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Leseprobe

 

 

 

 

JACK PEARL

 

 

Derek Flint schickt

seine Leiche

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 88

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DEREK FLIMT SCHICKT SEINE LEICHE 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

 

 

Das Buch

Derek Flint: Seine Reaktionszeit beträgt weniger als eine Sekunde, bei Mord genauso wie in der Liebe. Stets ist er von einem Harem von Schönheitsköniginnen umgeben. Und seine Super-Fähigkeiten werden von allen Seiten bewundert.

Tritt er auf den Plan, stecken alle anderen Agenten – von 001 bis 009 – den Kopf in den Sand und behaupten, nicht anwesend zu sein.

Daher hat GALAXY, das mörderische Triumvirat der drei genialsten Männer ihrer Zeit, beschlossen, ihn für ihre Welteroberungs-Pläne zu gewinnen.

Die Weltmeere steigen, überflutet vom schmelzenden Eis an den Polen. In Washington hat das modernste Elektronengehirn der Welt ihn, Derek Flint, als den einzigen ermittelt, der noch helfen kann.

Aber der hat gerade Wichtigeres zu tun: Er ist damit beschäftigt, die Top-Agentin von GALAXY zu verführen, weil sie eine Spur hübscher ist als die Schönste seiner Schönheitsköniginnen...

 

Derek Flint schickt seine Leiche von Jack Pearl ist die Roman-Adaption der gleichnamigen Kult-Agenten-Komödie aus dem Jahr 1966 (Regie: Daniel Mann), in den Hauptrollen James Coburn als Derek Flint, Lee J. Cobb als Lloyd C. Cramden, Gila Golan als Gila und Edward Mulhare als Malcolm Rodney. 

Der Apex-Verlag veröffentlicht diese spannende Mixtur aus James-Bond-Persiflage, Krimi mit SF-Elementen und Action-Thriller in seiner Reihe APEX CRIME.

   DEREK FLIMT SCHICKT SEINE LEICHE

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Der glänzende MG war nur ein roter Fleck auf der Küstenstraße, die sich dicht an die Berge schmiegte, während auf der anderen Seite der Straße steile Hänge zum felsigen Strand hin abfielen. Ohne zu bremsen nahm der Wagen mit kreischenden, rauchenden Reifen eine ganze Reihe von Haarnadelkurven. In der letzten Kurve gerieten die Hinterräder des MG über den Abgrund und drehten sich wie wild, um wieder Boden zu fassen. Es gelang, und der rote Wagen brauste von neuem die nun geradlinige Küstenstraße entlang.

Über ihm senkte sich ein Hubschrauber der U.S.-Air Force herab, um den Abstand zu dem flüchtenden MG zu verringern. Der Pilot, ein U.S.-Air-Force-Captain, blickte seine Passagiere, zwei FBI-Männer an.

»Ich dachte, diesmal wären sie wirklich hin.«

Einer der FBI-Männer nickte grimmig. »Wenn sie sich selbst umbrächten, würden sie uns damit nur einen Gefallen tun. Die heißeste Sache, die FBI in dreißig Jahren eingebracht hat.«

»Noch haben wir sie nicht eingebracht«, erinnerte der andere Agent.

Die Küstenstraße fiel nun ab, bis sie auf gleicher Höhe mit dem Strand war und verlief' von da an meilenweit geradlinig.

»Es ist an der Zeit, die Schlinge zuzuziehen«, erklärte hex Chefagent.

Der Pilot nickte und griff nach seinem Mikrophon. »Scotch on the rocks«, gab er der in Verstecken bereitliegenden Armee, Marine und Zivilpolizei das verabredete Signal.

»Erinnert mich an den Tag X«, murmelte der ältere Agent, während er beobachtete, wie unten die Operation reibungslos anlief.

Am Horizont erschienen zwei Marine-Torpedoboote und rasten mit Höchstgeschwindigkeit auf den Strand zu. Gleichzeitig kamen aus dem Gebüsch neben der Straße drei Polizeiwagen heraus und formten eine Straßensperre. Der rote Wagen wand sich jedoch geschickt durch die Sperre hindurch. Der MG und der Wagen des Bezirkssheriffs brausten geradewegs aufeinander zu - in dem kurzen und atemberaubenden Spiel Wer ist der Feigling?. Der Sheriff entschied das Spiel, indem er auswich, und der unbezähmbare MG raste weiter.

Die Agenten im Hubschrauber fluchten, und der Pilot grollte düster »Mayday! Mayday!« in sein Mikrophon.

Eine Viertelmeile entfernt strömte aus Seitenstraßen ein Bataillon motorisierter Infanterie auf die Küstenstraße, um dem vorwärtsbrausenden roten Wagen eine undurchdringliche Mauer entgegenzustellen.

Von der Seeseite her näherten sich nun auch die beiden Torpedoboote, landeten wie bei einer Amphibien-Invasion und spuckten Küstenwachmänner aus, die mit schussbereiten Gewehren und Karabinern über den Strand liefen. Die Bajonette der Infanteristen blitzten in der Sonne, und die Maschinengewehrschützen auf den Wagen stellten ihre Waffen auf den näherkommenden roten MG ein.

Oben im Hubschrauber frohlockten die beiden Agenten in kindischem Übermut: »Wir haben sie! Wir haben sie!«

»So sieht es aus«, gab der Pilot zu, als er mit dem Hubschrauber in der Nähe der Straßensperre am Strand zur Landung ansetzte. »Aber was tun wir, wenn wir sie endlich haben?«

»Haha!« Der ältere Agent lachte überlegen. »Sie werden uns den lange gesuchten Schlüssel liefern – den Schlüssel zu dem teuflischsten Genie, das je seine Fänge über den Planeten Erde ausgestreckt hat. Gegen den sind Hitler, Stalin und Mao Tse-tung glatte Weihnachtsmänner.«

Sie hasteten aus der Maschine, noch bevor die Luftschrauben zum Stillstand gekommen waren und rannten zu den Offizieren an der Spitze der Straßensperre.

Zwanzig Meter vor der Sperre rollte der MG langsam aus und gab sich geschlagen. Er hockte mitten auf der Straße wie ein geprügelter Hund.

Triumphierend rückten die Soldaten und FBI-Männer vor. Ihr Triumph verwandelte sich jedoch jäh in Erstaunen, dann in Ungläubigkeit und schließlich in helle Verzweiflung.

Auf den Sitzen des MG befanden sich zwei Passagiere - Schaufensterpuppen. Zwei Schaufensterpuppen in Frauen-Sportkleidung, die mit Sicherheitsgurten und Drähten an die Sitze gebunden waren.

Die FBI-Agenten starrten in die reglosen Puppengesichter, dann sahen sie einander enttäuscht an. »Puppen«, sagte der ältere Mann erbittert. »Lausige Lockvögel!«

»Aber wie war das möglich?«, fragte ein bestürzter Armeemajor.

»Fernsteuerung.« Sein scharfer Blick suchte die kahlen Berge und den Strand ab und wanderte dann über das Meer. Weit draußen am Horizont kreuzte unschuldig eine Vergnügungsjacht. Nachdenklich strich er sich über das Kinn. »Hmm... ich frage mich, ob...«

In diesem Augenblick begann die Autohupe des MG anhaltend zu plärren. Der jüngere Agent griff in den Wagen, im Begriff, die Hupe abzustellen. »Blockiert«, brummte er.

»Halt!« Sein Kollege hielt mitten in der Bewegung inne. »Was ist mit Ihnen los? Es könnte eine Falle sein... Hier, wir wollen lieber sichergehen und diese Drähte erst trennen.« Vorsichtig griff er in das Gewirr von Drähten, die um das Steuerrad herumliefen.

»Sie haben natürlich recht, Fred«, gab sein Kollege kleinlaut zu. »Ich muss meinen Kopf in den Wolken gehabt haben.«

Sekunden später befand sich sein Kopf wirklich dort. Der Wagen, die Agenten, Soldaten und Küstenwachmänner flogen alle in die Luft. Der Donner der gewaltigen Explosion rollte über das Wasser, und von der Jacht aus sah man, wie eine Säule schwarzen Rauchs in den blauen Himmel aufstieg.

In Deckstühlen sitzend, zurückgelehnt, verfolgte ein elegantes junges Paar die Explosion durch extrastarke Ferngläser. Das Mädchen, ein dunkelhaariger, südländischer Typ, wirkte selbst in ihrem strenggeschnittenen Schneiderkostüm bezaubernd. Der Mann war kräftig gebaut; sein Gesicht gutgeschnitten und energisch. Um Augen und Mund lag jedoch ein Zug von Überdruß, Langeweile und Leere, wie er die Gesichter gewisser Angehöriger des dekadenten europäischen Adels kennzeichnete. Während er durch das Fernglas starrte, spielten seine Finger leicht mit dem goldgestickten Familienwappen auf der Brusttasche seiner teuren Jachtjacke.

Die junge Frau senkte endlich ihr Fernglas und bemerkte: »Nun, das wäre erledigt, Rodney.«

Auch er legte nun sein Fernglas beiseite. »So ist es, meine liebe Gila.« Er hatte einen britischen Akzent.

Ein dicklicher, untersetzter Mann in Marineuniform wandte sich von der Reling zu ihnen um. Sein Gesicht war grobgeschnitten und germanisch, und sein Akzent bestätigte diesen Eindruck. »Kaputt!«, sagte er.

Das Mädchen erhob sich ohne Eile aus ihrem Stuhl und ging mit schwingenden Hüften über das Deck zur Kabinentür. Die Männer folgten ihr, und dem dicken Mann fielen bald die Augen aus dem Kopf, als er auf Gilas schwingendes Hinterteil starrte.

»Also wirklich, Gruber!«, tadelte Rodney angewidert.

Der Deutsche lachte nur. Nacheinander betraten sie die Kabine und schlossen die Tür fest hinter sich zu.

In diesem Augenblick tuckerten zwei Angler in ihrem kleinen Boot mit Außenbordmotor um eine Landzunge. Angler war vielleicht zu viel gesagt, denn diese beiden huldigten eigentlich mehr dem Bier und Schnaps als dem Angelsport. Sie richteten ihre verschwommenen Augen auf die anmutige Jacht und blinzelten. Dann traten ihre Augen hervor, als sie voller Furcht und Staunen mitansahen, wie die Jacht in sich zusammenzufallen und sich zusammenzufalten schien wie ein Akkordeon. Die Seitenwände klappten flach auf das Deck, und die Kabine verwandelte sich in den Kommandoturm eines Unterseebootes. In Sekundenschnelle verschwand das Schiff in den Wellen.

Die beiden bestürzten Angler tauschten einen stummen Blick aus und begannen dann fieberhaft, Bier- und Schnapsflaschen über Bord zu werfen.

»Gegen rosa Elefanten habe ich ja nichts«, murmelte der eine, »aber dies ist zu viel.«

Unterdessen betraten Gila, Gruber und Rodney in dem untergetauchten Boot den Kontrollraum. An den Wänden befanden sich Regale mit komplizierten elektronischen Apparaten, ratternden Geräten und aufblitzenden Lichtern.

»Antreten zur Meldung ans Hauptquartier«, befahl Gila einem düster dreinblickenden Techniker, der vor einem großen, doppelseitigen Fernseh-Monitor stand. Während er Schalter drehte und Wählscheiben einstellte, setzte Gila sich vor den Bildschirm, der langsam heller wurde und schließlich ein scharfes Bild lieferte.

Drei Männer in weißen Laborkitteln standen inmitten eines riesigen Laboratoriums. Der Raum war ein Dschungel von elektronischen Geräten und Computern, die alle summten und ratterten. Verschiedenfarbige Lichter blitzten auf und verloschen wieder in stetigem Rhythmus. Der Raum wurde beherrscht von einer riesigen, konischen Projektions-Wetterkarte an einer Wand. Ein magerer Mann mit wildem dunklen Haarschopf und slawischen Augen fütterte Daten in den Computer, der die kleinen Lichter auf der Karte aktivierte. Ein zweiter Mann, stämmig und teutonisch, beschäftigte sich mit dem endlosen Lochband, das aus dem größeren Computer glitt. Der dritte Mann, ein kleiner Orientale, eilte zwischen den beiden hin und her und übersetzte wichtige Daten des großen Computers, die in den Computer getippt werden sollten, der die Wetterkarte in Betrieb setzte.

Als Gilas Gesicht auf dem Bildschirm erschien, blickten die drei Männer zwar auf, unterbrachen jedoch nicht ihre Arbeit.

»Operation Roter Wagen war erfolgreich, Dr. Wu«, wandte Gila sich an den kleinen Orientalen.

Dieser nickte befriedigt, und von den anderen beiden Männern kamen begeisterte Ausrufe.

»War es eine gute Show?«, fragte der stämmige Wissenschaftler, als er sich umwandte, um Dr. Wu ein Blatt mit Notizen zu geben.

Gila wollte gerade antworten, aber Rodney kam ihr zuvor. »Fabelhaft! Das hätte Ihnen Spaß gemacht, Dr. Schneider!« 

Das Gesicht des Stämmigen blieb unbewegt. »Um ein Omelett zu machen, muss man Eier zerschlagen.«

Wu drückte seinem Kollegen am Wetterkarten-Computer das Notizblatt in die Hand. »Beeile dich, Krupov! Wir können uns keine Verzögerungen leisten.«

Der Mann mit dem buschigen Haarschopf blickte ihn ärgerlich an. »Du nuschelst schon wieder, Charles.«

Dr. Wu sah aus, als hätte man ihn körperlich geschlagen, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Schneider kam herbei, um den Friedensstifter zu spielen.

»Das Temperament!«, murmelte er zu sich selbst. »Ach, ach, sie sind schlimmer als Opernsänger... Also Serge«, tadelte er Krupov, »es ist wirklich nicht nötig, herumzuschreien.« Er klopfte beruhigend auf Wus schmächtige Schulter. »Was hast du gesagt, Charles?«

»Dass wir uns keine Verzögerungen leisten können.«

Krupov bereute bereits sein Verhalten. »Es tut mir leid, Charles. Ich wollte dich nicht anschreien.«

Wu lächelte versöhnt. »Es ist schon gut, Serge. Vielleicht habe ich wirklich genuschelt. Ich werde immer so aufgeregt vor einem Experiment.«

Schneider lachte. »Nun, dann sind wir uns ja wieder einig - wir drei...«

»Musketiere«, vollendete Krupov.

Der kleine Wu nahm seinen Platz neben einem anderen Fernseh-Monitor bei der elektronischen Wetterkarte ein und beschäftigte sich mit den Drehscheiben. Krupov stellte ein anderes Instrument ein.

»Breite zwei Grad nördlich... länge vier Grad West«, meldete er Schneider, der die Zahlen in den Computer gab, der die elektronische Karte aktivierte. Plötzlich erschien auf der Karte ein kleiner leuchtend weißer Fleck. Einen Augenblick flackerte er unentschlossen, dann tanzte er auf einer der erleuchteten Linien nach Norden. Auf einem Punkt in der Nähe des Nordpols hielt der leuchtende weiße Punkt inne, erzitterte und wurde auf einmal glühend rot.

Die drei Wissenschaftler hatten ihre Augen nun auf den zweiten Fernseh-Monitor gerichtet. Auf dem Bildschirm war ein riesiger Eisberg zu sehen. Als auf der Karte das rote Licht aufflammte, erzitterte der Eisberg wie von einem Erdbeben erschüttert, und dann begann er mit ungeheurer Gewalt zu zerspringen. Mächtige Eisblöcke flogen umher und klatschten ins Wasser.

 

Dieses Ereignis rief große Aufregung in Washington hervor, als die Nachricht davon zum überaus geheimen Nervenzentrum der überaus geheimen Abteilung des allerhöchst-geheimen amerikanischen Geheimdienstes kam. Die Wände dieses Nervenzentrums waren aus poliertem Glas und verziert mit Landkarten der ganzen Welt. Lichter in allen Farben blinkten auf den Karten auf und verloschen wieder. Sie stellten die genaue Position der Truppen, Flugzeuge, Schiffe, Unterseeboote und Raketen eines jeden Landes der Erde dar.

All diese elektronischen Geräte wurden von einem Heer von uniformierten Männern und Frauen bewacht und bedient. Sie eilten von Wand zu Wand, fütterten die hungrigen Computer und sammelten die Ergebnisse von anderen ein. Ein Offizier mit Kopfhörer stürzte zu der Beobachtungsplattform hinüber, wo der Chef des amerikanischen Geheimdienstes einen guten Teil seiner Tage - und Nächte - verbrachte, um die Lage auf der Welt im Auge zu behalten, die sich in den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg auf heimtückische Weise in einen Mammutkernreaktor verwandelt hatte,- der sich selbst in die Luft sprengen konnte, sobald das empfindliche Gleichgewicht seiner Komponenten nur leicht angetastet wurde.

Bruce Cramden sah zehn Jahre älter aus als er war, eine Folge seines Berufs. Mit seinem harten, hageren und sorgenvollen Gesicht war er jedoch immer noch ein gutaussehender Mann - trotz des schweren Gewichts der Verantwortung, die auf seinen Schultern ruhte. Er runzelte die Stirn, als der Offizier ihm die Nachricht übergab. Dann zerknüllte er das Papier heftig in seiner großen Hand, sprang auf und ging auf eine Metalltür zu, die von zwei Soldaten mit Maschinenpistolen bewacht wurde. Als er sich näherte, salutierten die Wachen, und die Metalltür glitt geräuschlos auf. Hinter ihm schloss sie sich ebenso geräuschlos, und Cramden eilte einen Korridor entlang zum Internationalen Informationsraum.

Der Raum war voller ausländischer Diplomaten aller Nationen der Welt sowie hoher Offiziere der U.S.-Armee, Air Force und Marine. Lärmend umringten sie Cramden, der die Hand hob, um sich Ruhe zu verschaffen. Allmählich erstarb das Stimmengewirr zu einem sanften Gesumm.

»Meine Herren«, begann Cramden mit grimmiger Stimme, »das Wetter trotzt weiterhin der Natur sowie unseren besten Wissenschaftlern und Meteorologen. Die Temperatur in der Arktis ist über Nacht um dreizehn Grad gestiegen.«

Der israelische Botschafter rang die Hände. »Weitere fünfzehn Grad, und der Hafen von Haifa wird völlig unter Wasser stehen.« Die arabischen Delegierten hüstelten und verbargen höflich ihr Lächeln.

Cramden seufzte. »New York, San Francisco, jeder Hafen ist in Gefahr.«

Der französische Gesandte schlug verzweifelt seine Faust in die Handfläche seiner anderen Hand. »Wer macht das alles? Und warum? Warum?«

»Es ist das Werk eines Wahnsinnigen«, sagte ein Afrikaner.

Cramden lachte freudlos auf. »Wahnsinnig? Sie mögen wahnsinnig sein, aber sie sind außerdem hochintelligent. Sie haben gelernt, das Wetter der Welt zu beherrschen.«

»Und diese Macht ist größer als alle militärische Macht auf Erden«, bestätigte ein Dreisternegeneral. »Größer als all unsere Kernwaffenmacht. Sie können fruchtbares Weizenland in Wüsten verwandeln und Eisberge in das Mittelmeer schicken. Beherrsche das Wetter und du beherrschst die Welt.«

»Nun, warum sollte irgendwer dies wollen?«, fragte der russische Gesandte harmlos. Er ignorierte die giftigen Blicke einiger westlicher Delegierten, die er sich daraufhin zuzog.

»Aber wer sind sie überhaupt?«, wollte der italienische Gesandte wissen. »Und was wollen sie mit diesem Chaos erreichen? Man sollte doch meinen, dass sie sich mit uns irgendwie in Verbindung setzen würden.«

»Das werden sie auch«, versprach Cramden grimmig. »Wenn sie den Zeitpunkt für gekommen halten.« Er schob sich durch die Menge der Delegierten und trat zu einem Schreibtisch in einer Ecke des Raums. Hinter dem Tisch neben der Bürorohrpost leuchtete ein rotes Licht auf. Cramden entnahm der Röhre einen Behälter und diesem wiederum ein Blatt Papier. Seine Stirnfalten vertieften sich, als er die Mitteilung las.

Endlich blickte er auf. »Die Nordsee ist in den letzten vierundzwanzig Stunden um einen Meter fünfundachtzig gestiegen. Alle Küstengebiete werden evakuiert.«

Diese dramatische Mitteilung betäubte die Delegierten.

Ein stämmiger Deutscher wischte sich mit einem Taschentuch die Stirn. Seine Stimme klang belegt. »Wenn wir ihnen nicht bald Einhalt gebieten, wird es eine zweite Sintflut geben.«

»Kennt irgendjemand einen guten Archenbauer?«, fragte ein anonymer Witzbold. Niemand lachte.

Cramden drückte seinen Zigarettenstummel im Aschenbecher aus. »Wenn wir nur irgendeinen Hinweis hätten, wo sich ihr Hauptquartier befindet...«

»Fangen Sie nur einen ihrer Agenten lebend, und unsere Geheimpolizei wird ihn schon zum Reden bringen, das garantiere ich«, sagte der Russe ärgerlich.

»Wir waren überzeugt, dass wir zwei von ihnen auf dem Pacific Coast Highway umzingelt hätten«, erklärte Cramden, »aber sie haben uns wieder einmal zum Narren gehalten. Wir verloren zwei unserer besten Agenten und eine Menge Militär.«

»Sie verfügen über eine hervorragende Intelligenz«, klagte der israelische Gesandte. »Sie kennen jeden unserer Schritte - fast bevor wir selbst es wissen.«

»Wir müssen die Basis ihrer Unternehmungen herausfinden«, erklärte Cramden eigensinnig. »Aber wie?«

»Wie wäre es mit Ihrem Mann Fünf-sieben-eins?«, fragte der Russe den Engländer.

»Unglücklicherweise ist er unabkömmlich. Internationale Rauschgiftsache, wissen Sie.«

»Sind ein paar Pfund Heroin wichtiger als das Schicksal der ganzen Welt?«, fragte der Italiener verdrossen.

»Meine Herren, meine Herren!« Cramden trat zwischen die beiden Delegierten, tun einen ernsthaften Streit zu unterbinden. »Ich weiß, die Situation greift uns alle an die Nerven, aber wir müssen einen klaren Kopf bewahren.« Er wandte sich an Signor Bironi. »Wir könnten

Fünf-sieben-eins sowieso nicht verwenden, da er zu bekannt ist. Sie haben komplette Akten über die Geheimdienststellen und Agenten eines jeden Landes der Welt... Nein, diese Aufgabe erfordert neues Blut. Wir müssen jemanden von außerhalb der Organisation finden. Ich schlage vor, wir konsultieren unsere Welt-Selektiv-Dienstakten.«

Cramden und die Delegierten gingen den Korridor entlang in einen anderen Raum, wo Reihen von Computern an den Wänden standen, von denen ein jeder die Landesfahne einer souveränen Nation trug. Die Delegierten nahmen ihre Plätze vor den Computern ein und begannen sie mit Hilfe des Technikers, der jeder Maschine zugeteilt war, zu programmieren. Sekunden später spuckten die Computer verklauselte Karten aus, eine für jeden Delegierten.

Der Franzose nahm die Karte auf und las laut vor: »Derek Flint... Mein Land zeichnete ihn mit dem Croix de Guerre aus.«

Cramdens Gesicht lief rot an. »Das ist nicht der geeignete Mann für diese Aufgabe«, erklärte er bissig.

Ein General blickte den Chef des Geheimdienstes nachdenklich an. »Cramden, stand Flint während des Krieges nicht unter Ihrem Kommando?«

»Vergessen Sie ihn. Er fügt sich niemals Befehlen.«

»Aber der Computer...«, protestierte der Franzose.

»Verdammt sei der Computer! Wahrscheinlich haben Sie ihn nicht richtig programmiert.«

Der italienische Delegierte eilte herbei und schwenkte seine Karte. »Derek Flint! Drei Front-Beförderungen in einem Monat!«

»Und unsere Medal of Honor!« erinnerte der General.

Cramden war bleich geworden. »Nein, das steht außer Frage!«

Nun trat der englische Delegierte hinzu. »Hier ist unser Mann. Hervorragender Froschmann. Der Name ist Derek Flint.«

Cramden musste sich größte Mühe geben, seinen Ärger zu beherrschen. »Wir brauchen einen außerordentlich disziplinierten Mann. Flint hat in seinem Leben noch keinem Befehl gehorcht.«

Nun begannen auch die übrigen Delegierten sich um Cramden zu drängen, um die Wahl ihrer Computer mitzuteilen.

»Flint!«

»Flint!«

»Flint!«

Der Name dröhnte in Cramdens Ohren wie ein Fluch. In diesem Augenblick läutete das rote Heißer-Draht-Telefon auf dem Schreibtisch, das die direkte Verbindung zwischen dem Weißen Haus und dem Hauptquartier des Geheimdienstes herstellte. Die Delegierten senkten ihre Stimmen zu einem respektvollen Gemurmel, als Cramden den Hörer aufnahm.

»Ja, Sir. Wie geht es Ihnen, Sir?... Ja, ich weiß, dass es seit zwei Wochen auf Ihrer Ranch schneit... Ja, höchst ungewöhnlich für Texas um diese Jahreszeit...« Das Kinn fiel ihm vor Staunen herab. »Sie wussten, dass wir die Computer programmiert haben, um einen Superagenten zu finden? Aber wie denn, Sir?...« Sein Gesicht wurde lang. »Oh - Sie haben eine Abhöranlage in meinem Büro installiert... Gewiss doch, Sir, das ist Ihr gutes Recht.« Und ironisch setzte er hinzu, »schließlich ist dies hier ja ein freies Land, Sir.« Während er sprach, nahm er einen Aschenbecher auf, drehte ihn um und suchte nach dem verborgenen Mikrophon. Dann untersuchte er einen Briefbeschwerer. »Ja, Sir, ich würde mich über jeden Vorschlag, den Sie haben könnten, freuen.« Plötzlich wurde er kreidebleich, dann feuerrot im Gesicht. Als er den Hörer auflegte, war er ein geschlagener Mann.

»Wie lautete denn der Vorschlag des Präsidenten?«, fragte der General scheinheilig.

Cramdens Stimme war tonlos. »Derek Flint.«

Von den Delegierten kam ein Gemurmel der Zustimmung.

Nicht zufrieden mit dem bloßen Sieg, rieb der General auch noch Salz in die Wunden. »Cramden, Sie haben noch nicht einmal auf die Karte des U.S.-Computers gesehen.« Liebevoll zog er sie aus der Maschine und hielt sie hoch, damit alle sie sehen konnten. »Nun, was sagen Sie dazu...«

Und die Delegierten erwiderten im Chor: »Derek Flint!«

Niedergeschlagen drückte der Chef des amerikanischen Geheimdienstes auf einen Knopf an der Sprechanlage auf seinem Tisch. Minuten später öffnete sich die Metalltür und zwei bewaffnete Wachen begleiteten einen dritten uniformierten Mann mit einem Metallzylinder, der an einer Seite offen war, in den Raum.

Cramden sammelte nun die Karten der Delegierten ein und achtete darauf, dass die Seite mit dem Namen nach unten lag. »Wir können es uns nicht leisten, dass etwas durchsickert«, erklärte er.

Der dritte Mann trat vor und hielt Cramden den Metallbehälter hin, in welchen Cramden die Karten legte. Dann nahm der Mann eine Flasche mit Säure aus seinem Umhang und schraubte den Deckel ab. Geschickt fuhr er mit dem Arm tief in den Behälter hinein. Niemand der Anwesenden konnte den kleinen Haken sehen, den er in seiner Hand hinter der Säureflasche verbarg. Mit der Geschicklichkeit eines Taschenspielers stieß er den Haken durch die Ecke einer der Karten, drückte einen Ellenbogen gegen seine Seite, um eine Feder innen in seinem Jackett in Bewegung zu setzen, und die Karte wurde in seinen Ärmel hochgezogen. Mit der gleichen Bewegung goss er die Säure in den Behälter und setzte diesen auf den Boden. Ein lautes Zischen war zu hören, und aus dem Behälter quoll Rauch. Als der Rauch sich verzogen hatte, nahm der Wachmann

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Jack Pearl/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/123rf.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Susi-Maria Roediger (OT: Our Man Flint), mit freundlicher Genehmigung der Edition Bärenklau.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 16.04.2020
ISBN: 978-3-7487-3630-1

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