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Leseprobe

 

 

 

 

DAY KEENE

 

 

Hochzeitsnacht im

Leichenwagen

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 86

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

HOCHZEITSNACHT IM LEICHENWAGEN 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

Wären Sie bereit für die entführte Ehefrau 50.000 Dollar zu zahlen? Jim Carson ist es. Und die Quittung, die er dafür bekommt: Prügel und eine Menge Ärger. Man bringt Jim ins Gefängnis und legt ihn beinahe um. Dazu ein Wiedersehen mit der Ehefrau, dass man sich wünscht, sie wäre tot!

Wären Sie auch jetzt noch bereit zu zahlen?

Nun, irren ist menschlich. In diesem Fall jedoch – mörderisch...

 

Day Keene (eigentlich Gunard R. Hjertstedt; geboren am 28. März 1904 in Chicago; gestorben am 9. Januar 1969 in Studio City, Los Angeles, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Schriftsteller und Drehbuchautor. Insgesamt veröffentlichte er ungefähr 200 Kurzgeschichten und etwa 50 Romane, zum ganz überwiegenden Teil Detektivgeschichten.

Sein Roman Hochzeitsnacht im Leichenwagen erschien erstmals im Jahr 1959; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1967.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Crime-Noir-Klassikers in seiner Reihe APEX CRIME.

   HOCHZEITSNACHT IM LEICHENWAGEN

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Die Stunde, die er keuchend durch den Regen lief, dehnte sich für ihn zu einer kleinen Ewigkeit. Als endlich die Bundesstraße 101 vor ihm auftauchte, war so viel Zeit verstrichen, seit die beiden jungen Burschen Shannon in ihren Wagen gezerrt hatten, dass Carson halb von Sinnen war vor Sorge.

Er taumelte auf die Mitte der nassen Fahrbahn hinaus, machte dem ersten Wagen, der vorüberrauschte, verzweifelt Zeichen, winkte einem zweiten, einem dritten, einem vierten Wagen... Sekundenlang erschienen die Gesichter der Fahrer, die warm und trocken in ihrer rollenden kleinen Welt saßen, als weiße Schatten vor seinem Blick. Alle machten sie nur einen kleinen Schlenker nach links, gerade genug, um ihn nicht über den Haufen zu fahren, und brausten mit unverminderter Geschwindigkeit weiter.

An der Abzweigung der Nebenstraße, die in die Berge führte, stand eine Tankstelle, die jetzt - mitten in der Nacht - natürlich unbesetzt war. Carson stolperte über die asphaltierte Einfahrt und presste sein Gesicht an das regenfeuchte Glas der Eingangstür. Undeutlich meinte er in dem kleinen Büro ein Telefon zu erkennen. In seiner Verzweiflung schlug er mit einer Holzkiste, die neben dem Cola-Automaten am Eingang stand, die dicke Glasscheibe der Tür ein.

Sein Anruf landete bei Hilfssheriff Yancey vom Landkreis Los Angeles. Genau um drei Uhr fünfundvierzig ließ Yancey seinen Streifenwagen unter dem Schutzdach der Tankstelle ausrollen. Aus gutem Grund verzichtete er darauf, den Polizeifunk zu benutzen. Stattdessen setzte er sich telefonisch mit dem wachhabenden Polizeibeamten in Verbindung.

Sein Bericht ließ an brutaler Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. »Ein dicker Hund. Ich rate Ihnen, schleunigst eine Vermisstenmeldung an alle Polizeireviere loszuschicken. Name der Vermissten: Mrs. James A. Carson. Vorname Shannon. Alter zwanzig Jahre. Ein Meter siebenundfünfzig groß. Augenfarbe blau. Haarfarbe dunkel. Keine besonderen Kennzeichen. Sehr hübsch. Als sie zuletzt gesehen wurde, lag sie nackt im Fond einer alten Limousine. Baujahr, Modell und Zulassungsnummer unbekannt. Gefahren wurde der Wagen von zwei jungen Burschen Anfang Zwanzig, die vermutlich unter der Einwirkung von Rauschgift standen.«

Der wachhabende Beamte erkundigte sich milde, ob Yancey Witze machte.

Yancey wischte sich den Regen vom Gesicht. »Nein, Sir, ich finde diese Geschichte alles andere als witzig.« Er gab Carsons Beschreibung der jungen Burschen weiter und fuhr dann fort: »Der Mann, der die Meldung gemacht hat...«, er las Namen und Adresse vom Führerschein ab, »heißt James A. Carson, Adresse: 450 Palos Verdes Boulevard. Er und seine Frau - sie sind seit zwei Wochen verheiratet - haben südlich von Ventura eine falsche Abzweigung erwischt und sind irgendwie auf der Bundesstraße 118 gelandet statt auf der 101. Sie waren mit einem funkelnagelneuen Wohnwagen auf der Rückfahrt von der Hochzeitsreise. Als sie merkten, dass sie sich verfahren hatten, versuchten sie, über die alte Bergstraße bei Moorpark wieder auf die 101 zu kommen. Da erschienen plötzlich diese beiden Burschen in ihrem alten Wagen, drängten sie von der Straße ab und erzwangen sich Zutritt zum Wohnwagen. Zunächst wollten sie angeblich nur den Regenguss im Trockenen abwarten. Aber dann erleichterten sie Carson um seine Brieftasche und seine Uhr. Außerdem gefiel ihnen die junge Frau. Der eine hielt Carson ein Klappmesser an die Kehle, der andere zog Mrs. Carson aus und verging sich an ihr. Dann löste er seinen Kumpel ab. Ja, Sir. Ganz recht. Beide. Und er musste dabeistehen und Zusehen. Aber damit nicht genug: Als sie mit dem Mädchen fertig waren, beschlossen sie, es mitzunehmen. Bevor sie ihn bewusstlos schlugen, sah Mr. Carson, wie seine Frau, nackt wie sie war und laut schreiend, aus dem Wohnwagen geschleppt wurde.« Yancey legte die Hand über die Sprechmuschel und erkundigte sich bei Carson, ob sein Bericht im Wesentlichen richtig sei.

»Im Wesentlichen«, bestätigte Carson.

»Ja, Sir«, sagte der Hilfssheriff jetzt wieder ins Telefon hinein. »Der Wohnwagen steht noch da oben in den Bergen. Er sagt, dass er seinen Wagen nicht hat loskoppeln können. Er ist zu Fuß bis zur Bundesstraße gegangen. Etwa drei Meilen, glaubt er. Ja, Sir. Wir warten dann also auf die Verstärkung.«

Vor dem Schreibtisch in dem engen Büro der Tankstelle stand ein Drehstuhl. Carson setzte sich und vergrub den Kopf in den Armen. Sein Mund war trocken. Sein Kopf dröhnte. Beim Einschlagen der Tür hatte er sich vorhin an der Hand geschnitten. Ach, das war alles so gleichgültig... Nach dem, was im Wohnwagen geschehen war, ohne dass er es hätte verhindern können, kam er sich so klein und jämmerlich vor, dass er am liebsten in das nächstbeste Mauseloch gekrochen wäre.

War diese Geschichte wirklich passiert - oder war alles nur ein wüster Traum? So etwas passierte einem braven Bürger einfach nicht. Das waren Zeitungsgeschichten, die man mit angenehmen Schauder beim Frühstück las.

Yancey legte den Hörer auf und setzte sich auf die Schreibtischkante. »Ihnen ist ein bisschen flau, was?«

Carson nickte, ohne die Hände vom Gesicht zu nehmen.

Der Polizist ging hinaus und kam mit seinem Erste-Hilfe-Kasten zurück. »Ich will mal Ihre Hand verarzten. Sie tropfen ja mit Ihrem Blut den ganzen Fußboden voll.« Er zögerte einen Augenblick. Dann setzte er hinzu: »Ich weiß, es nützt nichts, wenn ich Ihnen sage, Sie sollen sich um Ihre Frau keine Sorgen machen. Ich an Ihrer Stelle wäre auch halb verrückt vor Angst. Aber die Vermisstenmeldung läuft jetzt, und sämtliche Polizisten in drei Staaten der USA halten nach dem alten Ford Ausschau.«

»Danke«, würgte Carson hervor.

In dem kleinen Raum, in dem es durchdringend nach Öl roch, war es sehr still. Nur der Regen pladderte eintönig auf das Dach, und ab und zu rauschte dumpf ein Wagen vorbei.

Über Carsons verletzte Hand gebeugt, fragte Yancey: »Nun sagen Sie mir bloß, Sie Unglücksrabe, wie Sie überhaupt auf die Bundesstraße 118 gekommen sind. Die Abzweigung zur 101 ist doch deutlich gekennzeichnet. Ich bin diesen Weg tausendmal gefahren.«

»Ich weiß«, sagte Carson.

Er dachte nach. Wie war es eigentlich dazu gekommen? Angefangen hatte der Ärger kurz nach Ventura, als er zum Tanken noch einmal gehalten hatte. Es war spät; sie waren müde; es regnete. Sie wollten gern so schnell wie möglich nach Hause. Während des Tankens hatte es zwischen Shannon und ihm einen kleinen Streit gegeben. Es ging um die Frage, ob die Küstenstraße zwischen Malibu Beach und Santa Monica, die wegen eines Erdrutsches kürzlich gesperrt worden war, schon wieder freigegeben war oder nicht. Shannon glaubte ja. Er glaubte nein. Der Tankwart enthielt sich der Stimme.

Seine Entscheidung hatte er dann gegen Shannons Protest getroffen. Die Hochzeitsreise war zu Ende. Er musste am nächsten Morgen wieder im Büro sein. Außerdem war er ungeübt im Fahren mit einem Wohnwagen. Wenn die Küstenstraße noch blockiert war, riskierte er, sich auf einer Umleitung über die steile Straße durch den Canon quälen zu müssen. Trotzdem beschloss er, die 101 zu nehmen. Shannon sollte auf die Ausfahrt achten. Und als Shannon ihm gesagt hatte, er sollte abbiegen, war er abgebogen.

Das versuchte er jetzt Yancey zu erklären.

»So war das also«, meinte der Hilfssheriff.

»Ich wusste, dass wir uns verfahren hatten, sobald wir in die Nebenstraße eingeschwenkt waren«, sagte Carson.

Er zwang sich nachzudenken. Über den fahlen Feldern und den Olivenhainen auf beiden Seiten der Straße hatte kalt, schwarz und nass die Nacht gelegen. Der plötzliche Szenenwechsel war fast erschreckend. Eben noch waren sie wie ein Tropfen in dem endlosen, schnellfließenden Strom von Wagen und Lastern mitgerissen worden, die in nördlicher und südlicher Richtung über die supermoderne, sechsspurige, von hell erleuchteten Raststätten, Motels und Tankstellen flankierte Autobahn rollten. Im nassen Asphalt spiegelten sich unzählige Scheinwerfer und vielfarbige Neonlichter. Von einer Minute zur anderen aber war um sie nur noch Nacht und Regen. Mit monotonem Ticken fuhr der Scheibenwischer über die Windschutzscheibe.

Den wenigen Schildern, die er bisher gesehen hatte, entnahm er, dass sie auf der Bundesstraße 118 fuhren. Er war mit diesem Übergang ganz zufrieden. Es tat gut, wenigstens für ein paar Meilen aus dem Verkehrsstrom ausbrechen zu können. Die Heizung lief, sie hatten ein Fenster einen Spalt breit offen, damit die Windschutzscheibe nicht beschlug, und es war warm und gemütlich im Wagen. So albern es sich anhörte: Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, wirklich mit Shannon allein zu sein. Sie waren seit vierzehn Tagen verheiratet. Sie waren einander so nahe gewesen, wie nur Mann und Frau sich nahe sein können - aber immer noch war es schön und aufregend, dass er nur die Hand auszustrecken brauchte, um sie neben sich zu fühlen, um zu wissen, dass sie ihm gehörte.

Yancey stäubte Schwefelpuder über die Schnittwunde. »Sie wussten, dass Sie sich verfahren hatten? Trotzdem sind Sie weitergefahren, statt sofort umzukehren. Warum eigentlich?«

Carson fuhr sich mit der unverletzten Hand über die Lippen. Es war schwierig zu erklären. Er erinnerte sich, dass er beim Fahren leise vor sich hin gepfiffen hatte. Wenn dieser verflixte Wohnwagen, den er gar nicht hatte haben wollen, nicht gewesen wäre, hätte er vollkommen glücklich sein können. Der Wohnwagen aber brachte ihn zur Verzweiflung. Er lauerte hinter dem Auto wie ein nur halb gezähmtes Raubtier, dass sich jeden Augenblick selbständig machen und Tod und Verderben mit sich bringen konnte.

Das Herumzigeunern in so einem rollenden Haus war entschieden nicht das richtige für ihn. Er war ein Stadtmensch, der am liebsten Straßenpflaster unter den Schuhsohlen spürte, eine kleine Familie als Mittelpunkt seines Daseins betrachtete und die Vorzüge solider Wände zwischen sich und den Nachbarn zu schätzen wusste. Trotzdem wäre gegen eine Hochzeitsreise per Wohnwagen gar nichts einzuwenden gewesen, wenn sie sich nur irgendwo an einem einsamen, idyllischen Fleckchen Erde hätten häuslich niederlassen können. Wie sich aber herausstellte, durften sie ihren Wohnwagen nur auf Campingplätzen abstellen, auf denen ein Wagen am andern stand, so dass auch die intimsten Lebensäußerungen niemandem verborgen blieben.

Hinterher konnte er zwar darüber lachen. Aber dort auf dem Campingplatz schwebten er und Shannon ständig in tödlicher Verlegenheit, weil sie meinten, sämtliche Nachbarn müssten hören, wie ihre Matratzen knarrten, oder sehen, wie ihr Wohnwagen schwankte. Wenn sie sich von einem dieser Schrecknisse gerade erholt hatten, klopfte bestimmt eine Nachbarin an und lud sie zu einem gemeinsamen Essen am Lagerfeuer ein, oder einer der Männer kam und wollte ihn zum Angeln oder irgendeinem albernen Gesellschaftsspiel schleifen; oder eine Bande kleiner altkluger Ungeheuer rottete sich vor ihrem Flitterwochenwohnwagen zusammen und machte höchst eindeutige Bemerkungen. Das typische Wohnwagenvolk besaß einen gesunden Herdeninstinkt. Die guten Leutchen schienen überhaupt nicht zu begreifen, dass einer gelegentlich gern für sich allein bleiben wollte.

Trotzdem, dachte Carson mit einem abgrundtiefen Seufzer, war es eine herrliche Zeit gewesen. Seine kleine, sanfte, scheue Shannon war nach der Hochzeit wie umgewandelt. Sie nahm ihre Pflichten als Ehefrau sehr ernst. Er hörte noch ihre Stimme: »Wenn manche Frauen die Zeit, die sie in der Küche verwirtschaften, mit ihren Männern im Bett verbrächten, gäbe es weniger zerrüttete Familien und zerbrochene Ehen. Wer die dumme Redensart erfunden hat von der Liebe, die durch den Magen geht, war anscheinend nie verheiratet.«

Bis zu den schrecklichen Stunden in den Bergen waren es trotz aller Tücken und Ärgernisse des Wohnwagenlebens die glücklichsten zwei Wochen seines Lebens gewesen. Und er hatte nichts anderes erwartet, als dass dieses Glück nun immer und ewig dauerte. Und jetzt...

Der Hilfssheriff versuchte es geduldig noch einmal.

»Ich weiß, dass Sie ein ekelhaftes Erlebnis hinter sich haben.

Aber jetzt möchte ich doch gern eins von Ihnen wissen: Sie sagten, Sie wussten, dass Sie sich verfahren hatten. Trotzdem brausten Sie immer geradeaus weiter. Warum?«

»So ganz genau weiß ich das selbst nicht«, antwortete Carson. »Ich fuhr zum ersten Mal mit einem Wohnwagen. Wendemanöver mit so einem Vehikel waren mir unheimlich. Und außerdem wollte ich meine Frau nicht merken lassen, dass sie mich falsch dirigiert hatte, weil sie sich dann geärgert hätte.«

»Wie weit sind Sie auf der Bundesstraße 118 gefahren?«

»Bis eine Meile hinter Moorpark. Ich entsinne mich an das Schild: Moorpark: 1 Meile. Und darunter: Zur 101: 10 Meilen. Und ein Pfeil zeigte auf die Kreuzung.«

»Ich kenne die Ecke. Was dann?«

»Wir hielten an und besprachen die Sache. Ich wollte umdrehen und zurückfahren, ich hatte nämlich Angst, die Abzweigung zu verfehlen und in den Bergen die Richtung zu verlieren. Aber Shannon sah sich die Karte an und meinte, es wäre ausgemachter Blödsinn, die achtzehn Meilen bis Ventura zurückzukutschieren, wenn wir doch nach zehn Meilen wieder auf die 101 stoßen würden.«

»Und da sind Sie über die alte Bergstraße gefahren?«

»Ja.«

Es war kühl in dem kleinen Raum, denn der Wind heulte durch die offene Tür. Trotzdem brach Carson der Schweiß aus, als er an die dann folgenden Stunden dachte. Er ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen. In Iwoshima war er als einer der ersten an Land gegangen. Er hatte sich mit eiserner Energie vom einfachen Ölarbeiter bis zum Hauptkassierer der El Segundo Oil Rig & Drilling Company hochgearbeitet. Aber diese Bergstraße war tatsächlich dazu angetan gewesen, ihn das Fürchten zu lehren.

Der Regen hatte sich noch verstärkt. Durch die Regenschleier sah er nur ab und zu undeutlich ein Stück Fahrbahn. Knapp eine Meile nach der Abzweigung begann die Straße zu steigen. Nach drei Meilen war sie ein ausgewachsener Alptraum, der nur noch aus Haarnadelkurven, wassergefüllten Schlaglöchern und steilem Gefälle zu bestehen schien. Beim

Abwärtsfahren wagte er nicht zu bremsen, aus Angst, dass der schwere Wohnwagen das Auto wie eine Lawine rammte. Beim Bergauffahren schleppte der starke Motor seines Wagens den Anhänger nur mit Mühe und Not.

Doch bald danach hatte er andere Sorgen.

»Aus welcher Richtung kamen die Burschen eigentlich?«, fragte Yancey.

»Keine Ahnung. Als ich wieder mal in den Rückspiegel sah, waren sie plötzlich da.«

»Das Fabrikat oder Baujahr des Wagens konnten Sie nicht erkennen?«

»Nein. Zuerst sah ich nur die Scheinwerfer hinter uns. Immer, wenn ich langsamer wurde, fielen sie auch zurück, und wenn ich mehr Gas gab, holten sie auf. Sie gingen uns nicht von der Pelle.«

Absichtlich hatte er Shannon nichts davon gesagt. Er wollte sie nicht unnötig ängstigen. Manchmal war es entschieden unvorteilhaft, eine junge und begehrenswerte Frau zu sein. Gerade am Morgen hatte er noch von einem solchen Fall gelesen. Fünf junge Schläger hatten eine Siebzehnjährige und ihren nur wenig älteren Begleiter in einen Wagen gezerrt, waren an eine abgelegene Stelle in den Bergen von Hollywood gefahren und hatten sich an dem Mädchen vergangen, während einer der Burschen ihrem Begleiter ein Messer an die Kehle hielt.

Der Hilfssheriff fragte: »Kam Ihnen der Wagen von Anfang an nicht geheuer vor?«

»Ja und nein...«

»Was soll das heißen?«

Carson erklärte: »Zuerst versuchte ich mir einzureden, dass es sich um einen Betrunkenen handeln musste, der es einfach nicht schaffte, an dem Wohnwagen vorbeizukommen. Oder um ein Liebespaar, das mehr Sinn für Zärtlichkeiten als für das Tempo seines Wagens hatte. Aber ich glaube, im Innern wusste ich sofort, was uns bevorstand.«

Er legte die verbundene Hand an die Lippen und merkte, dass sie zitterte. Es war eine Gemeinheit, dass ein unbescholtener Bürger in eine solche Lage geraten konnte. Jeder junge

Nichtsnutz, der ein paar Dollar in der Tasche hatte, konnte sich über den Versandhandel einen Revolver beschaffen oder ein Klappmesser mit sich herumtragen. Aber ein braver Bürger, der sich an die Gesetz*' hielt, wurde für diese Dummheit noch bestraft. Nicht einmal zum Selbstschutz sollte man eine Waffe tragen. Holt die Polizei zu Hilfe, hieß es immer. Woher denn um zwei Uhr morgens? Besonders ärgerlich war in seinem Falle, dass er als Hauptkassierer der El Segundo Oil Company zum Besitz eines Revolvers berechtigt war, den er aber nur bei sich tragen durfte, wenn er Gehälter auslieferte oder Geld zur Bank brachte.

Yancey klappte seinen Verbandskasten zu. »Wie lange ist der Wagen hinter Ihnen gefahren?«

»Vielleicht drei Meilen«, sagte Carson. »An einer ausnahmsweise ebenen Stelle gab der Bursche Gas und zog an mir vorbei wie eine Rakete.«

Der Hilfssheriff war aufgestanden, um den Verbandskasten wieder im Streifenwagen zu verstauen. Jetzt blieb er auf der Schwelle des kleinen Büros stehen und fragte: »Er schoss an Ihnen vorbei? Ich denke, er hat Sie von der Straße gedrängt?«

»Das war, nachdem ich das Umleitungsschild gesehen hatte.« erklärte Carson.

Yancey lehnte sich an den Türpfosten. »Wo war das?«

»Auf der Anhöhe, wo man auf die Autobahn heruntersehen kann. Als ich um die Kurve bog, erkannte ich im strömenden Regen die Scheinwerfer der Wagen, die auf der 101 vorbeiflitzten. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Aber plötzlich stand da dieses Schild: Brücke gesperrt. Umleitung zur 101. Was blieb mir übrig, als dem Umleitungsschild zu folgen? Später hab’ ich natürlich begriffen, dass es eine Falle war. Da war gar kein richtiger Weg, nur so eine Art Trampelpfad, und nach dreißig Metern war er zu Ende. Ich stieg aus. Hinter uns stand der Wagen, der uns verfolgt und uns gerade erst überholt hatte. Er versperrte den Weg zurück.«

Carson wurde noch in der Erinnerung das Atmen schwer. Mühsam fuhr er fort: »Die beiden Burschen stiegen aus und kamen auf uns zu. Sie waren beide nicht älter als achtzehn, trugen hautenge Blue Jeans, weiße Nickis und schwarze Lederjacken mit der Aufschrift Egyptian Dragons auf dem Rücken.«

»Weiter.«

»Natürlich bekam ich es jetzt mit der Angst zu tun. Nicht um mich, aber um meine Frau. Ich fragte sie, was sie wollten. Geld wollten sie, meinte der eine lakonisch und setzte mir die Spitze eines Klappmessers auf den Leib, damit ich es auch kapierte.«

»Und dann?«

»Ich versetzte ihm einen Kinnhaken, er fiel hin, und ich versuchte ihm das Messer aus der Hand zu schlagen. Ich rief Shannon zu, sie sollte das Fenster hochkurbeln und die Türen abschließen. Aber da hatte der andere Bursche sie schon aus dem Wagen gezerrt. Wenn sie nicht wollte, dass sie mir sämtliche Knochen zerschlügen, sollte sie die Wohnwagentür aufschließen und einsteigen, sagte er.«

»Und das hat sie getan?«

»Ja.«

»Weiter.«

»Der eine Bursche knipste die Wohnwagenbeleuchtung an und verlangte meine Brieftasche. Er nahm das Geld heraus, etwa vierzig Dollar, und meinte, das hätte sich ja kaum gelohnt.« Carson musste tief Atem holen, bevor er weiterreden konnte. »Dann sagte der andere, die Puppe sähe gar nicht übel aus. Er schob seine Hand in Shannons Ausschnitt und meinte, wenn schon nur so wenige Mäuse herausgesprungen wären, könnten sie sich wenigstens noch ein bisschen an ihr schadlos halten. Shannon fing an zu weinen und sagte, wir wären auf der Hochzeitsreise, und sie sollten sie doch bitte in Ruhe lassen. Das machte ihn nur noch wilder.«

Yancey stand noch immer auf der Schwelle. Er sah Carson nicht an. »Und was haben Sie gemacht?«

»Ich sah zu. Mit einem Messer an der Kehle.«

»Sie haben nicht einmal versucht einzugreifen?«

»Ich konnte doch nicht...«

»Warum nicht?«

Carson versuchte zu rekonstruieren, was ihm in diesen schrecklichen Minuten durch den Kopf gegangen war. Es war nicht Feigheit, die ihn zurückgehalten hatte. Er wäre lieber gestorben, als mit anzusehen, was Shannon angetan wurde. Seiner Shannon, der er erst vor zwei Wochen geschworen hatte, sie zu lieben und zu ehren, in Treue und Zärtlichkeit zu ihr zu halten und sie in jeglicher Not und Gefahr zu beschützen. Aber sein Tod hätte Shannon nichts erspart. Hätten sie dann nicht auch sie - als gefährliche Zeugin - umgebracht?

So war es nur Raub und Vergewaltigung - schlimm genug. Die modernen Kriminellen dieses Schlages waren schlau. Sie wussten: Wenn man sie erwischte und vor Gericht stellte, fand sich sicherlich eine Schar tränenseliger Frauenvereinlerinnen, die ein paar Krokodilstränen über diese Jugend vergießen und diverse Seelenärzte bemühen würde, um zu beweisen, dass die armen Jungen in ihrer Kindheit einen Schock erlebt hatten. Selbst bei einem Mord kamen diese Teenager verhältnismäßig ungeschoren davon. Das wussten seine beiden Angreifer ganz genau, und sie verhielten sich entsprechend.

Carson fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Tatsache war, dass die Kerle Shannon mitgenommen hatten. Seine Logik hatte also Schiffbruch erlitten. In den sich endlos dehnenden Minuten, das Messer an der Kehle, als er hilflos mit ansehen musste, wie die Burschen sich an Shannon vergingen, hatte er sich geschworen, dass er dieses Schreckliche an ihr irgendwie wiedergutmachen würde. Er würde die beiden Kerle aufspüren und sie mit bloßen Händen erwürgen.

»Warum also?«

»Es ist ziemlich kompliziert«, sagte Carson.

Die Sirenen der heranbrausenden Streifenwagen wurden lauter. Als sie die Tankstelle erreicht hatten, hörte der Regen plötzlich auf. An Stelle des gleichmäßigen Rauschens erfüllten neue Geräusche die Nacht. Bremsen kreischten, Reifen rutschten auf dem glitschigen Asphalt. Wagentüren wurden zugeschlagen. Ein halbes Dutzend Scheinwerfer und rote Blinklichter stachen durch die Dunkelheit. Große, breitschultrige Männer in Uniform mit Gummistiefeln und Regenumhängen entstiegen den Wagen.

Viele Schritte kamen die Asphaltauffahrt der Tankstelle hinauf. Eine Stimme - sie gehörte Lieutenant Phillips - fragte: »Wo steckt denn der Mann, dessen Frau vergewaltigt wurde?«

Noch nie war sich Carson so sehr wie eine absolute Null vorgekommen.

Ob Shannon überhaupt noch lebte?

Und er wünschte sich selbst nichts sehnlicher als den Tod.

  Zweites Kapitel

 

 

Der Regen hatte nur vorübergehend nachgelassen. Als die Kavalkade der Streifenwagen die Abzweigung erreicht hatte, schüttete es schon wieder. Zu Carsons Erleichterung hatte er nicht wieder den Wohnwagen zu betreten brauchen, wo die Techniker und Polizeifotografen mit dem Sichern von Fingerabdrücken, mit Blitzlichtaufnahmen und der Suche nach Beweisstücken beschäftigt waren. Er saß im Fond eines Streifenwagens, und Hilfssheriff Guedell tippte auf einer Reiseschreibmaschine das offizielle Protokoll.

Carson wiederholte, was er schon Hilfssheriff Yancey erzählt hatte, und fuhr dann fort: »Als der zweite Bursche von Shannon abgelassen hatte, dachte ich schon, sie würden verschwinden. Aber dann beschlossen sie plötzlich, meine Frau mitzunehmen.«

»Warum?«, fragte Lieutenant Phillips.

Carson starrte aus dem Fenster, über das der Regen in dicken Tropfen rann. Starke Scheinwerfer erleuchteten die

Abzweigung taghell. Die Lichtung wimmelte von Polizisten in weißglänzenden Regenumhängen. Aus den Lautsprechern der Funksprechgeräte kam ein ständiges Knistern und Rauschen, vermischt mit kaum verständlichen Anweisungen. Wagen 42 wurde an eine bestimmte Stelle beordert. Wagen 38 sollte seine Nebenstelle anrufen, Wagen 22 ein Auto mit zwei jungen Burschen und einem Mädchen anhalten, der auf der Pacific Highway gerade Hermosa Beach passiert hatte.

Jetzt ließ die Polizei die Puppen tanzen. Jetzt - da es zu spät war.

»Ich hab’ Sie was gefragt«, sagte Phillips.

»Ich weiß nicht«, antwortete Carson.

»Weinte Ihre Frau noch?«

»Ja.«

»Durfte sie sich anziehen?«

»Nein.«

»Was haben Sie getan, als die Burschen Anstalten machten, Ihre Frau aus dem Wohnwagen zu zerren?«

»Ich hab’ den Kerl, der mir das Messer an die Kehle hielt, mit irgendwas geschlagen.« Carson fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Ich glaube, es war die Kaffeekanne.«

»Und was geschah dann?«

»Beide stürzten sich auf mich und schlugen mich mit selbstgemachten Totschlägern halb besinnungslos.«

»Woher wollen Sie wissen, dass sie selbstgemacht waren?«

»Ich weiß nur, dass ich dachte, die Dinger sehen ja nach Heimarbeit aus! Als wenn sie Lederstücke in Form geschnitten und mit Sand gefüllt hätten.«

»Weiter.«

Carson schluckte an dem Klumpen in seiner Kehle. Und wenn er hundert Jahre alt wurde - nie konnte er vergessen, wie er in einem Wirbel kräftiger Fäuste und sausender Totschläger dort auf dem Boden des Wohnwagens lag. Über sich sah er Shannons schlanke Beine, ihr angstvolles Gesicht. Sie hatte sich über ihn geworfen und versucht, ihn vor den brutalen Schlägen zu schützen.

»Shannon flehte die beiden an, mich nicht umzubringen«, sagte er. »Da ließen sie von mir ab und zerrten meine Frau aus dem Wohnwagen. Ich kroch ihnen auf Händen und Füßen nach und sah, wie der eine sie roh in den alten Wagen stieß. Weil ich mich mühsam aufrappelte, kamen sie zurück und schlugen auf mich ein, bis ich das Bewusstsein verlor. Als ich zu mir kam, lag ich draußen im Regen. Allein.«

»Und Sie sagen, das passierte gegen zwei Uhr früh.«

»So ungefähr.«

»Wie lange waren Sie besinnungslos?«

»Das weiß ich nicht. Nach der Uhr im Büro der Tankstelle war es genau drei Uhr fünfundvierzig, als der Hilfssheriff mit seinem Streifenwagen anrollte.«

Guedell hörte auf zu tippen. »Ein enormer Vorsprung. Inzwischen können die Burschen schon in San Diego sein«, bemerkte er.

»Möglich«, antwortete Lieutenant Phillips trocken. »Aber ich verstehe noch immer nicht ganz, warum sie Mrs. Carson mitgeschleppt haben. Diese rabiaten Teenager lassen es im allgemeinen bei der Vergewaltigung bewenden und machen dann, dass sie davonkommen.« Er sah Carson an. »Sie sagen, dass beide Mrs. Carson in dem Wohnwagen missbraucht haben?«

»Ja.«

»Und Sie haben also nicht einmal versucht, sich zur Wehr zu setzen«, meinte Phillips ein wenig ungläubig. »Erst als sie Ihre Frau mitnehmen wollten, haben Sie sich gerührt. .«

»Ja.«

»Weil Sie befürchteten, auch Ihre Frau könnte ums Leben kommen, wenn Sie bei einem Kampf mit den beiden Schlägern getötet würden.«

»Das ist richtig«, bestätigte Carson tonlos.

Phillips wiederholte, was Yancey vorhin am Telefon gesagt hatte: »Das ist wirklich ein dicker Hund.« Er fixierte Carson scharf, als er hinzufügte: »Dass die Reporter Ihnen nicht gerade eine gute Presse geben werden, können Sie sich ja wohl vorstellen...«

»Was die Zeitungsfritzen sagen, ist mir völlig egal«, fuhr Carson auf. »Ich habe das getan, was meiner Meinung nach für meine Frau das Beste war. Glauben Sie ja nicht, dass es so einfach war, tatenlos zuzusehen.«

Lieutenant Phillips sah ihn unentwegt an. »Das kann ich mir vorstellen. Wie alt sind Sie, Mr. Carson?«

»Sechsunddreißig.«

»Waren Sie beim Militär?«

»Das ist lange her.«

»Beantworten Sie meine Frage.«

»Ja, ich war beim Militär.«

»Wo haben Sie gedient?«

»Bei der Marine. Und wenn Sie denken, ich hätte Angst vor ihren Messern gehabt, irren Sie sich gewaltig. Ich bin nicht feige. Wenn Sie mir nicht glauben, kann ich Ihnen gern die Narbe von einem japanischen Bajonett zeigen und die Auszeichnung, die man mir dafür gegeben hat.«

Lieutenant Phillips, ein älterer Beamter mit grauem Haar und ruhiger Stimme, sagte besänftigend: »Von Feigheit ist ja keine Rede, Mr. Carson. Sie hatten eine schwere Entscheidung zu treffen. Sie sagen, die beiden jungen Burschen standen nach Ihrem Eindruck unter dem Einfluss von Rauschgift?«

»Ja.«

»Wie kommen Sie darauf?«

Carson zuckte die Schultern. »Ich bin ja kein Fachmann, aber man liest doch so einiges. Ich würde sagen, dass sich die beiden mit Marihuana

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Day Keene/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Pixabay.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: N. N. und Christian Dörge (OT: So Dead My Lovely).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 14.04.2020
ISBN: 978-3-7487-3607-3

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