsleiden. Sein Grab befindet sich auf dem evangelischen Karlshorster und Neuen Friedrichsfelder Friedhof in Berlin-Karlshorst.

  ZEIT DER STERNSCHNUPPEN

 

 

 

 

 

 

Meiner Frau gewidmet.

 

 

 

 

  Prolog

 

 

Es ist wohl zu allen Zeiten ein Wagnis gewesen, den Ablauf von phantastischen, ja unglaubwürdigen Ereignissen beschreiben zu wollen, für die es keine Zeugen gibt und die jenseits aller menschlichen Erfahrungen liegen. Anhaltspunkt für die rätselhaften Vorgänge waren ein paar Tagebuchnotizen, die mir der Grafiker Hans Weyden zur Verfügung stellte. Was mir später noch an mündlichen Aussagen überliefert wurde, verdanke ich Frau Johanna Weyden, dem Oberleutnant der Kripo, Eichstätt, und schließlich dem Neurologen und Psychiater, Herrn Professor Grasmais. Letzterer zeigte sich bei unserer Unterredung sonderbar zurückhaltend, obwohl gerade er den Fall Weyden am besten kennen musste.

Nicht zuletzt aber war es Hans Weyden selbst, der mir seine angeblichen Erlebnisse recht lebhaft und anschaulich geschildert und mich ermutigt hatte, sie zu Papier zu bringen. Dennoch habe ich lange gezögert; seine Erinnerungen lagen Monate auf meinem Schreibtisch. Den letzten Anstoß zu meinem Versuch, Weydens Abenteuer im geordneten Nacheinander darzustellen, gab eine Notiz in seinem Tagebuch. Dort heißt es an einer Stelle: »...Einen Wahn verlieren macht weiser als eine Wahrheit finden. Ich bin entschlossen, alles Vergangene abzuschütteln... Habe Regina davon erzählt. Sie meinte nur tiefsinnig: Ob ausgedacht oder wahr, mitunter sind Geschichten so schön, dass der Unterschied nicht auf fällt...«

Mag dieser Weyden, der uns von nun an beschäftigen wird, ein Phantast sein. Es finden sich jedoch in seinen Schilderungen Überlegungen, die nachdenklich stimmen. Erdacht oder wirklich erlebt, diese Frage muss sich jeder selbst beantworten. Jedenfalls sollte uns das »Es könnte so gewesen sein« in unserer Beurteilung vorsichtig machen. Was ist morgen noch Utopie? Selbst Skeptiker wagen das Wort »unmöglich« nur noch zu flüstern. Wissenschaft und Phantasie sind in den letzten Jahren in einen Wettlauf getreten. Noch ist nicht entschieden, wer diesen Wettlauf gewinnen wird.

Folgen wir deshalb der ersten Spur unseres Zeitgenossen Hans Weyden nach Möglichkeit ohne Vorurteil. Vor uns, jenseits der ausgetretenen Pfade, liegt ein weiter Weg.

 

Diese erste Spur führt uns in einer frostklaren Nacht nach Berlin. Auf den Dächern der Stadt, auf Bäumen und Straßen liegt trockener Schnee. In normalen Nächten schlafen um diese Zeit Menschen und Tiere. Diese Nacht aber ist anders. Zwei Stunden zuvor wurde das letzte Kalenderblatt des alten Jahres abgerissen, das neue Jahr nach altem Brauch mit Feuerwerk begrüßt. Viele Fenster sind noch erleuchtet, Musik dringt aus Wohnungen und Gaststätten. Auf den Straßen streben die ersten Heimkehrer den Bahnhöfen zu. Die meisten sind in animierter Stimmung, manche mit närrischem Putz behängen.

Der junge Mann, der in dieser Silvesternacht, aus einer Seitengasse kommend, in die Frankfurter Allee einbiegt, gehört gewiss nicht zu den Menschen, die den Jahreswechsel in besonders vergnüglicher Stimmung verbracht haben. Sein Gesicht, von dem hochgeklappten Pelzkragen des Wintermantels umrandet, hat einen verdrießlichen Ausdruck. Er hat es eilig, verschwendet keinen Blick an seine frohgestimmten Mitbürger. Als eine Gruppe fröhlicher junger Burschen und Mädchen sich mit ihm fraternisieren will, weicht er ihnen unwirsch aus, beschleunigt seine Schritte, bis er vor einem Polizeirevier verharrt. Einen Augenblick bleibt er unentschlossen stehen. Dann öffnet er die Haustür, eilt mit steinernem Gesicht die Treppen hinauf. Das Polizeirevier befindet sich im ersten Stock.

In der Wachstube halten sich ein Oberwachtmeister und ein Wachtmeister auf. Für sie ist die Silvesternacht kein Vergnügen gewesen. Raufereien zwischen Betrunkenen und Verbrennungen durch das Mitternachtsfeuerwerk haben keine Langeweile aufkommen lassen. Erst seit einer halben Stunde ist etwas Ruhe eingetreten. Die beiden haben es sich bequem gemacht, die Uniformjacken geöffnet. Auf dem Tisch steht eine halbgeleerte Flasche Wein, daneben zwei Gläser und ein Damespiel, das ihnen die Dienstzeit verkürzen soll. Ein Läuten an der Tür unterbricht ihre Beschäftigung.

Der Oberwachtmeister schließt sein Jackett, öffnet.

Was den jungen Mann zu dieser späten Stunde zur Polizei getrieben hat, ist wenig erfreulich. Ein Kofferradio sei ihm gestohlen worden. Doch er begnügt sich nicht damit, Anzeige zu erstatten; er verlangt auch aufgeregt, als handle es sich um kostbaren Schmuck, man möge die Diebe noch heute festnehmen. Seine Anklage klingt reichlich verworren. Der Diebstahl sei in einem Autobus außerhalb der Stadt erfolgt, er habe ihn aber erst jetzt bemerkt.

Die Forderung des nächtlichen Besuchers, sogleich den Polizeiapparat in Bewegung zu setzen, zeugt von Naivität. Außerdem sei dies Sache der Polizei des Diebstahlortes, gibt der Oberwachtmeister zu verstehen. Der junge Mann lässt sich nicht irritieren. Man brauche nur den Busfahrer ausfindig zu machen. Dieser kenne die Burschen wahrscheinlich, die ihm sein Transistorradio entwendet hätten. Sogar die Uhrzeit des Diebstahls kann er angeben: null Uhr sechzehn.

Der Oberwachtmeister zuckt die Schultern. Die Sache werde ihren Gang nehmen. Er will ein Protokoll aufsetzen; in einigen Tagen wisse man mehr. Es sei eine Illusion, zu glauben, noch in dieser Silvesternacht zu einem Erfolg zu gelangen. Nun wird der Besucher heftig. Er schimpft auf die Bürokratie, verweist auf seine Rechte als Staatsbürger und Steuerzahler und anderes mehr. Seine Gereiztheit überträgt sich auf den Oberwachtmeister, der sich diesen Ton energisch verbittet. »Nicht solche Töne im neuen Jahr, mein Herr!«, erwidert er ungehalten. »Bitte Ihren Personalausweis.«

Diese Aufforderung bewirkt bei dem jungen Mann eine überraschende Veränderung. Sein Gesicht nimmt einen etwas verlegenen Ausdruck an. »Ich bedaure«, murmelt er, »ich besitze keinen Personalausweis, ich gelte als vermisst. Mein Name ist Hans Weyden, Römische Straße fünf - Sie können meine Frau anrufen...«

Verwunderte, zweifelnde Blicke; der jüngere Wachtmeister, der sich bis jetzt mehr für die Stellung der Steine auf dem Brettspiel interessiert hat, steht auf, zieht einen Karteikasten aus dem Wandschrank.

»Es war ein Irrtum, der sich leicht aufklären lässt«, versichert Weyden, »morgen oder übermorgen wäre ich ohnehin deswegen zu Ihnen gekommen...«

Der Wachtmeister hat eine Karte herausgezogen, liest: »Weyden, Hans, Römische Straße fünf. Geboren einundvierzig. Beruf Graphiker. Haarfarbe dunkelblond, Augen blau, Größe einssiebenundsiebzig...« Einige Sekunden betrachtet er Weyden kritisch, überprüft die Angaben und fährt dann fort: »Seit dem vierzehnten Juli vergangenen Jahres vermisst. Unglücksfall nicht ausgeschlossen. Johanna Weyden, Ehefrau, geboren vierundvierzig...«

»Ich habe Ihnen doch erklärt, dass alles auf einem Irrtum beruht«, unterbricht ihn Weyden, »ich werde das auf klären. Jetzt kümmern Sie sich bitte um den Diebstahl, ich muss unbedingt den Sender zurückhaben, heute noch...«

Den Sender? Hat er wirklich Sender gesagt? Der Oberwachtmeister hat es gehört, deutet es als einen Versprecher. Viel wichtiger erscheint ihm jetzt etwas anderes. »Wo haben Sie sich denn in diesen fünfeinhalb Monaten aufgehalten, Herr Weyden?«

Die Antwort kommt zögernd. Er sei in Jauernick gewesen, einem kleinen Dorf, habe dort bei einer Freundin gewohnt.

So etwas kennt man aus Romanen und Filmen, geht es dem Oberwachtmeister durch den Kopf. Bei einer Freundin - eine schöne Ehe. Na ja, Graphiker. Diese Künstler. Macht auch ganz den Eindruck eines Bohemiens... Weydens Bekenntnis wertet die Ernsthaftigkeit seines Anliegens erheblich ab.

»Wieso haben Sie sich eigentlich in Jauernick nicht gemeldet?«, will der Wachtmeister wissen, »es gibt doch eine Meldeordnung...«

Weyden hebt die Schultern, schweigt.

»Und was sagt Ihre Frau zu diesen Eskapaden?«, erkundigt sich der Oberwachtmeister.

»Das ist allein unsere Privatangelegenheit, Herr Oberwachtmeister«, antwortet Weyden kühl. »Ich bin hier, um Anzeige zu erstatten. Für den Polizeiapparat ist es eine Kleinigkeit, den Namen und die Adresse des Busfahrers ausfindig zu machen. Die Burschen im Autobus waren angetrunken, sie hatten sich provokativ neben mich gesetzt. Nur sie können den Sender gestohlen haben...«

Wieder hat er in unverständlicher Aufregung von einem Sender gesprochen. Die beiden sind hellhörig geworden. »Ein Sender wurde also gestohlen«, stellt der Oberwachtmeister fest, »vorhin war es noch ein Kofferradio.«

Er habe sich nur versprochen, versichert Weyden, doch er vermag einen auf kommenden Verdacht nicht mehr zu zerstreuen. Redet erst von einem Radio, dann, viel überzeugender, von einem Sender, ist fünfeinhalb Monate vermisst, kehrt ausgerechnet in der Silvesternacht zurück und besitzt keinen Ausweis, nicht einmal eine Fahrerlaubnis oder den Verbandsausweis. Auch über das angeblich gestohlene Kofferradio kann er auf Befragung nur unvollkommene Angaben machen. Er kennt nicht einmal die Firmenmarke. Weyden ist sich zu dieser Zeit seiner Sache wohl selbst nicht mehr sicher. Er verzichtet plötzlich auf eine weitere Verfolgung der Angelegenheit, will sich hastig entfernen, doch der misstrauisch gewordene Oberwachtmeister bittet ihn höflich, aber mit Nachdruck, noch einen Moment zu warten. Er flüstert seinem Kollegen etwas ins Ohr, worauf dieser in einem Nebenzimmer verschwindet.

»Wir haben Glück«, versichert der Oberwachtmeister leutselig, »zufällig befinden sich noch Genossen von der Kripo im Hause - der Silvesterknallerei wegen. Seien Sie ganz ruhig, Herr Weyden, der Diebstahl wird sich rasch auf klären...«

»Ich lege keinen Wert mehr darauf«, protestiert Weyden schwach, »mit dem ersten Zug fahre ich zurück und versuche selbst...«

Der Wachtmeister kommt zurück. »Eichstätt interessiert sich für die Angelegenheit«, verkündet er doppelsinnig. Die Würfel sind gefallen; er begleitet den finster dreinblickenden Bestohlenen durch einen schmalen Korridor, klopft an eine Tür und öffnet sie.

Zögernd betritt Weyden ein geräumiges Arbeitszimmer.

 

Eine Schreibtischlampe hüllt den Raum in Halbdunkel. Hinter dem Schreibtisch sitzt ein grauhaariger älterer Herr, an der Seite, vom Licht nicht mehr voll erfasst, ein jüngerer Mann in der Uniform eines Majors. Beide erheben sich, reichen dem späten Besucher die Hand, murmeln ihre Namen. Der Grauhaarige hinter dem Schreibtisch ist Eichstätt. Er bietet Weyden einen Stuhl an, fordert ihn auf zu berichten.

Weyden bemerkt, dass seine Karteikarte auf dem Schreibtisch liegt. »Ich habe schon gesagt, dass ich auf eine Anzeige verzichte«, ereifert er sich, »so wichtig ist der Diebstahl wirklich nicht.«

Ein Diebstahl ist immer wichtig und anzeigepflichtig, wird er belehrt. »Sie kamen also heute von Jauernick zurück. Im Bus wurde Ihnen dann das Kofferradio gestohlen. Es war doch ein Kofferradio?«

Weyden nickt beklommen. Wieder beteuert er, dass sich der Aufwand nicht lohne. Überhaupt habe er es eilig, seine Frau erwarte ihn.

»Immerhin haben Sie Ihre Gattin fast ein halbes Jahr warten lassen, Herr Weyden«, stellt Eichstätt sachlich fest. »Sie haben also bei einer Freundin gewohnt.«

»Ja.«

»Würden Sie mir den Namen und die Adresse nennen?«

»Nein. Mein Privatleben geht niemanden etwas an.«

Eichstätt blättert in einem Buch.

»Merkwürdige Ansichten sind das«, mischt sich der Major ein. »Es geht schließlich um den Nachweis Ihres Aufenthaltes im letzten Jahr...«

»Jauernick, hier hätten wir es.« Eichstätt unterstreicht etwas im Buch. »Ein kleiner Ort, wer sich dort fünfeinhalb Monate aufhält, fällt auf. Ich werde jetzt Ihre Angaben überprüfen, Herr Weyden. In fünf Minuten habe ich den Bürgermeister am Telefon. Wollen Sie bei Ihren Angaben bleiben?«

Er erhält keine Antwort. Weyden stiert mit zusammengepressten Lippen auf das Buch, Eichstätt notiert eine Nummer, blickt dann den in die Enge getriebenen Weyden prüfend an. »Warum machen Sie sich diese Schwierigkeiten? Ich bezweifle, dass Sie in Jauernick waren. Wollen Sie uns nicht reinen Wein einschenken? Was zum Beispiel ist mit dem angeblich gestohlenen Kofferradio? War es nicht doch ein Sender?«

Schweigen.

»Mit wem haben Sie in Verbindung gestanden?« erkundigt sich der Major. »Oder sind Sie Amateurfunker? Dann haben Sie doch sicher eine Lizenz...«

»Racha«, murmelt Weyden plötzlich, »ich hätte es wissen müssen; kaum zwei Stunden zurück, fängt das Theater an...« Er überlegt einige Sekunden, sagt dann: »Sie haben recht, ich war nie in Jauernick. Was Sie jedoch vermuten, ist, gelinde gesagt, Schwachsinn.«

»Dann packen Sie aus«, fordert ihn Eichstätt wohlwollend auf, »wir hören.«

Über Weydens Gesicht huscht ein schwaches Lächeln. »Da gibt es nicht viel auszupacken. Ich habe fünfeinhalb Monate in der Nähe des Jupiters gelebt, genauer: im sechsten Jupitermond. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Ich bin mir bewusst, dass Sie meine Aussage bezweifeln - aber das erscheint mir jetzt nicht so wichtig...«

Eichstätt und der Major wechseln einen Blick. Beide begreifen Weydens Erklärung so, wie sie der Stimmung der späten Silvesternacht entspricht. Etwas sarkastisch meint Eichstätt: »Im Gegensatz zu unserer Vermutung, die Sie als Schwachsinn bezeichnen, ist Ihre Aussage geradezu überwältigend realistisch, Herr Weyden. Aber die Silvesterfeier ist inzwischen vorüber, und Sie scheinen auch nüchtern zu sein. Lassen wir also die Scherze. Ich wiederhole meine Frage: Wo haben Sie sich in den letzten fünfeinhalb Monaten auf gehalten?«

»Wie ich bereits sagte, ich befand mich in der Nähe des Jupiters. Das ist der fünfte Planet nach Merkur, der größte in unserm Sonnensystem.«

»Sie werden Unannehmlichkeiten bekommen«, prophezeit der Major. »Was ist mit dem angeblichen Kofferradio?«

»Es war ein Sender«, bekennt Weyden freimütig, »die Rowdys im Autobus haben mir ihn gestohlen. Meine Angaben lassen sich leicht überprüfen. Sie brauchen nur die Diebe zu verhaften. Dann würden Sie feststellen, dass dieses Gerät nicht von der Erde stammt. Es arbeitet mit Frequenzen, die hier nicht üblich sind.«

Ein neuer Verdacht beschleicht die beiden Kriminalisten. Der junge Mann vor ihnen hat möglicherweise, volkstümlich ausgedrückt, nicht alle Tassen im Schrank. Ungeachtet seines Geisteszustandes bleibt jedoch die Frage nach dem Aufenthalt im letzten halben Jahr offen. Auch der angebliche Diebstahl verlangt nach einer Erklärung. Eichstätt überfliegt noch einmal die Karteikarte.

»Stimmt die angegebene Telefonnummer noch?«, erkundigt er sich.

Weyden bejaht. »Sie können meine Frau anrufen, viel werden Sie von ihr nicht erfahren. Ich habe meiner Frau nichts anderes erzählen können als Ihnen. Wollen Sie nicht lieber den Busfahrer ausfindig machen? Der Sender gehörte nicht mir...«

»Sondern?«

»Ich habe ihn vom Raumschiff mitgebracht.«

Eichstätt wählt eine Telefonnummer. Einen Augenblick später meldet sich eine Frauenstimme. Weyden weiß, dass es seine Frau ist; nervös bemüht er sich, das Gespräch zu entziffern. Eichstätt hat ein paar Fragen gestellt, die sich auf Weydens Abwesenheit bezogen. Nun lauscht er, und Weyden strengt sich vergeblich an, die Antwort herauszuhören.

»Wovon haben Sie eigentlich im letzten halben Jahr gelebt?« erkundigt sich der Major. »Wer hat Sie bezahlt?«

»Es wäre schön, wenn Sie mich morgen aufsuchen könnten«, sagt Eichstätt zu seinem Gesprächspartner, »ich erwarte Sie...« Er legt den Hörer zurück.

»Nun?« fragt der Major. »Wer hat Sie bezahlt?«

»Ich antworte Ihnen darauf nicht«, erklärt Weyden missmutig, »beschaffen Sie mir das Sendegerät.«

»Einen Tag - oder eine Nacht, bevor Sie spurlos verschwanden, hielten Sie sich in einem größeren Kreis von Bekannten und Freunden auf. Das war draußen, auf Ihrer Datsche. Es soll eine prächtige Zecherei gewesen sein.«

Weyden nickt zustimmend und lächelt. »Es stimmt, um Mitternacht waren sie leider alle etwas abwesend. Daher konnte ich ihnen die Landung des Transporters nicht zeigen. Es war das dritte Mal, dass sie bei Manik Maya landeten.«

»Manik Maya?«

»So heißt die Datsche - ein Spaß, nichts weiter.«

»Was soll der Unsinn?«, protestiert der Major. »Wie lange wollen Sie bei diesem Unfug bleiben?«

»Lass ihn erzählen, Ernst«, lenkt Eichstätt ein. »Sie kamen also nach Mitternacht?« Er erweckt den Anschein, als interessiere ihn Weydens Geschichte.

»Sie kamen immer nach Mitternacht. Als ich mich damals mit ihnen verständigt hatte, machte ich einen Versuch. Ich erzählte einigen Bekannten von dieser Begegnung. Das Resultat war Spott. Niemand glaubte mir, man hielt mich für einen Spaßvogel. Wahrheiten, zumal von so ungewöhnlicher Natur, waren wohl zu allen Zeiten suspekt. Dabei ist alles so einfach, so sinnfällig... Warum bemühen Sie sich nicht, die Diebe ausfindig zu machen? Das Sendegerät würde Sie überzeugen. Auch meine Frau ließe dann ihren lächerlichen Verdacht fallen.«

»Wir werden der Sache nachgehen«, verspricht Eichstätt. »Erzählen Sie weiter. Möchten Sie rauchen oder einen Cognac trinken?«

»Ich bin Nichtraucher«, wehrt Weyden ab, »und trinken kann ich erst wieder, wenn die Wirkung des Konzentrats nachgelassen hat - morgen oder übermorgen...«

Eichstätt verzichtet auf die naheliegende Frage nach dem Konzentrat. Er wartet geduldig, weiß, dass sein Besucher erzählen wird, was er wissen will. Seine lange Berufserfahrung bewahrt ihn vor überhasteten Schlüssen. Eichstätt will sichergehen, ehe er eine Entscheidung trifft.

Es ist kurz vor drei Uhr. Ab und zu dringt von der Straße Gelächter herauf. Die Neujahrsnacht geht zu Ende. Weyden ist auf einmal wie umgewandelt. Er wirkt konzentriert, weiß, was für ihn auf dem Spiel steht. Er muss seine Gesprächspartner überzeugen, will er aus dieser Zwickmühle herauskommen. Darum wägt er nicht nur jedes Wort sorgfältig ab, sondern bemüht sich auch, jedes ihm wichtig erscheinende Detail zu erwähnen, das ihn glaubwürdiger machen kann. In der Tat bedarf es nur eines einzigen Beweisstückes, um seine Redlichkeit zu bezeugen - und das könnte wohl nur noch die Polizei herbeischaffen.

Doch die Beichte, die Hans Weyden in dieser Nacht ablegt, gleicht seinem naiven Auftritt. Was er zu erzählen hat, scheint dem Nachlass der Scheherezade aus Tausendundeiner Nacht entnommen zu sein...

 

 

 

 

  1. Teil: NÄCHTE AUF MANIK MAYA

 

 

1

 

Es war Mitte Juni des vergangenen Jahres.

Drückende Schwüle hatte mich aus der Stadt vertrieben. Ich wollte in Ruhe arbeiten, suchte die Waldeinsamkeit, die Stille. Hier besaß ich beides. Doch im Wald, auf Manik Maya und der angrenzenden Wiese herrschte das gleiche tropische Klima wie in der Stadt. Die Luft war mit Elektrizität geladen; meine Haare sprühten Funken, wenn sie mit dem Kamm in Berührung kamen. Ich war aufgeladen wie ein Akku. Waren die Sonnenflecke für das mörderische Klima verantwortlich? Einerlei, in den Urwäldern Sumatras konnte die Luft nicht stickiger sein. Ich war nervös, suchte nach einem Gedanken.

In einsamen Stunden grübelt man über vieles nach, und wenn man nervös und gereizt ist, sucht man nach einem Schuldigen. Schon seit geraumer Zeit störte mich das monotone Zeckspiel der Fliegen um den Lampenschirm. Es lenkte mich von der Arbeit ab; außerdem verunreinigten sie mir mein weißes Zeichenpapier. Ich sprühte ihnen eine Wolke Mux in die Flugbahn, sah befriedigt, wie sie im Sturzflug auf dem Fußboden landeten.

An meiner Grundstimmung änderte sich dadurch nichts. Die wirkliche Ursache lag tiefer. Ich wollte ein paar Plakatskizzen entwerfen, aber ich brachte nur Kleckse zustande. Missvergnügt wanderte ich auf und ab. In vierzehn Tagen sollte ich die Entwürfe abliefern. Thema: Die Welt von morgen. Wie sah sie aus? Selbst der Chef der graphischen Abteilung hatte mir das nicht sagen können. »Mach was Modernes, verwende Symbole, die Plakate müssen die Neugier herausfordern«, riet er mir.

»Was wird ausgestellt?«, wollte ich wissen.

»Nichts von heute«, erhielt ich zur Antwort, »Modelle aus allen Wissenschaftsbereichen. Kernfusion als neue Energiequelle, Raumfahrt, Meeresbiologie, Biophysik, Städteplanung, Photosynthese und so weiter. Mit einem Satz: Wie und unter welchen Bedingungen werden die Menschen in zwanzig, dreißig Jahren leben. Du beschäftigst dich doch mit solchen Sachen - oder interessiert dich der Auftrag nicht?«

»Du bekommst die Plakate«, versprach ich. Der Auftrag reizte mich wirklich - außerdem brauchte ich Geld.

War ich zu voreilig gewesen? Welt von morgen - im Grunde begriff ich nicht einmal die Welt von heute. Nun saß ich hier, knobelte, suchte nach Symbolen und kühnen Gedanken, die das Wagnis Zukunft einfach und klar auszudrücken vermochten.

Bis jetzt hatte ich nur Fliegen ins Jenseits befördert.

Ich verwünschte meine Untätigkeit, schimpfte insgeheim auf meinen Nachbar, der einen halben Kilometer von mir entfernt wohnte. Er hatte mich heute in aller Frühe aus dem Schlaf gerissen, um mir eine angeblich wahre Beobachtung zu schildern. Irgendwas von einem Zelt, das nachts auf der Wiese gestanden habe. Ich hatte nur mit halbem Ohr zugehört. Ein Zelt auf der Wiese, nachts! Er trank ab und zu einige Gläschen Wein zu viel.

Johanna, meine Frau, beneidete mich jetzt wahrscheinlich um meine Waldeinsamkeit. Sie wollte später nachkommen und meine Entwürfe begutachten. Ich verwünschte meinen Entschluss, in diese Wildnis zu ziehen, war drauf und dran, meinen Zeichenkram einzupacken und in die Stadt zurückzukehren. Dort gab es wenigstens keine Ameisen und Feuerwanzen, die hier respektlos bis in die Küche vordrangen.

Ich klappte den Skizzenblock zu. Irgendwas Vernünftiges musst du jetzt tun, sagte ich mir zum hundertsten Male. Die Stille und Einsamkeit verleitete zum Grübeln. Was zum Beispiel war vernünftig? Ich überflog die Titel meiner kleinen Bibliothek, die ich mitgenommen hatte. Beinahe alle Weisheit dieser Welt war in ihr enthalten: »Relativität und Urmaterie«, »Von der Menschwerdung des Affen«, »Pilze, essbar oder giftig?«, »Evolution der Physik«, »Physik der Quanten«, dazu einiges über Graphik. Mich interessierten die Naturwissenschaften, obwohl ich Mühe hatte, den gelehrten Ausführungen zu folgen. Ich zog eines der Bücher aus dem Regal, blätterte darin und schob es wieder zurück. Der Henker hole die Quanten! Mein Kopf war verrußt wie ein ausgebrannter Schornstein, und es gab keinen schwarzen Glücksbringer, der meine Hirnwindungen reinigte.

Welt von morgen. Ich hätte den Auftrag nicht annehmen sollen. Du könntest dir die Sonnenflecke anschauen, überlegte ich träge. In der Ecke stand mein kleines Fernrohr, achtzig Millimeter freie Öffnung, ein Hobby für sternklare Nächte. Sonnenflecke - Sommersprossen auf der Sonne. Sie sehen heute nicht anders aus als gestern...

Der Türspalt öffnete sich. Peppi, mein Hausgenosse, trabte herein, im Maul, sich windend und piepsend, gegenständlich gewordene Furcht, eine Maus. Woraus hervorgeht, dass Peppi eine Katze ist, genauer: ein kastrierter Kater, vollgefressen, schwarzweiß. Ich hatte ihn mitgenommen, um wenigstens etwas Lebendiges um mich zu haben. Jetzt zeigte er mir stolz seine Beute und verschwand wieder, um draußen sein grausames Spielchen zu treiben.

Ich blinzelte ihm träge nach. Du hast es gut, Kater, dich interessiert die Welt von morgen nicht. Mit deiner Vernunft ist es auch nicht weit her... Im Nebenraum des Bauernhauses verkündete die Kuckucksuhr die Mittagszeit. Das asthmatische Kuckucksgeschrei erinnerte mich daran, dass ich Hunger hatte, Hunger ohne Appetit. Seitdem ich mich in diese Einöde zurückgezogen hatte, lebte ich von Konserven und Bratkartoffeln mit Ei. In der Küche häufte sich der Abwasch. Jeden Tag das gleiche Problem: Essen zubereiten, die moderne Form der Strafarbeit. Einkäufen, Kartoffeln schälen, kochen, essen, abwaschen und wieder einkaufen - ein idiotisches Karussell. Dieses Eremitendasein hatte seine Spielregeln. Was mochte wohl Diogenes gegessen haben? Vermutlich Knoblauch, Früchte und Fladen. Hier fühlte ich eine gewisse Verwandtschaft mit ihm. Ob er tatsächlich, in einer Tonne gewohnt hatte? Gewiss war der merkwürdige Sonderling nicht darauf versessen gewesen, sich den Kopf über die Welt von morgen zu zerbrechen. Ich wollte es auch nicht mehr, war entschlossen, am nächsten Tag reumütig in die Stadt zurückzukehren.

Ich stülpte mir einen alten Strohhut auf, trat hinaus, um eine Portion Pilze zu suchen.

 

Gluthitze schlug mir entgegen. Vor der Haustür spielte Peppi mit der Maus. Nur ihr jammervolles Piepsen war zu vernehmen. Sogar die Vögel in den Baumkronen druselten vor sich hin.

Der dichte Kiefernwald umschloss das alte Bauernhaus wie eine Mauer. Nur hinter dem Haus wurde das Dickicht von einer Wiese unterbrochen. Wenn ich hier stand, hatte ich immer das Empfinden, allein auf der Welt zu sein. Es war so still, als wäre die Erde unbewohnt. Nirgendwo in der unmittelbaren Umgebung eine menschliche Ansiedlung. Wie ein Ozean verlor sich die Wiese im Dunst des Horizonts. Es war beruhigend, zu wissen, dass mein Nachbar, jener Frühaufsteher, hinter den Bäumen wohnte, fünf Minuten Fußweg entfernt. Früher einmal war das Gelände ein Werk gewesen, das der Familie des Thyssenkonzerns gehört hatte. Jetzt hieß der Ort Manik Maya - ein obskurer Name, geheimnisvoll wie die ganze gottverlassene Umgebung. Die Postbotin hatte mich merkwürdig angesehen, als ich diesen erdachten Namen als Adresse angab. Inzwischen war man auf der Post daran gewöhnt; Briefe und sogar Telegramme kamen an. Das Wiesengras war trocken wie Zunder. Die Sonne flimmerte auf allen Wellenlängen. Sodom und Gomorrha! Das Hemd klebte mir nach zwei Minuten auf der Haut. Ich hatte einen Beutel und ein Messer mitgenommen. Auf der Wiese gediehen Champignons, Ringelnattern und Kreuzottern. Ich fürchtete diese Viecher, doch der Gedanke, erneut zwischen Bratkartoffeln und Konserven wählen zu müssen, trieb mich kreuz und quer durch das verfilzte Gras, ließ mich die Schlangen vergessen. Es liegt etwas Stures in diesem Suchen. Man geht und geht, stiert vor sich hin, als hätte man die Brieftasche verloren.

Manik Maya lag etwa einen halben Kilometer hinter mir. Zwei Champignons waren meine Ausbeute. Stumpfsinnig trottete ich weiter, bis ich auf einmal stolperte, der Länge nach hinfiel. Mein Fuß war in einem Loch steckengeblieben. Es war nichts weiter passiert, trotzdem blieb ich noch einen Moment liegen, unterdrückte sogar den Fluch, der mir auf den Lippen lag. Ich schnupperte. Es roch nach Chemikalien und Arzneien, alles durcheinander, wie in einer Apotheke. Ich erhob mich, bemerkte vier weitere Löcher, ringförmig angelegt, jedes etwa einen halben Meter tief.

Löcher auf einer Wiese, in den Boden gestampft - ein Phänomen, unzweifelhaft. An einigen Stellen niedergetretenes Gras. Ich überlegte. Tierfallen? Nein, die wurden anders angelegt. Wurde der Bau eines Heuschobers geplant? Wo befanden sich die Balken, wo das Arbeitsgerät? Nichts im weiten Umkreis war zu sehen, nur diese Löcher. Woher stammte der seltsame Geruch?

Mir fiel das Geschwätz meines Nachbarn ein. Aufgeregt hatte er mir heute Morgen eine verworrene Geschichte aufzutischen versucht. Angeblich sei in der Nacht ein Fuchs in seinen Hühnerstall eingebrochen. Bei der Verfolgung des Räubers habe er später - es war gegen Mitternacht - auf der Wiese ein großes, rundes Zelt bemerkt. Ich hatte ihn ausgelacht. Zu Unrecht, wie es den Anschein hatte; etwas musste hier gestanden haben. Während ich nach einem Zusammenhang suchte und über die rätselhaften Löcher Vermutungen anstellte, dröhnte über dem Wald ein Hubschrauber. Er überflog die Wiese, zog eine Schleife und verschwand auf der anderen Seite in den Wipfeln der Bäume.

In diesem Augenblick wurde mir alles klar. Mein Nachbar besaß gute Augen. Offenbar war in der Nacht eine militärische Übung abgehalten worden; sie hatten ein Zelt aufgebaut und es im Morgengrauen wieder abgerissen - eine einfache, logische Erklärung.

Ich vergaß die Sache, nahm die Suche nach dem Mittagsmahl wieder auf. Langsam, mit dem hypnotischen Blick des Pilzsuchers, ging ich in großem Bogen nach Manik Maya zurück.

 

Ein mühsam errungener Erfolg hebt das Selbstbewusstsein. Meine acht Champignons, genau nach dem Kochbuch zubereitet, versöhnten mich mit meiner Umwelt. Ich verschob den Abwasch erneut auf den nächsten Tag, rekelte mich auf dem Sofa, trank ab und zu einen Cognac und steckte meine Nase in eines der gescheiten Bücher. Mit einem guten Dreistern gelang es zuweilen sogar mir, die Quanten des ehrenwerten Max Planck aus dem Gestrüpp des Unsichtbaren herauszulocken.

Ich las, bis es dunkel wurde, stellte dann die Flasche mit den drei Sternen und auch die Physik ins Regal zurück. Draußen waren inzwischen schönere Sterne aufgegangen. Entgegen dem Wetterbericht hatte sich das Wetter gebessert, der Himmel war glasklar. Wie Trauben hingen die fernen Welten über mir. Sternschnuppen leuchteten auf, ein Forschungssatellit, hell wie ein Stern erster Größe, wanderte wie ein Schnellläufer von Süden nach Osten. Ich schleppte das Fernrohr hinters Haus, richtete das Objektiv auf den Saturn, dessen Staubring wie ein Heiligenschein aussah. Es war unterdessen stockfinster geworden. In der nahen Schonung schrie ein Rehkitz. Auf der Wiese sammelte sich Nebel. Der milchige Dunst sah aus wie ein See. Wenn der Nebel aufstieg, war es mit dem Beobachten vorbei. Einige Zeit hatte ich den Himmel nach Doppelsternen und Sternhaufen abgesucht, dann fesselte der Andromedanebel meine Aufmerksamkeit, eine ferne Galaxis, Sterneninsel im unendlichen Raum.

Dieser Spaziergang durch das Universum war immer wieder ein neues, erregendes Abenteuer. Sonnen, Glutgasbälle, umkreist von Planeten und Monden, trügerisch nahe und doch unerreichbar fern. Alle Generationen vor uns, zurück bis in die dunkle Geschichte der Menschwerdung, haben diesen Himmel, diese Sterne erblickt...

Das Vergnügen, in ferne Welten zu schauen, wäre eine ungetrübte Freude gewesen, hätten nicht inzwischen die vermaledeiten Mücken mein Blut gewittert. Wie eine Räuberbande stürzten sie sich auf mich, zerstachen mir das Gesicht und den Nacken, setzten mir so sehr zu, dass ich meine Beobachtungen unterbrechen musste. Ich lief ins Haus zurück, rieb mich mit Mückensalbe ein.

Die Nebeldecke auf der Wiese war unterdessen noch qualliger geworden. Als ich zurückkam, fühlte sich das Fernrohr feucht an. Weit hinten schien sich der Nebel bereits von der Wiese abzuheben. Wie ein Pilz ballte er sich zusammen. Etwas später bemerkte ich, dass es nicht der Nebel war, was sich dort herauslöste. Das Gebilde hatte die Form eines großen, runden Zeltes. Sie üben also schon wieder, dachte ich. Es wunderte mich, dass ich den Hubschrauber nicht gehört hatte.

Der Sucher an meinem Fernrohr eignete sich ausgezeichnet für solche geringen Entfernungen, er besaß zudem die Eigenschaften eines Nachtglases. Ich wollte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, stellte ihn auf das Zelt ein und glaubte für einen Augenblick, einer Sinnestäuschung zu unterliegen. Narrte mich meine entfesselte Phantasie?

Was dort auf der Wiese stand, war weder aufgebauschter Nebel noch ein Zelt. Das Nachtglas war unbestechlich, klar und scharf zeichneten sich in seinem Fadenkreuz Einzelheiten ab: ein Gebilde aus mattglänzendem Metall, rund wie ein Kreisel und flach wie eine übergroße Linse oder auch wie ein Diskus. Deutlich erkannte ich fünf Füße, die aus der Nebeldecke herausragten und den Metallkörper trugen. Zwei, drei Meter stand das merkwürdige Ding über der Wiese, täuschte ohne Fernglas tatsächlich die Form eines runden Zeltes vor. Ich bemerkte zwei Schatten, kleine, schlanke Gestalten, die mit eckigen Bewegungen hin und her liefen. Sie schienen etwas zu suchen, rupften Gras aus, gestikulierten oder blieben von Zeit zu Zeit wie ängstlich lauschende Tiere stehen. Nur im Fernglas waren die Schatten zu erkennen.

Beim Anblick dieser lebendigen Silhouetten bohrte sich ein Gedanke in mir fest, der mir das Herz bis zum Halse schlagen ließ, ein absurder Gedanke, den man allenfalls im Scherz bei einem Glas Wein ausspricht. Meine Augen, durch das Glas geschärft, sahen dies: zwei Gestalten, klein und schmalhüftig, in enganliegenden Trikots, aufrecht gehend, in der äußeren Form dem Menschen ähnlich und doch anders. So federnd bewegte sich kein Mensch. Und wozu brauchte ein Mensch, sofern er sich nicht gerade auf dem Mond befand, einen gläsernen Schutzhelm? Wozu die Antennen, die aus der Glas- oder Kunststoffhülle herausragten?

Ein seltsames Bild, abenteuerlich und Furcht einflößend. Meine Beobachtung vom Mittag fiel mir ein, die fünf Löcher, der undefinierbare Geruch. Eine militärische Übung? Was dort auf der Wiese umherhüpfte, hatte mit Soldaten wenig Ähnlichkeit. Unter dem Kreisel zeichnete sich eine schmale Treppe ab. Eine dritte Gestalt kletterte flink hinunter. Auch er (oder sie?) trug einen Schutzhelm und in den Händen etwas, was wie ein Glaszylinder aussah. Zu dritt entfernten sie sich nun einige Schritte von ihrem Flugkörper.

Zum Teufel, dachte ich, wer sind die Kerle, und was suchen sie um diese Zeit auf der Wiese? Was hatte die komische Maskerade zu bedeuten? Das sonderbare Bild drängte meine Gedanken immer wieder in eine Richtung. Es war verrückt, daran zu denken, doch wie ließe sich dieser nächtliche Spuk anders deuten? Ich sah auf die Armbanduhr. Es war nach Mitternacht.

Fünf Minuten mochten vergangen sein. Ich rang mit einem Entschluss, schwankte zwischen Furcht und Mut. Der Gedanke, einfach hinüberzugehen, erschien mir tollkühn; anderseits lockte mich die Neugier. Ich wollte Gewissheit haben. Vielleicht ist es doch nur eine besondere militärische Übung, redete ich mir ein und machte mich vorsichtig auf den Weg. Ich ging geduckt und so geräuschlos wie möglich. In der Rechten hielt ich die Taschenlampe.

Nach ungefähr fünfhundert Metern war ich dem Gebilde so nahe gekommen, dass ich die Gestalten schemenhaft erkennen konnte, wenn auch längst nicht so deutlich wie im Fernglas. Sie suchten noch immer, sprangen hin und her, verstauten etwas in ihrem Glaszylinder. In dieser Gegend hatte ich am Mittag Champignons gesucht. Ich duckte mich, suchte nach einem Versteck. Wäre das Gras nicht so feucht gewesen, hätte ich mich hingelegt und wäre auf allen vieren zu ihnen gekrochen. Doch es war bereits zu spät, sie hatten mich bemerkt, standen dicht beieinander und schienen zu beraten. Ich war stehengeblieben, wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. In dieser gottverlassenen Gegend lohnte es nicht einmal, um Hilfe zu rufen...

Gleich werden sie auf dich zukommen, überlegte ich, oder sie werden Leuchtkugeln abfeuern. Sekunden änderte sich nichts. Sie standen wie Statuen, blickten unverwandt zu mir herüber. Allmählich wurde mir die Situation unheimlich. Weshalb rührten sie sich nicht von der Stelle, und was führten sie im Schilde? Ich suchte nach passenden Worten, um sie von meiner Harmlosigkeit zu überzeugen, ging, während ich noch über den Text nachdachte, zögernd ein paar Schritte weiter.

Da geschah etwas, worauf ich am allerwenigsten vorbereitet war. Wie Katzen verschwanden sie auf einmal über die Treppe ins Innere des Metallkörpers. Gleich darauf rollte die Treppe nach oben, ein helles Summen wurde vernehmbar. Der Ton stieg an, ging für Sekunden in ein Pfeifen über. Langsam hob sich der mächtige Diskus von der Wiese ab. Die fünf herausragenden Füße klappten nach innen, verschmolzen mit dem Flugkörper. Es war wieder totenstill. Unbeweglich, wie ein gewaltiger Teller schwebte das Ungetüm über der Wiese.

Mich hatte der unerwartete Vorgang so sehr erschreckt, dass ich das Einfachste zu tun vergaß: meine Taschenlampe anzuknipsen. Ich gaffte zum Firmament, sah, wie der riesige Teller langsam höher stieg, bis er sich in der Dunkelheit meinen Blicken entzog. Vergebens suchte ich den Himmel ab. Mitunter glaubte ich, zwischen den Sternen einen leuchtenden Punkt zu sehen, der sich rasch weiterbewegte, doch das konnte auf Täuschung beruhen.

 

Noch ganz benommen von dem Erlebnis, stand ich eine Weile wie angewurzelt. Trotz der Nachtkühle war meine Stirn feucht. Vor mir im großen Umkreis war der Nebel verschwunden. Ein starker Luftdruck hatte ihn auseinandergetrieben. Unwillkürlich bückte ich mich, rupfte einige Grashalme aus; es überzeugte mich, dass ich nicht träumte. Ich stand wirklich auf der Wiese, über mir das Sternenmeer. Kälte kroch mir in die Glieder. Meine Schuhe und Hosenumschläge waren durchnässt. Ich raffte mich auf, überwand mein Unbehagen, ging weiter, hin zu jener Stelle, wo sie gelandet waren.

Im Schein der Taschenlampe ließ sich ihr Landeplatz leicht ausfindig machen. Ein ähnliches Bild wie am Mittag bot sich mir. Wieder die fünf Löcher und wieder der eigenartige Geruch, nur viel intensiver. Ich leuchtete den Boden ab, untersuchte jeden Meter. Etwas Schwarzes, Glänzendes blinkte zwischen den Grashalmen. Im Gras lag ein kleiner, dunkler Gegenstand. Ich betrachtete ihn von allen Seiten, wagte zuerst nicht, ihn zu berühren. Was vor mir lag, konnte eine schwarzlackierte Blechdose sein, ein Behälter für Schmuck oder ähnliches. An der Seite waren kleine weiße Knöpfe zu sehen.

Hatten sie diesen Gegenstand bei ihrem überstürzten Abflug verloren? Oder war ich bereits so durchgedreht, dass ich eine alte Konservendose für eine Botschaft aus dem All hielt? In ungewöhnlichen Situationen sind wohl derart verrückte Gedanken das Normale. Es schien mir für einen Augenblick sogar möglich, dass sie mir eine Nachricht hinterlassen haben könnten. Zögernd griff ich ins Gras. Die vermeintliche Blechdose war schwer wie Blei. In dieser Sekunde wurde mir bewusst, dass die Fremden den Gegenstand verloren haben mussten.

Die Wiese war nicht der Ort, Untersuchungen anzustellen. Ich trat den Rückweg an, beeilte mich, ins Haus zu kommen. Meine Kleidung war klamm geworden, trotzdem nahm ich kaum Notiz davon. Ich presste den schweren Gegenstand an mich, als wäre es der Großmoguldiamant.

 

Außer Atem gelangte ich ins Haus. Im Korbstuhl träumte der Kater von seinen Jagderlebnissen. Ich zog die Fenstervorhänge zu, riegelte die Haustür ab. Auf dem Tisch lag mein geheimnisvoller Fund.

Woher stammte er, was stellte er dar? Eine Seite war mit Glas oder einer durchsichtigen Kunststoffschicht überzogen. Darunter befand sich eine Art Zifferblatt, auf dem Kurven und geometrische Figuren aufgezeichnet waren, merkwürdige, fremdartige Zeichen. An einigen Stellen des Zifferblattes ragten Zeiger heraus, blank und dünn wie Fasern aus Stanniol. Der übrige Körper schien aus dunklem, geschliffenem Quarzglas zu bestehen. An der Seite befanden sich fünf weiße Knöpfe. Ich drehte daran und bemerkte, dass sich jedes Mal einer der Zeiger bewegte. Hatte ich eine Uhr gefunden? Es wäre ein sonderbares Chronometer gewesen. Ich nahm ein Lineal, maß und rechnete. Acht Zentimeter betrug der Durchmesser, sechs Zentimeter die Höhe.

Immer neue Vermutungen drängten sich mir auf. Konnte der Gegenstand nicht ein Spezialkompass oder ein Orientierungsgerät für den Sternenraum sein? Ein seltsames Gefühl beschlich mich. Da lag etwas vor mir, fremd und unbegreiflich, vielleicht auf einem fernen Stern erdacht und hergestellt!

Durfte ich die Entdeckung für mich behalten? Musste ich nicht die Behörden alarmieren? Abwarten, sagte ich mir, morgen ist auch noch ein Tag. Dann kam mir der Gedanke, die Fremden könnten den Verlust bemerkt haben und zurückkehren. Vielleicht standen sie schon vor der Haustür... Ich ging in die Küche, beobachtete vom Fenster aus die Wiese. Nur eine glatte Nebelfläche war zu sehen.

Ich merkte nicht, wie die Zeit verging, stellte immer wieder neue Kombinationen an, kam mir vor wie ein Steinzeitmensch, der eine Taschenuhr gefunden hatte. Diese Nacht hatte mich in etwas verstrickt; ich war einem rätselhaften Vorgang auf die Spur gekommen, unentwirrbar für mich wie eine Gleichung in fremder Sprache. Nur sie, die Fremden, hätten meine Fragen beantworten können. Mein Auftrag fiel mir ein, die Plakatentwürfe. Welt von morgen - lag dieses Morgen vor mir?

Müdigkeit übermannte mich. Ich verbarg meinen Fund in einem Pappkarton und verschloss ihn im Wandschrank.

Besuch aus dem All - der Gedanke erschien mir noch immer so ungeheuerlich, dass mir aufs neue Zweifel kamen. Hätte die Zeitung eine solche Nachricht gebracht, wäre ich nicht überrascht gewesen. Schließlich schickten auch wir uns an, den Kosmos zu erforschen; ein bescheidener Anfang zwar, aber immerhin ein Anfang. Phantastisch erschien mir nur, dass die geheimnisvollen Besucher ausgerechnet bei mir auf der Wiese gelandet sein sollten.

Ich lag schon im Bett, überdachte schläfrig das Erlebte, als plötzlich jemand gegen die Haustür pochte. Noch nie hatten mich späte Besucher erschreckt, doch mein Erlebnis und der rätselhafte Fund hatten meine Sinne überempfindlich gemacht. Sie sind zurückgekehrt, schoss es mir durch den Kopf, sie haben den Verlust bemerkt, jetzt passiert etwas...

Verstört sprang ich auf, schaltete Licht ein und hängte mir den Bademantel um. Einige Zeit verging. Ich hielt den Atem an, als es erneut pochte. Ein Kälteschauer überrieselte mich.

 

Sogar der Kater war aus seinen Träumen erwacht. Verdammte Einöde! Ich langte nach dem Küchenmesser, das auf dem Tisch lag - eine klägliche Waffe, wenn sie vielleicht Strahlenwerfer bei sich hatten. Wieder pochte es. Ich ging auf Zehenspitzen zum Fenster, schob vorsichtig den Vorhang beiseite.

Draußen war es taghell. An der Haustür stand Karmig, mein Nachbar, der mir die Geschichte von dem Zelt erzählt hatte. Es wunderte mich, dass er meinen Seufzer der Erleichterung nicht gehört hatte, als ich ihm die Tür öffnete. »So habe ich mir das vorgestellt!«, rief er mit gespielter Entrüstung. »Donner und Doria, am späten Vormittag noch im Bett liegen...« Er schwenkte etwas in der Rechten.

Ich wollte ihn hereinbitten, doch Karmig hatte es eilig. Er sei auf dem Wege zur Försterei, erklärte er gewichtig. »Stell dir vor, heute Nacht hat es geklappt, diesmal habe ich den Teufel erwischt. Er war wieder im Hühnerstall.«

Mit dem triumphierenden Lächeln des erfolgreichen Jägers zeigte er mir ein Fell. Zuerst glaubte ich, er habe ein Karnickel geschlachtet, aber es war tatsächlich der Balg eines Fuchses. Für das Fell gab es eine Prämie von fünfundzwanzig Mark.

»Ich gratuliere«, sagte ich müde. »Wann hast du ihn erschlagen?«

»Heute Nacht auf der Wiese«, erwiderte er stolz. »Deubel noch mal, er hatte die Henne schon beim Wickel und wollte sie nicht wieder hergeben. Das war sein Verderben...«

»Du warst heute Nacht auf der Wiese?«, fragte ich verdattert. »Und sonst hast du nichts bemerkt?«

»Was soll ich bemerkt haben? Es war eine verdammte Hetzjagd, der Bestie nachzulaufen...«

»Und das Zelt hast du nicht wieder gesehen?«

Karmig hatte nichts gesehen und bezweifelte nun sogar seine eigene Beobachtung vom Vortage. Er strich über den Fuchsbalg. »Das Luder holt keine Henne mehr...«

Obwohl ich bedauerte, in Karmig keinen Zeugen für mein nächtliches Erlebnis gefunden zu haben, war ich doch zufrieden, als er mit seinem Fuchsbalg endlich fortging, um die Prämie zu kassieren. Hätte er meine Beobachtung bestätigen können, wüsste es in wenigen Stunden die ganze Umgebung. Womöglich wären dann am Abend ganze Scharen von Schaulustigen eingetroffen.

Ich kroch unter die Decke und war in wenigen Augenblicken eingeschlafen. Im Traum sah ich sie zurückkommen, ein Heer von fleißigen Kobolden; sie putzten und scheuerten die Küche, brachten mir Schokoladenpudding mit Vanillesoße und einen Haufen kleiner Sterne, die sie ausquetschten, damit ich den Saft trinken konnte. Ich trank die halbe Milchstraße leer und erwachte schließlich mit einem Angstschrei, weil ich den Polarstern verschluckt hatte.

 

 

2

 

Die Nachmittagssonne strich mir übers Gesicht. Vor meinem Bett hockte der Kater und mauzte in allen Tonarten. Er schmeichelte, schnurrte, schimpfte mit mir, blickte mich mit seinen Bernsteinaugen an und sagte, roh übersetzt, etwa folgendes: »Du Lieber, du Guter, du elender, fauler Hund! Steh endlich auf und gib mir meine Milch, oder fange dir die Mäuse gefälligst selbst, es ist gleich drei Uhr!«

Er musste noch eine Weile betteln, ehe ich wieder ganz auf der Erde war. Und auch jetzt gab es zunächst Wichtigeres für mich als seine Milch. War alles nur ein verrückter Traum gewesen? Der Wandschrank zog mich mit magischer Kraft an. Ich holte den Pappkarton hervor, betrachtete meinen Fund mit der Hingabe eines Briefmarkensammlers, dem der Wind über Nacht die Blaue Mauritius zugeweht hatte.

Nein, kein Traum, der Beweis lag vor mir, ein unfreiwilliger Gruß aus dem All. In mir waren noch die Märchen meiner Kindheit lebendig; Riesen und Zwerge und Zauberer schlummerten in meinem Unterbewusstsein. Trugen sich nicht in Märchen und Sagen solche unglaublichen Begebenheiten zu? Ein seltener Stein oder ein geschliffener Kristall offenbarte seinem Finder künftige Ereignisse, verhalf ihm zu Reichtum und Macht. Mein nächtliches Erlebnis erschien mir nun beinahe wie ein Märchen, entzündete meine Phantasie immer wieder aufs Neue. Sie werden wiederkommen, sagte ich mir, heute oder morgen, irgendwann einmal. Dann werde ich zu ihnen gehen, vorbereitet. Ich werde ihnen zuwinken und ihnen den Gegenstand zurückgeben...

An diesem Nachmittag verrichtete ich zum ersten Male nach langer Zeit die stumpfsinnigste aller Arbeiten mit Gelassenheit. Ich wusch das Geschirr der vergangenen Tage ab, scheuerte die Küche, hatte vom Fenster aus immer die Wiese im Auge.

Als die Sonne hinterm Wald versank, hielt mich nichts mehr im Haus. Ich hatte mir einen Hocker mitgenommen, platzierte ihn so, dass ich alles gut überblicken konnte. Von einem in der Nähe gelegenen Tümpel drang das Gequake der Frösche zu mir herüber. Ich hatte weder Sinn für das Froschkonzert noch für den leuchtenden Abendhimmel am Horizont.

In meiner Rocktasche steckte der Fund, lastete wie ein Alpdruck auf mir. Ich hatte keinen besonderen Plan, hoffte auf den Zufall. Alles erschien mir einfach, das Absurde meines Vorhabens normal. Ich fürchtete in diesen Stunden nur, Besuch zu bekommen. Bekannte aus der Stadt planten seit langem, mich unverhofft zu überraschen. Es wäre eine peinliche Situation geworden. Schließlich konnte ich ihnen nicht sagen: »Bitte, verhaltet euch still, ich erwarte jeden Augenblick Besuch aus dem All...«

Das war das Groteske: Ich konnte mein Erlebnis niemandem glaubhaft machen. Vielleicht hätte ein Physiker oder Chemiker feststellen können, dass mein Fund nicht von der Erde stammte. Sollten sie wider Erwarten nicht zurückkommen, konnte ich den Gegenstand von Fachleuten überprüfen lassen. Und wenn sie wirklich kamen? Ich malte mir aus, wie sie über die Wiese gingen, voran der Kommandant, einen Ölzweig oder irgendein Symbol des Friedens in der Hand. Vielleicht verneigte er sich vor mir und spräche: »Sei gegrüßt, Bruder im Geiste. Seit langem wissen wir, dass von allen Erdenmenschen du der würdigste bist. Wir kommen aus dem Sternbild der Plejaden...«

Hör auf mit diesen Spinnereien, befahl ich mir. Es gab keinen Anlass, die Angelegenheit spaßig zu finden. Was verbarg sich hinter ihren geheimnisvollen nächtlichen Landungen? Warum traten sie eigentlich nicht offiziell mit der Erde in Verbindung? Und wieso waren sie nicht längst mit Radar geortet worden? Konnten sie sich dagegen abschirmen? Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr häuften sich Fragen, auf die ich keine Antwort wusste.

Noch etwas anderes ging mir durch den Kopf. Konnten es nicht gewalttätige Wesen sein? Sprach nicht ihre heimliche Landung dafür, dass sie etwas im Schilde führten? Musste sich mit der wissenschaftlichen, technischen Entwicklung in jedem Falle auch eine hohe sittliche Reife verbinden? Was zum Beispiel, wenn die Intelligenz eines anderen Sterns in uns nur barbarische Wesen erblickte? Was wussten wir von außerirdischen Lebensprozessen? Technik, Wissenschaft, sittliche Reife - waren es nicht modernste Düsenflugzeuge, die Napalm über Städte und Dörfer abwarfen, fruchtbare Felder vergifteten? Faschistoide Horden auch noch von anderen Planeten? Eine erschreckende Vorstellung. Anderseits - die hüpfenden kleinen Gestalten gestern Nacht hatten durchaus keinen gewalttätigen Eindruck gemacht. Meine Überlegungen bewegten sich im Kreise.

Die ersten Sterne flackerten auf, Wega kroch zum Zenit, die Deichsel des Großen Wagens zeigte nach Südwesten. Kamen sie von einer dieser fernen Sonnen?

Zu meinen Füßen schnurrte Peppi. Er war liebebedürftig, sprang auf meinen Schoß, trampelte und ringelte sich. Verschwinde, Kater, du bist ein braver Mäusefänger und mitunter auch ein angenehmer Bettwärmer, aber jetzt bist du unerwünscht. Wenig später raschelte es irgendwo. Der Kater sprang hinunter, machte Jagd auf Kalorien. Dafür stellten sich andere ungebetene Gäste ein. Die Wirkung der Mückensalbe ließ nach, die summenden Stecknadeln formierten sich zum Angriff, schickten Kundschafter vor, die ihre Rüssel in meine Ohren bohrten. Ich blieb sitzen, ohrfeigte mich und dachte: Andere haben für die Wissenschaft größere Opfer gebracht; Scott ist bei der Erforschung des Südpols umgekommen, Amundsen im Nordmeer verunglückt, die Raumfahrt hatte ihre Opfer gefordert - sollte ich vor Mücken kapitulieren?

Am liebsten hätte ich laut gelacht, so idiotisch kam mir auf einmal alles vor. Der Kater, Besuch aus dem All, Mücken, in der Jackettasche ein schweres Etwas. Ein Glück, dass mich niemand sehen und meine Gedanken hören konnte.

Der Hauptstern des Schwans stand im Zenit; hinter den Bäumen glitzerte das Sternbild der Andromeda. Das war die Stunde. Ich wurde unruhig, stand auf, machte ein paar Schritte. Auf der Wiese breitete sich wieder Nebel aus. Inmitten dieses Wolkenteppichs bewegte sich etwas. Es waren Rehe. Ein ganzes Rudel äste, schmatzte, lauschte. Ich hatte mich oft an ihrem Anblick erfreut, jetzt erschienen sie mir als unliebsame Störenfriede. Einen Augenblick schwankte ich, wollte sie mit einem Steinwurf verscheuchen, doch andere kamen mir zuvor.

Die Rehe standen einen Moment wie aus Gips. Dann rasten sie in großen Sprüngen an mir vorüber, verschwanden im Unterholz des Waldes. Ein feines, kaum hörbares Summen erfüllte die Luft. Ich vergaß das Atemholen. Weit hinten stob der Nebel auseinander, wallte auf. Nur diese Nebelwand war zu sehen. Gebannt stierte ich auf die Wolkendecke, die sich langsam senkte. Ich hatte einen Feldstecher mitgenommen. Meine Augen bohrten sich in den Dunst, aus dem sich die Umrisse der riesigen Metallscheibe abhoben.

Das Erhoffte und doch kaum Erwartete war eingetreten. Erfüllt von zwiespältigen Gefühlen, zwang ich mich zur Ruhe, wartete. Meine Hand umklammerte das schwere Fundstück in der Tasche. Sie waren heute etwas weiter von Manik Maya entfernt, es war schwierig, Einzelheiten zu erkennen. Jetzt, da sie wirklich gekommen waren, erschien mir alles selbstverständlich. Wie hatte ich nur einen Augenblick zweifeln können? Meine Hand zitterte, als ich den Feldstecher absetzte. Im Wandschrank steht Baldrian, fiel mir unsinnigerweise ein. Vor dem Flugkörper bewegten sich wieder die kleinen Gestalten... Ich legte den Feldstecher auf den Stuhl, hatte das Empfinden, Blei an den Füßen zu haben. Was für ein Weg! Der längste und schwerste, den ich je in meinem Leben gegangen war. Meinen Fund hielt ich wie eine Trophäe in der Hand. Auf halbem Wege sah ich sie vor dem Flugkörper, erkannte auch die Treppe.

Als uns noch fünfzig, sechzig Meter trennten, entdeckten sie mich. Ich blieb stehen, dachte: Gleich werden sie wieder verschwinden und aufsteigen. Tatsächlich standen sie beieinander und schienen zu beraten. Mein Vorsatz, einfach auf sie zuzugehen, war vergessen. Ich rührte mich nicht von der Stelle. Kein Kommandant, kein Ölzweig, wir gafften uns an.

Endlich raffte ich mich auf, hob den Glaskörper hoch und schwenkte ihn hin und her. Begriffen sie, dass ich als ehrlicher Finder zu ihnen kam? Sekunden änderte sich nichts, dann geschah etwas Wunderbares. Einer der drei ahmte meine Handbewegung nach. Mir erschien es wie ein Winken. Als ich noch immer zögerte weiterzugehen, bewegten auch die anderen die Arme, Sie flogen nicht davon, sie erwarteten mich. Mein Herzschlag hatte sich verdoppelt.

Ich muss erwähnen, dass ich von Natur aus zwar schreckhaft und nervös, jedoch nicht feige bin. Doch diese Eigenschaften bezogen sich auf normale irdische Vorgänge. Jetzt wurde mir mit jedem Schritt, den ich näher kam, bewusst, dass ich alles andere als ein Held war. Ich machte mir Mut, redete mir unablässig ein, sie würden mir nichts antun. Meine Stoßseufzer hielten an, bis ich vor ihnen stand, so nahe, dass ich sie hätte berühren können.

In ihren dunklen Trikots verschmolzen sie mit der Nacht.

Nur ihre Umrisse zeichneten sich ab: die gläsernen Schutzhelme, die spiralenförmigen Antennen darauf, ihre Gliedmaßen. Es hätten Kinder sein können, der Größte unter ihnen reichte mir gerade bis an die Schultern. Er war es auch, der mir meinen Fund aus der Hand nahm. Ich deutete auf das Gras, um ihnen zu sagen, wo ich den Gegenstand gefunden hatte. Zu meiner größten Überraschung bedankten sie sich auf recht irdische Weise. Alle drei wippten einige Male mit dem Kopf, dann verbeugten sie sich tief. Instinktiv verneigte ich mich ebenfalls.

Ein unbeschreibliches Glücksgefühl ergriff mich. Ein Meer von Sternen über uns, und irgendeiner dieser leuchtenden Punkte war ihre Heimat. Nach rastlosem Flug waren sie hier gelandet, standen vor mir, verneigten sich und drückten aus, wovon ich noch vor kurzem geträumt hatte: Sei gegrüßt, Bruder im Geiste - nichts anderes konnte ihre Geste bedeuten.

Wäre nicht alles so fassbar und hautnah gewesen, hätte ich an meinem Verstand zweifeln mögen. Dunkel ahnte ich in diesen Augenblicken die Bedeutung dieser Begegnung. Gab es in der Geschichte der Menschheit einen Vergleich zu diesem Ereignis? Vor mir, in materieller Wirklichkeit, stand der Traum einer kaum geahnten Zukunft. So groß auch die geistige Kluft zwischen uns sein mochte, mir erschienen sie wie das Spiegelbild einer fernen Zeit. Was konnte ich tun, um ihnen meine Sympathie auszudrücken? Ihre Gesichter waren nicht zu erkennen, ihre Sprache wohl kaum zu verstehen.

Für eine Sekunde erstarb mein verzücktes Lächeln; einer der drei streckte mit sonderbar eckigen Bewegungen die Hand nach mir aus. Ich spürte seine Berührung, kaum fühlbar lag

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Herbert Ziergiebel/Apex-Verlag/Successor of Herbert Ziergiebel.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 05.08.2020
ISBN: 978-3-7487-5261-5

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