Cover

Leseprobe

 

 

 

 

ADRIAN DOYLE

&

TIMOTHY STAHL

 

 

BLUTVOLK, Band 24:

Sterben in Rom

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Die Autoren 

 

Was bisher geschah... 

 

STERBEN IN ROM 

 

Vorschau auf BLUTVOLK, Band 25: DAS VERLORENE ICH 

von ADRIAN DOYLE und TIMOTHY STAHL 

 

Glossar 

 

Das Buch

Er war der Mächtigste der Alten Rasse. Sein Name war Le-gende, und selbst die Seinen fürchteten den einstigen Hü-ter des Lilienkelches: Landru.

Sie war seine größte Feindin und Geißel der vampirischen Rasse. Ihr Name war den Blutsaugern verhasst. Wo sie auch hinkam, reiste der Tod in ihrem Gefolge: Lilith Eden.

Doch dies scheint unwiederbringlich vorüber zu sein. Denn weder Landru noch Lilith erinnern sich seit der Flucht aus der Hölle dieser Zeiten. Sie wissen nicht mehr, wer sie sind!

Und so machen sich die einstigen Todfeinde auf und suchen gemeinsam einen Weg in die Zukunft. Er führt sie nach Rom, wo sich ihnen neben unbekannten Gefahren vor allem eine drängende Frage stellt: Wie ist ihr ganz besonderer Durst zu löschen, den nicht Wasser noch Wein zu stillen vermö-gen? Denn wenn es ihnen nicht gelingt, droht ihnen ein grausamer Tod...

 

BLUTVOLK – die Vampir-Horror-Serie von Adrian Doyle und Timothy Stahl: jetzt exklusiv als E-Books im Apex-Verlag.

Die Autoren

 

Manfred Weinland, Jahrgang 1960.

Adrian Doyle ist das Pseudonym des deutschen Schriftstellers, Übersetzers und Lektors Manfred Weinland.

Weinland veröffentlichte seit 1977 rund 300 Titel in den Genres Horror, Science Fiction, Fantasy, Krimi und anderen. Seine diesbezügliche Laufbahn begann er bereits im Alter von 14 Jahren mit Veröffentlichungen in diversen Fanzines. Seine erste semi-professionelle Veröffentlichung war eine SF-Story in der von Perry-Rhodan-Autor William Voltz herausgegebenen Anthologie Das zweite Ich.

Über die Roman-Agentur Grasmück fing er Ende der 1970er Jahre an, bei verschiedenen Heftroman-Reihen und -Serien der Verlage Zauberkreis, Bastei und Pabel-Moewig mitzuwirken. Neben Romanen für Perry-Rhodan-Taschenbuch und Jerry Cotton schrieb er u. a. für Gespenster-Krimi, Damona King, Vampir-Horror-Roman, Dämonen-Land, Dino-Land, Mitternachts-Roman, Irrlicht, Professor Zamorra, Maddrax, Mission Mars und 2012.

Für den Bastei-Verlag hat er außerdem zwei umfangreiche Serien entwickelt, diese als Exposé-Autor betreut und über weite Strecken auch allein verfasst: Bad Earth und Vampira.

Weinland arbeitet außerdem als Übersetzer und Lektor, u. a. für diverse deutschsprachige Romane zu Star Wars sowie für Roman-Adaptionen von Computerspielen.

Aktuell schreibt er – neben Maddrax – auch an der bei Bastei-Lübbe erscheinenden Serie Professor Zamorra mit.

 

 

Timothy Stahl, Jahrgang 1964.

Timothy Stahl ist ein deutschsprachiger Schriftsteller und Übersetzer. Geboren in den USA, wuchs er in Deutschland auf, wo er hauptberuflich als Redakteur für Tageszeitungen sowie als Chefredakteur eines Wochenmagazins und einer Szene-Zeitschrift für junge Leser tätig war.

In den 1980ern erfolgten seine ersten Veröffentlichungen im semi-professionellen Bereich, thematisch alle im fantastischen Genre angesiedelt, das es ihm bis heute sehr angetan hat. 1990 erschien seine erste professionelle – sprich: bezahlte - Arbeit in der Reihe Gaslicht. Es folgten in den weiteren Jahren viele Romane für Heftserien und -reihen, darunter Jerry Cotton, Trucker-King, Mitternachts-Roman, Perry Rhodan, Maddrax, Horror-Factory, Jack Slade, Cotton Reloaded, Professor Zamorra, John Sinclair u. a.

Besonders gern blickt er zurück auf die Mitarbeit an der legendären Serie Vampira, die später im Hardcover-Format unter dem Titel Das Volk der Nacht fortgesetzt wurde, und seine eigene sechsbändige Mystery-Serie Wölfe, mit der er 2003 zu den Gewinnern im crossmedialen Autorenwettbewerb des Bastei-Verlags gehörte.

In die Vereinigten Staaten kehrte er 1999 zurück, seitdem ist das Schreiben von Spannungsromanen sein Hauptberuf; außerdem ist er in vielen Bereichen ein gefragter Übersetzer. Mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen lebt er in Las Vegas, Nevada.

  Was bisher geschah...

 

 

Lilith Edens Bestimmung

Lilith, Tochter eines Menschen und einer Vampirin, wurde von der Urmutter aller Vampire benutzt, um deren Versöhnung mit Gott in die Wege zu leiten. Als sie ihre Aufgabe erfüllt hatte und der Fluch von der Ur-Lilith genommen wurde, sandte Gott eine Seuche auf die Erde, die alle Sippenoberhäupter infizierte. Von dort sprang sie auf die Vampire und Dienerkreaturen über, die starben, als sie ihren Blutdurst nicht mehr löschen konnten. Lilith erhielt den Auftrag, die verbleibenden Oberhäupter zu töten.

 

Das Kind

Gabriel, eine Inkarnation Satans, wurde geboren, als sich durch das Sterben der Vampire das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse auf der Erde verschob. Erst war sich der Knabe, der rasch heranwuchs, seiner Identität nicht bewusst, doch schließlich erkannte er seine Aufgabe: ein Tor zur Hölle zu öffnen, das von der Bruderschaft der Illuminati vor den Toren Roms im Kloster Monte Cargano bewacht wurde. Letztlich scheiterte das Vorhaben.

 

Die Natur der Hölle

Die Dimension, die wir Menschen »Hölle« nennen, entstand durch den Fall des Engels Luzifer. Die Engel wurden von Gott in einer Sphäre neben der Erde zurückgelassen. Sie sollten über die Menschen wachen, doch Luzifer sah sich wegen der menschlichen Grausamkeit dazu nicht imstande und reagierte mit Zorn und Herrschsucht. Als er von den anderen Engeln in eine weitere, »abgeschlossene« Dimension (die Hölle) verbannt werden sollte, gelang es ihm, auch deren Sphäre zu versiegeln. Allein an der Stelle des Übergangs in die Verbannung blieb ein Riss zurück, der von beiden Sphären in die Menschenwelt führte: das Tor! Der Erzengel Michael (Salvat) übernahm es, das Tor zu sichern, damit Luzifer nicht zu den Menschen gelangen konnte. Trotzdem gelang dies dem gefallenen Engel, indem er als Inkarnationen auf der Erde wiedergeboren wurde. Diese Inkarnationen (Gabriel ist eine davon) haben jedoch nur wenig Macht und dienten dazu, das Böse auf der Welt zu schüren, mit dem Endziel, das Tor wieder aufzustoßen.

 

Lilith und Landru

Während der Vorgänge im Monte Cargano gerieten Lilith und ihr Erzfeind Landru kurzzeitig in die Hölle. Dabei wurde ihrer beider Persönlichkeit gelöscht. Während Salvat in einer verzweifelten Aktion durch die Entfesselung magischer Energien den Klosterberg sprengte und das Tor somit versiegelte, konnten Lilith und Landru in ein nahes Dorf entkommen. Sie wissen nichts mehr über ihr früheres Leben; nicht einmal, dass sie Vampire sind!

 

Weitere Personen

 

• Hidden Moon: Der indianische Vampir war einige Zeit Liliths Begleiter. Er konnte durch den Kontakt mit seinem Totemtier – einem Adler – das Gute in sich bewahren. Als Lilith den Adler tötete, ging diese Fähigkeit auf sie über. Ohne Lilith verfiel Hidden Moon dem Bösen und verbündete sich mit Gabriel, als dessen Vorhaben, das Tor zu öffnen, scheiterte.

• Beth MacKinsay: Lilith tötete ihre frühere Gefährtin unter dem Einfluss des Lilienkelchs, des Unheiligtums der Vampire. Als Gott der Ur-Lilith vergab, wurde Beth' Seele in die Vergangenheit geschleudert, wo sie sich ohne jede Erinnerung als »Zeitvampir« manifestierte. Beth kann die Lebenskraft der Menschen »stehlen« und ist dadurch praktisch unsterblich.

• Nona: Landrus einstige Geliebte, eine Werwölfin, sucht ihn seit dem Ausbruch der Seuche. Dabei hilft ihr Chiyoda, ihr Mentor.

STERBEN IN ROM

 

 

 

  Als das unheimliche Anhalterpaar endlich aus seinem alten Transporter stieg, fühlte Umberto Zanardi sich in einem Maße erleichtert, als wäre ihm eine wirkliche körperliche Last abgenommen worden. Augenblicklich aber trat etwas anderes an deren Stelle – ein seltsam irreales Gefühl von... Schuld. Als hätte er gerade eine hochgiftige Fracht an den Gestaden Roms abgeladen...

Der absurde Gedanke plagte ihn nur für eine Sekunde, aber so heftig, als würde ihm eine glühende Nadel ins Gehirn gestoßen! Wie im Reflex dieses Schmerzes senkte Umberto Zanardi den Fuß aufs Gaspedal.

Überhastet ließ er die Kupplung kommen. In einem regelrechten Bocksprung löste sich das klapprige Gefährt vom Straßenrand und schlingerte halbwegs in die Fahrspur. Zwei, drei andere Verkehrsteilnehmer quittierten wütend Zanardis wildes Manöver. Irgendwie brachten sie das typisch italienische Kunststück fertig, ihm fluchend und mit beiden Händen gestenreich zu drohen und gleichzeitig ihre Fahrzeuge auf Kurs zu halten sowie zu hupen und die Scheinwerfer aufzublenden.

Umberto Zanardi registrierte es kaum. Der Fahrtwind kühlte ihm den Schweiß auf der Stirn; mit dem Unterarm wischte er ihn schließlich fort, als er es endlich wagte, die zitternde Linke vom Lenkrad zu lösen.

Er hatte schon oft Anhalter mitgenommen, im Grunde fast jedes Mal, wenn er mit seinem Transporter die Dörfer im Umkreis von Rom abklapperte, um Obst und Gemüse von den dortigen Gehöften abzuholen, das er dann an Geschäfte in der Stadt lieferte. Aber nie zuvor war ihm ein solch eigenartiges Paar untergekommen.

Dabei hatten die beiden eigentlich überhaupt nichts getan; jedenfalls nichts, was sein Misstrauen oder gar seinen Argwohn hätte begründen können, geschweige denn diese unterschwellige Furcht, die wie etwas Kaltes und Zähflüssiges dicht unterhalb seiner Haut dahinkroch.

Sowohl der Mann als auch die Frau hatten nur starr auf der Beifahrerbank gesessen und – geschwiegen.

Aber es war ein besonderes Schweigen gewesen! entsann sich Zanardi, und die Stimme seiner Gedanken war so heftig, als müsste er sich verteidigen gegen Vorwürfe, die ihm der rationale Teil seines Denkens machte. Die Besonderheit dieses Schweigens konkret in Worte zu kleiden fiel ihm allerdings schwer ob seines seit jeher eher schlichten Wesens.

Dieses Schweigen, überlegte er fast krampfhaft, und wieder trat kalter Schweiß auf sein Gesicht, war ihm wie etwas Greifbares vorgekommen. Es hatte die Fahrerkabine seines Wagens ausgefüllt wie eine Wolke, spürbar kalt, und es hatte die Luft verändert, so dass es ihm schwergefallen war, sie zu atmen.

Fast war es, dachte Umberto Zanardi, als wäre dieses Schweigen ein weiterer Fahrgast gewesen – unsichtbar, aber nicht zu leugnen, spürbar gegenwärtig...

Er schüttelte energisch den Kopf, als könnte er so die seltsamen Gedanken daraus vertreiben. Aber er beschwor damit nur neue herauf.

Zanardi musste daran denken, wie er die Frau (eher ein Mädchen noch und von geradezu sündhafter Schönheit) und den Mann (dessen Alter nicht zu schätzen war und den er seiner düsteren Erscheinung wegen allein nie mitgenommen hätte!) am Abend in dem Örtchen Froscane nördlich von Rom in seinen Wagen hatte steigen lassen, nachdem er seine dortigen Kundenbesuche erledigt gehabt hatte. Seltsamerweise vermochte er sich nicht daran zu erinnern, dass einer von beiden ihn darum gebeten hätte. Zumindest fielen ihm die Worte nicht mehr ein, mit denen sie es getan hatten – wenn sie es denn getan hatten... 

Dafür entsann Umberto Zanardi sich aber noch sehr gut der Blicke, die ihm die Dörfler nachgesandt hatten. Kaum ein Fenster, hinter dem sich die Vorhänge nicht bewegt hätten, als sein Transporter das Hauptsträßchen entlang gerumpelt war. Und etliche Männer waren ganz offen aus den Häusern getreten und hatten Zanardis Wagen hinterher geschaut, ganz so, als wollten sie sichergehen, dass er das Dorf auch wirklich verließ – und das eigenartige Paar mitnahm...?

Die Erleichterung, die in vielen dieser Blicke gelegen hatte, wurde Zanardi erst jetzt, im Nachhinein, bewusst. Und erst jetzt verstand er sie auch – weil er sie plötzlich teilte.

Er schluckte hart, und es schmerzte, als säße ihm etwas Raues im Hals, das sich nicht recht lösen wollte. Zanardi räusperte sich und holte tief Luft, zweimal, dreimal, dann begann er sich allmählich besser zu fühlen. Die Beklemmung wich von ihm wie ein überlanger Mantel, dessen Saum sich dort verfangen hatte, wo er das Paar hatte aussteigen lassen, und nun wurde ihm dieser Mantel Stück um Stück von den Schultern gezogen. Bis Zanardi ihn schließlich gar nicht mehr spürte.

Ein seltsamer Ton drängte über seine Lippen, seufzend, glucksend und ächzend in einem. Leichthin wollte er die Schultern zucken, aber es wurde eine Bewegung daraus, die aussah, als würde er einen allerletzten Rest von Unbehagen abschütteln.

Was immer es mit seinen beiden merkwürdigen Begleitern auf sich haben mochte – sie waren fort und brauchten ihn nicht länger zu kümmern. Und es lohnte die Mühe nicht mehr, noch weiter darüber nachzusinnen.

Dabei ahnte Umberto Zanardi nicht im entferntesten, wie nahe er dem Tod in dieser Nacht gewesen war.

Und dass er ihm nur aus einem Grund entkommen war:

Weil der Mann und die Frau ohne Erinnerung nicht wussten, womit ihr so abgründiger wie unbändiger Durst zu stillen war...

 

 

Überraschung und Erschrecken entrissen der jungen Frau, die meinte, Lilith Eden zu heißen, einen leisen, kurzen Schrei!

Das blonde Mädchen war so unvermittelt aus der Nacht aufgetaucht, als hätte die Dunkelheit es irgendwo aufgenommen und just an dieser Stelle wieder freigegeben, wo Lilith eben ihren Fuß hingesetzt hatte, so dass sie unweigerlich gegeneinander gestoßen waren.

Tatsächlich jedoch musste das Mädchen (kaum älter als Zwanzig, schätzte Lilith) aus einer der Gassen gekommen sein, die sich in ihrer Gesamtheit zu einem schier unüberschaubaren Labyrinth verwoben. Viele dieser Gassen waren gerade schulterbreit, und ihr Boden bestand aus festgetretener Erde. Einige wenige waren gepflastert und mochten gerade genug Platz für ein Fahrzeug bieten – vorausgesetzt, der Fahrer legte keinen Wert auf eine unversehrte Lackierung und war willens, die Außenspiegel zu opfern...

Die drangvolle Enge zwischen den Häusern, deren obere Stockwerke sich altersschwach einander zuneigten, schien gleichsam die Nacht zu komprimieren und die Finsternis zu verdichten, so dass der Blick kaum weiter reichte als zwei, allenfalls drei Schritte. Ruß und der Schmutz von Jahrzehnten, die wie Verputz an den Fassaden klebten, taten ein übriges dazu, die Nacht hier dunkler erscheinen zu lassen, als sie es anderswo sein mochte.

Liliths Aufschrei musste das blonde Mädchen erschreckt haben, denn es sah sie mit weit aufgerissenen Augen an, und ihr Blick flackerte, als würde sich das Licht einer Kerze darin widerspiegeln. Lilith rettete sich in ein vages Lächeln, mit dem sie dem Mädchen zu signalisieren hoffte, dass kein Grund zur Furcht bestand. Aber aus irgendeinem Grund erreichte sie damit das genaue Gegenteil – das angstvolle Zittern des Mädchens nahm noch zu, und die feinen Linien ihres Gesichtes, das – sah man von den Spuren der Müdigkeit darin ab – von fast noch kindlicher Schönheit war, bewegten sich wie in plötzlich erwachtem Eigenleben.

Doch dieses geheimnisvolle Eigenleben erstarb so rasch, wie es entstanden war – als brächte etwas in Liliths Blick es zum Ersterben. Die Bewegung in den Zügen des Mädchens verlangsamte sich und schlief schließlich ein, und auch das Flimmern in seinen Augen verebbte. Zugleich konnte Lilith richtiggehend spüren, wie ihr Lächeln sich veränderte; gleich, welchen Eindruck es vorher auch erweckt hatte, jetzt verhieß es endlich etwas Beruhigendes. Obgleich sie selbst sich keineswegs ruhig fühlte. Sie fühlte sich – sie wusste es nicht...

Nicht einmal das weiß ich, seufzte sie in Gedanken. 

»Entschuldigen Sie...«, begann das Mädchen in eindeutig gebrochenem Italienisch.

Woher weiß ich das? fragte sich Lilith im stillen, mit aufkeimender Verzweiflung. Warum weiß ich Dinge, die nicht wichtig sind, und warum kann ich mich an andere nicht erinnern? An doch so einfache Dinge wie beispielsweise... WER ICH BIN? 

»... können Sie mir sagen, wo ich hier bin?« fuhr das Mädchen leise, flehend fort. »Ich... habe mich verlaufen. Ich suche...« 

Das Mädchen nannte einen Straßennamen, von dem Lilith wusste, dass es ihn falsch aussprach. Aber sie kannte ihn ohnehin nicht. 

Konnte das etwas zu bedeuten haben? fragte sie sich, beinahe alarmiert. Konnte diese Unkenntnis ein Anzeichen dafür sein, dass sie in dieser Stadt vor ihrem »Erwachen« nie gewesen war – zumindest nicht zu Hause gewesen war? 

Wieder seufzte Lilith, laut diesmal, als sie den Gedanken als das entlarvte, was er war – nicht mehr als ein verzweifelter Versuch, dort Antworten finden zu wollen, wo es nichts gab außer Fragen. Und Leere...

Bedauernd hob sie die Schultern, und sie war nicht sicher, wem diese Geste eher galt – dem Mädchen oder sich selbst.

»Scusi«, sagte Lilith schließlich, wie selbstverständlich in der hiesigen Landessprache, »ich bin selbst fremd – hier.« Ihr kurzes Zögern mochte dem Mädchen kaum aufgefallen sein. Einen winzigen Moment lang war Lilith versucht gewesen zu sagen »Ich bin selbst fremd – auf dieser Welt«. Noch passender wäre ihre ganz eigene Tragik beschrieben gewesen mit: »... fremd in diesem Leben«. 

»Leider kann ich Ihnen nicht weiterhelfen«, setzte sie noch hinzu, vage mit den Schultern zuckend.

Das blonde Mädchen lächelte verunglückt. Das kaum vorhandene Licht machte sein Gesicht zu einer Maske aus Schatten, als es einen Schritt zurücktrat.

»Ja, dann...«, begann es, zögernd, als wüsste es nicht, was es sagen sollte, »... entschuldigen Sie bitte, dass ich...«

»Keine Ursache«, erwiderte Lilith, ebenso nichtssagend.

Das Mädchen wandte sich ab und ging davon. Nach kaum zwei Schritten schien es Lilith, als würde sich die Dunkelheit einem Mantel gleich teilen und das Mädchen umfangen und ihrem Blick entziehen. Nur das Geräusch seiner unsicheren Schritte vernahm sie noch sekundenlang, ehe die wattige Finsternis auch diese Laute dämpfte und schließlich erstickte.

Aber auch dann ging Lilith Eden noch nicht weiter. Sie wartete –

– und weder erschrak sie, noch drehte sie sich um, als hinter ihr leise Schritte aufklangen und eine Stimme sie ansprach.

»Vielleicht hätten wir uns dem Mädchen anschließen sollen.«

Jetzt erst wandte Lilith kurz den Blick über die Schulter. Der Mann trat aus den Schatten wie ein stofflich gewordenes Stück der Nacht selbst.

»Wozu?« fragte sie. »Das arme Ding weiß weder, wo es ist, noch wo es hinwill. Wie sollte uns das weiterhelfen?«

Der Mann hielt den Blick starr in die Richtung, in die das Mädchen entschwunden war, als könnte er es der Dunkelheit zum Trotz noch sehen.

»Dürfen wir es uns denn erlauben, wählerisch zu sein, was mögliche Hilfe angeht?« fragte er fast tonlos. »Oder sollten wir nicht vielmehr jede noch so geringe Möglichkeit ergreifen – in Anbetracht unserer Lage?«

Bei den letzten Worten hatte er seinen Blick Lilith zugewandt, und etwas darin zwang sie beinahe, den eigenen wie betreten zu senken.

Er hatte nicht ganz unrecht. Ihrer beider Situation war tatsächlich so, als dass sie selbst eine noch so geringe Chance, die einen Ausweg versprechen konnte, nicht ungenutzt verstreichen lassen durften.

Dabei war seine Lage noch um eine Spur übler als Liliths – denn sie wusste zumindest, wie ihr Name lautete (obgleich sie dessen keineswegs ganz sicher sein konnte. Ein Mönch namens Salvat hatte ihr diesen Namen als den ihren genannt, und so hatte sie ihn – in Ermangelung einer Alternative – akzeptiert). Der Mann an ihrer Seite jedoch wusste

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Adrian Doyle/Timothy Stahl/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 25.03.2020
ISBN: 978-3-7487-3322-5

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