Cover

Leseprobe

 

 

 

 

MARK PHILLIPS

 

 

DIE LADY MIT DEM 6. SINN

- Galaxis Science Fiction, Band 25 -

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE LADY MIT DEM 6. SINN 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

 

Das Buch

Dass im streng geheimen Versuchszentrum Yucca Flats spioniert wurde, wusste man. Auch wie das geschah, war bekannt. Nämlich auf telepathischem Weg, und das machte die Sache kompliziert - und zu einem Fall für Kenneth J. Malone. Als FBI-Agent war er bekannt für seine unorthodoxe Art, auch schwierige Fälle zu lösen, und deshalb musste er auch diesmal dran glauben. Einen Telepathen fängt man am besten mit einem anderen Telepathen, hatte sein Chef in Anlehnung an eine alte Ganovenweisheit erkannt, und folglich war es nur logisch, dass Malone sich als erstes nach einem einsatzfreudigen Telepathen umsehen musste. Malones Weg durch die Nervenheilanstalten des Landes wurde zu einem Martyrium, dessen angenehmere Seite die Bekanntschaft mit Elisabeth I, von England darstellte...

 

Die Lady mit dem 6. Sinn von Mark Phillips (= Laurence Mark Janifer und Randall Philip Garrett) erscheint in der Reihe GALAXIS SCIENCE FICTION aus dem Apex-Verlag, in der SF-Pulp-Klassiker als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden. 

  DIE LADY MIT DEM 6. SINN

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Schon während Kenneth J. Malone sich im Bett herumwälzte und aufstand, fragte er sich, was der Tag bringen würde. Eines war absolut sicher. Er würde entsetzlich werden. Wie immer.

Es gelang ihm nur mit Mühe, auf den Beinen zu bleiben, und er schwankte, als er quer durch den Raum zum Spiegel ging, um sich wie jeden Morgen zu betrachten. Sich als erstes am Morgen gleich ins Gesicht sehen zu müssen, machte ihm wenig Freude, aber er sagte sich, dass jeder FBI-Agent diese Prozedur durchmachen musste. Man muss den Widerwärtigkeiten dieses Lebens ins Gesicht sehen können, tröstete er sich selbst, und das noch vor dem Frühstück. Er blinzelte mit den Augen, als er in den Spiegel starrte.

Sein Spiegelbild blinzelte ihn an.

Er versuchte zu lächeln. Schauderhaft, dachte er - aber das lag sicherlich an der leicht gewellten Glasoberfläche, die alles verzerrte. Malones Gesicht sah nämlich so aus, als hätte er damit die ganze Nacht auf dem Waffeleisen gelegen.

Außerdem war es noch sehr früh am Morgen, und um diese Zeit fiel es schwer, den Blick zu konzentrieren.

Er versuchte sich an die vorangegangene Nacht zu erinnern. Es war sein letzter Urlaubstag gewesen, und ihm fiel ein, dass er ihn gebührend gefeiert hatte, in der Gesellschaft von zwei - oder waren es drei? - ausgesucht hübschen weiblichen Wesen, die ihm ganz zufällig in der Stadt über den Weg gelaufen waren. Die Stadt hieß Washington und war noch immer die Hauptstadt des Landes der Freien und Aufrechten. Laut Statistik kamen hier auf einen Mann fünfeinhalb Frauen. Er hatte sein Soll also nicht ganz erfüllt. Aber es war die klassische Party gewesen, mit allem, was dazugehörte, und natürlich sehr, sehr viel Alkohol.

Malone musste zugeben, dass nicht das Spiegelglas Fehler hatte, sondern dass dieser Fehler irgendwo in seinem Gehirn stecken musste. Trüben Blickes starrte er in sein unrasiertes Gesicht.

Unmöglich, dachte er, niemand konnte so entsetzlich aussehen wie sich Kenneth J. Malone in diesem Augenblick selbst sah. Etwas Schlimmeres konnte es gar nicht geben.

Er ignorierte die leise, aber desto drängendere Stimme, die ihn immer wieder fragte: »Warum denn nicht?« und kehrte dem Spiegel den Rücken, um nach seinen Kleidungsstücken zu suchen. Er wollte sich Zeit lassen, um sich fürs Büro zu rüsten, denn schließlich konnte ihm niemand einen Vorwurf machen, wenn er am ersten Tag nach dem Urlaub zu spät zum Dienst erschien. Schließlich wusste jeder, wie kräfteverzehrend so ein Urlaub sein konnte.

Und außerdem: Was konnte schon groß passiert sein? In letzter Zeit er erinnerte sich nur zu gern daran, war es ohnehin sehr ruhig gewesen. Die Bösewichte schienen die Lust am Verbrechen verloren zu haben, und vielleicht würde er Gelegenheit haben, sein technisches Wissen etwas aufzufrischen oder auf dem Schießstand Pistolenschießen zu üben.

Als er sich das Krachen der Schüsse vorstellte, merkte er plötzlich, wie sehr sein Kopf schmerzte-. Mindestens fünfzig Gartenzwerge schienen sein Gehirn mit kleinen Hämmern zu bearbeiten oder damit beschäftigt zu sein, Löcher zu graben.

»Ihr werdet nichts finden«, sagte Malone. »Also gebt’s doch auf.«

Aber die Gartenzwerge arbeiteten wie besessen weiter. Er schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen. Die Zwerge hatten kein Verständnis dafür. Jetzt begannen sie auch noch an den Nervensträngen zu zerren.

Es gab Leute, hatte man Malone erzählt, die sprangen morgens mit einem Satz aus dem Bett und begrüßten den jungen Tag mit einem fröhlichen Lächeln. Er hielt das für unmöglich, aber andererseits gab es auch eine ganze Menge unmöglicher Leute.

Malone versuchte seine rotierenden Gedanken zu bremsen, öffnete die Augen, zuckte zusammen und begann sich anzuziehen. Wenigstens würde er im Büro Ruhe haben, dachte er.

Sekunden später erschreckte ihn das widerliche Summen der Sprechanlage: »Der Teufel soll dich holen!« wünschte er dem Gerät, aber das Summen ging weiter, obwohl die Sperre eingeschaltet war. Das bedeutete, das es ein dringender Anruf von der Dienststelle war, vielleicht sogar von seinem Chef. Unter Umständen sogar von jemand, der über seinem Chef stand.

»Ich habe mich ja noch gar nicht verspätet«, maulte Malone. »Es wird sich nicht vermeiden lassen, aber noch ist es nicht so weit.

Also wozu das Theater?«

Es gab natürlich eine Möglichkeit, das zu erfahren. Mühsam schleppte er sich durch das Zimmer, schnippte den kleinen Hebel herum und sagte: »Malone.« Im Stillen fragte er sich, ob es auch stimmte. Es schien ihm, als wäre er gar nicht vorhanden. Weder hier noch sonst wo.

Eine blechern klingende Stimme drang aus dem Lautsprecher: »Malone, kommen Sie sofort her!«

Die Stimme gehörte Andrew J. Burris. Malone seufzte aus tiefstem Herzen und dankte zum wiederholten Male seinem Schöpfer, der ihm eingegeben hatte, auf das Monitor-Zusatzgerät zu verzichten, sonst hätte sein Chef ihn jetzt in diesem grauenerregenden Zustand sehen können. So etwas gehört einfach nicht mit zum Dienst.

»Ich ziehe mich gerade an«, sagte er ins Mikrophon. »Ich bin in...«

»Kommen Sie, wie Sie sind«, sagte Burris. »Die Sache ist eilig.«

»Aber Chef...«

»Und nennen Sie mich nicht Chef!«

»Okay«, sagte Malone. »Dann wollen Sie also, dass ich im Adamskostüm angetrabt komme?«

»Ich möchte, dass Sie...« Burris brach ab. »Na schön, Malone. Wenn Sie unbedingt kostbare Zeit verplempern wollen, während Ihr Vaterland vor die Hunde geht, dann machen Sie ruhig weiter. Ziehen Sie sich gemächlich an. Wenn ich sage, es ist dringend, dann...«

»Dann ziehe ich mich eben nicht an,«, entgegnete Malone. »Wie Sie wünschen.«

»Tun Sie doch endlich etwas!«, rief Burris verzweifelt. »Ihr Vaterland ruft Sie zu den Fahnen. Kommen Sie im Pyjama, wenn’s nicht anders geht. Malone, wir stecken in einer Krise.«

Sich mit Burris zu unterhalten, überlegte Malone, war noch nie einfach gewesen. »Ich bin gleich dort«, sagte er.

»Ausgezeichnet«, entgegnete Burris, dann zögerte er. Nach einer Weile fügte er hinzu: »Malone, haben Sie wirklich gar nichts an?«

»Nein, ich schlafe immer so.«

»Dann ziehen Sie sich in Gottes Namen an, aber machen Sie schnell. Ich möchte nicht, dass einer meiner Männer als Exhibitionist aufgegriffen wird.« Und mit diesen Worten schaltete er ab.

Malone stierte fast eine Minute lang auf das Gerät, bevor auch er abschaltete. Er achtete nicht länger auf die Gartenzwerge unter seiner Schädeldecke und zog sich an. Krise hin, Vaterland her, wenn er nicht anständig angezogen war, würde er nie ein Taxi bekommen.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

»Sie können überall herumschwirren«, rief Andrew J. Burris. Erbitterung und Angst stritten sich auf seinem Gesicht. »Sie können hinter unserem Rücken ihr Unwesen treiben. Und wie wir sie fassen sollen, weiß der liebe Gott.«

Er stieß seinen Stuhl zurück und stand hinter seinem Schreibtisch auf. Burris war klein und dick, hatte wasserblaue Augen und große Hände. Er ging zum Fenster, blickte hinaus auf Washington und kam wieder zurück. Der Büroklatsch wollte wissen, er sei nur aus Pietätsgründen zum FBI-Direktor ernannt worden, weil in seinem Namen - wie bei dem seligen J. Edgar Hoover - zufällig ein »J« vorkam. Im Falle Burris bedeutete das J allerdings die Abkürzung von Jeremias. Und im Augenblick klang seine Stimme mindestens so kläglich wie sämtliche Klagelieder des alttestamentarischen Propheten gleichen Namens.

»Wir sind hilflos«, behauptete er und sah den jungen Mann mit dem kurzgeschnittenen braunen Haar an, der vor dem Schreibtisch saß. »Ganz und gar hilflos sind wir.«

Kenneth Malone versuchte, sein Gesicht in beruhigende Falten zu legen. »Sie brauchen mir nur zu sagen, welche Sache ich für Sie anpacken soll, Chef«, meinte er.

»Sie sind ein tüchtiger Agent, Kenneth«, lobte Burris. »Sie gehören zu meinen besten Leuten. Deshalb hat man auch auf Sie zurückgegriffen. Ich selber habe Sie ausgesucht. Sie können mir glauben, dass so etwas wie diese Sache noch nicht dagewesen ist.«

»Ich werde mein Bestes tun«, versicherte Malone aufs Geratewohl.

»Das weiß ich«, sagte Burris. »Und wenn jemand diese Nuß knacken kann, Malone, dann sind Sie es. Mir will nur nicht in den Kopf, dass die ganze Geschichte so restlos unmöglich klingt. Unsere ewigen Konferenzen haben daran kein bisschen geändert.«

»Konferenzen?«, wiederholte Malone. Er wünschte, der Chef würde langsam zur Sache kommen. Ganz egal, zu welcher Sache. Er setzte sein sanftestes Lächeln auf und gab sich alle Mühe, fähig zu wirken und beruhigend dreinzuschauen. Die Miene des Chefs veränderte sich nicht.

»Was ist? Lachen wir vielleicht?«

»Nein, Sir«, sagte Malone.

»Kann ich Ihre Gedanken lesen?«

Malone zögerte. Schließlich sagte er: »Meines Wissens nicht, Sir.«

»Eben«, schnappte Burris. »Niemand kann Gedanken lesen. Da haben Sie die Nuß, die Sie knacken sollen, und jetzt versuchen Sie sich daran.«

Diesmal dauerte die Stille länger. Dann fragte Malone: »Worum geht es, Chef?«

»Um Gedankenlesen«, sagte Burris. »Auf unserem Versuchsgelände in Nevada verbirgt sich ein Spion, Kenneth. Und dieser Spion ist ein Telepath.«

 

Die Bildaufzeichnungen waren klar und sehr ausführlich. Es waren sehr viele Bänder, und es wurde ein langer Tag und ein langer Abend. Nach neun Uhr sagte sich Kenneth Malone, dass er genug hatte. Er entschloss sich, eine Pause einzulegen und frische Luft zu schnappen. Es gab in Washington immer noch ein paar Straßenzüge, wo man nachts allein und unbehelligt Spazierengehen konnte, und Malone ging gern zu Fuß. Manchmal behauptete er, und redete sich das auch selbst ein, dass er beim Spazierengehen am besten nachdenken könne. Er wusste allerdings, dass dies nicht stimmte. Seine besten Einfälle bekam er immer, wenn die Situation es erforderte, und sie schienen dann aus dem Nichts heraus zu kommen.

Reine Glückssache. Und Malone schien das Glück gepachtet zu haben. Seine Kollegen glaubten ihm das nicht. Seine Erfolge, selbst bei einer Behörde wie das FBI es war, waren einfach zu aufsehenerregend, und selbst Burris, sein Chef, hielt ihn für einen Wunderknaben.

Malone ließ ihn in diesem Glauben. Was hätte er auch anderes tun können. Er hatte das Pensionsalter noch lange nicht erreicht, und außerdem machte es Spaß und war aufregend, für das FBI zu arbeiten. Da konnte man Dienstreisen unternehmen und kam überall herum, und so was war doch interessant. Die Bezahlung war übrigens auch nicht schlecht.

Das Kreuz war nur, dass, sofern er nicht seinen Abschied einreichte, er nach einem Telepathen suchen musste. Ein Spion mit telepathischer Begabung, diese Vorstellung behagte Malone überhaupt nicht. Dass es Telepathie geben konnte, damit hatte er sich inzwischen abgefunden, im Gegensatz zu vielen Normalbürgern, denn in seinem Beruf begegneten ihm Dinge, von denen andere verschont blieben. Und die Wissenschaft machte- täglich Fortschritte, von denen die wenigsten sich etwas träumen ließen.

Aber die Tatsache, dass man einen Telepathie-Detektor entwickelt hatte, stand im krassen Gegensatz zu seinen Vorstellungen von Anstand und Würde. Aus war es mit der Intimsphäre. Und so etwas war einfach unanständig. Gab es denn im Leben eines Menschen überhaupt nichts mehr Unantastbares, überlegte er aufgebracht.

Er blieb stehen und hob den Blick. Er befand sich auf der Pennsylvania Avenue. Etwas weiter vorn lag das Weiße Haus.

In dieser Richtung wollte er nicht weitergehen. An der nächsten Ecke verließ er die Pennsylvania Avenue. Was hätte er schon mit dem Präsidenten besprechen sollen?

Nichts, zumindest jetzt noch nicht.

Es herrschte so gut wie kein Verkehr. Fußgänger waren um diese Zeit ohnehin selten. Ich habe meine besten Einfälle, während ich spazieren gehe, überlegte Malone. Aber die Muse ließ ihn ungeküsst. Nach einer Weile begann er, über die Ampex-Aufzeichnungen nachzudenken.

Das erste Band hatte eine Aufzeichnung erhalten, nach welchem Prinzip der Telepathie-Detektor funktionierte. Malone hatte die Aufzeichnung noch deutlich vor Augen. Sein Gedächtnis war schon immer bemerkenswert gut gewesen.

Burris hatte die Sitzung eröffnet und mit kühler, sachlicher Stimme das Aktenzeichen genannt. Sein Gesicht wirkte ausdruckslos. Er glich genau dem FBI-Direktor, den die Leute gewöhnt waren, auf den Fernsehschirmen zu sehen. Malone überlegte, was wohl bis zu dem Zeitpunkt in ihm vorgegangen war, an dem er ihn hatte rufen lassen.

Monoton und schnell rasselte Burris die Eingangsfloskel herunter. »Alle unbefugten Personen und Agenten haben dieses Protokoll sofort abzuschalten. Zuwiderhandlungen werden strafgesetzlich geahndet.« Er blickte nach links und stellte vor. »Dr. Thomas O’Connor von den Westinghouse Laboratorien. Würden Sie bitte vor die Kamera treten, Dr. O’Connor?«

Der Wissenschaftler kam langsam in das erleuchtete Schirmrechteck geschritten und blickte sich um. »Ich finde das äußerst fesselnd«, sagte er und blinzelte in das Scheinwerferlicht. »Ich wusste gar nicht, dass Sie so strikte Vorschriften haben.«

Er mochte zwischen fünfzig und sechzig sein, war groß und hager und wirkte mit seiner fast durchsichtigen Haut wie eine wandelnde Röntgenaufnahme. Er hatte blassblaue Augen und fahles weißes Haar. Wenn je ein Wettbewerb für das bestaussehende Gespenst ausgeschrieben werden sollte, dachte Malone, dann würde Dr. Thomas O’Connor ihn im Schlaf gewinnen.

»Die nationale Sicherheit machen sie erforderlich«, entgegnete Burris streng.

»Oh, darüber bin ich mir natürlich klar«, sagte Dr. O’Connor schnell. »Ich zweifle nicht daran. Keineswegs.«

»Dann können wir beginnen?«, fragte Burris.

O’Connor nickte. »Gewiss.«

»Nun denn«, sagte Burris und hielt einen Augenblick inne. Dann begann er von neuem. »Also, Dr. O’Connor, würden Sie uns bitte die Wirkungsweise des Gerätes kurz umreißen?«

»Selbstverständlich«, sagte Dr. O’Connor. Er lächelte in die Kamera und räusperte sich: »Wie ich annehme, legen Sie dabei keinen Wert auf eine genaue Erläuterung der technischen Vorgänge.«

»Nein«, wehrte Burris ab. Es klang, als hätte er gesagt Um Himmelswillen. »Keinesfalls. Uns interessieren nur die Resultate.«

»Ähem«, begann er, »sehr vereinfacht ausgedrückt, zeigt das Gerät an, ob die gedanklichen... ähem... Prozesse eines Menschen von äußeren... von außen her beeinflusst werden.« Wieder lächelte er leicht in die Kamera. »Wenn Sie gestatten, werde ich das an Hand des Gerätes selbst vorführen.«

Er verschwand aus der Reichweite des Kameraobjektivs. Als er zurückkehrte, schob er eine große, schwere Kiste vor sich her. Drähte und alle möglichen Anhängsel baumelten von der Metallverkleidung herab. Ein langes Kabel führte von der Kiste aus über den Boden.

»Ähem«, sagte Dr. O’Connor. Scheinbar aufs Geratewohl hob er eine Leitung hoch. »Diese Elektrode...»

»Einen Augenblick noch, Doktor«, mischte sich Burris ein. Er beäugte die Kiste mit einer Mischung aus Argwohn und Ehrfurcht. »Sie sprachen gerade von äußerer Beeinflussung. Was wollten Sie damit ausdrücken?«

Bedauernd ließ O’Connor die Leitung fallen. »Ich meinte damit Telepathie«, sagte er. »Äußere Einflüsse, die direkt auf den Geist einwirken, wie beispielsweise Telepathie oder Gedankenlesen.«

»Ich verstehe«, meinte Burris. »Sie können mit diesem Gerät einen Telepathen aufspüren.«

»Ich fürchte...«

»Auf jeden Fall eine Art Gedankenleser«, unterbrach Burris ungeduldig. »Wir wollen uns nicht in Wortklaubereien verlieren.«

»Nein, gewiss nicht«, nickte Dr. O’Connor. Das Lächeln, mit dem er Burris bedachte, war so kalt und leer wie eine unbemannte Raumsonde. »Was ich sagen wollte, war - wenn Sie mir gestatten, fortzufahren -, dass es uns nicht möglich ist, mit diesem Gerät einen Telepathen oder Gedankenleser zu entdecken. Offengestanden wünschte ich mir, wir könnten das; es würde unsere Schwierigkeiten wesentlich verkleinern. Die Gesetze, denen die außersinnliche Wahrnehmung folgt, scheinen diesem Bemühen jedoch einen Riegel vorzuschieben.«

»Aber was bewirkt das Gerät denn dann?«, fragte Burris. Seine Züge verrieten seine Verwirrung. Flüchtig bedauerte Malone seinen Chef. Er konnte sich noch recht gut erinnern, wie hilflos er selber dagesessen hatte, wenn einer der Professoren an der Universität ihn mit einer besonders verzwickten Frage piesackte.

»Dieses Gerät«, dozierte O’Connor würdevoll, »entdeckt die geringen Veränderungen, die in der geistigen Tätigkeit eintreten, wenn die Gedanken eines Menschen gelesen werden.«

»Wenn also jemand gerade jetzt meine Gedanken lesen würde...«

»Nicht gerade jetzt«, widersprach O’Connor. »Die Hauptmasse des Zubehörs befindet sich in Nevada; die gesamte Maschine ist zu schwer und zu empfindlich, um transportiert zu werden. Außerdem...«

»Ich meinte rein theoretisch«, unterbrach Burris.

»Rein theoretisch«, lächelte Dr. O’Connor, »würde das Gerät feststellen, wenn jemand Ihre Gedanken liest, vorausgesetzt, es ist funktionsfähig und alle weiteren Vorbedingungen sind erfüllt. Sehen Sie, Mr. Burris, ein Mensch kann ein noch so schlechter Telepath sein, aber er besitzt trotzdem immer die Fähigkeit - allerdings sehr schwach ausgebildet -, zu entdecken, dass seine Gedanken belauscht werden.«

»Meinen Sie damit etwa, ich würde merken, wenn jemand meine Gedanken zu lesen versuchte?«, vergewisserte sich Burris. Seine Züge verrieten, dass er O’Connor ganz offensichtlich nicht glaubte.

»Sie würden es merken«, erwiderte Dr. O’Connor. »Aber es würde Ihnen nicht zu Bewusstsein kommen, dass Sie es bemerkt haben. Um Ihnen das näher zu erläutern: Jeder normale Mensch, etwa Sie oder sogar ich selbst, verspürt eine leichte, fast unbewusste Gereiztheit, wenn seine Gedanken gelesen werden. Diese Gereiztheit wird er wahrscheinlich auf irgendwelche Sorgen zurückführen, die ihn bedrücken. Ein Arzt könnte Schwankungen im hormonalen Gleichgewicht vermuten. Unter hormonalem Gleichgewicht, Mr. Burris, versteht man...«

»Besten Dank«, sagte Burris mit deutlichen Anzeichen der erwähnten Gereiztheit. »Was Hormone sind, werde ich wohl noch wissen.«

»Ähem. Schön«, meinte Dr. O’Connor gleichmütig. »Um aber fortzufahren: Die erwähnten Empfindungen werden von dem Gerät als Anzeichen dafür gedeutet, dass ein... ähem... Horcher sich in den gedanklichen Prozess eingeschaltet hat.«

Die Anführungszeichen, mit denen Dr. O’Connor diesen unwissenschaftlichen Ausdruck versah, ließen sich fast greifen, dachte Malone.

»Ich verstehe«, nickte Burris. Er sah enttäuscht drein. »Aber wieso entdeckt das Gerät keinen Telepathen? Haben Sie überhaupt jemals Versuche mit einem Telepathen durchgeführt?«

»Natürlich haben wir das getan«, sagte O’Connor. »Wie hätten wir sonst Gewissheit erlangen sollen, dass das Gerät die Anwesenheit eines Telepathen verrät? Unsere theoretischen Kenntnisse über diese Fähigkeit sind noch nicht weit genug entwickelt, um uns in den Stand zu setzen...«

»Ich begreife«, warf Burris hastig ein. »Einen Moment bitte.«

»Ja?«                         

»Sie verfügen also über einen wirklichen Gedankenleser? Sie haben einen echten Telepathen gefunden? Einen, der nicht versagt hat?«

Dr. O’Connor schüttelte traurig den Kopf. »Ich fürchte, ich hätte vielleicht richtiger sagen sollen, dass wir bis vor kurzem einen Telepathen hatten, Mr. Burris«, gab er zu. »Leider war er schwachsinnig. Sein geistiges Alter lag, soweit wir feststellen konnten, zwischen fünf und sechs Jahren.«

»Ein Schwachsinniger?«, staunte Burris. »Aber wie war es Ihnen denn möglich...«

»Er konnte das, was ein anderer dachte, Wort für Wort wiederholen«, sagte Dr. O’Connor. »Natürlich fehlte ihm gänzlich die Fähigkeit, die Bedeutung der Sätze zu begreifen. Er schwatzte einfach nach, was man dachte. Auf die Dauer konnte er einen damit aus der Fassung bringen.«

»Kann ich mir vorstellen«, meinte Burris. »Er war also tatsächlich geistesschwach? Und es gab keine Aussicht...«

»Ihn zu heilen?«, ergänzte O’Connor. »Leider nein. Wir gelangten zu der Vermutung, dass er in seiner Kindheit einen geistigen Zusammenbruch erlitten hatte. Möglicherweise war er während seines ersten Lebensjahres noch normal. Aber wir konnten keine genauen Angaben darüber Zusammentragen und uns niemals endgültige Gewissheit verschaffen. Dass die Aussagen, die wir erzielten, sich widersprachen, ist weiter kein Wunder. Ein telepathisch begabter Schwachsinniger erscheint jedem normalen Erwachsenen so ungewöhnlich, dass er wahrscheinlich zögern würde, diese Begabung zuzugeben. Einen zweiten Telepathen haben wir noch nicht gefunden, und wir werden tatenlos abwarten müssen, bis uns der Zufall in die Hände spielt.«

Burris seufzte. »Diese Schwierigkeit leuchtet mir ein«, sagte er.

»Der Junge ist vor einem halben Jahr verschieden, als er gerade fünfzehn war. Er - gab auf und starb.«

»Er gab auf?«

»Eine bessere Erklärung konnte unsere medizinische Abteilung nicht liefern, Mr. Burris. Sein Lebenswille war verbraucht, und irgendein Organ setzte aus. Als er das Leben nicht mehr bewältigen konnte, gab er auf.«

»Gut«, sagte Burris nach einer Weile. »Ihr Telepath ist tot, und andere gibt es nicht. Oder falls es sie gibt, wissen Sie nicht, wie Sie sie finden sollen. So weit, so gut. Um aber wieder auf Ihr Gerät zurückzukommen: Es konnte die Befähigung des Jungen nicht nachweisen?«

O’Connor schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nein. Wir haben lange versucht, dieses Problem zu lösen, Mr. Burris, aber bis jetzt ist es uns nicht gelungen, eine Methode zu entwickeln, um Telepathen tatsächlich aufzuspüren.«

»Somit können Sie nur feststellen...«

»Ja«, sagte Dr. O’Connor. »Wir können die Tatsache feststellen, dass die Gedanken eines Menschen gelesen werden.« Er hielt inne, und sein Gesicht überschattete sich plötzlich. Als er weitersprach, klang seine Stimme, als ob er ein Geständnis ablegte, das ihm Schmerzen bereitete. »Natürlich können wir nicht verhindern, Mr. Burris, dass jemandes Gedanken gelesen werden. Wir können nichts dagegen tun.« Er versuchte sich in einem Grinsen, das verkrampft

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Laurence Mark Janifer/Randall Philip Garrett/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Lawrence Sterne Stevens/Christian Dörge.
Cover: Lawrence Sterne Stevens/Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Otto Kuehn (OT: Brain Twister).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 27.05.2020
ISBN: 978-3-7487-4334-7

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /