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Leseprobe

 

 

 

 

Bill Knox

 

 

Der Tod des Sargmachers

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 71

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DER TOD DES SARGMACHERS 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

 

 

Das Buch

Eine Bande von Antiquitätendieben treibt ihr Unwesen in Schottland. Es scheint sich um Experten zu handeln, vor denen keine Alarmanlage zwischen Glasgow und Edinburgh mehr sicher ist.

Colin Thane, inzwischen Superintendent der schottischen Spezialabteilung der Kriminalpolizei, übernimmt den Fall zu spät, wie es scheint. Denn er kann nicht verhindern, dass zu den Diebstählen ein Mord kommt...

 

Der Roman Der Tod des Sargmachers von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1999) erschien erstmals im Jahr 1981; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1982.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   DER TOD DES SARGMACHERS

 

 

 

 

 

  Für Elizabeth

 

Ich muss noch einmal betonen, dass Organisation und Methoden der schottischen Crime Squad (Kriminalpolizei) sich von den hier geschilderten in Einzelheiten unterscheiden. Ich weiß es, die Scottish Crime Squad weiß es.

Sie will es so, und ich danke ihr für ihre Hilfe.

B. K.

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Annie Campbell war sechzig, grauhaarig, noch immer eine gutaussehende Frau, und hätte jedem eine auf die Nuss gegeben, der es gewagt hätte, sie einen Dienstboten zu nennen. Sie war Haushälterin von Drum Lodge, ihr Ehemann Donald war Chauffeur und Faktotum, und das Personal vervollständigte eine Putzfrau, die untertags vom Ort herüberkam.

Drum Lodge war ein mäßig großes schottisches Landhaus in den Vorbergen von Perthshire. Ihr Arbeitgeber, von seinen wenigen Bauernnachbarn Fergie Mackenzie genannt, war Witwer und lebte in der dritten Generation seiner Familie in der Lodge. Die Campbells arbeiteten seit sieben Jahren bei ihm.

Mit nur einem peinlichen Zwischenfall. Das war der Abend gewesen, an dem Donald Campbell von der Polizei angehalten worden war, weil er das Auto seines Dienstherrn steuerte, nachdem er ein Glas zu viel getrunken hatte. Ins Röhrchen blasen und alles Übrige waren eine Formalität gewesen. Donald hatte für ein Jahr seinen Führerschein verloren. Fergie Mackenzie hielt sein eigenes Revisionsverfahren ab... dann kaufte er Donald ein Fahrrad und stellte fest, man müsse sich ohnehin mehr um den Garten kümmern.

Aber das war im Sommer gewesen, vor acht Monaten. Jetzt wollte Annie Campbell sich erholen. Ihre Küche war nach dem Abendessen aufgeräumt, ihr Arbeitgeber blieb die Nacht über in Edinburgh, Donald war mit dem Rad zum Ort gefahren, um Darts zu spielen.

Draußen war es dunkel und nasskalt, wie Abende in den Perthshire-Bergen im März es oft sind. Aber in der Küche war es warm, und sie hatte den tragbaren Fernseher mitgebracht. An diesem Abend lief eines ihrer Lieblingsprogramme, eine Ärzteschnulze.

Annie Campbell goss sich ein kleines Gläschen vom besten Whisky ihres Arbeitgebers ein, trank einen Schluck und wollte den Fernseher einschalten.

Die Türglocke schrillte.

»Den soll doch der Kuckuck holen«, schimpfte Annie Campbell ärgerlich vor sich hin.

Sie verließ die Küche und ging durch das Haus zur Eingangstür. Durch die Glasscheiben sah sie eine Gestalt in Polizeiuniform im Schatten des Eingangs stehen.

Annie Campbell öffnete die Tür. Und schnappte nach Luft, als der »Polizist« ihr eine Schusswaffe in den Bauch stieß. Ein Gesicht, grotesk verzerrt durch eine Strumpfmaske, grinste sie an.

»Schön brav und vernünftig sein«, sagte die Gestalt leise.

Annie Campbell, unerschrocken vor Mensch und Teufel, war eine Bauerntochter. Sie blickte auf die Pistole hinunter, deren Mündung in ihre Magengrube gepresst wurde, sah, dass der Sicherungshebel umgelegt war, und nickte.

Aus der Nacht tauchten noch zwei Männer mit Strumpfmasken auf. Sie trugen dunkle Pullover und Drillichhosen. Annie Campbell wurde durch das Haus in ihre Küche getrieben, auf ihren Stuhl gestoßen und mit einem Strick, den der »Polizist« aus seiner Hosentasche zog, gefesselt.

»Ihr vergeudet eure Zeit«, sagte Annie Campbell beherzt. »Hier ist kein Geld. Außer ihr wollt das, was in meiner Börse ist.«

Einer von den drei Männern gluckste. Dann verschloss er ihr mit Heftpflaster den Mund.

»Keine Sorge, Ma«, sagte der Polizist.

Er zog den Stuhl ein bisschen herum, bis er dem Fernsehgerät gegenüberstand. Dann schaltete er den Apparat ein und stellte ihn lauter.

Annie Campbell funkelte ihn böse an, als er mit den anderen hinausging. Der Kasten war auf den falschen Kanal eingestellt.

Als Donald Campbell über zwei Stunden später von seinem Pfeilwerfen im Dorfhotel durch den Regen zurückradelte, fand er die Tür von Drum Lodge offen und seine Frau immer noch an den Küchenstuhl gefesselt vor.

Sie waren beide praktisch gesinnte Menschen. Nachdem Annie Campbell losgebunden war, trank sie ihren Whisky auf einen Schluck aus. Donald Campbell genehmigte sich einen Kleinen, um ihr Gesellschaft zu leisten. Dann versuchten sie, die Polizei anzurufen. Die Leitung war zerschnitten.

»Ich radle wieder zum Ort hinunter«, sagte Donald gequält. Er dachte an den Regen, an die zwei Meilen Fahrt hin und an die zwei Meilen wieder zurück. »Annie, was, zum Henker, wollten die Kerle überhaupt?«

»Mich offenbar nicht. Nicht, dass dir das viel ausgemacht hätte«, erklärte Annie Campbell grimmig. »Sehen wir lieber nach.«

Das taten sie.

Das vordere Wohnzimmer von Drum Lodge wirkte ungewöhnlich nackt. Ein William-und-Mary-Beistelltisch, ein Chippendale-Schreibpult und die Sheraton-Stühle fehlten. Im Esszimmer war ein komplettes Crown-Derby-Speiseservice aus seinem Glasschrank geholt worden, eine Anzahl von georgianischen Silberstücken fehlte, ebenso ein Silberkübel aus derselben Zeit.

Mit zusammengepressten Lippen ging Annie Campbell voraus zum Arbeitszimmer ihres Dienstherrn. Dort stand es genauso schlimm. Eine Reihe hoher Schränke mit Glastüren war aufgebrochen worden. Fergie Mackenzies kostbare Sammlung alter Feuerwaffen von Brown-Bess-Musketen bis zu alten schottischen Sattelpistolen war verschwunden.

Annie versuchte, das Positive zu sehen. Das Schreibpult und die Sheraton-Stühle würden ihr fehlen. Das Silber dagegen war sehr mühsam zu putzen gewesen, und was nützte ein Speiseservice, das zu kostbar war für eine Verwendung? Bei den Waffen hatte sie zwar gewusst, dass sie ebenfalls wertvoll waren, aber gemocht hatte sie die Dinger nie.

»Ich mach’ mich auf den Weg, Annie.« Donald Campbell räusperte sich, zögerte und fügte hinzu: »Äh... ich hab’ gewonnen.« Er sah die verständnislose Miene seiner Frau. »Beim Werfen. Ich bin jetzt in der Endrunde.«

Annie Campbell sah ihn starr an.

»Scheiß-Pfeilwerfen«, sagte sie mit Bedacht.

Sie gebrauchte das Wort in ihrem Leben erst zum zweiten Mal. Bei der ersten Gelegenheit - nun, davon wusste nicht einmal Donald.

Ihr ging erst jetzt ganz auf, was geschehen war.

Außerhalb von Drum Lodge und den Vorbergen von Perthshire war Fergie Mackenzie besser bekannt als Lord Mackenzie, einer der dienstältesten Richter am Hohen Gerichtshof von Schottland. Dort wurde er als Schreck-Mac betitelt - ein Schrecken für Verteidiger, Polizei und Angeklagte zugleich. In seiner Richterrolle lächle er nur dann, so hieß es, wenn er ein Urteil verhänge.

Fergie Mackenzie würde nicht erfreut sein, wenn er hörte, dass er beraubt worden war. Ihr Blick erfasste die nackten Bodendielen, und sie setzte im Stillen noch einen handgewebten, cremefarbenen chinesischen Teppich auf die Liste des Beuteguts. Nein, er würde ganz und gar nicht erfreut sein.

Sie sah ihren Mann an.

»Bist du noch nicht fort?«

»Dachte bloß, ich erwähn’ das mit dem Werfen«, sagte Donald. Er bereute schon, davon gesprochen zu haben. Er zog sich in Richtung Tür zurück.

Der Regen draußen schien immer stärker zu werden.

 

Die meisten Menschen in Glasgow fühlten sich an diesem Dienstagmorgen besser. Nach fast einer Woche Regen war die Sonne wieder herausgekommen, der Himmel klar und blau. Die Straßen trockneten, in den Stadtparks sprossen Frühlingsknospen, und selbst in den schlimmsten Slum-Wohnkasernen wurde das Leben ein klein wenig erträglicher.

Kriminal-Superintendent Colin Thane stand in der Zentrale der Scottish Crime Squad am Fenster seines Büros, schaute hinaus und war mit dem Leben einigermaßen zufrieden. Der Anblick, der sich ihm gerade bot, bestand hauptsächlich aus zwei weiblichen Beamten, die auf dem Parkplatz zu ihrem Auto gingen, das keine Beschriftung trug. Sie hießen Jill und Jean, beide waren Anfang Zwanzig, schlank und hübsch, und trugen weite Pullover zu engen, ausgewaschenen Jeans.

Er grinste. Zum Teil deshalb, weil sie, obwohl beide brünett, blonde Perücken trugen. Zum Teil auch deshalb, weil er wusste, wohin sie fuhren. Sie sollten vier Wochen verdeckter Ermittlungen mit der Festnahme eines gescheiterten Medizinstudenten abschließen, der Discjockey geworden war und sich nebenbei gewinnbringend als Erpresser betätigte. Vor allem aber grinste Colin Thane deshalb, weil er, schwarzhaarig, einsfünfundachtzig groß, zweiundvierzig Jahre alt, glücklich verheiratet, zwei Kinder, vielleicht nicht mehr ganz so schlank wie früher einmal, noch immer Mädchen in Pullis und engen Jeans zu schätzen wusste.

Jill und Jean stiegen in den Wagen. Thane wandte sich vom Fenster ab und ging zu seinem Schreibtisch zurück. Er setzte sich und blätterte weiter im Computerausdruck der vergangenen Nacht.

Zwei Messerstechereien, ein bewaffneter Raubüberfall, ein Vergewaltigungsversuch, ein ertrunkener Jugendlicher, der giftige Dämpfe geschnüffelt hatte, eine alte Frau beraubt und halbtot liegengelassen... der Ausdruck erfasste nur Glasgow und wurde von der Stadtpolizei weitergegeben. An sechs von sieben Tagen ließ der Inhalt sich Voraussagen. Thane zog die Schultern hoch, blätterte um und stutzte, als er Millside erwähnt fand.

Millside war ein hässlicher Teil Glasgows, halb im Hafengebiet gelegen. Bis vor drei Monaten, als man ihn gleichzeitig befördert und von der gewöhnlichen Polizeiarbeit zur Crime Squad versetzt hatte, war Millside sein Arbeitsbereich gewesen. Eine Gegend, wo Chef der örtlichen Kriminalpolizei zu sein bedeutete, dass man die Fäuste mindestens ebenso oft zu gebrauchen hatte wie das Gehirn.

Die ausgedruckte Meldung umfasste nur vier Zeilen: die kurze Auflistung eines Lagerhaus-Einbruchs. Die Bande hatte ein Loch ins Dach geschnitten, war hinuntergesprungen und hatte etwa eine Tonne löslichen Kaffee weggeschleppt. Für das Dach hatte man eine Motorsäge verwendet. Das klang ganz nach Soldier Harris und seinen Söhnen... Thane streckte die Hand nach dem Telefon aus, zog sie zurück und schüttelte den Kopf. Mindestens drei Kriminalbeamte von Millside waren fähig, selbst darauf zu kommen. Ein Ex-Chef hatte seine Nase dort nicht hineinzustecken, wo sie nicht gebraucht wurde.

Er schnitt eine Grimasse, zündete sich eine seiner streng rationierten Zigaretten für diesen Tag an und warf einen Blick auf die Digitaluhr aus rostfreiem Stahl an seinem Handgelenk. Er hatte sie zum Abschied von ihnen bekommen. An der Unterseite des Gehäuses war eingraviert: Für den Chef von den Millside-Kollegen.

Aber nun gehörte er zur Scottish Crime Squad und war amtierender Chefstellvertreter, bis Tom Maxwell vom Urlaub zurückkam.

Eine Versetzung zur Crime Squad war das, wovon jeder richtige Polizist träumte, auch wenn es nur bei den wenigsten wahr wurde. Eine kleine Gruppe, Auslese aus allen Polizeibehörden im Land, frei von örtlichen Bindungen oder Gebietsbegrenzungen, von der Regierung direkt finanziert, die sich die Fälle selbst aussuchen konnte - es waren stets wichtige. Man wendete seine eigenen Methoden an... und meistens wurde ein Fall abgeschlossen, bevor der örtlich zuständige Polizeibeamte recht viel mehr wusste, als dass man sich in seinem Bereich aufhielt.

Immerhin... für alle Fälle vermerkte er den Namen Soldier Harris auf seinem Notizblock.

Das Wechselsprechgerät auf seinem Schreibtisch summte leise, als er wieder nach dem Computertext griff.

»Kommen Sie, bitte«, sagte eine sanfte, beinahe träg wirkende Stimme. Im Gerät knackte es.

Thane drückte seine Zigarette aus. Die Bitte kam von Jack Hart, dem Chef der Dienststelle, und zwar nicht ganz unerwartet. Hart, Kriminal-Chefsuperintendent, vor der Übernahme dieses Postens Bereichsleiter Kriminalistik in Ayrshire gewesen, hielt an den meisten Vormittagen eine kleine Besprechung ab. Er erwartete, auf diese Art genau zu erfahren, was alles vorging. Stellte sich später heraus, dass das trotzdem nicht der Fall war, konnte der Teufel los sein.

Ein rascher Blick auf die beiden letzten Seiten des Ausdrucks zeigte, dass nichts weiter von Belang war. Thane stand auf und schaute sich kurz im Zimmer um. Er hatte sich noch immer nicht an den Teppichboden gewöhnt - erst vom Superintendenten ab gab es Teppichböden. Das Mobiliar war, wie das Gebäude, neu und modern - auch ein Gegensatz zu dem alten Gerümpel in Millside. Er hatte hier noch nicht viel getan, um dem Raum persönliche Züge zu verleihen, wenn man von dem frischen Kaffeefleck auf dem Teppichboden und dem abgebrochenen Kleiderhaken an der Tür absah. Aber das Zimmer wirkte langsam unaufgeräumter und behaglicher.

Er verließ den Raum, ging durch einen Korridor, drückte neben der Tür mit der Aufschrift Commander auf einen Knopf. Eine Aufschrift Eintreten blinkte auf. Er öffnete die Tür und trat ein.

»Setzen Sie sich erst mal.« Commander Hart, ein Mann Ende Vierzig mit hohen Backenknochen und faltigem, meistens traurig wirkendem Gesicht, saß an seinem Schreibtisch und nickte grüßend. Er zeigte mit dem Daumen auf die ältere, ein wenig mollige, adrett gekleidete Brünette, die sich neben ihm über Akten beugte. »Maggie und ich sind gleich fertig.«

Thane ließ sich in einem Sessel nieder. Maggie Fyffe, die Sekretärin des Commanders, trug einen Ehering. Sie war die Witwe eines Polizeibeamten. Sie lächelte Thane an und legte Hart erneut ein Schriftstück vor. Er gab einen Knurrlaut von sich, unterschrieb und schob ihr das Bündel hin.

»Sonst noch was?«, fragte er.

»Nein.« Maggie Fyffe warf wieder einen Blick auf Thane und schien sich insgeheim über irgendetwas zu amüsieren. »Nichts, was nicht Zeit hätte.«

»Lassen wir es dabei«, sagte Hart dankbar. Er wies auf sein Telefon. »Vorerst keine Gespräche. Ich bin nicht da. Oder...«

»Sie organisieren ein Begräbnis?«, meinte Maggie Fyffe sanft.

»Ja.« Hart lachte leise in sich hinein. »Kann man auch sagen.«

Sie ergriff die Unterlagen, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich. Hart schob die Lippen vor, schlug den vor ihm liegenden roten Aktendeckel auf und starrte stirnrunzelnd hinein.

Thane wartete. Das Büro des Commanders war ungefähr doppelt so groß wie das seine, mit Aussicht auf Wiesen, die von Bäumen umsäumt waren. Hinter den Bäumen befand sich ein hoher Zaun. Am einzigen - bewachten - Tor hing ein Schild mit der Aufschrift: »Polizeiliches Übungsgelände«

Was es auch war. Die Scottish Crime Squad teilte sich das Gelände mit der berittenen Polizei, die dort ihre Stallungen hatte, und den Hundestreifen. Die Tiere waren oft lärmende Nachbarn. Für die Öffentlichkeit war die Dienststelle im Telefonbuch mit einer Adresse in der Innenstadt von Glasgow eingetragen. Die höfliche Vortäuschung wurde durch ein kleines Büro aufrechterhalten, aber die Einsatzbasis war hier, südlich vom Fluss, am Stadtrand, nah bei der Fernstraße M 8 nach Greenock.

Die Dienststelle legte Wert auf Ungestörtheit. Ihre Kombination von Zielüberwachung und aggressiver Polizeitätigkeit hielt sich zwar an die Regeln, aber Aufsehen sollte möglichst vermieden werden.

»Fertig«, sagte Hart plötzlich und klappte die Akte zu. Er sah Thane ebenso merkwürdig, beinahe belustigt, an wie vorher Maggie Fyffe. »Was halten Sie von den Richtern des Hohen Gerichtshofs?«  

»Als Schlag?« Thane zuckte überrascht mit den Schultern. »Sie sind menschlich, nehme ich an - jedenfalls ein paar.«

Hart lachte leise und legte beide Hände flach auf den Schreibtisch.

»Wie steht es mit dem gefürchteten Lord Mackenzie, auch Schreck-Mac genannt? Schon mal das Vergnügen gehabt?«

»Ja.« Thane verzog den Mund. »Ich kann Ihnen die Narben zeigen.«

Es war ein ganz unsensationeller Mordprozess gewesen, mit wenigen Komplikationen, aber Lord Mackenzies Laune hatte sich von Anfang an als äußerst schlecht erwiesen. Zusammengekauert hinter dem Richtertisch, eine kleine, verdrossen wirkende Gestalt mit Gerichtsperücke und roter Robe, hatte Schreck-Mac sowohl den Vertreter der Anklage für die Krone wie den Strafverteidiger zu nervösen Wracks gemacht, während er Geschworene und Zeugen gleichermaßen terrorisierte.

Als Thane als Zeuge auftreten musste, beugte Seine Lordschaft sich wie ein hungriger Geier vor, lauschte mit steinerner Miene und kritisierte dann alle beteiligten Kriminalbeamten, bevor er andeutete, Thane lüge möglicherweise.

Später hatte Schreck-Macs unangreifbares Resümee das Plädoyer der Verteidigung zerpflückt, die Jury hatte auf Schuldig entschieden, und der Angeklagte war zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Aber an jenem Tag hätte Colin Thane viel dafür gegeben, die Hände um eine ganz bestimmte magere Kehle legen zu können.

»Das dachte ich mir«, meinte Hart nachdenklich. »Wir sind so viele, dass wir einen Verein gründen könnten. Trotzdem...« Er wies mit dem Kinn auf die Akte. »Unser gemeinsamer Freund wohnt in Drum Lodge irgendwo in der Wildnis von Perthshire. Vor zwei Wochen bekam das Haus eines Samstagabends Besuch. Leider war Lord Mackenzie nicht zu Hause - aber die Haushälterin wurde mit vorgehaltener Pistole gefesselt, und eine Bande räumte Antiquitäten im Wert von dreißigtausend Pfund ab.«

»Sie haben Interesse daran?«, fragte Thane. Er zog die Stirn ein wenig zusammen.

Hart nickte.

Thane war auf der Stelle argwöhnisch.

»Was ist an der zuständigen Dienststelle auszusetzen?«

»Nichts. Aber man hat nichts herausgefunden.« Hart machte eine kurze Pause, dann fügte er mit leichtem Sarkasmus hinzu: »Das kommt vor, selbst wenn es um einen hohen Richter geht.«

»Sie greifen also ein.« Thane fuhr mit dem Daumen an seinem Kinn entlang. Sein Argwohn wuchs. Eine der ersten Regeln, die er beim Eintritt in die Crime Squad gelernt hatte, war die, dass man sich von alltäglichen Verbrechen fernhielt, angefangen bei Raub. Er sah Commander Hart unschuldig an.

»Setzt uns jemand unter Druck, Sir?«

»Nein, nicht so, wie Sie meinen«, erwiderte Hart frostig. Sein Gesicht rötete sich ein wenig. »Selbst wenn es so wäre, meine ich, dass immer noch ich die Dienststelle leite. Ich...« Er brach mit einem Brummlaut und einer Grimasse ab und fuhr mit dem Drehsessel herum, als nah am Fenster wildes Kläffen laut wurde. Einen Augenblick später raste ein großer, junger Schäferhund über das Gras, verfolgt von einem wütenden uniformierten Hundeführer. Sie verschwanden, und der Lärm hörte auf.

»Die Hundestaffel hat neue Rekruten.« Hart drehte sich wieder nach vorn, immer noch frostig. »Mit als erstes bringen sie den Tieren bei, nicht zu früh zu bellen.« Er sah Thane bohrend an. »Sehr vernünftig.«

Thane nickte mit einem schiefen Lächeln.

»Übrigens würde auch Ihnen ein Halsband recht gut stehen.« Harts gute Laune stellte sich wieder ein. Er deutete mit einer Bewegung seines Kinns wieder auf die Akte. »Colin, es gibt keinen direkten Druck. Der Einbruch in Drum Lodge gehört einfach zu einem Einsatzpaket - zu einem, mit dem mich zu befassen ich schon vor Wochen gebeten worden bin, bevor Lord Mackenzie seine hübschen Sachen verloren hat.« Er zog die Schultern hoch. »Wenn ein Minister erklärt, er mache sich Sorgen, merke ich auf.«

Das konnte Thane sehr gut verstehen. Das Jahresbudget der Scottish Crime Squad würde bald zur Diskussion stehen.

»Antiquitätendiebstähle?« Das schien naheliegend zu sein.

»Genau.« Hart nickte grimmig. »Eine ganze Epidemie - und ein neues Team, das professionell arbeitet. Die Leute wissen, was sie tun.« Er schob Thane die Akte hin. »Drum Lodge ist nur einer von elf Fällen hier. Verstreut über das ganze Land, aber offenbar überall dieselbe Bande. Sie beachten wertloses Zeug nicht, nehmen nur das Beste, und in jedem einzelnen Fall haben sie nie unter zehntausend Pfund Werte erbeutet, ganz bescheiden gerechnet.«

Thane blickte auf die Akte.

»Mein Fall?«

»Ja.« Hart schob die Lippen vor »Ach - wieviel verstehen Sie von Antiquitäten?«

»Nicht viel«, gestand Thane. »Es sei denn, Sie rechnen mein Auto ein.«

Eigentlich war das jetzt das Fahrzeug seiner Ehefrau Mary. Er hatte sich jeden Tag abwechselnd mit Mary in den alten Kombi geteilt, aber jetzt durfte sie die meiste Zeit damit fahren, weil ihm die Fahrbereitschaft zur Verfügung stand. Der Wagen rostete, die Reifen waren abgefahren, der Ölverbrauch nahm immer mehr zu.

»Das ist nicht gerade hilfreich«, meinte Hart düster. »Keine Kritik an Ihnen, aber es ist Pech, dass Tom Maxwell Urlaub hat.«

Thane wusste, was er meinte. Harts eigentlicher Stellvertreter, Kriminal-Superintendent Maxwell, hinkte, weil er bei der Verfolgung eines bewaffneten Verbrechers einmal von einem Dach gestürzt war. Maxwell, der von Edinburgh zur Dienststelle gekommen war, stöberte aber gern in Trödlerläden und bei Auktionen herum. Wenn er sie billig genug bekommen konnte, sammelte er Stiche von alten Segelschiffen.

»Könnten Sie ihn nicht zurückholen?«, fragte er ruhig.

»Nein.« Harts Knurrton verriet, dass er daran gedacht hatte. »Er macht eine Rundreise durch Frankreich, erinnern Sie sich? Er hat seine Frau, ein Zelt und sein Auto mitgenommen - keine Adresse, wo man ihn erreichen kann.«

»Schade.« Er gab sich Mühe, nicht zu grinsen. Tom Maxwell war nicht dumm. Er wusste, dass Maxwell bei Maggie Fyffe in Wirklichkeit zwei Adressen für Notfälle hinterlassen hatte, aber unter haarsträubenden Drohungen, was passieren würde, wenn sie dem Commander davon erzählen sollte.

»Es bleibt also an Ihnen hängen.« Hart legte die schmalen Hände aneinander, als wolle er beten. Dann hellte sich seine Miene auf. »Ach was, Antiquitäten oder nicht, kommt es darauf an? Sie gehen auf Diebesjagd. Allerdings...« Er verstummte und betrachtete seine Hände.

»Ein Problem?«, fragte Thane schicksalsergeben.

»Nur, dass wir ein bisschen tiefer bohren wollen.« Hart gab die Gebetshaltung auf. »Der Verein braucht einen Markt, einen unsauberen Käufer. Gestohlene Antiquitäten werden stets schnell und weit weggebracht, gleich aus dem Land geschafft - das weiß man seit langer Zeit. Das ist wie bei einer Pipeline. Die gestohlenen Gegenstände gelangen an einem Ende hinein und kommen am anderen Ende als scheinbar einwandfreie Geschäfte heraus. Ich wette, dass Schreck-Macs Sachen inzwischen entweder in Amsterdam oder Paris oder unterwegs zu einem Ausstellungsraum in Manhattan sind.«

Thane nickte. Er fragte sich, wie er je hatte auf den Gedanken kommen können, das würde ein schöner Tag werden. Eines der Telefone auf Harts Schreibtisch summte leise. Hart nahm den Hörer ab, lauschte, murmelte etwas und legte auf.

»Richtig.« Er ging auf den Anruf nicht ein. »Sie sehen nicht gerade glücklich aus.«

»Ich versuche nachzudenken«, sagte Thane gequält. Eine Erinnerung hatte sich geregt, etwas, das einige Jahre zurücklag. »Ich habe einen Verbindungsmann zum Antiquitätenhandel - wenn er noch aktiv ist.«

»Ich kann Ihnen etwas Besseres liefern.« Hart strahlte ihn an. »Ich habe gestern Abend davon gehört und heute früh die Zusammenfassung bekommen. Der Grund für unser Eingreifen.« Er wies auf die Akte. »Das erste Blatt.«

Draußen war wieder Gebell laut geworden, aber weiter entfernt. Eine kleine Kolonne von Polizeihunden und ihren Führern machte sich auf den Weg zum Übungsgelände. Sie wurde von einem Sergeanten geleitet, der den meisten Lärm zu machen schien. Hart drehte sich herum und sah ihnen finster nach, während Thane die Akte aufschlug.

Obenauf lag ein Berichtsblatt von der kleinen Zweigstelle der Behörde in Edinburgh. Angeklammert waren mehrere Fernschreiben. Thane blätterte stirnrunzelnd. Die Fernschreiben stammten vom kriminalistischen Nachrichtendienst der Strathclyde-Polizei in Glasgow, von einer Polizeibehörde in Edinburgh und von einer Verkehrspolizei-Stelle in Nord-England.

Er warf einen Blick auf Hart. Der Commander war immer noch damit beschäftigt, den Aufmarsch der Hunde zu beobachten.

»Eine sonderbare Geschichte«, sagte Hart, ohne sich umzudrehen. »Übergehen Sie nichts - auch nicht die beteiligten Frauen.«

»Sir.« Thane zündete sich eine Zigarette an, begann zu lesen, wobei ihn die ersten Zeilen noch mehr verwirrten, dann erwachte langsam sein Interesse.

Es hatte vor ungefähr sechs Monaten begonnen. Mrs. Helen Morton, die Frau eines Zahnarztes in Edinburgh, hatte in einem Geschäft an der Princes Street ein neues Kleid anprobiert. Aus der Umkleidekabine war ihre Handtasche entwendet worden. Sie hatte Geld, Scheckheft, Kreditkarten und ihren Führerschein verloren.

Eine Woche später war eine Frau namens Anna Marshton, ledig, viermal vorbestraft, in einem Kaufhaus in Glasgow ertappt worden, als sie mit der Handtasche einer anderen Kundin das Weite hatte suchen wollen.

Anna Marshton war in Glasgow zu Hause. Zwei Kriminalbeamte waren mitgekommen, um ihre Wohnung routinemäßig zu durchsuchen, ein kleines Appartement in einem von der Kommune erbauten Hochhaus mit niedrigen Mieten, wo sie allein lebte. Sie hatten ein kleines Lager von Gegenständen gefunden, die Anna mit Handtaschendiebstählen in Glasgow und Edinburgh in Verbindung brachten. Darunter war Helen Mortons Scheckheft gewesen.

Anna Marshton hatte sechs Diebstähle eingestanden und war vor Gericht gestellt worden. Der Pflichtverteidiger hatte seinen Lieblingseinwand bei aussichtslosen Fällen vorgebracht, nämlich, dass seine Mandantin unter schwerer seelischer Belastung gestanden hätte. Zur Abwechslung einmal war er erfolgreich gewesen. Anna war zu bescheidenen drei Monaten Gefängnis verurteilt worden.

Das hieß, dass sie seit mindestens zwei Monaten wieder auf

freiem Fuß war. Thane zog die Brauen zusammen, bemüht, sich die Zeitangaben zu merken, und las weiter. Der nächste Abschnitt führte die Geschichte weiter zu einem Sonntagvormittag. Das Datum war mit Tinte unterstrichen. Jack Hart hatte in seiner leserlichen Handschrift daneben vermerkt: »Morgen nach dem Einbruch in Drum Lodge.«

Ein Lastwagen und ein Personenauto waren auf der Küstenstraße Ai nach Süden leicht zusammengestoßen, einige Meilen hinter der Grenze nach England. Ein ihnen nachfolgender kleiner VW-Transporter versuchte auszuweichen, rutschte von der Straße und blieb mit einem geplatzten Reifen liegen.

Niemand wurde verletzt. Die Besatzung eines Polizeifahrzeugs, die erschien, um den Unfall aufzunehmen, entdeckte, dass die Fahrerin des VWs den geplatzten Reifen wechselte. Sie war eine Brünette Anfang Dreißig, im Bericht knapp als »attraktiv« bezeichnet. Einer der englischen Polizeibeamten hatte ihr geholfen. Er bemerkte, dass der Transporter mit alten Möbeln beladen war. Die Brünette erklärte, sie hätte das Fahrzeug gemietet und bringe für einen älteren Verwandten das Mobiliar nach Süden.

Der englische Beamte hatte nicht weiter auf die Ladung geachtet. Thane grinste. Der Mann war vermutlich mehr an den Beinen der Brünetten interessiert gewesen. Aber sie war eine mögliche Unfallzeugin. Der Verkehrspolizist hatte, bevor sie weggefahren war, ihren Führerschein überprüft.

Der Führerschein war auf Mrs. Helen Morton ausgestellt, mit einer Adresse in Edinburgh. Das kam in den Unfallbericht der Beamten, zusammen mit dem Kennzeichen des VWs. Dort hätte beides in Vergessenheit geraten können. Nur war später an diesem Tag der in den eigentlichen Unfall verwickelte Lastwagenfahrer zu seiner Firma zurückgekommen, hatte über Übelkeit geklagt, war zusammengebrochen und gestorben. Die Obduktion ergab, dass er einen Haarriss-Schädelbruch erlitten hatte. Sein Tod war auf eine Gehirnblutung zurückzuführen.

Damit nahm der Unfall ein anderes Gewicht an. Von der englischen Dienststelle ging ein Fernschreiben nach Edinburgh. Zwei Wachtmeister dort wurden zu Mrs. Mortons Wohnung geschickt, um, wie es schien, ein ganz alltägliches Aussageprotokoll aufzunehmen.

Man wurde rasch eines anderen belehrt. Mrs. Morton erklärte, sie sei an diesem Sonntag nicht aus dem Haus gegangen. Sie könne das beweisen. Dann schickte sie mit Worten, die eine Zahnarztfrau bei Fremden im allgemeinen nicht zu gebrauchen pflegt, die Beamten fort, wobei sie darauf verwies, die polizeilichen Unterlagen müssten schließlich ergeben, dass Monate vorher ihre Handtasche gestohlen worden und mit ihr auch ihr Führerschein verschwunden war.

Die zwei verblüfften Polizisten spürten den VW anhand seines Kennzeichens bei einem Mietwagenunternehmen in Edinburgh auf. Die Unterlagen der Firma zeigten, dass das Fahrzeug von einer Frau angemietet worden war, die sich Helen Morton nannte, sich mit dem Führerschein ausgewiesen und bar bezahlt hatte.

Der VW-Transporter war am Samstag übernommen und drei Tage später zurückgebracht worden. Mrs. Morton hatte sich für den defekten Reifen entschuldigt, den Schaden bezahlt, wiederum bar, und war seitdem nicht mehr gesehen worden. Es war jedoch nicht das erstemal gewesen, dass sie einen der Transporter angemietet hatte - stets gegen bar, mit der Erklärung, sie sei Sekretärin einer Laientheatertruppe und müsse manchmal Kulissen und Requisiten befördern.

Und der unglückliche englische Verkehrspolizist, der dieser falschen Mrs. Morton geholfen hatte, den Reifen zu wechseln, konnte nur angeben, der Transporter sei mit alten Möbeln beladen gewesen. Es könnten auch Antiquitäten gewesen sein.

Mehr gab es nicht. Thane bemerkte plötzlich, dass seine Zigarette fast seine Finger versengte. Er drückte den Stummel in einem Aschenbecher aus, blickte wieder mit gerunzelter Stirn auf das Berichtsblatt und hörte Hart leise lachen.

»Na?«, sagte Hart und beugte sich vor. »Was glauben Sie?«

»Passt zusammen«, bestätigte Thane gedehnt. »Anna Marshton...«

»Ist klein, dick, sechsundvierzig, und sieht aus wie das Heck von einem Omnibus«, unterbrach ihn Hart finster. »Sie klaut Handtaschen, Ende.« Er sog gereizt an seinen Zähnen. »Die örtliche Kripo vernahm sie am Sonntagnachmittag - unser Pech. Sie behauptete, sie hätte den Führerschein der Morton in einer Bar für den Preis eines Getränks einem Fremden überlassen. Na gut, die Beamten nehmen an, dass sie lügt. Aber sie können sie nicht davon abbringen. Das sind vertraute Gesichter für sie, und sie lässt sich nicht leicht einschüchtern.«

»Ein fremder, böser Bulle hätte vielleicht mehr Glück«, meinte Thane nachdenklich.

»Lassen wir den fremden, bösen Bullen«, gab Hart spöttisch zurück. »Ihr üblicher Charme und' Ihre Diplomatie genügen, um die meisten Leute zu erschrecken.« Er zuckte mit den Schultern. »Unsere Anna lügt zweifellos. Viel wahrscheinlicher ist, dass jemand sie dafür bezahlt hat, einen Führerschein zu beschaffen, und ihr genaue Anweisungen gegeben hat.«

Thane hatte derselbe Gedanke beunruhigt.

»Hat sie früher schon in Edinburgh gearbeitet?«, fragte er.

»Nicht dass wir wüssten«, erwiderte Hart grimmig. »Aber sie hat bei diesem einen Ausflug zwei Handtaschen gestohlen, beide von etwa gleichaltrigen Frauen. Wenn ich das richtig sehe, hatte sie erst beim zweiten Mal Glück - das andere Opfer fährt nicht Auto.«

Thane hatte gegen die Logik des Commanders nichts einzuwenden. Sie entsprach seiner eigenen. Der Transporter war in Edinburgh gemietet worden, und die meisten Verleihfirmen verlangten die Vorlage eines Führerscheins. Sie fühlten sich wohler, wenn der Mieter irgendwo in der Stadt oder nahebei wohnte.

Aber etwas anderes war von größerer Bedeutung. Alle britischen Führerscheine enthielten das Geburtsdatum des Inhabers, ein Stück Gleichberechtigung, das nicht alle Frauen schätzten. Die Information war zwar computerverschlüsselt, aber das Personal der Mietwagenfirmen konnte sie lesen und tat das in der Regel auch.

Damit er von Nutzen sein konnte, musste der Führerschein von einer Frau stammen, die ungefähr so alt war wie die Frau, die den Transporter mieten wollte. Und der gestohlene Führerschein war für mehr als eine Anmietung bei derselben Firma verwendet worden.

»Ein Führerschein.« Er sah Hart an. »Wenn das unsere Antiquitäten-Bande ist, hat sie vielleicht noch mehr.«

»Versuchen Sie, das Anna Marshton zu fragen. Ich vermute, dass sie den Führerschein der Morton nicht mehr verwenden werden.« Hart schüttelte mit widerwilligem Respekt den Kopf. »Wenn die Ladung alter Möbel nicht aus Drum Lodge stammte, dann von einem anderen Einbruch. Einen Miet-Transporter zu nehmen, ergibt Sinn - das ist viel sicherer als ein gestohlenes Fahrzeug oder gefälschte Kennzeichen.« Er verstummte und blickte auf seine Uhr. Thane verstand den Wink, griff nach der Akte und stand auf.

»Ich lese das noch einmal durch, dann besuche ich unsere Handtaschenräuberin.«

Hart hielt ihn auf.

»Ich möchte, dass Sie vorher noch mit jemand anderem reden.«

»Sir?« Thane sah das kaum verhüllte Grinsen um den Mund des Commanders und erinnerte sich daran, wie Maggie Fyffe ihn angesehen hatte. Was jetzt auch kommen mochte, Hart hatte sich das bewusst bis zum Schluss aufgespart.

»Lord Mackenzie glaubt, er könne behilflich sein.« Harts Miene blieb ausdruckslos, aber dass er den Augenblick genoß, war unverkennbar. »Er hat da eine eigene Theorie entwickelt, die er besprechen möchte.«

»Mit mir?«, sagte Thane dumpf.

»Mit dem leitenden Beamten in diesem Fall«, sagte Hart ruhig. »Das sind Sie, und Sie haben Glück. Der Hohe Gerichtshof tagt heute in Glasgow, und Mackenzie führt den Vorsitz im North-Senat. Ich habe das von Maggie erkunden lassen - er unterbricht die Sitzung um elf Uhr für eine Kaffeepause und hat dann Zeit für Sie.«

»Nett von ihm«, sagte Thane traurig.

»Das dachte ich mir auch.« Harts Grinsen war nicht mehr zurückzuhalten. »Ahm - er sagt übrigens, dass er sich an Sie erinnern kann.«

 

Colin Thane ging nicht direkt in sein Büro zurück. Er marschierte durch einen anderen Korridor und nickte einem Kriminalinspektor zu, der gerade aus einem der Zimmer trat, als er vorbeiging.

Der Mann erwiderte den Gruß mit düsterer Miene. Seine zweijährige Versetzung zur Crime Squad war zu Ende. Er kehrte zurück zu seiner Dienststelle im Norden, mit einer Beförderung und einem guten Posten in einer kleinen Provinzstadt in der Tasche. Das System funktionierte so. Trotz der Vorteile für die berufliche Laufbahn waren viele Angehörige der Crime Squad traurig, wenn es hieß, wieder Abschied zu nehmen.

Der große Bereitschaftsraum lag am hinteren Ende des Korridors. Die Tür stand offen. Thane ging hinein und schaute sich hoffnungsvoll um. Es war ein großer Saal, aber wie üblich zeigten sich nur wenige Schreibtische besetzt. Bunte Nadeln in den Wandkarten, die ganz Schottland erfassten, verrieten einige der Gründe. Als er am hinteren Ende des Raumes ein hochgewachsenes, schlankes, rothaariges Mädchen alleine sitzen sah, gab er jedoch einen erfreuten Knurrlaut von sich.

Sie hatte ihn bemerkt und unternahm den halbherzigen Versuch, zwei zuckerbestreute Krapfen auf einem Papierteller wegzuschieben. Den Rest eines dritten hielt sie noch in der Hand.

»Bin hungrig geworden«, erklärte sie ernsthaft und klopfte die Zuckerkrümel weg, die auf ihrer Jeansjacke gelandet waren. Sie trug sie zu grauer Bluse und passender Hose. Mit einer Kopfbewegung in Richtung Teller sagte sie: »Nehmen Sie sich einen.«

»Ein andermal.« Thane grinste. Sandra Craig war Kriminal-Konstablerin, man sah sie fast immer essen, aber sie schien nie ein Gramm zuzunehmen. »Wissen Sie, wo Francey oder Joe Felix stecken?«

Sie nickte.

»Sie sind zur Elektronik-Werkstätte gegangen. Joe wollte ein neues Spielzeug vorführen.« Sie griff nach dem Telefon. »Brauchen Sie die beiden, Sir?«

»Nein.« Thane schüttelte den Kopf. »Vorerst nur Sie.«

»Das beste Angebot seit dem Frühstück«, gab sie fröhlich zurück. »Und Francey und Joe?«

»Sie sollen nicht weglaufen. Sagen Sie ihnen, ich brauche sie noch.« Thane beließ es dabei. Er wusste, dass das genügte. Sergeant Francey Dunbar war jung, konnte schwierig sein und sich manchmal auflehnen, war Thane aber zugeteilt worden. Joe Felix war ein Kriminal-Konstabler mittleren Alters in der Abteilung Überwachung und Technik. Er und Sandra Craig waren die beiden anderen Mitglieder von Thanes persönlicher Mannschaft, die sich mehr zufällig als planmäßig gebildet hatte. Das Team hatte sich allmählich von selbst eingespielt, obwohl die anderen schon vor Thanes Ankunft

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Bill Knox/Apex-Verlag. Published by arrangement with Shelley Morrison, Literary Agent.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Christine Frauendorf-Mössel (OT: A Killing In Antiques).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 17.02.2020
ISBN: 978-3-7487-2988-4

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