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Leseprobe

 

 

 

 

JEAN BRUCE

 

 

Ein Engel braucht

kein Alibi

Agent OSS 117 – Band 2

 

Vier Romane in einem Band

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

1. EIN TOTER FÄLLT VOM HIMMEL (Panique A Wake)  

2. GENTLEMEN MORDEN LEISE (OSS 117 Prefere Les Rousses) 

3. KOMM MIT MIR INS JENSEITS (OSS 117 Ici Paris) 

4. EIN ENGEL BRAUCHT KEIN ALIBI (Un As De Plus A Las Vegas) 

 

 

Das Buch

OSS 117 flirtete in New York – und zur gleichen Zeit beschlossen die anderen seinen Tod. Seine Gegner bewiesen, dass sie ihr blutiges Handwerk verstanden. Der CIA-Agent Kennedy war ihr erstes Opfer. Er war auf eine grausame Art gestorben, keine zwei Meter von OSS 117 entfernt. Doch dann kam eine entscheidende Kleinigkeit dazwischen: ein kurzer Aufenthalt auf der Insel Wake, wo eine Katastrophe ihren Anfang nahm...

 

1949 schuf der französische Schriftsteller Jean Bruce (eigentlich Jean Alexandre Brochet, * 22. März 1921; † 26. März 1963) den CIA-Agenten Hubert Bonisseur de La Bath (alias OSS 117) – bis 1963 schrieb er 87 OSS-117-Romane; zwischen 1956 und 1971 wurden acht dieser Romane erfolgreich verfilmt: International gilt  Hubert Bonisseur de La Bath als ebenso populär wie James Bond, Lemmy Caution oder Kommissar Maigret. 

Der Apex-Verlag veröffentlicht die OSS-117-Romane von Jean Bruce als durchgesehene Neuausgaben und macht diese erstmals seit fünfzig Jahren wieder in Deutschland verfügbar. Der vorliegende zweite Band enthält die spannenden und mitreißenden Agenten-Thriller Ein Toter fällt vom Himmel, Gentlemen morden leise, Komm mit mir ins Jenseits und Ein Engel braucht kein Alibi. 

  1. EIN TOTER FÄLLT VOM HIMMEL (Panique A Wake)

 

 

 

Erstes Kapitel

 

 

Als ich auf wachte, war es Tag. Die linke Gesichtshälfte ans Fenster gepresst, lag ich mit steifen Gliedern in meinem Sitz und blinzelte in den hellrosa Himmel. Verschlafen richtete ich mich auf. Tief unter uns segelten weiße Wolkenbänke über die graue Fläche des Ozeans.

Meine Uhr zeigte drei Uhr zehn. Das konnte nicht ganz stimmen. Wir hatten Tokio am Vorabend gegen neun Uhr verlassen. Nun waren wir wahrscheinlich nicht mehr weit von der Insel Wake entfernt. Es musste also etwa sechs Uhr morgens sein. Die Sonne war soeben aufgegangen.

Die Tür zum Cockpit öffnete sich. Übernächtigt und unrasiert machte sich der Co-Pilot auf den Weg zur Toilette. Ich drehte mich um - und blickte in das lächelnde Gesicht meiner Nachbarin. Sie sah frisch und ausgeruht aus, und ihr seidiges braunes Haar lag so ordentlich, als käme sie gerade vom Friseur.

»Gut geschlafen?«

Sie antwortete, indem sie kurz ihre langen Wimpern niederschlug. Zu mehr hatte sie offenbar keine Lust. Sie hieß Lily Carr, war Ärztin und aktives Mitglied einer Gesellschaft zur Unterstützung unterernährter asiatischer Kinder.

Im Lauf der kurzen Unterhaltung, die wir am Vorabend nach dem Start angeknüpft hatten, erfuhr ich, dass sie glühende Anhängerin einer jener kleinen Sekten war, von denen es in den Vereinigten Staaten nur so wimmelt. Meiner Ansicht nach war sie viel zu jung und zu hübsch, um sich derart fanatisch, wie sie es tat, zu engagieren. Ich hatte versucht, ihr dies klar zu machen, aber wohl tauben Ohren gepredigt. Sie gehörte zu den Menschen, die nie zuhören, wenn man ihnen etwas sagt, die aber sehr wohl darauf bestehen, dass man sie anhört.

Im Allgemeinen gehe ich solchen Leuten aus dem Weg.

Hinter uns war die energische Stimme Pearl Richardsons, der ersten Stewardess, zu hören. Ich versuchte, sie in mein Blickfeld zu bekommen. Sie war eine hochgewachsene Blondine mit einem schweren Chignon am Hinterkopf. Ihr Anblick war durchaus erfreulich. Wenn sie nur nicht so autoritär gewesen wäre!

Der Feldwebelton, den sie manchmal anschlug, konnte einem beinahe Angst einjagen. Obwohl sie sicher die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte, sah sie noch genauso appetitlich und strahlend aus wie am Vorabend beim Abflug.

Schräg vor mir saßen drei japanische Tänzerinnen in bunten Kimonos. Sie flogen nach Honolulu, um dort in einer Music-Hall ein Gastspiel zu geben. Sie waren gerade dabei, ihr Make-up aufzufrischen, und man musste unwillkürlich an drei kleine Katzen denken, die sich das Fell putzen.

In der Reihe vor ihnen, gleich am Mittelgang, schlief James Kennedy in seinem Sitz, den großen, mageren Körper grotesk zusammengekrümmt. Er war gestern Abend eingeschlafen und hatte sich seither nicht mehr gerührt. Es soll Leute geben, die zehn Stunden pennen können, ohne sich zu bewegen.

James Kennedy war einer der CIA-Agenten, die in Japan arbeiteten. Man hatte uns vor einigen Monaten gemeinsam auf eine Sache angesetzt, und wir waren hinterher nicht gerade als dicke Freunde voneinander geschieden. Trotzdem hätte er mich zumindest grüßen können. Vielleicht war er auch wieder einmal mit einem Spezialauftrag unterwegs...

Kennedy war als letzter Passagier in Haneda, dem Flughafen von Tokio, angekommen, als wir alle schon abgefertigt waren und auf den Bus warteten, der uns zu der Maschine bringen sollte. Er hatte sich sofort neben mich gestellt, mich fast berührt, dann aber so getan, als hätte er mich noch nie gesehen.

Möglich, dass er mir die Sache von damals noch immer übelnahm. Aber eine Kleinigkeit machte mich stutzig: Kennedy reiste in der Touristenklasse. Dabei waren für das Büro in Tokio ständig in allen Überseemaschinen der amerikanischen Fluglinien gute Plätze reserviert, die bis zum letzten Augenblick freigehalten wurden.

Bei mir war es diesmal etwas anderes. Ich kam gerade aus Pakistan, wo ich mich ehrenvoll, aber in letzter Sekunde aus einer heiklen Situation herausmanövriert hatte. Da ich mit einer bekannten Filmschauspielerin, einem überaus reizvollen Wesen, in New York verabredet war, hatte ich mit dem letzten Platz vorliebgenommen, der noch zu haben war. Bisher hatte ich noch jedes Rendezvous mit der Dame verpasst, und irgendwann musste ihr ja schließlich einmal der Geduldsfaden reißen. Eigentlich hätte ich schon vor zwei Tagen in New York sein sollen.

Das Dröhnen der Motoren wurde leiser, und das Flugzeug begann sich zu senken. Der Co-Pilot erschien wieder. Er war inzwischen gewaschen und rasiert, sah aber noch immer leicht mitgenommen aus. Suko, die zweite Stewardess, eine bezaubernde Eurasierin, teilte uns strahlend mit, dass uns das Frühstück während der Zwischenlandung auf Wake serviert würde.

Ich schaute ihr nach, bis sie sich errötend umdrehte. Inzwischen waren alle Passagiere aufgewacht und die meisten starrten gebannt auf den gleichen Punkt: das Leuchtschild über den Toiletten, das ununterbrochen Besetzt anzeigte.

Der einzige Passagier, der noch friedlich schlief, war James Kennedy. Ich schaute noch einmal zum Fenster hinaus und sah tief unter uns das winzige Atoll von Wake, das wie ein Hufeisen im Ozean schwamm. Die Farbe des Wassers hatte sich in den letzten Minuten völlig verändert. Es war nun tatsächlich so dunkelblau wie auf den Prospekten, die für eine Südseereise werben.

»Sehen Sie etwas Bestimmtes?«, fragte meine Nachbarin und beugte sich zu mir herüber.

»Wir landen.«

»Gott sei Dank! Ich bin schon ganz lahm vom langen Sitzen. Wenn es hier nur nicht so eng wäre! Man kann ja kaum die Beine ausstrecken. Wie lange haben wir Aufenthalt?«

»Laut Flugplan anderthalb Stunden. Aber wir haben Verspätung. Wahrscheinlich werden sie uns den Aufenthalt kürzen.«

»Wissen Sie, wann wir in Honolulu sind?«

»Gegen sechs Uhr abends.«

»Heute Abend?«

»Nein, gestern Abend.«

Sie glaubte an einen Scherz.

»Sehen Sie, wir haben Tokio gestern Abend um neun Uhr verlassen. Das war Dienstag. Wir haben augenblicklich Mittwoch, sechs Uhr morgens Ortszeit. Bald überfliegen wir die Datumsgrenze. Das heißt, dass es in Honolulu jetzt Dienstag acht Uhr morgens ist. Wir landen dort heute Abend um sechs. Das ist dann aber nicht Mittwoch, sondern Dienstag, also gestern Abend.«

»Das ist mir zu hoch. Diese Zeitverschiebung habe ich noch nie richtig begriffen.«

Ich wagte nicht, ihr zu sagen, dass es wahrscheinlich eine ganze Reihe von Dingen gab, die sie nicht richtig begriff. Oder war es etwa normal, dass ein so hübsches, gut gewachsenes Mädchen, wie sie es war, seine Zeit damit verbrachte, falschen Idealen nachzulaufen. Aber was ging es mich an. Es gab genug andere Schöne auf der Welt. Ich würde wohl kaum vor Kummer sterben, wenn ich auf sie zugunsten der armen, unterernährten gelben Kinderlein und der Triumphalen Kirche der Keuschen Schwestern von Roanake im Staate Virginia verzichtete.

Wir gingen schnell hinunter. Die Passagiere wurden aufgefordert, sich anzuschnallen und das Rauchen einzustellen. Ich entdeckte, dass ich meinen Sicherheitsgurt seit dem Vorabend nicht gelöst hatte. Eine Stunde nach dem Aufstieg war das Wetter ziemlich stürmisch gewesen und es hatte einige unangenehme Turbulenzen gegeben.

Die Insel unter uns wurde immer größer, und man konnte schon die einzelnen Palmen erkennen, die die Lagune umsäumten. Eine halbe Stunde später überflogen wir in geringer Höhe die Küste. Am Strand lagen Wracks, die wohl noch aus der Zeit stammten, als die Amerikaner die Insel von den Japanern zurückeroberten.

Die Räder des Fahrgestells setzten mit sanftem Ruck auf der Landebahn auf. Ich sah mir gerade die riesigen »fliegenden Festungen« der »Strategie Air Command« und die Maschinen des Wetterdienstes mit ihren langen Antennen an, als ein markerschütternder Schrei den abklingenden Motorenlärm übertönte.

Ich drehte mich blitzschnell um. Es war Kennedys Nachbarin, die so grausig geschrien hatte. Kennedy selbst war nicht mehr zu sehen. Hastig öffnete ich den Verschluss meines Sicherheitsgurtes und stand auf.

Kennedy war nach vorn gekippt, und seine Arme

baumelten schlaff neben seinen Knien. Sein Kopf lag eigenartig abgewinkelt auf der Lehne des Vordersitzes. Mit einem Blick sah ich, dass er tot war.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Pearl Richardson hatte Außerordentliches geleistet. Man hätte glauben können, sie sei von jeher daran gewöhnt, bei Zwischenlandungen auf der Insel Wake einen Toten unter ihren Passagieren zu haben. Unter ihrem gestrengen Auge war es für jeden selbstverständlich gewesen, nicht die Nerven zu verlieren. Kein Mensch hatte versucht, sich zum Ausgang zu drängen, um die Maschine schneller verlassen zu können.

Wir bestiegen einen kleinen Bus, der uns über die Piste zu einigen Baracken brachte, hinter denen das Flughafenrestaurant lag. Pearl Richardson hatte uns der Obhut Sukos, der kleinen Kollegin mit den geheimnisvollen Mandelaugen, anvertraut, deren Nerven offensichtlich nicht so solide waren wie die der großen Blonden.

Ich bestellte mir eine Portion Tee und ging dann zum Büfett, um mir einen Sandwich auszusuchen. Lily Carr kam an meinen Tisch und setzte sich. Keiner sprach. Einen Augenblick später tauchte Kennedys Nachbarin auf, die Frau, die geschrien hatte, und gesellte sich zu uns.

»Sie sind wohl arg erschrocken?«, fragte Lily atemlos.

»Ich wollte ihn wecken, weil ich dachte, er würde auch noch die Landung verschlafen. Als ich ihn berührte, kippte er nach vorn.«

Wir erfuhren, dass sie Kay Kirby hieß und Professorin für amerikanische Zivilisation an der Universität Osaka war. Sie war etwa Mitte vierzig, vielleicht auch mehr, und hatte ein schönes, faltenloses Gesicht, das von blonden Locken eingerahmt war. Ihr etwas breiter, muskulöser, aber ebenmäßiger Körper verriet die Sportlerin. Sie war völlig ahnungslos gewesen. Kennedy hatte nicht ein einziges Wort mit ihr gewechselt. Er war kurz nach dem Start eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht.

»Wie entsetzlich!«, sagte Lily Carr verstört. »Er ist gestorben, ohne sich auf seine letzte Reise vorbereitet zu haben. Wenn er nun vielleicht mit Gott im Unreinen war...«

Die beiden Frauen hatten keinen Appetit und warfen mir missbilligende Blicke zu, weil ich ungeniert aß. Sie konnten nicht wissen, dass für mich der Tod etwas ganz Alltägliches ist. Ich wäre schon längst verhungert, wenn ich bei jeder Leiche einen Fastentag einlegen müsste.

Als ich fertig gegessen hatte, stand ich auf und ging in den Waschraum, um mich frisch zu machen. Während ich mich rasierte, schwirrten die Leute um mich herum und diskutierten aufgeregt den »bedauerlichen Zwischenfall«. Es war interessant zu beobachten, wie alle dieselben Phrasen verwendeten, um ihrer Emotion Ausdruck zu geben, und den Toten bedauerten, ohne zu wissen, wer er überhaupt war.

Als ich in den Speisesaal zurückkam, war Kay Kirby fort.

»Ein Soldat hat sie abgeholt«, erklärte mir Lily Carr. »Er sagte auch, dass sich der Weiterflug verzögern würde, und dass wir hier warten sollten.«

Ich maß dieser letzten Bemerkung keine tiefere Bedeutung bei. Ein kurzer Spaziergang zum nahen Strand würde mir guttun. Der Uniformierte hatte Kay Kirby geholt, um ihre Zeugenaussage aufzunehmen, die er für die Akten benötigte. Die Bürokratie ist bekanntlich international.

Als ich die Tür aufstieß, fiel ich beinahe über zwei Marinesoldaten, die mir sofort ihre Maschinenpistolen in die Rippen bohrten.

»Sie dürfen nicht raus!«, grunzte der eine. »Alle Passagiere haben im Restaurant zu bleiben.«

»Was soll denn dieses Theater?«

Sie würdigten mich keiner Antwort. Wahrscheinlich wussten sie es selbst nicht. Es waren brave Soldaten, das sah man an ihren sturen Gesichtern. Sie hatten dafür zu sorgen, dass niemand gegen die Vorschrift verstieß. Sie fragten nicht warum. Dafür waren sie nicht zuständig. Befehl war Befehl.

Ich kehrte um. Die Tür fiel von selbst hinter mir zu. Miss Carr warf mir einen fragenden Blick zu, als sie mich zurückkommen sah.

»Haben Sie keine Lust mehr, spazieren zu gehen?«, fragte sie.

»Doch. Aber noch lieber bleibe ich bei Ihnen.«

»Sie sind sehr liebenswürdig. Wie heißen Sie?«

»Ich habe keinen Namen, Miss Carr. Ich bin ein armes Waisenkind, und Sie sollten sich meiner annehmen.«

Sie schien sich über meine Antwort zu ärgern und ließ mich in Ruhe. Ich rief den Kellner und bestellte noch einmal Tee.

Inzwischen war mir klargeworden, dass James Kennedy wohl kaum eines natürlichen Todes gestorben war. Aber wahrscheinlich war ich der einzige Mensch auf dieser Insel, der wusste, dass James Kennedy ein Offizier vom Geheimdienst war. Wenn es sich tatsächlich um einen Mord handelte, würde es noch Unannehmlichkeiten geben. Ich wusste nicht, ob es auf Wake, wo ja die Marine residierte, ein CIA-Büro gab. Sicher gab es aber einen Offizier des Marinesicherheitsdienstes, und es war für mich selbstverständlich, dass ich mit diesem Mann Verbindung aufnehmen musste.

Wenn James Kennedy ermordet worden war, konnte nur einer der Passagiere unserer Maschine der Mörder sein. Wenn James Kennedy ermordet worden war, dann sicher deshalb, weil er gerade dabei war, einer Sache auf die Spur zu kommen. Bei der Fixigkeit, die er in seiner Arbeit an den Tag legte, war dem- oder denjenigen, die er jagte, nichts anderes übrig geblieben, als ihn zu beseitigen.

Unverdrossen versuchte Miss Carr, wieder ein Gespräch mit mir in Gang zu bringen. Eine lästige Person!

»Verzeihen Sie«, sagte ich liebenswürdig und stand auf. »Ich habe ganz vergessen, meine tägliche Morgenandacht zu halten.«

Ich weiß nicht, ob sie kapierte. Sie lief dunkelrot an und ein erstauntes »Oh« entfuhr ihren hübschen Lippen. Ich ging zum Telefon und verlangte das Büro des Marinesicherheitsbeamten.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

Der Chef des Marinesicherheitsdienstes auf Wake hieß Eli Burstrom. Er war groß, braungebrannt und ziemlich hager und bekleidete den Rang eines Leutnants zur See. Recht sympathisch. Er stellte mir seinen Adjutanten vor, einen jungen Mann mit deformierter Nase, untersetzt, der auf den Namen Michael Carvin hörte.

Ich hätte Schwierigkeiten haben können, mich auszuweisen, denn ich besaß nur einen »Dienstpass«, der für die Mission ausgestellt war, die ich soeben hinter mich gebracht hatte. In diesem Pass hieß ich Horace MacBean. Aber manchmal kommt einem der Zufall zu Hilfe.

»Wir haben eine Nachricht für Sie, Mr. MacBean«, begann Burstrom das Gespräch. »Sie kommt aus Washington, vom CIA und wurde uns auf dem Umweg über die ONI übermittelt. Sie sollen Verbindung mit einem gewissen Mr. Kennedy aufnehmen, der mit der gleichen Maschine hätte ankommen sollen wie Sie.«

»Warum hätte ankommen sollen?«

»Weil auf der Passagierliste kein Mr. Kennedy verzeichnet ist.«

Ich wollte ihm gerade alles erklären, als die Sprechanlage zu summen begann. Eine blecherne Stimme sagte: »Hier ist Fried Egg. Können Sie sprechen?«

Burstrom warf mir einen kurzen Blick zu.

»Ja. Wir sind unter uns. Was gibt's denn?«

»Der Peildienst meldet, dass etwa ein Dutzend U- Boote unbekannter Nationalität die Insel umringen.«

Eli Burstrom runzelte die Stirn.

»Was heißt umringen?«

Michael Carvin ging zum Schreibtisch und drückte nervös seine bis zum Filter abgerauchte Zigarette aus.

Die Stimme antwortete: »Das heißt, dass sie sternförmig von allen Seiten auf die Insel zugefahren sind und jetzt drei Meilen vor dem Strand, knapp unter der Wasseroberfläche, beigedreht haben.«

Burstrom beugte sich über die Sprechanlage.

»Sind Sie sicher, dass die Dinger nicht von uns sind?«

»Todsicher. Die gegenwärtige Position aller unserer U-Boote im Pazifik ist genau bekannt.«

»Wurde der Pascha verständigt?«

»Die Alarmmeldung kann jederzeit durchgegeben werden.«

»Wahrscheinlich wieder einmal die Russen, die uns einen Streich spielen wollen«, knurrte Burstrom. »Halten Sie mich weiter auf dem Laufenden.«

»Verstanden, Sir.«

Der Summton der Sprechanlage brach ab. Eli Bor

ström fuhr sich mit den sehnigen Fingern durch die kurzgeschnittenen Haare und schaute mich nachdenklich an.

»Nicht das erste Mal, dass so was passiert«, sagte er schließlich. »Allerdings sind sie früher nie im geschlossenen Verband ankutschiert.«

»Wahrscheinlich wegen der Geschichte in Vietnam«, antwortete ich. »Kraftprotzerei von beiden Seiten.«

»Ein Scheißspiel!«, präzisierte Burstrom und griff nach seiner Pfeife, die auf dem Schreibtisch lag.

Ich war ganz seiner Meinung.

»Sie sagten vorhin, dass auf der Passagierliste unserer Maschine kein Mr. Kennedy eingetragen war«, fuhr ich fort. »Er war aber an Bord.«

»Wenn Sie ihn kennen, ist ja alles in Ordnung.«

»Ich kannte ihn.«

Die beiden starrten mich an.

»Soll das heißen, dass...«

»Genau. Der Mann, den man tot aus dem Flugzeug getragen hat, hieß James Kennedy. Er war einer der CIA-Beamten in Japan.«

Burstrom stopfte gemächlich seine Pfeife zu Ende. Mit einem Seitenblick auf Carvin sagte er: »Ist das der Grund, weshalb Sie mich sehen wollten?«

»Ja.«

»Er reiste mit Papieren auf den Namen Jack Harris.«

»Das wusste ich nicht. Gestern Abend in Haneda stand er eine Weile neben mir, tat aber so, als hätte er mich nie gesehen.«

»Sind Sie erster Klasse geflogen?«

»Nein. Ich hatte es eilig, nach Hause zu kommen, und buchte den letzten Platz, der noch frei war. Touristenklasse. Kennedy saß ganz in meiner Nähe, auf der anderen Seite des Mittelganges. Ist die Todesursache schon bekannt?«

»Wir haben zuerst an einen natürlichen Tod geglaubt.

Aber dann stellte unser Arzt fest, dass man ihm eine Stahlnadel ins Herz gestoßen hat. Er ist innerlich verblutet. Von außen merkte man gar nichts. Ein paar Tropfen Blut am Hemd, das war alles.«

»Eine Stahlnadel? Um ihm so ein Ding zwischen die Rippen zu jagen, ohne dass es jemand merkt, hätte man sich doch über ihn beugen müssen.«

»Das haben wir uns auch gesagt«, mischte sich Michael Carvin in die Unterhaltung. »Deshalb haben wir uns auch gleich die beiden Passagiere herausgefischt, die neben ihm saßen. Man muss ja praktisch über den Mann auf dem Randsitz steigen, wenn man in den Mittelgang will.«

»Der Tote saß auf Platz 8«, fuhr Burstrom fort. »Neben ihm, auf Platz 7, saß Mrs. Kay Kirby, eine Landsmännin, Professorin an der Universität Osaka. Zweiundvierzig. Sie ist in der Nacht zweimal aufgestanden, um auf die Toilette zu gehen. Sie sagt, Harris - Kennedy sei gleich nach dem Start eingeschlafen und habe sich dann nicht mehr gerührt. Immerhin hat er dreiviertel Stunden nach dem Abflug noch gelebt. Da sind Sie wohl arg durchgerüttelt worden, nicht wahr?«

Ich dachte wieder an den kurzen Zwischenfall. Die Stewardess hatte den Passagieren gerade heiße Getränke serviert. Ich hatte dankend abgelehnt. Plötzlich war die Maschine so abrupt in ein tiefes Luftloch abgesackt, dass die Getränke aus den Tassen herausschwappten und sich über Röcke und Hosen ergossen. Der Steward und die beiden Stewardessen hatten daraufhin eine gute Viertelstunde zu tun gehabt, um den Passagieren beim Säubern ihrer Kleider behilflich zu sein. Man hatte uns gebeten, uns anzuschnallen, und die Maschine wurde noch eine ganze Weile wild hin und her geworfen.

»Er hatte nichts getrunken, wurde aber durch den allgemeinen Tumult aufgeweckt. Mrs. Kirby erinnert sich, dass er über die Verheerung sehr gelacht hat«, setzte Carvin hinzu.

Eli Burstrom unterbrach ihn: »Der zweite Passagier, der noch unter verstärktem Tatverdacht steht, heißt Paul Warren. Er ist ebenfalls ein Landsmann. Journalist von United Press International. Fünfundvierzig. Er war Korrespondent in Tokio. Seine Agentur hat ihn dort abberufen. Er hat einen Brief bei sich, in dem er zum Chef der Außenstelle in Mexiko City ernannt wird. Also beides respektable Leute.«

»Im Mittelgang herrscht ein ständiges Kommen und Gehen bei so vielen Passagieren. Und wenn das Flugzeug hin und her trudelt wie in dieser Nacht, verliert man leicht das Gleichgewicht. Kennedy saß auf dem Randsitz. Jeder der Passagiere hätte also die Möglichkeit gehabt, ihn zu ermorden.«

»Natürlich. Aber es ist naheliegend, als ersten denjenigen zu verdächtigen, der in unmittelbarer Nähe saß. In der gleichen Sitzreihe, aber auf der anderen Seite, auch direkt am Mittelgang, saß ein recht dubioser Kerl: Douglas Campbell, fünfundfünfzig, Eurasier. Er ist Direktor einer Importfirma in Honolulu. Hat angeblich seinen Pass verloren.«

»Wenn dieser Douglas Campbell ein Agent von der anderen Seite ist mit dem Auftrag, Kennedy zu liquidieren, so können Sie Gift darauf nehmen, dass er seinen Pass nicht verloren hätte.«

»Das ist klar«, gab Burstrom zu. »Aber was gibt es nicht alles Verrücktes?

»Wenn es aber doch ein Trick ist?«, meinte Carvin gereizt. Meine Überlegung hatte ihn sichtlich geärgert.

Ich wollte gerade eine kleine Bosheit in seine Richtung loslassen, als mir etwas völlig Unerwartetes die Rede verschlug: Das durchdringende Heulen einer Sirene gellte über die Insel. Wir erstarrten. Als die Sirene aufhörte, stand Eli Burstrom auf. Er war um einen Ton blasser geworden.

»Das ist das Signal zum sofortigen Aufstieg unseres Bomberkommandos«, sagte er rau. »Angriff...«

So unglaublich es klingen mag, aber mein erster Gedanke war meine Verabredung mit der Filmschauspielerin Elaine Villinger. Wieder ins Wasser gefallen. Kein Wunder, wenn sie mich nie mehr erwarten würde. In der nächsten Sekunde stand ich mit den anderen im Freien.

 

 

 

Viertes Kapitel

 

 

Es war ein recht hübscher Anblick, der sich uns draußen bot. Ich hatte aber das leise Gefühl, dass den anderen das grandiose Spektakel, das sich am Himmel abspielte, wenig Vergnügen bereitete.

Rund um die Insel stiegen Tausende von roten Leuchtraketen zischend in den morgendlichen Himmel. Es bestand kein Zweifel darüber, dass diese Raketen von den U-Booten abgeschossen wurden, die uns der Peildienst vor ein paar Minuten gemeldet hatte. Aber was, zum Teufel, bedeutete dieses Feuerwerk?

Die Turbinen der Bomberstaffel heulten nacheinander auf. Der Lärm wurde bald unerträglich. Unaufhaltsam stiegen weitere Leuchtraketen in die Luft und bildeten allmählich einen blendenden Feuergürtel rund um das Atoll. Die erste Maschine stieg auf und donnerte mit einem Höllenlärm über unsere Köpfe hinweg. Unwillkürlich duckten wir uns. Als ich wieder aufschaute, sah ich am Strand einen Lastwagen fahren, auf dem eine Handvoll Marinesoldaten in voller Kampfausrüstung standen.

»Das heißt Krieg«, sagte Carvin, der unmittelbar neben mir stand. »Die Russen scheinen überall gleichzeitig anzugreifen.«

Ich zuckte die Schultern. Wenn die Russen tatsächlich einen Krieg beschlossen hatten, schien es mir mehr als unwahrscheinlich, dass sie sich zu Beginn ausgerechnet auf diese winzige Insel stürzten, die verloren mitten im Pazifik lag. Es gab hier ja nicht einmal eine Raketenbasis, die anzugreifen sich gelohnt hätte. Und außerdem: was sollten denn diese nun wirklich harmlosen Leuchtraketen?

Einige Menschen rannten bereits zu den Luftschutzkellern. Ein weiteres Flugzeug stieg auf, bald danach ein drittes. Als sie verschwunden waren, merkte ich, dass die Leuchtraketen am Himmel erloschen waren und das Tageslicht abnahm.

«Verdammt«, brummte Burstrom, »da tut sich was.«

Die Bemerkung war überflüssig. Dass sich etwas tat, wussten wir auch. Und dass es etwas war, was nicht jeden Tag passierte, konnte selbst dem naivsten Träumer nicht verborgen bleiben.

Plötzlich fror ich an den Schultern. Die Sonne war fast verschwunden und leuchtete nur noch als heller Fleck am Himmel. Ich fragte: »Gibt es hier manchmal Nebel?«

»Nie!«

Schnell verschwand der Ozean in einem Dunstschleier. Ich machte einige Schritte zur Ecke des Gebäudes, um einen Blick ins Landesinnere zu werfen. Die riesigen Hangars der Flugzeuge zerrannen im Undurchsichtigen.

Burstrom und Carvin gingen ins Büro zurück. Ich folgte ihnen. Die Sprechanlage summte wieder. Der Kommandeur des Stützpunktes meldete sich, um seine Offiziere zu einer dringenden Konferenz einzuberufen. Burstrom machte sich gleich auf den Weg.

»Kommen Sie mit!«, rief er mir zu. »Es ist möglich, dass diese Sauerei mit der Geschichte Kennedy zusammenhängt.«

Ich folgte ihm wortlos.

Wir liefen eine Betontreppe hinunter, die in einen unterirdischen Bunker führte. Ein gutes Dutzend Offiziere verschiedener Ränge waren bereits versammelt. In ihrer Mitte stand ein blendend aussehender Mann mit grauen Haaren, der bei meinem Anblick wütend losbellte: »Was ist denn das für einer?«

Burstrom stellte mich vor und gab eine kurze Erklärung über meine Person ab. Der Mann hörte ihn schweigend an und machte sich dann bekannt: Kommandeur Anthony K. Flint.

Wir setzten uns, und die Konferenz begann. Mit kühler klarer Stimme gab Flint einen kurzen Überblick über die Lage.

Die Maschine Flugnummer 844 der Pan American Airways war, mit einer Verspätung von etwa zwei Stunden, um sechs Uhr zwanzig Ortszeit auf dem Flugplatz von Wake gelandet. Bei der Landung stellte man fest, dass ein Passagier unterwegs gestorben war. Dieser Passagier reiste mit einem amerikanischen Pass, der auf den Namen Jack J. Harris lautete. Man vermutet jedoch (dank meiner Angaben wahrscheinlich), dass der Mann in Wirklichkeit James Kennedy hieß und einer der CIA-Agenten war, die in Japan arbeiten.

Man hatte festgestellt, dass der Mann, egal ob Harris oder Kennedy, mittels einer langen Stahlnadel getötet worden war, die ihm jemand ins Herz gestoßen hatte. Der Luftwaffenarzt, Major Gruening, meinte, dass der Tod vermutlich am Vorabend zwischen 22 und 24 Uhr eingetreten sei, das heißt, nicht lange nach dem Abflug von Tokio.

Wer hatte ihn ermordet? Man stand noch vor einem Rätsel. Jeder Passagier der Touristenklasse und jedes Mitglied der Crew konnte der Mörder sein. Die ersten Verhöre hatten keinerlei Anhaltspunkte ergeben.

Warum hatte man ihn ermordet? Wenn der Tote tatsächlich James Kennedy hieß und ein hohes Tier beim CIA war, so konnten unter Umständen die Ereignisse, die augenblicklich auf Wake über die Bühne gingen, den Schlüssel für diese mysteriöse Angelegenheit liefern.

Wenige Minuten nach der Landung der 844 war vor der Insel ein gutes Dutzend U-Boote festgestellt worden, die in einer Entfernung von etwa drei Seemeilen knapp unter der Wasseroberfläche beigedreht hatten. Jetzt bildeten sie einen Ring um die Insel. Das einzige, was man sicher wusste, war, dass diese U-Boote nicht der Navy angehörten.

Zehn Minuten nach ihrem Beidrehen hatten die U- Boote, ohne aufzutauchen, begonnen, Leuchtraketen abzuschießen. Die Feuerwerkskörper waren in eine Höhe von schätzungsweise 700 bis 800 Metern gestiegen und am Ende ihrer Bahn zerplatzt. Dabei bildeten sich Tausende von kleinen roten Sonnen, die sich langsam auflösten und als feiner Niederschlag auf die Insel und die umgebende See herabfielen.

Dieser Vorgang sei für ihn, Anthony K. Flint, Kommandeur des Luftwaffenstützpunktes Wake, Anlass genug gewesen, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Die Torpedoflugzeuge seien schon im Einsatz.

Inzwischen begann sich ein Nebelschleier über der Insel zu bilden, der bis weit in den Ozean hineinreichte. Dieser Nebel war so dicht, dass eine Landung der aufgestiegenen Maschinen ernsthaft in Frage gestellt, wenn nicht unmöglich war.

An diesem Punkt seiner Ausführung angelangt, wurde Flint durch das Klingeln des Telefons unterbrochen. Er griff zum Hörer und meldete sich. Ich benützte die Pause, um mich im Raum umzusehen. Angespannte Gesichter, eine knisternde Atmosphäre. Das Ganze erinnerte mich lebhaft an die dramatischen Lagebesprechungen, denen ich während des Krieges ab und zu beiwohnen musste.

Flint legte den Hörer auf und wandte sich wieder an uns. Man hatte ihm mitgeteilt, dass die Geigerzähler plötzlich nervös geworden seien und eine erhöhte Radioaktivität der umliegenden Luftschichten anzeigten. Die Radioaktivität werde aber voraussichtlich keinen für Lebewesen gefährlichen Grad erreichen.

Ich hatte den Eindruck, dass alle für Sekunden den Atem anhielten. Ein Offizier in meiner Nähe, ein Mann mit einer Totschlägervisage, äußerte die Meinung, dass man doch »diesen ganzen Haufen rostiger Sardinenbüchsen aufs Korn nehmen und in die Luft jagen« solle.

Flint klärte uns im Weiteren darüber auf, dass dieser plötzliche Nebel natürlich nichts mit dem Wetter zu tun habe, sondern künstlich entstanden sein musste. Techniker der U.S. Army hatten schon vor langer Zeit Versuche dieser Art in der Nähe von Hawaii gemacht, in einer Gegend, wo sich praktisch nie Nebel bildete. Wenn man eine komplizierte Salzmischung auf der Basis von Titan in der Luft pulverisierte, konnte man die herrlichste Erbsensuppe herstellen. Das Zeug hielt sich fast eine Woche.

Es lag auf der Hand, dass der unbekannte Gegner, der sich damit unterhielt, die Insel Wake auf diese Art einzunebeln, eine bestimmte Absicht verfolgte. Es war also noch mit unangenehmen Überraschungen zu rechnen, vielleicht sogar schon in den nächsten Minuten.

Der ganze Apparat war in Alarmbereitschaft. Das Schlimme war nur, dass die Flugzeuge, die ja den Kern der Sicherheitsmaßnahmen darstellten, weder aufsteigen noch landen konnten.

Das Headquarter of the U. S. Army in the Pacific in Honolulu und das Headquarter of the U. S. Army in the Far East in Tokio waren per Funk von den Ereignissen informiert worden. Man erwartete ihre Antwort.

Auf alle Fälle konnte man nur mit einer Hilfe auf dem Seeweg rechnen. Aber das würde eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Die nächsten Einheiten der Navy lagen ein gutes Dutzend Navigationsstunden von Wake entfernt. Was die Flugzeuge betraf, die vorhin aufgestiegen waren, so hatten sie den Befehl erhalten, weiterzufliegen und auf Bikini oder Eniwetok zu landen. Das waren die nächsten Flugplätze, neunhundert Kilometer weiter südlich.

Kommandeur Anthony K. Flint schloss die Konferenz mit der Bemerkung, dass er mit unser aller Disziplin rechne. Man müsse abwarten, was weiter geschehe und danach seine Dispositionen treffen. Man sei vorläufig in eine Defensive gedrängt.

Ich wollte mit den anderen hinausgehen, als Flint uns drei, Burstrom, Carvin und mich, zurückhielt. Irgendwie waren ihm wohl Zweifel gekommen.

Dem Adjutanten Carvin, der noch zu jung war, um einen Krieg mitgemacht zu haben, saß der Schreck in allen Gliedern. Er versuchte krampfhaft, sich nichts anmerken zu lassen.

Flint sah mich forschend an. Er war ein harter Bursche. Mir sind aber schon zähere Typen über den Weg gelaufen, als er. Schließlich war er es, der den Blick abwandte.

»Sie behaupten, Angehöriger des CIA zu sein«, sagte er zu mir. »Beweisen Sie das.«

Ich antwortete mit einem Grinsen.

»Wenn Sie mich für einen Schwindler halten, sind Sie etwas zu spät dran mit Ihren Vorsichtsmaßnahmen. Immerhin war ich gerade Zeuge...«

Er unterbrach mich trocken.

»Ich habe meine Leute nur über die Situation aufgeklärt. Wenn Sie von drüben kommen, wissen Sie ohnehin viel mehr als wir.«

Er hatte recht. Ich fragte: »Gibt es hier einen CIA- Mann?«

»Nein.«

»Dann gibt es nur eine Möglichkeit: Sie nehmen per Funk entweder mit dem Büro in Tokio oder mit Washington direkt die Verbindung auf.«

»Wir haben von Washington eine Nachricht bekommen, die für ihn bestimmt war«, fiel Burstrom ein.

»Weiß ich«, antwortete Flint, »aber ich habe schon bessere Tricks erlebt als diese hier.«

Darauf Burstrom eisig: »Ich habe vielleicht vergessen, Ihnen zu sagen, dass die Nachricht mit primo gezeichnet war und uns von der Zentrale der ONI übermittelt wurde. Mit dem ONI-Code chiffriert. Das ist eine Garantie...«

Das schien Flint einzuleuchten. Er war Offizier der Marine. Alles, was nicht zu ihr gehörte, erregte sein größtes Misstrauen. Der CIA zählte für ihn nicht. Da waren Zivilisten dabei, Grund genug, an der Seriosität dieser Einrichtung zu zweifeln. Hingegen die ONI, wo nur Seeleute am Drücker waren, das war etwas Anständiges.

»Wir werden sehen«, entschied er. »Behalten Sie ihn auf alle Fälle im Auge. Und wenn er nicht spurt, knallt ihr ihm sofort eine Kugel in den Kopf, verstanden?«

Ich schreibe hier in den Kopf, aber das war nicht das Wort, das Flint verwendet hat. Ich nahm es ihm nicht sonderlich übel. Ich wusste aus Erfahrung, dass es nicht ratsam war, sich mit einem alten Haudegen anzulegen. Deshalb schlug ich vor: »Unterdessen können wir versuchen, Kennedys Mörder auf die Spur zu kommen. Ich vermute da einen Zusammenhang. Die Direktion in Washington wusste, dass Kennedy auf dem Weg hierher war und eventuell meine Hilfe in Anspruch nehmen wollte. Aus diesem Grund hatte man mich auch gebeten, ihm zur Verfügung zu stehen.«

Flint beobachtete mich noch immer voll Argwohn.

»Gut. Gehen Sie der Sache nach. Carvin wird Ihnen assistieren. Sie stehen mir für die Passagiere der 844 gerade. Verstanden? Wegtreten!«

Wir traten weg. Das Telefon klingelte erneut. Wir waren schon auf der Treppe, als wir Flint brüllen hörten: »Ich scheiße auf Journalisten! Ja, egal woher sie kommen. Wenn sie Mist machen, sperrt sie ein!«

»Dann wird er sie ja nie los.« Burstrom blickte griesgrämig drein. »Er ist ein alter Trottel. Sie werden hinterher über ihn schreiben, dass ihm die Sache über den Kopf gewachsen ist und er lieber in seine kleine Provinzstadt in Connecticut zurückgehen und Blumen züchten solle.«

Ich äußerte mich nicht dazu. Mein Beruf hat zumindest den Vorteil, dass sich alles im Schatten abspielt und die Journalisten sich erst nach Jahren mit unseren Angelegenheiten beschäftigen können - sofern man ihnen nicht wie ich zuvorkommt.

»Gehen wir?«, fragte ich Carvin.

»Wir müssen zuerst noch in unser Office, Waffen holen.«

Das war keine schlechte Idee. Als wir dort ankamen, lief uns schon ein Sekretär entgegen. Aufgeregt sagte er zu Burstrom: »Sir, ein Mann hat für Sie angerufen. Es war der Steward der 844, George Hildebrecht. Er behauptete, Angaben über den Tod des Mannes machen zu können. Ich habe ihm gesagt, er soll herkommen.«

»Ausgezeichnet. Ist er unterwegs?«

»Müsste schon längst da sein. Hat vielleicht im Nebel nicht hergefunden.«

»Gut, dann werden wir auf ihn warten.«

Der Sekretär kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Carvin öffnete den Stahlschrank und brachte drei Militär-Colts und ein paar Schachteln Munition zum Vorschein. Zu meiner Überraschung drückte er auch mir eine Waffe in die Hand.

»Sie sind aber sehr viel vertrauensseliger als der Pascha«, bemerkte ich.

»Ach, vielleicht nicht. Wenn ich Ihnen eine Kugel in den Kürbis jagen muss, werde ich Sie vorher nicht erst lange warnen.«

Die Naivität dieses Jungs war wirklich erstaunlich. Ich hütete mich aber, ihm das zu sagen.

Ich setzte mich auf die Ecke eines Tisches, der als Unterlage für ein Gipsrelief diente, das die Insel Wake mit allen ihren Anlagen zeigte. Burstrom drehte an den Knöpfen eines Kurzwellengeräts.

»Was soll denn dieses Gewimmer?«, brummte er missmutig und schlug mit der flachen Hand energisch auf den Apparat. »Überall hört man dasselbe Gekrächze.«

»Was hört man denn?«, fragte Carvin.

»Stimmen. Ich verstehe kein Wort davon.«

»Der künstliche Nebel stört möglicherweise die Wellen«, sagte ich.

»Kann schon sein.«

Burstrom drehte den Apparat ab.

»Wo bleibt denn der Kerl bloß?« nörgelte er. »Von den Mannschaftsräumen bis hierher braucht man nicht mehr als eine Minute.«

»Ein bisschen mehr doch«, verbesserte Carvin.

Ich glaube an Intuitionen. Das gefährliche Leben, das ich seit vielen Jahren führe, hat bei mir eine Art Instinkt entwickelt. Dieses Gefühl ist schwer zu beschreiben und auch nicht immer unbedingt verlässlich. Es hat auch schon Fehlzündungen gegeben. Automatisch ging ich zur Tür.

»Wir können ihm ja entgegengehen. Wer weiß, was los ist.«

Carvin schien zu verstehen, was ich nicht überdeutlich aussprechen wollte.

»Gehen wir!«

Wir traten ins Freie. Noch nie, nicht einmal in London, hatte ich eine ähnliche Erbsensuppe erlebt. Ich streckte meinen rechten Arm aus und war überrascht, noch meine Fingerspitzen zu sehen.

»So eine Sauerei!«, rief Carvin.

»Ich folge Ihnen«, sagte ich. »Sie kennen den Weg besser als ich.«

Er ging los, und ich folgte ihm auf dem Fuß. Wir tasteten uns die Barackenwand entlang. Am Ende angekommen, bog Carvin nach links ab. Nach einigen Metern stolperte er über etwas und fluchte. Ich trat ihm auf die Fersen und musste mich an der Holzwand des Gebäudes festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

»Wer ist das?«, fragte Carvin.

Ich kniete mich hin und fasste unter den Kopf des Mannes, der reglos dalag.

»George Hildebrecht«, sagte ich, »der Steward unserer Maschine.«

»Und er wusste etwas über den Tod Kennedys«, sagte der Adjutant beklommen.

 

 

 

Fünftes Kapitel

 

 

George Hildebrecht war auf die gleiche Weise getötet worden wie Kennedy. Diese Art zu morden war so ungewöhnlich, dass es keiner weiteren Beweise bedurfte: Der Mörder des einen war auch der Mörder des anderen.

Eli Burstrom hatte sofort die beiden Stewardessen der 844 - Pearl Richardson und Suko Natayama - zu sich kommen lassen. Wir dachten, dass der Steward sie vielleicht ins Vertrauen gezogen hatte. Aber beim Verhör stellte sich heraus, dass die beiden Mädchen mit Hildebrecht keinerlei Kontakt gehabt hatten. Im Gegenteil, sie konnten ihn nicht leiden. Er sei ein grober Kerl gewesen und habe sie ständig belästigt. Es war der vierte Flug über den Pazifik, den sie mit ihm zusammen machten, aber sie hätten mit ihm nur über Dinge gesprochen, die unmittelbar zu ihrer Arbeit gehörten.

Ich dachte, sie hätten vielleicht durch Zufall gehört oder gesehen, was der Steward uns jetzt mitteilen wollte. Wir stellten ihnen eine Menge Fragen in dieser Richtung, aber ohne Erfolg. Suko gab zu, dass ihr die eigenartige Stellung aufgefallen war, in der Kennedy schlief. Pearl Richardson hatte gar nicht darauf geachtet. Sie betreute insbesondere die Passagiere der ersten Klasse und betrachtete die Reisenden der Touristenklasse als Kunden, die ihrer Sorge nicht würdig waren. In dieser Abteilung würde sie sich nie den reichen Gatten angeln, von dem sie sicherlich insgeheim träumte.

Wir ließen die beiden laufen. Sie hatten vom Filialleiter der Pan American Airways in Wake den Auftrag erhalten, den Passagieren des Flugs 844 Gesellschaft zu leisten und sich um ihr Wohlbefinden zu kümmern. Man hatte die Fluggäste in einen der zahlreichen Luftschutzkeller gebracht, die unter den Verwaltungsgebäuden lagen.

Kaum waren die Stewardessen weg, machten wir, Carvin und ich, uns auf, um ihnen nachzugehen. Der Nebel war inzwischen noch dichter geworden. Wir tasteten uns vor wie Blinde. Plötzlich zerriss eine Stimme aus dem Lautsprecher die unheimliche Stille, die über der Insel lag. Ein Befehl des Kommandeurs Flint wurde durchgegeben: Niemand dürfe ins Freie, ohne sich vorher eine Gasmaske besorgt zu haben. Einige Soldaten würden von Büro zu Büro gehen, um eine ausreichende Anzahl dieser Dinger zu verteilen. Außerdem sollten sie kontrollieren, ob sie ordnungsgemäß funktionierten. Die Radioaktivität der Luft sei angestiegen und man müsse befürchten, dass in dem Nebel auch noch andere, für Lebewesen gefährliche Teilchen, die man jedoch noch nicht mit Bestimmtheit nachweisen könne, enthalten seien.

»Mein Gott«, sagte Carvin plötzlich, »mir wird ganz elend.«

Das lähmende Warten auf etwas Unbestimmtes war ihm in die Knochen gefahren. Dabei hatte es im ersten Moment so ausgesehen, als ob sich die Ereignisse überstürzen würden. Wir hatten erwartet, dass nach dem Blockieren der Luftstreitkräfte mit Hilfe des künstlichen Nebels ein kurzfristiger Angriff unausbleiblich war. Es waren beinahe zwei Stunden vergangen, und nichts dergleichen war geschehen.

»Wenn die Biester landen«, versuchte ich den vor Angst beinahe zitternden Carvin abzulenken, »sehen unsere Leute sie nicht einmal. Selbst wenn sich die Soldaten an den Händen halten und eine Kette bilden, könnte man ihnen noch zwischen den Beinen durchkriechen, ohne dass sie etwas merken.«

Carvin blieb stehen.

»Ich glaube, wir haben uns verlaufen.«

»Nur keine Aufregung.«

»Ich habe ungefähr die Richtung eingeschlagen, aber ich glaube, wir sind im Kreis gegangen.«

Bei einem Speziallehrgang, den ich 1942 absolviert hatte, mussten wir unter anderem auch Nachtmärsche über ein Terrain üben, das wir uns zuvor bei Tageslicht angesehen hatten. Diese Übung war mir im Lauf der Jahre unzählige Male zugutegekommen.

»Wir sind genau auf dem richtigen Weg«, versicherte ich. »Merken Sie sich eines: Ohne Sicht scheint eine Strecke, die einem gut bekannt ist, immer viel länger. Gehen Sie nur weiter. Wir kommen schon an.«

Wir setzten unseren Weg fort. Ich hatte meine Hände auf seine Schultern gelegt, denn es bestand jederzeit die Gefahr, dass wir einander verloren. Plötzlich machte Carvin einen Satz zur Seite und brüllte:

»Was ist denn das?«

Er war gegen einen Pfosten gerannt. Das war alles. Ich konnte mir nicht verkneifen, verhalten zu lachen. Carvin erkannte den Pfahl. Wir waren da.

Zu guter Letzt hätten uns die beiden Kerle, die die Passagiere bewachten, noch beinahe eins aufs Fell gebrannt. Sie ballerten einfach drauf los, ohne uns anzurufen. Wenn wir nicht schon so nahe gewesen wären, dass wir fast vor ihre Füße fielen, als wir uns duckten, hätte es ein Unglück gegeben. Mit ihren Gasmasken sahen sie recht furchterregend aus.

Wir stiegen die Betontreppe hinunter, die in den Bunker führte. Er bestand aus drei Räumen: einem großen gewölbten Saal, einem kleinen Zimmer, das als Dienstzimmer benützt wurde, und einer Toilette.

Wir hatten den Saal noch nicht richtig betreten, als wir schon von einigen bereits völlig durchgedrehten Leuten bestürmt wurden: woher wir kämen, warum wir keine Gasmasken hätten, was draußen los sei und so weiter und so weiter.

Ich bemerkte sofort, dass Pearl Richardson trotz aller Autorität die Zügel entglitten waren und wir über kurz oder lang mit diesen Leuten Ärger bekommen würden.

Zu allem Überfluss beging Carvin in seiner Unüberlegtheit einen Fehler, der ums Haar katastrophale Folgen gehabt hätte. Er zückte seinen Colt und brüllte Befehle: »Zurück! Ruhe! Blöde Bande!«

Der enervierende Marsch durch den Nebel und die unüberlegte Reaktion der Wachen hatten das ihre getan, um ihn den Kopf verlieren zu lassen. Natürlich, er war jung und unerfahren, aber das war schließlich keine Entschuldigung.

Die Menge wich in wildem Durcheinander zurück. Niemand gab mehr einen Laut von sich. Doch die Reaktion eines einzigen hätte genügt, um ein Desaster auszulösen. Ich setzte mein strahlendstes Lächeln auf und sagte mit möglichst ruhiger Stimme: »Selbstverständlich war das ein Scherz, meine Damen und Herren. Adjutant Carvin wollte Ihnen nur vorführen, was geschähe, wenn wir auf Ihre Kopflosigkeit mit gleicher Kopflosigkeit antworten würden. Das war's. Und nun Schluss damit. Wir haben allen Anlass zu glauben, dass es sich um ein Manöver der Navy handelt. Wahrscheinlich hat man die Behörden von Wake mit Absicht nicht davon in Kenntnis gesetzt, damit das Ganze echter wirkt. In ein paar Stunden ist alles vorüber, und wir können aller Voraussicht nach gleich in Richtung Honolulu weiterfliegen.«

Paul Warren, der Journalist, fiel sofort mit Notizblock und Kugelschreiber über mich her.

»Wer sind Sie? Wie heißen Sie? Welche Funktion üben Sie hier aus?«

Wenn ich wollte, dass mich der Kerl in Ruhe ließ, musste ich mir eine plausible Antwort einfallen lassen. Ich sah ihn an. Er war vielleicht fünfundvierzig Jahre alt und magenleidend. Seine Gesichtsfarbe war gelbgrau, und er trug eine Brille mit Goldrand. Sein Auftreten war mehr als sicher. Er gehörte zu den Typen, die bei einem Interview mit der Königin von England ungeniert beide Beine auf den Tisch legen oder de Gaulle in Gegenwart von fünfzig Zeugen sagen würde, dass Amerika zu einem Kerl, der so weite Hosen trüge wie er, nie Vertrauen haben könne, denn solche Hosen verrieten ja einiges...

»Ich heiße Horace MacBean«, sagte ich, »und bin Beamter des State Department.«

Ich hieß zwar nicht Horace MacBean, aber die zweite Behauptung stimmte einigermaßen: der CIA gehörte zum State Department.

»Das beweisen Sie mir erst.«

Warren spuckte einen Kaugummi gegen die Mauer, auf dem er wahrscheinlich schon seit Tagen herumgekaut hatte.

Ich blieb stumm. Er notierte meinen Namen und meinen angeblichen Beruf mit schnellen Strichen in seinen Notizblock. Dann schaute er erwartungsvoll auf, und als von mir noch immer nichts kam, bellte er: »Na, sind Sie taub?«

Der Kerl fing an, mir auf die Nerven zu gehen.

»Kommen Sie doch bitte mit nach nebenan«, sagte ich. »Da können wir uns in Ruhe über alles unterhalten.«

»Gut«, sagte er blinzelnd.

Wir gingen in den Dienstraum hinüber, und ich schloss sorgfältig die Tür hinter mir. Rechts neben der Tür bemerkte ich einen Apparat, in dem in Büros Akten vernichtet werden. Ich stellte die Maschine an.

»Was soll das bedeuten?«, fragte Warren stirnrunzelnd.

»Nur wegen der Geräusche sagte ich. »Ich möchte nicht, dass man uns zuhören kann.«

Ich lockte ihn ans andere Ende des Raumes.

»Bevor ich meine Identität preisgebe, darf ich Sie doch bitten, mir die Ihre zu beweisen. Korrekt?«

Er lief rot an.

»Jeder kennt mich.«

»Dasselbe könnte ich auch von mir behaupten.«

Er zog seinen Presseausweis heraus und streckte ihn mir ungeduldig hin.

Ich nahm ihn, prüfte ihn scheinbar eingehend. Dann ging ich schnell zur Tür und warf das Dokument in die stampfende Maschine. Das Kreischen wurde ein paar Töne höher. Die Zähne des Apparates brauchten ein oder zwei Sekunden, um das Plastiketui aufzuarbeiten. Dann war alles vorbei.

Paul Warren erbleichte.

»Ich habe gute Freunde bei UPI«, sagte ich gelassen. »Ich lasse Ihnen einen anderen Ausweis ausstellen. Bis dahin werden Sie mich nicht mehr belästigen. Aber jetzt mal ernsthaft: Sind Sie Journalist oder nicht? Beweisen Sie es mir, Mister Warren!«

»Das kommt Sie teuer zu stehen!«, fauchte Warren wütend. »Der Name MacBean wird durch die. gesamte Weltpresse gehen. Das garantiere ich Ihnen.«

»Wenn Sie wüssten, wie egal mir das ist.«

Er kapierte, wiederholte aber hartnäckig seine Drohung: »Das kommt Sie teuer zu stehen, das werden Sie mir bezahlen.«

»Wann immer Sie wünschen, teurer Freund. Bis dahin werden Sie mich aber in Ruhe lassen. Sonst erkläre ich Sie öffentlich zum Betrüger. Und jetzt schenke ich Ihnen die Weltexklusivrechte einer Story: Sie sind der Verdächtige Nummer eins im Mordfall Harris.«

Ich öffnete ihm die Tür und entließ ihn grinsend. Beim Hinausgehen versuchte er, sich noch ein Lächeln abzuringen, das ihm aber vollständig misslang.

»Mistress Kay Kirby!«, rief ich laut.

Sie schien am, anderen Ende des Saales zu sein, und ich musste meinen Aufruf wiederholen. Als sie auftauchte, kam gerade Michael Carvin auf mich zu.

»Entschuldigen Sie bitte wegen vorhin«, sagte er geknickt.

Er hatte sich offenbar wieder gefangen, und ich schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter.

»Brauchen Sie mich?«, fragte er.

Ich zog es vor, ihn im Augenblick nicht in meiner Nähe zu haben, hielt es aber für richtiger, es ihn nicht merken zu lassen.

»Ja«, antwortete ich. »Ich hätte gern, dass Sie die Passagiere aufrufen. Pearl Richardson wird Ihnen dabei helfen. Sie muss die Liste bei sich haben.«

Kay Kirby stand erwartungsvoll vor mir.

»Unterdessen werde ich mich ein wenig mit Mistress Kirby unterhalten, nicht wahr, Madam?«

Carvin war beruhigt. Durch sein Versagen stand er in meiner Schuld, was mir ganz ausgezeichnet in den Kram passte. Ich nahm Mrs. Kirby beim Arm und führte sie in den kleinen Raum.

»Sind Sie verheiratet?«, fragte ich.

»Ich war.«

»Geschieden?«

»Geschieden.«

»Schuldig?«

Sie zögerte einen Augenblick. Wahrscheinlich fand sie die Frage zu direkt.

»Schuldlos.«

»Schon lange?«

»Seit sieben Jahren.«

»Niemals Lust gehabt, noch einmal zu heiraten?«

Ein winziges Lächeln.

»Nein.«

»Liebhaber?«

»Ich wollte sie um jeden Preis schockieren, aber es gelang mir nicht.

»Ab und zu. Man muss etwas für seine Gesundheit tun.«

Sie machte in der Tat einen ausgeglichenen Eindruck.

»Sie sind zweiundvierzig, sagten Sie. Professorin an der Universität Osaka. Wenn das stimmt, warum haben Sie dann das getan?«

»Warum? Was getan?«, fragte sie ruhig.

Es musste verdammt schwer sein, sie aus der Fassung zu bringen.

»Paul Warren, Ihr Nachbar aus dem Flugzeug, war soeben hier und beschuldigte Sie...«

Sie lachte leise.

»Lassen Sie ihn doch noch einmal kommen«, schlug sie vor. »Dann werden wir ja sehen, ob er auf seiner Behauptung beharrt.«

»Später. Er bestätigte mir, dass Sie die Mordwaffe bei sich haben.«

Sie hob beide Arme und streckte sie seitlich aus.

»Schauen Sie nach. Diese Stahlnadel muss ja eine gewisse Länge haben und ist nicht leicht zu verstecken.«

Ich fühlte mich überrumpelt.

»Woher wissen Sie, dass es sich um eine Stahlnadel handelt?«

»Die Stewardess hat es mir erzählt.«

Wir hätten daran denken sollen, den beiden Mädchen einzuschärfen, nicht über die Sache zu sprechen. Zu spät.

»Ich werde eine der Stewardessen kommen lassen und sie bitten, eine Leibesvisitation vorzunehmen,«

Sie errötete unmerklich.

»Ich hätte lieber, wenn Sie es selbst machen würden. Ich lege keinen gesteigerten Wert darauf, verdächtiger zu erscheinen, als ich es ohnehin schon bin. Denken Sie doch an all die hysterischen Menschen da draußen.«

Ich akzeptierte ihren Standpunkt. Sie fürchtete sich also vor gemeinen Anspielungen, wenn nicht vor noch Schlimmerem. Aber es war mir trotzdem unangenehm.

»Es stört mich nicht im geringsten«, versicherte sie.

»Aber mich stört es. Wenn Sie hässlich wären und uralt...«

»Ich denke, mit ein wenig gutem Willen werden Sie die Sache hinter sich bringen, ohne großen Schaden zu nehmen. Die Nadel muss mindestens zwanzig Zentimeter lang sein. So ein Ding merkt man ja bald. Ich meine...«

Sie hatte recht.

»Fangen wir an.«

Sie trug ein beiges Shantungkostüm, das ihren statuenhaften Körper blendend zur Geltung brachte. Sie knöpfte behutsam die' Jacke auf und öffnete sie. Kein Unterkleid. Nichts als ein fast durchsichtiger weißer Nylonbüstenhalter, der sich um ihre kleinen und sicherlich festen Brüste schmiegte. Ihre Haut war makellos und tiefbraun.

»Schauen Sie doch nach!«

Ich begnügte mich damit, die Nähte der Kostümjacke abzutasten. Dann hob ich die Jacke im Rücken hoch, um den Verschluss des Büstenhalters zu kontrollieren.

»Soll ich den Rock ausziehen?«

»Nicht nötig.«

»Sie tun so, als hätten Sie Angst, mich anzufassen.«

Ihre Stimme klang leicht ironisch. Das machte mich ärgerlich. Sie hielt mich wohl für einen kleinen, schüchternen Jungs, der es nicht wagt, eine Frau zu berühren, die überdies noch behauptete, dass es ihr nicht das Geringste ausmache.

Ich dachte daran, dass das vielleicht auch eine Möglichkeit war, sie aus ihrer verdammten Gelassenheit aufzurütteln.

Plötzlich hielt sie den Atem an, die einzige Gefühlsreaktion, die ich bei ihr feststellte. Sie blickte starr zur Tür. Ich drehte mich um und hörte ein überraschtes »Oh!«

Ich ließ Kay Kirby los und wandte mich zur Tür.

Da stand, starr vor Entsetzen und mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen, Miss Lily Carr. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis sie in wildes Schreien ausbrechen und einen Skandal vom Zaun brechen würde. Dem musste ich zuvorkommen.

»Herein!«, rief ich hart.

Sie gehorchte automatisch und ging bis in die Mitte des Zimmers. Ich schloss hinter ihr die Tür. Ganz ruhig fragte mich Kay Kirby: »Nun? Sind Sie zufrieden? Kann ich mich wieder anziehen?«

Ich nahm undeutlich wahr, dass sie purpurrot im Gesicht war. Ob ich der Grund dafür war oder das unvermutete Eindringen Miss Carrs, habe ich nie erfahren. Und schon begann das Mädchen zu zetern: »Wie reizend! Er hat versucht, Sie zu vergewaltigen, nicht wahr?«

Ich hatte in diesem Augenblick gute Lust, ihr eine runterzuhauen. Als Krönung des Ganzen antwortete Kay Kirby ernsthaft: »Aber nein, ich war ja einverstanden!«

Lily Carr schlug fassungslos die Hände vors Gesicht.

»Das kann ich Ihnen einfach nicht glauben«, protestierte sie heftig. »Wie kann eine Frau einverstanden sein, dass - dass...«

»Nun hören Sie mir einmal gut zu, mein Kind«, sagte ich. »Sie missverstehen die Situation völlig. Ich werde Ihnen alles genau erklären.«

»Sie sind ein Schwein! Schweigen Sie! Ich werde Sie bei der Polizei anzeigen!«

Kay Kirbys Augen sprühten Funken. Sie war nun wieder vollständig angezogen.

»Diese halbreife Jungfrau geht mir langsam auf die Nerven«, sagte sie plötzlich voll unterdrücktem Zorn.

»Schmutziges Weib!«, schrie die andere zurück. »Sie sind ein schmutziges Weib! Eine Dirne!«

Es ging so schnell, dass ich kaum sah, wie sich Kay Kirby auf die Kleine stürzte. Lily Carr kreischte angstvoll auf. Der Schlag saß. Und noch einmal und noch einmal. Die Ohrfeigen waren so heftig, dass das Mädchen beinahe umfiel.

Irgendwie hatte ich meinen Spaß daran.

Ich merkte, wie jemand hinter mir die Tür öffnen wollte, und stemmte mich mit der Schulter dagegen.

»Was ist denn los?« Es war Carvin.

»Ach, nichts Besonderes. Wir unterhalten uns gerade ein wenig. Ist schon gut.«

Er fragte nicht weiter und ging. Ich schloss die Tür wieder und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Füllung. Lily Carr war in einen Stahlrohrsessel gesunken und schluchzte vor sich hin. Auf ihren hochroten Wangen sah man deutlich die weißen Spuren von Kay Kirbys kräftigen Hieben.

»Nun haben wir genug gescherzt«, fing ich vorsichtig an. »Bitte, Mistress Kirby, erklären Sie ihr, dass es sich um nichts anderes als um eine Leibesvisitation gehandelt hat. Vielleicht sagen Sie noch dazu, welche wichtigen Gründe für Ihre Ehre und Sicherheit Sie dazu bewogen haben, mich zu bitten, die Sache selbst durchzuführen. Miss Carr ist eine gescheite, weitherzige junge Dame. Sicher wird sie Verständnis für diese besondere Situation haben.«

Ich war mit meinen Einlenkungsversuchen noch nicht zu Ende, als es hinter mir an die Tür klopfte. Ich machte auf. Es war wieder Carvin, diesmal völlig außer sich.

»Ich bin es, Carvin.« Er atmete schwer. »Die drei Japanerinnen... Hören Sie, die drei Japanerinnen - sie sind verschwunden!«

Ich blickte auf Pearl Richardson, die mit ihrer Passagierliste in der Hand neben Carvin stand. Mit einem langsamen Kopfnicken bestätigte sie Carvins Mitteilung. Im gleichen Augenblick gab es eine dumpfe Explosion, und das Licht ging aus.

Eine Frau schrie hysterisch auf.

 

 

 

Sechstes Kapitel

 

 

Eine Panik drohte auszubrechen. Es hörte sich an, als ob alle Frauen und die paar Gören, die mit im Saal waren, gleichzeitig kreischten. Pearl Richardson versuchte mehr oder weniger erfolglos, das Geschrei zu übertönen. Nichts ist ansteckender als Angst. Sechzig Menschen in einem stockdunklen Raum, die sich nicht vorstellen konnten, was passiert war. Sechzig Menschen, die jetzt auf dem Flug nach der paradiesischen Insel Hawaii sein sollten und Opfer höchst mysteriöser Zwischenfälle geworden waren.

Ich wollte meine Stablampe aus der Tasche holen. Die kleine Lampe war ein Gegenstand, den ich immer bei mir trug und der mir, neben einer Reihe von anderen nützlichen Utensilien, schon manchen guten Dienst erwiesen hatte. Ich war aber von der Menschenmasse so eingezwängt, dass ich nicht einmal die Hand in die Tasche brachte. Wie eine Springflut hatten sich die Leute hilfesuchend in das kleine Zimmer ergossen.

Ich boxte mich zwei Schritte nach hinten und traf dabei jemand, der sich anfühlte wie Lily Carr. Da eine menschliche Stimme in dem Tumult unterging, griff ich kurzerhand zu einem anderen Mittel.

Ich fischte nach meinem Colt, zielte an die Decke und drückte ab. Der gewölbte Raum wirkte wie ein Resonanzkasten. Die Detonation verursachte einen Höllenlärm. Der scharfe Pulvergeruch kitzelte mich in der Nase. Plötzlich war es totenstill.

Inzwischen hatte ich auch meine Taschenlampe gefunden und richtete den schwachen Lichtstrahl senkrecht an die Decke. Ich gab mir alle Mühe, meiner Stimme einen zuversichtlichen Klang zu geben:

»Wir haben einen Stromausfall. Lassen Sie sich wirklich so leicht ins Bockshorn jagen? Denken Sie vielleicht, dass Sie mit einer Panik den Schaden beheben? Ich glaubte, es seien Männer unter Ihnen. Wo sind sie?«

Pause. Die Leute hörten mir zu. Ob sie sich schämten? Es war nicht ausgeschlossen. Sie sahen den Lichtstrahl und beruhigten sich langsam.

Ich hörte, wie jemand am anderen Ende des Raumes in einem Schrank wühlte, konnte aber nicht erkennen, wer es war. Vorsichtig leuchtete ich in die Richtung. Es war Carvin. Ich fuhr fort: »Hat einer von Ihnen eine Taschenlampe dabei? Oder ein Feuerzeug?«

Einige Ja!-Rufe wurden laut. Im großen Saal, den ich aus dem Dienstzimmer nur zur Hälfte überblicken konnte, flammte da und dort ein schwaches Licht auf.

»Ich schlage vor, Sie setzen sich wieder hin. Es besteht nicht der geringste Grund zur Aufregung.«

Während die Passagiere sich zu ihren Sitzplätzen vortasteten, verkündete Carvin laut: »Ich habe Lampen gefunden. Wusste ich doch, dass hier welche sind!«

Er knipste eine große Stablampe an und stellte sie auf den Tisch. Im Dienstraum war es nun ziemlich hell. Ich bat Carvin, die übrigen Lampen den Männern anzuvertrauen, die einen einigermaßen verlässlichen Eindruck machten. Unter jedem Arm ein paar Stablampen, ging er in den Saal hinüber.

Ein paar Schritte neben mir stand Pearl Richardson mit ihrer Passagierliste. Sie strahlte eine unerschütterliche Ruhe aus.

»Ich danke Ihnen im Namen der PAA«, sagte sie zeremoniell. »Die Leute haben mich einfach überrannt.«

Ich grinste. Sie war zwar ein arrogantes kleines Luder, aber sie besaß Mut und Anstand.

»Ich möchte mich gern mit Ihnen über die drei Japanerinnen unterhalten, Miss Richardson, wenn es Ihnen recht ist.«

»Nennen Sie mich Pearl. Ich werde Sie Horace nennen.«

Als ich zwei Tage zuvor Pakistan den Rücken gekehrt hatte, war ich fest davon überzeugt gewesen, nie mehr mit diesem lächerlichen Vornamen angesprochen zu werden. Es war ein Irrtum. Der Name Horace ließ sich nicht abschütteln. Natürlich, er stand ja in der Passagierliste.

»Warum nicht!«, sagte ich resigniert.

Die Stewardess schien meinen Widerwillen zu merken und fühlte sich verpflichtet, mir ein Kompliment zu machen: »Ich mag diesen Vornamen sehr. Horace, das war doch ein berühmter ägyptischer Feldherr, nicht wahr?«

Die typische Amerikanerin! Keine Ahnung von Geschichte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie auch noch die Pyramiden mit der Akropolis verwechselt und Caesar für einen kleinen Kaufmann in Marseille gehalten hätte, nachdem sie die Anschläge für die Operette nach dem Werk von Pagnol gelesen hatte, die in Washington seit drei oder vier Jahren an jeder Plakatwand klebten.

»Nein«, berichtigte ich vorsichtig, »das war ein römischer Dichter. Er hat die Reize des einfachen, ruhigen Lebens besungen.«

»Auf jeden Fall ist es ein Vorname, der ausgezeichnet zu Ihnen passt.«

Ich gab es auf.

»Wir wollten uns doch über die drei Japanerinnen unterhalten. Wann haben Sie sie aus den Augen verloren?«

Sie seufzte.

»Wenn ich das nur wüsste! Ich war doch bei Mr. Burstrom, als die Passagiere vom Restaurant hierhergeführt wurden.«

Ich wandte mich an Kay Kirby.

»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«

Sie zuckte die Schultern. Keine Ahnung.

Lily Carr, die sich von ihrem Schrecken erholt zu haben schien, kam dazu und sagte zu Pearl: »Als wir hierhergingen, war der Nebel schon so dicht, dass man kaum seinen Nebenmann sah. Ich kann mich nicht erinnern, sie gesehen zu haben, seit wir hier sind.«

»Vielleicht sind sie unterwegs verlorengegangen«, meinte Pearl. »Mit ihren Holzschühchen können sie nicht besonders schnell gehen. Möglich, dass eine von ihnen gestolpert und hingefallen ist und die anderen zwei sie nicht allein zurücklassen wollten.«

Das war nicht ausgeschlossen. Trotzdem kam mir dieses plötzliche Verschwinden merkwürdig vor. Ich wollte mich gerade dazu äußern, als das Telefon klingelte. Ich hob ab.

»Hallo?«

Es war Burstrom. Ich nannte meinen Namen. Dann: »Was gibt’s?«

»Das Elektrizitätswerk ist in die Luft geflogen. Sabotage. Rufen Sie doch bitte alle Passagiere auf.«

»Schon geschehen.«

»Und?«

»Alle da, bis auf drei japanische Tänzerinnen. Reizende junge Dinger in seidenen Kimonos. Sie waren unterwegs nach Honolulu zu irgendeinem Gastspiel.«

»Sind Sie sicher, dass es Mädchen waren?«

»Ich habe sie nicht untersucht.«

»Sie wissen ja, es ist hier nicht selten, dass auf der Bühne Männer Frauenrollen spielen und umgekehrt. Kapieren Sie?«

»Natürlich«, antwortete ich leicht verärgert. »Wir werden schauen, dass wir sie bald aufstöbern. Alarmieren Sie Ihre Wachen. Drei Mädchen in Kimonos können nicht vom Erdboden verschwinden.«

»Bedenken Sie den Nebel.«

»Ja, sicher! Was gibt’s sonst Neues? Die Marsbewohner sind noch nicht gelandet?«

»Lästern Sie nicht! Was weiß man, was noch alles passiert?«

»Unsere Leute fangen an nervös zu werden. Sie mögen die Finsternis nicht.«

»In einem der Schränke sind Lampen.«

»Carvin hat sie schon gefunden.«

»Wir sind gerade dabei, die Reserveaggregate in Betrieb zu nehmen. Es wird nicht mehr lange dauern. Außerdem wird auf der Rollbahn hektoliterweise Benzin verbrannt, um diesen verdammten Nebel wegzukriegen.«

»Was macht die Radioaktivität?«

»Unverändert. Ich klingle Sie in regelmäßigen Abständen an. Wenn nicht auch noch die Telefonleitungen geknackt werden...«

»Unsinn! Viel Spaß drüben!«

Ich legte auf. Carvin war zurückgekommen. Pearl sah mich erwartungsvoll an.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte ich. »Washington schickt uns McNamarra. Er kennt die Gegend, und bald wird sich alles in Wohlgefallen auflösen.«

Im gleichen Augenblick kam das Licht zurück. Es war ein gelbes, ziemlich trübes Licht, aber es brannte. Im Saal draußen riefen einige »Hurra«. Kay Kirby warf einen kurzen Blick auf die Deckenlampe, dann auf mich.

»Was soll denn die Geschichte mit den Marsmenschen?«

»Ein Scherz.«

Sie mimte Enttäuschung.

»Wie schade! Dabei träume ich schon seit Jahr und Tag, meine Vorlesungen über amerikanische Zivilisation auch einmal vor außerirdischen Studenten zu halten.«

Carvin riss die Augen auf.

»Im Ernst?«, fragte er. »Ist das wahr?«

»Blödsinn!« Ich konnte mich nicht zurückhalten. Der Mensch legte tatsächlich jedes Wort auf die Goldwaage.

»Sie sind wohl komplett übergeschnappt. Marsmenschen pflegen nie in U-Booten anzuschwimmen. Wie alle Welt weiß, reisen sie vornehmlich per fliegender Untertasse.«

Unwillkürlich hatte ich einen sarkastischen Ton angeschlagen. Der Adjutant machte mich nervös. Ein verschrecktes Gesicht zeigte sich im Türspalt, fuhr aber gleich wieder zurück, als ich brüllte: »Tür zu! Verdammt noch mal!«

Pearl stand auf und schloss die Tür. Ich holte tief Atem, um meinen Ärger hinunterzuschlucken, und verkündete dann: »Ich gehe jetzt zum Restaurant zurück. Möglich, dass unsere drei Tanzmädchen dort zurückgeblieben sind.«

»Soll ich mitkommen?«, fragte Carvin.          

»Nein. Miss Richardson braucht Sie hier, um die Ruhe aufrechtzuerhalten.«

Sofort mischte sich Lily Carr ein: »Natürlich! Er will um jeden Preis allein gehen. Denken Sie doch, drei Mädchen auf einmal... Die armen Dinger!«

Michael Carvin sah sie verblüfft an, und Kay Kirby bemerkte trocken: »Total verrückt!«

»Was meinen Sie damit?«, fragte Pearl, die auch kein Wort verstand.

»Fragen Sie ihn nur selbst!«, kreischte Miss Carr aufgeregt.

»Sie sind doch Ärztin«, sagte ich ruhig. »Ich glaube, es ist Zeit, dass Sie etwas für Ihre Stabilisierung tun.«

»Ich gehe mit!«, entgegnete sie. »Wie kann ich zulassen, dass Sie drei Mädchen auf einmal...«

Ich hatte große Lust, ihr ein paar runterzuhauen. Aber das hätte die Sache wahrscheinlich auch nicht besser gemacht. Im Grunde genommen war sie ja ein armes Ding. In einem streng puritanischen Milieu aufgewachsen, hatte sie eine unüberwindliche Abneigung gegen alles, was mit Sex zusammenhing, so wie manche Menschen eine krankhafte Angst vor Bakterien haben. Mit ihren zweiunddreißig Jahren war sie sicher noch unberührt.

»Kommen Sie mit«, sagte ich versöhnlich. »Das wird Sie auf andere Gedanken bringen.«

Sie lachte nervös, warf mir aber gleich darauf einen befriedigten Blick zu.

Carvin holte uns aus dem Schrank zwei Gasmasken und zeigte uns, wie man damit umgehen musste. Dann gab er uns noch einige Hinweise für den Weg zum Restaurant, das ungefähr hundert Meter entfernt war.

»Die MPs werden Sie nicht rauslassen«, meinte Pearl.

»Ich begleite Sie zum Ausgang. Mich kennen sie ja«, sagte Carvin.

Er sprach kurz mit den beiden Wachen, und wir machten uns auf den Weg. Es war mühsamer, als ich mir vorgestellt hatte. Schritt für Schritt tastete ich mich vor in der Richtung, die Carvin uns gewiesen hatte. Die Gasmaske störte mich außerordentlich. Ich hatte das Gefühl, im nächsten Augenblick zu ersticken. Hinter mir trottete Miss Carr. Ich hatte keine Lust, ihr auch nur irgendwie behilflich zu sein.

Wir waren noch keine dreißig Schritt weit gegangen, als mich meine Begleiterin plötzlich am Ärmel packte. Ich blieb stehen. Ihre Maske näherte sich der meinen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um mir etwas zu sagen. Ich konnte sie beim besten Willen nicht verstehen. Alles, was durch meine Maske drang, waren ein paar Laute, die wie Magenknurren klangen.

»Was sagen Sie?«, brüllte ich.

Wieder hörte ich ein paar gurgelnde Töne. Diesmal klang es wie Wasser, das durch den Abfluss eines Waschbeckens rauscht.

»Sprechen Sie lauter!«, schrie ich wieder.

Diesmal schien sie alles dranzusetzen, und ich verstand: »Wir werden verfolgt.«

Es kam mir reichlich unwahrscheinlich vor, dass uns jemand in dem zum Schneiden dicken Nebel folgen konnte. Was sie für Schritte hielt, war vielleicht nur das Tosen der Brandung.

»Das ist das Meer. Der Strand ist kaum fünfzig Meter weit.«

»Sind Sie sicher?«

»Natürlich.«

Wir gingen weiter. Es war fast dunkel. Der Nebel schien doch ziemlich weit in die Höhe zu reichen.

Ich würde lügen, wenn ich behauptete dass ich mich in diesem Augenblick sehr behaglich fühlte. Mir war so komisch zumute wie schon lange nicht mehr. Vielleicht hing das auch mit den Atembeklemmungen zusammen, die mir die Maske verursachte. Ich war nicht ganz sicher.

Plötzlich blieb ich stehen. Ein Schatten war vorbeigehuscht. Von rechts nach links,- zum Greifen nahe. Automatisch brüllte ich: »He! Wer ist da?«

Lily Carr war in mich hineingerannt und klammerte sich ängstlich an meinen Arm.

Keine Antwort.

Ich versuchte mir einzureden, dass ich mich getäuscht hatte. Aber es gelang mir nicht ganz. Lily Carr hing an mir wie eine Klette und trat mir bei jedem Schritt auf die Füße.

Der Weg schien kein Ende zu nehmen. Nach dem kleinen Zwischenfall hatte ich die Anzahl der Schritte vergessen, die wir schon zurückgelegt hatten. Ich überlegte. Wir mussten mindestens zwei Drittel des Weges hinter uns haben. Vorausgesetzt, dass Carvin uns nicht die verkehrte Richtung angegeben hatte.

Irgendwo rechts hörte ich Stimmen. Beinahe im gleichen Augenblick bellte ein Maschinengewehr.

Ich warf mich blitzschnell in den Sand, wobei ich Lily Carr mitriss. Einige Leuchtkugeln schwirrten pfeifend über unsere Köpfe hinweg und zerrissen für Bruchteile von Sekunden die dunkle Nebelwand.

Lily Carr presste sich an mich. In ihrer panischen Angst entdeckte sie, dass ein solider Männerleib manchmal doch ganz gute Dienste leisten kann, die nicht gegen die Moral verstoßen. Aber die Berührung mit ihrem Körper ließ mich kalt. Was mich viel mehr beschäftigte, war der Gedanke, dass der verrückte Soldat vor uns jeden Augenblick seine Waffe senken konnte und wir im Handumdrehen ins Jenseits segeln würden.

Mit einem Schlag hörte der Beschuss auf. Wieder vernahm ich Stimmen, sah aber nichts. Ich zog vor, noch eine Weile liegen zu bleiben. Man konnte ja nicht wissen. Außerdem war mir Lily Carrs Nähe durchaus nicht mehr unangenehm. Vertrauensvoll kuschelte sie sich an mich.

Nach einigen Minuten war nichts mehr zu hören, außer dem gleichmäßigen Rauschen der Brandung.

Lily Carr lag immer noch unbeweglich neben mir. Durch die beschlagene Plastikscheibe ihrer Gasmaske konnte ich undeutlich ihre geschlossenen Augen sehen. Sie schien Vogel Strauß zu spielen: Augen zu, es wird schon nichts passieren.

Die enge Berührung mit dem Frauenkörper machte mich langsam verrückt. Deshalb zog ich vor aufzubrechen, bevor meine charmante Begleiterin wieder einen Grund fand, mich Wüstling zu schimpfen.

Inzwischen war ich keineswegs mehr so sicher, dass wir die richtige Richtung eingeschlagen hatten. Aber mein Ortssinn funktionierte wieder einmal tadellos: Nach ein paar Schritten stießen wir auf eine kleine Balustrade. Es war der Eingang zur Restaurant-Baracke.

Wir gingen in das Gebäude hinein, schlossen die Tür hinter uns und legten die Gasmasken ab. Tiefe Finsternis. Ich suchte nach einem Lichtschalter. Kein Strom.

Ärgerlich stellte ich fest, dass ich meine Taschenlampe drüben im Keller gelassen hatte. Wahrscheinlich lag sie neben dem Telefon.

»Ist hier jemand?«, rief ich vorsichtshalber.

Keine Antwort. Ein unheimliches Knacken. Sofort schlang die »halbreife Jungfrau«, wie Kay Kirby die junge Frau getauft hatte, ihre Arme um mich.

»Haben Sie gehört?«, murmelte sie.

Insgeheim bereute sie wahrscheinlich schon längst, sich in dieses Abenteuer eingelassen zu haben. Vielleicht dachte sie sogar, dass die Tugend der drei Japanerinnen es gar nicht wert war, dass sie solche Strapazen auf sich nahm. Man wusste ja, was das für leichtsinnige Damen waren. Alle Jungs, die aus Japan zurückkamen, erzählten mehr oder weniger skandalöse Dinge über die Töchter der auf gehenden Sonne, Dinge, die vielleicht doch nicht ganz aus der Luft gegriffen waren. Wenn dies kein Gerücht war, dann war es mit der Moral der Japanerinnen noch schlechter bestellt als mit der der Französinnen. Und das musste etwas heißen.

Ich schüttelte Lily Carr ab.

»Wo gehen Sie hin?«

»Nachsehen.«

»Sie können mich doch nicht alleinlassen.«

Ich musste sie ein wenig ärgern.

»Keine Angst, Miss Carr, die drei Mädchen werden sich sicher nicht vergewaltigen lassen, ohne Krach zu schlagen. Wenn Sie sie schreien hören, wer weiß, vielleicht schreien sie auch vor Vergnügen. Dann kommen Sie schnell zur Protokollaufnahme.«

Sie ließ mich nicht los.

»So habe ich es doch gar nicht gemeint, das wissen Sie doch«, sagte sie zerknirscht. »Ich habe solche Angst.«

»Ich wollte Ihnen damit nur sagen, dass Sie sich in Zukunft gefälligst nicht mehr in anderer Leute Angelegenheiten mischen sollen.«

Energisch stieß ich sie zur Seite und tastete mich zwischen den Tischen vorwärts bis zum Ende des Raumes. Ich hatte vielleicht dreiviertel des Weges hinter mich gebracht, als ich mit einer ungeschickten Bewegung bei Lily Carr einen Schreikrampf auslöste.

»Horace! Horace! Kommen Sie schnell! Ich kann nicht mehr!«

»Das war nur ein Stuhl, an den ich gestoßen bin. Halten Sie den Mund!«

Ich erreichte die Tür zum Büro. Sie stand offen. Auch hier war es stockfinster.

»Hallo?«, rief ich wieder. »Ist hier jemand?«

Keine Antwort. Ich zog mein Feuerzeug aus der Tasche und knipste es an.

Im Schein der schwachen Flamme sah ich gegenüber eine zweite Tür.

Ich ging hin, öffnete sie und gelang in die Küche. Ein mattes Licht fiel durch die beiden Fenster. Leer. Es roch nach kaltem Kaffee und noch etwas, was ich aber nicht definieren konnte. Ich kehrte um. Ein scharfer Luftzug warf mit einem Knall die Tür hinter mir zu. Die Baracke zitterte in allen Fugen. Mein Feuerzeug ging aus. Ich stand im Finstern. Ein grässlicher Schrei drang von nebenan herüber, gefolgt von einem Geräusch, das mit dem Stampfen einer Bisonherde hätte konkurrieren können, wie man es in Western-Filmen oft hört.

Ich versuchte gerade, mein Feuerzeug wieder .anzumachen, als mich ein heftiger Schlag beinahe umlegte. Das Feuerzeug fiel zu Boden. Es war Miss Carr, die mich buchstäblich überrannt hatte. Sie klapperte vor Angst mit den Zähnen.

»Ich habe - jemand - gesehen...«

Sie umklammerte mich wie einen Baum, drängte mich dabei an die Wand. Ich ergriff ihren Arm und zwang sie, sich umzudrehen. Sie krümmte sich vor

Schmerz und stieß mir wütend ihr Hinterteil in den Bauch.

»Langsam«, sagte ich ruhig. »Sie drücken mich sonst noch durch die Wand.«

Ich zog meinen Colt aus der Tasche und hielt ihn vor uns. Mit dem anderen Arm presste ich Lily Carr an mich. Ich zielte auf das helle Rechteck, das die Türöffnung vor dem dunklen Saal bildete. Wenn sich aus dieser Richtung jemand anschlich, so konnte ich ihn unmöglich übersehen. Dabei blieben wir selbst unsichtbar.

Wir warteten. Es rührte sich nichts. Mir fiel plötzlich auf, dass ich die bezaubernde Lily Carr als Schutzschild verwendete. Das ging nicht. Ich wollte sie zur Seite schieben, doch sie widersetzte sich mit aller Kraft.. Ich gab nach. Sie fühlte sich offenbar ganz wohl, so dicht an meinen Leib gepresst.

Nichts geschah. Lily hatte sich beruhigt, wich aber keinen. Millimeter von mir ab.

»Was machen wir jetzt?«

Unsere Wangen berührten sich. Mir lag schon ein sehr naheliegender Vorschlag auf der Zunge, aber meine angeborene Schüchternheit gegenüber Mädchen wie Lily Carr hinderte mich daran, ihn auszusprechen.

»Ich muss noch auf die Toilette gehen«, sagte ich leise.

»Oh!«

Mit einem Ruck löste sie sich von mir.

»Ich muss doch auch dort nachsehen«, erklärte ich hastig.

»Gut«, antwortete sie beruhigt, blieb aber stehen, wo sie war.

Fast war ich ein wenig enttäuscht, dass sie mir nicht gleich wieder um den Hals fiel. Ich muss aber zugeben, dass sie in der kurzen Zeit schon ganz beachtliche Fortschritte gemacht hatte, was die Verständigung zwischen Mann und Frau betrifft. Aber es half nichts, ich musste weiter.

Lily nahm meine Hand. Wir verließen das Büro und schlugen nach links in Richtung der Toiletten. Vorsichtig stieß ich mit meinem Colt gegen die Tür. Sie gab nach. Auch hier war es stockfinster. Ich machte meine Hand frei.

»Sie haben nicht zufällig Streichhölzer bei sich?«

»Nein.«

»Augenblick. Halten Sie mal den Atem an.«

Sie gehorchte. Auch ich hielt die Luft an. Kein Zweifel. Wir waren nicht allein im Raum. Man hörte ein schwaches Atmen.

»Gehen wir«, flüsterte Lily.

»Laufen Sie schnell in die Küche und suchen Sie Streichhölzer. Da ist wer.«

»Vielleicht funktioniert inzwischen das Licht«, entgegnete sie zaghaft.

Sie fand den Schalter und knipste an. Die Helle blendete uns einen Augenblick. Dann sahen wir sie. Es war ein herzbewegender Anblick. Unter den Waschbecken kauerten eng aneinander geschmiegt unsere drei Geishas.

Ich brach in schallendes Gelächter aus.

 

 

 

Siebtes Kapitel

 

 

Auch im Speisesaal funktionierte das Licht. Ich hatte beim Hereinkommen nur den falschen Knopf erwischt und die Außenlampe angemacht, deren Schein aber vom Nebel verschluckt wurde.

Auf der Theke stand ein Telefon. Ich rief Carvin an und bat ihn, mir einen Mann' mit Gasmasken zu schicken. Außerdem schlug ich vor, per Lautsprecher ausrufen zu lassen, dass wir unterwegs seien, damit wir nicht wieder ein Trommelfeuer über uns ergehen lassen mussten. Er versprach es zu tun. 

Es war Paul Warren, der uns abholen kam. Ich war überrascht. Zu meiner Information erzählte er mir, dass er bei der Eroberung von Wake durch die US- Marine im April 1944 dabei gewesen sei. Als Kriegsberichterstatter habe er den größten Teil der Kämpfe im Pazifik mitgemacht. Er kannte die Insel wie seine Westentasche. Was unsere gegenwärtige Lage betraf, so habe er im Lauf seines verdammten Lebens schon ganz andere Sachen gesehen.

»Na gut«, sagte ich. »Schließen wir Frieden.«

Er reichte mir versöhnt die Hand.

»Hab ich mir doch gleich gedacht, dass Sie einer vom Secret Service sind«, sagte er. Ich verzeihe Ihnen. Sie hatten sicher Ihre Gründe.«

Es fehlte nur noch der Choral bei diesem Affentheater.

Galant halfen wir den drei Geishas, die Gasmasken aufzusetzen. Leider war das keine Komödie, sondern bitterer Ernst. Dann starteten wir im Gänsemarsch, Warren an der Spitze, Lily und ich am Ende. Unser Kommen war inzwischen per Lautsprecher durchgegeben worden, und es war anzunehmen, dass alles glatt ging. Die drei Japanerinnen trippelten recht mühsam in ihren Holzschuhen. Nicht gerade das geeignetste Schuhwerk für diesen sandigen Boden. Lily hatte wieder meine Hand ergriffen. Sie wurde zutraulich. Es reizte mich, sie herauszufordern.

»Die Berührung mit dem Bösen stößt Sie wohl nicht mehr ab?«, fragte ich mit unüberhörbarer Ironie.

Ihre Antwort verblüffte mich.

»Mit welchem Bösen?«, entgegnete sie arglos. »Ich bete doch für Ihr Seelenheil, Horace. Sicher wird Gott mich in seiner unendlichen Güte bald erhören.«

Ich musste etwas Passendes antworten.

»Ich will auch für Sie beten. Wahrscheinlich haben Sie’s genauso nötig wie ich.«

»Ich wusste ja, dass Sie noch nicht ganz verloren sind. Ich werde mich ernsthaft Ihrer annehmen, Horace. Das verspreche ich Ihnen.«

»Ich möchte aber nicht, dass Sie Ihre Zeit vergeuden. Das Leben ist kurz.«

»Ich bin glücklich, Ihnen helfen zu dürfen.«

Plötzlich ging’s nicht mehr weiter. Wir waren angekommen. Der Eingang zum Bunker war unbewacht.

»Wir sind falsch!«, brüllte ich Warren zu. »Da standen doch Kerle an der Tür.«

»Sind vielleicht schwimmen gegangen«, antwortete der Journalist und zog den Kopf ein, bevor er die Treppe hinunterstieg.

Ich folgte als letzter. Wir waren doch richtig.

»Die Wachen haben sich verdünnisiert«, meldete ich Carvin, der uns in Empfang nahm.

Er schnitt eine Grimasse.

»Halb so tragisch.«

Er zog mich ins Dienstzimmer und schloss hastig die Tür.

»Was ist denn los? Ist irgendetwas passiert?«

Er schluckte ein paarmal.

»Warten Sie einen Augenblick. Sie werden gleich sehen.«

Er schob mich zu dem leise summenden Kurzwellengerät und drehte an einem Knopf. Das Summen wurde lauter.

»Ich habe Honolulu eingestellt«, erklärte er.

Ich beugte mich vor, um besser hören zu können. Im Hintergrund plärrten irgendwelche Hawaii-Songs, die von einem undurchdringlichen Stimmengewirr übertönt wurden.

»Es ist schlecht eingestellt«, sagte ich. »Zwei Sender übereinander.«

»Nein, nein, warten Sie nur ab.«

Er drehte an einem anderen Knopf und suchte einen zweiten Sender.

»San Francisco.«

Ein Ansager sprach näselnd irgendeinen amerikanischen Text, aber es war unmöglich, auch nur ein Wort zu verstehen. Immer wieder kamen andere Stimmen dazwischen. Die gleichen Stimmen wie auf der Wellenlänge von Honolulu.

Um mich vollends zu überzeugen, dass hier etwas Schräges im Gang war, holte Carvin noch Tokio, Melbourne und schließlich Manila. Es war überall das gleiche.

»Wenn drüben nicht gerade Mitternacht wäre, würde ich es auch mit Moskau versuchen...« 

»Hat wohl nicht viel Sinn«, unterbrach ich ihn. »Selbst auf den Zwischenlängen sind diese Stimmen zu hören. Versuchen Sie doch einmal, sie zu isolieren.«

Es gelang ihm auf Anhieb. Ich stellte etwas lauter.

»Englisch ist das jedenfalls nicht«, sagte er.

Es war weder Englisch noch Amerikanisch noch sonst eine Sprache. Ich konnte zwar eine ganze Menge Sprachen neben dem Dutzend, das ich auch sprechen kann, aber ich hatte nie etwas Ähnliches gehört.

Ich drehte den Ton leiser und ging ans Telefon, um Eli Burstrom anzurufen.

»Haben Sie schon "Radio gehört?«

»Ja. Klingt ganz nach Überlagerungen.«

Der Mann war wirklich nicht aus der Ruhe zu bringen.

»Das kann man wohl sagen. Verstehen Sie vielleicht dieses Kauderwelsch?«

»Nein. Keinen Ton. Kann sein, dass der Nebel da etwas Verwirrung gestiftet hat.«

»Ja, möglich.«

Ich glaubte Burstrom seine Gelassenheit nicht. Wahrscheinlich hatte er einfach keine Lust, mich über gewisse Dinge zu informieren. Das war sein gutes Recht, zugegeben.

»Und was gibt’s sonst Neues zu berichten?«, fragte ich.

»Immer noch die gleiche Pleite. Der Peildienst meldet gerade, dass die U-Boote verschwunden sind.«

»Die U-Boote?«

»Ja, die U-Boote.«

Carvin, der neben mir stand, nahm mir den Hörer aus der Hand.

»Und was weiter?«, fragte er hastig.

»Weiter gar nichts. Der verdammte Nebel ist nicht wegzukriegen. Dabei meldet man uns eine Maschine Richtung Honolulu.«

»Kann sie nicht noch den Kurs ändern?«

»Zu wenig Sprit. Ein Militärtransporter, der uns wahrscheinlich überraschen wollte. Die werden Augen machen, wenn sie die Bescherung hier sehen!«

»Man könnte sie lotsen.«

»Die Chance ist eins zu tausend. Wir sind ja schließlich nicht Shannon. Wofür auch?«

Schweigen auf beiden Seiten. Jeder dachte daran, was unweigerlich passieren musste, wenn der Nebel anhielt.

Burstrom fuhr fort: »Und eure drei Geishas?«

»Sind hier.«

»Was war los mit ihnen?«

»Suko Natayama, die zweite Stewardess, fragt sie gerade aus.«

»Ist das eine Japanerin?«

»Nein, Amerikanerin. Ihr Vater ist naturalisierter Japaner. Sie ist in San Francisco geboren. Spricht ein wenig Japanisch.«

»Und weiter?«

»Allem Anschein nach waren die drei kleinen Katzen gerade dabei, sich auf der Toilette zu schminken, als die Passagiere abgeholt und zum Luftschutzkeller gebracht wurden. Da sie kein Wort Englisch verstehen, haben sie gar nicht gemerkt, was los war. Bis sie plötzlich entdeckten, dass außer ihnen kein Mensch mehr im Restaurant war. Dann sind sie wohl an die Tür gegangen und haben den Nebel gesehen. Ich kann mir vorstellen, wie sie das große Zittern bekamen.«

»Das haben sie erzählt?«

»Das habe ich jedenfalls verstanden.«

»Wenn ich mich nicht irre, saßen sie im Flugzeug hinter Kennedy?«

»Ja.«

»Ich habe sie nicht gesehen. Wie sind sie frisiert?«

»Sie tragen die Geisha-Frisur, wie man sie in Japan nur noch auf der Bühne oder in Bilderbüchern sieht.«

»Zu so einer Frisur braucht man doch Haarnadeln, nicht?«

»Ich glaube ja. Warum?«

»Nur so. Denken Sie selbst nach.«

Carvin legte auf. Wortlos kehrten wir zu dem Radioapparat zurück, der leise vor sich hin summte. Ich stellte ihn lauter. 

»Rufen Sie Warren!«, befahl ich Carvin.

Er ging. Der Journalist war sofort zur Stelle. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, winkte ich ihm, näherzukommen.

»Wie sieht es mit Ihren Sprachkenntnissen aus?«, fragte ich ihn.

»Ich habe ein Diplom für orientalische Sprachen. Und diese Narren schicken mich jetzt nach Mexiko.«

»Hören Sie sich das mal an. Verstehen Sie etwas?«

Er horchte eine Zeitlang, dann sagte er vorsichtig: »Wenn man die Wellenlänge weiß, kann man ganz leicht auch den Sender herausbekommen. Sicher hat der Funker hier ein entsprechendes Verzeichnis.«

»Es geht mir nicht um den Sender. Man hört auf jeder Station das gleiche. Ich möchte nur wissen, was das für eine Sprache ist.«

Ich ließ den Zeiger über die Skala gleiten. Überall dasselbe Stimmengewirr. Plötzlich kratzte sich Warren hinter dem Ohr.

»Ich habe einmal etwas über solche Sachen geschrieben. Ist schon lange her. Ich glaube, es war 1958. Der Präsident der ČSSR hielt eine Rundfunkansprache. Eine Minute nach Beginn der Rede sprach eine unbekannte Stimme dazwischen, die immer genau das Gegenteil von dem sagte, was der Präsident aussprach. Die Geheimpolizei suchte lange nach dem Störenfried, aber ohne Erfolg. Die Stimme kam angeblich aus Westdeutschland und wurde auf einem Leitstrahl nach Prag gesendet. Es handelt sich da um eine äußerst komplizierte Technik, die aber tadellos funktioniert. Ich habe gehört, dass die Russen in der Entwicklung dieses Systems allen anderen Staaten weit voraus sind.« 

Ich war skeptisch.

»Warum sendet man uns aber Kauderwelsch? Ich sehe keinen Sinn darin.«

»Ich weiß es auch nicht. Vielleicht will man uns nur nervös machen.«

Er horchte noch einmal.

»Irgendwie erinnert mich das an einen Dialekt, der in Zentralasien gesprochen wird. Ich verstehe aber keine Silbe.«

Das Licht, das unterdessen wieder sehr schwach geworden war, fing an zu flackern und ging aus.

»Das wird aber jetzt langsam penetrant«, meuterte der Journalist.

Ich konnte ihm nur beipflichten.

»Carvin«, rief ich, »wo sind die Lampen?«

»Sofort!«

Er stand auf und stieß gegen einen Stuhl, der mit Getöse umfiel. Nebenan wurde es wieder unruhig. Wir hörten die klare beruhigende Stimme Pearl Richardsons: »Bitte, bleiben Sie auf Ihren Plätzen. Das Licht kommt gleich wieder.«

Wo hatte die Stewardess nur die Lampen hingetan? Ob sie sie nach dem ersten Stromausfall wieder eingesammelt und aufgeräumt hatte? Carvin konnte nur eine finden. Er knipste sie an. Unsere Schatten bewegten sich gespenstisch auf der kahlen Wand. Und wieder Pearl Richardson: »Suko! Die Lampen liegen auf dem kleinen Tisch neben dem Eingang!«

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Eine kleine fette Frau mit einem Strohhut auf dem Kopf schoss herein und fing an, uns wild auf mexikanisch zu beschimpfen. Sie habe die Nase voll von dieser lächerlichen Komödie. Sie sei einflussreich und wohlhabend genug, um sich einen Gruselfilm in ihrem Heimkino vorführen zu lassen, wenn sie Lust dazu hatte. Sie bestehe darauf, sofort nach Honolulu weiterzufliegen, sonst würde sie die Fluggesellschaft, den Kommandeur der Insel, den Präsidenten der Vereinigten Staaten und andere geldhabende Personen auf Millionen Schadenersatz verklagen. Sie war außer Rand und Band vor Zorn. Schließlich übergoss sie uns noch mit einer Flut ausgewählter Beleidigungen, die unter anderem die Ehre unserer Mütter und unsere Männlichkeit in Frage stellten.

Der Ausbruch dieser Furie war mehr, als ich ertragen konnte. Ich ging ihr entgegen, schloss die Tür und gab ihr zwei kräftige Ohrfeigen.

Atemlos und mit zitternden Händen befühlte sie ihre misshandelten Wangen. Mit weitaufgerissenen Augen starrte sie mich an, als ob der Teufel vor ihr stünde.

»Ein Wort und es sitzt noch eine«, drohte ich finster.

Ich drängte sie mit Gewalt in einen Rohrsessel, der unter ihr zusammensackte. Sie brach in einen Tränenstrom aus und winselte dabei wie eine Hündin, der man die Jungs weggenommen hat.

»Wir müssen uns unbedingt etwas einfallen lassen, sonst schnappen uns die Leute da draußen über«, sagte Warren. »Wenn wir sie nicht ablenken, kommen wir noch in Teufels Küche mit ihnen. Sie machen sich gegenseitig verrückt mit ihren Ideen über die Landung der Marsmenschen.«

Das Licht kam zurück. Ein vielstimmiger Laut der Erleichterung drang aus dem Saal herüber. Es klopfte. Pearl trat ein. Sie war sehr blass, und bläuliche Schatten lagen unter ihren hellen Augen. Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich erschöpft gegen die Füllung.

»Etwas nicht in Ordnung?«, fragte ich.

Sie senkte sekundenlang die Lider.

»Es wird schon gehen. Es muss ja... Aber es wird immer schwieriger, die Leute in Schach zu halten.«

Ich blickte zu Carvin.

»Gibt es nicht eine Möglichkeit, die Leute in kleine Gruppen aufzuteilen und eventuell in verschiedenen Räumen unterzubringen?«

Er schüttelte verneinend den Kopf.

»Unmöglich. Dieses hier ist der einzige Bunker für Zivilisten.«

»Dann können wir nur hoffen, dass wir bald hier raus können.«

Pearl sah die Mexikanerin, die immer noch vor sich hin weinte.

»Señora Ramirez!«, rief sie. »Was tun Sie denn hier?«

»Sie hat uns nur einen kleinen Besuch abgestattet«, sagte ich.

»Warum weint sie?«

»Weil ich angeblich einem Mann ähnlich sehe, den sie einmal sehr geliebt hat.«

»Es tut mir ja so leid«, sagte Pearl.

»Da können Sie doch nichts dafür«, gab ich zurück.

Warren grinste boshaft. Er wollte gerade etwas sagen, als drüben ein Schrei ertönte, der uns die Haare zu Berg stehen ließ. Pearl Richardson drehte sich auf dem Absatz um, riss die Tür auf. Wir stürzten ihr nach. Männer, Frauen und Kinder drängten in größter Hast zum Ausgang. In der Mitte des Saales stand ganz allein die anbetungswürdige kleine Suko mit einer Lampe in der Hand und starrte unverwandt auf die drei Geishas. Sie saßen nebeneinandergeschmiegt auf einer Wandbank, die schwarzen Köpfe mit den weißgeschminkten Gesichtern zärtlich zusammengesteckt.

Ich brauchte nur wenige Sekunden, um zu erkennen, dass sie tot waren.

 

 

 

Achtes Kapitel

 

 

Im Saal herrschte eisiges Schweigen. Plötzlich gab es in der Menschenmasse hinter meinem Rücken eine leichte Bewegung. Ich riss meinen Colt aus der Tasche und drehte mich blitzschnell um. Keine Sekunde zu früh. Ein paar Männer hatten sich aus dem Haufen gelöst, um mich rücklings zu überfallen. Sie blieben wie angewurzelt stehen. Unterdrücktes Keuchen. Mit leiser Stimme, aber in einem Ton, der keine Zweifel offen ließ, warnte ich sie: »Noch einen Schritt, und ich befördere Sie alle zusammen auf der Stelle ins Jenseits!«

Auch Carvin hielt seinen Revolver im Anschlag. Ich versuchte, so ruhig wie möglich zu wirken. Aber mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Wenn diese Typen in ihrer Panik meine Drohung nicht ernst nahmen und über uns herfielen, würde es ein Blutbad geben. Eine entfesselte Menge würde dem Beispiel der Helden folgen. Trotz unserer Waffen hatten Carvin und ich keine große Chance. Unter den fast sechzig Leuten waren mindestens vierzig Männer.

Nicht enden wollende Sekunden der Hochspannung.

Es war so still im Raum, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören.

Dann gaben die anderen nach. Ein erleichtertes Aufatmen ging durch die Menge. Die Gefahr war zumindest für den Augenblick gebannt. Wir waren wieder Herren der Situation.

Als sich die Angreifer wieder unter die übrigen Passagiere gemischt hatten, senkte ich den Lauf meines Colts. Die Leute starrten mich an. Keiner sprach. Lily Carr, kreideweiß, versuchte mir aufmunternd zuzulächeln, brachte aber nur eine klägliche Grimasse zustande. Kay Kirbys Miene war, wie gewohnt, undurchdringlich. Ich sah sie lange an. Plötzlich zwinkerte sie freundschaftlich, eine Geste, die mich beinahe rührte.

»Ich verstehe durchaus Ihre Erregung«, sagte ich ruhig und mit gedämpfter Stimme, um so die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. »Ich verstehe sogar, dass Sie Angst haben. Immerhin sind seit heute Morgen einige Dinge passiert, wie sie nicht jeden Tag Vorkommen. Wir alle sind Opfer eines unglücklichen Zufalls. Trotz allem bitte ich Sie einzusehen, dass eine Panik oder eine Revolte Ihrerseits die Sache nicht ändert. Im Gegenteil, jede unüberlegte Handlung kann eine Katastrophe auslösen.«

»Wir wollen endlich wissen, was hier gespielt wird«, zeterte eine lange Bohnenstange bissig. »Schließlich haben wir ein Recht darauf.«

»Wir wissen genauso viel oder so wenig wie Sie«, antwortete ich scharf. »Der oder die Mörder befinden sich hier im Raum. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, warum nun auch noch diese drei unglücklichen Mädchen dranglauben mussten. Der Mörder kann jederzeit noch einmal zuschlagen. Ich appelliere an Ihren gesunden Menschenverstand und bitte Sie, ruhig zu bleiben, so schwer es Ihnen auch fallen mag. Aber es ist die einzige Möglichkeit, dem oder den Verbrechern das Handwerk zu legen. Seien Sie wachsam. Ich halte es für das Beste, wenn Sie sich nun wieder hinsetzen, möglichst mit dem Rücken zur Wand. Ich glaube, wir haben genug Bänke da. Außerdem lasse ich Lampen verteilen, damit Sie nicht länger als ein paar Sekunden im Dunkeln sitzen, wenn der Strom noch einmal ausfällt. Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden?«

Es folgte ein undeutliches Gemurmel. Aber ich hatte den Eindruck, dass sich die allgemeine Stimmung gebessert hatte. Die Leute wollten, dass man sich mit ihnen beschäftigte.

»Mrs. Kirby, Sie scheinen unter allen Damen noch die besten Nerven zu haben. Darf ich Sie bitten, unseren beiden Stewardessen ein wenig unter die Arme zu greifen. Paul Warren, Sie sind ein alter Journalist und haben während Ihrer Zeit als Kriegsberichterstatter alle möglichen Kämpfe im Pazifik mitgemacht. Sie waren sogar dabei, als im April 1944 diese Insel hier erobert wurde. Sicher können Sie Ihren Mitreisenden von manch aufregendem Abenteuer berichten. Außerdem brauchen wir einen Arzt. Ich bitte Miss Lily Carr, ins Nebenzimmer zu kommen.«

Nun hatte ich die Leute in der Hand. Aber es war nicht einfach gewesen. Ein unüberlegtes Wort, und der Zeitzünder wäre in die Luft gegangen.

Warren und Carvin trugen die drei toten Geishas in den kleinen Nebenraum. Señora Ramirez wurde wieder in den Saal abgeschoben. Gehorsam setzten sich alle mit dem Rücken zur Wand. Ich gab Warren und den beiden Stewardessen noch ein paar Tips, wie sie die Leute unterhalten konnten.

Dann ging ich nach nebenan, wo Carvin und Lily Carr gerade dabei waren, die drei Leichen zu untersuchen. Die Diagnose war nicht schwer: Die drei Unglücklichen waren alle auf die gleiche Art getötet worden - mit einer langen Stahlnadel aus ihren Frisuren, die man ihnen ins Herz gestoßen hatte.

Die drei Nadeln steckten noch in den Körpern. Die kunstvoll gearbeiteten Emailknöpfe, die am Ende der Spieße saßen, wirkten auf der schweren Seide der Kimonos wie wertvolle Schmuckstücke.

»Sie waren sofort tot«, sagte Lily Carr. »Wahrscheinlich haben sie gar nicht viel gemerkt.«

Darauf Carvin: »Der Mörder muss ein ganz kaltes Aas sein und eine verdammt sichere Hand haben. Das hier war mehr als Maßarbeit. Es war doch stockfinster, als es passierte.«

Ich war ganz seiner Meinung. Wir hatten es da mit einem besonders gefährlichen Gegner zu tun, der vor nichts zurückschreckte.

»Lily, Sie waren drüben, als der Mörder zuschlug«, wandte ich mich an die junge Frau. »Haben Sie irgendeine Vermutung?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich war gerade auf der anderen Seite und habe nichts gesehen.«

»Können Sie sich vielleicht erinnern, dass jemand mit den dreien sprach, bevor das Licht ausging?«

Sie überlegte.

»Nein. Ich glaube außerdem nicht, dass sie viel Englisch konnten.«

»Ich hatte den Eindruck, dass sie nicht einmal ein Wort verstanden.«

»Aber sie mussten es doch ein wenig verstehen!«

»Sind Sie sicher?«

»Nein, ich glaube nur...«

Ich bohrte noch einige Zeit weiter, um herauszufinden, aus welcher mehr oder weniger genauen Erinnerung Lily diese halbe Überzeugung hätte schöpfen können. Aber ohne Erfolg. Sie wusste es nicht.

Schließlich bat ich sie, zu den anderen in den Saal zurückzukehren und mir Suko, die zweite Stewardess, hereinzuschicken.

Carvin half mir unterdessen, die drei Leichen hinter den Schreibtisch zu legen und mit ein paar alten Zeitungen zuzudecken.

Da kam auch schon Suko.

Sie war sehr klein und wirkte ungemein zerbrechlich. Ihre Rundungen waren sanft und saßen unter der graublauen Uniform genau an den richtigen Stellen. Mischlinge können sehr hübsch sein, besonders wenn ein Elternteil der gelben Rasse angehört. Suko war ein lebendiges Beispiel dafür. Wenn sie auftauchte, hatte man sofort das Gefühl, sie in den Arm nehmen und sehr lieb zu ihr sein zu müssen. So ging es jedenfalls mir. Aber ich war nicht der einzige. Die Art, wie andere Männer sie ansahen, ließ keinen Zweifel offen, dass dieses elfenhafte Wesen im Handumdrehen jedes Herz für sich gewann.

»Ich bin außer mir«, sagte sie leise.

Sie sprach Amerikanisch mit kalifornischem Akzent. Trotzdem war noch deutlich der japanische singende Tonfall herauszuhören. Auch machte es ihr Mühe, bestimmte Buchstaben des westlichen Alphabets korrekt auszusprechen.

»Wie geht es drüben?«, fragte ich sie mit einer Kopfbewegung zur Saaltür.

»Sie sind ziemlich ruhig. Aber ich glaube, ein kleiner Anlass wird genügen, dass sie wieder die Nerven verlieren. Die Atmosphäre ist recht gespannt.«

»Ist euch etwas eingefallen, womit ihr sie beschäftigen könnt?«

»Nein. Alle Spiele, die wir vorschlagen, finden sie langweilig. Sie wollen ein Radio.«

Diesen Wunsch konnte ich leider nicht erfüllen. Wenn die Leute das unverständliche Kauderwelsch der Stimmen im Äther hörten, würden sie sofort die irrsten Vermutungen anstellen. Womöglich glaubten sie dann allen Ernstes, die Marsbewohner seien im Anmarsch. Das kam gar nicht in Frage. Die Menschen waren in einer so miserablen nervlichen Verfassung, dass sie jede Idiotie sofort für bare Münze genommen hätten.

»Ich möchte Sie etwas fragen, Suko. Ich darf Sie doch Suko nennen?«

»Das ist mein Name.«

Sie war kühl, ein wenig auf Abwehr eingestellt. Wer weiß, was sie von mir dachte. Es wusste ja keiner, wer ich war und welche Rolle ich in dieser Geschichte spielte. Wahrscheinlich unterwarf man sich meiner Autorität nur deshalb, weil selbst der uniformierte Carvin mich anerkannte.

Ich fuhr fort: »Vor dem Stromausfall - bevor die drei Japanerinnen getötet wurden - was taten die drei da? Haben sie vielleicht mit jemandem gesprochen?«

»Ich unterhielt mich kurz mit ihnen, bin aber bald wieder weggegangen.«

»Sprachen Sie Japanisch mit ihnen?«

»Ja.«

»Was haben sie Ihnen gesagt?«

»Sie haben mich gefragt, ob es hier einen Ort gäbe, wo sie ihr Make-up erneuern könnten. Sie litten offenbar unter der Zwangsvorstellung, ständig unfrisiert auszusehen oder eine glänzende Nase zu haben.«

»Das war alles? Haben sie nicht vielleicht gesagt, dass sie vergangene Nacht etwas gesehen haben? Ich meine, im Zusammenhang mit dem Mord im Flugzeug?«

Sie zögerte ein wenig, wobei sie mich aus ihren faszinierenden Mandelaugen undurchdringlich ansah.

»Die Älteste beklagte sich bei mir. Sie und ihre beiden Freundinnen seien recht verärgert. Sie hätten vergangene Nacht jemandem eine ihrer langen Haarnadeln geliehen. Diese Nadel hätten sie bis jetzt noch nicht zurückbekommen.«

Unwillkürlich hielt ich den Atem an.

»Wer hatte sich denn diese Nadel ausgeliehen?«

»Sie konnten sich nicht mehr daran erinnern.«

Ich runzelte die Stirn.

»Wussten sie denn wenigstens, ob es ein Mann oder eine Frau war?«

Sie zuckte leicht zusammen.

»Ich war fest überzeugt, eine Frau. Danach habe ich gar nicht gefragt.«

»Sie sagten, Sie hätten mit ihnen Japanisch gesprochen.«

»Ja.«

»War jemand in der Nähe, als Sie mit den Tänzerinnen sprachen?«

»Ich weiß es nicht mehr. Ich habe nicht aufgepasst. Viele Leute, sicher. Sie wissen ja, die bunten Kostüme, die seltenen Frisuren. Überall, wohin sie kamen, zogen sie alle Blicke auf sich.«

»Wir müssten versuchen, herauszukriegen, wer von den Leuten hier Japanisch spricht«, schlug Carvin vor.

»Mrs. Kay Kirby spricht nicht schlecht«, sagte die Stewardess wie aus der Pistole geschossen.

Kay Kirby! Natürlich. Als Professorin an einer japanischen Universität war sie praktisch gezwungen, sich mit der Sprache ihrer Studenten zu befassen. Trotzdem, ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie...

»Warum wollen Sie das wissen?«, fragte das Mädchen.

Ich sah ihr tief in die Augen und sagte langsam: »Weil der Mord heute Nacht im Flugzeug mit einer langen Stahlnadel ausgeführt wurde. Ein Stich mitten ins Herz. Haben Sie das nicht schon gewusst?«

»Nein«, antwortete sie und schüttelte heftig den Kopf.

Plötzlich erstarrte sie.

»Was ist los?«

»Ich habe sie getötet.«

»Was?«

»Das heißt, es muss meinetwegen geschehen sein. Ich wollte den drei Mädchen helfen und übersetzte ihren Kummer, so dass die Leute ringsum es verstehen konnten.«

»Sie haben also die Passagiere darauf aufmerksam gemacht, dass die drei Tänzerinnen die Person suchten, die sich von ihnen eine Haarnadel ausgeliehen hatte.«

»Und sie gebeten, die Nadel zurückzugeben. Ja, so war es.«

Nun war mir klar, warum die Japanerinnen ermordet worden waren. Nur eins ging mir nicht recht ein, und ich fragte: »Haben Sie dabei betont, dass sich die drei Mädchen nicht erinnerten, wem sie die Nadel geliehen hatten?«

»Ja, sicher.«

»Diesem Umstand verdanken Sie vielleicht Ihr Leben. Wissen Sie das?«

Carvin, der bis dahin nicht viel gesagt, sondern sich das Verhör schweigend angehört hatte, warf ein: »Entschuldigen Sie, aber wenn die drei nicht mehr wussten, wer sich die Nadel ausgeliehen hatte, hätte sie der Mörder doch in Ruhe lassen können.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Das kann ich mir nicht vorstellen. Natürlich wussten die Mädchen, wer es war. Auch der Mörder glaubte nicht an diese scheinbare Gedächtnislücke der drei. Sie mussten einen Grund haben, den Täter nicht preiszugeben. Oder war es nur Angst? Das werden wir wohl nie erfahren. Sie wollten den Täter also nicht verraten, aber sie wollten ihre Nadel zurückhaben. Schließlich gehörte das Instrument ihnen...«

»Sie glauben also, sie wussten, dass man mit ihrer Nadel jemanden ermordet hatte?«, fiel mir Carvin ins Wort.

»Vielleicht haben sie es sogar gesehen. Wer weiß?«

»Es bleibt uns nichts anderes übrig, als eine allgemeine Leibesvisitation vorzunehmen«, sagte Carvin. »Vielleicht finden wir bei jemandem das fehlende Instrument.«

»Falsch. Wenn der Mörder die Nadel hier im Keller noch gehabt hätte, dann hätte er sich ihrer noch einmal bedient. Er muss sie nach dem zweiten Mord weggeworfen haben.«

Ich sah Suko an.

»Sie können wieder nach nebenan gehen, Suko. Aber passen Sie auf sich auf. Sie sind in höchster Gefahr, und der Mörder ist einer, der kein Risiko eingeht.«

Sie zwang sich zu einem kurzen Lächeln und ging hinaus. Verdrossen warf sich Garvin in den nächsten Sessel.

»Wenn das kein Albtraum ist... Wachen wir denn nicht bald auf?«

Diese Frage war nicht zu beantworten. Ich steckte die Hände in die Hosentaschen und verkündete: »Ich muss unbedingt zu Burstrom. Ich habe das undeutliche Gefühl, dass da draußen Dinge im Gang sind, die man uns verheimlichen will. Wenn ich weg bin, verbreiten Sie das Gerücht, dass Suko weiß, wer der Mörder ist, dass sie uns den Namen aber bis jetzt noch nicht verraten hat.«

Adjutant Michael Carvin sprang empört auf.

»Das wäre das Todesurteil für das Mädchen!«

»Aber nein. Ich will nur, dass man den Versuch macht, sie zu ermorden. Sie werden auf sie aufpassen. Ich vertraue Ihnen das Mädchen an. Sobald der Mörder den Versuch macht, zuzuschlagen, werden Sie ihm in den Arm fallen. Ist das wirklich so viel verlangt?«

Ich appellierte an seine Eitelkeit. Natürlich erklärte er sich sofort einverstanden. Aber besonders begeistert von meiner Idee schien er nicht.

»Das ist heller Wahnsinn«, meuterte er. »Ausgesprochen unmoralisch finde ich das. Wenn sie dabei draufgeht, sind wir die Schuldigen.«

Ich zuckte die Schultern.

»Ich frage mich wirklich, warum Sie überhaupt Soldat geworden sind. Sie haben Prinzipien wie eine alte Jungfer«, bemerkte ich ironisch. »Jeder gute Feldherr wird lieber ein Bataillon opfern, bevor er die ganze Armee vor die Hunde gehen lässt. Wenn es nötig ist, natürlich nur...«

»Wahrscheinlich haben Sie recht«, erwiderte Carvin kleinlaut. »Aber ich sträube mich eben dagegen, ein hilfloses Mädchen einer solchen Gefahr auszusetzen.«

»Seien Sie doch ehrlich, Carvin. Wenn das Bataillon nicht gerade das hübscheste von allen wäre, würde es Ihnen sicher viel weniger ausmachen. Sie sind zu sentimental, mein Freund.« Und nach einer Weile: »Ich kann mich doch auf Sie verlassen, Carvin, nicht wahr?«

Carvin sah mich lange an.                          

»Mein Ehrenwort, MacBean. Es wird ihr nichts passieren.«

 

 

 

Neuntes Kapitel

 

 

Erst als ich die Treppe oben war, fiel mir der Posten wieder ein. Wir wurden ja bewacht. Der Soldat trug eine Gasmaske und hielt ein Maschinengewehr im Anschlag. Zuerst dachte ich, er würde mich nicht durchlassen. Dann musste ich noch einmal in den Keller hinunter und Carvin holen. Aber er tat so, als sähe er mich nicht, und ich konnte ungehindert passieren.

Die Zeit war rasend schnell vergangen. Es war kurz vor elf. Trotzdem war es draußen so dunkel wie mitten in der Nacht. Kaum dass man die Hand vor den Augen sehen konnte.

Der zähe, braunschwarze Nebel war wirklich das Unheimlichste, das ich seit langem erlebt hatte. Unwillkürlich fröstelte es mich. Ich zögerte einen Augenblick. Doch ich hatte keine Wahl, ich musste hinein in die Brühe. Die Finsternis

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Jean Bruce/Apex-Verlag/Successor of Jean Bruce.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Sybille A. Rott und Joachim Nehring (OT: Panique A Wake/OSS 117 Prefere Les Rousses/OSS 117 Ici Paris/Un A De Plus A Las Vegas).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 15.03.2020
ISBN: 978-3-7487-3197-9

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