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Leseprobe

 

 

 

 

AL CONROY

 

 

Clayburn, der Rächer

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Apex Western, Band 33

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

CLAYBURN, DER RÄCHER 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

Der Weg von Parrish City nach Bannock war die gefährlichste Straße des Westens. Dort lauerten Apachen. Dort tobten Blizzards. Und dort warteten goldgierige Weiße – gedungene Mörder. Jeder, der sich dort mit einem Wagenzug hin wagte, spielte mit seinem Leben. Und gewöhnlich verspielte er es, denn alle Chancen standen gegen ihn.

Clayburn wagte es dennoch – um einer Frau und um der Rache willen...

 

Al Conroy war eines der Pseudonyme des US-amerikanischen Schriftstellers Marvin H. Albert (* 22. Januar 1924 in Philadelphia; † 24. März 1996 in Menton, Frankreich); bekannt wurde er in erster Linie als Autor von Western- und Kriminal-Romanen.

Sein Roman Clayburn, der Rächer erschien erstmals 1963; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1964. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Romans in seiner Reihe APEX WESTERN. 

CLAYBURN, DER RÄCHER

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Der Mann, den sie töten wollten, sollte mit der Postkutsche kommen. Noch war sie nicht in Sicht. Die drei Männer hatten ihre Pferde zwischen den Felsen eines Hügelkammes verhalten. Ihre Blicke suchten den Horizont im Norden ab. Von dort musste die Kutsche kommen. Ihr Ziel war Parrish City.

Die Straße zog sich durch sonnverbranntes Ödland, das leer war, soweit das Auge reichte. Sie schlängelte sich um Felstrümmer und an Sanddünen vorbei. Die Wüste zeigte keine Bewegung. Nur ein paar Staubteufel, kleine, harmlose Windhosen, wirbelten auf.

Aus der Ferne leuchteten Bergspitzen, bedeckt vom ersten Schnee. Schon war der Herbst weit fortgeschritten. Doch hier im Süden hatte die Sonne noch Kraft. Sie glühte. Sie fraß die Energie von Pferd und Reiter. Die drei hatten einen harten Ritt hinter sich.

»Weiß der Teufel, wann diese Kutsche auftaucht!«, murrte Pollock, ein schwerer, hartgesichtiger Mann Ende zwanzig. »Womöglich müssen wir hier den ganzen Tag warten.«

»Dann warten wir eben!«, wies ihn Wilks zurecht. Lässig saß er im Sattel. Die Augen hatte er zusammengekniffen, um besser sehen zu können. Sie leuchteten blau, spöttisch und arrogant. Wilks war der Jüngste des Trios. Trotzdem war eines unverkennbar: Er war der Führer.

Pollock kratzte seinen borstigen, schwarzen Stoppelbart. Er zog den Hut in die Stirn, bis er seine Augen beschattete. »Hoffentlich sitzt dieser Harry Farnell auch in der Kutsche, wie man uns versprochen hat. Sonst haben wir einen verdammt unangenehmen Ritt umsonst gemacht.«

»Eins ist sicher. Farnell muss heute Abend in Parrish sein!«, entgegnete Wilks. »Nur diese eine Kutsche kommt durch. Was ist wahrscheinlicher, als dass er drinsitzt?«

»Könnte ja auch sein, er hat sich entschlossen zu reiten.«

»Könnte sein!«, gab Wilks gleichgültig zu. »Könnte sein, aber warum sollte er? Schließlich weiß Farnell ja nicht, dass wir ihn erwarten!«

Er nahm den Hut ab. Ein roter Haarschopf, verfilzt und schweißverklebt, kam zum Vorschein. Mit der Hand wischte er sich die Schweißperlen von der Stirn. Dabei sah er Ryle, den dritten Mann, scharf an. Ryle war alt und faltig. Sein Gesicht schien statt mit einer Haut mit Leder überzogen zu sein.

»Hat keinen Sinn, wenn wir uns hier zu dritt das Hirn von der Sonne ausdörren lassen«, stellte er fest. Seine Stimme klang hart. Sie duldete keinen Widerspruch. »Du bleibst hier und passt auf. Wir reiten zur Station hinunter. Ist die Kutsche in ein paar Stunden immer noch nicht da, dann schicke ich Pollock, damit er dich ablöst.«

Ryle war fast fünfundzwanzig Jahre älter als Wilks. Er war um mehr als ein Dutzend Jahre älter als Pollock. Trotzdem fügte er sich dem Befehl ohne Murren. Er nickte nur, stieg aus dem Sattel und suchte sich zwischen zwei Felsblöcken einen schattigen Platz, von dem aus er die Straße überblicken konnte. Wilks wandte sein Pferd. Er ritt zu der Poststation hinunter, die in südlicher Richtung am Fuß des Hügels lag.

Pollock folgte ihm. Eine Weile ritten die beiden schweigend hintereinander. Dann verbreiterte sich der Pfad. Pollock trieb sein Pferd an Wilks' Seite. Vorsichtig sagte er: »Ich hoffe, du hast recht. Ich hoffe, Farnell sitzt wirklich in der Kutsche. Wenn er nach Parrish kommt, kriegen wir keinen Cent.«

Wilks grinste plötzlich wie ein Lausbub. »Was du dir für Sorgen machst, Pollock!«, sagte er und schüttelte dabei den Kopf. »Natürlich kommt er nach Parrish! Schließlich muss er doch anständig begraben werden! Oder gönnst du ihm das etwa nicht? Bei all dem schönen Geld, das er uns einbringen wird...«

Clayburn erreichte die Poststation zu Fuß. Auf der rechten Schulter schleppte er Sattel und Satteltaschen. In der linken Hand trug er den zwölfschüssigen Winchester-Karabiner, Kaliber vierundvierzig. Der Alkalistaub lag dick auf seiner Kleidung, das Gesicht des Mannes aber hatte er wie mit einer Maske überzogen. Seine Kehle war ausgedörrt, seine langen Beine schwer vor Müdigkeit. Reitstiefel mit hohen Absätzen eignen sich eben nicht sonderlich zu stundenlanger Wanderung über Steine und Sand, sagte er sich.

Neben einem Steinhaufen, in dessen Spalten Kakteen wuchsen, blieb er stehen. Seine Augen waren grün und durchdringend. Scharf musterten sie die Gebäude der Poststation. Eine Lehmhütte und wohl fünfzig Schritt davon entfernt eine kleine Scheune, das war die ganze Pracht. Im Korral standen drei Pferde. Sie drängten sich in den Schatten, den die Scheunenwand warf. Clayburn seufzte müde und erleichtert. Dann ging er zur Hütte hinüber, deren Tür offenstand.

Drinnen saßen Wilks, Pollock und der Stationsmeister um einen Tisch. Sie spielten Poker. Wilks saß so, dass er durch die Tür und das einzige Fenster alles beobachten konnte, was draußen vorging. Er bemerkte den Fremden zuerst. Er ließ seinen Blick über den verbeulten Stetson gleiten, das alte Lederhemd und die abgetragenen Levis-Jeans. Er schätzte ihn als einen Cowboy ein.

»Wir bekommen Besuch!«, meldete er den anderen.

Der Stationsmeister war in mittleren Jahren, klein und plump. Er drehte sich in seinem Stuhl um und murmelte: »Sieh mal einer an! Und auch noch zu Fuß!« Er legte seine Karten abgedeckt auf den Tisch, stand auf und ging dem Ankömmling entgegen.

»Sieht so aus, als ob Sie Schwierigkeiten gehabt hätten«, begrüßte er ihn.

«Mein Pferd hat sich gestern Nachmittag das Bein gebrochen. Musste es erschießen. Können Sie mir vielleicht eins verkaufen?«

Der Stationsmeister schüttelte den Kopf. »Hab' nur eins.«

Clayburn schaute zum Korral hinüber.

»Die anderen zwei gehören mir nicht!«, fuhr der Stationsmeister erklärend fort. »Die gehören ein paar Männern, die sich hier nur ein bisschen ausruhen, bevor sie weiterreiten. Aber heute kommt hier eine Kutsche nach Parrish City durch. Wohin wollen Sie denn?«

»Parrish ist in Ordnung. Wann erwarten Sie die Kutsche?«

»Jetzt! Was ebenso gut bedeuten kann, dass sie erst in drei Stunden kommt.«

Clayburn lächelte. Einige Fältchen brachen im Augenwinkel durch die Staubmaske. »Genug Zeit, um mich zu waschen«, meinte er. »Auch meine Kleidung könnte ein bisschen Aufmerksamkeit vertragen. War ein langer Weg!«

»Kostet Sie einen Dollar!«

Der Preis war angemessen. Einen Schluck zu trinken konnte man umsonst erwarten. Aber für alles andere war Wasser im Südwesten teuer. Clayburn nickte. »Das ist mir einen Dollar wert!«, sagte er.

Ohne sich von ihren Plätzen zu rühren, beobachteten Wilks und Pollock, wie Clayburn dem Stationsmeister in die Scheune folgte.

»Der könnte stören!«, sagte Pollock.

Wilks zuckte die Achseln, »jeder überflüssige Revolver stört. Aber mit dem werden wir leicht fertig.«

Der Stationsmeister füllte ein Fass halb voll Wasser. Dann ließ er Clayburn allein. Der warf seinen Hut auf den Sattel, schnallte den Revolvergurt ab und legte ihn neben den Karabiner. Bevor er sein Hemd auszog, sah er sich um und überzeugte sich, dass ihn niemand beobachtete. Er zog das Hemd über den Kopf und löste schnell das lange, schmale Messer, das an seinem linken Unterarm festgeschnallt war.

Er trug dieses Messer seit jener Zeit, als er für Colonel Remsbergs Detektiv-Agentur in Neumexiko gearbeitet hatte. Seither hatte es sich oft als nützlich erwiesen. Für einen Mann, der seinen Lebensunterhalt zumeist mit einem Spiel Karten verdiente, war so ein Messer die beste Rückversicherung.

Als er sich ausgezogen hatte, schlug er seine Sachen gegen einen Pfosten. Staubwolken wirbelten davon. Er wusch sich und stopfte anschließend Hose und Hemd in das Fass. Dann holte er seinen Stadtanzug aus den Satteltaschen. Als er wieder angezogen war, trug er seine nassen Sachen vor die Scheune und breitete sie auf Steinen zum Trocknen aus.

Er betrat die Hütte. Die drei Männer starrten ihn an. Clayburn trug jetzt schwarz von Kopf bis Fuß. Eine Ausnahme bildete lediglich die goldgewirkte Krawatte. Matt schimmerte der helle Knochengriff seines Colts. Sein Stetson sah teuer aus, teuer auch der Tuchanzug, den ein guter Schneider nach Maß gefertigt hatte.

Sofort revidierte Wilks sein Urteil über Clayburn. Was dieser Fremde auch sein mochte, ein gewöhnlicher Cowboy war er nicht. Solche Kleidung bedeutete Geld. Wilks aber war stolz auf seine Geschicklichkeit beim Poker. Mit seinem Lausbubengrinsen sah er Clayburn entgegen. »Wollen Sie mitspielen? Da vergeht die Zeit schneller, bis die Post kommt.«

»Warum nicht?«, stimmte Clayburn zu. Er nahm sich den Stuhl gegenüber von Pollock.

Es dauerte kaum eine halbe Stunde, bis Pollock und der Stationsmeister ausgeschieden waren. Sie waren pleite. Missmutig hockten sie auf ihren Stühlen und schauten zu, wie das Spiel zu einem Duell zwischen Wilks und Clayburn wurde. Bisher hatte Wilks die meisten Spiele gewonnen, Clayburn jedoch die größten Gewinne eingestrichen. Jetzt setzte der Rothaarige alles daran, das Glück auf seine Seite zu zwingen. Vergeblich! Schon fünf Spiele später lag das meiste Geld vor Clayburn.

Wilks' Lächeln war verschwunden. Aus Augen, die sich zu Schlitzen verzogen hatten, beobachtete er Clayburn, während dieser gab. Er sah, mit welcher Leichtigkeit die Karten durch Clayburns lange, lassonarbige Finger glitten. Während er seine Karten aufhob, ließen seine Augen Clayburn nicht los.

»Ich bin ganz schön dumm!«, sagte er gepresst.

»Aber wieso denn? Sie spielen ausgezeichnet!«, erwiderte Clayburn. »Sie haben bisher nur noch nicht die richtigen Karten erwischt.«

»Ich glaube, ich habe Sie falsch eingeschätzt«, sagte Wilks scharf, »Sie sind ein Spieler, nicht wahr?«

»Ich habe viel Poker gespielt«, gab Clayburn zu. Die Spur eines Lächelns huschte über sein Gesicht.

Er hatte gewonnen, weil es ihm leicht geworden war, Wilks zu durchschauen. Jetzt wartete er darauf, dass der Rotschopf die Beherrschung verlieren würde. Und Clayburn spürte, dass er nicht mehr lange zu warten brauchte. Wilks warf einen Blick auf seine Karten. Für den Augenblick schien ihn das zu beruhigen. Er setzte zehn Dollar. Clayburn überlegte. Offenbar hatte sein Gegenspieler ausgezeichnete Karten erwischt.

Clayburn dagegen hielt ein Paar Sechser, ein Paar Königinnen und eine Neun in der Hand. Die Neun warf er ab. Wilks tat das gleiche mit einer von seinen Karten. Sollte auch er zwei Paare halten? Clayburn schätzte, dass es mehr gebraucht hatte, um den Rotschopf zu beruhigen. Er gab Wilks eine Karte, nahm sich die nächste und stellte fest, dass er einen Buben bekommen hatte. Das verbesserte sein Blatt nicht im Mindesten.

Wilks aber studierte hingegeben seine Karten. Er tat, als wüsste er nicht, wie er sie spielen sollte.

Endlich zuckte er die Achseln. »Na, ich kann Ihnen ja auch gleich den Rest von meinem Geld geben«, versetzte er scheinbar resigniert und schob alles Geld in die Tischmitte.

»Ich fürchte, Sie haben mich geschlagen!«, erwiderte Clayburn ruhig. Sein Gesicht blieb ausdruckslos. Er schob seine Karten zusammen und warf sie auf den Tisch.

In Wilks schoss die Wut hoch. Drei Könige und ein As hatte er von Anbeginn gehabt, ein zweites As dazubekommen. Das war ein volles Haus. Und alles, was es ihm eingebracht hatte, waren zehn Dollar von Clayburn. Mit Mühe zwang er ein Grinsen auf sein Gesicht. »Sie lassen sich aber leicht bluffen!«

»Oh?«, sagte Clayburn unschuldig, »Sie haben geblufft?«

»Ja!«

»Nun, mein Schaden! Sie geben!«

Wilks zog den Einsatz zu sich hinüber und fing an, die Karten zu mischen. Diesmal bekam Clayburn nur ein Bubenpaar. Er setzte zehn Dollar. Wilks hielt den Einsatz nicht nur, sondern legte noch zehn Dollar drauf. Clayburn durchschaute ihn. Eben hatte er angeblich geblufft, jetzt wollte er es wirklich tun. Clayburn warf drei Karten ab, Wilks nur eine. Dann gab er nach.

Clayburn bekam neben anderen Karten noch einen Buben und hatte jetzt drei Karten von einem Wert. Er erhöhte seinen Einsatz um zehn Dollar. Ohne einen Moment zu zögern, setzte Wilks alles, was ihm verblieben war. Jetzt sah das Grinsen auf seinem Gesicht aus, als ob es angefroren wäre. Clayburn studierte ihn einen Augenblick. Dann hielt er jeden Cent seines Gegenspielers. Bedächtig schob er das Geld in die Tischmitte. »Auflegen!«, sagte er freundlich.

Wilks' Grinsen verschwand. Er warf seine Karten auf den Tisch, die Werte nach oben. Nur ein Zehnerpaar zählte, alle anderen Karten waren ohne Bedeutung. Clayburn legte seine Karten auf. Dann wartete er auf die Explosion. Er war bereit.

Die Explosion kam nicht. Dafür klang draußen Hufschlag auf. Wilks hob den Kopf und schaute hinaus.

Der Stationsmeister stand auf und trat unter die Tür. »Heute geht es bei mir ja zu wie in einem Taubenschlag!«, rief er aus.

Wilks reckte sich. Er glitt zum Fenster hinüber. »Reiter auf einem gefleckten Pferd«, sagte er ruhig. Langsam drehte er sich um. Und erst als er wieder frontal zu dem Tisch stand, zuckte seine Hand zum Revolvergriff.

Clayburn sah den Anfang der Bewegung und langte nach seinem Colt. Ob er den Rothaarigen im Ziehen geschlagen hätte, erfuhr er jedoch nicht. Pollock warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen den Tisch. Er rammte ihn Clayburn in den Bauch und warf ihn so samt Stuhl um. Hart schlug Clayburn auf, rollte und kam auf ein Knie. Seine Hand schloss sich um den Kolben des Colts. Aber es war zu spät.

Er sah in Wilks' Revolvermündung. Auch Pollock hatte inzwischen gezogen. Clayburn öffnete die Finger. Sein Colt glitt in das Halfter zurück. Er stand auf.

Der Stationsmeister war bis zur Wand zurückgewichen. »Was - was soll das bedeuten?«, stieß er rau hervor. Aber er wusste, was das bedeuten sollte. Er machte gar nicht erst den Versuch, sein Schießeisen in die Hände zu bekommen. Stattdessen streckte er sie zur Decke, so hoch er nur konnte.

Wilks zog ihm die Waffe aus dem Halfter. Dann richtete er beide Revolver auf Clayburn. Selbst seine Linke zitterte nicht. Pollock ging von hinten an Clayburn heran, nahm ihm den Colt ab und schob ihn sich in den Gürtel.

Ledergesicht Ryle erschien unter der Tür. »Kutsche kommt!«, meldete er Wilks.

Wilks nickte, ohne dass sein Blick von Clayburn ließ. »Schaff die Pferde in die Scheune. Dann mach dich unsichtbar, und deck uns von drüben!«, befahl er.

Ryle verschwand. Wilks trat an den Tisch. Den Revolver des Stationsmeisters legte er so auf die äußerste Tischkante, dass er für Clayburn unerreichbar blieb. Dann kratzte er das Geld zusammen und stopfte es in seine Taschen.

»Sieht so aus, als ob zu guter Letzt doch ich gewinne, Spieler!«, sagte er.

Clayburn sah ihn nur an. Sein Gesicht blieb ausdruckslos.

Das Geld war in Wilks' Taschen verschwunden. Alles Geld, nicht nur der Einsatz. »Vielleicht glauben Sie sogar, dass es Ihnen gehört, Spieler. Ich sage, Sie irren sich! Sie haben betrogen, Spieler!«

In Clayburns Gesicht zuckte kein Muskel. Es war wie aus Holz geschnitten.

Das brachte Wilks in Wut. Sein Gesicht verzog sich plötzlich zur Fratze. Bevor Clayburn mehr tim als den Kopf zur Seite reißen konnte, schlug ihm Wilks den Revolver über den Schädel.

Der Lauf erwischte Clayburn an der Schläfe. Er glitt ab. Trotzdem war die Wucht groß genug, um Clayburn zu Boden gehen zu lassen. Vor seinen Augen tanzten Sterne, er flog an die Wand und sackte zusammen. Der Schmerz zuckte wie ein Blitz durch seinen Kopf.

»Stell dich ans Fenster!«, fuhr Wilks Pollock an. Der Mann gehorchte. Wilks griff sich wieder den Revolver des Stationsmeisters. Er ließ die Trommel herausspringen und schüttelte die Patronen in seine Hand. Dann schloss er den Revolver, trat vor den Stationsmeister und schob ihm die Waffe ins Halfter.

»Jetzt kommt gleich die Kutsche, Freundchen«, sagte er, »Und du gehst hinaus und benimmst dich, als ob hier gar nichts passiert wäre. Verstehst du?«

Der Stationsmeister nickte schnell. Er versuchte zu sprechen, brachte aber kein Wort heraus.

»Keine Tricks, Freundchen!«, fuhr Wilks fort. »Außer ich soll dir das Rückgrat zerschießen. Das kannst du natürlich haben!«

»Wir sollten ihn und den Spieler lieber gleich erschießen!«, versetzte Pollock. »Das macht die Arbeit viel leichter, wenn die Post...«

»Hier gebe ich die Befehle!«, knurrte Wilks. »Und ich sage, wir warten. Wir sehen erst mal nach, ob Farnell in der Kutsche ist. Wenn nicht, ist es sinnlos, wenn wir einen umlegen. Sollen wir uns etwa den Sheriff in den Nacken setzen, ohne dass wir einen Dollar dafür bekommen?«

Die Schulter an der Wand, blieb Clayburn auf dem Boden liegen. Er kämpfte gegen das Rauschen in seinem Kopf, er suchte die Sterne zu vertreiben, die vor seinen Augen tanzten. Er hörte, wie die Post vorfuhr. Er hob die rechte Hand und tastete damit über die Beule an seinem Kopf. Dann ließ er sie fallen. Die Finger kamen auf seine linke Manschette zu liegen.

Weder Wilks noch Pollock fiel das auf. Und für einen von ihnen war das sehr schlecht.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Als polternd und quietschend die Postkutsche vor der Station hielt, trat der Stationsmeister aus der Tür. Der Revolver in seinem Halfter war leer. Seine Hände waren plötzlich riesengroß. Er wusste nicht, was er mit ihnen tun sollte. So ließ er sie an den Seiten baumeln. Und dabei versuchte er zu lächeln, wie es ihm befohlen worden war. Er ging, als ob er über Eier laufen müsste.

Neben dem Kutscher saß ein großer Mann. Das war der Wächter. Er hob die Hand zum Gruß und rief: »Hallo, Arnie! Wieviel Verspätung haben wir?«

»'ne Stunde ungefähr!«, brachte der Stationsmeister mühsam heraus. Das Lächeln auf seinem Gesicht zuckte, dann erstarb es. Er kämpfte gegen seine Angst. Er wollte eine Warnung schreien und sich dann hinwerfen. Er wusste genau, dass das seine Pflicht gewesen wäre. Aber die Angst war stärker. In der Hütte saßen die beiden Männer. Ihre Revolver waren auf seinen Rücken gerichtet. Unwahrscheinlich, dass beide danebenschießen würden. Und für Amie hörte die Pflichterfüllung vor dem Sterben auf.

Ihm war, als ob er träumte. Schlecht träumte. Der Kutscher zog die Bremsen an. Er band die Zügel fest. Die Kutschentür flog auf. Die drei Passagiere, alles Männer, kletterten heraus, tun sich die Beine zu vertreten.

Hinter Amie tauchte Wilks auf. Pollock stellte sich ans Fenster. Er teilte seine Aufmerksamkeit zwischen Clayburn und den Männern draußen. Den Revolver hielt er in Bereitschaft. Clayburn spannte seine Muskeln. Er wartete. Sein Kopf hing schlaff zur Seite. Er tat, als ob er erst halb bei Sinnen wäre. Aber der Nebel vor seinen Augen hatte sich gelichtet. Seine Finger waren in der linken Manschette verschwunden.

Draußen schob jetzt Wilks den Stationsmeister zur Seite.

Er lächelte einen Passagier an, der gerade aus der Kutsche stieg. Seine Kleidung verriet den Geschäftsmann. Er war mittleren Alters, breitschultrig und fing an, dick zu werden.

»Hallo, Farnell...«

In der Sekunde, in der Harry Farnell den Rothaarigen erkannte, erkannte er auch die Lage. Gleichzeitig sah er den Revolver in der Hand des Killers. Er machte einen Versuch, einen verzweifelten, sinnlosen Versuch. Seine Hand fuhr unter seine Jacke. Dort trug er einen kleinen Revolver.

Wilks lachte leise. Dann drückte er ab. Der Revolver in seiner Hand krachte. Der Lauf zuckte hoch, kam aber gleich wieder in die alte Lage zurück. Es war nicht nötig. Die Kugel schlug Farnell in die Brust. Ihre Wucht schleuderte den Mann gegen die Kutsche. Dort lehnte er einen Sekundenbruchteil. Dann rutschte er zu Boden.

Das riss den Wächter aus seiner Erstarrung. Mit dem Gewehr in der Hand fuhr er auf dem Bock herum. Er legte auf Wilks an. Bevor er durchziehen konnte, bellte drüben in der Scheune Ryles Karabiner. Das Geschoss traf den Wächter in den Kopf. Es tötete ihn sofort. Das Gewehr entglitt ihm und fiel herunter. Der Wächter aber sackte auf dem Boden in sich zusammen. Sein Kopf fiel zurück. Seine toten Augen starrten in den Himmel.

Die Pferde, durch die Schüsse verängstigt, stiegen und wieherten. Der Kutscher riss die Zügel los und stemmte sich gegen die Tiere. Er hinderte sie am Durchgehen. Die anderen beiden Passagiere standen mit erhobenen Händen. Sie standen wie angewurzelt. Sie hatten nur einen Wunsch. Sie wollten niemandem einen Vorwand geben, auf sie zu schießen.

So schnell, so leicht schien alles vorüber zu sein. Wilks stand und spielte mit seinem Colt. Nachdenklich sah er auf die leblose Gestalt von Farnell, die in dem Staub zu seinen Füßen lag. Von der Scheune her kam Ryle. Er war misstrauischer als Wilks, er hielt das Gewehr noch in Bereitschaft.

Da ließ Pollock Clayburn einen Moment aus den Augen.

Er beugte sich aus dem Fenster und rief Wilks zu: »Wo wir doch so schön im Zug sind, können wir eigentlich den Passagieren die Taschen...«

Im selben Augenblick kam Leben in Clayburns Gestalt. Er zog das Messer. Er warf. Es war eine einzige Bewegung. Dann sprang er auf die Füße.

Pollock wirbelte herum. Er versuchte, zwei Dinge zugleich zu tun. Er wollte auf Clayburn schießen und gleichzeitig dem fliegenden Messer ausweichen. Weder das eine noch das andere gelang. Die Klinge fuhr ihm in die Brust und zerschnitt den Schrei, mit dem er seine Kumpane warnen wollte. Pollock schoss automatisch. Aber da war er schon dabei zusammenzubrechen.

In dem kleinen Raum krachte der Revolver wie ein Donnerschlag. Die Kugel aber bohrte sich in die Lehmwand.

Als Pollock auf dem Boden aufschlug, stand Clayburn schon neben ihm. Er riss ihm seinen Colt aus dem Gürtel. Er sprang ans Fenster, bereit zum Schuss auf Wilks.

Aber der Rotschopf hatte in dem Moment reagiert, als drinnen der Schuss krachte. Bevor Clayburn noch am Fenster stand, hielt er schon einen der Passagiere als Schutzschild zwischen sich und der Hütte. Er sah Clayburn. Langsam wich er auf die Scheune zurück. Sein lebendes Schild zerrte er mit.

Warum sollte er sich hier auch noch mit Clayburn schießen? Sein Mordauftrag war erfüllt, der Lohn gesichert. Jetzt kam es nur auf eines an. Mit heiler Haut zu verschwinden.

Ryle hatte inzwischen die halbe Entfernung von der Scheune zum Stationsgebäude zurückgelegt. Auch er entdeckte Clayburn und entschied, dass dieser ein leichtes Ziel für ihn wäre. Er riss das Gewehr in Anschlag. Er zielte auf das Fenster. Als er schoss, glitt Clayburn in den Schatten des Raumes.

Die Kugel pfiff an Clayburns Ohr vorbei und fetzte ein Loch in die Wand. Clayburn zielte sorgfältig. Die Entfernung war gegen ihn. Trotzdem erwischte er Ryle. Die Kugel traf ihn in die Hüfte. Sie ließ ihn taumeln. Aber sie brachte ihn nicht zu Boden.

Clayburn zielte für den zweiten Schuss. Da krachte es draußen neben der Kutsche. Arnie, der Stationsmeister, hatte sich zu Boden geworfen und das Gewehr an sich gerissen, das dem Wächter entfallen war. Sein Schuss tötete Ryle.

Für seinen Spießgesellen einen Sekundenbruchteil zu spät feuerte Wilks. Arnie stieß einen Schmerzensschrei aus. Er sackte in sich zusammen. Wilks Schuss hatte ihm die Schulter zerschmettert.

Wilks wich weiter zurück. Seine eine Hand hatte sich in die Jacke seines Gefangenen verkrallt. Rückwärts gehend, stolperte der Mann vor ihm her. Aber er deckte ihn gut. Clayburn wagte keinen Revolverschuss. Mit zwei Schritten war er an der Tür. Den Colt stieß er ins Halfter. Er duckte sich. Mit einem Satz war er bei dem Gewehr, das Arnie hatte fallen lassen. Er packte es und sprang zum Hauseck. Wilks Kugeln wirbelten den Sand zwischen seinen Füßen auf.

»Wenn jemand versucht, mich aufzuhalten«, brüllte der Rotschopf, »dann jage ich diesem Mann hier eine Kugel durch den Kopf.«

Clayburn wusste sehr wohl, dass diese Worte speziell an ihn gerichtet waren. Trotzdem ließ er eine frische Patrone in die Kammer des Gewehrs gleiten, trotzdem hob er die Waffe und zielte. Er hoffte, dass der Mann, der Wilks als Schild diente, sich fallen lassen würde. Dass er ihm Gelegenheit zu einem Schuss auf Wilks Kopf geben würde. Es war eine vergebliche Hoffnung. Das Gesicht des Mannes war starr und ausdruckslos vor Angst. Er deckte den Rothaarigen, bis sie beide in der Scheune verschwunden waren.

Clayburn blieb, wo er war. Er wartete. Noch bestand eine Chance. Vielleicht konnte er schießen, sobald Wilks wieder auftauchte. In der Scheune knallte es zweimal. Sekunden später jagten zwei Pferde aus dem gegenüberliegenden Scheunentor. Sie galoppierten nach Norden auf die Hügel zu. Wilks ritt das eine. Das andere führte er. Sein Gefangener saß hinter ihm auf dem Pferd. Ein Schuss war unmöglich.

Clayburn stieß einen lästerlichen Fluch aus. Er rannte zu der Scheune. Drinnen fand er, was er erwartet hatte. Zwei tote Pferde.

Dann stand er unter dem Scheunentor. Er sah Wilks nach, der den nächstliegenden Hügel hinauf galoppierte. Jetzt war er oben. Er hielt nicht an. Er drehte sich nur im Sattel um. Er schlug seinem Gefangenen den Revolver über den Kopf. Rückwärts fiel der Mann vom Pferd. Ein Stück weit rollte er den Hang hinunter. Dann blieb er liegen.

Bevor Clayburn schießen konnte, war Wilks samt seinen beiden Pferden auf der anderen Hügelseite verschwunden. Clayburn ließ das Gewehr sinken.

Er schaute zu der Hütte und der Kutsche hinüber. Arnie lehnte an der Wand. Der verbliebene Passagier bemühte sich um seine Schulterwunde. Clayburn zog überrascht die Brauen zusammen. Der Kutscher hockte am Boden. Er hatte Farnells Kopf in seinen Schoß gebettet.

Clayburn eilte hinüber. Farnell war also noch nicht tot. Aber ein Blick genügte, um zu wissen, dass dem Mann nur noch Sekunden verblieben. Seine Brust war blutverschmiert. Krampfhaft hob und senkte sie sich unter dem flachen Atem. Die Augen waren glasig. Als er zu sprechen versuchte, trat Schaum auf seine bleich gewordenen Lippen.

»Was hat er gesagt?«, fragte Clayburn den Kutscher.

»Ich verstehe ihn nicht. Irgendetwas über einen gedungenen Mörder.«

Clayburn kniete nieder. Er beugte sich über den Sterbenden. »Wer hat die Männer geschickt?«

Farnell riss seine letzten Kräfte zusammen. Er wollte antworten. Er tat sein Bestes. Er brachte Lautfetzen hervor. Sie blieben unverständlich.

Tiefer beugte sich Clayburn. »Wer wollte Sie

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Marvin H. Albert/Apex-Verlag/Successor of Marvin H. Albert.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Fritz Meisnitzer (OT: Last Train To Bannock).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 20.02.2020
ISBN: 978-3-7487-3018-7

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