Cover

Leseprobe

 

 

 

 

MICHAEL BUTTERWORTH/

H. W. SPRINGER

 

 

Mondstation 1999 – Band 1

 

 

 

Fünf Romane in einem Band

 

Apex Science-Fiction-Klassiker, Band 56

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

Michael Butterworth: STATION DER VERLORENEN 

Michael Butterworth: DER WELTENFRESSER 

Michael Butterworth: KAMPF UM DIE ZUKUNFT 

H. W. Springer: DAS ANDROMEDA-RÄTSEL 

H. W. Springer: DIE EWIGEN VON LUNA 

 

Das Buch

Es war eine unheimliche, fremdartige Landschaft, voll düsterer, qualmender Vulkane und erstarrter, vulkanischer Gesteinsfalten.

Einstmals, vor Jahrtausenden, wimmelte es auf der Oberfläche von Leben. Wo sich nun im erstarrten Felsantlitz gespenstische, vielfarbige Adern wanden und krümmten, hatten einst die weicheren, wärmeren Farben von Bäumen, Blumen, das Blau des Himmels geleuchtet...

Commander Koenig, Doktor Helena Russell, Simon Hays und einige andere, zur Kommandozentrale gehörige Besatzungsmitglieder, saßen gebannt da und beobachteten schweigend die aufwühlende Szene, die ihnen über die große Bildfläche eingespielt wurde.

Während sie dasaßen und zusahen, schwenkte die in das Eagle-Schiff eingebaute Kamera über die geschändete, verwunschene Landschaft und ermöglichte es ihnen, am Erlebnis der zwei Eagle-Piloten Bill Fraser und Ray Torens teilzuhaben.

 

Mondstation 1999 – Band 1 von Michael Butterworth und H. W. Springer enthält fünf Romane aus der legendären Science-Fiction-Serie Mondbasis Alpha 1 (engl. Original-Titel: Space 1999), die seit den 1970er Jahren ein Millionen-Publikum begeistert und heute längst Kult ist: Station der Verlorenen, Der Weltenfresser, Kampf um die Zukunft, Das Andromeda-Rätsel und Die Ewigen von Luna. 

Mondstation 1999 – Band 1 erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX SCIENCE-FICTION-KLASSIKER. 

  Michael Butterworth: STATION DER VERLORENEN

 

 

 

Erstes Kapitel

 

 

Es war eine unheimliche, fremdartige Landschaft, voll düsterer, qualmender Vulkane und erstarrter, vulkanischer Gesteinsfalten.

Einstmals, vor Jahrtausenden, wimmelte es auf der Oberfläche von Leben. Wo sich nun im erstarrten Felsantlitz gespenstische, vielfarbige Adern wanden und krümmten, hatten einst die weicheren, wärmeren Farben von Bäumen, Blumen, das Blau des Himmels geleuchtet...

Commander Koenig, Doktor Helena Russell, Simon Hays und einige andere, zur Kommandozentrale gehörige Besatzungsmitglieder, saßen gebannt da und beobachteten schweigend die aufwühlende Szene, die ihnen über die große Bildfläche eingespielt wurde.

Während sie dasaßen und zusahen, schwenkte die in das Eagle-Schiff eingebaute Kamera über die geschändete, verwunschene Landschaft und ermöglichte es ihnen, am Erlebnis der zwei Eagle-Piloten Bill Fraser und Ray Torens teilzuhaben.

Bei Annäherung an den Planeten übten bestimmte Stellen an dessen Oberfläche eine magnetische Anziehungskraft aus, ein Umstand, der auf die schweigsamen Zuschauer beunruhigend wirkte und unerklärlich schien. Sie versuchten es auch gar nicht, das Geheimnis zu ergründen, und hofften nur, dass der Eagle seine Aufgabe - das Auffinden von Tiranium - erfüllen würde. Tiranium, jenes kostbare und seltene Mineral, das sie so dringend zur Wiederherstellung zerstörter, lebenserhaltender Systeme benötigten.

Gedankenverloren strich sich Helena Russell eine Strähne ihres platinblonden Haares aus der Stirn. Sie fühlte sich noch immer ein wenig flatterig infolge der Auswirkung der Raumverwerfung. Ohne Vorwarnung war der Mond in einen der instabilen Zeitdurchtritte geplumpst. Er - und auf ihm die Mondbasis »Alpha«-war Hunderte Lichtjahre weit von seiner vorherigen Position im Weltraum weggefegt worden. Es war die zweite Verwerfung, die sie in ebenso viel Jahren durchgemacht hatten, und sie befanden sich nun tiefer im Weltraum als je zuvor, gänzlich verloren in einem unbekannten und kartographisch noch nicht erfassten Teil des Universums.

Sie hatten keine Ahnung, wie weit entfernt von der Erde sie sich befanden. Während des Verwerfungsvorganges war ein großer Teil ihrer Ausrüstung beschädigt worden. Gesundheit und Leben der 297 Alphaner standen auf dem Spiel. Wollte man ihnen helfen, sollte ein Überleben der Mondbasis Alpha gesichert werden - dann musste Tiranium gefunden werden!

Das war eine Schicksalsfrage.

Helena Russell stand jetzt vor dem medizinische Daten registrierenden Monitor, auf dessen Bildschirm die Namen Fraser und Torens geschrieben standen. Während die beiden tapferen Piloten viele Zehntausende Meilen draußen im Raum über die Oberfläche dieses neuen, bizarren Planeten dahinglitten, behielt sie deren körperliche Kondition dauernd im Auge. Sollte bei ihnen irgendetwas schieflaufen, würde sie John Koenig sofort den Rat geben, die beiden zurückzubeordern.

»Wir haben engen Sichtkontakt mit dem Planeten«, kam die beruhigende Stimme Bill Frasers über den großen Bildschirm-Lautsprecher. Seinen Worten folgte auf dem Bildschirm das Auftauchen eines Schauerregens von Felsgestein, Staubwolken stoben auf - ein Anblick, der die ganze Bildfläche ausfüllte. Hinter dichten, ausströmenden Rauchschwaden leckten Flammenzungen, dann teilte sich der schwarze Schleier und enthüllte die glühende Krateröffnung eines Vulkans, welche ihnen unheildrohend entgegenstarrte. Die Krateröffnung schien ganz nahe, so nahe, als läge sie in dem Raum, in dem sie sich befanden, unmittelbar vor ihnen.

Lava brodelte und schwappte. Ein zweiter Flammenblitz schoss aus den Tiefen, geschmolzenes, flüssiges Gestein wurde emporgeschleudert und floss den Vulkanabhang hinunter.

»Lasst euch nicht ins Bockshorn jagen«, meldete sich erneut die Stimme des Piloten. »Das war nur ein Griff in die Trickkiste des Eagle! Wir sind noch immer einige hundert Meilen von der Oberfläche entfernt.«

Frasers lächelndes Gesicht erschien auf dem TV-Monitor unterhalb der großen Bildfläche. Koenig und Helena waren sichtlich erleichtert.

»Bill, wie oft muss ich dir noch sagen, dass du diesen Unfug lassen sollst«, sagte Koenig gespielt vorwurfsvoll.

Hinter ihm meldete sich jetzt Lew Picard. »Atmosphäre zum Atmen geeignet, Kohlenstoff 9.2., Wasserstoff 4.2., Stickstoff 8.7. Aber die Oberflächentemperatur ist sehr hoch - 180 Grad...«

»Wundert mich nicht, Lew«, erwiderte ihm Koenig. »Bill! Gibt es Anzeichen von Leben?«

»Nichts, John. Keine Siedlungen, kein Leben.« Seine Worte wurden von unheildrohendem Grollen begleitet. »Nichts, außer Vulkanen. Ist Anne da?«

»Ja, ich bin da, Bill«, entgegnete Anne Fraser, die Frau des Piloten. Sie sprach von der Mondbasis Alpha aus, wo sie dem Technikerstab der Kommandozentrale angehörte. Sie stand vor ihrer Konsole im Hintergrund des Raumes, wo sich auch Koenig und die anderen befanden, ihren Blick unbeirrt auf den Bildschirm gerichtet.

»Halte dich nicht zu lange auf, Liebster«, rief sie. »Ich denke immerzu an dich.«

»Na, dann steht einer sicheren Wiederkehr nichts im Wege«, antwortete der Pilot, dessen lächelndes Gesicht nun wieder auf dem Bildschirm erschien.

»Bill, stellen Sie den Scanner für die Mineralienanalyse ein«, sagte Koenig. »Vergessen Sie nicht ihre eigentliche Aufgabe!«

»Der Scanner arbeitet bereits, lassen Sie die Verbindung mit dem Hauptcomputer herstellen!«

Ein scharfes Klicken ertönte, als Picard kurz auf eine seiner Tasten einhieb. Das Atmosphärenbild auf dem großen Bildschirm lichtete sich, und eine Reihe von Symbolen und Worten zuckte nun vorüber: Mangan Trisilikat... Magnesiumphosphat... Lithiumsulphat... Tiranium...

»Bill, du hast es geschafft!«, rief Helena voll Freude. »Du hast eben ein großes Tiraniumlager entdeckt!«

»Genau das, was uns die Doktorin verordnete!« verkündigte Koenig. Dann befahl er Fraser: »Eagle Eins-zurück zur Basis!«

Alle im Kommandoraum strahlten. Frasers lächelndes Gesicht wurde auf dem Schirm wieder sichtbar. Man sah, wie sich seine lächelnde Miene jäh verdüsterte und höchste Beunruhigung ausdrückte. Aus dem Hintergrund vernahmen sie Torens' Stimme, die Fraser in dringendem Ton etwas zurief.

»Einen Augenblick!«, rief Fraser der Kommandozentrale zu.

Sein Bild verschwand vom Bildschirm. Auch die Symbole und Worte waren verschwunden, stattdessen sah man wieder die Planetenoberfläche. Sie wirkte jetzt noch bösartiger und bedrohlicher als vorhin, so, als wäre sie drauf und dran, sich selbst in Stücke zersprengen zu wollen.

Die Besatzung der Kommandozentrale starrte in verwunderter Ratlosigkeit auf die chaotische Szenerie, bemüht, eine Erklärung zu finden. Das Panorama verschwand und wurde von der Nahaufnahme eines großen Felsblockes verdrängt, der auf dem Boden des Planeten lag. Während sie ihn betrachteten, ging er in ein stürmisches Glühen über.

Ein fahles, intensives, türkisfarbenes Glühen. Die Umrisse des Felsblockes lösten sich auf, und die pulsierende Form nahm nun die Gestalt eines riesigen, leicht beweglichen Lichtballes an, der sich langsam und stetig in die raucherfüllte Luft erhob.

»Auf Weitsicht übergehen!«, befahl Koenig, der kerzengerade in seinem Sessel saß und das Bild anstarrte.

Der Bildschirm war bereits vollständig von dem blaugrünen Licht überflutet. Sandra Benes an der Übertragungskonsole drückte einen Knopf. Auf dem Bildschirm flammte sofort eine neue Perspektive der Planetenoberfläche auf.

Sie sahen jetzt, dass die riesige Lichtkugel Kurs auf sie nahm. Wieder füllte das Bild, das sie abgab, die ganze Bildfläche des Schirmes aus - und dann war sie plötzlich verschwunden.

»Bill... ihr werdet von einem seltsamen Licht verfolgt!«, rief Koenig. »Macht, dass ihr wegkommt... aber schnell!«

Hilflos saß er in seinem Sitz da.

Hinter ihm schrie Annette auf. Simon Hays brüllte ins Mikro: »Alarm! Alarm-Mannschaften auf die Posten!«

»Bill! Weiche aus! Mach Ausweichmanöver, Mensch!« befahl Koenig. »Nichts wie Ausweichmanöver!«

 

Im Inneren der Pilotenkanzel des Eagle drangen Koenigs Worte krächzend aus dem Lautsprecher.

Torens wünschte sich jetzt an die Stelle des Befehlsgebers, anstatt der Befehlsempfänger sein zu müssen. Er war jung, erst sechsundzwanzig, und er wollte noch nicht sterben.

Seine Hände bewegten sich hastig über das Steuerungspult. Lichter und Zahlen flammten hektisch auf den Schirmen des mächtigen Schiffes auf. Er schluckte erregt und versuchte, sich auf seine Tätigkeit zu konzentrieren.

Der Bordcomputer arbeitete ruhig und logisch und unterstützte ihn bei seiner Aufgabe. Die Antriebe seines Raumschiffes kamen auf Touren, der gewaltige Rumpf wurde während des Ausweichmanövers hin und her geschleudert.

»Es hat keinen Zweck, Ray. Wir können das Ding doch nicht abhängen«, sagte Fraser in aller Ruhe. Er war älter, etwa Mitte Dreißig, von kräftigem Körperbau und bediente die Steuerung weitaus gekonnter.

»Wir schaffen es nicht, Alpha«, rief er in die Sprechanlage. »Es hat sich an uns einfach angehängt!«

»Kommen Sie, Fraser...! Los!« Koenigs Stimme kam über Tausende von Meilen krächzend durchs All.

»Bill... Bill...«, hörte Fraser seine Frau unter leisem Schluchzen flüstern, für ihn so laut, als stünde sie neben ihm.

Fraser wandte sich zu Torens um. Seine Kiefermuskeln arbeiteten krampfhaft.

»Wir müssen es weiter versuchen«, sagte er zu dem Jüngeren.

Beide gingen wieder an ihre Apparate und führten mit dem Schiff ein steiles Sturzmanöver aus. Doch der Ball draußen im All blieb ihnen unerbittlich auf den Fersen.

Als sie wieder auf den Schirm sahen, war er sogar noch näher gekommen. Doch dann schien die hellgrüne Kugel des Spieles überdrüssig.

Ihre Oberfläche schwoll an.

Mit trotziger Bitterkeit musste sich Fraser eingestehen, dass ihr Verfolger seine Geschwindigkeit immens gesteigert hatte. Ein Entkommen war nunmehr völlig ausgeschlossen. Das schafften die Eagle-Antriebe nicht.

»Na, mach nur ruhig so weiter«, sagte er zu dem jüngeren Torens, der noch immer an der Steuerung hantierte und die letzte Entwicklung auf dem Bildschirm nicht verfolgt hatte.

 

Der große Bildschirm in der Kommandozentrale wurde jetzt weiß. Er flammte in blendender Helligkeit auf. Schützend hoben die Alphaner ihre Hände vor die Augen.

Wieder klärte sich der Bildschirm, und nun sahen sie, dass die Lichtkugel hinunter auf die Planetenoberfläche raste.

Über die starken Lautsprecher des Bildschirms ertönten Frasers Schmerzensschreie. Seine zur Hysterie gesteigerte Stimme ließ sie auf springen, entsetzt von den Folgerungen, die sich aus dem Hergang des eingetretenen Vorfalls ergaben.

Sie ahnten, dass etwas Unheimliches vor sich ging, doch so hervorragend ihre Sonden und Sensoren auch arbeiteten - sie konnten ihnen nicht sagen, was genau den zwei Piloten zustieß. Sie konnten über das Unbekannte keinen Aufschluss geben.

Und das Unbekannte war es - die unbekannten Weiten und die Gefahren des Alls im Besonderen - was ihnen Entsetzen einflößte.

»Ann ist ohnmächtig geworden!«, rief Helena. Sie war die erste, die sich wieder gefasst hatte. Ihr Verstand wandte sich instinktiv ihren Pflichten zu, und sie kam der unglücklichen Technikerin eilends zur Hilfe.

»Krankenstation... Kommandozentrale!«, rief sie in die Sprechanlage.

Koenigs Verstand begann Sekundenbruchteile später aktiv zu werden. Doch blieb er reglos sitzen und starrte wütend den leeren Schirm an. Seine Hände umklammerten die Armstützen seines Stuhles, dass die Knöchel weiß hervortraten, während er die Einzelheiten eines Aktionsplanes überdachte, den er blitzschnell ausgearbeitet hatte.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Koenig saß noch immer da und starrte den Bildschirm an. Er war körperlich ein großer Mann, verfügte über scharfen Verstand, doch hatte er in letzter Zeit so viel durchgemacht, dass seine Führungsqualitäten auf die Probe gestellt worden waren.

In den Pioniertagen der Raumfahrt, ehe man die Mondbasis Alpha von der Erde aus hinausgeschossen hatte, war er als Pilot ausgebildet worden. Als einer der ersten Astronauten war er draußen im All gewesen, und er konnte sich sehr gut vorstellen, wie den beiden Piloten, mit denen sie jetzt den Kontakt verloren hatten, zumute war. Er wusste, welchen unbekannten Gefahren sie ausgesetzt waren - wenn sie überhaupt noch am Leben waren.

»Laserbatterie eins - aktiviert«, meldete Jameson von der Haupteinheit auf der Mondoberfläche,

»Kampfschiff Eagle Fünf in Position«, meldete sich die Stimme eines Piloten von der Abschussrampe.

»Kampfschiff Eagle Sechs in Position«, meldete eine andere Stimme.

Koenig hörte all die Stimmen seines Stabes, der seine Befehle alle ausführte. Mondbasis Alpha hatte sich vollkommen in einen potentiellen Todesplaneten verwandelt, der nur noch vor Waffen starrte. Sollte der geheimnisvolle Planet angreifen, würde es das Ende für ihn und seiner Leute bedeuten, dachte er voller Ingrimm.

Aber sie konnten ihn nicht einfach in die Luft jagen, weil Fraser und Torens da draußen waren... wenn sie noch lebten. Und er musste davon ausgehen, dass sie noch am Leben waren, dachte er wütend.

»Abwehrschilde ausfahren! Oberflächenlaser abwehrbereit. Kampf-Eagles startklar«, erklang neben ihm die Stimme Simon Hays'

»Ich riskiere kein einziges Menschenleben, ehe ich nicht weiß, womit wir es zu tun haben«, sagte der Commander. Er stand auf und ging zu Picard hinüber.

»Es muss Leben auf diesem Planeten geben.«

»John, ich habe kreuz und quer Kontrollen gemacht. Kein Anzeichen von Leben auf der Oberfläche.«

»Und unter der Oberfläche?«

»Der Planet ist eine wahre Hölle... Leben, wie wir es kennen, kann darauf nicht existieren.«

»Commander Koenig!«

Eine warme, freundliche Stimme dröhnte in die Kommandozentrale. Sie kam vom Bildschirm her, und alle drehten sich blitzschnell um.

Das Bild eines distinguierten, intelligent wirkenden Humanoiden - etwa um die Fünfzig - füllte den Bildschirm aus. Er hatte dunkle, stechende Augen, geschärft durch langjährige Erfahrung. Er war von gut gebauter Statur, wenn auch ein wenig schwammig, trug einen dunkelblauen Umhang mit silbrigem, samtähnlichem Kragen. Der braune Bart war säuberlich zurechtgestutzt, das Haar silbern und kurzgeschnitten. Auf dem Kopf wuchs ein roter Haarschopf wie ein Hahnenkamm.

Er lächelte väterlich. Doch hinter der Freundlichkeit steckte ein Anflug von Arroganz - vielleicht auf eine Psychose zurückzuführen und das mahnte sie zur Vorsicht.

»Sie wissen, wer ich bin - aber wer sind denn Sie?« Koenig ging damit sofort zum Angriff über und ließ sich seine Überraschung nicht anmerken.

Die Gestalt schien überlegene Kraft auszustrahlen, während sie antwortete: »Ich bin Mentor vom Planeten Psychon.«

»Warum haben Sie unser Schiff angegriffen? Wir kamen in friedlicher Absicht.«

Die Gestalt gab sich erstaunt und zog die Brauen hoch. »Sie schicken ein bewaffnetes Schiff gegen unseren Planeten aus und reden von Frieden?«

Mentor trat zur Seite. Neben ihm kam jetzt eine Anordnung farbiger, futuristischer Röhrengebilde ins Bild. Im Inneren der Röhren hoben und senkten sich Flüssigkeitssäulen, deren Oberflächen gewölbt waren, wobei jede der Flüssigkeiten ein anders getöntes Licht ausschickte. Die stürmisch brodelnden Flüssigkeiten tauchten Koenig und Hays in ein warmes, psychedelisches Glühen.

Die Kamera, mit der Mentor die Röhrenanordnung projiziert hatte, und die er völlig zu meistern schien, machte mehrere Schwenks durch den Raum, in dem er sich befand. Jetzt kam eine Reihe schimmernder Tische von metallähnlicher Struktur ins Bild.

Die Tische trugen große, durchsichtige, kuppelförmige Gefäße, die mit einer zarten, gehirnähnlichen Substanz gefüllt waren, die in Nährflüssigkeit schwebte und voll Energie pulsierte. Die Gefäße waren durch Röhrenleitungen, die von rasch strömenden Flüssigkeiten durchpulst waren, mit einer Anordnung von Nährbänken verbunden.

Der große Fremde hatte sich nunmehr in den Mittelpunkt der kreisförmig angeordneten Kuppelgefäße begeben und nahm an einer lichterfüllten Steuerungskonsole Platz. Auf einem Bildschirm über seinem Kopf tauchte jetzt Koenigs Gesicht auf.

Koenig sah sich selbst sprechen. Trotz seines Zornes konnte er nicht umhin, den Unbekannten zu bewundern. Gleichzeitig bedachte er, dass er vor der hohen Intelligenz des Mannes auf der Hut sein müsse. Er hatte das Gefühl, dass sich Mentor als ein überaus mächtiger Gegner erweisen würde.

»Unser Schiff, das Sie eben gekapert haben, war ein Forschungsschiff auf der Suche nach Mineralvorkommen«, sagte Koenig in beherrschter Ruhe. »Wir hielten Ihre Welt für unbewohnt.«

Mentor sah zum Bildschirm auf, der Koenigs Gesicht zeigte.

»Ein oft gehörtes Argument, Commander, ein Argument, das den Tod von Millionen unserer Leute im Gefolge hatte. Schon andere Fremdlinge haben uns in der Vergangenheit unter diesem Vorwand angegriffen.«

Koenig ging auf dieses Thema nicht weiter ein. »Was ist mit meinen Leuten geschehen?«, fragte er.

»Ihre Piloten sind in Sicherheit... aber der Eagle ist irreparabel beschädigt.«

»Lassen Sie meine Männer zurückkehren, und wir werden alles tun und in Frieden abziehen. Mehr wollen Sie doch nicht, oder?

»Ja, Commander - Frieden!«, erwiderte Mentor. Seinen Worten haftete ein düsterer, zweifelnder Unterton an.

Koenig erkannte, dass er diese Äußerung wohl als charakteristisch für diesen Menschen hinnehmen musste. »Sie haben meine feierliche Versicherung, dass wir keine Feindseligkeiten Vorhaben«, sagte er zu dem Fremden.

»Und ich nehme Ihre Versicherung an«, erwiderte Mentor aalglatt. »Wir können also einen Plan für die Rückkehr der Piloten fassen.«

Koenig sah, dass nun der Großteil des Raumes, in dem sich Mentor befand, auf dem Bildschirm gezeigt wurde. Auf einem Wandvorsprung lag ein ausgewachsener Ozelot, behaglich schnurrend, und sah Mentor lippenleckend und bewundernd an. Mentor streckte eine umhüllte Hand aus und streichelte das Tier liebevoll. Die Augen des Ozelots schimmerten fast wissend.

»Das ist kein gewöhnliches Tier«, flüsterte Hays eindringlich.

Mentor sah zu Koenigs Gesicht auf. »Schicken Sie ein weiteres Eagle-Schiff. Ich werde Ihnen bezüglich des Landeplatzes Anweisungen geben.«

Hays schüttelte den Kopf. Koenig blickte in den Bildschirm. »Nein, das könnte zu weiteren Missverständnissen führen. Warum kein Treffpunkt im All?«

»Sieht aus, als trauten Sie uns so wenig wie wir Ihnen.«

»Auch wir wurden in der Vergangenheit hintergangen, Mentor«, sagte Hays.

»Dann treffen wir uns also im All, Commander!« Mentor machte ein nachdenkliches Gesicht. »Sie brauchen Minerale? Sehr schön. Schicken Sie mir einen Wissenschaftler, damit wir die technischen Details besprechen, und Sie bekommen Ihre Minerale.«

Koenig runzelte die Stirn und wechselte einen Blick mit Hays. Dann sah er wieder auf den Bildschirm. »Sie sind sehr großzügig - danke!«

Wieder füllten die vertrauten Züge des geheimnisvollen Mentor den Bildschirm, und trotz ihrer bösen Ahnungen fühlten sich Koenig und Hays wider Willen davon angezogen. Er war offenbar ein gerissener Halunke.

»Das ist ein geringer Preis für den Frieden«, erklärte Mentor. Erstaunlicherweise waren nun alle Spuren von Bösartigkeit aus Miene und Stimme verschwunden. Er schien der perfekte Freund. »Zufällig erlitt einer Ihrer Piloten geringfügige Verletzungen... Vielleicht können Sie auch einen Arzt schicken.«

»Machen wir, Mentor«, sagte Koenig.

»Freue mich schon, Sie kennenzulernen, Commander.«

Mentors Züge verblassten allmählich, der Bildschirm war wieder leer. Hays und der Commander sahen einander gedankenvoll an.

»Seine Freundlichkeit gefällt mir nicht, John«, bemerkte Hays.

»Mir auch nicht«, erwiderte Koenig. Er wandte sich an Mark MacInlock, den Chefpiloten. »Bestücken Sie Eagle Vier mit zusätzlichen Antriebsaggregaten, und machen Sie ihn startklar.«

»Jawohl!«

Der Chefpilot verließ die Kommandozentrale.

Hays sah Koenig fragend an. »Zusätzliche Antriebe? Sie haben es wohl ziemlich eilig, hinzukommen?«

Koenig erlaubte sich die Andeutung eines Lächelns. »Vielleicht eilt es mir noch mehr, wegzukommen!«

Der andere nickte verstehend.

Der weiße Ozelot streckte die Krallen, hob den Kopf und gähnte herzhaft.

Die verhüllte Gestalt Mentors bewegte sich geschmeidig von jenem Raum weg, von dem aus er mit dem Commander gesprochen hatte, und kam auf das Tier zu. Er streckte die juwelengeschmückte Hand aus und streichelte die große Katze. Gehorsam erhob sie sich und machte einen Buckel.

»Na, was hältst du von diesen Alphanern, Maya?«, fragte er.

Die Katze sah ihn wissend an und sprang herunter. Noch ehe das Tier den Boden berührt hatte, begann es zu glühen. Nun wurde es von einem undurchsichtigen Energiefeld eingehüllt, dann trat daraus die zittrig-schimmernde Gestalt eines jungen, wunderschönen, braunhaarigen Mädchens von etwa einundzwanzig Jahren hervor.

Die Umrisse der Gestalt verfestigten sich. Schließlich hatte sie die molekulare Umwandlung vollendet, eine Kunst, die sie in aller Vollkommenheit beherrschte - beobachtet von dem lächelnden Mentor.

»Du siehst blendend aus, meine Liebe!« Er streckte ihr zur Begrüßung die Hände entgegen.

Sie trug ein atemberaubendes Spitzenkleid von lebhafter Hautfarbe, besetzt mit schimmernden Steinen, die bei jeder Bewegung glitzerten und funkelten. Das volle, brünette Haar war in einem Knoten zusammengefasst. Die Brauen waren markant gewölbt und reichten weit seitwärts, was ihren feinen weiblichen Zügen eine entfernte Ähnlichkeit mit einem Luchs verlieh.

Sie ließ sich von ihrem Vater umarmen und einen zärtlichen Kuss auf die Wange geben. »Vater, mir gefallen die Alphaner. Hübsche Menschen, nicht? So anders als die anderen.« Sie sah wirklich bildschön aus. Und wirkte fast zu unschuldig.

Ihr Vater sah sie mit fürsorglichem Blick an. »Sie kommen offensichtlich aus einer der unseren ähnlichen Kultur - die natürlich nicht so fortgeschritten ist.«

Seine Tochter lachte fröhlich. Er fragte sich, was sie wohl denken mochte. Ihre Gestalt begann zu flackern, und sie nahm jetzt die Gestalt des Commanders an. Jedes einzelne Detail stimmte haargenau. »Na, wäre ich nicht ein guter Alphaner, Vater?«

»Lass das, Maya!«, warnte er sie streng. Er schien bestürzt, konnte aber seine Bewunderung nicht verhehlen. Er musste sich eingestehen, dass ihre Fähigkeiten außerordentlich waren. Sie war in der Kunst, die er sie gelehrt hatte, ein Naturtalent... in der Kunst der toten Psychoner, die er an sie weitergegeben hatte. Sie war der letzte Sproß ihres Geschlechts.

»Entschuldige«, sagte Maya. Sie schien gekränkt. Die Gestalt Koenigs verwandelte sich in einen hellfarbigen Baum. Ihr Vater runzelte die Stirn, obwohl sein Blick diesmal nicht so streng ausfiel.

»Ich lehrte dich die unschätzbare Kunst der Molekularumwandlung - und du gehst damit so um... alberne Spielerei!« schalt er sie.

Der Baum verwandelte sich wieder in seine Tochter zurück. Sie lächelte gewinnend. »Vater, du lehrtest mich diese Kunst, weil du wusstest, dass ich sie mir möglicherweise selbst würde aneignen können.«

»Das stimmt. Du bist klug, Maya. Eines Tages werden wir ein anderes Betätigungsfeld für deine Talente suchen müssen.«

»Wenn ich dürfte, würde ich dir gern bei deiner Arbeit helfen.«

»Da gibt es manches, was du nicht verstehst... noch nicht verstehst«, antwortete der Vater geduldig.

»Und diese Alphaner? Werden sie uns helfen, unseren Planeten wieder aufzubauen?«, fragte sie.

»Ja, Maya... Aber jetzt lauf los...«

Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und wandte sich zum Gehen.

Mentor sah ihr nach.

In einiger Entfernung drehte sie sich um und blickte zurück. Wieder lächelte sie spitzbübisch. Dann verwandelte sie sich neuerlich in einen Ozelot und sprang davon.

Er lächelte kopfschüttelnd. Jede Ermahnung war verlorene Liebesmüh. Sie war eben noch ein richtiges Kind.

Als er sich unbeobachtet fühlte, fuhr er sich sorgenvoll mit der Hand über die Stirn. Er konnte seiner zahllosen Sorgen nicht mehr Herr werden.

Seitdem das Schiff des Commanders auf dem Bildschirm aufgetaucht war und seine Scanner ihm alles Wissenswerte über den Eagle, die Alphaner und ihre Heimat auf der Mondbasis übermittelt hatten, war er zutiefst beunruhigt. Kein unbekanntes Gefühl für ihn.

Es überfiel ihn immer, wenn herumstreifende, fremde Lebensformen seinen Planeten in unmittelbarer Nähe passierten und ihn, Mentor, zwangen, sein verdammenswertes Ziel weiter zu verfolgen. Sein Inneres war mit gewaltigen Energievorräten ausgestattet.

Es war die Energie des Universums, die er mittels seiner einzigartigen Zellstruktur - die auch alle Angehörigen seines zum Untergang bestimmten Geschlechtes aufwiesen - nach Belieben anzapfen konnte. Sie durchflutete sein Inneres, konnte anschwellen und wieder abklingen. Mit dieser Energie konnte er das Universum zerstören.

Er brauchte mit dem Commander also nicht zu feilschen.

Aber er war ein Mann von Ehre und hatte seine Prinzipien. Er war ein Mensch, der Mitleid kannte. Er wollte nicht als Schurke angesehen werden. Vor allem aber lag ihm daran, in den Augen seiner heißgeliebten Tochter nur als liebevolle, väterliche Gestalt dazustehen.

Manchmal sehnte er sich danach, dass sie endlich ganz erwachsen wäre und er ihr die ganze Bürde an Verantwortung, die er zu tragen hatte, erklären könnte. Aber wie die Dinge lagen, konnte er sich darüber gegenüber niemandem aussprechen.

Mentor war völlig vereinsamt auf einem toten Planeten. Mit einer heftigen Gebärde seiner Hände verscheuchte er diese Gedanken.

Dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Ruhig drückte er einen Knopf der vor ihm stehenden Konsole. Der Bildschirm über ihm erhellte sich, und es erschien das Bild eines kahlen, bleichen Humanoiden. Er sah verbraucht aus, die Augen tot und glanzlos. Mit gefühllosem Ausdruck - leblos, teilnahmslos und ohne Regungen - blickte er seinen Herrn und Meister an.

»Mach den alphanischen Piloten bereit«, sagte er zu dem Aufseher. Das Gesicht nickte und verschwand.

Eilig drehte Mentor ab und wandte sodann seine Aufmerksamkeit den Röhren voller farbiger, sprudelnder Flüssigkeiten zu, die ihre kostbaren, lebensspendenden Strahlen in den Raum ausschickten. Diese Röhren waren es, die für ihn von größter Bedeutung waren. Das Versprechen, das sie in sich bargen, übertraf alles andere.

Er beugte sich über den Computer und tauchte die Hände in die sich dauernd ändernden, wirbelnden Lichtstreifen - und nahm deren heilende Energie in sich auf.

Der Bildschirm flammte auf und riss ihn aus seinen Zukunftsträumen. Das Bild von Eagle Vier erschien. Das Raumschiff bewegte sich auf den mit dem Commander vereinbarten Treffpunkt zu. Mentor stand auf und beobachtete interessiert das Manöver.

Er schien hocherfreut. »Sie kommen, Maya! Es sind Ehrenmänner!«

Der tote, verhasste Globus von Psychon hing vor dem Eagle im Weltraum. Die mächtigen Motoren des Schiffes donnerten. Tief im Inneren des feurigen Schiffsherzens fanden die Atomspaltungen statt, die das Schiff durch die dunkle, leere, leblose Vorhölle auf der Bahn ihrer Rettungsmission vorantrieben.

Aus der Sichtscheibe eines Raumfahrerhelmes starrten die nachdenklichen Augen Helena Russells. Sie beobachteten auf dem TV-Monitor, der sich im Inneren der Pilotenkanzel von Eagle Vier befand, den unheildrohenden, immer größer werdenden Planeten.

Helena steckte in dem gleichen orangefarbigen Raumanzug wie Koenig, Picard und MacInlock, die an den Steuerungskonsolen hantierten.

»Wir liegen richtig, John«, meldete MacInlock, der Chefpilot. Seine behandschuhten Hände glitten über Tasten und Knöpfe. In seinem unförmigen Anzug wirkte er reichlich unbeholfen. Aber er war es gewohnt, darin zu arbeiten.

Koenig streckte die Hand aus und betätigte einen Schalter. »Mentor, hier spricht Koenig.«

Der Monitor zeigte wiederum das Innere des Raumes auf Psychon, in welchem Maya und Mentor ihnen aufmerksam zusahen.

»Wir haben den Treffpunkt erreicht«, fuhr Koenig fort, beunruhigt darüber, dass man über seine Absichten unheimlicherweise informiert zu sein schien.

Mentor bewegte sich unmerklich in seinem wallenden Gewand und lächelte seiner Tochter zu.

»Mein Schiff trifft sich in Kürze mit dem Ihren, Commander«, sagte er zuvorkommend.

»Und Sie übergeben uns unsere Piloten?«

»Selbstverständlich.«

Mentor trat jetzt an die Konsolen mit den farbigen Röhren des geheimnisvollen Computers und fuhr mit der juwelengeschmückten Hand über eine der Röhren. Die darin befindliche brodelnde Flüssigkeit erzeugte nun ein Getöse, gleich dem gewaltigen Heulen eines Windes, der sich in geschlossenen Kaminen verfängt.

Koenig reagierte rasch. Er drückte einen weiteren Knopf. Sofort erlosch das Bild und wurde von einer Aufnahme der Planetenoberfläche abgelöst.

»Näher heran, John«, sagte Helena. »Ich möchte sehen, was sich auf der Oberfläche tut.«

Jetzt erschien eine neue Szenerie. Es war die gleiche, wie die von Max Ernst gemalte Landschaft, Felskonturen mit wirren Farbstreifen und Flecken, Vulkane, die ihr Inneres ausspien.

MacInlock hatte seinen Platz bei den Steuerungskonsolen verlassen, nachdem er den Eagle endlich in einen sicheren Orbit gesteuert hatte, und half nun Koenig.

Die Kamera begann, das zerklüftete, einsame Gelände abzutasten, übermittelte aber nichts Außergewöhnliches - keinerlei Anzeichen irgendeiner Aktivität.

Aber dann erspähten sie das, was sie suchten. Es war ein großes, teilweise zylindrisches Objekt mit flachem, rundem Schweif, das sich plötzlich inmitten der Gebirge erhob.

»Fixiere das, Mark!«, rief Koenig. »Das muss Mentors Schiff sein.«

Doch das Bild des flachen, grauen, fischähnlichen Schiffs hatte bald die ganze Bildfläche des Bildschirms voll eingenommen, und sie mussten die Kamera auf Fernbild einstellen.

Das Schiff stieg so rasch auf, dass es Augenblicke später wiederum die Bildschirmfläche abdeckte.

»Himmel!«, stieß der Chefpilot überrascht hervor. »Das schlägt ja sämtliche Rekorde. Das steigt ja... an die hundert Meilen pro Sekunde ab der Nullbeschleunigung! Gegen eine Schwerkraft von...« Er zog die Messangaben seiner Konsole zu Rate, »...von etwas über ein G! Die Insassen müssen einem gewaltigen Andruck standhalten... Wie können die das überleben?«

Koenig starrte bedrückt auf den Bildschirm. »Keine Ahnung.«

Plötzlich erschrak er. »Fraser und Torens... die sind doch an Bord dieses Schiffes!«

Der Bildschirm flackerte und erlosch sodann. Koenig fluchte. Jetzt erschien das Gesicht von Sandra Benes auf dem Bildschirm. Sie wirkte bekümmert. Der Commander wurde wütend. »Sandra - warum benutzen Sie nicht die Sprechanlage?«, fragte er ungehalten.

»Entschuldigen Sie, John... ich... wir haben das Schiff verfolgt. Mein Scanner lieferte so merkwürdige Werte...«

»Weiter...«

»Nun ja - dieser Mentor soll doch an Bord sein - oder?«

Koenig nickte ungeduldig.

»Ich kann aber keine Anzeichen von Leben feststellen.«

»Keine Anzeichen...?« Helena trat einen Schritt vor. »John...« Sie fasste erschrocken nach seiner Schulter.

Koenig starrte ergrimmt auf den Bildschirm. »Welches Steuerungssystem benutzt er?«, fragte er die bestürzte Technikerin.

»Meine Scanner zeigen ein automatisches System an. Magnetische Energiestufen, die stark fluktuieren.«

»Man hat uns hereingelegt...!«, presste Koenig mit fahlem Gesicht hervor. Er drückte auf einen Knopf, und das Bild des fremden Raumschiffes erschien wieder. Es hatte inzwischen gestoppt und war längsseits gegangen.

Sie konnten im vorderen Rumpfteil eine Reihe dunkler Öffnungen feststellen. Aus dem flachen, sohlenförmigen Rumpf ragten Antriebsraketen heraus. Das Schiff sah grau, leblos und unheimlich aus... ein blinder Riesenfisch, der dennoch mittels innerer, untrüglicher Sinnesorgane zu sehen vermochte.

Zögernd schaltete Koenig die Funkanlage ein. »Mentor, geben Sie uns ein Zeichen, wenn Sie zum Andocken bereit sind.« Er sah seine Leute an. »Keine Antwort...«Er wandte sich wieder dem Bildschirm zu. »Ich wiederhole: Geben Sie Zeichen, wenn sie zum Andockmanöver bereit sind!«

Ein Piepsen ertönte, und auf dem TV-Monitor erschien Hays erschrockenes Gesicht. »John... auf dem Schiff gibt es kein Lebewesen, keine Art von Lebensformen. Auch Fraser und Torens sind nicht an Bord.«

Koenig rappelte sich in seinem Raumanzug auf. Er wusste nicht, ob er erfreut oder enttäuscht sein sollte.

Aber es war dazu ohnehin zu spät.

Eine Serie heftiger Stöße erschütterte den Eagle und schleuderte die Insassen zu Boden. Kaum auf den Beinen, wurden sie wieder umgeworfen. Koenig und MacInlock krochen zu ihren Steuerungsaggregaten und konnten sich in die Pilotensitze hochzerren und bedienten mühsam die Apparate.

»Wir sind von magnetischen Kräften... gestört... ja... magnetische Energie... eben jetzt... wieder«, brachte er stoßweise hervor.

»Ja, John... es kommt von Mentors Schiff her... es strahlt... magnetische... Energie aus...«, krächzte MacInlock. »Wir... verlieren... an Höhe.«

»Volle Kraft voraus!«, rief Koenig.

MacInlock drückte den Steuerungsknüppel und die mächtigen Antriebsaggregate des Eagle erwachten gleichzeitig donnernd zum Leben.

Allmählich ließ das Schütteln nach, als die Antriebe den Eagle aus dem magnetischen Griff des Fisch-Schiffes befreiten.

»Wir sinken noch immer«, meldete MacInlock. »Jetzt... plötzlich wieder rascher...!« Entmutigt fügte er hinzu: »Es ist umsonst. Volle Kraft voraus genügt nicht. Zum Henker, was ist das?«

»Hilfsantriebe auf halbe Kraft«, befahl jetzt Koenig.

Wieder wurde das Schiff von einer mächtigen Energiewelle erschüttert, als die Hilfsaggregate einsetzten. Die Erschütterungen wurden immer heftiger.

Das Schiff kippte um, und sie mussten sich an ihre Sitze klammern, als der Boden nach oben gekehrt wurde. Aus dem Steuerpult vor ihnen schlugen Flammen.

»Der Eagle schafft es nicht!«, keuchte MacInlock. »Er bricht entzwei!« In dem Rauch und in der Hitze konnte er sich kaum verständlich machen.

Koenig bekam ein Gefühl, als würde ihm die Haut unter seinem Raumanzug vom Leibe gerissen. Eine Auswirkung der mächtigen Gravitationskräfte einerseits und der nach oben gerichteten Antriebskraft des Eagle andererseits, der mit zitterndem Rumpf zu entkommen versuchte. Aber auch eine Auswirkung der Anziehungsenergie des magnetischen Lassos, das man um sie geworfen hatte. Koenig versuchte, halb gelähmt, zu dem Hilfsantriebsknopf, vor dem MacInlock saß, hinüberzulangen, Aber er vermochte sich kaum zu rühren. Seine Muskeln schienen infolge des auf ihnen lastenden Druckes den Dienst versagen zu wollen. Sein ganzes Ich schrie vor Pein.

»Volle Kraft...«, flüsterte er.

Er schaffte es, den Finger auf den Knopf zu legen und zu drücken. Ein mächtiger Hammerschlag traf den Eagle. Die Hilfsantriebe gingen jetzt auf volle Kraft. Um ihn herum wurde die Kabine weiß.

Die zupackenden Klauen schienen ihm jetzt ganze Fleischfetzen auszureißen. Er klammerte sich verzweifelt an seine Sinne, während sein Schiff mit dem Fisch-Schiff ums Leben kämpfte.

Und dann spürte er plötzlich Freiheit. Er schien mit traumhafter Geschwindigkeit durchs All zu rasen. Dankbar nahm er zur Kenntnis, dass Eagle Vier den Kampf gewonnen hatte. Sie entfernten sich von ihrem Angreifer, sie hatten sich befreien können.

»Wir haben es geschafft«, stieß Koenig hervor.

Er drehte sich nach Helena und Hays um, die sich mühsam auf die Beine kämpften. MacInlock stemmte sich zu der vor ihm schwelenden Konsole hoch. Sein Anzug war rußverschmiert. Er traf Anstalten, das Schiff wieder in den Griff zu bekommen.

Hinter den Sichtscheiben ihrer Raumhelme lächelten sie einander zu. Hays drückte eine Taste, und der TV-Monitor wurde hell.

Die Oberfläche von Psychon entfernte sich rasend schnell. Das unheimliche, graue Schiff hob sich nur mehr als kleiner, entfernter Fleck davon ab und wurde rasch immer kleiner.

»Wir kehren zur Basis zurück«, sagte Koenig, »und tanken auf.«

Seine behandschuhten Hände machten sich am Steuer zu schaffen. Doch da stieß Hays einen Schreckensruf aus.

»John... schauen Sie! der Lichtball...!«

Alarmiert sahen sie alle auf den Bildschirm. Der so kurzlebige Ausdruck der Erleichterung wich aus ihren Gesichtern.

Der graue Fisch hatte sich in die helle Todeskugel türkisfarbener Energie verwandelt, die Eagle Eins gekapert hatte.

Koenig und MacInlock kämpften wieder mit der Steuerung. Aber die Lichtkugel ließ nicht locker.

Helena, Hays und Picard suchten verzweifelt Halt, während die Piloten mit dem Eagle eine Reihe von kühnen Ausweichmanövern durchführten.

Doch es war zu spät. Das Schiff schien stehenzubleiben. Koenig drückte sämtliche Tasten, aber das Schiff reagierte nicht mehr.

Der Bildschirm zeigte das helle, grünliche, pulsierende Glühen eines Lichtes aus der Tiefe eines Ozeans. Das seltsame Licht durchflutete die Kabine und hüllte sie in seinen Zauber.

Sie fühlten vollkommenen Frieden... körperlich und seelisch, und sie kämpften verzweifelt gegen die beseligenden Visionen, von denen sie übermannt wurden.

»Wir verlieren an Höhe«, meldete Helena.

Durch die grüne Flut auf dem Bildschirm sahen sie die vulkanischen Gipfel des Planeten Psychon wieder auftauchen. Das Schiff nahm Kurs auf einen der Gipfel, gelenkt von der Lichtkugel, und sie begannen einen sanften Abwärtsflug in seinen Krater.

Der Eagle wurde tief in dessen Inneres getragen. Die Szenerie, die sich ihnen auf dem Kraterboden bot, war an Seltsamkeit nicht zu überbieten. Sie befanden sich inmitten eines großen, weißgrauen Aschenmeeres.

Halb begraben in der Asche, ragten die Formen von Raumschiffen empor, von denen einige nach ihrer Konstruktion und ihren Emblemen noch zu bestimmen waren. Aber die meisten waren unbekannte, fremde Schiffe. Alte und neue. Still und tot lagen sie da. Man merkte, dass sie hier achtlos abgelagert worden waren. Wie von einer Riesenhand hingestreut lagen sie da.

»Ein Raumschiff-Friedhof!«, rief Helena erschrocken.

»Und wir mittendrin!« ergänzte Koenig.

Um sie herum türmten sich die Trümmer der großen Schiffe.

Mit leichtem Aufprall landeten sie. Das grüne Licht wurde schwächer, erlosch schließlich, und sie saßen nun da im kalten Licht ihres eigenen Schiffes, der nackten Wirklichkeit überlassen.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

»Eagle Vier an Mondbasis Alpha...«

MacInlocks Worte, in das Mundstück seiner Sprechanlage gesprochen, klangen gedämpft in der Grabesstille der Pilotenkanzel.

»Alpha kommen. Hören Sie mich?«

Helena, Hays und Picard umstanden ihn bedrückt. Ihre Raumanzüge hatten sie abgelegt, der fürchterlichen Hitze wegen, die sich darin gestaut hatte. Koenig teilte Waffen an sie aus.

In der Kabine roch es noch immer nach versengtem Plastikmaterial. Die weißen Schaumbläschen der Löschanlage waren allgegenwärtig.

»Ich erwisch sie nicht«, sagte MacInlock entmutigt.

»Los, weiter«, mahnte Koenig. Er gab Picard ein Raketengewehr und nahm sich selbst einen Stunner.

»Willkommen auf Psychon«, ertönte plötzlich Mentors tiefe, warme Stimme.

Koenig drehte sich blitzschnell zum Monitor um, auf dem Mentor nun erschienen war. Mentor schien mit sich selbst zufrieden und strahlte sie wohlwollend an.

»Keine Angst, Commander.«

»Ich habe niemals Angst, wenn ich es mit einem Ehrenmann zu tun habe«, entgegnete Koenig sarkastisch.

Das Gesicht Mentors auf dem Bildschirm wurde größer. »Ach... Sie sind ungehalten... und ich gebe zu, dass Sie allen Grund dazu haben. Haben Sie ein wenig Geduld, dann werden Sie alles begreifen.«

»Ich begreife alles, was sie wollen... aber erst, nachdem ich meine Piloten gesehen habe...«, erwiderte Koenig, der sich sehr zusammennehmen musste, um sich seine Wut nicht anmerken zu lassen.

Helena beugte sich vor und packte den Commander an der Schulter, denn auf dem Bildschirm sah man nun das Bild eines der vermissten Piloten.

»Ihr Wunsch ist mir Befehl«, ertönte Mentors Stimme als Untermalung.

Helen grub vor Entsetzen die Nägel in Koenigs Schultern.

Der für gewöhnlich überaus freundliche Ray Torens saß unter einer Konstruktion, die einer Trockenhaube bei einem Friseur glich. Er befand sich in jenem Abteil von Mentors Räumlichkeit, wo die gehirnähnliche Substanz in ihrer Nährflüssigkeit brodelte. Torens wirkte erregt und gespannt. An seinem Kopf waren Drähte angebracht, über ihm hing die durchsichtige Haube, die offenbar über ihn gesenkt werden sollte.

Aber am schrecklichsten waren zwei gräuliche, mumienhafte Gestalten, welche die Arme des Eagle-Piloten festhielten, so dass er sich nicht bewegen konnte. Reglos standen sie auf jeder Seite. Ihre Leiber waren mit einem ekelhaften, pilzartigen Bewuchs bedeckt. Es waren zwei von Mentors Aufsehern.

Zwei weitere Aufseher schleppten nun den sich wehrenden Bill Fraser herein und versuchten, ihn auf einen zweiten Sitz zu zwingen.

Fraser bemerkte geistesgegenwärtig Koenigs Gesicht auf dem Bildschirm in Mentors Raum und kämpfte mit gesteigerter Kraft, um sich zu befreien.

»Die Art und Weise meines Vorgehens liegt in unserem beiderseitig en Interesse«, erklang wieder Mentors selbstzufriedene Stimme, und die in der Kabine von Eagle Vier lauschenden Alphaner kochten bei seinen aufreizenden Worten vor unterdrückter Wut.

Plötzlich sahen sie, dass Fraser sich aus dem Zugriff der Aufseher befreit hatte und auf den Bildschirm zusprang. Sein Gesicht füllte die Scheibe aus. »Er lügt...«, stieß er atemlos hervor. Er schob Mentor aus dem Weg und schrie laut: »Traut ihm nicht. Er lügt!«

Blaue Energiestrahlen schossen aus den Augen eines Aufsehers und trafen den verzweifelten Piloten. Er fiel bewusstlos um.

Koenig und die anderen taten einen Schritt auf den Bildschirm zu, doch konnten sie nicht helfen... noch nicht.

»Sie müssen die Unterbrechung entschuldigen. Ihr Pilot hat Fieberphantasien«, äußerte Mentor ungerührt.

»In diesem Fall möchte ich ihn untersuchen«, fiel ihm Helena heftig ins Wort.

»Das werden Sie in Kürze... aber jetzt bleiben Sie bitte im Schiff, bis wir wieder Kontakt mit Ihnen aufnehmen.«

Der Bildschirm erlosch.

 

Die trügerisch warmen und kraftvollen Farben von Psyche blitzten auf und begannen zu wirbeln. Die Flüssigkeit wogte verheißungsvoll im Inneren der tausend Röhren, ihre Atome schwanger von den gespeicherten Leben der schon längst untergegangenen Rasse der Psychoner.

Psyche wartete darauf, dass ihr zusätzlich die Lebenskräfte der Alphaner zugeführt würden - um Psychon wieder bewohnbar zu machen und die verkrustete und verschlackte Oberfläche des Planeten, dessen Schöpfung sie war, wieder mit Leben zu erfüllen. Sie barg in sich das Geheimnis des Lebens.

In ihr war außerdem dieselbe rastlose Energie des Universums gefangen, die sich in ihrem Herrn ihr natürliches Ventil geschaffen hatte. Psyche war von Energien abhängig wie ein Tier von der Atemluft - sie war ihr Antrieb und ihr Verderben. Denn wenn die empfindlichen elektro-biologischen Mechanismen in ihr nicht sorgfältigst gewartet wurden, wenn sie Schaden erlitten, dann würde die Kraft sie auf dem allerdirektesten Weg verlassen.

Und jetzt bebten ihre Milliarden Partikel, belebt vor Erfüllung, als sie spürte, wie die Energie des Alphaners in sie überging.

Torens wehrte sich zunächst verzweifelt auf seinem Sitz unter der gewölbten Haube, doch schließlich gab er nach und saß erschöpft da. Schweiß strömte über sein Gesicht. Die Hände der zwei Pilzmonster, die seine Handgelenke festhielten, fühlten sich wie Stahlbänder an. Es war, als ob Roboter zupackten.

Er sah nach oben, zu der unheilvollen, durchsichtigen Haube und fragte sich, was Mentor mit ihm vorhatte. Seine Widerstandskraft war erlahmt. Er hatte sich heiser gebrüllt, und es hatte nichts genützt.

Wenigstens war er nicht tot, und damit hatte sich seine schlimmste Befürchtung an Bord des zum Untergang verurteilten Eagle Eins noch nicht erfüllt.

Frasers lebloser Körper lag auf dem Boden in jenem Raum, in dem sich der Computer befand... in der »Grotte«, wie Mentor sie nannte.

Ein durchscheinendes, vom Boden bis zur Decke reichendes Beobachtungsfenster trennte ihn von seinem Kameraden.

Mentors große, von einem wallenden Umhang verhüllte Gestalt stand neben dem Computer. Die liebenswürdige Miene hatte sich verhärtet. Torens sah, dass er den zwei lebenden Leichnamen, die Fraser betäubt oder getötet hatten, einen Befehl gab. Die Aufseher traten mit mechanischen Bewegungen vor, hoben den Körper hoch und schleppten ihn hinaus.

Mentor drehte sich nun um und sah Torens an. Er trat an das Fenster. Die Hände hielt er in den großen Samtmanschetten seines Gewandes versteckt.

Er spähte mit strengem Blick herein.

Die Situation war jetzt so, dass Torens sich wieder rührte und gegen sein Los ankämpfte. »Ich bin doch kein Versuchsaffe!«, rief er.

Mentor schüttelte betrübt den Kopf wie ein Arzt, der einen unheilbar kranken Patienten ansieht. Er löste die verschränkten Arme und drückte einen Knopf an seinem Gürtel.

Im Inneren der Haube über Torens ertönte ein surrendes Geräusch. Der Pilot sah hinauf. Sein Gesicht verwandelte sich bei dem verzweifelten Bemühen, sich zu befreien, in eine Grimasse, verzerrt, die Stirnadern zum Platzen angeschwollen.

Die Haube senkte sich langsam auf ihn herab. Immer tiefer kam sie. Er spürte Schwindel, während die drohende Öffnung immer näher kam. Von ihr schien eine mächtige, lähmende Kraft auszugehen.

Er schrie auf, als das Schwindelgefühl sich verstärkte und ein stechender Schmerz seinen Kopf durchzuckte. Der Schmerz schien ihm den Schädel zu spalten. Dann kam gnädige Schwärze. Die surrende Haube bedeckte jetzt seinen Kopf vollständig. Torens sank in seinem Sitz zusammen.

Nun erhob sich ein unheimliches, kreischendes Geräusch im Inneren der Grotte, wo sich Psyche und auch Mentor befanden. Das Geräusch ähnelte einem heulenden, ununterbrochenen Kreischen, teils von einem Tier, teils von einer Maschine stammend.

Es war das Geräusch der Psyche.

Die Flüssigkeiten in ihren Röhren begannen stürmisch zu brodeln. Die Flüssigkeitssäulen hoben und senkten sich wie Kolben in ihren Glasbehältern. Weiße Bläschen entstanden, bildeten eine Schaumschicht in den unter Druck stehenden Flüssigkeiten und strömten an die Oberfläche der Flüssigkeiten.

Die gehirnähnlichen Massen in ihren Nährtanks begannen zu glühen, und das von ihnen ausströmende Licht flackerte und zuckte in ihrem Rhythmus.

Unter der Haube im Inneren des Gehirnübertragungsaggregates richtete Torens' Gestalt sich wieder zu einer Art Leben auf. Er verfiel in wilde Zuckungen.

Sein ganzer Körper schüttelte sich und bebte. Er starrte mit großen Augen vor sich hin, als wäre er hellwach. Dann verdrehte er die Augen nach oben und stieß einen grässlichen Schrei aus, der von Angst und Schmerz kündete. Sein bemitleidenswertes Bewusstsein wurde ihm aus dem Kopf gesaugt.

Die Erinnerungen des Piloten, seine Lebensenergien, wurden auf die glühenden Gehirne übertragen, und Psyche seufzte in einem wilden, ekstatischen Behagen auf, das sich in der Grotte als unerträgliche elektronische Oszillation manifestierte.

Mentor hielt sich zähneknirschend die Ohren zu. Dann erstarb das Kreischen des Computers. Die Flüssigkeiten beruhigten sich, und die glühenden Gehirnmassen nahmen wieder den normalen Zustand an.

Mentor ließ die Hände sinken. Er schien erfreut, trat an die Nährtanks und studierte eine Reihe von Zeigern.

Maya trat ein. Er bedachte sie mit einem gütigen Lächeln. Sie trat voll Stolz an die Tanks neben ihren Vater, erfreut über seinen offensichtlichen Erfolg.

»Sieh mal, Maya...« Mentor zog sie an sich und zeigte ihr die Messwerte.

»Ein Ansteigen von Psyches Energiestufe! Wieso denn, Vater?« Sie schien erstaunt.

»Der Pilot der Alphaner, dieser Torens, ist eine Verbindung mit ihr eingegangen. Da ist das Ergebnis.«

»War er einverstanden?«, fragte seine Tochter zweifelnd.

»Ja.«

»Und es gibt keine schädlichen Nebenwirkungen?«

Mentor schürzte die Lippen. Im Hintergrund seiner Augen wurde ein unsicheres Flackern sichtbar. Er drückte liebevoll ihren Arm.

»Keine!«, versicherte er ihr. »Sieh doch... er ist müde. Ich habe einen der Aufseher angewiesen, er möge sich um ihn kümmern, bis er sich ausgeruht hat.«

Tochter und Vater blickten durch das Beobachtungsfenster. Torens kam langsam zu sich. Er machte einen schläfrigen und benommenen Eindruck. Die zwei Aufseher halfen ihm auf die Beine und führten ihn hinaus.

Maya wandte sich mit strahlendem Lächeln an ihren Vater. »Das ist ja wunderbar, Vater... Werden uns die anderen auch helfen? Es sind so intelligente Menschen.«

Mentor wandte sich um, so dass seine Tochter sein Gesicht nicht sehen konnte. Dabei fiel sein Blick auf den an der Wand angebrachten Bildschirm. Er zeigte die Gestalten von Koenig und den Alphanern, die sich eilig einen unterirdischen Gang entlang bewegten.

Er antwortete: »Ja, ich bin sicher, dass sie es tun werden.«

Er hob unvermittelt die Fingerspitzen an die Schläfen und runzelte in Konzentration die Stirn - der Bildschirm erlosch, bevor seine Tochter Gelegenheit hatte, die verzweifelten Gestalten darauf zu sehen.

 

Der sich windende unterirdische Gang, aus dem Fels herausgehauen, führte die Besatzung des Eagle steil nach unten.

Die Luft war heiß und beißend von den ätzenden Schwefeldioxydschwaden.

Die Wände, vom Licht ihrer Fackeln erleuchtet, wiesen dieselben vielfarbigen Mineraladern auf, wie die Gebirgszüge auf der instabilen Oberfläche des Planeten. Sie glänzten und schimmerten vor Feuchtigkeit, und man sah Dutzende seltener und unbekannter Metalle, darunter Tiranium - jenes kostbare radioaktive Metall, dessentwegen sie auf Psychon gekommen waren. Es war eine Ironie des Schicksals, dass das Metall nun in so großen Mengen um sie herum vorkam und seine Gewinnung jetzt für sie nur mehr von sekundärer Bedeutung war.

Trotzdem sammelte Helena im Gehen lose Brocken davon ein und steckte sie in ihre Ärztetasche. In wenigen Sekunden hatte sie so viel eingesammelt, dass die Wiederherstellung der Lebenserhaltungssysteme gewährleistet wäre und Mondbasis Alpha für Monate ausgesorgt hätte.

Sie lief Koenig und den anderen nach, die inzwischen eine Öffnung in dem muffigen Gang gefunden hatten. Seitdem sie Eagle Vier verlassen hatten, waren sie, wie ihr schien, stundenlang in den Katakomben umhergeirrt und hatten nach einem Eingang in Mentors Festung gesucht. Sie war nun erleichtert zu sehen, dass sie endlich ein Ziel erreicht hatten.

Koenig gebot mit erhobenem Arm Stille, und sie schlich so leise wie möglich dem reglosen Trio nach. Durch die dampfhaltige Luft drangen schwache hämmernde Geräusche an ihr Ohr.

Vorsichtig spähten sie um eine Ecke in das Gewölbe. Eine gleichermaßen surreale wie Entsetzen einflößende Szene bot sich ihren Blicken dar.

Der Gang weitete sich zu einer riesigen, von Menschenhand geschaffenen Kaverne, in der die Luft schwer war vor vulkanischen Dampfschwaden. In diesem Dunst bewegten sich bizarre Gestalten. Sie bearbeiteten mit schweren Schürfgeräten die Felsflächen und hackten wild drauflos. Es waren Lebensformen aller Arten und Größen, irdischen und fremdartigen Ursprungs.

Eine große Reptilsgestalt mit semi-humanoidem Fischkopf schwang unermüdlich einen Pickel gegen einen Geröllbrocken, der von der Oberfläche abgesprengt worden war. Ein gedrungenes blaues Lebewesen mit Riesenkopf und hervorquellenden Augen wusch lethargisch die Mineralklumpen, die es gewonnen hatte, nach reinem Metall aus.

Ein Humanoider mit Fell und missgestalteten Gliedmaßen starrte mit Untertassenaugen leer um sich. Er schien nicht zu wissen, was er anfangen sollte. Sein Blick, der ihnen eisig durch Mark und Bein fuhr, schien sie direkt anzustarren.

Auf dem holprigen Grund liegend, fast völlig in durchscheinende Dämpfe gehüllt, sahen sie ein wahrhaft seltenes Wesen. Seine unteren Partien bestanden aus einem pflanzlichen Wurzelsystem, und darauf befand sich ein humanoider Oberkörper, bedeckt mit einer scheckigen, borkenartigen Haut. Matt und ausdruckslos schwankte es auf der Felsoberfläche hin und her.

Seinen Augen entströmte eine beängstigende Flüssigkeitsmenge.

Und um sie alle herum die erbärmlichen Gestalten der fungoiden Aufseher. Sie standen stocksteif mit verschränkten Armen da und boten den Eindruck absoluter Autorität.

Die Alphaner sahen einander wie betäubt an.

»Verschiedenartige Lebensformen«, flüsterte Helena.

»Die stammen sicher von den Raumschiffen, die wir draußen sahen«, bemerkte Koenig.

MacInlock starrte die Gestalten in fasziniertem Entsetzen an.

»Wie die sich bewegen... wie die aussehen!«

»Sie leiden an irgendeinem Gehirnschaden«, meine Helena. Sie schauderte. »Jetzt wissen wir, was Mentor mit seinem Willkommen meint.«

Weder die Grubensklaven noch die Aufseher schienen von ihrer Anwesenheit Notiz zu nehmen. Sie gaben also ihre Deckung auf und gingen quer durch die Kaverne.

Dann betraten sie wieder einen Gang, der tiefer ins Planeteninnere führte. Allmählich verklangen die Geräusche hinter ihnen, doch plötzlich wurde die Stille durch eine Woge des Gelächters erschüttert.

Es war ein irres, erschreckendes, sadistisches Lachen, das spöttisch vor ihnen widerhallte, ein Geräusch, das ihnen durch Mark und Bein drang.

Es folgte ein Schmerzensschrei. Der Schrei verklang, und abermals trat Stille ein.

Erschrocken sahen sie einander an. Mit den Waffen im Anschlag gingen sie weiter. Gleich darauf erreichten sie wieder eine Kaverne, größer als die vorherige. Darin machten sich noch viel mehr der werkenden, ziellosen Sklaven zu schaffen. Die Eindringlinge bahnten sich wachsam den Weg durch die Scharen, als Helena einen Schrei ausstieß.

»Torens!«

Die gespensterhafte Gestalt des Piloten kreuzte ihren Weg. Seine Augen waren glasig und leblos. Er starrte leer vor sich hin, als er, einen mit Erz beladenen Container ziehend, an ihnen vorüberschlurfte.

»Torens!«, rief Koenig entsetzt aus.

Er fasste nach dem Ärmel des Piloten.

Torens jedoch riss sich los und setzte seinen Marsch, einem lebenden Leichnam gleichend, fort. Er schleppte das Erz zu einem größeren Container.

»Er erkennt uns nicht!«, rief MacInlock.

Helena schluckte schwer. Sie war aschfahl geworden. Diesen Symptomen war sie nur selten begegnet, doch wusste sie, was sie anzeigten. »Man hat sein Bewusstsein zerstört«, sagte sie zu den anderen.

Zutiefst besorgt stürzte Koenig auf Torens zu.

»Torens...«, setzte er an.

Weiter kam er nicht. Ein massiver Vorschlaghammer traf sein Nervensystem. Er spürte, wie sein Körper jegliches Gefühl verlor.

Als er zu sich kam, lag er auf dem Boden. Sein ganzer Körper schmerzte. Koenig rappelte sich mühsam auf. Matten Blickes beobachtete er Torens und den Container.

»Ein Energiefeld...«

Während er überlegte, wie er sich dem Piloten nähern könnte, ertönte von hinten ein schlurfendes Geräusch. Ein Aufseher kam näher, mit steifen mechanischen Schritten. Das Gesicht maskengleich, abweisend. Hinter den schmalen Augenöffnungen pulsierte ein dumpfes blaues Licht.

Koenig brachte instinktiv den Stunner in Anschlag und feuerte. Ein starker, bleistiftdünner Lichtstrahl traf den pilzartigen Schirm, der Kopf und Schultern des Wesens fast vollständig bedeckte.

Plötzlich war es verschwunden. An seiner Stelle lag ein kleiner rauchender Felsbrocken.

»...ich hatte nur auf Betäubung eingestellt...« brach Koenig das entsetzte Schweigen.

Picard machte ein grimmiges Gesicht.

»Molekularumwandlung«, sagte er. »Das haben wir schon beim Raumschiff und den Lichtkugeln gesehen... und jetzt wieder.«

Während sie hinsahen, verwandelte sich der Fels in ein wirbelndes Band vertikalen Lichtes. Es erlosch allmählich, und vor ihnen nahm Mentor Gestalt an. Er wirkte sehr verärgert.

»Werfen Sie die Waffen weg, Commander.«

Koenig versuchte, an Mentors Trugbild vorbeizukommen.

»Davon kann ich Ihnen nur dringend abraten«, sagte Mentor scharf. »Mein Abbild ist von einem Energiefeld umgeben. Sie kommen da nicht durch.«

Picard lachte höhnisch. Er legte mit der Raketenwaffe an und zielte auf Mentors Projektion.

»Sein Abbild ist nur eine elektromagnetische Erscheinung«, sagte er. »Laserenergie von ausreichender Stärke könnte den Stromkreis entladen und das Bild verschwinden lassen.«

Mentors Miene nahm einen warnenden Ausdruck an.

»Koenig, ich warne Sie. Was immer Sie anwenden, es wird sich gegen Sie richten.«

Picard sah Koenig an. »Ich denke, dass ich den Strahl neutralisieren könnte.«

Koenig war seiner Sache nicht sicher. »Warten Sie, Lew...«, setzte er an.

Aber Picard trat vor und feuerte auf das Trugbild.

Eine massive Ladung schoss im Bogen hervor und blendete sie. Der Bogen traf auf, aber anstatt das Bild zu zerreißen, prallte er von seiner Oberfläche ab und schnellte zurück.

Er traf Picard. Er hüllte ihn in einen strahlenden Energieball. Als das Licht sich klärte, war er verschwunden.

»Picard!«, schrie Helena auf.

Koenig und MacInlock erhoben die Waffen gegen das Bild, aber noch in der Bewegung wurden die Waffen in rauchende Trümmer verwandelt, die sie fallen ließen.

»Commander, Widerstand ist gleich Dummheit«, dröhnte Mentors Stimme. Seine Miene hatte sich wieder gemildert - als hätte eine so zwingende Demonstration seiner Kräfte die Psychose in ihm gemildert.

Helena starrte noch immer zu der Stelle hin, wo Picard verschwunden war. Koenig fasste nach ihrem Arm. Er zog sie mit sich, den Gang entlang, gefolgt von MacInlock und Hays.

Mentor starrte ihnen düster nach. »Nun denn«, sagte er.

Sein Abbild löste sich in Luft auf.

Gleich darauf füllte unheimliches grünliches Glühen die dumpfen Tunnels. Es kräuselte sich wie tropisches, durchscheinendes Seewasser. Es hatte seinen Ursprung an einem Punkt, der vor der Eagle-Besatzung lag.

Sie blieben stehen und starrten den geraden, Gang entlang.

»Es ist... der Ball!«, rief MacInlock warnend. Aber für eine Reaktion war es zu spät.

Die blendende Kugel, die Eagle Eins angesaugt hatte und später auch ihr eigenes Raumschiff, war wieder zur Stelle. Sie kam immer schneller, schließlich mit enormer Geschwindigkeit auf sie zu. Bevor sie zum Laufen ansetzen konnten, hatte die Kugel sie erfasst, und sie fühlten, wie ihr Bewusstsein in völlige Schwärze gesaugt wurde.

 

Hunderttausende Meilen entfernt streiften die empfindlichen tastenden Fotosensoren von Mondbasis Alpha über den dunklen Himmel.

In der Kommandozentrale unter der Mondoberfläche beobachteten Sicherheitschef Tony Verdeschi, Sandra Benes, Jameson und andere die Bilder, die die Kameras ihnen überspielten.

Sie waren voller Sorge, nervös und müde. Sie hatten Psychon lokalisiert, und der Bildschirm wurde von der qualmenden toten Oberfläche des Planeten ausgefüllt.

Sandra saß an ihrer Konsole. Sie fuhr mit der Hand durch das Kraushaar und schüttelte den Kopf.

»Such weiter, Sandra... die sind irgendwo da unten«, sagte Verdeschi.

Eine Tür glitt auf, und Annette Fraser trat mit einem Tablett voller Gefäße ein. Sie sah am ärgsten aus. Auf ihren Wangen mischten sich Tränen mit zerronnener Wimperntusche. Während des Gehens zitterte das Tablett in ihrer Hand. Und sie hatte sich so bemüht, die Fassung nicht zu verlieren! Sie hatte helfen wollen - denn sie wusste, dass sie ihrem Mann Bill Fraser nicht helfen konnte, wenn sie sich dem herzzerreißenden, erbarmenheischenden Schmerz hingab.

Sie setzte das Tablett klappernd ab und verteilte die Kaffeebehälter. Niemand sagte ein Wort, niemand hätte etwas zu sagen gewusst. Es gab auch nichts zu sagen.

Sandra starrte die gelieferten Bilder an. »Sie sind irgendwo da draußen, aber ich kriege keine näheren Angaben herein«, jammerte sie. »Wir bekommen immer nur die Planetenoberfläche herein... und diese Schockwellen. Die werden immer stärker. Aber sie gehen nicht von Psychon aus. Sie kommen aus einem völlig anderen Sektor.« Ihre Verwirrung war total.

»Es muss sich um Interferenzwellen irgendwelcher Art handeln. Ich würde mir darüber im Augenblick nicht den Kopf zerbrechen«, meinte Verdeschi. Er sah mit grimmiger Miene den Film auf dem Bildschirm. »Unser auf Psychon gerichteter Strahl muss von einem Scanner-Schirm abgewehrt werden. Sieht aus, als würde Mentor unser Vorhaben blockieren.«

Annette verteilte weiter Kaffee, und er nahm die Gelegenheit wahr, Sandra über Annette auszufragen. »Wie geht es ihr?«

Die Technikerin schüttelte den Kopf und seufzte. »Solange sie weiß, dass er lebt, schafft sie es gerade noch.«

»Ich habe Angst, dass sie überschnappt.«

»Haben Sie Geduld mit ihr, Tony, die beiden sind schließlich erst seit zwei Monaten verheiratet.«

Sie war den Tränen nahe. Wieder sah sie hinunter auf ihre Messwerte. Die Angaben verschwammen vor ihren Augen und verloren jegliche Bedeutung.

 

Die dunklen Wellen wogten durch Koenigs Kopf. Allmählich kam er wieder zu sich. Er lag auf irgendeinem Sitz.

Der Raum schien schmerzhaft hell, als er die Augen öffnete, doch konnte er die verschwommenen, undeutlichen Umrisse nicht in den Blick bekommen.

Etwas lag auf dem Boden und starrte ihn an. Ein Lebewesen.

Kopfschüttelnd setzte er sich auf. Sein Sichtvermögen kam schlagartig wieder, und er warf einen Blick zu der Gestalt hin.

Er langte nach der Waffe und drückte sich an die Wand, als er sah dass das Lebewesen ein ausgewachsenes, großes Löwenweibchen war.

Es sah ihn seelenruhig mit zuckenden Bartspitzen an. Anders als alle Löwinnen, die er bis jetzt gesehen hatte, schien diese hier überaus intelligent.

Der Raum, in den man ihn geschafft hatte, war klein und viereckig und führte auf einen Gang hinaus.

Er wollte sich an der Löwin vorbei zum Ausgang schleichen. Doch während seines Bemühens begannen die Umrisse des Tieres zu flimmern. Sie verwandelten sich in eine Energiesäule. Die Säule verschwand, und an ihrer Stelle stand die betörend schöne Frau, die er in Gesellschaft Mentors, ihres Kerkermeisters, gesehen hatte.

»Habe ich Sie erschreckt, Commander?«, fragte sie mit schüchternem Lächeln.

Koenig unterdrückte seine Überraschung... und sein Begehren. »War das nicht der Zweck der Übung?«

»Verzeihen Sie mir. Das wollte ich nicht.« Sie schien gekränkt.

»Ihr Psychoner habt was übrig für Spaß und Spiel. Wer sind Sie?«, fragte er zynisch.

»Maya, die Tochter Mentors.«

»Seine Tochter - und ebenso trickreich.«

Er ging auf sie zu und wollte sie anfassen, aber seine Hände kamen in Berührung mit einem Kraftfeld.

»Ohhh«, schnappte er nach Luft, als die elektrische Ladung seinen Körper durchjagte. Koenig zog sich eilends zurück. »Damit möchte ich nicht wieder in Berührung kommen.«

»Tut mir leid, ich hätte sie warnen sollen... vor dem Kraftfeld.«

»Natürlich«, sagte Koenig trocken und rieb seine versengten Hände. »Wo sind die anderen?«

Jetzt machte Maya ein ehrlich überraschtes Gesicht.

»Warum sind Sie so unfreundlich?«, fragte sie.

Koenig sah sie kühl an. Er kochte innerlich. »Man hat mich belogen«, fing er wütend an. »Angegriffen. Ich musste mit ansehen, wie man meine Leute misshandelt, sie tötet. Soll ich weiterreden?«

Maya sah ihn beunruhigt und ein wenig von oben herab an. »Commander, Sie haben sich wohl noch nicht völlig erholt.«

»Mentor hat uns betrogen!«, rief Koenig lauter als beabsichtigt. Sein Gesicht hatte sich gerötet. »Er hat uns grausam vernichtet!«

Jetzt war es an der katzenhaften Frau, wütend zu sein. Ihre Augen funkelten. »Mein Vater täte niemandem etwas zuleide!«

Noch ehe Koenig antworten konnte, hatte sie nach dem Goldanhänger ihrer Halskette gefasst. Ihre schmalen Finger berührten eines der blitzenden, strahlenförmig angeordneten Glieder des Anhängers.

Das Kraftfeld schimmerte auf und erlosch.

»Kommen Sie«, sagte sie eisig. »Er möchte Sie sehen.« Sie führte ihn den Korridor entlang, und Koenig folgte ihr.

Es war absurd, aber er hegte Schuldgefühle wegen seines Zornausbruches vorhin, denn an ihrer geraden Art war etwas, das anzeigte, dass sie von den Machenschaften ihres Vaters nichts wusste.

Bald hatten sie den Raum erreicht, wo Torens und Fraser gewaltsam dem gehirnzerstörenden Prozess unterzogen worden waren.

Koenig ballte die Fäuste.

Die wallend umhüllte Gestalt Mentors hob die Arme, als er sie sah. Er ließ zur Begrüßung ein verzerrtes Lächeln sehen.

Koenig würgte es vor Übelkeit.

»Kommen Sie, Commander Koenig.«

Koenig schritt an ihm vorbei und betrat die »Grotte«. Maya wollte ihm folgen, doch ihr Vater gebot ihr Einhalt.

»Jetzt nicht, meine Liebe. Der Commander und ich müssen wichtige Dinge besprechen«, sagte er sanft.

»Aber, Vater, der Commander ist sehr beunruhigt. Ich möchte dabei sein, wenn du ihm alles erklärst.«

Sie sah selbst einigermaßen beunruhigt aus.

Während Koenigs Blick über die farbigen, pulsierenden Röhren auf der Empore vor ihm glitt, nahmen seine Ohren ihren Kummer und die sanfte, aber feste Antwort ihres Vaters wahr.

»Keine Angst, Maya«, sagte Mentor. »Der Commander wird sicher für alles Verständnis haben. Geh jetzt. Später kannst du dich mit ihm unterhalten.«

Koenig hörte ihren ungeduldigen Ausruf und ihre Schritte, als sie hinauslief. Er drehte sich nicht um und wartete stattdessen, dass Mentor näher kam.

»Das ist Psyche, mein lieber Commander, ein biologischer Computer«, sagte Mentor in seinem Rücken.

Koenig wandte den Blick nicht von den farbigen Röhren. Wider Willen war er fasziniert.

»Geschaffen aus den Seelen und Körpern derjenigen unserer Leute, welche die Katastrophe überlebten, die uns überwältigte, als die Natur anfing, verrückt zu spielen.«

»Wo sind meine Leute?«, fragte Koenig ohne Umschweife.

»Sehen Sie sich zunächst Psyche an«, sagte Mentor, schon um vieles kühler. »Unser Schicksal ist miteinander verknüpft, müssen Sie wissen.«

»Wir bestimmen selbst über unser Schicksal«, sagte Koenig, doch Mentor schnitt ihm das Wort ab.

»Sie haben diesen Planeten gesehen. Ein vulkanischer Hochofen. Mittels Psyche werde ich ihn verwandeln, ihn wieder zu der schönen Welt machen, die er einst war. Eine Welt, in der unsere Zivilisation einen neuen Anfang findet.«

Der glühende Fanatismus, den sie in Mentor gespürt hatten, drückte sich in diesen Worten noch eindringlicher und spürbarer aus. Koenig fühlte, dass seine Psychose möglicherweise echt war, und er wählte seine Worte bedachtsamer, um seine Leute nicht zu gefährden.

»Ist ja gut, Mentor. Sie haben einen schönen Traum. Ich unterhalte mich gern mit Ihnen darüber, wenn ich erst meine Leute gesehen haben werde.«

Aber Mentor schien seine Worte gar nicht zu hören,

»Psyche braucht zur Errichtung ihres Zieles Energie. Eine Energie, die man nur im Gehirn intelligenter Lebensformen findet, mit anderen Worten, sie braucht Ihre Alphaner.« Koenig prallte entsetzt zurück.

»Diese Wesen in den Gruben... Torens... Sie haben ihr Gehirn an diese Maschine verfüttert?«

Mentor sah ihn flehentlich an. Seine Stimme klang hysterisch, als er sagte: »Koenig, es gibt keine andere Energiequelle...«

»Und warum halten Sie sie in Schächten und Gruben? Warum lassen Sie sie nicht wenigstens anständig sterben?«, fragte Koenig voller Verbitterung.

Mentor geriet in Erregung. »Ich würde es tun, aber ihre Arbeit ist nötig, damit wir Metall für Psyches physisches Dasein gewinnen.«

Koenig war außer sich. »Sie erwarten von mir, dass ich meine Leute dieser... dieser Ruchlosigkeit aussetze?«

»Ihre Gegenwart hier im All gab mir die Chance!«, rief Mentor laut aus. »Vielleicht die einzige Chance, meine Welt wieder zu beleben.« Doch da fiel ihm sein unmittelbares Anliegen ein, und er nahm wieder sein übliches autoritäres Gehabe an. »Leider bleibt Ihnen keine andere Wahl, Commander. Sie müssen sich damit abfinden!«

Koenig starrte ihn hasserfüllt an.

Mentor fuhr fort: »Psyche verfügt über die Gabe der Molekulartransformation.« Noch während des Sprechens legte er die Fingerspitzen an die Schläfen und versenkte sich in Konzentration. Der Bildschirm an der Wand lebte auf.

Koenig erstarrte, als er die silbrigen Aufbauten auf der Oberfläche der Mondbasis Alpha ausnahm. Im Hintergrund hingen die Sterne im dunklen Weltall.

»Sie hat die Kraft, Materie in jede gewünschte Form zu verwandeln. Sehen Sie mal Ihre Mondoberfläche.«

Sofort begann ein Gebäude im Forschungsgelände auf der Mondoberfläche zu glühen. Rauch strömte aus.

»Wenn Sie meine Forderungen ablehnen, werde ich Ihren Mond zu Asche machen.«

Koenig reagierte rasch. Seine Augen verrieten merkwürdige Wachsamkeit.

»Sie haben recht, Mentor, gegen Sie kommen wir nicht an«, sagte er.

Mentor strahlte. Er berührte seinen Gürtel.

»Ich danke Ihnen für die Mitarbeit...«, begann er.

»Nein, nicht so schnell, Mentor«, unterbrach ihn Koenig. »Sie verstehen mich nicht.« Er sah ihn herausfordernd an.

Mentor runzelte die Stirn.

»Los. Vernichten Sie doch den Mond«, fuhr Koenig fort.

Mentor zögerte. Er war sich über die Absichten des anderen nicht im Klaren. »Na gut«, sagte er kühl.

Wieder fasste er nach seinem Gürtel und drückte einen Knopf. Auf dem Bildschirm ging das beschädigte Mondgebäude in Flammen auf und ließ Schutt und Trümmer über zwei Mondfähren regnen, die gerade zu Aufklärungszwecken über das felsige Gelände rollten.

Koenig zuckte zusammen, heuchelte Gleichgültigkeit.

»Sie möchten also, dass ich Ihren Leuten gewaltsamen Tod bringe?« fragte Mentor.

»Wenigstens finden sie einen raschen Tod«, sagte Koenig fast geistesabwesend. Er starrte noch immer die rauchende Stelle an, an der das Forschungsgebäude gestanden hatte.

Mentors Stimme erscholl zornig.

»Ich verfüge über die Macht, und ich werde sie benutzen!«, erklärte er.

»Zerstören Sie den Mond, und Sie fügen sich selbst eine große Niederlage bei. Kein Mond, keine Alphaner!«

Die Männer starrten einander an. Koenig ungerührt, Mentor kurz vor einem Wutanfall stehend. Doch der Psychoner unterdrückte die flammende Energie, die hinter seinen Augen lauerte.

»Tun Sie, was ich sage, und Ihre Freunde sind gerettet. Auf dem neuen Psychon wird Ihnen, Commander, ein Platz sicher sein.«

»Darauf gehe ich nicht ein«, sagte Koenig mit Nachdruck.

Mentors Miene verhärtete sich. Langsam drehte er sich um und ging ans Beobachtungsfenster.

»Sie wollten wissen, was aus Ihren Leuten geworden ist«, sagte er gleichmütig.

Koenig folgte ihm beunruhigt.

Er hatte die Grotte noch nicht voll in Augenschein nehmen können.

Am Fenster angelangt, sah er Helena, Fraser, Hayes und MacInlock in den Stühlen, die harmlos aussehenden Hauben über sich. Da wurde er von einem geistigen Schock übermannt.

Sein Herz schlug wie wild, er zitterte am ganzen Leibe.

 

 

 

Viertes Kapitel

 

 

»Helena!«, rief er aus.

Er sprang vor und presste die Hände gegen die Scheibe.

Fassungslos sah er die Ärztin, die ihn ihrerseits auch gesehen hatte und nun verzweifelt kämpfte, um freizukommen. Sie schrie, aber durch das dicke Glas konnte er nichts hören.

Die drei Männer, die neben ihr saßen, zerrten mit aller Gewalt an den festen, Riemen, mit denen sie angebunden waren.

Koenig drehte sich empört nach Mentor um. Der pilzähnliche Aufseher war erschienen und nahm schweigend Aufstellung. Koenig kämpfte darum, seines inneren Aufruhrs Herr zu werden.

Mentor drückte ganz ruhig einen Knopf an seinem Gürtel, und das unheimliche, schrille Kreischen des Computers setzte erneut ein.

»In wenigen Sekunden wird ihr Bewusstsein ausgequetscht sein, und Psyche wird sie in sich auf genommen haben«, sagte Mentor seelenruhig.

Für einen Augenblick überfiel Koenig Unentschlossenheit.

Dann kam ihm eine Idee. »Warten Sie!«, rief er.

Mentor drückte hastig einen Knopf, und das grässliche Kreischen verstummte. Die vier Gefangenen sanken erschöpft in ihren Sitzen zusammen.

»Nun, Commander?«, fragte Mentor erwartungsvoll.

»Sie haben gewonnen«, sagte Koenig völlig niedergeschlagen.

»Ich wusste ja, dass Sie sich meinen Vorschlägen nicht würden verschließen können, Commander.« Er sah Koenig mit dem Blick des Siegers über den Besiegten an.

»Was wollen Sie von mir?«, fragte Koenig erbittert.

Mentor war hochbefriedigt. Sein Wesen schien vor Energie geradezu überzuströmen.

»Commander, ich möchte, dass Sie mit Ihren Alphanern auf dem Mond reden. Sie sollen ihnen erklären, Sie hätten einen bewohnbaren Planeten entdeckt. Sodann sollen Sie allen Anweisung geben, herzukommen. Allen!«

»Stellen Sie die Verbindung her«, sagte Koenig.

Mentor zog die Brauen unmerklich hoch, kam jedoch der Aufforderung nach. Er führte die beringten Finger an die Stirn und konzentrierte sich.

Auf dem Bildschirm ertönte ein Summen, und die vertraute Umgebung des Kommandozentrums wurde erkennbar. Ausdruckslos blickte Koenig auf die Gestalten von Verdeschi und Sandra Benes, die sich von ihren Konsolen erhoben. Sie starrten Koenigs lebensgroßes Bild auf ihrem Bildschirm an und ließen eine Mischung aus Überraschung und Erleichterung erkennen. Annette Fraser kam herbeigeeilt und nahm ebenfalls vor dem Bildschirm Aufstellung.

»John!«, rief Verdeschi erstaunt aus. »Wir hatten dich bereits aufgegeben...«

Koenig warf Mentor einen scharfen Blick zu. Dieser aber hatte sich bereits außer Sichtweite zurückgezogen. Wieder kämpfte Koenig mit Unentschlossenheit.

»Commander, was ist los?«, fragte Verdeschi besorgt.

Schließlich musste Koenig sprechen. Sein Gesicht wirkte äußerlich ruhig, nur sein Ausdruck leichter Angespanntheit erregte Verdeschis Verdacht.

»Tony, wir haben mit den Menschen hier Kontakt aufgenommen«, sagte Koenig. »Unsere Sensoren haben uns über diesen Planeten falsche Daten geliefert. Wir entdeckten große, unterirdische Gebiete, die bewohnbar sind...« Er beobachtete die Reaktion seiner Leute in ihren Mienen. Annette und Sandra strahlten vor Glück. »Wir haben die Erlaubnis, uns hier niederzulassen...« Er machte eine Pause. »Mondbasis Alpha soll so rasch wie möglich evakuiert werden.«

Jetzt war es an Verdeschi, die Fassung zu verlieren. »Evakuieren?«

»Ich möchte, dass Sie unsere Leute etappenweise herschaffen.«

Verdeschi stieß ein Lachen aus, das erschrocken klang. »Einfach so... keine Studien mehr, keine Forschung... einfach zusammenpacken und wegfliegen?«

Koenig hörte, wie Annette an Sandra die Frage stellte: »Warum will er denn nicht hin?«

Koenig blickte mit steinerner Miene in den Bildschirm. »Wollen Sie meinen Befehl in Zweifel ziehen?«, fragte er in strengem Ton.

Verdeschi stammelte hastig: »Nein, nicht in Zweifel ziehen... John, ich fragte mich bloß...«

»Anweisung Vier«, stieß jetzt Koenig hervor. »Diese Anweisung ermächtigt den Kommandanten, in einer Situation wie der vorliegenden entsprechend zu handeln. Sie werden tun, wie es in der Anweisung befohlen ist. Die Evakuierung ist genau festgelegt, geben Sie uns Signal, wenn die erste Etappe kommt.«

Der Bildschirm erlosch.

Koenig wirkte erschöpft, bar jeder Energie. Wie aus weiter Ferne sah er, dass die Tür zur Abteilung für Gehirnübertragung offen stand und Helena und die anderen auf den Beinen waren und ihn ungläubig anstarrten.

Mentor kam auf Koenig zu. »Ich danke Ihnen, Koenig. Sie können jetzt zu Ihren Leuten.«

Koenig sah unsicher in den Raum hinein, der Anblick gefiel ihm gar nicht. Trotzdem trat er ein und ging zu seinen Leuten.

»Verräter!« MacInlock spie vor ihm aus. Das Gesicht des Chefpiloten des Eagle drückte Verbitterung und Verachtung aus. Er konnte sich nicht beherrschen und drang auf den Commander ein. Doch noch ehe seine ausgestreckten Hände Koenig berühren konnten, traf ihn ein dünner Strahl blauen Lichts, von einem Aufseher auf die Brust gezielt, und MacInlock brach bewusstlos zu Koenigs Füßen zusammen.

Koenig starrte regungslos auf ihn hinunter, ehe er Helena ansah. »Es war der einzige Ausweg«, sagte er tonlos.

Aus der Grotte drang Mentors Stimme. »Ihr verdankt ihm euer Leben. Ihr solltet dankbar sein.«

Helena beachtete ihn nicht weiter und sagte zu Koenig: »Dieser Preis war zu hoch.«

»Es ging um unser Überleben«, sagte Koenig zähneknirschend. Wie sehr es ihn drängte, Helena in die Arme zu nehmen, ihr alles zu erklären! Er durfte es nicht tun.

»Und was ist mit den Hunderten auf Alpha?«, fragte sie.

»Du kannst meinetwegen so enden, wie diese Ärmsten unten in den Schächten - aber ich nicht», erwiderte Koenig gelassen und wollte sich entfernen. Sie packte ihn an der Schulter.

»John... hör doch zu!«

Koenig schüttelte sie ab und ging.

Verwirrt und empört sah sie ihm nach.

 

In der Kommandozentrale starrte Tony Verdeschi zutiefst bekümmert den Bildschirm an. Das alte, weise, erfahrene und wissende Gesicht Professor Victor Bergmanns tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Dieser Mann hätte gewusst, was zu tun war. Wie sehr wünschte sich Verdeschi jetzt, zu ihm gehen und ihn um Rat bitten zu können!

Der Professor hatte die Mondbasis Alpha in den ersten Jahren ihrer Isolation, fern der Erde, geleitet.

Er war eine beliebte und vertraute Erscheinung gewesen - aber er war nun tot. Ein fehlerhafter Raumanzug war schuld daran gewesen, und nun konnte er niemandem mehr seine Ratschläge erteilen.

In der Kommandozentrale herrschte bedrückte Stille. Nur Annette Fraser schien ehrlich glücklich zu sein.

Hinter Verdeschi machte sich Sandra Benes an ihren Apparaten zu schaffen und drückte eifrig Knöpfe. Plötzlich flammte der Bildschirm auf und jagte eine Satzfolge heraus:

 

Anweisung Vier... vom Sicherheitsstandpunkt aus Zugang abzulehnen... Rückfrage bei Commander... Mondbasis Alpha.

Noch ehe die Worte aufgeleuchtet waren, wusste der Sicherheitschef, was sie bedeuteten.

Sandra jedoch war perplex. »Der Computer verweigert Zugang zu Anweisung Vier... Ich brauche jetzt den Sicherheitscode«, beklagte sie sich.

»Ich kenne Anweisung Vier«, sagte Verdeschi grimmig, ohne sich umzusehen.

Sandra war aufgestanden und näherte sich ihm. Sein Ton hatte ihr nicht gefallen. »Was bedeutet Anweisung Vier?«, fragte sie.

Verdeschi drehte sich um. Er vergewisserte sich, dass Annette außer Hörweite war. Dann sagte er in vertraulichem Ton zu der Technikerin: »Das ist ein verschlüsseltes Signal. Eine klare Anweisung, den Ort, von dem aus es gegeben wurde, zu zerstören.«

Die Frau war entsetzt. »Den Planeten zerstören? Aber unsere Leute sind doch dort!«

Verdeschi stieß einen resignierten Seufzer aus. »Diesem Befehl ist unbedingt Folge zu leisten.«

Sandra sah ihn ungläubig an. »Und Sie werden ihn ausführen?«

Sie sahen einander an, erschüttert von der folgenschweren Entscheidung. Verdeschi gab keine Antwort. Dann befahl er mit entschiedener Stimme: »Gehen Sie an Ihren Platz!«

Die Technikerin wich vor ihm erschrocken zurück, als wäre er von einer ansteckenden Seuche befallen.

Er wandte sich unvermittelt um und ging zu seinem Kommandositz, nahm darin Platz und rief nach Jameson.

Die Computerschrift auf dem Bildschirm erlosch, an ihrer Stelle zeigte er das müde Gesicht des Verteidigungschefs aus der Waffenabteilung. »Was ist, Tony? Gibt es Neuigkeiten?«

»Robot-Eagle startklar machen«, sagte Verdeschi, ohne auf seine Fragen weiter einzugehen. Jameson war nicht wenig erstaunt.

»Robot-Eagle ist startklar... Den halte ich ständig startklar. Das wissen Sie.«

»Geben Sie mir die ungefähre Ankunftszeit für das Angriffsziel, Position AD6 SS -2:8...«

Jameson zuckte die Achseln. »Lassen Sie mir einen Augenblick Zeit«, sagte er.

Der Bildschirm erlosch. Wenig später zeigte sich Jamesons Gesicht wieder. Seine Müdigkeit war jetzt wie weggeblasen, er schien elektrisiert. »Hören Sie, diese Koordinaten weisen ja direkt...«

»Weiß ich, weiß ich«, brachte Verdeschi ihn zum Schweigen. »Ich brauche nur die Ankunftszeit - sonst nichts - ja?«

Jameson holte tief Luft und schluckte. »Okay- Wenn wir ihn jetzt starten, wird er um 1520 im Angriffsziel sein.«

»Danke.«

»Angriffsziel?« Annette hatte diese Worte aufgefangen und schien höchst beunruhigt.

Sandra betrachtete sie mitleidsvoll.

Verdeschi starrte unentwegt auf den Bildschirm, brachte es nicht über sich, Annette anzusehen. Er wollte nicht, dass sie eine Szene machte.

»Mit höchster Zerstörungsstufe?«, fragte Jameson, und nun explodierte er: »Tony, das kann nicht Ihr Ernst sein! Wenn der Eagle auf diese Weise den Planeten Psychon trifft, bleibt von ihm nicht mal ein Kieselstein übrig!«

»Was wollt ihr da tun?«, rief Annette mit steigendem Entsetzen. Sie ließ ihre Konsole im Stich und lief zu Verdeschi und sah ihn verstört an.

Verdeschi presste die Kiefer aufeinander. »Befehlen muss man gehorchen...«

»Das können Sie nicht tun! Bill ist noch dort«, rief sie entsetzt. »Und der Commander und Doktor Russell und...« Sie verlor ihre Beherrschung und schrie: »Sie wollen den Planeten vernichten!«

»Anweisung Vier ist bindend«, fuhr Verdeschi steinern fort. Dabei fühlte er sich alles andere als steinern. In seinem Inneren fühlte er nur mehr matte, schlappe Verzweiflung.

»Warum versuchen wir nicht eine Kontrollrückfrage?«, bat Sandra flehentlich. Sie merkte, dass Annette kurz vor einem völligen Zusammenbruch stand, und wollte ihr irgendwie darüber hinweghelfen. »Vielleicht erreiche ich den Commander und bekomme nähere Erklärungen von ihm.«

Verdeschi schüttelte den Kopf. »Nein, Sandra. Dazu haben wir keine Zeit mehr. John hätte diesen Befehl nicht erteilt, wenn nicht diese Basis hier und alle darauf Befindlichen dem Untergang geweiht wären. Die Zerstörung des Forschungstraktes war vielleicht ein kleiner Vorgeschmack des Kommenden.« Er wandte sich an Jameson. »Robot-Eagle startklar machen!»

Annette stürzte sich auf Verdeschi, hämmerte mit beiden Händen auf seine Brust ein und schrie fürchterlich. »Nein... nein... nein!«

Er machte gar nicht den Versuch, sie zu beruhigen, sondern starrte mit tränenblinden Augen auf den Bildschirm.

Man sah jetzt die Startrampe. Der Robot-Eagle tauchte langsam aus dem Untergrund auf und wurde auf der Startplattform in Position gebracht. Verdeschi sah, wie Feuer aus der Antriebsdüse drang, sah, wie der gewaltige Leib unter dem Energiestoß erbebte. Dann sah er, wie der Flugkörper sich erhob und sich in den schwarzen, luftlosen Himmel brannte, auf den Millionen von Sternen leuchteten.

»In zehn Minuten ist alles vorüber«, flüsterte er matt, während Annette zu seinen Füßen zusammenbrach.

 

 

 

Fünftes Kapitel

 

 

»Wie primitiv, und wie abscheulich vom Commander, sich auf ein derartiges Betrugsmanöver einzulassen!«, wütete Maya. Sie stand mit ihrem Vater vor einer Konsole in der »Grotte« und las die Messwerte ab.

Mentor sah sie düster an. »Kein Leben an Bord, ein Roboter, auf die Zerstörung Psychons programmiert«, erklärte er.

Maya drehte sich wütend um. Sie wollte sofort zum Commander gehen und ihn zur Rede stellen, doch ihr Vater hielt sie zurück. Ein berechnender Zug beherrschte seine Miene.

»Geh nicht zu ihm, Maya. Lass ihn glauben, dass sein Betrug geglückt ist.«

Aber Maya war nicht aufzuhalten. Ihre eigenen Gefühle spielten jetzt keine Rolle, aber der Gedanke, dass jemand ihren Vater verletzt hatte, schien ihr unerträglich. In ihren Augen war Mentor ein liebenswerter, großzügiger Mensch, jene Art von Mensch, der höchstens von materialistischen und intriganten Typen zur Zielscheibe von Hohn und Spott gemacht werden konnte.

»Ich verfüge nicht über deinen Großmut, Vater«, schäumte sie, befreite sich aus seinem Griff und verließ den Raum.

Tausend Gedanken durchschwirrten ihren Kopf, während sie den Gang entlanglief. Vor allem wollte sie den Commander sprechen. Sie wollte ihm sagen, was sie von ihm hielt...

Wie hatte er nur so doppelzüngig sein können, fragte sie sich. Er kam doch, um uns zu helfen... Und dabei war es nur ein schäbiger Trick - nicht mehr!

Sie bog um eine Ecke und gelangte zu der Zelle, in der man die Alphaner zurückgelassen hatte. Es schien ihr zwar merkwürdig, dass sie als Gefangene gehalten wurden, hegte aber an der Art des Vorgehens ihres Vaters keinerlei Zweifel. Obgleich sie sein Werk - oder auch nur seine Arbeitsmethoden - nicht ganz begriff, wusste sie, dass er nichts Schlechtes tun konnte. Was er tat, geschah zum Wohle Psychons.

Als sie vor der Zelle ankam, sprach Mentor bereits über den Nachrichtenschirm mit den Alphanern. Sie blieb vor dem Energiefeld, das zwischen ihr und dem Zellenraum bestand, wartend stehen. »Glaubten Sie denn, Ihr kindischer Trick würde unentdeckt bleiben?«

»Solange wir leben, hoffen wir«, entgegnete der Commander. Er wirkte erbittert und erregt. Die anderen Alphaner warfen einander hinter seinem Rücken verstohlene, erstaunte Blicke zu.

»Einen Robot-Eagle auszuschicken, um diesen Planeten zu zerstören! Sie Narr - eine sinnlose Selbstaufopferung...«, fuhr Mentor fort.

»John...«, setzte Helena, nun voll verstehenden Mitgefühls, zum Sprechen an, stand auf und kam mit ausgestreckten Armen auf ihn zu.

Koenig sah sie mit einem Blick an, der eine Mischung aus Verbitterung und Schuldgefühl darlegte. »Tut mir leid, dass ich mit euch allen ein Doppelspiel treiben musste«, sagte er.

MacInlock und Hays erhoben sich nun gleichfalls. »Commander, mir tut es leid, ich hätte wissen müssen...«, begann MacInlock, ohne Mentor die geringste Bedeutung zu schenken. Er fühlte sich in seiner Haut nicht wohl.

»Ich konnte nicht das Risiko eingehen und Sie einweihen«, sagte Koenig. »Es ist niemandes Schuld. Machen Sie sich keine Vorwürfe, Mark.«

Mentors Gesicht auf dem Bildschirm war eine Verkörperung der Wut. »Ihr Robot-Eagle wird als erster vernichtet, dann ihr Mond.«

Koenig sah ruckartig zu ihm auf. »Auf diese Weise sind wir beide die Verlierer. Ich schlage vor, wir verhandeln weiter!«

»Verhandeln! Mit einem Lügner!«, rief jetzt Maya. Ihre Stimme schrillte vor Empörung. Sie war jetzt näher an das todbringende Energiefeld, das die Zelle verschloss, herangetreten und tat ihre Anwesenheit kund. Sofort verschwand der Kopf ihres Vaters vom Bildschirm. Die Alphaner wandten sich ihr erschrocken zu.

»Wie widerwärtig! Wir heißen Sie als Freunde willkommen - und Sie planen unseren Tod!«, sprudelte sie verächtlich hervor.

Für Koenig war nun das Maß voll. »Was hätten wir tun sollen? Was blieb uns denn anderes übrig?«, schleuderte er ihr entgegen. »Hätten wir Zusehen sollen, wie Mentor uns vernichtet?«

Maya kochte vor Zorn. Es fiel ihr immer noch schwer, in dem Commander einen Feind zu sehen, sie war daher auf sich selbst ebenso wütend wie auf ihn. »Mein Vater ist ein Mann von Ehre!«, erklärte sie.

Der Commander sah sie durchdringend an, als wollte er ihre Gedanken lesen. Sie schrumpfte innerlich zusammen.

»Und warum will Ihr Vater uns hier haben? Was glauben Sie?«, fragte er mit veränderter Stimme.

»Wissen Sie warum?«, erwiderte Maya, noch immer aufgebracht. »Ohne Hilfe kann er diesen Planeten nicht umwandeln. Andere haben ihm ebenfalls schon geholfen.«

»Und was passierte mit ihnen?«, wollte Koenig wissen.

Sie zögerte und spürte, dass sie errötete. »Sie... sie erlangten Glückseligkeit.«

An ihren Mienen erkannte sie, dass sie keine befriedigende Antwort gegeben hatte. Sie musste ihnen begreiflich machen, dass ihr Vater unschuldig war. Aber unschuldig in welcher Hinsicht? Sogar jetzt, während sie versuchte, ihn zu verteidigen, musste sie entdecken, dass sogar sie ihn in ihrem Inneren für schuldig hielt. Sie war über sich selbst entsetzt. Verzweifelt verdrängte sie diese unangenehmen Gedanken und wiederholte eine der Maximen ihres Vaters.

»Wer mit Psyche eine Verbindung eingeht, ist für immer glücklich.«

»Das ist die Unwahrheit.« Der Commander war näher zu dem Kraftfeld getreten, in seiner Miene lag unbarmherzige Härte. »Diese Maschine zerstört das Bewusstsein des Menschen!«

Maya ertappte sich dabei, wie ihr Verstand sich dagegen zur Wehr zu setzen suchte. Sie nahm eine verächtliche Haltung ein.

»Es gibt wirklich keine Gemeinheit, die Sie meinem Vater nicht zuschreiben würden!«, sagte sie von oben herab.

»Dann steigen Sie hinunter in die Schächte und überzeugen Sie sich selbst!« Jetzt hielt Koenig sein Gesicht ganz dicht an das Kraftfeld, ohne es zu berühren. Sie wich zurück.

»Niemand darf nach unten. Die Gruben sind radioaktiv«, sagte Maya schon etwas gemäßigter.

»Wer sagt das? Mentor etwa?«

Diese Stimme - sie bohrte sich in ihre Gedanken. Sie wusste, dass er sie mit seiner Logik schachmatt gesetzt hätte. Tief im Inneren wusste sie, dass er recht hatte, doch wollte sie es sich nicht eingestehen. »Ich sage Ihnen, da unten ist niemand.«

»Wir waren unten, Maya«, sagte Koenig. »Gehen Sie selbst dorthin. Sehen Sie sich an, was wir sahen! Hirnlose, leere Formen, die Ihr Vater auf dem Gewissen hat!«

»Nein! Das ist nicht wahr!«, hörte sie sich ausrufen.

»Gehen Sie nur hinunter und sehen Sie selbst. Und dann lassen Sie uns hier raus, damit wir ihm endlich Einhalt gebieten können«, sagte die Ärztin flehentlich. Sie sah so verzweifelt aus, dass man ihr eine Hinterlist einfach nicht zutraute.

»Ja, Maya, gehen Sie und überzeugen Sie sich selbst«, behände der Commander ernst.

Maya wich zurück. Und als sie sich zum Gehen wandte, fiel ihr auf, dass sich hinter der eisernen Maske, die der Commander zur Schau trug, auch Verzweiflung verbarg. Das erschien ihr widersinnig.

»Ihr lügt - ihr lügt!« Maya drehte der verhassten Szene den Rücken und lief den Gang entlang.

Der Gang vor ihr schien sich zu drehen, zu wanken, als die wirren Gedanken aus ihrem Inneren an die Oberfläche drängten.

Es waren Zweifel und Befürchtungen, die sie schon lange gehegt, aber immer wieder unterdrückt hatte.

Eigentlich hatte sie zu ihrem Vater laufen wollen. Doch sie musste entdecken, dass sie stattdessen den zu den Gruben führenden Gang entlanglief.

Das verbotene, schwer abgeschirmte Tor tauchte vor ihr auf.

Ihr Herz klopfte, als sich ihr Körper entgegen den gewohnten Bedingungen, auf die ihr ganzes bisheriges Leben eingestellt war, betätigte.

Ihre Hände fassten nach dem Anhänger der Halskette und berührten eines der strahlenden, goldenen Glieder. Die Tür ging auf, und dahinter sah sie einen dampferfüllten, dunstigen Tunnel - dem Eingang zur Hölle gleichend.

Sie vermied es, mit der Strahlung, die, wie sie wusste, drinnen vorhanden war, in Berührung zu kommen. Und dann verwandelte sie sich selbstzerstörerisch und kühn in einen Vogel - denn sie wollte unbedingt die Wahrheit erfahren. Tapfer und entschlossen flog sie in die gähnende Öffnung.

Die Gänge waren heiß und feucht. Sie waren schwach erhellt und riefen Maya ihre dunkelsten Gedanken ins Gedächtnis. Doch sie flog weiter und widerstand dem Drang umzukehren. Schließlich erreichte sie eine der riesigen, unterirdischen Bergwerksanlagen.

Sie landete auf einem Felsen und sah hinab auf die grauenvolle Szenerie, die sich ihrem Blick darbot. Maya erkannte die zahlreichen bizarren Lebensformen, die dem Planeten Psychon im Laufe der Jahre weitergeholfen hatten. Sie werkten, schufteten in tiefstem, unwissendem Elend vor sich hin, beschlugen den Fels nach dem Metall, das Psychon benötigte. Noch nach ihrem Tod waren diesen Wesen Pein und Qualen auferlegt - quälten sie sich ihretwillen und um ihres Vaters willen! Sie sah auch Torens, den Alphaner. Und die gefühllosen Aufseher, die wie Todesgestalten dastanden.

Ihr wahres Ich flammte auf, sie ertrug ihre Umgestaltung in einen Vogel nicht länger und verwandelte sich in ihre wahre Gestalt zurück.

Sie spürte das dumpfe, betäubende Gefühl, betrogen worden zu sein. Entsetzen erfüllte sie, dass ihr Vater derartiges hatte tun können, und so schreckliche Dinge angesichts des grenzenlosen Vertrauens, das sie ihm entgegenbrachte, geschehen ließ.

Sie fühlte sich vernichtet.

Sie fühlte, wie Unschuld und Jugend - Schicht um Schicht - von ihr abfielen. Und sie ahnte nicht, hätte es auch nicht beachtet, dass aus ihr, als sie sich anschickte, den Tunnel fliehend zu verlassen, eine andere, gereifte Frau geworden war.

 

In der engen Zelle schienen die Minuten sich zu Stunden auszudehnen. MacInlock lief voll Unruhe auf und ab, während Koenig, das Kinn in die Hand gestützt, zu Boden starrte.

Helena saß reglos neben Hays. Keiner sprach ein Wort.

Sie wussten nicht, ob Maya ihnen helfen würde oder nicht. Als sie die Zelle verlassen hatte, schien sie so verwirrt gewesen zu sein, dass man ihr alles hätte Zutrauen können.

Schließlich erwachte der Bildschirm an der Wand wieder zum Leben. Er zeigte die Oberfläche der Mondbasis Alpha. Ein eisiger Schock durchfuhr die Gefangenen.

»Commander«, erklang Mentors glatte, tiefe Stimme, »sehen Sie...«

Helena fasste nach Hays Hand, als zwei Lagerhallen am Rande eines Komplexes auf Alpha durch Energiestöße zu pulsieren begannen und explodierten.

»Alpha wird Stück um Stück zerstört. Und Sie sind schuld daran«, fuhr Mentor fort. Er genoss sichtlich die Rache.

»Wir müssen uns mit ihm einigen«, sagte Fraser verzweifelt. »Er ist wahnsinnig.«

Koenig starrte das Kraftfeld an, das den Eingang blockierte.

»Wir können ihm nicht Einhalt gebieten, solange wir von hier nicht herauskönnen. Wir müssen zunächst das Kraftfeld durchbrechen.«

Er brach plötzlich ab, als er sah, dass Maya auf sie zugelaufen kam. Sie schien verwirrt und verzweifelt zu sein.

»Maya!«, rief er aus. »Sie müssen...«

»Commander«, ertönte erneut Mentors Stimme, und Koenig drehte sich zum Bildschirm um.

Ein Energiestrahl zuckte eben über den Himmel von Mondbasis Alpha und traf eine der Startrampen. Entsetzen erfasste die Alphaner, als sie sahen, wie sie sich in einen blendenden, weißen Lichtball verwandelte.

Koenig rief Maya zu: »Neutralisieren Sie das Energiefeld!«

Sie stand unentschlossen auf der anderen Seite des trennenden Kraftfeldes. Jetzt hatten auch Helena und die anderen sie bemerkt und starrten sie mit neuerwachter Hoffnung an.

»Wenn wir ihn nicht daran hindern, wird er noch dreihundert Menschen töten«, rief Koenig.

Maya kämpfte gequält mit ihrer Unentschlossenheit.

»Versprechen Sie mir, dass Mentor kein Leid geschieht?«, sagte sie schließlich.

Koenig sah sie mit dem Blick ehrlichen Versprechens an, so gut er es nur konnte. »Ich möchte ihm nur Einhalt gebieten und ihm keinen Schaden zufügen«, sagte er.

Maya berührte hastig das Glied ihres Anhängers. Dann drehte sie sich zur Wand um. Das Kraftfeld brach zusammen, und die Alphaner stürzten aus der Zelle.

»Mark, rasch zum Eagle, mach ihn startklar!«, schrie Koenig. »Helena, du holst zusammen mit Fraser Torens heraus!«

Koenig und Hays liefen zur Grotte, gefolgt von Maya, die sich vergewissern wollte, dass ihrem Vater nichts zustieß.

Die Atmosphäre war von Psyches grellem Tierschrei erfüllt.

Mentors hohe, wallende Gestalt wandte ihnen den Rücken zu, als sie die Grotte betraten. Er starrte den Monitor-Bildschirm an und streckte diesem mit einer gottähnlichen Gebärde die Arme entgegen.

Drei Eagle-Schiffe, die eben von der Startrampe abhoben, wurden sogleich von Energiestrahlen beschossen. Einer der Strahlen traf das anführende Eagle-Schiff, das in tausend Stücke zerbarst.

Als die Alphaner die Grotte betraten, verstellte ihnen ein Aufseher den Weg. Doch ehe er noch die Chance hatte, die tödliche blaue Strahlung seinen Augen entströmen zu lassen, fuhr Mayas Hand an ihren Anhänger, und der Aufseher verwandelte sich in einen Haufen schwelenden Gesteins.

Mentor bemerkte die Störung und drehte sich um. Verblüfft sah er sie an. »Maya...«

Während Vater und Tochter einander einen Augenblick lang wie versteinert anstarrten, nahm Koenig die Chance wahr, möglichst viel Zerstörung im Raum anzurichten.

Blitzschnell hatte er den Raum überflogen. Er erspähte einen großen Kessel, sprang hin, hob ihn auf und wandte sich nun den farbig sprudelnden Röhren des Computers zu. Den Kessel hoch über den Kopf schwingend, schleuderte er ihn mit aller Kraft gegen ihn.

Es folgte Glasklirren und das Sprudeln von Flüssigkeit, begleitet von Psyches Gekreisch, dessen Tonhöhe sich geändert hatte und sich nun anders anhörte.

Koenig hielt nach anderen Geräten Ausschau. Mentor, der sich erschrocken umgedreht hatte, sprang mit einem Satz auf Koenig zu.

Sie begannen miteinander zu ringen, hielten jedoch inne, als das Gekreische des Computers an Schrille und Hysterie zunahm.

Mentor wich vor ihm zurück. »Sie sind wahnsinnig!«, schrie er. »Wenn Sie die Energie von Psyche freisetzen, wird sie den Planeten zerstören!«

Koenig hörte nicht darauf. Er zog seinen Laser und feuerte auf ein ganzes Bündel von Röhren.

Klirrend zersprangen sie und ließen eine wogende Masse elektronischer Energie in den Raum frei. Die Masse verzog, beulte und schüttelte sich und zerschmetterte dabei weitere Teile der Einrichtung und warf sowohl die Alphaner als auch die Psychoner zu Boden.

Das Gekreisch des Computers ließ jetzt nach. Es ging in ein langgezogenes, unheimliches auf- und abschwellendes Heulen über. Dann wurde die Grotte von einer Serie starker Vibrationen erschüttert. Staubwolken sanken von der Decke herab.

Mentor starrte entgeistert um sich. Er raffte sich mühsam auf und lief zu Maya hin. Sie war bereits auch schon auf den Beinen und lehnte sich matt an das Beobachtungsfenster.

»Maya, wir müssen ihn hindern«, keuchte Mentor, nach Luft ringend. Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie. Aber er war zu schwach.

Mayas Gesicht war tränenüberströmt. Ihr Körper zuckte konvulsivisch, von ihren widerstreitenden Gefühlen erschüttert. Sie schüttelte langsam den Kopf und schloss ihre Augen, weil sie das entsetzte Gesicht ihres Vaters nicht sehen wollte. »Ich war unten in den Schächten, ich sah...«, begann sie.

Mentor ließ sie los. Er lief nun aufgelöst im Raum umher und versuchte, wenigstens Teile des hochempfindlichen Apparates zu retten, den Koenig jetzt im Begriff war zu zerstören.

Der Commander war von einer wahren Zerstörungswut erfasst. Er lief hin und her und hieb auf die verschiedenen Geräte und deren Bestandteile ein. Sie stürzten um und entfesselten kettenartige Reaktionen, die sich sofort im Raum verbreiteten.

»Nein, nein!«, rief Mentor. Jetzt klang sein Rufen verloren und verängstigt. »Ich wollte doch nur Gutes tun, unserem Planeten neues Leben einflößen, wiederbeleben!«

Grollen ertönte und wurde immer lauter. Im Boden zeigte sich ein gezackter Riss, und aus dem vulkanischen Untergrund leckte eine Flammenzunge empor. Bald stand der Raum in Flammen. Rauchwolken erfüllten die Atmosphäre und erschwerten das Atmen.

Maya schrie auf - sie war durch die Flammen von den anderen abgeschnitten. Koenig lief ihr zur Hilfe. Er packte sie und trug sie zum Eingang, wo er sie auf die Füße stellte.

Umgeben von züngelnden Flammen, bedroht von Steinhagel und Staubregen, ließ Mentor in seinen Bemühungen nicht nach und versuchte verzweifelt, wenigstens Teile seiner kostbaren Psyche zu retten.

Doch der Computer hatte seinen Lebensgeist ausgehaucht, trotzdem war Mentor nicht gewillt, der drohenden Katastrophe zu entrinnen.

Es schien, als wären Mensch und Maschine unauflösbar miteinander verbunden, so, als müsste der eine mit dem anderen untergehen.

Koenig und Maya sahen ihm zu.

»Sie sagten, es würde ihm kein Leid geschehen«, sagte Maya anklagend. Koenig nickte vor Ingrimm.

Er bahnte sich zwischen den explodierenden Nährbänken einen Weg und versuchte, seinem Versprechen nachzukommen. Von einem gewaltigen Energieausbruch wurde er jedoch zurückgeworfen.

»Mentor!«, rief er. »Kommen Sie heraus!«

Zunächst hörte man nur das Knistern der Flammen und das Grollen aus dem Untergrund. Dann aber vernahm er Mentors Antwort. Die Worte waren gebrochen und matt.

»Nein, mein Werk ist vernichtet, mein Leben verbraucht.«

»Vater!«, rief Maya in höchster Verzweiflung.

»Nehmen Sie Maya mit, Commander...«, hörte man wieder Mentors schwache Stimme. Sie erhaschten einen Blick auf seine zusammengesunkene Gestalt. Er lehnte an der Empore, auf der der Computer gestanden hatte. Sie stand bereits schief und senkte sich bedrohlich auf die klaffende, feuerspeiende Öffnung im Boden zu.

Maya wehrte sich verzweifelt gegen Koenigs Griff.

»Vater«, rief sie, von Schmerz überwältigt. »Komm mit uns! Psyche ist schuld, dass du Böses getan hast!«

»Nein, retten Sie Maya, Commander!«, rief Mentor.

Maya wandte alle ihre Kräfte an, um sich zu befreien. In ihrer verzweifelten Liebe zu ihrem Vater überwand sie den Selbsterhaltungstrieb. Ihr Körper verwandelte sich unvermutet in den Ozelot, den Koenig einmal gesehen hatte. Das Tier kämpfte mit aller Wildheit und Kraft gegen Koenig und hieb mit den Krallen auf ihn ein.

Der Ozelot stieß klagende Schreie aus, als riefe er Mentor zu Hilfe. Als das Tier merkte, dass es sich nicht befreien konnte, verwandelte es sich in einen Adler, der mit breiten Schwingen in Koenigs Gesicht schlug und mit seinem Schnabel wild auf ihn einhackte. Aber Koenig umklammerte eisern die Beine des Vogels.

Der Adler verwandelte sich wütend in ein Reh, das mitleiderregende Schreie ausstieß und auf geschickten, kräftigen Beinen zu entkommen trachtete.

Aber auch so gelang es ihr nicht, ihren Vater zu erreichen.

Mentor hatte ihre Rufe vernommen, und er schrie ihr mit letzter Kraft zu: »Begreif doch, Maya... bitte, begreife!«

Es waren seine letzten Worte,

Eine Flammenwand schoss aus einer Spalte und füllte den Raum völlig aus.

Koenig packte das Tier und schleppte es den Gang entlang. Als er um eine Ecke gebogen war, stellte er das Tier auf seine Beine - und Maya stand wieder vor ihm! Sie lehnte sich an Koenig und schluchzte verzweifelt.

Der Gang war bereits an mehreren Stellen eingestürzt. Und sie mussten herabgestürzte Felsbrocken überklettern. Zerschrammt und blutig rangen sie in der schwefelhaltigen Luft nach Atem.

Sie kämpften sich dennoch weiter durch, es schien, als ob ein Ende nicht abzusehen wäre.

Schließlich tauchte vor ihnen in der Schwärze des Tunnels ein Lichtkreis auf, sie taumelten die letzten Meter des Tunnels vorwärts und traten hinaus in den aschegefüllten Krater des mächtigen Vulkans.

Um sie herum wieder die düsteren Leiber und Formen der unbekannten Raumschiffe, die man hier in die Falle gelockt hatte.

Vor sich sahen sie Eagle Vier, und sie nahmen ihre allerletzte Kraft zusammen. Die Luken standen offen. Sie sahen darin die angsterfüllte Gestalt Helenas, die ihnen verzweifelt zuwinkte. Koenig und Maya kämpften sich durch die offene Luke und schwangen sich ins Innere.

Hays, MacInlock und Fraser hatten ihre Plätze eingenommen. Sie warteten darauf, den Eagle zu starten und außer Reichweite des Planeten zu bringen, der dem Untergang geweiht war.

Helena half ihnen auf die Sitze, dann lief sie zu ihrem eigenen Platz und schnallte sich an.

Die Raketenantriebe des mächtigen Schiffs donnerten, die Pilotenkanzel geriet in Erschütterung. Sie fühlten, wie sie von den Düsenstrahlen emporgetrieben wurden. Um sie herum sprühten Aschenfontänen und Trümmer auf.

Kaum hatten sie sich vom Boden abgehoben, eruptierte der Vulkanboden selbst. Feuer- und Lavaströme schossen durch die entstandene Öffnung nach oben und leisteten dem Schiff zusätzliche Starthilfe.

Sie wurden Zeugen einer gewaltigen Eruption.

Das Schiff schwankte und rollte und begann, sich aufbäumend in den Himmel zu bohren.

MacInlock und Fraser hatten alle Hände voll zu tun, Schalter und Knöpfe zu betätigen. Rückstoßraketen und Stabilisatoren erwachten nun voll zum Leben, und die Piloten brachten das Schiff wieder unter Kontrolle. Mit rasender Geschwindigkeit entfernte sich Eagle Vier und tauchte in die Schwärze des Weltraumes.

 

 

 

Sechstes Kapitel

 

 

Während sich das Eagle-Schiff immer weiter von dem berstenden Planeten entfernte, senkte sich unbehagliches Schweigen auf die Insassen des Schiffs.

Psychon war nur mehr als eine Massierung heller, fingerähnlicher Gebilde wahrzunehmen - wie ein Farbfleck auf einem TV-Monitor. Immer größere Teile des Planeten eruptierten, und die Fontänen der Eruptionen reckten sich wie Finger langsam in den Raum empor. Bald glich seine ganze Masse einem brennenden Stern.

»Eagle Vier, Eagle Vier - Alpha ruft!« Sandras Stimme brach, sie willkommen heißend, die Stille.

Fraser betätigte einen Schalter an seiner Konsole. »Nur weiter, Alpha!«

An Stelle des sich in Reste auflösenden Planeten Psychon erschien nun das Gesicht Verdeschis auf dem Bildschirm. Er sah zufrieden drein. »He, Bill, ich muss Ihnen etwas zeigen.«

Verdeschi verschwand aus dem Blickfeld, und gleich darauf hatte Annette seine Stelle eingenommen. Sie lächelte und strahlte sichtlich vor Glück. Fraser und MacInlock grinsten.

Dann kletterte Fraser aus einem Sitz und stellte sich vor den Bildschirm.

Er beugte sich vor und drückte einen Kuss auf jene Stelle des Bildschirmes, wo sich die Lippen seiner Frau auf dem Bildschirm befanden. Dann trat er zurück und sah, dass sie es ihm gleichtat, wobei infolge ihrer Nähe zum Bildschirm das Bild dunkel ausfiel.

»Ich erwarte dich sehnlichst«, neckte sie ihn.

»Ich dich auch! Bis zu unserer Ankunft müssen wir uns eben mit dem Bildschirm begnügen.«

Sie lachte, und er beugte sich wieder lächelnd zum Schirm.

Koenig hielt sich im Hintergrund und sah belustigt zu. Dann wandte er sich um und begab sich in das Passagierabteil, in welchem sich Helena und Hays um Maya kümmerten.

Koenig trat hinter Helena und legte seine Hand auf ihre Schulter. Sie erhob sich, er legte seine Arme um sie und zog sie an sich. »Bald werden wir auf Alpha sein. Mit der Zeit wirst du alles vergessen«, sagte er.

Sie schauderte. »Ich musste an Torens und Picard denken.«

»Tu's nicht...«

Sie hatten es bis zu Torens nicht mehr geschafft.

»Wir mussten sie zurücklassen. Wir hatten keine andere Wahl«, sagte Helena.

»Ich weiß - man konnte eben nichts machen.«

Sie hob den Kopf von seiner Brust und sah ihn an. Sie sah mitgenommen aus. Ihre Augen, tief und schön, kündeten von ihrem Schmerz, konnten aber nicht weinen.

Er zog sie an sich. »Nimm es dir doch nicht so zu Herzen.«

Sie küssten einander innig und lang. Die Liebkosungen lösten die körperlichen Spannungen, und sie fühlten sich beide wohler, besonders Koenig, der sich seiner Überbeanspruchung gar nicht bewusst geworden war.

Sie lächelten.

»Ich verspreche, dass ich es versuchen werde«, sagte sie.

Neben ihnen wurde ein unterdrücktes Seufzen hörbar.

»Maya!«

Koenig kniete neben dem verwaisten Mädchen von dem Planeten Psychon nieder. Sie hatte den Kopf in ihren Händen vergraben und weinte. Das makellose, braune Haar war wirr und unordentlich. Ihre Schultern bebten unter dem Aufruhr verhaltener, schmerzlicher Gefühle.

Auch Helena kniete neben ihr nieder und schlang impulsiv beide Arme um die Weinende.

»Arme Kleine«, tröstete sie. »Ach, mein armes Mädchen! Du darfst nicht denken, dass du jetzt allein und verlassen bist!«

Sie wiegte sie fürsorglich in den Armen.

Mit tränenüberströmtem Gesicht sah Maya zu Koenig auf.

»Commander...«, begann sie, brachte aber den Satz nicht zu Ende.

»Ich danke Ihnen, dass Sie unser Leben retteten«, sagte Koenig.

Doch Maya wandte den Kopf und starrte gleichgültig vor sich hin. »Und dabei meines verlor«, setzte sie Koenigs Satz fort. Ihre Stimme bebte, sie strahlte Kälte aus.

»Nein, nein, nein!«, rief Helena aus und drückte das Mädchen an sich. »Du lebst. Du hast ein neues Leben gewonnen. Maya, wir brauchen dich!«

Das Mädchen saß versteinert da.

Koenig sah es mit Verzweiflung. »Eure Wissenschaft ist uns so weit voraus. Auf Alpha werden wir Sie dringend brauchen. Bitte...«

Maya war jedoch nicht zu besänftigen. »Ich werde überall eine Fremde sein«, sagte sie leise.

»Gewiss nicht«, widersprach Koenig. »Lassen Sie sich eines sagen - auf Alpha sind wir alle Fremde. Wir alle unterscheiden uns in unserem Bewusstsein. Einige haben andere Körper, andere Hautfarben. Keiner gleicht dem anderen. Aber wir kommen alle miteinander aus. Wir brauchen einander, helfen uns gegenseitig, manche lieben einander. Maya, das müssen Sie mir glauben...«

»Commander!«, sagte sie flehend. »Lassen Sie mich. Sie können nicht erwarten, dass ich in so kurzer Zeit vergesse. Lassen Sie mir Zeit zum Nachdenken.«

Sie blickte ihn nun wieder an. Ihre Tränen waren getrocknet, aber ihre Trauer um den Vater würde wohl noch lange anhalten. Sie konnte nicht mehr weinen - dieser tränenlose Schmerz würde nur noch größer sein.

Aber inmitten der Asche ihres alten Lebens sah er den Schimmer eines neuen Entschlusses - noch tief in ihrem Inneren verborgen. Aber eines Tages würde er sich durchringen.

Koenig stand auf.

»Geh jetzt«, sagte Helena zu ihm. »Maya und ich werden gut zurechtkommen.«

Koenig nickte nachdenklich und begab sich wieder zur Pilotenkanzel. Dabei wäre er beinahe mit Hays zusammengestoßen, der das Passagierabteil während der gefühlvollen Szene verlassen hatte und nun zurückkam.

Hays machte ein bedrücktes Gesicht. »John, Tony braucht Sie.«

»Worum geht es?«, fragte der Commander. »Wahrscheinlich wegen der Schäden auf Alpha. Das hat jetzt noch Zeit.«

Gemeinsam mit Hays betrat er nun die Pilotenkanzel.

»Was gibt es, Tony?«, fragte er den Sicherheitschef, der in der Kommandozentrale auf Alpha an der Console von Sandra Benes stand.

»Du kommst ohnehin bald heim«, sagte Verdeschi, »ich wollte dich eigentlich nicht behelligen. Aber wir haben da ein paar merkwürdige Schockwellen empfangen. Zunächst dachten wir, sie stünden mit der Explosion auf Psychon in Zusammenhang. Sie kamen aus einem ganz anderen Sektor.«

Koenig starrte angestrengt auf den Schirm.

»H-ZR 2 QR-3:01«, las Sandra die Position des Ursprungs der Schockwellen ab.

»Das wäre die andere Seite des Mondhimmels«, sagte Koenig nachdenklich. Er zuckte die Achseln. »Was immer es sein mag, wir kommen wahrscheinlich daran vorbei.«

»Eben nicht! Das ist ja das Beunruhigende daran, John«, erwiderte Verdeschi. »Die Schockwellen scheinen zuzunehmen und... ich weiß ja, es klingt irre - aber es sieht aus, als nähmen wir leicht Kurs auf sie zu.«

»Was?« Koenig sah ihn ungläubig an. »Es würde einer enormen Kraft bedürfen, um den Mond aus seiner Bahn zu werfen - von der Stärke kosmischer Gravitation!« Sein erfahrener Verstand wurde sofort mobilisiert. »Sandra, überprüfen Sie die Monitor-Systeme und überzeugen Sie sich, ob sie richtige Werte geben! Tony - machen Sie einen Eagle-Aufklärer startklar. Unsere Kiste muss nämlich erst mal überholt werden.«

Er wandte sich an Fraser und MacInlock. »Volle Kraft voraus!« Und dann, wieder zu Verdeschi gewandt: »Haltet durch, wir kommen, verdammt noch mal!«

 

 

 

 

Siebtes Kapitel

 

 

In der Kommandozentrale auf Alpha ging es ruhiger zu als je zuvor. Der große Bildschirm starrte von seinem Platz über den Konsolen blind auf die Alphaner herunter. Sie hatten ihn abgeschaltet, weil es nichts zu sehen gab. Diesmal konnten sie nur hören und abwarten.

Es war eine intensive, nervöse Stille.

Koenig drehte sich in seinem Kommandositz um und wollte etwas sagen.

»Zehn Sekunden«, meldete Verdeschi von seiner Konsole her.

Der Commander ließ sich in den Sitz zurückfallen und verharrte in Warteposition. Er drückte einen Knopf, und der große Bildschirm leuchtete auf.

Vor ihrem aus der Bahn gesprungenen Mond lag die unendlich große Weite des Raumes. Bis auf Sterne und unsichtbare Materie wie Wasserstoff-Ionen und Meteorstaub war der Raum leer. Es gab keine Erklärung, keine Ursache für ihr Abdriften, es sei denn... Er schluckte schwer bei dem Gedanken, dass die Gravitationsmasse, von der sie angezogen wurden, sich vielleicht als schwarzes Loch entpuppte. Sie hatten bereits eines dieser schwarzen Löcher hinter sich, und das reichte vollauf...

Aber schwarze Löcher explodierten nicht. Sie leuchteten nicht auf und machten sich nicht augenfällig bemerkbar.

Und sie sandten keine Schockwellen aus.

»Drei, zwei, eins, null.«

Alle Augen hingen nun am Bildschirm. Aus dem Nichts tauchte ein nadelstichgroßes Licht auf, genau in der Mitte des Bildschirmes. Es nahm an Intensität und Größe zu.

»Die Messwerte«, ordnete Koenig trocken an und beugte sich in seinem Sitz vor.

Hinter sich hörte er Sandra die Knöpfe ihres Computers eifrig betätigen. »Größe innerhalb eines Prozents der letzten Beobachtung«, sagte sie.

Ihrem Bericht folgte gleich darauf jener Yaskos.

»Keine Angaben über Natur und Ursprung der Explosion«, meldete die japanische Computer-Operatorin. »Wir sind noch zu weit entfernt.«

»Die Schockwelle wird Alpha in 143.2 Sekunden treffen«, fuhr Sandra fort, als sie weitere Informationen ablesen konnte.

Koenigs Miene verhärtete sich.

Die Schockwellen kamen in ganz regelmäßigen Abständen. Während der Mond sich dem geheimnisvollen Ausgangspunkt der Wellen näherte, verstärkte sich deren Wirkung. Und jetzt bestand kein Zweifel mehr daran, dass sie keinesfalls mit den ausklingenden Todeszuckungen von Psychon in Verbindung standen. Die Ereignisse überstürzten sich, und Mondbasis Alphas Zustand verschlechterte sich trotz der neuen Zufuhr von Tiranium-Vorräten.

»Höchste Alarmbereitschaft!«, sagte er mit erhobener Stimme.

Verdeschi drückte den Knopf für höchste Alarmbereitschaft, und die gesamte Basis barst geradezu vor hektischer Aktivität. Der hohe Heulton der Alarmsirene schrillte durch alle Gänge und Zentren. Die gesamte Besatzung - um Torens und Picard vermindert - stürzte an ihre Alarmstationen, nachdem sie sich Schutzanzüge angezogen hatte.

»Notvorräte und Hilfsaggregate überprüfen! Bereitet euch auf Verletzte vor.« Koenigs Stimme war überall zu hören.

Aus der Krankenstation, wo sie mit Maya gesprochen hatte, erklang Helenas Stimme. »Krankenstation bereit zur Aufnahme Verwundeter.«

Ärzte und Schwestern liefen die Gänge entlang.

Alphaner, auf deren Anzügen das einzige Wort Rettung stand, verteilten sich im Laufschritt an verschiedene Punkte.

»Hundert Sekunden«, meldete Sandra voll Anspannung.

»Eagles starten lassen«, wiederholte Verdeschi und gab den Befehl über Funk weiter.

Sie hatten zwei Eagle-Schiffe eingebüßt, doch ließen sie jetzt so viele wie möglich starten.

Das Signal Alarmstufe eins flammte nun auf den Monitoren in der Befehlszentrale auf.

»Eine Minute...«, sagte Sandra und beobachtete den Digitalcountdown.

Koenig wandte sich mit erstarrtem Gesicht an Verdeschi.

»Sie wissen dass wir ernste Schäden zu erwarten haben oder sogar vernichtet werden - aber geben Sie das nicht weiter.«

Verdeschi erwiderte den grimmigen Blick. »Ich weiß, und wir können nichts tun, als den Kopf hinhalten.«

Koenig nickte und sah wieder auf den großen Bildschirm.

Die Explosion sandte ihre Strahlen nun über den halben Bildschirm aus.

»Führungsschiff Eagle an Commander«, meldete sich Alan Carter, dessen Bild auf Koenigs Monitor auftauchte.

»Ja, Alan?«, fragte Koenig.

»Wir haben Stellung bezogen... auf der entgegengesetzten- Seite des Mondes.«

»Haltet die Stellung! Dort seid ihr geschützt.«

»Jawohl, John« Das Gesicht des australischen Piloten wirkte ungewohnt ernst. »Wir landen, sobald die Schockwelle vorüber ist. Ende.«

Der Monitor erlosch.

»Und jetzt heißt es nichts als warten«, sagte Verdeschi. »John? Dieses neue Mädchen, diese Maya, ich finde sie sehr nett. Was hältst du von ihr?«

»Sie ist großartig, Tony«, entgegnete Koenig.

»Sollte etwas passieren... ich möchte, dass du weißt, dass sie mir gefällt.«

Koenig gab keine Antwort.

»Dreißig Sekunden«, rief Sandra bebend.

»Alle Mann nach unten«, befahl Yasko.

»Rettungsmannschaften bereit. Alle Luftschleusen dicht«, rief Verdeschi in seinen Monitor.

»Krankenstation bereit«, meldete sich Helenas Stimme.

Und du bist auch großartig, dachte Koenig, als er ihre Stimme hörte.

»Zwanzig Sekunden«, rief Sandra.

»Geht in Deckung«, warnte Koenig.

Jetzt trat tödliche Stille ein. Diesmal umfasste die Stille die gesamte Mondbasis Alpha, da alle Alphaner nach Abschluss ihrer Vorbereitungen im Inneren der Mondbasis warteten.

Das aufgeregte Klicken der Digitaluhr in der Kommandozentrale, das man normalerweise nicht hörte, wurde mit dem Vergehen der Sekunden immer lauter.

Neun...

Acht...

Koenig blickte auf den großen Bildschirm.

Er wurde nun fast vollständig von der großen, weißen, undefinierbaren Masse ausgefüllt.

Sieben... sechs... fünf... vier... drei... zwei... eins...

Die Mondbasis begann zu erbeben.

Die Grundfesten tief unter der Mondoberfläche begannen zu schwanken, ganz leise zunächst, als sie von der absurd starken Energiefront getroffen wurden.

Die Fingerspitzen der Energie bildeten erst die Vorhut des eigentlichen Energiezentrums. Sie tasteten den Felsbrocken ab, der sich in den Weg geschoben hatte, sie spielten mit ihm.

Alphaner verkrochen sich unter den Kojenbetten und Computerkonsolen.

Draußen im All lauerten die Eagles.

Und dann kam die Hauptmasse der Schockwelle und zog vorüber

Die uralte, zerklüftete Mondmasse erbebte in ihren Grundfesten

Eine gewaltige kosmische Faust holte gegen den Planeten aus.

 

Alan Carter sah nervös auf das Instrumentenbrett von Eagle Zwei.

Nur daran konnte er erkennen, dass die Schockwelle den Mond getroffen hatte. Er und die Flotte der Eagle-Schiffe waren hinter dem Planeten und daher vor dem Energiestoß geschützt.

An Bord lief alles glatt und ruhig. Die aufblitzenden Skalen und die Digital-Werte auf dem kleinen TV-Monitor meldeten ihm, dass das Schlimmste überstanden war. Sie hatten dem Schock standgehalten, ihre Heimat war unversehrt geblieben.

Und doch wartete er dringend auf Bestätigung von der Kommandozentrale. Aus dem Bereichsmonitor kam kein Lebenszeichen. Er drückte einen Knopf.

»Alpha kommen... Mondbasis Alpha kommen.«

Keine Antwort.

»Eagle-Schiffe, zurück zur Basis«, gab er an seine Flotte durch.

Er schaltete die Verbindung ab und begann das Rückkehrmanöver.

Auf dem Bereichsschirm sah er die gezackten Kurven des Mondes, die entstanden waren, als dieser von der Atomexplosion in zwei Stücke aufgerissen worden war, einer Explosion, welche die Ursache des Abweichens von ihrer Bahn gewesen war. Der Mond sah aus wie eine tote Welt, ein Asteroidenklumpen, der ziellos durchs All zog.

Carter beobachtete, wie der Horizont sich allmählich rundete, mit Kratern bedeckte, als die Nase des Schiffes sich zu jener Seite vorschob, die von der Mondbasis eingenommen wurde.

Er wurde zu beiden Seiten von den anderen Eagle-Schiffen flankiert. Die Rakentenantriebe liefen bereits auf halber Stufe.

Bald kamen die klinischen, futuristischen Formen der Außengebäude in Sicht. Er suchte sie ängstlich nach Anzeichen von Leben ab.

Die Lichter des Basisgeländes brannten noch und tauchten die Landerampen in eine merkwürdige, unirdische Helligkeit vor dem Hintergrund der dunklen Mondgebirge.

Einige der Außengebäude trugen noch die Zeichen der Zerstörung durch den Angriff von Psychon. Sie waren unbenutzt, die Metallwände aufgerissen und zusammengeschmolzen und boten ihr Inneres dem Vakuum des Weltraumes dar.

»Alpha kommen... Alpha kommen...«

Noch immer keine Antwort.

Er setzte das Eagle-Schiff auf und schnallte sich von seinem Sitz los. Er schwenkte seinen elektronischen Öffner in Richtung der Tür, die in die Passagierabteilung führte, und lief hindurch.

Schwestern, Ärzte und Rettungsmannschaften, die von der Mondbasis hatten evakuiert werden sollen, drängten sich um die Ausstiege. Sie steckten noch immer in ihren grellen, orangefarbenen Raumanzügen und erwarteten ungeduldig die Ankunft Carters.

Der Pilot setzte den Helm auf und aktivierte die Lukenmechanismen.

»Los geht's«, sagte er über die Sprechanlage des Helms.

Sie stiegen durch die Luftschleuse in den kapselartigen Rumpf eines Fahrstuhls. Carter Schloss hinter ihnen die Türen, und die Kapsel bewegte sich rasch und klanglos ihre Rampe entlang.

Sie machte eine Kurve und fuhr dann steil hinunter unter die Mondoberfläche, wo der Großteil der Mondbasis lag. Der bewegliche Boden der Kapsel drehte sich um seine Achse und hielt sie so in aufrechter Stellung. Vielleicht ein Pech für die Alphaner, dass ihre Basis unterirdisch angelegt war, dachte Carter voll Ironie. Bis vor kurzem noch hatte sich die gesamte Mondbasis an der Oberfläche befunden, doch hatte man sich aus Sicherheitsgründen entschlossen, sie nach unten zu verlegen, wo sie natürlich den Vibrationen der sonischen Wellen gegenüber verwundbarer war.

Die Türen der Fahrstuhlkapsel glitten beiseite, und alle rannten hinaus in den Gang. Die Lichter der Basis brannten. Eine ominöse Staubschicht lag auf allen Flächen, Schränken und Hydranten.

»Luft kontrollieren«, sagte Carter über seine Sprechanlage, während sie sich so schnell fortbewegten, wie es ihre Raumanzüge zuließen.

Ein Techniker entnahm einer Tasche ein Instrument und las die Messwerte ab. »Der Druck ist nicht hoch... Es ist sicher.«

Sie nahmen die Helme ab.

Carter öffnete mit seinem Öffner die Türen zur Kommandozentrale. Im Inneren liefen Gestalten umher, und Carter stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.

Er lief hinein.

»Der Funkkontakt ging flöten«, rief Carter lachend.

»Bei uns ist alles bestens«, sagte Sandra. Sie sah mitgenommen und bleich aus und war mit Staub bedeckt.

»Diesmal ja«, sagte Koenig ernst. Er bürstete sich ab, »Aber ihr kontrolliert jetzt wohl die übrige Basis durch«, sagte er zu der Rettungsmannschaft. »Ich glaube, an ein paar Stellen ist es nicht so glimpflich abgegangen.«

Das Rettungsteam machte sich auf den Weg. Er und Carter traten hinter Verdeschi, der an seiner Konsole stand und auf den großen Bildschirm starrte.

Das weiße Feuer, das von der entfernten Explosion ausging, füllte die halbe Leinwand und nahm allmählich an Größe ab.

»John, wir müssen all dem ein Ende machen«, sagte Verdeschi. »Der Mond ist ein altes Haus. Viel kann der nicht mehr aushalten.«

»Ich kann nicht Menschen und Maschinen aufs Spiel setzen, solange ich nicht weiß, womit wir es zu tun haben«, erwiderte Koenig. Er wollte dem Bildschirm eben den Rücken zukehren, als etwas darauf seine Aufmerksamkeit erregte.

»Tony, Alan, seht doch!«

Die zwei beugten sich vor und spähten angestrengt ins Zentrum der Explosionsspuren. Jetzt war ein dunkleres, sphärisches Objekt sichtbar geworden. Es sah aus wie ein Schatten, ein unvollkommen entwickelter Film. »Ein Planet!«, rief Koenig aus.

»Na, wenigstens kein schwarzes Loch«, meinte Carter mit Erleichterung.

Helena betrat den Raum. Koenig winkte sie zu sich. Sie steckte im weißen Ärztekittel und sah überarbeitet aus. Dazu kam der Staub, dessen Spuren sie noch trug.

»Helena, da haben wir's. Den Ursprung der Explosionen.«

»Ein Planet«, sagte sie halb erstaunt.

»Er ist zu weit weg, als dass unsere Sensoren uns Werte übermitteln können«, rief Sandra.

»Bis auf einen offensichtlichen Schluss: Er ist vorhanden, er wurde von den Wellen nicht zerstört.«

Helena konzentrierte ihren Verstand auf das vorliegende Problem.

»Die Explosionen pflanzen sich nur nach einer Richtung fort, nach außen und nicht nach innen«, bemerkte sie.

»Richtig«, sagte Koenig. »Und da zwischen den Detonationen Intervalle von genau zwölf Stunden liegen, können wir annehmen, dass es sich um kein natürliches Phänomen handelt. Irgendeine Form von Intelligenz zeichnet dafür verantwortlich.«

»Aber warum nur?«, rief Helena plötzlich erbittert aus. »John, wir haben mehr Verletzte, als wir zunächst dachten. Manche sind schwer verletzt.«

Koenig sah sie voll Mitgefühl an. »Wir wissen nicht warum, aber wir werden es herausfinden«, sagte er und sah zu Verdeschi hinüber. »Eagle Zwei auf die Startrampe.«

Er wollte fort, doch Helena hielt ihn zurück. »John, Maya möchte etwas zu tun bekommen.«

Koenig schien gereizt. »Es gäbe doch jede Menge Arbeit...«

»Sie möchte etwas Verantwortungsvolleres tun«, sagte Helena hastig. »Dieser Angriff hat sie zur Besinnung gebracht. Sie möchte mithelfen und dabei vergessen. Ich versprach ihr...«

»Nein«, sagte Koenig mit Nachdruck. »Sie kann nicht mit uns kommen.«

»John, genau diese Chance braucht sie. Mach es ihr nicht noch schwerer... Sie ist überaus fähig. Es scheint sicher, dass sie uns helfen kann, den Angriffen ein Ende zu bereiten.«

Koenig sah sie skeptisch an. Er fragte sich, wie die Frau von Psychon ihnen wohl helfen könnte. Aber Helena hatte ihre allerbeste Überredungstaktik angewandt. Sie war die einzige Person auf Mondbasis Alpha, die Einfluss auf ihn ausüben konnte. Er wusste, es war Vergeudung kostbarer Zeit, wenn er sich auf eine Debatte mit ihr einließ.

Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Gut, also. Aber unter einer Bedingung. Sie muss im Passagierabteil bleiben.«

Helena lächelte trotz ihrer Mattigkeit. »Ich gehe und mache sie fertig.« Dann machte sie ein besorgtes Gesicht, diesmal war es Sorge um ihn. »John, sei vorsichtig.«

Sie sahen einander unverwandt an. Dann riss sich Koenig los.

»Und du auch«, sagte er.

Er drehte sich um und verließ die Kommandozentrale, knapp gefolgt von Carter.

 

Als sich Koenig ans Steuer setzte, merkte er, dass ihm die Pilotenkanzel mittlerweile allzu vertraut geworden war.

MacInlock hatte sich eine' wohlverdiente Ruhepause gegönnt, doch der Letztverantwortliche konnte sich keine Ruhe leisten.

Er und Carter saßen Seite an Seite, starteten das Schiff und brachten es auf Kurs. Die Schwerkraft des Mondes stellte nur ein geringfügiges Hindernis dar.

»Voraussichtliche Ankunftszeit auf dem Planeten?«, fragte Koenig Carter routinemäßig.

Ehe Carter eine Antwort geben konnte, hörten sie hinter sich eine weiche weibliche Stimme. »Zweiundvierzig Minuten, 8.47 Sekunden, Commander.«

Koenig und Carter drehten sich erschrocken um.

»Maya! Sie sollten doch im Passagierabteil bleiben!«

»John, lass das jetzt«, mahnte ihn Carter. Er starrte ungläubig auf das Zahlenmaterial, das ihm der Computer lieferte. »Ihre Antwort ist richtig. Richtig bis zur zweiten Dezimalstelle. Sie rechnet schneller als der Computer.«

Koenig war momentan ratlos. Er sah Maya an. Die Psychonerin wirkte nervös und abgespannt, bewahrte aber tapfer Haltung. Sie sah die beiden mit schüchternem Lächeln erwartungsvoll an.

»Wie haben Sie das nur geschafft?«, fragte Koenig.

Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Das ist auf Psychon nichts Besonderes. Ich denke immer so rasch.«

Carter sah sie und dann Koenig an. Dieser lächelte ihr zu.

»Dann also willkommen in der Pilotenkanzel«, sagte er. »Es sieht so aus, als brauchst du mich nicht mehr, John.«

Er stand auf und bot Maya seinen Platz an. Sie schüttelte den Kopf.

»Ich werde hinter Ihnen stehen«, sagte sie. Und mit einem Blick auf Koenig: »Das heißt, wenn es recht ist...«

Koenig zog die Brauen hoch. Ganz unerwartet musste er grinsen.

»Wer so gut rechnen kann, darf den ganzen Tag hinter Alan stehen«, sagte er. »Helena berichtete mir zwar von Ihren Fähigkeiten, aber ich wusste ja nicht, was sie meinte. Entschuldigen Sie.«

»Ich bin froh, dass Sie mich mitkommen ließen«, sagte sie voll Wärme. »Ich hätte meine Gedanken nicht ertragen... Ich musste weg.«

Koenig nickte. »Kann ich verstehen. Alan, sehen Sie mal nach.«

Carter aktivierte den Bildschirm, von Maya genau beobachtet, die begierig alle Vorgänge in sich aufnahm und ihre neue Rolle lernte.

Der TV-Monitor zeigte einen dunklen Sternenhimmel. Ein gelblich-grüner Planet hob sich davon ab, allerdings noch in einiger Entfernung.

Koenig beugte sich interessiert vor. »Vergrößern.«

Der Planet schien abrupt einen Satz nach vorn zu tun. Jetzt war die Färbung deutlicher sichtbar. Eine Reihe von kleineren Monden in regelmäßigen Abständen voneinander angeordnet, bildeten einen Gürtel um den Planten.

»Von Monden umgeben«, bemerkte Carter.

»Ich möchte jetzt die Messwerte der Sensoren, Maya«, bat Koenig, der mit seinen Instrumenten beschäftigt war. »Alan, zeigen Sie es ihr.«

Carter sah Maya an. Beide lächelten. Er stand auf und führte sie in das Passagierabteil.

»Sieht aus, als gehörten Sie jetzt dazu«, sagte er, als sie vor den großen Computerbänken standen. Er kratzte sich am Kopf und sah sie an. »Sicher wissen Sie, wie man rechnet.«

»Ich glaube, ich kann damit auch umgehen«, sagte sie und berührte die Sensoren-Konsole. »Während Sie und der Commander den Eagle starteten, studierte ich, wie das Ding funktioniert.« Das klang ein wenig anmaßend.

»Vermutlich finden Sie unsere Ausstattung primitiv«, scherzte er. Er wusste, dass es so war.

Sie lächelte. Ihre schönen, hypnotischen Augen blickten amüsiert. Jetzt schien sie schon viel selbstsicherer.

»Das ist nicht weiter wichtig«, sagte sie. Doch in ihren Augen stieg wieder die Erinnerung auf, und ihre Miene umwölkte sich. »Psychon war in der Entwicklung sehr weit fortgeschritten. Von Maschinen wussten wir alles, was es zu wissen gab, aber voneinander wussten wir so wenig. Ihr wiederum...«

Sie streckte die Hände aus. Er nahm sie, und sie drückte sie.

»Diese eure Eigenschaft erkannte ich erst später«, gestand sie. Sie sah zur Konsole hin. »Zeigen Sie mir, welche Knöpfe ich drücken soll.«

Er erklärte ihr den Vorgang, sie folgte seinen Anweisungen.

Der Schreibmechanismus surrte, und es erschien das Ausgedruckte auf einem Streifen. Sie riss ihn ab und studierte die Messwerte.

»Die Planetenatmosphäre besteht aus Chlor. Die Gravitation beträgt 7.439. Der magnetische Koeffizient ist 047... Das melden wir aber rasch dem Commander.«

»Ich hörte mit«, kam die Stimme Koenigs über die Sprechanlage. Er schien beeindruckt. »Jetzt versucht es mal mit den Monden.«

Maya ging wieder an die Konsole. »Ich bin an die Knöpfe nicht gewöhnt«, sagte sie zu Carter. »Unsere Instrumente hatten keine beweglichen Teile.«

Carter gab dem Computer die Koordinaten ein, und wieder erschien das Berechnungsergebnis.

»Atmosphäre negativ«, Maya sah sich das Ausgedruckte genau an und übertrug die Symbole in Sprache. »Aber sie schicken ein hohes Energiepotential aus.«

Koenig machte eine Pause. »Gebt den Kurs zum nächstgelegenen Mond ein«, wies er sie an. »Maya, Sie bleiben im Augenblick bei den Sensoren.«

»Sie machen hier jetzt auf eigene Faust weiter«, sagte Carter, der sich zum Gehen wandte. »Spielen Sie eine Weile damit herum. Versuchen Sie, so viel wie möglich an Informationen zu bekommen. Wir haben sie bitter nötig.«

Er ging zu Koenig zurück in die Pilotenkanzel.

»Sie macht sich tadellos, aber Sie dürfen ihr nicht zu viel zumuten, John«, sagte er, als er sich setzte und seinen neuen Kurs eingab.

»Selber schuld, wenn sie so gut ist«, brummte Koenig, der den Detailbildschirm studierte. Einer der unbekannten Monde rückte nun in den Mittelpunkt.

Das Eagle-Schiff schwenkte nun in eine weitgeschwungene Umlaufbahn um den Mond ein. Die Mondoberfläche war ihnen nun viel näher.

»Energiestufe für Ihre Leute zu hoch, Commander. Schwere metallische Konzentrate. Keine Anzeichen von Leben«, drang Mayas zögernde Stimme über die Lautsprecher.

Koenigs Kiefermuskeln spielten. Die Oberflächenangaben waren jetzt schon viel genauer. Glatte, seltsam gerundete Steinblöcke in allen Formen und Größen bedeckten den Mondboden. Wegen der luft- und wasserlosen Umwelt und des daraus folgenden Fehlens natürlicher Erosionskomponenten drängte sich geradezu die Annahme auf, dass die runden Formen künstlich entstanden sein mussten.

Die Kamera vollführte einen Schwenk. Eine Reihe massiver, turmartiger Strukturen kam in Sicht.

»Festhalten«, drängte Koenig.

»Eine Art Station«, sagte Carter.

Das Bild war nun festgenagelt. Die Türme waren Säulen merkwürdiger Art. Sie waren an der Basis breit und rund. Die dünneren Mittelschäfte verbreiterten sich zu eiähnlichen Plattformen an der Spitze. Auf jeder Plattform lag eine riesige Silberkugel. Es waren insgesamt fünf Türme, in einem vollkommenen Kreis angeordnet.

»Maya?«, fragte Koenig.

»Das ist es - die Quelle der hohen Energiestufen, die ich feststellte.«

»Alan, gehen Sie hinunter.«

Der Eagle erbebte, als die mächtigen Landeraketen gezündet wurden.

Sie spürten, wie ihre Körper schwerer wurden, während sie in den Landeanflug übergingen. Dann kam ein leichter Hüpfer und dann Schweigen, als die vier Spinnenbeine des Eagle auf die unbekannte Oberfläche auftrafen und der Atomantrieb abgestellt wurde.

Sie hatten keine Zeit zu verlieren. Koenig schnallte sich los und lief ins Passagierabteil. Maya kam ihm entgegen und half ihm in einen Raumanzug.

»Kamerahelm bitte«, sagte Koenig.

Sie reichte ihm einen Helm mit eingebauter Linse über der Sichtscheibe. Als er sich fertiggemacht hatte, bedeutete er ihr, sie solle in die Pilotenkanzel gehen.

Sie lief durch die Tür, eben als Carter sie zusperren wollte, und gesellte sich zu dem Piloten. Aus dem Abteil, das sie eben verlassen hatte, drang ein Zischen, das das Sinken des Druckes anzeigte.

Koenigs behelmte Gestalt erschien auf dem TV-Monitor. Er stand im Passagierabteil vor der Luke und wartete, dass diese beiseite glitt.

»Okay?«, fragte er Carter.

»Okay«, gab der Pilot zurück. Er drückte einen Knopf, und die schwere Schiebetür glitt auf. Durch die Öffnung konnten sie auf ihrem Monitor einen Blick auf die helle Mondoberfläche werfen.

Das Bild wechselte. An seine Stelle trat eine volle Außenaufnahme, als Koenig seine Kamera aktivierte.

Sie hatten zu Füßen eines der monströsen Türme aufgesetzt. Die glatte, breite Oberfläche streckte sich wie eine riesige Metallstraße empor und nahm drei Viertel des Bildschirmes ein, ohne dass man eine Öffnung sah.

Das Bild wurde undeutlich, während Koenig sich bewegte und sich die Szenerie genauer ansah. Als man wieder besser unterscheiden konnte, sahen sie, dass er geradewegs auf den Turm zuging. Die Bildfläche wurde nun total vom Umfang des Turmes ausgefüllt.

»Ich befinde mich bei dem nächstgelegenen Turm«, drang Koenigs Stimme zu ihnen.

»Sieht aus wie eine Platin-Wolfram-Legierung. Keine Messwerte aus dem Inneren«, berichtete ihm Maya, die dies von den Instrumenten ab las.

Das Bild begann wieder zu schwanken, während Koenig langsam die Säulenbasis umwanderte. Plötzlich sah man eine Öffnung in der seltsamen Fläche und dahinter ein dunkles Inneres.

Koenig blieb stehen und sah sich die Sache genauer an. »Ich habe eben einen Einstieg gefunden«, berichtete er.

Die an seinem Helm montierte Kamera schwenkte nach unten und zeigte ihnen eine kleine, metallene Matte auf dem Boden vor dem Einstieg.

»Reagiert auf Gewichtsdruck«, sagte er. »Strahlung negativ. Lebensformen nicht vorhanden. Ich gehe rein, gebt mir Deckung.«

»Ich ziehe mich gleich um«, sagte Carter. Der Pilot stand auf und öffnete die Türen zum Passagierabteil. Er verschwand.

Maya blieb nun allein in der Pilotenkanzel und beobachtete mit wachsender Furcht, wie sich die Kamera am Helm des Commanders rasch zur drohenden Öffnung in der Säulenwand wandte. Der Bildschirm verdunkelte sich und zeigte einen kleinen, zellenartigen Raum. Der Commander sah um sich, und die Kamera überflog den Raum. Maya sah, dass die Tür hinter ihm zu geglitten war und ihn einschloss.

Durch die Wände der Zelle drang jetzt Licht. Die Wände glühten in stumpfem Grün. Das Licht glitt entlang der Wände und verschwand vom oberen Rand des Bildschirmes. Ihr wurde klar, dass die Zelle eigentlich eine Art Aufzug darstellte. Er entführte den Commander nach unten.

Nach einer Weile hörte das Gleiten des Lichtes auf, und die der Kamera Koenigs gegenüberliegende Wand teilte sich. Eine atemberaubende unterirdische Szene bot sich den Blicken dar.

Eine riesige aus dem Felsen gehauene Kaverne, die wie ein riesiger, unterirdischer Parkplatz aussah. Die Kavernenwände waren so weit entfernt, dass man sie nicht deutlich ausnehmen konnte. Die Raumdecke war, in einen Mantel von Dunkelheit gehüllt, kaum zu unterscheiden.

Der Boden war von künstlicher Beschaffenheit und gut erleuchtet. Sechs Metallpfosten standen da, und auf dem oberen Ende jeder Säule ruhte eine Kugel.

Die Kamera bewegte sich vorsichtig weiter und erspähte ringsum Türen. Das automatische Auge der Kamera zeigte, dass es sich hier um eine Art Kontroll- oder Laboreinheit handelte. Makellose Konsolen, die seltsam angeordnet und von der Größenordnung der Umgebung verkleinert wirkten, standen da.

Der Commander trat wieder zurück. Gleichzeitig meldete sich seine Stimme über die Sprechanlage.

»Atmosphäre negativ.«

Er hielt auf eine der Kugeln zu.

Die Hand des Commanders tauchte vor der Kamera auf. Er hielt der Kugel einen Sensor entgegen. »Ich spüre eine Art...«, setzte er an.

Sein Satz sollte unvollendet bleiben. Maya musste hilflos zusehen, wie plötzlich ein blendender elektrischer Energieblitz aus der Kugel flammte und Koenig den Sensor aus der Hand schlug. Das Fernsehbild verschwamm und erlosch.

Maya beugte sich erschrocken vor. »Commander, melden bitte!«

Sie drückte alle in Frage kommenden Knöpfe.

»Alan, der Kontakt ist unterbrochen!«

Ein Augenblick der Stille, dann meldete sich Carters aufs höchste beunruhigte Stimme. »Halten Sie die Stellung. Bitte, den Druck senken.«

Sie sah sich verzweifelt im Raum um und versuchte,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Apex-Verlag/Successor of ITC Entertainment.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Dr. Ingrid Rothmann, Magdalena Sobez und Christian Dörge.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 12.11.2019
ISBN: 978-3-7487-2049-2

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /