EDGAR RICE BURROUGHS
Thuvia, das Mädchen
vom Mars
Vierter Band des MARS-Zyklus
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
Der Autor
THUVIA, DAS MÄDCHEN VOM MARS
Kapitel 1: Carthoris und Thuvia
Kapitel 2: Der Sklave
Kapitel 3: Verrat
Kapitel 4: Gefangene eines grünen Kriegers
Kapitel 5: Die hellhäutige Rasse
Kapitel 6: Der Jeddak von Lothar
Kapitel 7: Die Phantom-Bogenschützen
Kapitel 8: Der Saal des Schicksals
Kapitel 9: Die Schlacht in der Ebene
Kapitel 10: Kar Komak, der Bogenschütze
Kapitel 11: Grüne Männer und weiße Affen
Kapitel 12: Dusars einzige Rettung
Kapitel 13: Turjun, der Panthan
Kapitel 14: Kulan Tiths Opfer
Das Buch
Carthoris ist der Spross aus der Verbindung zwischen dem Erdenmenschen John Carter und der göttlichen Dejah Thoris, der Prinzessin von Helium. Carthoris aber glüht vor Leidenschaft, er hat sich unsterblich verliebt in die bezaubernde Thuvia von Ptarth. Doch jäh fallen Schatten auf die beginnende Romanze. Thuvia wird von rivalisierenden Stämmen entführt, und hinter den grausamen Entführern steht der eifersüchtige Prinz des Roten Stammes. Carthoris macht sich auf die Suche nach seiner geliebten Prinzessin. Er tut sich mit dem Jeddak von Ptarth zusammen und erforscht unwegsame Wüstengebiete, in die noch kein Marsmensch seinen Fuß gesetzt hat. Er findet die schöne Thuvia, doch da wird ihm ein Einsatz abgefordert, vor dem selbst der tapferste Jeddak zurückgeschreckt wäre...
Der Roman Thuvia, das Mädchen vom Mars erschien erstmals im April 1916 (unter dem Titel Thuvia, Maid Of Mars) als Fortsetzungsgeschichte im The-All-Story-Magazin.
Der Apex-Verlag macht Thuvia, das Mädchen vom Mars zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren wieder als deutschsprachige Ausgabe verfügbar, neu ins Deutsche übersetzt von Gabriele C. Woiwode.
Der Autor
Edgar Rice Burroughs - * 01. September 1875, † 19. März 1950.
Edgar Rice Burroughs war ein US-amerikanischer Schriftsteller, der bekannt wurde als Erzähler diverser Abenteuergeschichten, die sich vor allem dem frühen Fantasy- und Science-Fiction-Genre zuordnen lassen. Die bekanntesten von ihm eingeführten - und in der Folge von anderen in zahlreichen Filmen und Comics etablierten - Heldencharaktere sind Tarzan, John Carter, Carson Napier.
Der Sohn des Fabrikanten und Bürgerkriegsveteranen Major George Tyler Burroughs (1833–1913) und der Lehrerin Mary Evaline Zieger (1840–1920) verlebte nach dem Besuch mehrerer Privatschulen den Großteil seiner Jugend auf der Ranch seiner Brüder in Idaho.
Nach seinem Abschluss auf der Michigan Military Academy im Jahr 1895 trat Burroughs in die 7. US-Kavallerie ein. Als ein Armeearzt bei ihm einen Herzfehler diagnostizierte und er deshalb nicht Offizier werden konnte, verließ Burroughs die Armee vorzeitig im Jahr 1897 und arbeitete bis 1899 wieder auf der Ranch seines Bruders. Danach ging er zurück nach Chicago und arbeitete in der Firma seines Vaters.
Am 1. Januar 1900 heiratete Burroughs seine Jugendliebe Emma Centennia Hulbert. Das Paar bekam drei Kinder: Joan Burroughs Pierce (1908–1972), Hulbert Burroughs (1909–1991) und John Coleman Burroughs (1913–1979). Da die tägliche Routine in der Fabrik seines Vaters Burroughs nicht zufriedenstellte, verließ das Ehepaar 1904 Chicago, um abermals in Idaho zu leben. Mit seinen Brüdern, die inzwischen ihre Ranch aufgegeben hatten, versuchte er sich erfolglos als Goldgräber. Kurze Zeit später arbeitete er als Eisenbahnpolizist in Salt Lake City. Auch diesen Job gab Burroughs auf und zog mit seiner Frau wieder zurück nach Chicago, wo er eine Reihe Jobs annahm, unter anderem als Vertreter. 1911 investierte er sein letztes Geld in einer Handelsagentur für Bleistiftanspitzer und scheiterte.
Burroughs, der zu dieser Zeit an schweren Depressionen litt und, nach einigen seiner Biographen, an Selbstmord dachte, kam auf die Idee, eine Geschichte für ein Magazin zu schreiben, in dem er zuvor Anzeigen für seine Bleistiftanspitzer geschaltet hatte. Seine erste Erzählung Dejah Thoris, Princess of Mars (unter dem Pseudonym Normal Bean für das All-Story-Magazin von Thomas Metcalf geschrieben) wurde zwischen Februar und Juli 1912 als Fortsetzung veröffentlicht.
Metcalf hatte sein Pseudonym in Norman Bean geändert, und auch der Titel seiner Geschichte wurde zu Under the Moon of Mars abgewandelt. Auf Burroughs Beschwerde bezüglich der Änderungen, lenkte Metcalf ein und bot an, Burroughs nächste Geschichte unter seinem richtigen Namen zu drucken. Eine weitere Beschwerde Burroughs betraf den Zusatz For all Rights auf seinem Honorarscheck. Nach längerem Briefwechsel erreichte er, dass die 400 Dollar nur für den Erstabdruck galten.
Burroughs zweite Geschichte, The Outlaw of Torn, wurde jedoch von All-Story abgelehnt. Der große Erfolg kam mit Burroughs drittem Anlauf, Tarzan of the Apes.
Die Geschichte von Tarzan wurde ebenfalls 1912 von All-Story veröffentlicht. Burroughs schrieb in der Folgezeit immer wieder neue Tarzan-Geschichten und konnte sich - kaum zehn Jahre nach der Veröffentlichung von Tarzan of the Apes - ein riesiges Stück Land in der Nähe von Los Angeles kaufen. Selbst nach Burroughs Tod im Jahr 1950 erschienen weitere Tarzan-Geschichten. Das Landstück bei Los Angeles ist heute die Gemeinde Tarzana.
In den frühen 1930er Jahren wurde sein schriftstellerischer Erfolg allerdings immer mehr von privaten Problemen überschattet. 1934 ließ er sich scheiden und heiratete ein Jahr später Florence Dearholt. Doch schon 1942 wurde auch diese Ehe geschieden. Nach der Bombardierung von Pearl Harbor begab sich Burroughs 1941 als Kriegsreporter nach Hawaii. Nach dem Krieg kehrte er nach Kalifornien zurück, wo er, nach vielen gesundheitlichen Problemen, 1950 einem Herzanfall erlag.
In Burroughs Werk vermischen sich Science Fiction und Fantasy. Er etablierte Geschichten vor einem planetarischen Hintergrund in der Science Fiction. Dabei war Burroughs bewusst, dass seine Literatur bei den Kritikern nicht ankam. Er machte auch nie ein Hehl daraus, dass er schrieb, um Geld zu verdienen.
Die Helden seiner Romane und Erzählungen haben keine Alltagsprobleme. Bei den Charakterzeichnungen schwach, sprudeln Burroughs Geschichten über vor Ideen und Action. Die Helden seiner Romane haben verschiedene Merkmale gemeinsam, beispielsweise das Geheimnis um ihre Herkunft. Entweder haben die Helden nie eine Kindheit erlebt, oder können sich nicht daran erinnern, oder aber sie sind wie Tarzan und The Cave Girl Waisen. Ein weiteres Merkmal von Burroughs Geschichten ist der, wie Brian W. Aldiss es nennt, ausgeprägte sexuelle Dimorphismus. Das jeweils dominante Geschlecht ist hässlich.
Obwohl es in den Romanen und Geschichten Burroughs von schönen, nackten Frauen nur so wimmelt, werden sexuelle Beziehungen weder angedeutet noch erwähnt. Burroughs Welt scheint eine präpubertäre zu sein. Doch ist die Jungfräulichkeit immer in Gefahr (vgl. Aldiss). Fast schon zwanghaft mutet an, dass es in den Geschichten Burroughs, die zwischen 1911 und 1915 geschrieben wurden, nicht weniger als 76 Mal zu Vergewaltigungsdrohungen kommt, die natürlich alle abgewendet werden können. Zu den Bedrohern der weiblichen Unschuld gehören verschiedene Marsianer, Sultane, Höhlenmenschen, japanische Kopfjäger und Affen.
E. F. Bleiler schreibt über Burroughs, seine Texte seien „Fantasien von Erotik und Macht.“
Der Apex-Verlag veröffentlicht Burroughs' Venus-Romane (in der deutschen Übersetzung von Thomas Schlück), Neu-Übersetzungen des Tarzan- und des John Carter-Zyklus sowie als deutsche Erstveröffentlichung die Pellucidar-Serie.
THUVIA, DAS MÄDCHEN VOM MARS
Kapitel 1: Carthoris und Thuvia
Die Frau saß unter den herrlichen Blüten einer riesigen Pimalia1 auf einer massiven Bank aus glänzendem Ersit2 . Ihr anmutiger, in einer Sandale steckender Fuß klopfte ungeduldig auf den juwelenbesetzen Weg, der in den königlichen Gärten von Thuvan Dihn, Jeddak von Ptarth unter stattlichen Sorapus-Bäumen3 hindurch über den scharlachroten Rasen verlief. Ein dunkelhaariger roter Krieger hat sich tief über sie gebeugt und flüsterte dicht an ihrem Ohr lüsterne Worte:
»Ach, Thuvia von Ptarth«, rief er, »selbst vor dem glühenden Feuer meiner sich nach dir verzehrenden Liebe bleibst du kalt! Selbst diese überglückliche Bank aus Ersit, die deine göttliche und makellose Gestalt tragen darf, ist nicht so kalt und hart wie dein Herz! Sag mir, dass ich noch Hoffnung haben darf, Thuvia von Ptarth, dass, auch wenn du mich jetzt noch nicht liebst, eines Tages, vielleicht doch, meine Prinzessin...«
Mit einem Ausruf unliebsamer Überraschung sprang das Mädchen auf. Über ihren weichen, roten Schultern war ihr stolzer, königlicher Kopf hoch erhoben, und ihre dunklen Augen funkelten zornig in die des Mannes.
»Du vergisst dich, Astok - dich, und die Sitten des Barsoom«, rief sie, »Du hast kein Recht, so mit der Tochter von Thuvan Dihn zu sprechen, und du hast ein solches Recht auch nicht verdient.«
Plötzlich stieß die Hand des Mannes nach vorne und griff sie am Arm.
»Du wirst meine Prinzessin werden!«, rief er. »Beim Schoß der Issus, das wirst du! Und kein anderer wird sich zwischen Astok, Prinz von Dusar, und seinen Herzenswunsch drängen. Sag mir, dass es einen anderen gibt, und ich werde ihm sein faulendes Herz herausschneiden und es den wilden Calot der toten Meeresböden zum Fraß vorwerfen!«
Als die Hand des Mannes sie berührte, erbleichte das Mädchen unter ihrer kupferfarbenen Haut. Denn die Frauen der königlichen Höfe des Mars werden fast wie Heiligtümer behandelt, und die Berührung von Astok, Prinz von Dusar, stellte einen regelrechten Akt der Entweihung dar. Aber in den Augen von Thuvia von Ptarth lag keine Angst, nur das Entsetzen über das, was der Mann getan hatte und der Folgen, die daraus erwachsen konnten.
»Lass mich los«, sagte sie mit einer Stimme so kalt wie Eis.
Der Mann murmelte etwas Unverständliches und zog sie grob an sich.
»Lass mich los!«, wiederholte sie scharf. »Oder ich rufe die Wachen! Und der Prinz von Dusar weiß, was das zu bedeuten hat.«
Schnell warf er seinen rechten Arm um ihre Schultern und versuchte ihr Gesicht zu seinen Lippen zu ziehen. Sie stieß einen kurzen Schrei aus und schlug ihm mit den schweren Armreifen, die sie an ihren freien Arm trug, mitten auf den Mund.
»Du Calot!«, rief sie, und dann: »Wachen! Wachen! Kommt schnell, um die Prinzessin von Ptarth zu schützen!«
Sofort raste ein ganzes Dutzend Wachen über den roten Rasen heran; ihre blanken Langschwerter funkelten in der Sonne, das Metall ihrer Rüstungen klirrte gegen die Abzeichen auf ihren ledernen Harnischen, und bei dem Anblick, der sich ihnen bot, ertönten heisere Wutschreie aus ihren Kehlen. Aber noch ehe sie die Hälfte des königlichen Gartens überquert hatten und an der Stelle angelangt waren, an der Astok von Dusar noch immer das sich sträubende Mädchen fest im Griff hielt, sprang eine andere Gestalt aus einem dichten Gebüsch, hinter dem ein goldener Brunnen verborgen lag.
Es war ein großgewachsener Jugendlicher mit schwarzen Haaren und wachen grauen Augen, breiten Schultern und schmalen Hüften - die makellose Gestalt eines Kämpfers. Seine Haut hatte nur eine leichte Tönung des Kupfertons, durch den sich die roten Menschen des Mars von den anderen Rassen des sterbenden Planeten unterscheiden. Er war genau wie sie - und doch gab es einen fast unmerklichen Unterschied, der weit über seine hellere Hautfarbe und das Grau seiner Augen hinausging. Auch seine Bewegungen wiesen große Unterschiede auf: er kam in großen Sprüngen heran, die ihn so rasch über den Boden trugen, dass die Geschwindigkeit der herbei eilenden Wachen zu einem vergleichsweisen Schneckentempo verblasste.
Astok hielt noch immer das Handgelenk von Thuvia fest umklammert, als ihm der junge Krieger gegenüberstand. Der Neuankömmling vergeudete keine Sekunde:
»Du Calot!«, fauchte er - dann landete seine geballte Faust unter dem Kinn des anderen. Er hob ihn hoch in die Luft und schleuderte ihn als zusammengekrümmten Haufen mitten in den Pimalia-Busch neben der Ersit-Bank.
Erst jetzt wandte sich der Held an das Mädchen.
»Kaor, Thuvia von Ptarth!«, rief er. »Das Schicksal hat anscheinend genau den rechten Moment für meinen Besuch bestimmt.«
»Kaor, Carthoris von Helium!«, erwiderte die Prinzessin den Gruß des jungen Mannes. »Was könnte man vom Sohn eines solchen Vaters auch anderes erwarten?«
Er verbeugte sich in Anerkennung des Komplimentes an seinen Vater, John Carter, Kriegsherr des Mars. Da endlich kamen auch die Wachen an, noch keuchend vom Laufen, gerade als der Prinz von Dusar, am Mund blutend, mit gezücktem Schwert aus dem Gewirr der Pimalia-Zweige herausgekrochen kam.
Astok hätte sich sofort in einen Kampf auf Leben und Tod mit dem Sohn von Dejah Thoris gestürzt, aber die Wachen drängten ihn zurück, obwohl deutlich zu spüren war, dass auch Carthoris von Helium nichts lieber getan hätte.
»Du musst nur ein Wort sagen, Thuvia von Ptarth«, bettelte er, »nichts würde mir ein größeres Vergnügen bereiten, als diesem Burschen die Strafe zu verpassen, die er verdient hat.«
»Das geht nicht, Carthoris«, antwortete sie. »Er hat zwar jeden Anspruch auf meine Rücksichtnahme verspielt, aber dennoch ist er Gast des Jeddak, meines Vaters, und nur ihm alleine gegenüber wird er sich für die unverzeihliche Tat verantworten müssen, die er begangen hat.«
»Wie du befiehlst, Thuvia«, erwiderte der junge Mann aus Helium. »Aber danach wird er sich auch vor Carthoris, Prinz von Helium, für die Beleidigung zu verantworten haben, die er der Tochter des Freundes meines Vaters zugefügt hat.«
Während er gesprochen hatte, hatte in seinen Augen ein Feuer gelodert, das einen sehr viel naheliegenderen und leidenschaftlicheren Grund für sein Werben um diese wunderschöne Tochter des Barsoom offenbarte. Ein tiefes Rot hatte den Samt der zarten Wangen des Mädchens überzogen, und die Augen von Astok, Prinz von Dusar, verdunkelten sich, denn auch er hatte das begriffen, was zwischen den beiden im königlichen Garten des Jeddak unausgesprochen geblieben war.
»Und du dich vor mir«, blaffte er Carthoris an und nahm so die Herausforderung des jungen Mannes an.
Die Wachen standen immer noch um Astok herum - eine schwierige Situation für den jungen Offizier, der sie befehligte, denn sein Gefangener war der Sohn eines mächtigen Jeddak. Und obendrein war er Gast von Thuvan Dihn, bis gerade eben sogar ein sehr ehrenwerter Gast, der mit allen königlichen Ehren überschüttet worden war. Nahm man ihn jetzt gewaltsam gefangen, würde es nichts anderes als Krieg bedeuten, und doch hatte er etwas getan, das in den Augen des Helium-Kriegers nur den Tod verdiente.
Der junge Mann zögerte und sah seine Prinzessin fragend an. Auch sie schien zu wissen, dass alles davon abhängen würde, was während der nächsten Minuten geschehen würde. Seit vielen Jahren hatte Frieden zwischen Dusar und Ptarth geherrscht; ihre großen Handelsschiffe waren regelmäßig zwischen den größeren Städten beider Nationen gependelt, und selbst jetzt konnte die Prinzessin über der gold-gesprenkelten scharlachroten Kuppel des Jeddak-Palastes einen riesigen, massigen Frachter erkennen, der sich seinen majestätischen Weg durch die dünne Luft des Barsoom Richtung Westen nach Dusar bahnte.
Ein einziges Wort von ihr würde genügen, um diese zwei mächtigen Nationen in einen blutigen Konflikt zu stürzen, der sie ihrer mutigsten Männer und all ihrer unschätzbaren Reichtümer berauben und den Überfällen ihrer neidischen und weniger mächtigen Nachbarn hilflos ausliefern würde, um sie am Ende zur leichten Beute der wilden grünen Horden der toten Meeresböden zu machen.
Da die Kinder des Mars Furcht kaum kennen, ließ sich auch Thuvia bei ihrer Entscheidung nicht von Ängsten beeindrucken. Es war viel mehr das Bewusstsein ihrer Verantwortung für das Wohlergehen ihres Volkes, das sie, Tochter des Jeddak, nun verspürte.
»Ich habe dich gerufen, Padwar4 «, sagte sie zu dem Lieutenant der Wache, »um die Person deiner Prinzessin zu schützen und den Frieden zu erhalten, der in den königlichen Gärten des Jeddak nicht gestört werden darf. Das ist alles. Du wirst mich jetzt zum Palast bringen, und der Prinz von Helium wird mich begleiten.«
Ohne Astok noch eines weiteren Blickes zu würdigen, wandte sie sich um und ergriff die angebotene Hand von Carthoris. An jeder Seite marschierte eine Reihe Wachen, und so schritten sie langsam auf den massiven Gebäudekomplex aus Marmor zu, in dem der Herrscher von Ptarth und sein prachtvolles Gefolge residierte. Auf diese Weise hatte Thuvia von Ptarth einen Ausweg aus diesem Zwiespalt gefunden und war damit auch der Notwendigkeit entgangen, den königlichen Gast ihres Vaters gewaltsam festsetzen lassen zu müssen. Und gleichzeitig hatte sie auch die beiden Prinzen getrennt, die sich sonst noch gegenseitig an die Kehlen gegangen wären, sobald sie sich angeschickt hätte, mit den Wachen wegzugehen.
Astok stand noch immer neben der Pimalia; seine dunklen Augen unter den gerunzelten Brauen zu hasserfüllten Schlitzen verkniffen, sah er der verschwindenden Gestalt der Frau hinterher, die seine wildeste Leidenschaft erregt hatte - und der des Mannes, von dem er glaubte, dass er das einzige sei, das zwischen seiner Liebe und ihrer Erfüllung stünde. Nachdem sie im Palast verschwunden waren, zuckte Astok die Schultern und lief, Flüche vor sich hinmurmelnd durch den Garten zu einem anderen Flügel des Gebäudes, in dem er mit seinem Gefolge untergebracht worden war.
Noch am gleichen Abend verabschiedete er sich offiziell von Thuvan Dihn. Und obwohl der Vorfall im königlichen Garten mit keinem Wort erwähnt worden war, wurde es durch die kalte Maske der Höflichkeit des Jeddak sehr offensichtlich, dass ihn nur die Etikette königlicher Gastfreundschaft davon abhielt, seinem Unmut Ausdruck zu verleihen, den er gegenüber dem Prinz von Dusar verspürte.
Weder Carthoris noch Thuvia waren bei der Verabschiedung zugegen; die Zeremonie war so steif und formell, wie es die Hofetikette hergab. Als der letzte Dusarier über die Reling des Kampfschiffes geklettert war, das sie zu diesem schicksalhaften Besuch an den Hof von Ptarth gebracht hatte, und die riesige Zerstörungsmaschine langsam von der Landebühne abhob, war der Stimme von Thuvan Dihn die Erleichterung deutlich anzumerken, als er sich an einen seiner Offiziere wandte, um etwas Erklärendes zu dem befremdlichen Vorfall zu sagen, der seit Stunden alle sehr beschäftigt hatte. Aber war es wirklich so befremdlichen gewesen?
»Informiere Prinz Sovan«, befahl er, »dass es unser Wunsch ist, umgehend die Flotte zurückzubeordern, die heute Morgen nach Kaol aufgebrochen ist. Sie soll ab sofort durch den Westen von Ptarth kreuzen.«
Als das Kriegsschiff, mit dem Astok an den Hof seines Vaters zurückkehrte, nach Westen abdrehte, saß Thuvia von Ptarth gerade auf derselben Bank, auf welcher der Prinz von Dusar sie beleidigt hatte, und sah den flackernden Lichtern seines Schiffes nach, wie sie in der Ferne immer kleiner wurden. Neben ihr, im strahlenden Licht des Nahen Mondes, saß Carthoris, aber seine Augen waren nicht auf das sich entfernende Kampfschiff gerichtet, sondern hingen am nach oben gewandten Profil des Mädchens.
»Thuvia«, flüsterte er.
Das Mädchen wandte ihm ihren Blick zu, aber als seine Hand verstohlen nach der ihren tastete, zog sie ihre Hand sanft zurück.
»Thuvia von Ptarth, ich liebe dich!«, rief der junge Krieger. »Sag mir, dass meine Liebe dich nicht kränkt!«
Traurig schüttelte sie ihren Kopf.
»Die Liebe von Carthoris von Helium«, sagte sie schlicht, »kann für jede Frau nur eine Ehre sein. Aber, mein Freund, du sollst nicht davon sprechen, mir Gefühle entgegen zu bringen, die ich nicht erwidern kann.«
Mit vor Überraschung großen Augen stand der junge Mann langsam auf. Es war Carthoris, Prinz von Helium, niemals in den Sinn gekommen, dass Thuvia von Ptarth jemand anderen lieben könnte.
»Aber in Kadabra! Und später, hier am Hof deines Vaters, was hast du getan, Thuvia von Ptarth, dass mich davor gewarnt hätte, dass du meine Liebe nicht erwidern könntest?«
»Und was habe ich getan, Carthoris von Helium«, erwiderte sie, »dass dich glauben ließ, ich würde deine Liebe erwidern?«
Er dachte eine ganze Weile nach, dann schüttelte er seinen Kopf.
»Nichts, Thuvia, das ist wahr. Und doch hätte ich schwören können, dass du mich liebst. Du weißt doch sehr gut, dass meine Liebe zu dir schon fast an Verehrung grenzt.«
»Wie sollte ich das wissen, Carthoris?«, fragte sie unschuldig. »Hast du mir je etwas davon gesagt? Ist je ein Wort deiner Liebe zu mir über deine Lippen gekommen?«
»Aber du musst es gewusst haben!«, rief er. »Ich bin wie mein Vater: völlig ahnungslos in Herzensangelegenheiten und unerfahren im Umgang mit Frauen. Aber dennoch müssen all diese, auf den königlichen Gartenwegen verstreuten Juwelen, die Bäume, die Blumen, selbst der Rasen, sie alle müssen die Liebe gelesen haben, die mein Herz erfüllt, seit meine Augen sich zum ersten Mal so am Anblick der Schönheit deines vollkommenen Gesichtes und deiner Gestalt erfreut haben. Wie also könntest nur du alleine so blind dafür gewesen sein?«
»Hofieren die Mädchen in Helium ihre Männer?«, fragte Thuvia. »Du spielst mit mir!«, rief Carthoris. »Sag mir, dass du nur mit mir spielst, Thuvia, und dass du mich doch liebst!«
»Ich kann dir das nicht sagen, Carthoris, denn ich bin einem anderen versprochen.«
Ihre Stimme klang ruhig, aber schwang darin nicht doch ein Hauch unendlicher Traurigkeit mit? Wer hätte das schon sagen können.
»Einem anderen versprochen?« Carthoris hatte die Worte kaum mehr als gehaucht, und sein Gesicht war aschfahl geworden. Aber dann hob er wieder seinen Kopf, so es sich für jemanden geziemt, in dessen Adern das Blut des oberen Herrn einer ganzen Welt fließt.
»Carthoris von Helium wünscht dir sämtliches Glück mit dem Mann deiner Wahl«, sagte er. »Mit...«, Er zögerte und wartete darauf, dass sie den Namen ergänzen würde.
»Kulan Tith, Jeddak von Kaol«, antwortete sie. »Der Freund meines Vaters und der mächtigste Verbündete von Ptarth.«
Der junge Mann sah sie lange nachdenklich an, ehe er wieder sprach.
»Liebst du ihn, Thuvia von Ptarth?«, fragte er.
»Ich bin ihm versprochen«, erwiderte sie schlicht.
Er drang nicht weiter in sie.
»Er ist vom edelsten Blut der mächtigsten Krieger des Barsoom«, überlegte Carthoris laut. »Und der Freund meines Vater, ebenso wie der meine. Ach, was gäbe ich darum, wenn es ein anderer wäre!«, murmelte er verzweifelt.
Was das Mädchen dachte, blieb hinter der ausdruckslosen Maske ihres starren Gesichtsausdruck verborgen, der nur von einem Hauch des Schattens der Traurigkeit überzogen war, der ebenso Carthoris, wie auch ihr selbst, oder ihnen beiden gegolten haben konnte.
Carthoris von Helium fragte nicht weiter, obwohl er den Schatten sehr wohl bemerkt hatte. Denn seine Loyalität gegenüber Kulan Tith war die Treue des Blutes von John Carter aus Virginia für einen Freund, und es konnte keine größere Treue als seine geben.
Er hob ein Stück des herrlichen, juwelenbesetzten Harnisch des Mädchens an seine Lippen.
»Auf die Ehre und das Glück von Kulan Tith und des unschätzbaren Juwels, das ihm zuteil geworden ist«, sagte er, und obwohl seine Stimme heiser klang, hatte sie einen aufrichtigen Tonfall.
»Ich habe dir gesagt, dass ich dich liebe, Thuvia, bevor ich wusste, dass du einem anderen versprochen bist. Ich werde es dir nicht noch einmal sagen, aber ich bin, froh, dass du es weißt, denn es nicht unehrenhaft, weder für dich oder Kulan Tith, und auch nicht für mich selbst. Meine Liebe ist von einer Art, die auch Kulan Tith umarmen könnte - sofern du ihn liebst.«
Seine Erklärung war fast eine schon eine direkte Frage.
»Ich bin ihm versprochen«, wiederholte sie.
Carthoris glitt langsam zurück, legte eine Hand auf sein Herz, die andere auf den Knauf seines Langschwertes.
»Sie gehören dir - für immer«, sagte er.
Im nächsten Augenblick hatte er den Palast betreten und war aus dem Blickfeld des Mädchens verschwunden. Wäre er sofort umgekehrt, hätte er sie ausgestreckt auf der Ersit-Bank gefunden, das Gesicht in ihren Armen vergrabenen. Weinte sie? Es war niemand da, der es hätte sehen können.
An jenem Tag war Carthoris von Helium unangemeldet an den Hof des Freundes von seinem Vater gekommen. Er war alleine in einem kleinen Flieger gekommen und war sich des gleichen Willkommens sicher gewesen, das ihn stets in Ptarth erwartete. Da es für seine Besuche keine Formalitäten gaben, gab es auch Notwendigkeit für einen formellen Abschied.
Thuvan Dihn hatte er erklärt, dass er nur eine eigene Erfindung ausprobieren wollte, mit der sein Flieger ausgestattet war - eine ausgeklügelte Verbesserung des üblichen marsianischen Zielkompasses. Hatte man ihn einmal auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet, blieb er darauf fixiert. Man musste nur noch den Bug des eigenen Fliegers nach der Kompassnadel ausrichten, um jeden eingestellten Ort irgendwo auf dem Barsoom auf dem kürzesten Weg erreichen zu können.
Die Verbesserung von Carthoris bestand aus einem Zusatzgerät, das ein Schiff mechanisch in die auf dem Kompass eingestellte Richtung steuerte und über der Stelle, auf die der Kompass positioniert war, zum Stehen brachte, und das Schiff, ebenso automatisch landete.
»Die Vorteile dieser Erfindung liegen klar auf der Hand«, sagte er zu Thuvan Dihn, der ihn zur Landebühne auf dem Palastdach begleitet hatte, um sich den Kompass ansehen und seinem jungen Freund Lebewohl sagen zu können.
Ein Dutzend Offiziere des Hofes standen mit ihren Leibdienern hinter dem Jeddak und seinem Gast und lauschten aufmerksam der Unterhaltung. So aufmerksam, dass einer der Diener bereits zwei Mal von einem Adligen gerügt werden musste, weil er sich vor die anderen gedrängelt hatte, um den wundervollen, komplizierten Mechanismus des ‚Zielüberwachungskompass‘, wie das Gerät genannt wurde, besser sehen zu können.
»Wenn ich zum Beispiel, so wie heute, einen Nachtflug vor mir habe«, fuhr Carthoris fort, »dann stelle ich den Zeiger so auf der rechten Skala ein, welche die östliche Hemisphäre von Barsoom darstellt, dass die Spitze auf den genauen Längen- und Breitengrad von Helium zeigt. Dann starte ich den Motor, rolle mich in meinen Schlafseiden und Fellen ein, und rase mit eingeschalteten Lichtern durch die Nacht nach Helium. Dabei kann ich mich darauf verlassen, dass ich zur errechneten Zeit sanft auf die Landebühne meines eigenen Palastes herunter gleiten werde, egal ob ich noch schlafe oder nicht.«
»Immer vorausgesetzt natürlich«, wandte Thuvan Dihn ein, »dass du zwischenzeitlich nicht zufällig mit einem anderen Nachtschwärmer kollidiert bist.«
Carthoris lächelte.
»Da besteht überhaupt keine Gefahr. Sieh her.«
Er deutete auf ein weiteres Gerät, rechts neben dem Zielkompass.
»Das hier ist mein ‚Hindernis-Ausweicher‘, wie ich das Instrument nenne. Das hier sichtbare Instrument ist nur der Schalter, der den Mechanismus ein- oder ausschaltet. Das Gerät selbst liegt unter dem Deck und ist sowohl mit den Steurungs-, als auch mit den anderen Kontrollhebeln verschaltet.
Es ist eigentlich ganz einfach, denn es ist nichts anderes als ein Radiumgenerator, der in einem Radius von etwa hundert Yard radioaktive Energie zerstreut. Sollte nun diese radioaktive Schutzhülle von einem Hindernis aus irgendeiner Richtung durchbrochen werden, wird diese Unregelmäßigkeit von diesem entsprechend empfindlichen Gerät sofort registriert. Gleichzeitig werden Impulse an ein magnetisches Gerät gesendet, das den Steuerungsmechanismus kontrolliert und den Bug des Fliegers so weit umleitet, bis das radioaktive Feld keinen Kontakt mehr mit dem Hindernis hat; dann nimmt das Schiff den alten Kurs wieder auf. Sollte die Störung von hinten erfolgen, wenn mich zum Beispiel ein schnelleres Schiff überholen will, dann steuert der Mechanismus die Geschwindigkeitskontrolle und das Steuerungsgetriebe an. Der Flieger wird schneller nach vorne getrieben und gleichzeitig nach oben oder unten gelenkt, je nachdem, ob das sich annähernde Schiff auf einer höheren oder tieferen Bahn befindet.
Bei erhöhter Gefahr, etwa wenn es mehrere Hindernisse geben sollte, oder ein Hindernis so groß ist, dass der Bug um mehr als fünfundvierzig Grad abgefälscht werden muss, aber auch, wenn das Schiff sein Ziel erreicht hat und bis auf hundert Yard über dem Boden abgesunken ist, wird das Schiff zum Stillstand gebracht und zeitgleich ein lauter Alarm ausgelöst, der den Piloten weckt. Wie du siehst, habe ich fast jede Eventualität berücksichtigt.«
Thuvan Dihn lächelte anerkennend. Der dreiste Diener drängte sich wieder nach vorne an die Seite des Fliegers.
»Alle Eventualitäten, nur eine nicht«, sagte er mit zusammengekniffenen Augen.
Die Adligen sahen ihn überrascht an; einer von ihnen packte den Burschen nicht gerade sanft an der Schulter und schubste ihn auf den ihm gebührenden Platz zurück. Carthoris hob seine Hand.
»Wartet«, forderte er.
»Lasst uns hören, was der Mann zu sagen hat. Keine Schöpfung eines sterblichen Geistes ist perfekt. Womöglich hat er eine Schwäche entdeckt, von der wir besser sofort Kenntnis haben. Also, mein Guter, welche Eventualität habe ich übersehen?«
Carthoris hatte den Diener intensiv beobachtet, während er gesprochen hatte. Er sah einen Mann von riesiger Gestalt, hübsch, wie alle Menschen der marsianischen roten Rasse, aber die Lippen des Burschen waren dünn und hatten einen grausamen Zug, und von der rechten Schläfe lief die schwache, weiße Linie eines Schwerthiebes quer über die Wange bis zum Mundwinkel.
»Also«, drängte der Prinz von Helium, »sprich!«
Der Mann zögerte. Offensichtlich bereute er die Dreistigkeit, die ihn so in den Mittelpunkt des Interesses gerückt hatte. Aber schließlich begriff er, dass er keine Wahl mehr hatte, und so antwortete er.
»Jemand, etwa ein Feind, könnte sich daran zu schaffen machen«, sagte er.
Carthoris zog einen kleinen Schlüssel aus seinem Lederbeutel.
»Schau«, sagte er und reichte ihn dem Mann. »Auch wenn du nichts von Schlössern verstehst, wird dir klar werden, dass der Mechanismus, der mit diesem Schlüssel geöffnet wird, jenseits der Fähigkeiten jedes Schlossknackers liegt. Er schützt die wesentlichen Teile des Instruments davor, dass man sie manipulieren kann. Ohne diesen Schlüssel müsste ein Feind das Gerät fast zerstören, um bis ins Innere vordringen zu können, und das würde selbst einem zufälligen Beobachter nicht
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Edgar Rice Burroughs/Apex-Verlag. Deutsche Übersetzung aus dem öffentlich zugänglichen Rohtext des englischen Originals.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg
Übersetzung: Gabriele C. Woiwode (OT: Thuvia, Maid Of Mars).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 21.11.2019
ISBN: 978-3-7487-2138-3
Alle Rechte vorbehalten