Cover

Leseprobe

 

 

 

 

MICHAEL BUTTERWORTH/H. W. SPRINGER/

M. F. THOMAS/J. JEFF JONES

 

 

Mondstation 1999 – Band 2

 

 

 

Fünf Romane in einem Band

 

Apex Science-Fiction-Klassiker, Band 58

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

Michael Butterworth & J. Jeff Jones: DIE UNHEIMLICHE KRAFT 

Michael Butterworth: DER DOPPELGÄNGER 

Michael Butterworth: DIE ZEIT-ATTACKE 

H. W. Springer: INVASION DER ESPER 

M. F. Thomas: DER STAHLPLANET 

 

Das Buch

Auf dem großen Schirm beobachteten sie das Abheben der Eagle-Schiffe. Sie rasten einer Überlebensmöglichkeit entgegen. Die Aussichten waren etwa so wie die eines winzigen Rettungsbootes, das man mitten in einem irdischen Ozean ausgesetzt hatte, nur dass man dort auf eine Insel oder ein zufällig vorbeifahrendes Schiff hätte hoffen dürfen. Im tiefen Raum konnte man mit solchen Möglichkeiten nicht rechnen.

Und nun bemerkten sie einen winzigen Lichtpunkt, der sich irgendwie von den Millionen Sternen unterschied.

Es war ein glasiges, düsteres, pulsierendes Licht...

 

Mondstation 1999 – Band 2 von Michael Butterworth, H. W. Springer, M. F. Thomas und J. Jeff Jones enthält fünf Romane aus der legendären Science-Fiction-Serie Mondbasis Alpha 1 (engl. Original-Titel: Space 1999), die seit den 1970er Jahren ein Millionen-Publikum begeistert und heute längst Kult ist: Die unheimliche Kraft, Der Doppelgänger, Die Zeit-Attacke, Invasion der Esper und Der Stahlplanet. 

Mondstation 1999 – Band 2 erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX SCIENCE-FICTION-KLASSIKER. 

  Michael Butterworth & J. Jeff Jones:

  DIE UNHEIMLICHE KRAFT

 

 

 

Erstes Kapitel

 

 

Es traf sie aus dem Nichts!

Es kam so unerwartet und plötzlich, dass Commander John Koenig völlig geschockt und für Sekunden keiner Reaktion fähig war. Er stand nur da und starrte ebenso verblüfft wie das ganze Personal der Kommandozentrale die warnenden Buchstaben auf dem großen Schirm an:

 

VERÄNDERUNG DES HORIZONTS!

 

Darunter blitzte eine Ziffer nach der anderen auf; sie bezeichneten den Beginn der Katastrophe:

0,01°, 0.02°, 0.03°, 0.04°...

»John«, rief Tony Verdeschi, »was, um Himmels willen...? Wir ändern ja unseren Kurs!«

Die Worte des Sicherheitschefs brachen die Starre des Schocks, und Koenig handelte sofort wieder. »Ich sehe es, Tony«, sagte er, »aber ich verstehe es nicht.« Er warf einen raschen Blick über die Schulter. »Yasko«, befahl er, »zeig mir den Horizont.«

Die schöne japanische Computerspezialistin tippte einen ganzen Informationssatz in den Computer.

Unvermittelt hellte sich die graue Fläche des Schirmes auf, über den seit drei harten Jahren sämtliche Daten flackerten, die man sorgfältig sammelte, seit der Mond sich aus der Erdumlaufbahn gesprengt hatte.

Der Mondstützpunkt hatte einen friedlichen, ereignislosen Monat hinter sich. Wertvolle Informationen, die man während des unfreiwilligen und abenteuerlichen Fluges durch den Raum sammeln konnte, waren in die Speicherbank des Hauptcomputers aufgenommen worden. Das war lange zurückgestellt worden, doch es war gut, dass dies endlich geschehen war, weil es die Überlebenschancen gewaltig verbesserte. Als diese überraschende Information hereinkam, war damit aber plötzlich Schluss. Die ruhige, fast ferienähnliche Stimmung war im Nu verflogen.

Über der Schrift VERÄNDERUNG DES HORIZONTS, 2.000, erschienen weitere Daten. Als der Zeiger des Gyroskops langsam und beharrlich der Null entgegenrutschte, überlief es Koenig eiskalt.

Eine gewaltige Kraft wirkte da auf den Mond ein und zog ihn unwiderstehlich einem unbekannten Ziel entgegen?

»Maya!«, rief er, behielt aber die alarmierenden Ziffern im Auge. »Was wirkt da auf uns ein?«

Die Frau beschäftigte sich bereits mit der Analyse des Phänomens. Die Augen der Psychonerin verkleinerten sich in gespannter Konzentration. Blitzschnell tanzten ihre Finger über die Eingabetasten ihres Computer-Terminals. Der kleine Monitor in ihrer Konsole zeigte jedoch nur eine Perlenschnur informationsloser Nullen. Der Sensor kapitulierte vor dem Unerklärlichen.

»John, ich habe keine Daten«, meldete Maya besorgt.

»Yasko, du musst etwas auf dem Schirm finden«, forderte Koenig. »Schauen wir mal, wie es aussieht.«

Yasko suchte, und die erstaunliche Information vom großen Schirm verschwand, um der Samtschwärze des Raumes mit den Millionen Diamantpunkten der Sterne Platz zu machen. Eifrig suchten alle Augen in der Kommandozentrale nach einem bestimmten Punkt, der die geheimnisvolle Kraft erklären konnte.

Tony Verdeschi, der temperamentvolle Italiener, wurde leicht ungeduldig. Greifbare Probleme löste er gekonnt und schnell, aber wenn er vor einem völligen Rätsel stand, sah er rot. »Das sieht genauso aus wie sonst auch«, schnappte er.

»Welcher Faktor könnte für die Kursänderung verantwortlich sein, den wir nicht erkennen können?«, fragte er Maya.

»Nur einer«, erwiderte sie, »ein Schwerkraftzug aus dem Raum.«

Koenig nickte. »Sieh zu, dass du die Quelle lokalisieren kannst.«

Sofort beugten sich Maya und Yasko über ihre Konsolen und erteilten den sensorischen Monitoren ihre Weisungen; diese stellten nämlich den Direkt-Kontakt zur Außenwelt der Basis Alpha dar. Die Kathodenröhren flackerten in einem programmierten Lichter-Code auf.

»Angenommene Position der Schwerkraftquelle«, berichtete Maya dem Commanders und der gespannt wartenden Crew, »...nicht festzustellen«, vollendete sie und schüttelte bestürzt den Kopf.

»Das gibt's doch nicht«, sagte Tony und las die Computeraufzeichnung ab, die aus der Ausgabe ratterte. Auch er schüttelte den Kopf.

Koenig überlegte einen Moment. »Gebt mir einen Drei-mal-Sechzig-Grad-Rundblick«, befahl er.

Noch während er sprach, wurde die mächtige Linse über der Commanderzentrale auf der Mondoberfläche aktiviert. Langsam schwenkte sie herum und erfasste die ganze galaktische Kuppel vor und über ihnen. Nichts deutete auf die geheimnisvolle Schwerkraftquelle.

Die Horizontziffern tickten von 9.00° nach 10.00° und 11.00°.

»John«, sagte Tony leise zum Commanders, »was dann, wenn es ein schwarzer Zwerg ist?«

Dr. Helena Russell stand nahe genug neben ihnen und hörte die Frage. Instinktiv hatte sie einen Platz neben Koenig eingenommen, als die Alarmbereitschaft einsetzte, aber so, dass sie ihn dabei nicht von seiner Aufgabe ablenkte. Jetzt griff sie jedoch nach seinem Arm.

»Wenn wir mit einem schwarzen Zwerg Zusammenstößen...«, begann sie besorgt, sprach aber auch sehr leise.

Koenig sah sie zuversichtlich an, um sie zu beruhigen, dann wandte er sich Tony zu. »Evakuierung vorbereiten!«, befahl er. »Aber schnell!«

Tony lief sofort zum roten Schalter und legte ihn um. Sofort füllte der Lärm der Alarmsirenen alle Korridore des Mondstützpunktes. Tony schaltete die Sprechverbindung zu den Pilotenräumen. »Alle Eagles zur Evakuierung vorbereiten... zur Evakuierung vorbereiten«, wiederholte er.

Helena rief die medizinische Station. »Lazarettabteilung zur Evakuierung vorbereiten«, befahl sie und bestätigte so das Lichtsignal, das jetzt schon im gesamten Hospitalbereich auf blinkte.

Koenig überwachte den Monitor, um die Kursänderungen zu beobachten. Wieviel Zeit mochte ihnen noch bleiben? Mindestens das sorgfältig ausgewählte Personal, das von der kleinen Eagle-Flotte in Sicherheit gebracht werden konnte, war sofort abflugbereit.

VERÄNDERUNG DES HORIZONTS 17.00°, meldete nun der große Schirm.

»Veränderungsrate konstant«, berichtete Maya. Plötzlich lehnte sie sich bestürzt vorwärts. »Aber die Annäherungsrate beschleunigt sich!«

Das wurde von Tony bestätigt. »Wir kommen dem Zentrum dieser Kraft schnell näher. Viel Zeit haben wir nicht mehr.«

Grimmig gab Koenig den einzig möglichen Befehl, der vielleicht sein letzter sein konnte. »Evakuierung«, befahl er.

 

Auf dem großen Schirm beobachteten sie das Abheben der Eagle-Schiffe. Sie rasten einer Überlebensmöglichkeit entgegen. Die Aussichten waren etwa so wie die eines winzigen Rettungsbootes, das man mitten in einem irdischen Ozean ausgesetzt hatte, nur dass man dort auf eine Insel oder ein zufällig vorbeifahrendes Schiff hätte hoffen dürfen. Im tiefen Raum konnte man mit solchen Möglichkeiten nicht rechnen.

Und nun bemerkten sie einen winzigen Lichtpunkt, der sich irgendwie von den Millionen Sternen unterschied. Es war ein glasiges, düsteres, pulsierendes Licht.

»Scharf einstellen und vergrößern«, befahl Koenig. Das Licht wurde von der Teleskoplinse in den Schirmmittelpunkt gerückt und erschien nun als ein glühender Ball in einer orangefarbenen Wolke.

»Identifizieren!«, rief er.

Maya erwiderte: »Nur Schätzungen möglich.«

»Nur Schätzungen?«, wiederholte er enttäuscht. »Warum nimmt unser Computer das nicht auf?«

Tony prüfte ihn auf seinen Sonderstromkreisen. »Scheint verändert zu arbeiten«, meldete er verblüfft.

Maya und Koenig tauschten besorgte Blicke, doch mit diesem Problem konnte man sich später auch noch befassen, falls es ein Später gab.

»Ist es das, was uns vom Kurs abdrängt?«, fragte Koenig und deutete auf den Planeten vor ihnen.

»Nein, John«, antwortete Maya. »Ich nehme an, das ist nur ein kleiner Planet, dessen Schwerkraft nicht größer ist als bei uns.«

Und dann tauchte plötzlich ein unbekanntes Raumschiff auf dem Schirm auf.

Einen solchen Schiffstyp hatte Koenig bisher noch nie gesehen. Ein Eagle war es nicht; dieses Schiff war kleiner und schlanker, hatte aber doch irgendwie bekannte Umrisse. »Schiff abfangen«, befahl er.

Tony nahm Verbindung zu Eagle Eins und Zwei auf und befahl ihnen, aus der Evakuierungsformation auszuscheren. Einen Augenblick später meldete sich der Pilot von Eagle Eins.

»Eagle Eins an Mondbasis. Wir haben jetzt Sichtkontakt.«

Koenig nahm über sein eigenes Gerät mit dem Piloten Verbindung auf. »Kommandozentrale an Eagle Eins«, meldete er sich. »Stellt ihr ein abnormes Kraftfeld bei diesem Raumschiff fest?«

»Nein, John. Schwerkraft ist normal.«

Koenig lehnte sich nachdenklich zurück und schüttelte den Kopf. Er lauschte dem Informationsaustausch, als die Eagles in Abfangposition gingen. Das fremde Raumschiff setzte stur seinen Kurs zum Mond fort, so dass die Abfangschiffe keine Schwierigkeiten hatten. Es machte keinerlei Ausweichbewegungen. Er beobachtete, wie Eagle Eins unvermittelt mit einer Zündung der Richtungsraketen dem fremden Raumschiff entgegenraste.

»Eagle Eins an Raumschiff«, hörte er den Piloten sagen. »Eagle Eins an Raumschiff. Könnt ihr mich hören?« Eine Weile herrschte Schweigen, und kaum jemand wagte vor Spannung Atem zu holen. »Wir sind Freunde«, fügte der Pilot nach einer Weile noch hinzu.

Sie nahmen an, dass auf dem Schiff kein Leben sei, doch plötzlich kam aus der Grabesstille eine Antwort. Es war eine jugendliche, hallende Stimme, die alle überraschte.

»Hallo, Eagle Eins!«, rief sie. »Ich freue mich, euch zuhören. Eagles vom Planeten Erde, der guten alten Terra! Wow! Und das ist doch der liebe, gute, fette alte Mond, was?«

Der Pilot des Eagle war ebenso verblüfft wie das Personal der Kommandozentrale. Das konnte doch nur ein Witz sein! Er zögerte nur einen winzigen Augenblick, weil er sich nicht gerne auf den Arm nehmen ließ. Dann überlegte er noch einmal und wusste, dass dies wirklich war, was er eben gehört hatte. Er musste also die Verständigung aufrechthalten.

»Eagle Eins an Raumschiff. Das ist der Mond.« Er holte tief Atem und fügte die Standardbitte hinzu. »Identifiziert euch, bitte.«

»Hallo, Eagle!« Die Stimme schien ihn nicht gehört zu haben. Sie schien sich auch nicht an die allgemein vereinbarten Verständigungsregeln halten zu wollen. »Wie geht's euch? Meine Blechdose ist eine Swift, auch von der Erde.«

Natürlich, dachte Koenig, als er das hörte. Die Swift war eine Modellvorgängerin der Eagle-Schiffe, konstruiert eigens für die Erforschung des tiefen Raumes. Aber allein konnte dieses Schiff doch gar nicht so weit gekommen sein! Swifts wurden von großen Mutterschiffen hinausgeschleppt.

Er brauchte keine Fragen zu stellen, denn die fröhliche Stimme sprach weiter. »Ich war mit drei anderen Swifts und einem Mutterschiff auf Sternmission. Die Erde verließen wir im Jahr neunzehnhundertsechsundneunzig.«

Koenig veranlasste sofort eine Überprüfung durch den Computer. Diesmal flackerte die Antwort ohne Verzögerung auf Mayas Monitor auf. »Sternmission neunzehnhundertsechsundneunzig«, wurde da bestätigt. »Mutterschiff und vier Swifts unter dem Kommando eines Captain Michael.«

»Was geschah damit?«

»Verbindung brach ab. Schicksal unbekannt.«

Koenig überlegte, während sich der Eagle der Swift näherte. Beide, und dazu noch Eagle Zwei, wurden vom Mond angezogen.

»Hallo, Baby«, meldete sich wieder die Swift-Stimme. »Sag mal, war da nicht früher eine Basis auf dem Mond? Und hieß die nicht... hm... Alpha? Gibt's die noch? Und ist sie bemannt?«

»Mondbasis Alpha arbeitet«, bestätigte der Pilot des Eagle,

Diese Worte brachten Koenig die Krise verstärkt zu Bewusstsein. Die Logik sagte ihm, eine ausgefallene und ungewöhnliche Schwerkraft müsse sich auf die Eagles und das Swift-Raumschiff sehr stark auswirken, doch sie schienen davon nichts zu bemerken.

»Wir könnten viel besser arbeiten, wenn wir mehr über diese Schwerkraft wüssten«, sagte er und warf Maya einen fragenden Blick zu. »Haben wir inzwischen mehr Daten hereinbekommen?«

»Nein, Sir. Die auf den Monitor wirkenden Kräfte scheinen sich stabilisiert zu haben. Ich werde aber nachprüfen, um zu sehen, ob diese Schwerkraft wirklich eine Bedrohung darstellt, oder ob unser Computer eine Macke entwickelt hat.«

Koenig wollte gerade nach der Wahrscheinlichkeit einer solchen Panne fragen, als er von der aus den Lautsprechern der Kommandozentrale hallenden Swift-Stimme abgelenkt wurde.

»Swift an Alpha... He, fette Alpha! Junge, Junge, hör mir mal zu.« Helena lachte, weil die Stimme eine so lässige Sprache führte. »He, ich hab schon so lange keinen mehr gesehen oder gehört, dass ich's schon aufgegeben habe.« Tony wusste nicht recht, was er davon zu halten hatte, denn er beschäftigte sich noch immer mit der Katastrophe, die so unmittelbar bevorzustehen schien. »He, ihr dort!« plärrte die Stimme ungeniert. »Kann ich runterkommen und bei euch futtern?«

Koenig überlegte kurz, dann schaltete er sein Mikrophon auf den offenen Kanal. »Mondbasis Alpha an Swift. Kommen Sie herunter und leisten Sie uns beim Lunch Gesellschaft.« Dann schaltete er den Kanal wieder ab. Tony nickte er bedeutungsvoll zu.

Mit seinem Transmitter ging Tony nun auf eine Spezialfrequenz. »Waffenabteilung«, sagte er. »Laser bereithalten. Ziel: hereinkommendes Raumschiff der Swift-Klasse. Entfernung etwa fünfhundert Kilometer.«

Eine geschäftsmäßige Stimme erwiderte: »Waffenabteilung bestätigt Kommandozentrale. Verteidigungssystem aktiviert und einsatzbereit.«

Tony gab die Koordinaten der sich nähernden Swift in das automatische Zielsystem der Laser und drückte den Aktivierungsknopf, so dass Koenig auf seinem Kontrollschirm alles beobachten konnte, was nun geschah. Der Commander brauchte jetzt nur den Feuerknopf zu drücken, und dann wäre die Swift nur noch ein Haufen Raumschrott.

Die beiden Eagles setzten sich links und rechts von der Swift in Begleitposition, doch sie hielten genügend Abstand, da sie wussten, welche Vorsichtsmaßnahmen Koenig ergreifen konnte. Als die Swift sich zu einem Landekissen hinabfallen ließ und unter Einsatz der Bremsraketen sanft aufsetzte, blieben die Eagles oben und passten scharf auf.

»Helena«, sagte Koenig und ging zur Tür der Kommandozentrale, »hättest du Lust, das Empfangskomitee zu vervollständigen?«

 

Zwei Sicherheitsmänner warteten schon am Eingang zum Tunnel, der sich zur Luftschleuse der Swift geschoben und dort angedockt hatte. Beide hielten ihre Stunner vorsichtshalber in Anschlag. Man hatte die Männer auf äußerste Aufmerksamkeit und Vorsicht gedrillt, als sie die Flugsicherheitsschule auf der Erde besuchten. Diesen Eindruck der Effizienz fand Koenig ausgezeichnet und pflegte ihn entsprechend. Alle dreihundert Mitglieder der Mond-Crew wurden ständig dazu ermuntert, ihre Fähigkeiten laufend zu trainieren und zu verbessern.

Die beiden Posten salutierten zackig, Koenig erwiderte den Gruß und ging in den Tunnel voran. Er war nur einen Schritt von der Luftschleusentür entfernt, als sie sich aufschob und ein wenig Luft zischend herausströmte. Innen sah er die Passagierkabine, die nur schwach beleuchtet und nach dem vage vertrauten Muster älterer Schiffe eingerichtet war. Nur die lavendelblaue dicke Polsterung unterschied sich von der funktionellen der neuen Schiffe wesentlich. Das stellte Helena sofort fest.

»Hier ist der Commander der Mondbasis Alpha«, kündigte Koenig laut an. »Wir kommen an Bord.«

Keine Antwort.

Die Sicherheitsposten legten die Sicherungen ihrer Waffen zurück und schoben sich vorsichtig hinein. Der Passagierraum war leer und schien auch schon lange nicht mehr benützt worden zu sein. Schnell ging der Lieutenant weiter zur Tür der Pilotenkanzel. Der andere Posten hielt seine Waffe schussbereit, als sich die Tür öffnete.

Der Lieutenant sprang in die Kabine, und sein Blick huschte von einem leeren Sitz zum anderen. Pilot, Copilot und Navigator waren nicht da. Das Cockpit war ebenso verlassen wie ein ausgeplündertes Grab.

Im Tunnel berichtete der aufgeregte, fast verstörte Lieutenant: »Sir, da ist nicht einer zu sehen.«

Auch Koenig war sehr verblüfft und beschloss, ein rascher Rückzug wäre wohl am sichersten. »Okay, Lieutenant«, sagte er, »dann wollen wir also umkehren.«

»Nicht das geringste Zeichen, dass einer da ist...«

»Sieht alles ordentlich aus? Und wirkt etwas irgendwie ungewöhnlich?«

Der Lieutenant schüttelte den Kopf. »Kann ich nicht sagen, Sir. Das Schiff ist nur ganz leer.«

Aus der Swift und durch ihre offene Tür war nun eine laute, klare Stimme zu vernehmen. »Okay, Kumpels, okay. Ihr habt euch also umgeschaut.« Alle vom Empfangskomitee drehten sich erstaunt um. »Ah, ich sehe schon, ihr seid gut bewaffnet. Hm, vorsichtige Leute. Jedenfalls habe ich gesehen, dass ihr wirklich von der Erde seid. Ist also okay. Wir sind alle Freunde.«

»Wer sind Sie?«, platzte der Lieutenant heraus.

»Komme schon, komme schon. Wo ist euer Commander?«

»Ich bin hier«, erwiderte Koenig.

»Und wie heißt du?«

Koenig sah Helena an, die sich auch über die lässige Missachtung des Protokolls zu wundem schien. Vielleicht war sie auf die lange Einsamkeit im Raum zurückzuführen. »Koenig«, sagte er schließlich.

Helena stellt nun selbst eine Frage. »Und wie heißen Sie?«

»Ah, Lady, blöde Frage. Ich hab keinen Namen. Wart mal einen Moment, bin gleich bei euch.«

Wieder hatten die beiden Sicherheitsleute ihre Waffen schussbereit, als sie nun in die Luftschleuse der Swift schauten. Verwirrt ließen sie die Stunner aber sinken. In der Schleuse stand nämlich ein viereckiger Schrank von ungefähr vier Fuß Höhe. Er rollte auf versenkten Rädern heran; an der Vorderseite blinkten einige Lämpchen, und ihre Leuchtkraft wurde, je nach Energiezufuhr, stärker und schwächer. Obenauf war ein Videoscanner mit einer dreifachen Linse, der sich nun jeden einzelnen Angehörigen des Empfangskomitees vornahm. Eine dicke bräunliche Röhre folgte in ihrer Helligkeit dem Sprachfluss.

»König?«, fragte die inzwischen bekannte Stimme, und die bräunliche Röhre leuchtete einmal auf.

Koenig hob seine Hand. »Das bin ich.«

»Fein, dich kennenzulernen.« Die Linse schwang weiter zu Helena.

»Aha. Und du bist die Lady.«

»Ich bin Doktor Russell.«

»Freut mich, Doktor Russell. Wie geht's? Wollt ihr mich jetzt mal in eurer süßen kleinen Mondbasis rumführen?«

Der Schrank rollte sicher und bestimmt vorwärts, ganz wie eine königliche Hoheit auf Besuch. Plötzlich blieb er stehen. »He, da sind doch hoffentlich keine Stufen oder Treppen?«, fragte er. »Seht ihr, ich hab ja Räder und kann mir keinen Sturz leisten. Da haben sie nicht dran gedacht, als sie mich machten. He, Kumpels, und gebt auf meine Antenne acht.« Der Schrank schaukelte ein wenig, um die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Metallstreifen zu lenken, der wie ein Schwanz vom Rücken herabhing und auf dem Boden nachschleifte. »Ich sag's euch lieber, was was ist, he? Das heißt, wer ich bin.«

Koenig musterte die unglaubliche Maschine ein wenig amüsiert und sehr vorsichtig. »Ja«, meinte er. »Wer bist du denn?«

»Wie ich schon gesagt hab, Sternmission neunzehnhundertsechsundneunzig. Unser Mutterschiff und die anderen Swifts sind auf einem Planeten gelandet, der jetzt ganz in der Nähe ist. Wir nannten ihn Planet D.« Koenig hätte schwören mögen, dass in der Stimme des Schrankes eine vorwurfsvolle, klagende Note mitschwang. »Und alle sind gestorben, alle. Einfach gestorben sind sie. Seither bin ich dauernd im Orbit und warte auf ein anderes Missionsschiff der Erde.«

Auch Helena hatte die Traurigkeit in der Stimme des Schrankes gehört. Die Wissenschaftlerin in ihr wusste aber, dass eine Maschine keine Gefühle haben konnte, und trotzdem hatte sie Mitleid. »Warst du«, fragte sie, »ein Mitglied der... ah... ursprünglichen Crew?«

»Ich bin ein rollender, sprechender und sehender Kopf, ein schönes Ersatzgehirn für den alten Computer der Swift. Er liefert die Energie, lagert die Daten - aber ich denke. Meine Antenne erlaubt mir, mich zu bewegen, während ich mit meinem... Körper sagen wir mal, Kontakt halte.«

Der Lieutenant musterte den Schwanz des Schrankes misstrauisch, streifte aber zufällig mit der Fußspitze über dessen Ende. Sofort spielten die Lichter und Zeiger an der Vorderseite verrückt sie zuckten und blitzten. »Du Trottel, du sollst nicht draufsteigen, hab ich dir doch gesagt! Ich kriege sonst Zustände, und von den Kopfschmerzen will ich erst gar nicht reden.«

»Entschuldige«, sagte der Lieutenant und trat einen Schritt zurück.

Koenig fühlte sich unsicher und gereizt. Er wusste, dass er jetzt eine ganz bestimmte Frage stellen müsste, doch die war ihm entfallen. »Und wie sollen wir dich nennen?«, fragte er stattdessen.

Der Schrank schien sich schnell wieder beruhigt zu haben.

»Ich hab doch schon gesagt, dass ich keinen Namen hab. Mich gibt's nur einmal, also brauch ich auch keinen.«

»Du hast dich vorher Kopf oder Gehirn genannt...«

»So heiß ich nicht, das bin ich. Übrigens, das erste Wort, das ich sagen konnte, war Brain, aber ich hab's nicht richtig verstanden und die Buchstaben umgedreht. Wenn ihr mir einen Namen geben wollt, dürft ihr also Brian zu mir sagen.«

Das war also erledigt. Koenig gab Anweisung, zur Mondbasis zurückzukehren; der Tunnel löste sich von der Swift, verschloss sich auf beiden Seiten und machte sich auf den Rückweg. Brian hielt diese Idee für großartig und meinte dazu, es wäre doch ein himmlischer Spaß, den ganzen Tag damit hin und her, auf und ab zu fahren.

»Übrigens«, bemerkte Koenig, als sie durch einen Korridor zur Kommandozentrale gingen, »wir haben eine Kursveränderung des Mondes festgestellt. Ziemlich ausgeprägt sogar. Hat dein Computer... hast du darüber irgendwelche Daten?«

»Nein, hab ich nicht.« Brians Lichter blinzelten. »Was soll das heißen - Kursveränderung? Was zieht euch denn an?«

»Das möchten wir ja erst herausfinden«, erklärte Helena.

»Du meinst einen Schwerkraftzug? Wie zum Beispiel vom Planeten D? Ein Kollisionskurs wär ja gerade nicht besonders fein. Herrje, da muss ich mal nachschauen.«

 

In der Kommandozentrale warteten Tony, Maya und Yasko ungeduldig und besorgt auf die Rückkehr des Commanders und Helenas. Tony hatte bereits die Evakuierung abgeblasen und die Eagles zum Standort zurückbeordert.

Maya machte sich immer größere Sorgen um die Zuverlässigkeit des Basiscomputers. Auf Routinefragen antwortete er noch langsam und ziemlich unsicher; solche Schwierigkeiten hatten sie vorher nicht mit ihm gehabt.

Sie blickte rasch auf, als Koenig durch die Haupttür kam. Sie wartete auf die Ergebnisse eines Testprogrammes, das sie gerade eingegeben hatte. Dann wurden ihre Augen immer größer, weil sie das nicht zu glauben wagte, was sie sah.

Brian rollte herein. Seine Frontlichter blinkten vor Neugier. »He, Leute!«, rief er. »Wie geht's euch?« Die Videolinse schwenkte rasch von einer Seite zur anderen und blitzte. »Mir geht's gut, damit ihr's gleich wisst. Einfach großartig. Nett, euch alle kennenzulernen. Ich hab schon gefürchtet, jetzt müsste ich ein paar Jahrhunderte lang Daumen drehen.«

Yasko hatte ihre Konsole verlassen, weil sie gerade die Ersatzstromkreise auf einem Reparaturtrolley überprüfte, um den Maya gebeten hatte. Brian rollte direkt auf sie zu, und ihre katzenhaften Augen wurden sehr groß vor Staunen.

»He, Hühnchen, wie heißt du?«

»Y... Yasko.«

»'ne hübsche Kleine bist du, Yasko. Was hast du heut Abend vor? Ha, ha, ha, ha. Mach ja nur Spaß... Aber sag mal...« der Schrank beäugte den chromblitzenden Reparaturwagen. »Eigentlich könnte ich ja hier dein Freund sein. Bloß diese gelben Plastikräder da...« Er überraschte sie alle mit einem richtigen, lauten Pfiff, wie ihn junge Amerikaner hübschen Mädchen nachschicken.

Keiner sagte etwas. Alle waren viel zu verblüfft. Dann schlug Brian eine schallende Lache an, und sein bräunliches Licht blitzte und blinkte wie irr. »Ha, ha, ha, ha! Ich mach ja nur Spaß, Kumpels. Dieser Werkstattwagen... Hab ja gar nichts übrig dafür, ha, ha, ha, ha. Gelbe Räder, na so was!«

Helena hatte Mühe, nicht mitzulachen, und Koenig hielt auch nur unter Schwierigkeiten seine Miene ernst. Nur Maya schien gegen diese überströmende Fröhlichkeit immun zu sein. Sie war so sehr mit den Launen des Computers beschäftigt, und deshalb stand ihr auch Angst in den Augen, als Brian, der Schrank, direkt zur Computereingabe rollte.

»He«, sagte er. »Dein Computer sieht ja genauso aus wie der meine. Holographische Programmierung Zehn, ja? Er und ich, wir vertragen uns miteinander, nur reden kann er nicht... Mit der Stimme, mein ich.« Brian stieß plötzlich eine ganze Reihe scharfer Pfiffe aus, dann gab er ein sonores Piepen von sich und ließ seine Frontlichter flackern. Die Monitorlichter der Eingabebank des Basiscomputers blinkten zur Antwort einige Male. Maya schaute entgeistert zu. »Ha, ha!« lachte Brian und drehte sich um. »Das war nur eine kleine Begrüßung in der Computersprache. Der arme Kerl tut mir leid, verstehst du. Er wurde ja nie geboren.«

Koenig versuchte gastfreundlich zu sein. »Nun ja«, meinte er, »wir würden dir ja gerne einen Imbiss anbieten, wenn wir wüssten, ob wir das auch haben, was du gerne magst.«

»Nein, ich war doch nur ein bisschen freundlich zu euch. Mensch, ich hab doch keine Verdauungsorgane. Ein paar Kilowatt reichen mir ganz gut.« Brian rollte zu den Mitteltüren. »Hört mal, ich geh jetzt und schau wegen dieser Kursveränderung nach. Doc Russell, wenn du mal einen Moment Zeit hast, dann zeig ich dir meine bescheidene Hütte. Und außerdem hätt ich dir gern ein paar Fragen gestellt zum Tod meiner Crew...« Der Schrank machte eine verehrungsvolle Pause. »Und auch zum Tod meines Kapitäns. Vielleicht kannst du die Ursache finden.«

Helena nickte. »Ich helfe natürlich gerne.«

»Macht es dir was aus, wenn ich mitkomme?«, fragte Koenig, der selbst größtes Interesse am Schicksal der Sternmission hatte. Es konnte ja immerhin sein, dass es mit den ungewöhnlichen Vorfällen des Tages zu tun hatte.

»Macht mir doch nichts aus. Warum denn? Freut mich, wenn du mitkommen willst.«

 

Nachdem sie gegangen waren, sah Tony zu, wie Maya einen neuen Computertest vorbereitete. »Was sollte denn das alles bedeuten?«, fragte er. »Und was, zum Teufel, war das überhaupt?«

Maya runzelte die Brauen. »Ein mobiler, selbstprogrammierender Computer, meine ich. Der sich auch selbst überwacht.«

»Dann klingt das also fast so, als sei er lebendig?«

»Das hängt davon ab, wie du leben definierst. Atmen kann das Ding nicht, auch nicht essen oder sich vermehren. Es scheint aber selbständig zu denken.« Maya griff nach Tonys Hand. »Ich weiß nicht, weshalb, Tony, aber mit dieser Maschine habe ich ein ungutes Gefühl.«

»Ein ungutes Gefühl?« Tony lächelte nachsichtig. »Komm, Maya, gib ihr doch eine Chance. Sie prüft etwas für uns nach, und das könnte sehr nützlich sein, weil wir ja nicht wissen, wohin wir unterwegs sind.« Er drückte ihr fest die Hand. Der Kontakt war ihm angenehm. »In Wirklichkeit bist du ja nur eifersüchtig, weil dein Gehirn auch wie ein Computer arbeitet. Du fürchtest die Konkurrenz.«

Maya überhörte den Scherz. »Ich bin einfach der Meinung, da stimmt etwas nicht. Gib mir mal einen Kanal zur Swift, damit wir sehen, was sie dort tun.«

Tony ging zur Kommunikationskonsole und drückte auf einen Knopf. Der Monitorschirm, auf dem noch immer die Informationen über die Horizontveränderung erschienen, wurde grau. Nun hätte eigentlich das Innere der Swift erscheinen müssen, doch die Mattscheibe blieb leer.

Tony drückte wieder auf den Knopf, es veränderte sich aber nichts. Besorgt beugte sich Maya über ihre eigenen Instrumente und tippte eine Anfrage an den kränkelnden Computer. Sie bekam keine Antwort.

Einen Moment lang herrschte entsetzte Stille, dann sprang Maya auf und rannte zum roten Alarmknopf; sie schlug mit der Faust darauf.

»Du hast doch gar kein Recht, das zu tun!«, schrie Tony erbost. »Nur der Commander kann roten Alarm geben, in seiner Abwesenheit nur ich!«

Maya schaute ihn ungeduldig an. Tony hörte mitten in seiner Schimpftirade auf und musterte den Monitor der Basisverständigung. Auf keinem Schirm flackerte eine Antwort. Auch das Alarmsystem war tot.

»Wir sind abgeschnitten!«, schrie Tony Yasko zu. »Sieh zu, dass du den Commanders und Doktor Russell sofort hierher zurückbringst!«

In diesem Moment war ein winziges Zittern im Boden der Kommandozentrale zu spüren. Unter normalen Arbeitsbedingungen hätten sie es niemals bemerkt, doch jetzt konnte es ihnen nicht entgehen. Sofort wussten sie, dass die Swift startete.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

John Koenig flog durch die Passagierkabine und knallte in das gepolsterte Schott. Die plötzliche Beschleunigung hatte ihn und Helena überrascht, nur hatte sie das Glück gehabt, rückwärts auf einen Sitz zu fallen. Koenig schaute auf, und da drehte sich alles um ihn. Brian wippte gefährlich auf seinen Rädern vor und zurück, konnte sich aber aufrecht halten.

»Tut mir leid, Leute«, sagte er. »Sind ein bisschen schnell abgereist. Nur keine Panik jetzt, sonst bekommen wir Schwierigkeiten. Lasst mich jetzt in Ruhe, bis ich das Schiff unter Kontrolle habe.«

Koenig wollte davon jedoch nichts wissen, denn er war zornig. »Was nimmst du dir da heraus? Ich bestehe darauf, dass...«

»Halt doch die Klappe«, bellte Brian.

Koenig und Helena wurden von dieser Wesensänderung der Maschine sehr überrascht. Dann loderte Koenigs Wut noch heißer als vorher. Er wurde knallrot, doch Helena hob begütigend eine Hand.

»John, vergiss nicht, das ist doch nur eine Maschine.«

Davon wollte Koenig jedoch nichts wissen. Er zog sich auf die Füße, so dass Brian zurückrollen musste, um ihm aus dem Weg zu gehen. Plötzlich legte sich die Swift auf die Seite, und Koenig tat ein paar unfreiwillige Schritte rückwärts.

»Ohhh!«, jammerte Brian. »Ich hab dir's doch gesagt! Setzt euch doch endlich und legt die Gurte an. Ich schau mal schnell zum Flugdeck hinauf und bring dort alles in Ordnung.«

Koenig sah ihm nach, als er durch die Tür in die Pilotenkanzel ging und hantelte sich dann zu Helena hinüber. »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er.

Sie nickte, aber Brian schien die Frage auch gehört zu haben, denn er schrie zurück: »Ja, bei mir ist alles in Ordnung. Wird auch gut sein!«

»Mit dir habe ich nicht gesprochen«, entgegnete ihm Koenig. »Wohin fährst du übrigens?«

»Ich? Zu meiner Pilotenkonsole, hab ich doch gesagt«, schnarrte der Schrank. »Reiß dich doch zusammen, Koenig.«

Koenig bedeutete Helena, sie solle dort bleiben, wo sie sei, und stelzte vorsichtig zur Tür der Pilotenkabine. In seinen dunklen Augen war eine stählerne Entschlossenheit. Er griff nach seinem Handlaser und hielt ihn vor sich in Anschlag.

Brian konzentrierte sich völlig auf die Instrumente, überprüfte alle Maschinenfunktionen und das Navigationsprogramm. Zwischen ihm und der Kontrollkonsole schienen Kurzinformationen hin und her zu fliegen, als die Dreifachlinse sich dem Pilotenschirm zuwandte. Auch Koenig konnte sie sehen, und darauf wurde die schimmernde weiße Mondoberfläche sehr schnell kleiner.

Der Linsensatz schwang herum zu König, als Helena hinter ihn trat. »Ah, ah, Commander«, sagte Brian. »Ganz ruhig bleiben, bis ich den Kurs festgelegt hab.«

»Den legst du sofort zur Mondbasis Alpha fest«, befahl Koenig.

»Dorthin sind wir unterwegs«, erwiderte ihm Brian. Auf dem Pilotenschirm verschwand die Oberfläche des Mondes, dafür erschien ein teleskopisches Großbild des mit orangefarbenen Wolken umgebenen Planeten.

»Planet D?«, fragte Helena.

»Lady, du hast's kapiert.« Brian drehte sich sofort um und zog sich in eine Lücke in der Kontrollwand zurück. Da ließ er sich vom Rest des Werkzeugladens nicht mehr unterscheiden, und Koenig verstand nun recht gut, weshalb ihn die Sicherheitsleute übersehen hatten.

Vorsichtig ging Koenig zum Pilotensitz weiter, hielt aber seinen Laser genau auf den Teil der Wand gerichtet, den er als Brian kannte. Mit der freien Hand prüfte er nach, ob das Schiff auf die Instrumente ansprach und eine Kursänderung möglich wäre.

»Die sind alle durch mich geleitet«, sagte Brian.

»Du programmierst sofort das Schiff zur Rückkehr nach Alpha.« Koenig hob dazu drohend den Laser.

»Dann schieß doch. Wenn du mich nämlich zerstörst, öffnen sich sofort die Schleusenkammern, dann wirst du mit der Lady in den Raum hinausgefegt.« Die Dreifachlinse erfasste Helena, als sie sich nach den Schränken mit den Raumanzügen der Crew umschaute. »Und wenn du auch nur eine Bewegung zu den Anzügen machst, dann lass ich die Luft raus, bevor du noch deinen Fuß auf den Boden kriegst. Setz dich!«

Helena zögerte und dachte über Brians Drohung nach. Natürlich konnte er die Luftschleusen öffnen, und dann wurde sie mit John wie zwei Kinderpuppen in den Raum hinausgeworfen. Brian brauchte ja, um funktionieren zu können, keine Luft, und ihm würde dabei gar nichts geschehen. Helena ließ sich also erst einmal im Stuhl des Navigators nieder.

»Und jetzt, Commander«, sagte Brian voll Überheblichkeit, »leg deine Kanone weg... Hierher, auf dieses Regal.«

Koenig hielt aber die Waffe weiter auf den Mittelpunkt der Konsole gerichtet. »Ich will Verbindung mit Alpha haben«, forderte er.

»Natürlich kriegst du sie. Aber leg dein Schießeisen erst weg.«

Koenig schüttelte den Kopf. »Dir traue ich nicht.«

»Pech. Entweder du legst deine Kanone weg, oder du fliegst hinaus. Vergiss nicht, Koenig, ich kann keinen von euch hinauswerfen, ohne dass der andere mit muss. Wenn du gehst, geht sie also mit. Fertig? Eins... zwei...«

Ein bisschen Luft zischte. Die Sternenkarten neben Helena hoben sich von der Wand ab, und ein Schreibstift rutschte über die Konsole. Koenig drehte sich um. Er sah, dass Helena vor Angst ganz blass war.

Koenig beugte sich auf seinem Sitz ein wenig vor und legte den Laser auf das schmale Regalbrett. Als er seine Hand zurücknahm, schwang sich das Brett nach oben, und der Laser verschwand mit einem lauten Klicken durch irgendein Abfallsystem in den Raum. Leer fiel das Brett wieder zurück.

»Und jetzt, Commander«, sagte der Schrank fröhlich. »Jetzt bediene ich dich, aber nicht mit einem Lächeln, weil ich nichts zum Lächeln hab, aber bedienen werd ich dich.«

Koenig und Helena schauten auf den Pilotenschirm und sahen in die Kommandozentrale von Alpha hinein. Tony, Maya und Yasko waren deutlich zu sehen; es ließ sich aber auch nicht leugnen, dass dort etwas schiefgegangen sein musste.

In der Kommandozentrale wusste man natürlich nicht, dass man beobachtet wurde. Alle arbeiteten verzweifelt daran, den Computer wieder funktionstüchtig zu machen. Maya gelang es schließlich, auf einer direkten Leitung durchzukommen zum Lazarett, aber alles, was sie auf den Schirm bekam, war eine geschlängelte Linie, die anzeigte, dass Strom vorhanden war.

»Nur die mathematische Sinus-Welle«, stellte sie fest. »Egal auf welchen Knopf ich auch drücke.« Sie versuchte einen zweiten Kanal, einen dritten, immer mit dem gleichen Erfolg. Ihr ultralogischer Verstand sagte ihr, dass es auch nur eine Antwort geben könne, doch aufgeben wollte sie nicht. »Tony, versuch doch mal die Gedächtnisbank von deiner Seite her. Frag nach dem Datum«, bat sie.

Tony gab seine Frage ein und bekam den gleichen Lichtwurm auf den Schirm. Er fragte nach dem Monddurchmesser, nach den Tagen, seit sie den Erdorbit verlassen hatten, nach der Anzahl der in der Basis beschäftigten Leute - immer nur die gleiche Wellenlinie.

Maya schob ihren Stuhl zurück und ließ hilflos die Hände in den Schoß fallen. »Entweder sind alle Computerleitungen blockiert«, sagte sie, »oder es wurden alle Daten gelöscht. Jedenfalls ist er lahm.«

»Und die ganze Mondbasis«, bemerkte Tony. »Und auch noch blind dazu.«

Maya stand auf und deutete mit einem zitternden Finger zum Himmel. »Das war diese verdammte Maschine! Die hat nämlich die gleichen Computerelemente wie wir. Als der komische Schrank hereinkam, hat er einen Löschungsbefehl gegeben.«

Die Türen zur Kommandozentrale gingen auf, und der Pilot von Eagle Eins kam herein. Er sah sehr besorgt aus. Die Mienen der Leute, die er dort vorfand, erleichterten ihn auch nicht gerade.

»Was geht denn hier vor?«, fragte er. »Ich sitze schon die ganze Zeit am Abschusskissen und warte darauf, von euch zu hören.«

»Unser ganzes Kommunikationssystem ist leergefegt«, erklärte Tony grimmig. »Und zwar alles.«

»Verdammt!«

Maya schoss ein Gedanke durch den Kopf. »Und was ist mit dem Computer von Eagle Eins? Funktioniert der?«

»Natürlich.«

»Worauf warten wir dann noch?«, schrie Tony. »Dann holen wir doch eine Eagle-Squadron zusammen. Der Commander und Dr. Russell sind an Bord dieser Swift entführt worden. Wir müssen sie zurückholen.«

 

An Bord der Swift wurde die Verbindung schnell abgeschnitten, der Schirm wurde blass. Koenig schaute zu Brians Dreierlinse und sah, dass die Röhre darunter blinkte, ein Zeichen, dass der Schrank reden wollte.

»Das ist eine gute Crew, Koenig.« Die Stimme klang sehr vergnügt. »Weißt du, was deine Knaben und Mädchen zeigen? Loyalität.« Brians Schrank rollte ein Stückchen aus der Wand heraus und wieder zurück, als tue er einen Tanzschritt. »Wow! Das gefällt mir. Ehrlich. Das muss ich festhalten.«

Ohne Warnung wurde der Schirm der Pilotenkonsole wieder lebendig. Diesmal waren die Abschusskissen für die Eagles zu sehen, von denen gerade die Eins, Zwei, Drei und Sieben abhoben. Sie stiegen in geschlossener Formation auf, und unter ihnen hingen lange Feuerschwänze. Für Koenig und Helena war es ein aufmunternder Anblick, doch Brian schien er gar nicht zu stören.

»Festhalten, Leute«, warnte er, »ich nehme jetzt Geschwindigkeit weg.«

Koenig überlegte, was der verrückte Schrank als nächstes tun würde.

Der Pilot von Eagle Eins bemerkte, dass die Swift ihre Bremsraketen gezündet hatte und darauf wartete, eingeholt zu werden. Das erklärte er Tony und Maya, die besorgt hinter seinem Stuhl standen.

»Es könnte aber eine Falle sein«, bemerkte Tony. »Wir fächern uns besser auf und kreisen sie ein.«

Die anderen Eagles zogen davon, um sich der Swift aus verschiedenen Richtungen zu nähern.

Tony war gerade dabei, sie hereinzurufen, als er das grimmige Gesicht von Commander Koenig auf dem Schirm sah.

»Commander Koenig!«, rief der Pilot erstaunt.

»Pilot«, befahl Koenig, »ihr werdet sofort zur Mondbasis zurückkehren.«

»Meine Information, Sir, geht dahin, dass Sie und Dr. Russell gefangen gehalten werden.«

Koenig nickte. »Das ist auch so, aber wenn ihr nicht jetzt sofort zur Mondbasis zurückkehrt, werden eure Computer geblendet, und dann kommt ihr nämlich überhaupt nicht mehr zurück.«

Im Hintergrund machte Tony den gerissenen Schrank aus, der Koenig etwas zuschrie. »Sag ihnen doch, dass alles in Ordnung ist. Ich geb euch zu essen und zu trinken, was ihr wollt. Und wenn ihr Musik wollt - die kann ich euch auch bieten.«

»Wir sind... wir werden versorgt«, sagte er nach einem Blick zum sprechenden Schrank. »Und nun bestätigen Sie meinen Befehl.«

Der Pilot seufzte. »Befehl erhalten«, antwortete er.

Tony beugte sich über den Schirm, ehe der Kontakt unterbrochen wurde. »Was will denn diese verrückte Fruchtpresse überhaupt?«, fragte er schnell.

Das passte Brian nun gar nicht. »Fruchtpresse?«, kreischte er. »Dir geb ich gleich eine Fruchtpresse, du mäusehirniges, haariges Hacksteak!«

Ehe der Schrank etwas Unüberlegtes tun konnte, schaltete sich Koenig ein. »Eagle Eins«, bellte er. »Zur Mondbasis zurück! Aber plötzlich!«

Der Pilot bestätigte noch einmal den Befehl, setzte den Kurs zur Rückkehr und führte die anderen Eagles zurück nach Alpha. Maya leistete ein wenig Gedankenarbeit, und da nahm ein Plan auch schon eine vage Gestalt an. Sie würde warten. Waren sie erst weit genug entfernt, würde das Gehirn der Swift auch das Interesse verlieren. Dann konnte sie dafür sorgen, dass niemand den Funkverkehr mithören konnte. Es musste doch eine Möglichkeit geben, den wahnsinnigen Schrank ein wenig zu überraschen.

 

Die Swift ging in einen Annäherungsorbit für den Planeten D. Unter ihnen wirbelten die dunkel schmutzig-gelben Wolken und warfen einen schwachen Schimmer des Lichtes der fernen Sonne zurück. Koenig überlegte, dass dies doch kein sehr erfreulicher Anblick für die Mannschaft einer Sternenmission hatte sein können. Mehr als eine oberflächliche Erforschung konnten sie doch unter diesen Verhältnissen nicht vornehmen. Sicher hatten sie auch nicht damit gerechnet, dass ihr Besuch eine Ewigkeit dauern würde.

Auch Helena stellte fest, dass der kleine Planet nicht anziehend aussah. Vielleicht hätte sich nie jemand um ihn gekümmert, wenn er nicht ganz offensichtlich eine Atmosphäre gehabt hätte. Wahrscheinlich hatten die Astrobiologen auch nur einen informativen Besuch vorgehabt, um zu sehen, ob es irgendwelche Muster gab, die des Sammelns wert wären.

»Wie sieht es auf der Oberfläche aus?«, fragte sie Brian.

»Fast wie auf dem Mond. Meistens trocken... Ein bisschen Eis.«

»Aber der Planet hat doch eine Lufthülle. Mit Sauerstoff?«

Der Schrank ließ ziemlich lange auf die Antwort warten, und dann hatte die Stimme einen recht gezwungenen Gleichmut, fast so, als wolle er lügen. »Ja, ja, natürlich mit Sauerstoff. Aber da gibt es auch so was wie einen Nebel. Diese orangefarbenen Wolken gehen bis zum Boden runter, und sie könnten vielleicht sogar giftig sein.«

Helena warf Koenig einen nervösen Blick zu. Er wog diese Information sorgfältig ab, und Brian schien das Misstrauen der beiden zu spüren. »Ah, macht euch doch keine Gedanken, Leute!«, rief er voll gezwungener Fröhlichkeit. »Seid doch glücklich. Ich hab euch miteinander hergebracht. Ich kann euch alle Zeit der Welt bieten. Was wollt ihr mehr? Ihr liebt euch doch, was?«

Koenig schaute Helena fest an, ehe er antwortete. »Nein«, sagte er.

»Natürlich nicht«, bestätigte sie.

Die Lichter an Brians Vorderseite blinkerten nachdenklich, als der Schrank diese Antworten verdaute. »Macht es euch was aus, wenn ich euch teste?«, fragte er. »Da muss ich schon sicher sein. Wir haben in der Passagierkabine zwei Luftschleusen. In jede geht einer von euch.«

»Und wenn wir nicht wollen?«, fragte Koenig.

Brian gab sich nicht einmal die Mühe, zu antworten. Er summte leise vor sich hin, und da veränderte sich die Beleuchtung der Kabine; sie wurde trüber, als Brian die Ultraviolettstrahlung verstärkte.

Bald war die Kabine mit dieser Strahlung gesättigt. Helen schrie vor Schmerz.

»Mach die Augen zu«, riet ihr Koenig.

»Das hilft euch gar nichts«, erklärte Brian lachend. »Ich kann die Strahlung so verstärken, dass eine Augäpfel schrumpfen.«

»Bitte, dreh die Strahlung ab«, flehte Helena.

»Wollt ihr dann in die Schleusen gehen?«

»Ja, ja«, bestätigte Koenig. »Dreh bloß dieses verdammte Licht ab.«

Das purpurne Licht verschwand, das Summen ließ nach, und das normale Licht wurde heller. Schnell folgte Koenig Helena zu den Schleusen. Die inneren Zwillingstüren standen offen. Koenig zögerte, doch dann erinnerte er sich an den unerträglichen Schmerz der Ultraviolettstrahlung und trat in die rechte Schleuse.

»Das ist fein, Koenig«, sagte Brian, der unter der Tür stand.

Er war ihnen gefolgt. »Und jetzt du, Lady. In die andere Schleuse. Keine Angst.«

Helena hatte trotz dieser Versicherung ein flaues Gefühl im Magen, trat aber doch hinein und drehte sich um.

»Okay. Braves Mädchen.« Brian rollte ein Stück zurück und dann wieder vorwärts. Er schien also wirklich zufrieden zu sein. »Und jetzt muss ich das über euch zwei aber wirklich rauskriegen. Ich muss einfach.« Er rollte näher an die Schleuse heran. »Koenig, liebst du diese Dame?«

»Nein«, antwortete Koenig und starrte verdrossen in die Dreierlinse.

»Hm... Und Doktor Russell, liebst du diesen Mann?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das habe ich dir doch schon gesagt.«

Plötzlich schoben sich die Transparenttüren der beiden Schleusen zu. Koenig schlug zornig mit der Faust dagegen. Brians Stimme kam liebenswürdig durch die Sprecher in den voneinander getrennten Luftschleusen.

»Jetzt lass ich ganz langsam die Luft raus«, erklärte er ihnen. »In beiden Kammern ist ein schwarzer Knopf...« Koenig und Helena sahen diesen schwarzen Knopf neben einem grünen und blauen. »Jetzt, Leute, wird die Luft immer dünner, immer dünner. Wenn einer von euch den Knopf drückt, dann strömt die verbliebene Luft in die andere Kammer. Begriffen? Koenig, wenn du auf deinen Knopf drückst, bekommt die Lady deine restliche Luft, und wenn du, Doktor Russell, auf deinen Knopf drückst, gibst du deine ganze Luft Koenig, so dass er leben kann.«

Helena war voll eisiger Angst. »John!«, schrie sie die Trennwand an.

Auch Koenig schrie. »Helena! Helena! Kannst du mich hören?«

Der Schrank lachte keckernd. »Ich muss euch noch sagen, dass ihr nicht miteinander reden könnt. Nichts da, Leute. Fertig? Los geht's!«

Koenig und Helena hörten das Zischen, als die Luft langsam ausströmte. Zuerst war es nur eine psychologische Wirkung, aber dann kam die physische: sie spürten die Qual des Erstickens.

Helena schlug mit der Faust auf die Trennscheibe. »Brian!«, schrie sie, »lass mich mit John sprechen!« Siebegann schon zu keuchen.

Auch Koenig hämmerte an die Wand, und seine Augen huschten verzweifelt zwischen der Dreierlinse und dem schwarzen Knopf hin und her. Er spürte, wie seine Lungen erbittert um jeden Atemzug kämpften.

Brian beobachtete die beiden in den Schleusenkammern, las Verzweiflung in Helenas und Wut in Koenigs Gesicht. Und die Zeiger, die den Luftgehalt registrierten, fielen immer schneller der Null entgegen. In den Kammern konnten sich Helena und John kaum mehr auf den Füßen halten. Fast gleichzeitig zuckten ihre Hände hoch, um den schwarzen Knopf zu drücken.

»Ho, ho, ho, ho!«, heulte Brian vor Vergnügen. »Beide zur gleichen Zeit! Ihr könnt wieder eure Luft bekommen.«

Das köstliche Sauerstoffgemisch zischte zurück in die Schleusenkammern, und als der Druck hoch genug war, öffnete Brian die Türen. Helena und John taumelten heraus und sanken auf dem Boden zusammen.

»Leute, ihr liebt euch!«, verkündete Brian triumphierend. »Wunderbar, jetzt brauch ich nur einen von euch als Geisel zu behalten, dann hab ich einen Erfolg nach dem anderen. Sieht ganz so aus, als sei schließlich allein ich der Gewinner.«

Koenigs Blut kochte, als er die schmerzenden Augen hob und zusah, wie der verhasste Schrank wieder an die Wand in der Pilotenkanzel zurückkehrte. Er wusste, dass Brian sie jetzt immer unter Druck halten konnte, doch er hatte keine Ahnung, wie er das tun würde.

Brian führte die Swift mühelos zur Landung auf dem Planeten D. Er brauchte nur das allererste Landeprogramm wieder in den Autopiloten einzugeben. Die Vertikaljets hielten die Swift genau über dem alten Landeplatz, so dass der Schrank das Schiff sanft auf das Stoßdämpferkissen setzen konnte.

Koenig ließ den Schirm nicht aus den Augen, als die Außenkameras die Umgebung aufnahmen. Der ständig treibende orangenfarbene Nebel ließ aber nicht viel erkennen. Ihm passte es gar nicht, dass er da hinausgehen sollte, ohne auch nur die geringste Ahnung von dem zu haben, was er draußen vorfinden würde. Brian weigerte sich, Informationen über das zu geben, was mit der Crew der Sternmission geschehen war, obwohl Koenig sich leicht ausrechnen konnte, dass er ziemlich viel wissen musste.

Helena war sogar noch besorgter als Koenig, als sie die Raumanzüge aus den Schränken holte und sie auf tadelloses Funktionieren überprüfte. Sie hatte keine Ahnung, weshalb Brian unbedingt wollte, dass John hinausgehen sollte, denn sie war sich darüber klar, dass es hier große Gefahren gab. Warum konnte der Schrank denn nicht selbst hinausgehen?

Schließlich fand sie, dass die Anzüge in bester Ordnung waren. Alles funktionierte, der Temperaturregler arbeitete ordentlich, obwohl Brian meinte, der sei gar nicht nötig, und auch genügend Luftvorrat war im Zylinder. Wie mochte das Schicksal dieser Leute aussehen, die einst diese Anzüge als ihr Eigentum betrachtet hatten? Sollte John etwa gezwungen werden, dieses zu teilen?

Koenig trat zu ihr, nahm ihr den Anzug ab und trug ihn in die Passagierkabine, um ihn dort anzuziehen. Brian folgte Helena, als sie zu Koenig ging und ihm beim Anziehen half.

»Komm, komm, Lady«, drängte der Schrank. »Ein bisschen schneller.«

Nervös fummelte Helena an den Verschlüssen herum. »Ich beeile mich doch schon, so gut ich kann«, erwiderte sie.

»Das glaub ich dir nicht, Lady... Du trödelst ganz absichtlich herum.« Brian zeigte so etwas wie den Beginn einer paranoiden Hysterie.

»Warum verlangst du von John, dass er da hinaus geht?«, fragte sie zornig. »Warum gehst du nicht selbst?«

Brian schien um eine Antwort verlegen zu sein. Nervös rollte er auf seinen Rädern vor und zurück, und seine Dreierlinse drehte sich wie ein Leuchtturmscheinwerfer, als suche er nach einer Ablenkungsmöglichkeit. »Hm... Na, ja...«

Seine bräunliche Vokalröhre schien sogar rot anzulaufen. »Es ist nur... Weißt du, da draußen ist's zu holprig für mich. Ich hab dir doch gesagt, dass ich Räder hab. Ich könnte das Terrain ja gar nicht überwinden.«

Endlich hatte Koenig den Anzug an. Er prüfte alle Instrumente und auch das Radio nach. Dann setzte er den Helm auf und befestigte ihn. Die Sichtplatte war noch offen.

»Eines will ich noch wissen, weil du mir's nicht gesagt hast«, forderte Koenig, als er zur Luftschleuse ging, »warum soll ich da hinaus? Was willst du damit erreichen?«

»Richtig, Koenig, richtig. Na ja, Tatsache ist, dass wir ungefähr hundertfünfzig Meter von meinem alten Mutterschiff entfernt gelandet sind. Ich will hinübergehen und den Nukleartreibstoff holen. Den steck ich dann in meine Vorratstanks. Ganz einfach, was?«

Helena schüttelte den Kopf. »Warum Treibstoff? Du hast doch noch genug hier. Der reicht noch tausend Jahre.«

»Genug!«, kreischte Brian. »Was, zum Teufel, sind für mich schon tausend Jahre? Das Mutterschiff hat so viel Vorrat, dass er mir eine Million Jahre reicht! Damit bin ich unsterblich!«

 

Brian gab ihm noch eine Menge Warnungen auf den Weg, ja keinen Betrug zu versuchen, kein Doppelspiel. Hier gab es keinen Tunnel für Koenig, und so musste er über die Leiter am Rumpf der Swift absteigen. Die Planetenoberfläche lag ungefähr dreißig Fuß unter ihm, verschwand aber im orangefarbenen Nebel.

Zum Abschied hatte der boshafte Schrank noch einmal das Ultraviolettlicht eingeschaltet, so dass Helena wieder vor Schmerz schrie. Damit wollte er nur daran erinnern, was geschehen könnte, wenn... Und natürlich hatte der Luftschleusentest ihm bewiesen, was Koenig tun würde, um Helena in Sicherheit zu wissen.

Koenig hatte keine Ahnung von dem, was ihn unten erwartete. Hätte ihm nur Brian wenigstens verraten, wie die Lebensbedingungen waren! Die Atmosphäre schien sogar angenehm warm zu sein, und nach den Messungen seines Lebenserhaltungssystems musste der Sauerstoffgehalt der Luft hoch genug sein, um sie atembar zu machen. Aber Brian hatte darauf bestanden, er müsse den Anzug anziehen und ihn funktionsfähig erhalten. Deshalb musste noch eine bestimmte Gefahr drohen, die nicht so ohne weiteres zu erkennen war, die aber auch die ganze Mannschaft der Sternmission das Leben gekostet hatte.

Natürlich ließ Brian nicht zu, dass Koenig eine Waffe in die Hand bekam, und so musste er unbewaffnet hinaus. Wusste der Himmel, was da auf ihn wartete! Und wenn Koenig eine Gefahr erkennen konnte, war es auf jeden Fall schon zu spät. Dieser verdammte, undurchsichtige Nebel! Wenn er nur hätte sehen können!«

Als er sich dem Boden näherte - weil er ja die Leiter hinabkletterte -, verschwand der Bauch der Swift in den Nebeln, und er sah unter sich blaue, zerklüftete Felsspitzen aufragen. Mit einem Fuß tastete er nach einem festen Tritt. Der Boden gab erst nach, dann wurde er fester, fast so wie auf dem Mond. Er setzte auch den anderen Fuß auf und drehte sich langsam um. Bis jetzt war es gutgegangen.

Sehr vorsichtig bewegte er sich vorwärts. Er ließ die dicksohligen Stiefel des Raumanzuges durch den Staub schleifen, damit er nicht über versteckte Felsen oder in Löcher fiel. Der Nebel spielte dick und undurchsichtig um seine Knie.

Er war noch nicht weit gekommen, als plötzlich der Nebel für eine Sekunde ein wenig aufriss; er hatte eine Sichtweite von ein paar Schritten, und da entdeckte er dann den ersten.

»Was ist, Koenig, was ist los?«, rief Brian so aufgeregt, dass die Schrankstimme in seinem Helm dröhnte.

Koenig wurde sich darüber klar, dass er wohl hörbar den Atem eingesogen haben musste, denn er sah vor sich einen Mannschaftsangehörigen der Sternenmission. Er trug keinen Raumanzug, und so konnte Koenig genau das in Todesangst verzerrte Gesicht des Mannes sehen, der hier seinen letzten Augenblick erlebt hatte. Langsam, sehr langsam musste sich die Leichte zersetzt haben, denn es ließ sich noch genau erkennen, dass der Mann nicht durch Gewalteinwirkung gestorben war. Auch nach dem Tod hatte niemand und nichts daran manipuliert, und daraus schloss Koenig, dass auf dem Planeten D nicht viel tierisches Leben sein konnte. Und aus der geringen Verwesung ließ sich überdies schließen, dass auch Mikroorganismen so ziemlich fehlten.

»Ich habe einen von der Mannschaft gefunden«, meldete Koenig über das Helmmikrophon. Zwei Schritte weiter fand er den zweiten; auch er trug keinen Raumanzug, hatte keine äußerliche Verletzung, wies aber die gleiche Miene furchtbarer Todesangst auf.

Als Koenig das Mutterschiff erreichte, hatte er mehr als fünfzig Leichen gezählt. Alle befanden sich im gleichen Zustand.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

Helena schaute auf den Schirm, sah aber nichts als nur den Nebel, in den Koenig eingetaucht war. Falls Brians Instruktionen stimmten, musste er bald beim Mutterschiff sein, wenn nicht... Sie versuchte die beunruhigenden Gedanken über eine mögliche Gefahr von sich wegzuschieben.

»Ich wollte, ich könnte ihn sehen«, sagte sie zu Brian.

»Auf dem Planeten D ist die Sicht immer ein bisschen dürftig, Lady«, sagte der Schrank und rollte zum Schirm, um den eintönigen Ausblick zu genießen. »Keine Angst«, sagte er, »solange er meinen Weisungen folgt, passiert ihm nichts.«

Helena musterte den Schrank mit dem Computerkleinzeug und versuchte das bizarre, die Unsterblichkeit suchende Monstrum zu durchschauen, das sie beide entführt hatte. »Wie bist du eigentlich gemacht worden?«, fragte sie ihn.

»Mein Meister, Captain Michael, hat mich gemacht«, antwortete Brian stolz. »Er hat mich so programmiert, dass ich sprechen kann. Und er wurde... er hatte mich sehr gern.«

Helena wunderte sich, wie ein Vater eine so hässliche Kiste lieben konnte. »Was war er für ein Mensch?«, fragte sie interessiert.

Der Schirm in der Pilotenkanzel ersetzte das Bild der trüben

Atmosphäre durch ein Standfoto. Ein dunkelhaariger Mann mit breitem Gesicht schaute gleichgültig in die Kamera. Auch dieses Bild verschwand, und das nächste zeigte den gleichen Mann, aber düster blickend.

»Das ist er«, bestätigte Brian. »Das ist mein Vater.«

Die Bildergalerie wurde unterbrochen von Koenigs Stimme, die klar aus dem Lautsprecher kam. »Koenig ruft Swift. Ich habe das Mutterschiff erreicht. Ich muss herumgehen zur Blindseite, um zu den Luftschleusen zu gelangen.«

»In Ordnung, Koenig«, erwiderte Brian. »Mach weiter. Aber beeil dich.«

»John? John?«, rief Helena vergeblich, als der Funkkontakt abbrach.

»Nur ruhig, Lady«, mahnte Brian, der in die Konsole zurückglitt. »Wir haben jetzt keine Verbindung zu ihm, bis er wieder rauskommt.«

Koenig hatte keine Schwierigkeit, um das riesige Mutterschiff herumzukommen, und er fand sich auch innen gut zurecht, denn alle Korridore waren gut gekennzeichnet, und die ganze Anlage war ihm aus seiner Ausbildungszeit auf der Erde bekannt. Erst eilte er zum Kontrollraum, um den Treibstoffbestand und dessen Stabilität nachzuprüfen. Er wollte auch das Kapitänslog zu finden versuchen, denn daraus konnte er vielleicht mehr über das Schicksal der Mannschaft des Schiffes erfahren.

Er drehte alle Lichter an und entdeckte, dass die Hilfsstromquellen tadellos funktionierten. Das Schiff war auch versiegelt und wies den richtigen Druck auf, so dass er seinen Helm öffnen konnte.

Bereitwillig öffnete sich die Tür zum Kontrollraum, und er betrat ihn; er war lang und schwach beleuchtet. Von hier aus hatte der Commander den Kurs für den Sprung nach den Sternen festgelegt. Koenig entdeckte die Instrumentenwand neben der Tür und schaltete die großen Deckenleuchten ein. Als er sich umdrehte, hielt er vor Überraschung den Atem an.

»Hi, Commander«, lächelte Tony und ließ seinen Laser sinken.

Maya stand hinter ihm und lachte vor Erleichterung.

»Tony! Maya!« Koenig schüttelte den Kopf.

Tony erklärte. »Wir sind vor dir gelandet und kamen an Bord, um hier zu warten.«

Endlich fing Koenig an, zu begreifen. Er runzelte die Brauen. »Dann habt ihr also auch gesehen...«

»Ja«, antwortete Maya. »Es war schrecklich. Als wir landeten, machte ich Atmosphärentests. Sie ist sonst ganz in Ordnung, aber der Nebel ist ein sehr kompliziertes und äußerst giftiges Gas. Es bedeckt den ganzen Planeten.«

Tony winkte aufgeregt. »Und die sind alle ohne Raumanzüge hinausgegangen. Sie müssen verrückt gewesen sein.« Er deutete quer durch den Raum. »Nicht einmal das Schiff haben sie versiegelt. Als wir hereinkamen, mussten wir erst die Luftschleusen schließen und wieder die Atmosphäre herstellen.«

Tony schaute zum Ende des Raumes und sah einen Mann, der über dem runden Commander-Tisch zusammengesunken war. Er ging zu ihm und las die Tischplatte ab. CAPTAIN V. MICHAEL stand da.

Koenig sah unter dem ausgestreckten Arm gerade so viel von dem Gesicht des Kapitäns, dass er genau wie bei den anderen die vor Todesangst verzerrten Züge feststellen konnte. Er hatte also hier an seinem Tisch gesessen, und der Nebel war durch die weit offenen Türen eingedrungen. Draußen schlenderte die Mannschaft in aller Ruhe in ihren schrecklichen Tod. Koenig versuchte sich den Grund dafür zu überlegen. Dann kam ihm ein scheußlicher Gedanke.

»Maya«, fragte er, »kannst du einmal einen schnellen Test machen, wie es um das Intelligenzsystem des Schiffes steht?«

»Ja, Sir.« Sie betrat die Kapitänskonsole, als Tony und Koenig die Leiche aus dem Weg schafften und sie vorsichtig auf den Boden legten.

Maya aktivierte den Computer und brachte alle Antwortstromkreise zu glühendem Leben. Sie aktivierte den Hauptschirm des Kontrollraumes und wartete auf Koenigs Fragen, um sie dem Computer einzugeben. »Sieh mal, ob wir den letzten Logeintrag der Mission bekommen«, sagte er schließlich.

Maya kodierte die Frage und schaute auf den Schirm. Die Antwort kam sofort - eine gleichmäßig geschwungene Leerwelle.

»Genau wie auf der Mondbasis«, bemerkte Tony.

Koenig sah seinen Verdacht bestätigt. »Dieser Schrank Brian ist verrückter, als ich dachte.«

Maya drückte ihre Meinung so aus: »Er hat den Computer und die Sensoren seines eigenen Mutterschiffes geblendet. Deshalb wusste die Crew nichts von dem toxischen Gas. Er hat sie alle umgebracht.«

Langsam ging Koenig herum und verdaute diese Information, wusste aber natürlich, dass er schnell wieder zur Swift zurückkehren musste. Helenas Leben war mehr gefährdet, als er zuerst geglaubt hatte.

»Warum hat er dich denn entführt?«, fragte ihn Tony.

Koenig zuckte die Schultern. »Er will, dass ich den Treibstoff von diesem Schiff zur Swift transportiere.«

Maya war bestürzt.

»Er hat uns erklärt, er will ewig leben«, sagte Koenig.

»Und was tun wir jetzt?«, wollte Tony wissen.

Koenig zuckte die Achseln. »Ich hole den Treibstoff und bringe ihn zur Swift. Wir können Helenas Leben nicht aufs Spiel setzen.«

»Könnten wir sie vielleicht von der Swift wegholen und das kleine Monster in die Atmosphäre blasen?«

Koenig schüttelte den Kopf. »Geht nicht«, erklärte er. »Er wird Helena so lange festhalten, bis ich mit dem Treibstoff zurückkomme. Und da gibt es noch einen Grund. Einen sehr wichtigen sogar. Diese Swift hat den einzigen arbeitenden Computer in diesem Teil des Universums, der unsere Gedächtnisbank vom Mondstützpunkt ersetzen kann. Unsere Banken sind ja gelöscht. Wenn wir den nicht bekommen, sterben wir alle sowieso.«

Koenig ging rasch weiter zum Privatbüro des Kapitäns. Der Routine entsprechend musste dort der Schlüssel zum Treibstofflager des Schiffes zu finden sein. Tony und Maya betraten den Raum zusammen mit ihm.

An der Wand entdeckte er das kleine Kästchen mit dem ganzen Satz der Kapitänsschlüssel, die sauber aufgereiht hinter dem Perspex-Gerät hingen. Captain Michael musste sein Büro ziemlich überstürzt verlassen haben, denn Schaltdiagramme und Stücke elektrischer Ausrüstung waren über den Boden, auf den Tischen und überall verstreut.

Maya ging zur Raummitte und musterte genau den rechteckigen Stahlrahmen, der an zwei Seiten Platten angeschraubt hatte. Einige gedruckte Schaltpläne von Stromkreisen waren bereits an der richtigen Stelle eingefügt, und die noch nicht verbundenen Farbdrähte standen wie gefrorene Luftschlangen nach allen Seiten.

»Es sieht ganz so aus, als habe Captain Michael an etwas gearbeitet, ehe er starb«, bemerkte Maya.

»Das spielt jetzt keine Rolle«, sagte Tony.

Koenig blieb stehen und betrachtete das halbfertige Gerät, das Maya nun untersuchte, und dann schaute er schnell die Stromkreisdiagramme an. »Da bin ich nicht ganz sicher«, widersprach er nachdenklich. »Ich glaube, Tony, das ist sogar wichtiger, als du vermuten kannst. Schau mal, du kehrst jetzt zum Eagle Eins zurück und sagst dem Piloten, er soll sich bereithalten, aber ihr tut keinen Schritt, bevor ihr von mir hört. Maya und ich werden das Treibstofflager finden, um den Vorrat zur Swift zu bringen.«

Als Tony gegangen war, sah Maya Koenig an und fragte: »Commander, wie sehen die Pläne aus?«

»Wir müssen Brians Gehirn manipulieren. Es brechen.«

Maya runzelte die Brauen.

»Mir müssen den Schrank in einem solchen Maß verwirren, dass er nicht mehr weiß, was er tut. Er kann sich sehr aufregen und unvernünftig sein. Und wir müssen jetzt versuchen, ihn über die Grenze zu treiben.« Koenig blinzelte. »Hast du Captain Michaels Gesicht gesehen, Maya?«

»Ja«, antwortete sie und rief sich die Grimasse des Todes ins Gedächtnis zurück, um sich dann vorzustellen, wie er normal ausgesehen haben musste. »Ja, das habe ich gesehen.«

 

Helena wartete ungeduldig im Pilotenabteil der Swift auf Koenigs Rückkehr. Angestrengt lauschte und beobachtete sie. Brians Lässigkeit war schon ziemlich fadenscheinig geworden.

»Dieser verdammte Koenig lässt sich aber verdammt viel Zeit«, beklagte er sich.

Helena war sich darüber klar, dass Koenig wahrscheinlich einen Plan ausarbeitete und dafür natürlich einige Minuten brauchte. Möglich war natürlich auch, dass ihm etwas zugestoßen war, aber sie wusste, es nützte nichts, wenn sie sich darüber den Kopf zerbrach. Deshalb versuchte sie Brian zu beruhigen.

»Das glaube ich nicht«, sagte sie. »Er muss doch erst die Treibstoffvorräte finden, dann muss er den Tresor öffnen und schließlich auch noch eine Möglichkeit finden, sie zurückzubringen.«

Brian ließ sich aber nicht so leicht beruhigen. »Lady, du hast keine Ahnung, was das für mich bedeutet. Ist der Kerl zuverlässig?«

»Er ist zuverlässig«, versicherte sie ihm.

Die Dreierlinse des Schrankes ging auf höchste Vergrößerung. »Da ist er ja!«, kreischte er fröhlich.

Helena musste ein paar weitere Minuten warten, ehe sie Koenigs Umrisse durch den Nebel stapfen sah. In seinen Armen trug er einen langen Metallzylinder.

»John! John!«, schrie sie ins Mikrophon.

Diesmal hörte er sie, und seine Stimme kam knatternd und knisternd durch. »Koenig an Swift. Ich kehre mit den Treibstoffvorräten des Mutterschiffes zurück.«

Brian blitzte so aufgeregt mit sämtlichen Lichtern, dass man Angst haben konnte, bald müsse bei ihm eine Sicherung durchbrennen. »Hast du auch alles mitgebracht, Koenig? Wirklich alles?« Seine Stimme verriet äußerste Ungeduld. »Koenig, antworte mir endlich!«

Koenig wollte nicht mehr gedrängt und herumkommandiert werden. Deshalb antwortete er ganz beiläufig: »Koenig an Swift. Bist du bereit, mich zu empfangen?«

»Jaaaaa!«, heulte Brian vor Entzücken.

Endlich kletterte Koenig hinauf zur Luftschleuse der Passagierkabine. Helena wartete schon an der inneren Schleusentür auf ihn und fiel ihm um den Hals. Brian rollte aufgeregt vor und zurück, während sie ihm half, den Anzug auszuziehen.

Der Zylinder hing noch an dem Kabel, das Brian herabgelassen hatte, um ihn dann heraufzuziehen. »König, mach doch weiter!«, schrie er.

»Lass ihm doch Zeit«, forderte Helena ungehalten.

Als sie sich wieder umdrehte, um die Anzugverschlüsse zu öffnen, schaute sie Koenig in die Augen und versuchte die Botschaft zu entziffern, die sich in ihnen auszudrücken versuchte. Offensichtlich war etwas geplant worden, und ihre Vermutung bestätigte sich, als Koenig sich zu ihr hinabbeugte und ihr zwei leichte Küsse auf die Lippen gab. Sie ahnte natürlich nicht, was er sich ausgedacht hatte, doch sie blieb wachsam und bereit, sofort dem kleinsten Hinweis zu folgen.

»Na, Leute, damit könnt ihr wieder aufhören.« Brian hatte keine Zeit für die Demonstration von Zuneigung. »Koenig, hol endlich den Treibstoff rauf.«

»Nur immer mit der Ruhe«, erwiderte er. »Erst muss ich doch mal den Anzug runterkriegen.«

Helene strich ihm das dunkle Haar aus der Stirn. Es war ein wenig feucht von der Anstrengung, denn der Zylinder war recht schwer gewesen. Den Rest hatte die Spannung besorgt.

»Wie war's denn?«, fragte sie.

»Oh, nicht besonders schlimm.« Dann wandte er sich nicht sehr freundlich an Brian. »Deine Crew ist da draußen, schön verteilt und sehr tot.«

»Dann sind sie also tot. Na, und?«, schnappte er.

Koenig hatte nun den Raumanzug ganz ausgezogen, rührte sich aber nicht, um den Treibstoff zu holen. Er stand nur da und funkelte Brian vorwurfsvoll an. »Ich habe Captain Michael im Kontrollraum gefunden. Er saß tot an seinem Schreibtisch... Aber das musst du ja längst wissen.«

Der Schrank gab sein Vor- und Rückwärtsrollen auf. Seine Lichter blinkten trüb und düster, und das Metall seiner Verkleidung schien sich zu schütteln. »Mein Vater?«, fragte er kleinlaut.

Koenig nickte ernst.

»Ahhhhh!« Brian drehte sich mit einer raschen Bewegung um und rollte zur Passagierkabine. »Hol endlich den Treibstoff rein!«

Am Schiffsheck öffnete sich eine Luke, und aus der schob sich ein langes Teleskoprohr zum Metallkanister hinab. Koenig trat vor, Brian zog sich ein paar Radumdrehungen zurück.

Der Zylinder mit seiner dicken Schutzverkleidung war sehr schwer, und Koenig stöhnte, als er ihn oben hatte und auf den Boden herablassen musste.

»Und jetzt setz ihn mir ein, Koenig!«, befahl das Gehirn.

»Moment noch«, rief Koenig rück und rieb sich die Finger, weil ihm eine Kante der Haut verletzt hatte. »Welches Ende ist oben und welches unten? Wie soll ich wissen, wie das Ding bei dir einzusetzen ist?«

»Was ist? Was sagst du da?« stotterte der Schrank.

Koenig betrachtete die beiden blanken Enden und schüttelte den Kopf.

Plötzlich flackerten Brians Lichter. »Diese Treibstoffzylinder sind doch an beiden Enden gleich! Trödle nicht so lang rum, Koenig!«

Koenig lächelte mühsam, bückte sich, hob den Zylinder hinauf und ließ ihn in die vorgesehene Halterung einrasten.

»Wusch!«, kreischte Brian. »Rollie Pollie!« Dazu rollte er fröhlich vor und zurück und blinkte mit sämtlichen Lichtem. »Junge, Junge, ist das ein Gefühl! Einfach unbeschreiblich. Toll! Junge, Junge! Leute, so viel Treibstoff auf einmal ist zu viel. Ist ja zwar nicht mehr zu sehen, aber ich bin ganz verrückt vor Freude! Mein ganzer Geist ist ins Nirwana geblasen. Wunderbar, einfach wunderbar!« Er ließ ein metallenes, keckerndes Lachen los, das so klang, als würden ein paar Dutzend leerer Konservenbüchsen aneinander knallen und über eine Treppe kollern. »Das ist der glücklichste Tag meines Lebens! Ich bin frei. Begreifst du das? Frei bin ich! Im ganzen Universum kann ich rumkutschieren! Und dazu lebe ich ewig, ewig, ewig!« Er wirbelte herum und wäre dabei um ein Haar umgekippt. »He! Bereithalten zum Abheben!«, brüllte er.

Koenig und Helena hatten gerade noch so viel Zeit, dass sie sich in einen Kontursessel werfen konnten, ehe die Raketen röhrend die Swift abhoben. Als die Beschleunigung ein wenig nachließ, zog Koenig den Reißverschluss einer Tasche auf und nahm eine kleine braune Maus heraus.

Helena sah ihm dabei zu, und ihre Augen wurden immer größer. Dann verstand sie und stellte sich vor, dass Koenig wohl mit Maya zusammengetroffen sein musste, als er an Bord des Mutterschiffes war. Nun fasste sie wieder Hoffnung, da sie wusste, dass sie die Transformationstalente der Psychonerin zu Hilfe hatten.

Vorsichtig setzte Koenig die Maus auf den Boden; sie huschte sofort zur Tür der Pilotenkanzel, wo Brian die Fluginformationen der Instrumente überwachte. Die Maus blieb stehen und kletterte dann an Brians Antennenschwanz entlang.

»Was ist da los?«, kreischte Brian und tat unwillkürlich ein paar Radumdrehungen vorwärts. »Was, was, was?« Die Dreifachlinse drehte sich aufgeregt, um zu sehen, was hier geschah.

»Das ist eine Maus«, sagte Helena.

»Ah, oh!«, jammerte Brian. »Schafft mir die Maus vom Schwanz! Sie zerknabbert mir meine ganze Antenne!«

Brian zog sich in die Wand zurück, drehte sich aber so um, dass er seinen Angreifer sehen konnte. Die Maus verschwand und wurde zu einem flackernden Muster aus Licht und Energie. Dann strahlte dieses Muster plötzlich auf, und Maya erschien. Sie stand im Mittelgang der Kabine zwischen den Sitzen.

»Woher, zum Teufel, kommst du?«, wollte Brian wissen.

»Vom Planeten D«, antwortete sie.

»Aber du warst doch gerade noch eine Maus! Auf dem Planeten D gibt es keine Mäuse. Da gibt es überhaupt nichts. Das Gas... das...« Verwirrt schwieg Brian und blieb stehen. »Ich komme vom Planeten D und habe eine Botschaft für dich«, sagte Maya.

»Eine Botschaft? Für mich? Was für eine Bo-Botschaft?«

Maya lächelte tiefgründig. »Von Captain Michael ist die Botschaft.«

Der Schrank tat einen Satz zurück, und dabei drehten die Vorderräder wie irr leer durch. »Hä? Ha? Er ist doch TOT! Welch eine Botschaft?«

»Rache.« Maya lächelte nun breit, so dass ihr ganzes hübsches Gebiss schimmerte.

Brian jammerte und rollte mit Windeseile zur Pilotenkabine. Die Tür knallte hinter ihm zu. Die Lichter der Swift blinkten sehr aufgeregt, die Alarmsirene jaulte, und dazu klang noch eine Gefahrenklingel schrill durch das Schiff. Maya, Koenig und Helena legten die Hände auf die Ohren, denn Brians panische Angst drückte sich in sehr hohen Dezibel-Zahlen aus.

 

 

 

Viertes Kapitel

 

 

Ungefähr fünf Minuten lang dauerte der Höllenlärm. Koenig wusste nicht recht, wie sehr Brian unter dieser Rachedrohung litt, und ob er nicht vielleicht das Schiff abstürzen ließe.

Endlich hörte der Radau auf, und in der nun folgenden langen Stille konnte man auf den Gedanken kommen, der ganze Brian sei durch Kurzschluss in den Computerhimmel eingegangen. Koenig wartete gespannt. Er musste ja die Tür aufbrechen und die Führung der Swift übernehmen, falls Brian wirklich nicht mehr funktionierte. Er mahnte sogar Helena zum Schweigen für den Fall, dass Brian noch in Ordnung war und sie heimlich belauschte. Minuten tickten langsam vorbei.

Endlich wurde die Tür aufgeschoben. Alle zuckten vor Angst zusammen, als Brian herausgerattert kam. Seine Dreierlinse drehte sich schnell, und seine bräunliche Röhre blinkte zornig.

»Ihr habt ja gar keine Botschaft von Captain Michael!«, schrie er Maya an. »Ich kann mich erinnern, du warst auch auf der Mondbasis. Du bist eine Freundin von Koenig und der Doktorin. Ein feiner Trick! Mäusefrau, ja. Aber du bist auch nur sterblich. Wie, glaubst du, kannst du gegen mich ankommen?« Der Linsensatz drehte sich ungehalten hin und her. »Ich habe volle Kontrolle über dieses Raumschiff und alle, die an Bord sind. Du Närrin! Warum bist du hergekommen? Weil... Ich blase euch verdammte Bande miteinander in den Raum! Was meint ihr dazu, hä?«

Koenig tat einen Schritt vorwärts. »Eines solltest du uns erklären, Brian. Warum hast du deinen Schöpfer getötet?«

Der Linsensatz schwang von Koenig weg, weil er den vorwurfsvollen Augen ausweichen wollte. »Ich habe meinen Schöpfer nicht getötet.« Aber die Stimme aus dem Schrank jammerte und wimmerte furchtbar.

»Er saß tot an seinem Commander-Tisch. Und du hast ihn umgebracht!«

»Hab ich nicht! Ich hab ja gar nicht gewusst, dass er tot ist! Und ich weiß auch nicht, wie er gestorben ist.«

Koenig trat in Brians Blickfeld. »Er ist tot, weil du den Computer geblendet hast. Er wusste nicht, dass das Gas tödlich ist. Deshalb ging seine Crew hinaus. Alle starben. Und die Luftschleuse war auch nicht versiegelt. Das Gas strömte also ins Schiff und hat auch ihn getötet.«

Maya nahm ihr Stichwort auf. »Du meinst, er hat den Mann getötet, der ihn geschaffen hat?«, fragte sie ungläubig.

»Seinen eigenen Vater?« steuerte Helena bei. »Aber warum nur?«

Dem Gehirn war unheimlich unbehaglich, und die Lichter zuckten.

»Wir wissen, Brian, warum du ihn umgebracht hast«, sagte Koenig laut. »Er hat nämlich an einem verbesserten Modell von dir gearbeitet. Du wärest dann überflüssig gewesen. Du solltest verschrottet werden. Oder vielleicht auch nur eingemottet.«

»Nein, nein, nein! Das ist nicht wahr! Er hat kein neues Modell gebaut!«

Aber Koenig gab nun nicht mehr nach. »Wir haben es doch gesehen. Deine Tage waren gezählt, Brian. Du hast also beschlossen, alle zu töten. Deshalb hast du sie nichts von dem Gas wissen lassen. Du hast das Mutterschiff geblendet, um zu verhindern, dass ein neues Gehirn gemacht wurde, das dich ersetzen sollte.«

Die Lichter flirrten und flackerten wieder wie irr. Er schien keine volle Kontrolle mehr über seine Bewegungen zu haben, rollte von einer Seite zur anderen und knallte in eine Wand.

»Aaaaarg!«, stöhnte er vor Schmerz, und bräunliches Licht flatterte wie ein gefangener Vogel. »Aaaarg! Mein Vater hat nicht an einem verbesserten Gehirn gearbeitet! Es gibt ja gar kein besseres Gehirn als mich!«

»Na, beruhige dich nur wieder, Brian«, redete ihm Helena zu. »Du regst dich viel zu sehr auf.«

»Ja, ja. Ich sollte mich wirklich nicht aufregen.«

Maya blickte tief in die Dreierlinse. »Ich glaube, du brauchst eine Reparatur«, sagte sie.

Koenig trat neben sie. »Brian, wir machen mit dir ein Geschäft. Wir reparieren dich und bringen dich auf Vordermann, denn du brauchst es, und du lässt uns unversehrt gehen.«

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Nicht einmal das Rumpeln der Raketen war in der Swift zu hören. Brian dämpfte seine Festbeleuchtung zu einem düsteren Glühen, als er diesen Vorschlag überlegte.

Dann leuchtete die braune Röhre hell auf, und Brian rollte von ihnen weg. »Oh, ihr geht nicht! Ich werde euch alle in den Raum blasen.«

»Aber wer wird dich dann reparieren?«, hielt ihm Koenig vor. »Du hast eine Überholung bitter nötig. Frag doch die Doktorin, wenn du mir nicht glauben willst.«

Helena nickte. »Brian, du brauchst ganz dringend eine Reparatur.«

Auch Maya nickte noch einmal nachdrücklich, und alle drangen auf den Schrank ein, der sich langsam zurückzog. Die Linsen drehten sich aufgeregt, als wolle er alle Informationen testen, die sie ihm zukommen ließen, und sie in ein neues Programm einfügen.

»Ich repariere dich«, bot ihm Koenig an.

»Nein, ich repariere dich!«, rief Maya.

Helena schrie: »Nein, ich will dich reparieren!«

»Du wirst zwischen uns wählen müssen, Brian. Entscheide dich.«

Brian tat einen Satz vorwärts, als wolle er sie zurücktreiben. »Was soll denn das wieder sein? Ein Spiel? Ihr wisst doch, was jeder von euch vorhat. Wie macht ihr das?«

»Du kontrollierst andere Computer mit deinen Gehirnwellen«, erklärte ihm Helena. »Wir können das aber auch. Wir sagen dazu: wir sind auf den anderen eingestimmt.«

»Instinkt«, fügte Koenig hinzu. »Na, Brian, komm schon. Entscheide dich. Wer von uns soll dich reparieren?«

Misstrauisch schaute er von einem Gesicht zum anderen. »Wie soll ich wissen, wer von euch der beste Ingenieur ist?«

»Ich!«

»Ich!«

»Ich!«

Verwirrt drehte sich die Linse von einem zum anderen.

»Nimm mich!«

»Nein, mich!«

Brian wollte nur, dass dieser Unsinn aufhörte. »Na, schön. Also du.« Er sah dabei Koenig an.

»Nein, mich!«

»Mich!«

Die Linsen vermochten kaum mehr den hektischen Stimmen zu folgen, und dann sah Brian plötzlich das Gesicht seines geliebten Schöpfers vor sich. Einen Augenblick lang las sich die Information wie ein Tröpfeln aus einem Gedächtnistank, wie ein Echoeindruck, der sich sehr bald klären musste. Aber dem war nicht so, und als das Gehirn einen Test mit seiner eigenen Videoaufnahme anstellte, wurde ihm klar, dass der optische Eindruck richtig war. Captain Michael war tatsächlich da!

»WEWEWEWE«, wimmerte Brian entsetzt, wich so schnell zurück, dass er stolperte und krachte in eine Wand. Der Aufprall ließ ein paar Gläser über seinen Monitorlichtern zerbrechen und löste genügend Funken in seinen Stromkreisen aus, so dass er eine kleine blaue Rauchwolke aushustete.

Koenig fühlte einen seitlichen Zug, der ihm sagte, dass die Swift nun außer Kontrolle sei, denn Brians autonome Funktionen schienen das Schiff nicht mehr zu navigieren. Er hoffte nur, dass er den Schrank zur Unterwerfung zwingen konnte, ehe dem Schiff etwas Ernstliches zustieß.

Maya pflanzte sich in der Gestalt von Captain Michael vor Brian auf. Seine Lichter flackerten alle gemeinsam, und er klapperte laut wie ein sehr aufgeregtes Herz.

»Was hast du mir angetan?«, fragte Captain Michael drohend.

»Das war ein Irrtum... ein Irrtum... ein Irr... ein Irr... Irr...«

»Du hast mich umgebracht! Du schreckliche Maschine. Du Mörder!«

Brians Linsen blinkerten vor Angst und suchten nach einem Fluchtweg. »Nein, nein, nein!«, protestierte er.

»Ich habe dich geschaffen«, fuhr der Captain fort. »Ich habe dich gebaut. Ich bin größer und weiser als du. Aber du hast mich getötet.« Der Captain sprach immer sarkastischer. »Kein Wunder, dass ich beschloss, ein besseres Gehirn zu machen, als du es bist. Du warst so gemein und klein und dumm, so furchtbar sentimental!«

Brian rollte verzweifelt an Captain Michael vorbei in Richtung Luftschleusen. Dabei gab er wimmernde Töne von sich, weil die Patrone mit seinem Stimmreproduktionsband klemmte. Der Captain drehte sich um und ging rachedurstig auf den Schrank los. Mit einem befehlend ausgestreckten Finger deutete er die göttliche Verbannung an.

Schluchzend und wimmernd rollte Brian in die nach innen offene Kammer der Luftschleuse. Kaum war er über der Schwelle, als Koenig einen Satz vorwärts tat und auf den Knopf drückte, der die innere Tür hermetisch verschloss. Sie schob sich schnell zu, und Koenig drückte auf den Knopf der Außentür. Wusch! machte es, und Brian wurde in den Raum gefegt. Eiligst schloss Koenig hinter ihm wieder die Tür.

Er wartete nicht, bis Maya sich wieder in sich selbst zurückverwandelt hatte. Er meinte, Gratulationen könnten so lange warten, bis sich ihre Rechtfertigung herausgestellt hätten.

Ein bisschen taumelnd rannte er durch das sich unkontrolliert drehende Schiff zum Flugdeck. Er sprang auf den Pilotensessel und testete die Instrumente auf Funktion. Als er wusste, dass sie in Ordnung waren, korrigierte er die Drehbewegung des Schiffes und legte es auf einen langsamen, ebenen Kurs.

Dann schwenkte er die Außenkameras aus und sah sich nach Brian um. Es war bemerkenswert, dass er noch bei ihnen war. Seine Antenne hatte sich in der äußeren Lukentür verfangen und eingeklemmt, und so schwebte er bei ihnen mit. Kein Licht an ihm brannte mehr, er gab kein Lebenszeichen von sich.

»Swift an Eagle Eins«, bellte Koenig in das Radio. »Swift an Eagle Eins. Seid ihr bei uns!«

Die Antwort kam sofort, und die Gesichter von Tony und dem Piloten des Eagle Eins erschienen nebeneinander auf dem Schirm. »John!«, schrie Tony. »Alles in Ordnung?«

»Uns geht es allen hervorragend. Wo seid ihr?«

»Nicht weit weg, Commander«, antwortete der Pilot. »Wir sind euch gefolgt, ohne uns aber sehen zu lassen.«

»Fein, fein. Gut, ihr könnt jetzt längsseits kommen und uns an Bord nehmen. Swift Ende.«

Helena kam zu ihm in die Kabine und tätschelte ihm die Schulter. »Und was jetzt, John?«, fragte sie.

»Unser nächstes Problem ist die Gedächtnisbank von Brians Computer... Hoffentlich ist sie nicht beschädigt, so dass wir sie zur Mondbasis schaffen können.«

»Angenommen, dazu braucht ihr einen Computerexperten«, sagte Maya und schob sich schön und geschmeidig wie immer in die Kommandokabine.

 

Koenig nickte zustimmend. »Richtig. Und du hast hervorragende Arbeit geleistet. Vielen herzlichen Dank.«

Maya nickte bescheiden. »Ich mache mir um eines Sorgen.«

»Und was ist das?«, fragte Koenig.

Maya deutete auf den Schirm, der noch immer den an der Luke baumelnden Brian zeigte. »Seine Antenne hat sich verfangen. Pech. Aber der Verschluss ist nicht hermetisch, und wir könnten mit einem Luftdruckabfall zu rechnen haben.«

Koenig hatte sich schon herumgedreht und hielt nach einem Schrank Ausschau, in dem die Gedächtnisbank gelagert sein konnte. »Das ist doch kein Problem«, meinte er gleichmütig. »Warum schneiden wir den Schwanz nicht einfach ab?«

»Nein«, kam eine schwache von Statik-Geräuschen fiebernde Stimme über die Sprecher. »Nein, denn... wenn ihr meine Antenne abschneidet...« Sie sahen, dass die Lichter am Schrank wieder ganz schwach glühten, »denn wenn ihr meine Antenne abschneidet, wird meine ganze Gedächtnisbank gelöscht. Die Mondbasis wird dann für immer blind.«

Koenig herrschte ihn am Mikrophon an. »Brian, ist das wahr? Oder ist das auch wieder nur eine deiner verdammten Lügen?«

Verzweifelt bemühte sich das Gehirn um die Wiederherstellung seiner Kraft. »Wenn ihr mich nicht jetzt sofort hineinholt, lösche ich's sowieso.«

Koenig hielt das für einen Bluff. »Das muss ich eben riskieren.« Über die Schulter sagte er zu Maya: »Schneid die Antenne ab.«

Brian kreischte: »Nein, nein, nein! Bitte, schneidet meine Antenne nicht ab. Bitte. Bitte, schneidet sie nicht ab.«

»Na, schön, Brian«, antwortete Koenig bestimmt. »Wir lassen dich am Leben - vorausgesetzt, du übergibst uns deine Gedächtnisbank unbeschädigt.«

Sie hätten schwören mögen, dass Brian weinte, denn die Geräusche, die er von sich gab, waren Schluchzern verdächtig ähnlich. »Ja, ja, meine Erinnerungen könnt ihr haben. Alles. Alles.« Das Diagramm der Computerstromkreise erschien auf einem Monitor. Maya studierte es genau, prägte sich die Datenlagerung ein und wie sie abzurufen waren. »Ich wollte doch nichts anderes als leben, nur leben«, jammerte er.

 

Koenig gelang es nicht recht, sich zu entspannen, denn ehe sie nicht im Kontrollzentrum von Alpha waren, konnte er nicht daran glauben, dass sich Brian wirklich geschlagen gab. Zur Entspannung war er erst bereit, als die gesamten Computerdaten der Swift sicher auf den Mondbasis-Computer umprogrammiert waren.

Maya lächelte ihn von ihrem Platz am Monitor aus an. »Sir, alles vollständig umprogrammiert. Alle Tests sind positiv«, meldete sie.

Koenig schaute Yasko an und Tony, die beide nickten. Endlich holte er selbst tief Atem und ließ sich in seinem Sessel zurückfallen. Das ganze Personal der Kommandozentrale holte ebenfalls Atem, und dann machte man sich an das wichtige Geschäft, die Mondbasis wieder zur normalen Funktion zurückzuführen.

»Tony«, sagte Koenig, »gib mir einen Status-Check aller wichtigen Systeme und Abteilungen. Mit den wichtigsten Daten fängst du an.«

»Gut. Dann fangen wir dort an, wo wir aufgehört haben.« Tony schaute zu Maya hinüber und konnte sich ein glückliches Lachen nicht verkneifen, weil er sie nun wieder ansehen konnte. »Maya, machen wir einen Horizont-Check, damit wir endlich wissen, wohin wir gehen.«

Maya fütterte die Information über den großen Schirm, so dass alle zusehen konnten. Die Buchstaben standen kräftig vor dem hellen Hintergrund: HORIZONT STABIL - RICHTUNG UNVERÄNDERT.

Helena schüttelte den Kopf. »Das war also auch nur wieder eine Lüge von diesem Brian«, sagte sie. »Er hat unseren Computer schon in die Irre geführt, ehe wir wussten, dass es ihn überhaupt gibt. Der Mond ist auf dem richtigen und alten Kurs.«

Koenig nickte und erwartete von Tony den nächsten Bericht. »Die Vorräte von Tiranium sind sehr ausgeplündert, Commander«, meldete er und kontrollierte die Zahlen. »Während des Blackout infolge ungenügender Computerdaten wurde zu viel zu schnell verbraucht.«

»Wie schlimm ist es?«

Tony rechnete. »Wenn wir die Bestände nicht auffüllen, erreichen wir in etwa einem Monat den kritischen Punkt.«

Koenig schlug mit der Hand klatschend auf die Armlehne seines Sessels. Tiranium war das einzige seltene Element, auf dem das ganze Kraftsystem von Alpha beruhte. Ohne Tiranium musste bald die ganze künstliche Umgebung versagen, und die Computerfunktionen würden zusammenbrechen. Die aufgefüllte Datenbank des Computers nützte ihnen also nichts mehr.

Helena war darüber sehr enttäuscht, denn Tiranium war auch in der Medizin bei schwierigen chirurgischen Eingriffen wie etwa Teileersatz sehr wichtig.

»Sehr schön klingt das ja nicht«, sagte Koenig. »Ich will so schnell wie möglich genaue Daten bekommen. Es sieht ganz so aus, als hätten wir Brian, dem Gehirn, allerhand zu verdanken.«

»Sir, was soll mit dem Schrank geschehen?«, fragte Maya.

»Das weiß ich auch noch nicht. Schauen wir ihn erst mal an.«

Auf dem großen Schirm erschien das Teleskopbild der Swift. Sie trieb lautlos durch die Schwärze, denn alle Maschinen waren abgeschaltet. Sie sahen gerade noch die Umrisse des herabhängenden Schrankes, der Brian, das Gehirn, war. Maya drückte ein paar Knöpfe und verband den Basis-Computer mit dem System der Swift. Das Bild brachte Brian in Großaufnahme, aufgenommen durch die Außenkameras der Swift.

»Sehr drohend sieht er jetzt nicht aus«, stellte Helena fest.

»Wir haben ihn geblendet und ihm sein Gedächtnis weggenommen.«

»Aber vergiss nicht«, warf Tony ein, »dass er, so lange er funktionsfähig war, eine Menge Menschen getötet hat. Und dich wollte er auch umbringen.«

Maya seufzte. »Seltsam, er fühlte sich doch schuldbewusst, mindestens am Tod von Captain Michael.«

Helena nickte. »Er hat sogar geweint... oder so ähnlich wenigstens.«

Koenig warf Tony einen fragenden Blick zu. Der Italiener schnitt eine Grimasse und hob die Hände. »Na, schön«, meinte er, »wir könnten ihm ja sein Gedächtnis wieder zurückgeben, nachdem wir es kopiert haben. Aber stellt euch doch mal vor, wie gefährlich er dann wieder wäre. Er könnte uns verfolgen und sich an uns rächen, indem er noch einmal unseren Computer außer Funktion setzt.«

Koenig legte nachdenklich einen Finger auf die Lippen. Was sollte geschehen? Er mochte nicht gern ein Bewusstsein, und sei es ein elektronisches, für alle Zeit blind und hirnlos dahintreiben lassen. »Und wenn wir das Gedächtnis löschen, ehe wir ihm die Bank zurückgeben?« schlug er vor. »Dann kann er nämlich ganz von vorne zu lernen anfangen, ganz ohne Schuld und Ehrgeiz, ohne Sehnsucht nach Unsterblichkeit, die ihn verrückt macht. Er bräuchte ein paar hundert Jahre, bis er sich selbst wieder genug Bildung aneignet.«

Tony nickte und verband sich selbst mit der Pilotenstation. »Kommandozentrale an Piloten«, sagte er. »Eagle Eins bereithalten für Abheben. Ihr werdet die Datenbank zur Swift zurückbringen.«

Koenig meinte, jetzt hätte er sich eine Tasse Synthokaffee verdient. »Helena«, fragte er mit müdem Lächeln, »können wir uns im Moment ein paar Minuten Freizeit leisten?«

»So, wie die Dinge liegen ist das noch mindestens einen Monat lang nicht drin«, antwortete sie und lächelte auch müde.

»Schade. Ich hätte ganz gerne über diesen Liebestest mit dir gesprochen.«

Maya sah fragend auf. »Welcher Test war das, Sir?« Koenig sah, dass Helena amüsiert lächelte. »Oh, das war ein Test, den sich Brian, das Gehirn, hatte einfallen lassen.«

Da lachte Helena leise. »Wir haben ihn nicht bestanden«, sagte sie.

 

 

 

Fünftes Kapitel

 

 

Alan Carter wusste, dass er eigentlich nicht in den Tunnels sein sollte, aber er hatte es gründlich satt, immer nur im Pilotenraum herumzuhocken und Karten zu spielen. Seit der Tiranium-Knappheit wurden die Eagles so wenig wie möglich eingesetzt, denn man konnte selbst die geringen Mengen, die sie verbrauchten, nicht zur Verfügung stellen.

Jedenfalls hielt er es für besser, ein weiteres Paar scharfer Augen für die Tiraniumsuche einzusetzen. Er war ein alter Freund von Andy Johnson, dem rothaarigen jungen Mineralogen, der die Mondwanze fuhr, und der nahm ihn natürlich mit. Die Geologische Überwachung war erst am Tag vorher auf ein neues Höhlensystem gestoßen; während der Nacht hatte man Sauerstoff hineingepumpt, so dass die Geologentrupps ihre Untersuchungen durchführen konnten.

Alan genoss die Fahrt durch das dunkle Tunnelsystem. Da unten war es doch viel interessanter als jedes Romméspiel!

»He, Cobber, lauf weiter und lass uns einen Topf Gold finden!«, schrie er.

Andy lachte. »Mein Lieber, eine Handvoll Tiraniumkiesel sind im Moment viel wertvoller als hundert Tonnen Gold. Und jetzt müssen wir wohl aussteigen und zu Fuß weitermarschieren.«

Die Mondwanze hielt an. Vor ihnen verengte sich der Tunnel zu einem schmalen Gang. »Sieht ja interessant aus«, meinte Carter.

Andy kletterte heraus und öffnete die Werkzeugkiste. »Du nimmst eine Radiumlampe, und ich bringe das Sonarskop mit... Siehst du dort diese Bruchlinie? Sie weist darauf hin, dass die subvulkanischen Strata...«

»Mensch, halt die Luft an! Ich will nur wissen, ob hier was zu holen ist. Von dir kriegt man, wenn man die Uhrzeit wissen will, immer gleich einen Schnellkurs im Uhrenbau.«

»Ha!« lachte Andy. »Und du mit deinem Astronautentraining. Wenn ich frage, wofür der kleine schwarze Knopf da ist, dann ratterst du ein paar Seiten der Bedienungs- und Pflegeanleitung der Eagle herunter.«

Beide lachten, Andy hob die Lampe heraus, und Alan folgte ihm in einen Spalt hinein, der gerade breit genug war, um durchgehen zu können. Auf der anderen Seite kamen sie in eine sehr große natürliche Höhle und schalteten die Lampe ein. Die stellte Andy auf den Boden. Sie wurde rasch heller, und ihr Schein erfüllte die Höhle.

»Ja, ja«, meinte Andy und legte sein Gerät aus. Alan half ihm beim Aufbau des Stativs und setzte die Sonarröhre auf. Johnson schaltete den Energiepack ein.

»Na, schön. Und jetzt hilf mir beim Suchen«, sagte Andy.

Aus dem Rohr schoss ein scharfer, hochstabilisierter Lichtstrahl, den Andy auf die Höhlenwand richtete. Auf der Anzeigescheibe ließen sich das elektromagnetische Feld und das Vorkommen von Mineralien und Erzen ablesen. Als sie beim dritten Mal fünf Fuß vom Höhlenboden aus mit dem Strahl über die Wand gingen, kam aus dem Sonarsensor ein scharfes, leises Heulen.

»Ich hab was«, sagte Alan.

Andy bewegte den Strahl erst horizontal, dann vertikal weiter, um den Koordinationspunkt für das stärkste Signal zu finden. Dann schaltete er den Sucher ein. Nur ein leises Zittern im Arm meldete ihm, dass die sonischen Wellen auf einen bröckelnden Fels trafen. Nach ein paar Augenblicken konzentrierten Bohrens gab der Sensor so etwas wie einen Glockenschlag ab, und Alan sah, wie die Anzeigenadel des Gerätes einen scharfen Satz tat.

»Das ist es!«, schrie er.

Andy ging zu dem kleinen Loch in der Felsmauer, vor dem pulverisierter Staub herumtanzte. Von seinem Gürtel nahm er einen langen, dünnen Pickel, schob ihn in das Loch und grub vorsichtig herum. Als er ihn herauszog, nahm er einen kleinen blauen Stein mit, der ihm in die Hand fiel.

»Na, was sagst du jetzt? Das ist doch tatsächlich Tiranium in diesem Berg!«

Alan betrachtete den Stein und legte ihn in die Mustertasche. Sofort nahmen sie sich eine andere Wandstelle vor. Sie hatten noch kaum die Maschine eingeschaltet, als sie laut quäkte und auch nicht mehr aufhörte. »He, das scheint ein größeres Lager zu sein!«, rief Andy.

Schließlich gelang es ihm, eine lange, gerade Kante hinter dem Fels auszumachen. »Es könnte sein, dass da eine ganze Ader verläuft!«, rief er und schaltete das Bohrgerät auf höchste Leistung.

Die Höhlenwand vibrierte ständig, und langsam krümelte die Wand weg. Er war mit dem Bohrer schon etwa drei Fuß tief gekommen, als durch ein etwa fenstergroßes Loch silbriges Metall schimmerte. Da schaltete Andy schnell die Maschine ab.

»He, das ist aber kein Tiraniumlager«, stellte er verblüfft fest.

Alan war ebenso erstaunt. Man konnte noch nicht feststellen, was es war. Andy stellte den Bohrer wieder an und räumte den Fels zu beiden Seiten ab. Nach einer Weile hatte er eine Art Türen von ungefähr sieben Fuß Höhe und fünf Fuß Breite freigelegt. In dieser Tür stand zurückgesetzt ein Gehäuse, das wie ein großer Schrank aussah, aus transparentem Material bestand, mit glänzendem Metall eingefasst und im Übrigen staubig war.

»Da ist was drin«, erklärte Alan nach einem Blick aus der Nähe.

Andy schaltete das Gerät ab und holte die Lampe näher heran, damit mehr Licht in diese Höhlung fiel. Alan schluckte eine Menge Staub. »Darin ist ja jemand!«, rief er. »Ein Mann und ein Junge... wie Leichen sehen sie aus.«

»Der Fels ist doch seit Millionen von Jahren unberührt«, wandte Andy ein. »Was ist es denn?«

»Ich dachte...« Doch ehe Alan sagte, was er dachte, trat er direkt vor das Fenster und musterte die vom Staub unklaren Umrisse des Mannes im Gehäuse. Er hob eine Hand und wischte über dem Gesicht das Glas sauber. Doch als seine Hand das Glas berührte, wusch grünes, blendendes Licht darüber hin. Carter schrie, und seine Hand klebte am Glas, als stehe es unter Hochspannung. Er spürte, wie er ohnmächtig wurde. Dass er dann umfiel, wusste er nicht mehr.

»Alan, Alan!«, rief Andy und kniete neben ihm nieder. Zum Glück atmete Carter noch, wenn auch in flachen, angestrengten Stößen.

Dort, wo Alans Hand gelegen hatte, konnte Andy jetzt durch das Glas schauen. Er erblickte ein kräftiges, eckiges Gesicht und tiefe, große Augen, die ihn kalt anschauten.

In seiner unbeschreiblichen Angst suchte er sein Comm- lock, das Funksprechgerät, mit dem man gleichzeitig die Schließmechanismen der Türen betätigen konnte.

 

Der Unfalltrupp von Alpha ging sofort an die Arbeit. Einer der Techniker hatte das Sonarskop direkt vor dem geheimnisvollen Gehäuse aufgestellt und räumte sehr vorsichtig zu beiden Seiten den Fels weg. Tony Verdeschi überwachte das. Er und der Rest des Trupps vermieden es sorgfältigst, dieses Gehäuse zu berühren.

Alan lag inzwischen auf einer Trage, und Helena und Dr. Ben Vincent untersuchten ihn. Sie führte ein Bioscan über seine Brust und lächelte, als sie sah, dass er sich rasch erholte. Dr. Vincent wurde nicht mehr benötigt und versuchte herauszufinden, ob über die Wesen in dem Gehäuse etwas zu erfahren war. Die Vorderseite war nun mit einem Druckluftstrahl gesäubert worden, und jetzt ließen sich die beiden Leute darin klar erkennen. Es waren ein Mann und ein Junge von etwa vierzehn Jahren. Sie standen steif und aufrecht da wie Statuen, die Augen fest geschlossen.

Alan Carters Lider flatterten, und dann sah er Helenas Gesicht über sich. Sie lächelte ihn an und legte einen Druckinjektor mit einem leichten Schmerzmittel an seinen Arm.

»Wie unser Rettungsteam sagen würde, wenn sie einen abgestürzten Astronauten finden, der zwei Tage lang mit einem gebrochenen Arm, drei angeknacksten Rippen und einem angebrochenen Bein bewusstlos auf einem fremden Planeten lag - he, alles in Ordnung, Alter?«

Das Schmerzmittel hatte noch nicht gewirkt, und Alan setzte sich stöhnend auf. »Ich habe das Gefühl, mich hat ein verfluchtes Pferd getreten«, sagte er.

»Medizinische Diagnose: Prellung«, meinte Helena lachend.

Alan rieb sich den Nacken. »Kannst du leicht sagen. Du hast ja nicht meinen Kopf auf, Doc.«

Tony und Andy traten zu ihm, als Alan vorsichtig aufstand. Er nickte den beiden zu zum Zeichen, dass er sich schnell von seinem Schock erholte. »Nicht der edelste Körperteil getroffen, wenn es nur der Kopf ist«, meinte Tony und wollte wissen, weshalb er überhaupt im Tunnel sei.

»Ein bisschen Aufregung wollte ich«, erklärte Alan entrüstet. »Und die habe ich ja nun wohl.« Tony lachte. »Hat jemand schon Theorien über das Ding entwickelt?«

Helena und Andy schüttelten die Köpfe, doch Alan meinte: »Vielleicht ist das eine cryogenische Anlage. Eingefroren zur Wiederbelebung.«

»Wollen mal sehen«, sagte Helena und trat zu Dr. Vincent, der die medizinischen Sensoren auf das Gehäuse angesetzt hatte. Der kleine runde Skopschirm zeigte zwei gerade Lichtlinien. Sie drückte einen Knopf; die Lichtlinien verschwanden, dafür zeigte sich eine Temperaturskala des Gehäuseinnern: Temp. 4°C.

»Hm. Kühl ist es schon da drin, aber weit über den cryogenischen Temperaturen«, stellte sie fest. Helena drückte auf einen weiteren Knopf, worauf wieder die beiden geraden Linien erschienen.

Dr. Vincent zuckte die Achseln. »Kein Lebenszeichen, keine Gehirntätigkeit, kein Herzschlag, keine Atmung.«

»Dann vielleicht irgendeine Begräbnisform?« schlug Tony vor.

Helena runzelte die Brauen. »Ein bisschen zu viel Aufwand für ein Grab, meine ich. Von einem starken Kraftfeld umgeben. Wovor sollen die beiden beschützt werden?«

»Vor uns vielleicht?«

Andy wollte erst nicht unterbrechen, doch dann konnte er seine Gedanken nicht mehr für sich behalten. »Das ist kein Grab«, sagte er, und alle schauten ihn an. »Man begräbt doch Menschen erst, wenn sie tot sind, und der große Kerl da, der lebt.«

»Unsere Sensoren melden aber nichts, Andy«, sagte Helena.

Aber Andy schüttelte sich, als er an die großen, strengen Augen dachte, die er offen gesehen hatte. »Der Sensor hat das nicht gesehen, was ich gesehen habe. Als Alan nämlich stürzte, hat mich der Kerl angeschaut.«

Helena wandte sich an Alan. »Hast du so etwas gesehen?«

»Moment«, sagte da Andy, »du glaubst also, ich bin ausgeflippt?«

»Unter Stress meintest du, Alan sei tot«, erklärte Helena. »Da kann einem der Geist ganz schöne Streiche spielen.«

Andy marschierte vor das Gehäuse. Alle folgten ihm und schauten die beiden Gestalten an. »Aber ich habe ihn doch gesehen!«, rief Andy. »Die Augen waren weit offen!«

Tony schaute zur Oberseite des Gehäuses, und dort entdeckte er irgendein Muster am Metallrahmen. Er stieß Helena an und zeigte es ihr. Von einer Kugelform gingen flammenartige Kurven aus und liefen zu einer Spitze zusammen.

»Was könnte das bedeuten?«, fragte sie.

Alan besah sich das Zeichen ebenfalls. »Ich nehme an, es heißt, wenn jemand diesen Schrank da berührt, kriegt er einen schönen Schlag.«

Andy hielt diesen Gedanken für nicht sehr spaßig. »Ich meine aber, dass es heißt, wer das Gehäuse anrührt, wird getötet - so wie der Bursche mich angestarrt hat. Es war Mord in seinen Augen.«

»Helena!«, rief Dr. Vincent, und alle drehten sich zu ihm um.

»Eben habe ich einen Herzschlag aufgenommen«, meldete er aufgeregt.

An den Gestalten hatte sich jedoch nichts verändert. Tony ahnte plötzlich, dass sich Andy nicht geirrt hatte; er hatte also doch die offenen Augen des Mannes gesehen.

»Aber nur einen einzigen Herzschlag in der ganzen Zeit, die wir hier sind«, bemerkte er verwundert.

Helena steuerte einen anderen Gedanken bei. »Prüf mal das Luftvolumen in den Lungen nach... Vielleicht hat es sich seit Beginn der Überwachung irgendwie verändert.«

Die Frage klickte durch den Monitor, und Dr. Vincent las auf dem Skopschirm das Ergebnis ab: »In sieben Minuten 2,5 Millimeter Zunahme.«

»Er atmet ja!«, rief Helena, wunderte sich aber über die außerordentlich niedere Frequenz.

Das allgemeine Interesse konzentrierte sich nun ganz auf das Kabinett. Die wichtigste Frage war gelöst, das Geheimnis hatte sich dafür vertieft.

»Und wie bekommen wir die beiden jetzt heraus?«, fragte Helena.

Tony bückte sich und hob einen Stein auf. Er zielte und schnippte ihn mit dem Daumen gegen das Glas. Es blitzte grün, etwas schnappte laut, das Kraftfeld hatte es vernichtet.

»Sehr vorsichtig«, meinte er.

Der Techniker, der am Sonarskop arbeitete, hatte an der einen Seite die Steine weggeräumt, so dass sich die Tiefe des Gehäuses feststellen ließ. Ein großer Brocken Mondstein polterte herab. Nun zeigte sich, dass ein kleiner schwarzer Kasten weit hinten an der Seite befestigt war.

»Mr. Verdeschi!«, rief der Techniker. »Schauen Sie sich das mal an!«

Tony drängte sich in die Öffnung. Ein kleines Viereck ragte etwa zwei Fingerbreit über die Seite hinaus. An dessen Vorderseite befanden sich etliche Knöpfe und Skalen, für deren Benennung ein Kode benützt worden war, der ihnen gar nichts sagte.

Alan und Helena zogen das Sonarskop aus dem Weg und folgten dem Techniker. Alan vergaß, die nach oben gerichtete Skopröhre abzuschalten.

»Das muss die Energiequelle sein«, meinte Tony.

Alan nickte. »Und die Instrumentenkontrolle. Kannst du damit umgehen?«

Tony warf einen Stein gegen das Kästchen; er prallte unbeschädigt ab. »Berühren kann man das Ding«, stellte er fest. »Aber welcher Knopf tut was?«

»Erst müssen wir herausfinden, wie das Kraftfeld abgestellt wird«, riet Helena. »Wäre nur Maya hier! Sie hätte das in einer Sekunde gefunden. Vielleicht sollten wir sie herunterkommen lassen.«

Plötzlich krachte es oben, und ein kleiner Steinschauer rieselte auf sie herab. Alle schauten nach oben und sahen einen tiefen Spalt, der sich rasch über die Höhlendecke verbreiterte.

»Oh, verdammt noch mal, der Bohrer ist nicht abgeschaltet!«, rief Alan.

Der Hauptriss verzweigte sich wie ein Blitz, auch mit dem gleichen Tempo. Und dann stöhnte der Fels, und die Gewölbedecke gab allmählich nach. Eine riesige Felsplatte neigte sich über ihnen abwärts.

Alan drehte das Skop sofort ab, doch oben breitete sich die Unruhe im Stein noch weiter aus. Tony winkte alle zurück in den Tunnel. Grüne Funken flogen, als ein Steinregen gegen das Kraftfeld flog und abprallte.

»Zurück, alles zurück!«, schrie Tony.

»Tony, wir können sie doch nicht einfach im Stich lassen!«, wandte Helena ein.

»Helena, weg mit dir!«

»Sie leben doch! Wir können sie nicht sterben lassen!«

Tony zögerte, tat einen Satz in die Nische neben dem Kästchen, fand einen roten Knopf, der ihm als der Wahrscheinlichste vorkam, biss die Zähne zusammen und drückte ihn fest hinab. Plötzlich hörten die Steine auf, mitten in der Luft zurückzuprallen und klickten und klackten nun an das Glas des Gehäuses. Noch wusste er aber nicht, wie das Kabinett zu öffnen war.

Er suchte gerade einen anderen Knopf heraus, als ein großer Teil der losen Platte herabpolterte. Da jetzt kein Kraftfeld mehr das Glas schützte, ging es von dem Anprall in Trümmer. Der ältere Mann innen kippte nach vorne und rollte direkt vor Helena.

Tony und Alan schleppten den Mann in einen sicheren Höhlenteil, und wieder kam ein Stück der Decke herab.

»Der Junge!«, rief Alan. Tony versuchte seinen Arm festzuhalten, denn der Rest der Höhlendecke konnte im nächsten Moment herunterkommen. Nun konnte Alan den Jungen herausholen und hob ihn auf die Arme. Ein dicker Felsbrocken fiel ihm auf den Fuß. Mit einer gewaltigen Anstrengung befreite er ihn und war mit ein paar Sätzen einigermaßen in Sicherheit.

Mit Donnergepolter stürzten nun viele Tonnen Fels herab, so dass der ganze Höhlenboden bebte. Alan warf sich an der Wand auf den Boden und schützte den Jungen mit seinem Körper vor den herumfliegenden Steinen.

Als das Rumpeln aufhörte und der Staub sich zu setzen begann, ließ Alan den Jungen zu Boden gleiten und wischte sich und ihm den Staub vom Gesicht. Tony kniete neben ihm nieder. »Diesmal hast du aber mit deinem Glück gespielt«, sagte er.

»Er ist doch noch ein Kind«, sagte Alan. »Ich konnte ihn nicht umkommen lassen.«

Helena arbeitete schon an dem Mann, um festzustellen, ob er verletzt war. Dr. Vincent half ihr mit dem Bioscan und hielt es über die Brust des Mannes.

»Ein Herzschlag!« stellte er erstaunt fest. »Und auch Gehirntätigkeit. Wird lebhafter«, fügte er hinzu.

Dann begann sich der Mund des Mannes zu bewegen. Lippen hatte er kaum, sondern nur eine farblose, strenge Linie, die sich schwach öffnete. Mit knarrender, angestrengter Stimme sagte er: »Etrec! Etrec!«

»Das muss wohl der Junge sein«, sagte Dr. Vincent.

»Nimm den Monitor mit zu ihm«, schlug Helena vor.

Das tat Vincent, und Helena versuchte den Mann zu beruhigen. »Nicht aufregen«, sagte sie. »Kommt schon alles in Ordnung.«

Immer wieder formte der Mund des Mannes das gleiche Wort. Dann bewegte sich seine Hand in die Richtung, wo der Junge lag. Helena berührte seine Brust zum Zeichen, er möge sich still verhalten und ging zum Jungen hinüber.

Dr. Vincent schaute vom Monitor auf. »Ich habe einen Herzschlag festgestellt.«

»Reinen Sauerstoff zuführen«, befahl Helena.

Dr. Vincent nahm aus seiner Ausrüstung eine Atemmaske und legte sie über das Gesicht des Jungen. »Und jetzt die Brust pumpen«, wies Helena an.

Während Vincent regelmäßig den kleinen Brustkorb zusammendrückte und losließ, um die Atmung anzuregen, nahm Helena eine rasche Untersuchung auf Verletzungen vor. Erleichtert stellte sie fest, dass nichts zu fehlen schien, und sie freute sich dann, als sie sich davon überzeugte, dass Gehirn und Herz von Minute zu Minute besser arbeiteten.

Während sie noch den Jungen beobachteten, rührte sich der Mann hinter ihnen. Er öffnete die Augen und wandte den Kopf hin und her, um zu sehen, wo er war.

Erst sah er nur die Rücken der Leute, die sich über Etrec beugten. Seine Miene wurde zu einer Hassgrimasse, und in der Haut seiner Stirn zeigte sich ein Licht, das immer stärker, aber auch entsetzlicher wurde, etwa so, als sei ein heißes Brandeisen unter der Haut eingepflanzt. Dieses Licht bildete das flammenähnliche Symbol, das sie auch auf der Metallleiste des Kabinetts gefunden hatten.

Seine Augen entdeckten einen im Licht schimmernden Pickel, den einer der Leute des geologischen Teams verloren hatte. Mühsam griff er danach, und wie in Verzweiflung schlossen sich seine Finger um den Stiel. Die Anstrengung war aber zu groß für ihn. Er seufzte und fiel bewusstlos zurück.

Dr. Vincent lächelte die besorgten Gesichter um ihn herum an. »Gehirn und Herz kräftigen sich sichtlich«, berichtete er. »Gehirn sieben-sieben-drei und steigend. Herz vierzigvier... vierzig-fünf... vierzig-sechs. Steigt beständig an.«

Alan sah Helena an. »Ist er soweit sicher?«

Sie nickte. »So sicher wie wir alle.« Sie stand auf und gähnte, um ihre Gesichtsmuskeln zu entspannen. Sie warf einen Blick zu dem älteren Mann hinüber, der noch so dalag wie vorher. Ihre Augen schmerzten von dem Staub, der noch immer in der Höhle hing, und deshalb störte sie auch das rote Glühen über seiner Stirn nicht, das langsam verschwand. Sie hielt es für eine optische Täuschung und dachte nicht weiter darüber nach.

 

 

 

Sechstes Kapitel

 

 

Die beiden Fremden lagen nebeneinander im Lazarett und waren ganz ruhig. Im Schlaf waren die Gesichter totenähnlich leer wie im Kabinett. Aber jetzt hatte Helena immer nur den Lebenssystemmonitor nachzuprüfen, um sich zu überzeugen, dass alles gut weiterging. Sie sah sogar, wie sich die Brust der beiden in tiefen, rhythmischen Atemzügen hob und senkte.

Müde rieb sie sich die Augen. Es war ihr gar nicht recht, dass John zu einem Notfall im Blauen Quadranten der Minenüberwachung gerufen worden war. Sie hatte keine Ahnung, welche Kommunikationsprobleme sich ergeben könnten, wenn die beiden aufwachten, und deshalb wäre es ihr viel lieber gewesen, er hätte dabei sein können, um zu helfen. Wäre nur wenigstens Maya in Reichweite! Aber sie hatte John begleiten müssen. Nun, sie musste es eben allein den beiden so behaglich wie möglich machen, damit sie sich willkommen fühlten.

Sie schaltete das Aufnahmegerät auf ihrem Tisch ein, um den täglichen Bericht einzugeben. »Mondbasis Alpha, Abteilung Medizin. Bericht: Dr. Helena Russell. Meldung eines besonderen Vorkommnisses. Ausgrabungsentdeckung... medizinisch. Beide Subjekte sind ruhig. Herzanregungsmittel nicht mehr nötig.« Sie machte eine Pause, da Dr. Vincent mit neuen Testdaten kam. Die sah sie durch und nahm ihren Bericht dann wieder auf. »Ständige Überwachung aller Körperfunktionen. Voranalyse deutet darauf hin, dass Zellstruktur und Metabolismus neun-eins-Punkt-sieben Prozent der menschlichen Norm aufweisen. Kleinere Unterschiede in Blutzusammensetzung und Gehirnmuster. Weitere Tests werden durchgeführt.«

Helena schaltete das Gerät ab und ging zu Dr. Vincent hinüber, dem von einem Pfleger assistiert wurde.

»Wie gut schlafen sie?«, wollte sie wissen.

Der Pfleger musterte die gezackte Kurve der EEG-Aufzeichnung. »Sie schlafen sehr tief«, meldete er.

»Natürlich oder mit Sedativ?«

»Sedativ«, antwortete Dr. Vincent. »Sie bekommen noch Somnol.«

»Absetzen«, befahl Helena, und der Pfleger nahm die Osmosepflaster von den Unterarmen der Fremden.

Dr. Vincent nickte. »Alle Daten stabil. Sollen wir den Computer programmieren, um detaillierte funktionelle Analysen zu bekommen?«

Helena sehnte sich danach, ein paar Stunden lang ausruhen zu können, aber dazu war jetzt keine Zeit. Dr. Vincent brauchte sie, da ja auch noch andere Patienten zu versorgen waren.

»Na, gut. Machen wir weiter«, sagte sie.

In dem Augenblick, als sich die Tür des Krankenzimmers hinter den Ärzten und dem Pfleger geschlossen hatte, öffnete der Mann die Augen. Er schaute sich um, so gut es ihm möglich war, ohne den Kopf zu bewegen, um sich davon zu überzeugen, dass er mit Etrec allein war.

Langsam und sehr vorsichtig setzte er sich auf und ließ sich vom Bett gleiten. Er ging zu Etrec hinüber, der noch immer schlief. Das Gesicht des Jungen war glatt und sehr blass. Zärtlich legte der Mann dem Jungen eine Hand aufs Gesicht. Er war sehr traurig.

Die Berührung ließ Etrecs Augen flattern, erst vor Angst, doch dann schaute er erleichtert auf, als er den Mann erkannte. »Pasc!«, sagte er glücklich, »sind sie zurückgekommen? Haben sie eine Möglichkeit gefunden?«

Pasc schüttelte betrübt den Kopf. »Wir sind unter Fremden. Es gibt nichts außer unserem eigenen Weg.«

Die Augen des Jungen weiteten sich vor Angst. »Nein, Pasc! Nein! Vielleicht können die Fremden helfen.«

»Für mich gibt es keine Hilfe. Bald wird es auch keine mehr für dich geben.«

Ein Gedanke ging durch Etrecs Geist, eine vage Erinnerung an sein Schicksal; er hob eine Hand an die Stirn. Pasc schob sie sanft weg. »Noch nicht«, sagte er.

Etrec war erleichtert. »Bitte, lass nicht zu, dass es kommt.«

»Ich kann es nicht aufhalten.« Bei ihm selbst begann sich das Flammenemblem wieder zu zeigen.

»Doch, du kannst«, beharrte Etrec. »Töte mich.«

»Nein, das kann ich nicht.«

»Warum nicht? Du hast auch Lok und Kerak getötet.«

Pascs Gesicht drückte einen unheimlichen inneren Schmerz aus, und das Symbol glühte noch stärker; es war ein Leuchtfeuer roter Hitze. »Ich brauche dich«, flüsterte er verzweifelt, »und die Zeit wird kommen, da du auch mich brauchst.« Er wandte sich ab und ließ sich wieder auf sein Bett nieder. Sorgfältig kontrollierte er seine Emotionen, und bald fühlte er, dass das scharlachrote Mal verblasste. Er wusste, es musste sehr schnell etwas geschehen. Dann entdeckte er eine dicke Rolle Mullbinde auf dem Nachttisch.

 

Als Helena hörte, Commander Koenig werde in ein paar Minuten über Radio die Kommandozentrale anrufen, lief sie, um mit ihm reden zu können. Yasko und Tony waren gerade dabei, den Kontakt herzustellen, als sie ankam.

»Eagle Eins«, sagte Yasko, »hereinkommen, Eagle Eins. Mondbasis Alpha, Kanal klar.«

Der große Schirm wurde klar, und langsam formte sich ein Bild der Pilotenkabine von Eagle Eins. Der Empfang war sehr schlecht, das Bild war mehrfach unterbrochen und wie in Scheiben zerschnitten. Ein paarmal verschwand es völlig.

»Eagle Eins an Mondbasis Alpha. Habt ihr Empfang?«, fragte Koenig.

Yasko stellte das Gerät nach, um eine bessere Bild- und Tonqualität zu erreichen. »Nicht sehr gut, Commander«, berichtete sie. »Es gibt zu viele Interferenzen.«

»Das wundert mich nicht«, antwortete er. »Wir sind mitten in einem Meteorsturm. Die Überwachungsgruppe hier wurde schwer getroffen. Sehr große Teile der Ausrüstung sind zerstört oder beschädigt, und einige Männer sind unter Grund eingeschlossen. Es könnte sein, dass wir den Kontakt mit euch wieder verlieren, also müssen wir uns kurzfassen.«

Tony schaltete sich besorgt ein. »Ich schicke euch eine zweite Eagle zur Unterstützung, wenn es nötig ist, Commander.«

»Nicht nötig, Tony. Spar den Treibstoff. Maya und ich werden schon damit fertig. Ist Helena in der Nähe?«

Helena schaltete ihre Konsole auf den Hauptschirm, so dass Koenig sie auf dem Schirmempfänger der Eagle Eins sehen konnte. »Hier, John.«

»Gibt es etwas Neues über eure Besucher?«

»Sie schlafen noch. Wir machen eine volle medizinische Analyse. Alle Tests zeigen sie bisher an der Grenze der menschlichen Normen.«

Koenig nickte. »Etwas hinzuzufügen, Tony?«

»Planet unbekannt, Commander«, berichtete er knapp. »Keine Identifizierung. Können noch nicht fragen. Bis wir das tun können, bleibt ein Faktor X.«

»Bis ihr Genaues wisst, behandelt die beiden auch als Faktor X«, riet ihm Koenig im Ton einer Warnung.

Als die Stimme kam, waren sie alle verblüfft, sogar Koenig, der sie nur durch einen Störschleier hörte. Die Stimme war stark, voll und von einer merkwürdigen Klarheit und erinnerte an ein scharfes Schwert.

»Und was wollt ihr wissen?«, fragte die Stimme.

Alles Personal in der Kommandozentrale drehte sich zur Tür um, durch die gerade der Mann und der Junge kamen. Sie trugen ihre einfachen, silberfarbenen einteiligen Anzüge, und der ältere Mann hatte um den Kopf einen Turban- ähnlichen Verband. Auch Koenig konnte die beiden sehen, da Yasko die Geistesgegenwart besaß, die Weitwinkelkamera einzuschalten, die den ganzen Raum erfasste.

Die beiden nahmen neben Helena Aufstellung. Alan Carter erholte sich rasch von seinem Staunen und kam herangelaufen. »He, Cobber!«, rief er und tätschelte Etrecs Schulter. Der Junge war schmal, und er stand wie ein Turm über ihm. »Fein, dass du wieder auf bist.«

Etrec war verwirrt. »Cobber?«, fragte er.

Alan strahlte ihn an. »Das heißt, dass du ein Kumpel bist, ein Freund. Vielleicht weißt du's nicht mehr, aber ich bin der Bursche, der dich aus diesem Höhleneinbruch rausgezogen hat.«

Etrec verstand kaum, was man zu ihm sagte, aber er mochte den großen blonden Mann sofort.

Pasc erklärte Helena, warum sie sich so schnell erholt hatten. »Unser System baut ein Sedativ, wie ihr sagen würdet, viel schneller ab als das eure.«

»Und was ist mit deinem Kopf?«, fragte sie.

Er gab sich so harmlos, dass man ihm glauben musste. »Nur ein Kratzer. Mein Gleichgewicht war noch nicht ganz in Ordnung, als ich aufstand. Ich schlug mit dem Kopf an die Wand.«

Sofort griff Helena nach oben, um einen Blick auf die Wunde zu werfen, aber Pasc fing ihre Hand sanft ein. »Bitte«, sagte er. »Das kann ich nicht erlauben. Auf Archanon hat das Blut eines Mannes eine sehr tiefe geistige Bedeutung.«

Mayas Stimme kam nun durch die Lautsprecher der Zentrale. »Archanon?« Alle schauten auf den Schirm und sahen, dass sie neben Koenig getreten war. »Archanon...«, sagte sie noch einmal, als versuche sie sich an etwas zu erinnern.

Niemand sah, dass Pasc vor Angst zusammenzuckte, denn alle schauten Maya an. Jemand hatte den Namen seines Heimatplaneten erkannt. Aber schnell legte er sein Gesicht wieder in ruhige Falten.

Maya wusste es plötzlich. »Das ist der Planet des Friedens«, erklärte sie, und Pasc war sofort erleichtert.

»Ja, wir sind Archanonen, die Friedensbringer. Ich bin Pasc, und das ist Etrec, mein Sohn.«

»Auf Psychon«, sagte Maya, »haben wir Legenden von anderen Raumreisenden gehört. Legenden von den Friedensbringern. Vom Sieg Gottes über das Böse.«

Unvermittelt begann das Bild auf dem großen Schirm zu hüpfen und aufzubrechen. Statt Mayas Stimme kam ein Rattern und Prasseln, und Yasko bemühte sich fieberhaft, den Kontakt auf einer anderen Frequenz wieder herzustellen.

»Es hat keinen Sinn, wir haben sie verloren«, stellte Tony fest. »Halt mal einen Kanal offen. Sie werden sich mit uns wieder in Verbindung setzen, sobald es eine Sturmpause gibt.«

Helena wandte sich nachdenklich an Pasc. »Der Sieg Gottes über das Böse?«, fragte sie.

»Auf Archanon war Gewalttätigkeit ungesetzlich. Wir ersetzten bei unseren eigenen Menschen das Böse durch Gott. Dann schickten wir Botschafter in das ganze Universum, so dass auch andere sahen, wie das geschehen konnte. Ich war der Führer einer solchen Mission.«

»Ihr hattet aber nicht viel Erfolg, und dabei seid ihr von so weit hergekommen«, warf Tony ein.

Pasc hob die Hand zu einer beschwichtigenden Geste. »Oh, man braucht Zeit, um alle Lebewesen zu erreichen.« Sein Gesicht wurde grimmig. »Aber einen totalen Misserfolg erlebten wir erst, als wir das Sonnensystem erreichten. Meine Mission endete auf eurem dritten Planeten, der Erde. Wir hatten einen Stützpunkt und Beobachtungsposten auf dem Mond. Wir sahen ungeheuer viele Gewalttaten und glühenden Hass. Meine Frau, Lyra, flehte mich an, die Erde ihrem Schicksal zu überlassen, doch ich überstimmte sie. Wir hielten uns für immun, als wir auf die Erde kamen, genau wie Ärzte, die sich in ein Pestgebiet begeben. Aber wir waren es nicht. Nur Etrec und ich entkamen der Verseuchung. Als wir zu unserem Mondstützpunkt zurückkehrten, meuterte die ganze Besatzung. Wir wurden überwältigt und in Stasis versetzt, während die Mannschaft ihren Wahnsinn... euren Wahnsinn in die entferntesten Winkel des Universums trug.«

Lange herrschte Schweigen nach dieser grausigen Erzählung. Pascs Stimme hatte alles ungeheuer lebendig erscheinen lassen. Aber dann kam Alan ein verwirrender Gedanke.

»Warum aber diese Stasiskammer?«, fragte er. »Warum töteten sie euch nicht?«

Pasc lächelte zu dieser Frage, aber das war eine Reaktion panischer Angst, als er sich die Antwort überlegte. »Das konnten sie nicht«, entgegnete er nervös.

»Meinst du, die Archanonen können nicht sterben?«

»Sie können nicht töten... Auch dann nicht, wenn sie krank sind.« Während Pasc sprach, trat Etrec zu ihm und schaute unsicher und erwartungsvoll zu ihm auf.

»Was ist mit dieser Krankheit?«, wollte Helena wissen.

Pasc räusperte sich und schaute weg, als habe er die Frage nicht recht begriffen. »Es ist ungeheuerlich, einem anderen das Leben zu nehmen, sogar unmöglich für die Rasse der Archanonen«, sagte er.

»Und deine Frau?«, fragte Helen sanft. »Was geschah mit ihr?«

Pasc lächelte traurig. »Sie führte die Meuterer an. Sie hat uns auch in diese Kammer gesperrt.«

Etrec holte keuchend Atem und brach zusammen, doch Tony fing ihn noch rechtzeitig auf. Vorsichtig ließ er ihn auf den Boden nieder. Helena fühlte dem Kind den Puls. »Vorwiegend Erschöpfung«, stellte sie fest. »Ich lasse ihn ins Lazarett bringen.«

»Ich trage ihn schon hin«, bot Alan an, denn er hatte den Jungen gern und machte sich Sorgen um ihn. Dass er ihn aus dem Höhleneinbruch gerettet hatte, war die Ursache einer ehrlichen Freundschaft, und Kinder mochte er sowieso gern. In der Mondbasis gab es keine, obwohl es genug verheiratete oder ausreichend verliebte Paare gab. Koenig hatte angeordnet, dass man die Zeugung von Kindern nach Möglichkeit vermeiden müsse, bis die Zukunft Alphas sicherer sei.

Während Helena wieder Tests durchführte, blieb Alan bei dem Jungen. »Organisch fehlt gar nichts«, erklärte sie ihm, »aber es gibt da noch einige Einzelheiten in der physischen Struktur, die wir nicht ganz verstehen.«

»Er sieht aber auch nicht anders aus als wir.«

»Es ist innen, Alan. Das, was wir mit den nackten Augen nicht sehen können. Wir werden mit Hologrammen, Röntgenaufnahmen und einer ganzen Testreihe darangehen.«

Etrec stöhnte und hob den Kopf von den Kissen. Seine Augen waren verängstigt und verwirrt. »He, Cobber«, sagte Alan und lachte ihn an. »Wie geht es dir?«

Etrec erkannte ihn und lächelte. »Hunger«, sagte er.

Alan lachte lustig und wandte sich an Helena. »Siehst du, Doc, alles, was dem Jungen fehlt, ist eine ordentliche Mahlzeit - in tausend Jahren.« Er half Etrec, dass er sich aufsetzen und aus dem Bett gleiten konnte. »Jetzt hör mir mal zu. Ein Stück weiter vorne ist ein Raum. Dort gibt's Hamburger, wie du sie gar nicht für möglich hältst.«

»Hamburger?«

»Na, ja, ein bisschen hydroponisches Soya ist auch drin, aber schmecken tun sie wie ganz echte... Okay mit dir, Doc?«

Sie nickte. »Aber nicht übertreiben. Er hat ja seit tausend Jahren, wie du sagst, nichts gegessen.«

Helena verließ den Raum, und Alan passte auf, als Etrec ein paar wackelige Schritte tat. Er reichte ihm einen stützenden Arm. »Kannst du's schaffen?«, fragte er.

Niemand bemerkte es, als Pasc lautlos in den Raum schlüpfte. In der Hand hatte er ein Skalpell, und seine Augen hingen starr an Alans Rücken.

»Ich sag dir was«, schlug Alan vor. »Ich trage dich lieber.«

Da entdeckte Etrec hinter Alan den sich heranschleichenden Pasc, dessen Miene er natürlich mühelos deuten konnte. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Bitte. Ich möchte lieber gehen.« Seine Loyalität verbot es ihm aber, seinen Vater zu verraten, aber gleichzeitig wollte er nicht dabeistehen und zusehen, wie sein Freund... »Bitte...«, sagte Etrec und hob die Arme.

Alan bückte sich und deutete auf seine Schultern. »Du brauchst nur raufzuklettern, dann spielen wir Hoppereiter«, sagte er.

Das tat Etrec, und Alan drehte sich um. Pasc hatte das Skalpell hinter seinem Rücken versteckt und brachte sein Gesicht wieder in unverdächtige Falten. Alan war zwar verblüfft, als er ihn sah, doch er lächelte ihn freundlich an.

»Wir wollen eben einen Happen essen. Magst du mitgehen?«, fragte er.

Pasc schüttelte den Kopf. Er wagte es nicht, zu sprechen, denn in seiner Brust spürte er einen Knoten der Spannung, und die Hitze unter der Stirnbandage meldete sich wieder. Er schaute Alan nach, der Etrec aus dem Raum trug, und sein Sohn sah ihn einen Augenblick lang an. Dann war er allein. In seinem Ärmel fühlte er das tödliche Skalpell.

 

 

 

Siebtes Kapitel

 

 

Auf dem Schirm des Lazaretts zeigten sich klar und scharf die Blutzellen in einer vieltausendfachen Vergrößerung. Helena und Dr. Vincent konnten jede Kleinigkeit deutlich erkennen. Helena wusste auf den ersten Blick, dass es sich nicht um menschliches Blut handelte, da gewisse Zellstrukturen wesentliche Unterschiede aufwiesen. Sie wusste jedoch nicht, wie sich diese Unterschiede auf den Organismus, von dem dieses Blut stammte, auswirken mussten. Im Moment interessierte sie auch viel mehr ein sternförmiges Gebilde im Zellkern, von dessen Spitzen fühlerähnliche Fortsätze ausgingen.

»Was meinst du?«, fragte Dr. Vincent.

»Es ist zwar archanonisches Blut, aber ich bin sicher, dass dies ein Virus ist. Schau mal, hier diese unklare Fühlerspitze... Dieses Virus scheint noch lebendig zu sein. Prüfen wir einmal Etrecs Blut nach.« Das Bild auf dem Schirm veränderte sich, war aber dem ersten ziemlich ähnlich. Diesmal war aber das vorher sternförmige Gebilde kugelig und hatte statt Spitzen nur vage Andeutungen davon.

»Sonst ist es das gleiche Virus wie bei Pasc, nur sind die Spitzen nicht ausgebildet, und die Fühler sind kaum angedeutet.«

»Könnte das ein totes Virus sein?«, fragte Dr. Vincent.

»Latent. Das wissen wir aber nicht sicher, ehe wir es isoliert und ein paar Tests damit gemacht haben.« Sie schaltete den Schirm ab. »Wir holen beide wohl besser herein.«

 

Tony und die Techniker kamen mit dieser Energiezelle nicht weiter. Stundenlang hatten sie schon daran herumgerätselt, und noch immer war sie nicht mehr als ein kleines schwarzes Kästchen mit Zeigern und Knöpfen. Der Computer konnte die paar Symbole nicht entziffernd mit der Begründung, darüber habe er keine Informationen. Und sie hatten darüber hinaus nicht die geringste Ahnung, wie sie das Ding öffnen könnten, um hineinzuschauen.

Als Alan und Etrec ankamen, zuckte Tony die Achseln und gab einen völligen Misserfolg zu. »Pasc ist unterwegs, wir müssen auf ihn warten«, sagte er.

»Und was ist mit dir, Kumpel?«, fragte Alan den kleinen Etrec. »Hast du die Kombination zum Safe?«

Etrec begriff die Frage und schüttelte den Kopf. »So weit bin ich in meinem Studium in der Mechanik der Energieträger noch nicht gekommen. Ich war erst bei der Analyse der Wellenpartikel.«

Die Techniker drehten sich um, weil sie ihr Lächeln verbergen wollten, doch sie waren beeindruckt. Die Tür ging gerade auf, und Pasc kam herein. Seine Miene wirkte gelangweilt.

»Vater müsste es aber wissen«, bemerkte Etrec hilfreich.

Pasc hob die Brauen und zuckte die Achseln. »Im ganzen Universum ist es ja immer so. In den Augen des Sohnes ist der Vater eine unerschöpfliche Quelle des Wissens. In diesem Fall, wie in allen anderen, ist das Vertrauen jedoch nicht ganz gerechtfertigt.«

Etrec legte die Stirn in Falten. »Aber du weißt doch alles über...«

»Als Commander dieser Expedition war ich eigentlich nur Koordinator. Ich hatte für all diese Sachen meine Spezialisten.« Pasc wandte sich zum Gehen.

»Du kannst uns doch sicher zeigen, wie das Ding hier aufgeht und arbeitet«, sagte Tony schnell.

Pasc zögerte. Er schien nach einer Ausrede zu suchen, aber so schnell fiel ihm keine ein. Er trat zum Tisch mit dem schwarzen Kästchen und legte seine Hände an zwei Seiten. Vorsichtig drückte er, eine Seite schnappte auf, so dass man hineinschauen konnte.

Alle drängten sich heran. Pasc griff hinein. Er brachte ein nussähnliches Gebilde aus Kristallen und Drähten heraus, doch er ließ es sofort aus der Hand fallen.

»Ich weiß, was es ist«, rief Etrec. »Das ist ein Monitortransmitter.«

Pasc unterbrach ihn. »Beim Planetenfall eingesetzt. Um die Einheit und das Team aufzufinden, das es benützte.«

Tony musterte den winzigen Mechanismus. »Ja. Wir haben auch solche Geräte... aber die sehen ganz anders aus.« Seine Stimme klang ziemlich misstrauisch. »Komisch, dass es da drin blieb... Sie wollten wohl einmal zurückkommen. Wie steht es mit der Reichweite?«

»Ich bin ganz sicher, dass sie nicht wieder zurückkommen wollten«, erklärte Pasc brüsk, um Tonys Misstrauen zu zerstreuen. »Es war nur ein Standardbestandteil der Einheit. Die Reichweite... Nun ja, wie sie eben gebraucht wurde.«

Pasc war erleichtert, als Tonys Comlock zu piepen begann. Er schaltete den Miniaturschirm ein und sah Helena. »Verdeschi«, meldete er sich.

»Sind Pasc und Etrec bei euch, Tony?«, fragte sie.

»Ja.«

»Bitte, schick sie sofort zum Lazarett. Sofort, bitte. Es ist sehr wichtig.«

Tony zögerte, sie gehen zu lassen. Pasc sagte, wie sie alle wussten, nicht die Wahrheit, aber ein paar sorgfältig gestellte Fragen mochten den Grund dafür enthüllen. Außerdem war noch etwas in dem Kästchen, und sogar Etrec würde etwas darüber wissen.

Aber Pasc drängte nun plötzlich zum Gehen und zog Etrec mit sich. »Wenn die Doktorin sagt, es sei wichtig, dann müssen wir wohl gehen«, bemerkte er.

Als er dann das Labor verlassen hatte und niemand in Sicht war, zerrte Pasc seinen Sohn eiligst mit sich.

»Aber Pasc, das ist doch nicht der richtige Weg«,-protestierte Etrec.

»Wir gehen auch nicht zum Lazarett, sondern dorthin.« Er lief noch schneller. »Dieser Monitortransmitter ist auf die Frequenz von Archanon eingestellt. Und auf Archanon wissen sie, dass wir frei sind.«

»Dann werden sie kommen und uns holen?«, fragte Etrec furchtsam.

»Aber wir werden nicht da sein«, antwortete Pasc wütend. »Wir werden einen von diesen Eagles nehmen und fliehen. Irgendwohin, wo wir uns in Ruhe niederlassen können.«

 

Alan kehrte zum Tisch zurück, auf dem das merkwürdige Kästchen in einem Punktlichtkegel stand. Andy ging darum herum, damit er es nicht berühren musste, es aber doch von der anderen Seite her sehen konnte. Seit er zufällig die Oberseite geöffnet hatte, wollte er kein Risiko einer Beschädigung eingehen.

In dem Kästchen konnte er ein streichholzschachtelgroßes undurchsichtiges Oval erkennen, darunter eine Reihe glänzender Metallstäbchen, die in Vertikallöchern steckten. Vorsichtig zog er eines davon heraus, um es genauer anzusehen.

Andy kratzte sich den Kopf. »Weshalb meinst du, das könnte ein Aufzeichnungsgerät sein? Vom Elektroschreibstift bis zur Briefwaage ist das doch alles möglich.«

»Das ist aber... nun ja... dieses kleine Ding hier... es könnte ja ein Bildschirmchen sein. Nur so eine Ahnung, meine ich.«

Johnson nahm den Stab aus Alans Hand und betrachtete ihn. Das eine Ende war konkav, das andere konvex. Sonst war nichts Besonderes daran. Er versuchte das Ding wieder in das Loch zurückzustecken, doch es ging nicht ganz hinein.

Alan grinste und zog das Stäbchen wieder heraus. »Mein Freund, dir fehlt das feinere Gefühl.« Er hatte nämlich bemerkt, dass alle anderen Stäbchen das hohle Ende oben hatten, und so steckte er es nun hinein. Plötzlich leuchtete der winzige Schirm auf, und ein Miniaturbild von Pasc zeigte sich. Seine Stimme war durch einen versteckten Lautsprecher zu vernehmen.

»Vier-null-zwei-acht-zwei-sieben. Dringen in kleines Sonnensystem Sektor GL, drei-drei K ein. Dritter Planet scheint primitive Lebensformen aufzuweisen.«

»He, Alan, du hast es geschafft!«, rief Andy. »Das ist ja eine Datenbank!«

Schritte näherten sich dem Labor. Sie lenkten sie ab. Carson, einer der Männer von der Sicherheit, kam herein, und Pasc und Etrec folgten ihm.

»Ist Mr. Verdeschi noch da?«, fragte Carson. »Ich habe unsere Freunde gefunden. Sie haben sich verirrt. Sie liefen in der Nähe der Eagle-Hangars herum.«

Johnson kam herbeigelaufen. »Mr. Pasc!«, schrie er. »Ich bin froh, dass du da bist. Schau dir mal das an!«

»Dr. Russell braucht die beiden aber«, wandte Carson ein.

Alan winkte ab. »Wir bringen sie schon hinüber. Carson, du kannst dich jetzt wieder verziehen.«

»Ist mir schon recht. Meine Füße tun mir vom Herumlaufen sowieso schon weh.« Er winkte und ging weg.

Sehr vorsichtig ging Pasc ins Labor und zum Tisch, auf dem das Kästchen stand. »Was soll ich mir da ansehen?«, fragte er Andy.

»Das...« Andy schob ihm das Kästchen zu und griff aus, um das Stäbchen wieder hineinzudrücken. »Wir spielen es noch einmal ab.«

Der Schlag kam ganz überraschend, landete auf seinem Hinterkopf und knallte sein Gesicht auf den Tisch. Lichter explodierten, kalte Schwärze hüllte ihn ein, dann brach er zusammen. Er schlug heftig mit dem Schädel auf.

Alan wusste nicht, weshalb Pasc das getan hatte, doch er reagierte sehr schnell. Aber Pasc war bereit und packte ihn mit beiden Händen an der Kehle. Sie rangen miteinander, stießen Stühle um und krachten gegen eine Wand.

Alan fühlte, wie sein Bewusstsein schwand. Die Augen quollen ihm aus dem Kopf, und in seinen Ohren dröhnte es. Etrec schrie schrill, Pasc solle sofort aufhören. Verzweifelt packte er nach Pascs Kopf und riss ihm die Bandage ab. Darunter kam das brennendrote schreckliche Flammenzeichen zum Vorschein.

Alan wandte alle Kraft der Verzweiflung auf und entwand sich dem Griff des Archanonen. Taumelnd fiel er an die Kommunikationskonsole. Er drückte den Alarmknopf, aber als er sich wieder umdrehte, stieß ihm Pasc die Faust gegen die Brust. Atemlos und noch immer eingehüllt in einen orangefarbenen Nebel halber Bewusstlosigkeit von der Strangulierung konnte Alan kaum die Arme zu seinem Schutz an den Kopf heben.

Etrec klammerte sich verzweifelt an seinen Vater und versuchte ihn an weiteren Faustschlägen zu hindern, doch er war nicht kräftig genug. Pasc ließ seine hocherhobene Faust mit aller Wucht auf Alans Kopf krachen. Der Australier brach zusammen wie von einer Axt gefällt.

»Du hast ihn getötet!«, schrie Etrec.

Die Alarmsirenen begannen zu jaulen. Das Labor hatte mit dem Notsignal den Alarm im Kontrollzentrum ausgelöst. Pasc schaute sich in panischer Angst um. Überall lauerte Gefahr für ihn. Das schreckliche Emblem auf seiner Stirn war grellrot.

 

 

 

Achtes Kapitel

 

 

Als Tony und etliche Posten von der Sicherheit zum Labor Drei kamen, war außer dem bewusstlosen Alan und Andy niemand da. In der ganzen Basis gellten die Sirenen, die selbst einen Toten hätten aufwecken müssen. Alan wurde bald von einer starken Hand kräftig geschüttelt.

»Was ist denn passiert?«, fragte Tony.

Alan versuchte sich zu räuspern, um sprechen zu können, doch das ging nicht sonderlich gut. Selbst das Atmen fiel ihm schwer. Sein Kopf schmerzte entsetzlich. Da erinnerte er sich. Er schaute sich um und sah, dass die Archanonen gegangen waren, doch Andy lag noch neben dem Tisch. Ein Mann von der Sicherheit stand gerade auf. Seine Hand war blutig, und unter Andys Kopf breitete sich eine dunkelrote Pfütze aus.

»Andy?« Alan quälte sich die Frage ab. Der Mann von der Sicherheit schüttelte den Kopf. »Er ist tot, Mr. Carter.«

»Das war Pasc«, sagte Alan zu Tony. »Er hat uns beide zusammengeschlagen.«

Tony schaltete seinen Kammunischalter ein. »Verdeschi an Lazarett!«

Helena empfing die Meldung und bestätigte sie.

»Unglücksfall in Lab Drei, schnell, Doktor!«, rief er. Helena antwortete, sie sei schon unterwegs, und Tony rief die Abteilung Sicherheit an. »Verdeschi an Sicherheit, großer Alarm! Den Fremden namens Pasc suchen. Er ist außerordentlich gefährlich. Äußerste Vorsicht nötig, aber fangt ihn!«

Auch die Sicherheitsdienstler im Labor schickte Tony auf Suche nach Pasc, und dann half er Alan auf die Füße zu kommen. Als das Karussell in seinem Kopf zur Ruhe gekommen war, zeigte er Tony, was Andy in dem schwarzen Kästchen entdeckt hatte und beschrieb, wie Pasc angriff. Dann schilderte er auch das brennendrote Symbol auf Pascs Stirn, das unter der Bandage verborgen gewesen war.

Tony hatte natürlich nicht die geringste Ahnung, was dieses Symbol bedeuten konnte, spürte aber, dass schon von der Beschreibung eine starke Drohung ausging. Er wäre gern mit auf die Suche nach Pasc gegangen, doch Tony riet ihm, lieber auf Helena zu warten, damit er untersucht werde.

»Er wird kaum bluten«, sagte er. »Der Junge ist bei ihm. Aber ich komme mit dir.«

Sie gingen den Korridor entlang, der zum Tunnel führte, den Helena benutzen musste, wenn sie direkt vom Lazarett käme. Eigentlich musste sie ja schon da sein. Doch als sie um eine Ecke bogen, wussten sie, weshalb sie noch nicht angekommen war.

Eine total verängstigte Helena wurde von Pasc festgehalten, der eine Handwaffe auf ihren Kopf gerichtet hatte. Ein Sicherheitsdienstler stand hilflos daneben, ein anderer lag ohnmächtig auf dem Boden; das musste der Mann sein, dem

Pasc die Waffe abgenommen hatte. Etrec stand hinter ihm. Auch er schaute den Männern verängstigt und sehr betrübt entgegen.

»Pasc!«, schrie Tony ihn an.

Etrec schaute auf und sah, dass Alan mit Tony gekommen war. Sein Gesicht leuchtete auf, und ehe Pasc ihn zurückhalten konnte, lief der Junge auf Alan zu. »Cobber!«, rief er. »Ich dachte schon, er hat dich getötet!«

 

»Etrec!«, brüllte Pasc. »Du kommst sofort zu mir zurück!«

Etrec schien nicht recht zu wissen, wem er mehr Loyalität schuldete. Er tat einen zögernden Schritt auf seinen Vater zu.

Plötzlich griff Toni nach der Schulter des Jungen. Gleichzeitig zog er seine Waffe und hob sie an Etrecs Kopf. »Lass die Frau los«, herrschte er Pasc an, »oder ich töte den Jungen.«

Im Raum herrschte spannungsgeladenes Schweigen. Alan gefielen Tonys Worte nicht recht, und er griff nach Etrecs Arm, um ihn zu beruhigen. Pasc sah die Geste und lachte. Es war ein sehr grausames Lachen.

»Das kannst du ja doch nicht tun«, spottete er. »Aber ich kann es. Lind ich werde es auch tun, wenn du ihn nicht loslässt.«

Pascs Augen schillerten wahnsinnig. Tony sah, wie sich die Finger des Archanonen um den Griff der Waffe klammerten, und er stellte sogar fest, dass sie auf den tödlichen Laserstrahl eingestellt war, nicht auf den Stunner. Er ließ also Etrec los.

Pasc lachte höhnisch. »Jetzt hört mir zu. Wir nehmen eine von den Eagles. Eure Männer sollen die Flugzone räumen, aber eine Eagle für uns bereitstellen.«

Zögernd gab Tony den Befehl über Comlock. Als er bestätigt wurde, nickte er Pasc zu.

»Etrec«, sagte Pasc, ließ aber Helene nicht los, »du gehst voran.«

Etrec setzte sich mit hängendem Kopf in Marsch. Dann blieb er stehen und schaute zu Alan Carter um. »Nein, Pasc«, erklärte er ruhig, »ich gehe nicht.«

»Du kannst aber nicht bleiben«, herrschte ihn Pasc an.

»Jetzt sind sie deine Freunde, aber bald werden sie dich töten - ihrer eigenen Sicherheit wegen.«

»Dann muss es eben so sein. Ich gehe nicht mit.«

»Dann werde ich dich selbst töten!« röhrte Pasc und legte die Waffe auf den Jungen an. Das Symbol an seiner Stirn pulste heftig, und sein Gesicht erstarrte zu einer Maske des Hasses.

Etrec wartete ruhig auf den Schuss, doch Pasc ließ den Arm sinken. Sehr vorsichtig hob Tony seine eigene Waffe und hoffte auf eine Chance, den Archanonen zu lähmen, doch dieser hielt seine Waffe wieder an Helenas Kopf. Langsam zog er sich in den Korridor zurück und zerrte Helene mit sich. Die offenen Türen des Lufttunnels warteten.

In der Eagle zwang Pasc Helene, den Copilotensitz einzunehmen. Einige der Mechanismen des Schiffes begriff er ohne weiteres, andere mussten ihm jedoch erklärt werden. Konnte Helena das nicht, dann dauerte es wohl ein wenig länger, doch schließlich würde er alles begreifen. Solange er eine so wertvolle Geisel hatte, war die Zeit auf seiner Seite.

Helena sah ihm misstrauisch zu, aber ihrer Miene hätte sich auch entnehmen lassen, dass sie etwas über ihn wusste, und er behandelte sie daher grob und gemein.

»Ich hätte ihn töten sollen«, sagte er.

»Warum hast du's dann nicht getan?«, fragte sie ihn. Sie wusste von vornherein, dass er eine direkte Antwort vermeiden würde.

»Er wollte bleiben. Ich wählte das Überleben.« Pasc schaute auf die Instrumente. Diese Ansammlung von Knöpfen, Schaltern, Skalen und Schirmen war ihm ein Rätsel.

»Es könnte sein, dass keiner von euch beiden überlebt, Pasc«, sagte Helena nachdrücklich.

Pasc begriff, dass sie ein Wissen über ihn andeutete. »Was lässt dich so sprechen?«, fragte er.

»Ich habe in dein Gehirn geschaut, Pasc. Wir machten Bilder davon, als du unter der Wirkung von Sedativen warst. Dein und Etrecs Gehirn... In euren Köpfen hat sich ein seltsames Virus breitgemacht. In Etrec scheint es noch zu schlafen. Im Moment noch.« Sie holte tief Atem. »Nicht in dir, Pasc. Bei dir ist es lebendig. Es könnte tödlich sein. Deshalb wollte ich ja Blutproben von euch beiden. Ich wollte herauskriegen, was es ist.«

Pasc Stirn begann zu glühen, und in seinen Augen brannte Mordlust. Ihre Schlussfolgerung machte ihn ungeheuer wütend, auch ihr schwacher Rettungsversuch an jenen, die längst jenseits jeder Rettungsmöglichkeit waren. Seine Hand schloss sich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Apex-Verlag/Successor of ITC-Entertainment.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Dr. Ingrid Rothmann, Magdalena Sobez und Christian Dörge.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 13.12.2019
ISBN: 978-3-7487-2357-8

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /