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Leseprobe

 

 

 

 

BRYAN EDGAR WALLACE

 

Das Geheimnis der

schwarzen Koffer

 

 

 

 

Roman

 

Apex Crime, Band 46

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

 

DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN KOFFER 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Einundzwanzigstes Kapitel 

Zweiundzwanzigstes Kapitel 

Dreiundzwanzigstes Kapitel 

Vierundzwanzigstes Kapitel 

Fünfundzwanzigstes Kapitel 

Sechsundzwanzigstes Kapitel 

 

Das Buch

Ein kleiner schäbiger Koffer hält die Welt in Atem. In ihm verbirgt sich der Tod in Form einer von den Russen konstruierten Superatombombe, die Tod und Verderben für Millionen von Menschen bringen kann. In Frankreich, England und Rußland - überall ist die Hölle los. Geheimdienste arbeiten Tag und Nacht auf Hochtouren, Geigerzähler werden eingesetzt, männerbetörende Agentinnen spinnen ihre gefährlichen Netze, und furchtlose Männer setzen zum Wohl der Menschheit ihr Leben aufs Spiel. Wer ist der große Unbekannte, der brutal und rücksichtslos nach diesem unheilvollen Koffer jagt, um schließlich die ganze Welt zu bedrohen?

 

Bryan Edgar Wallace (* 28. April 1904 in London; † 1971), der Sohn des legendären Schriftstellers Edgar Wallace, wurde in Deutschland insbesondere durch die Verfilmung seiner Romane in den 1960er Jahren bekannt. Der Apex-Verlag veröffentlicht die Werke des Autors als durchgesehene Neuausgaben in seiner Reihe APEX CRIME und macht diese Krimi-Klassiker erstmals seit nahezu fünfzig Jahren wieder verfügbar.

 

 

Der Autor

Bryan Edgar Wallace.

(* 28. April 1904 in London; † 1971).

 

Bryan Edgar Wallace - auch Edgar Wallace jr. - war ein englischer Kriminalschriftsteller und Drehbuchautor. Er war zudem der Sohn des erfolgreichen Schriftstellers Edgar Wallace.

Bryan Edgar Wallace wurde im April 1904 als Sohn des britischen Schriftstellers Edgar Wallace und dessen erster Frau Ivy Wallace, geborene Caldecott, geboren. Wallace benannte ihn nach dem amerikanischen Senator William Jennings Bryan, mit dem er befreundet war. Bryan Edgar ging auf die Oundle School und später auf das Emanuelle College in Cambridge, anschließend war er Offizier der britischen Armee. Nach seiner Militärzeit arbeitete er als Drehbuchautor bei British Lion, der Gaumont British Picture Corporation, Twentieth Century Fox und anderen Filmgesellschaften, bevor er für zwölf Jahre als Sekretär in der britischen Botschaft in Madrid arbeitete.

Bryan Edgar heiratete 1934 die Biographin seines Vaters, Margaret Lane, die Ehe wurde jedoch bereits 1939 wieder geschieden. 1940 heiratete er Wylodine van Dyke Jones aus Columbus in Ohio. Gemeinsam mit seiner Frau verbrachte er seinen Lebensabend auf dem Schloss Champigny in Champigny-sur-Veude bei Tours an der Loire in Frankreich.

Die Kriminalromane von Bryan Edgar Wallace wurden stark von denen seines Vaters beeinflusst, handelten jedoch vor allem von Agenten und Weltbeherrschungsplänen. Die Berühmtheit seines Vaters konnte er nicht erreichen.

Neben diesen eigenen Romanen schrieb Wallace Drehbücher nach verschiedenen Romanen seines Vaters, darunter The Flying Squad (1932), The Frightened Lady (1932), Whiteface (1932), Strangers on a Honeymoon (1936), The Squeaker (1937) und The Mind of Mr. Reeder (1939).

Nach einem Treffen mit den Filmproduzenten Artur Brauner wurden einige der Romane von Bryan Edgar Wallace im Rahmen des durch Constantin Film und Rialto Film ausgelösten Edgar-Wallace-Booms durch Filme in den 1960er- und 1970er-Jahren verfilmt. Dabei wurde teilweise nur sein Name genutzt und nur ein geringer Teil der Verfilmungen wurde nach seinen Romanen verfilmt; daneben wurden völlig neue, Edgar-Wallace-ähnliche Stoffe erdacht.

Zu den bekanntesten Bryan-Edgar-Wallace-Filmen gehören Der Würger von Schloss Blackmoor (1963), Scotland Yard jagt Dr. Mabuse (1963), Der Henker von London (1963) und Das siebente Opfer (1964). 

DAS GEHEIMNIS

DER SCHWARZEN KOFFER

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Es ist, sagte sich Tom, ein sonderbares Gefühl, zu wissen, dass eine Million Menschen darauf aus sind, dich umzubringen, dass ein gewaltiger Apparat in Gang gesetzt wurde, um dich auszulöschen. Nie in seinem Leben war er so restlos einsam gewesen. In der Abgeschiedenheit der engen Kanzel fiel es ihm schwer, sich vorzustellen, dass dort in der Tiefe, nahezu fünfzehn Kilometer unter ihm, eine erbarmungslose Maschinerie fieberhaft den Ort und die Art seines Todes zu errechnen versuchte, während ihm nur der sanft schaukelnde Sternenbaldachin Gesellschaft leistete.

Dort unten erblickte Tom Pringle die verstreuten Lichter der ostdeutschen Zone, und im Rückspiegel über seinem Kopf sah er den schmalen Lichtstreifen am östlichen Horizont, der die herannahende Morgendämmerung ankündigte. Bisher war alles gut gegangen. Noch zehn Minuten, und er hatte mit heiler Haut die Grenze überschritten und war in die Zivilisation zurückgekehrt. Auftrag durchgeführt. Tom Pringle wird zum Klassenersten befördert und darf eine sieben wöchige Auslandszulage auf einen Hieb verjubeln. Vergnügt lächelte er in sich hinein. Tom Pringle, der Meisterdieb. Dann weckte ein Geräusch im Kopfhörer seine Aufmerksamkeit, und langsam erlosch sein Lächeln.

Die Mitteilung war so leise, dass er sie kaum aufschnappen konnte. Er spitzte die Ohren. Schließlich hörte er die monoton sich wiederholenden Worte: »Tom Pringle, dringend - nach K 17, L 48 abdrehen... Tom Pringle, dringend - nach K 17, L 48 abdrehen...« Es war ein elektrischer Schock, der seiner Selbstzufriedenheit den Garaus machte. Warum, zum Donnerwetter, mussten sie in diesem späten Stadium den Plan ändern? Reiner Wahnsinn! Hatten die Herrschaften dort in der Etappe nichts Besseres zu tun als in eine Sache hineinzupfuschen, die so schön glatt verlief? Das hatte ihm grade noch zu seinem Glück gefehlt. Ärgerlich notierte er auf dem Knie die neuen Kartenkoordinaten. Wofür hielten sie ihn eigentlich - für einen Taxi-Chauffeur, den man an eine andere Adresse beordert?

Finster betrachtete er den großen, gewöhnlich aussehenden Koffer, der auf dem Nebensitz festgeschnallt war. Es erschien ihm fast undenkbar, dass zwei Nationen einen erbitterten heimlichen Krieg um diesen abgeschabten und ordinären Koffer führten, und erst recht konnte er kaum die teuflischen Greuel fassen, die er enthielt. Dabei wusste er, dass ihm seine bloße Nähe zum Verhängnis werden konnte - ein Todesurteil, das in dieser Sekunde über seinem Haupt schwebte. Es würde noch dazu ein abscheulicher, schleichender Tod sein. Trotz alledem begann er eine sonderbar perverse Zuneigung zu dem alten Koffer zu empfinden. Seit Wochen hatte er nun unablässig seine Gedanken beschäftigt, und in den letzten drei Tagen war er ihm nicht von der Seite gewichen. Drei Menschen waren bereits seinetwegen ums Leben gekommen. Sein Inhalt bedrohte Millionen mit jähem, unentrinnbarem Tod. Vielleicht, dachte Tom Pringle sardonisch, vielleicht ist es die Kameradschaft des Todes, die mich lockt...

Er sah Joe vor sich, wie er in London sitzt, sich in seinem Bürosessel zurücklehnt, zur Decke emporblickt und mit seiner tonlos unpersönlichen Stimme sagt: »Schlimme Sache, dass Tom auch dran glauben musste, aber vier Mann sind kein so hoher Preis, wie ich ihn erwartet habe.« Tom fragte sich: Wenn man Joe durch eines dieser modernen Elektronenhirne ersetzt - wird jemand den Unterschied merken?

Wieder warf er einen Blick in den Rückspiegel und zuckte zusammen. Lange starrte er hin, bis er überzeugt war, er habe sich nicht geirrt. Die unverkennbaren Konturen einer hinterherjagenden Maschine zeichneten sich vor dem matt erhellten Himmel ab.

Langsam und mit bemerkenswertem Gefühl murmelte er vier Kraftausdrücke in sich hinein und wiederholte sie dann noch obendrein mit lauter Stimme, bedächtig und nachdrücklich. Da wurde ihm irgendwie wohler zumute. Die Jagd war im Gang. Und es ging um ihn. Ergebnislos zerrte er an den Gashebeln. Die Kiste gab ihr Bestes her, mehr durfte man nicht von ihr verlangen. Kein Pilot auf Gottes Erdboden ist dem Mann am Reißbrett gewachsen. Tom Pringle lächelte in sich hinein, ein krampfhaftes, hartes Lächeln. Er war nichts weiter als eine Figur auf einem Maschinengewehrschießstand.

Von Anfang an hatte er gewusst, dass das Ganze verrückt, sei. Nie hätte er sich von Joe dazu überreden lassen dürfen. Was nützt es, dass man wie ein Einheimischer Russisch spricht, wenn man in einer Maschine sitzt, die nicht schnell genug ist? Am meisten ärgerte ihn, dass er es so weit geschafft hatte und nun zu guter Letzt ins Gras beißen sollte. In edler Pflichterfüllung. Ohne diese neue Order wäre alles gut gegangen. Sie hatte ihm die Suppe versalzen.

Wieder betrachtete er zuerst den scheinbar so harmlosen Koffer, der ihm aller Wahrscheinlichkeit nach Hals und Kragen kosten würde, und blickte dann in den Spiegel hinauf. In diesen wenigen Sekunden war der Verfolger merklich näher gekommen. Tom versuchte abzuschätzen, wieviel Zeit ihm blieb, bevor der andere ihn eingeholt hatte. Aber es wurde ihm nur eins klar: Die Zeit würde nicht reichen. Er legte seine Maschine schief in die Kurve, um auszuweichen, und sah, wie sein Freund hinter ihm das Manöver getreulich wiederholte. Es hing alles davon ab, wie tüchtig der Russe war. Fünf Minuten später wusste er Bescheid.

Er sah sie vorbeifliegen, die feinen, gefiederten Fährten der Leuchtspurgeschosse, und warf seine Maschine mit einem Ruck scharf in die entgegengesetzte Kurve. Er holte tief Atem. Der kalte Schweiß rieselte über sein Gesicht. Er befand sich im Feuerbereich und flog zu tief, um etwas dagegen ausrichten zu können. Jetzt wusste er, dass es dumm gewesen war, zum Sturzflug anzusetzen, in der Hoffnung, Tempo zu gewinnen. Wenn nicht schnell etwas passierte, war er verkauft und verraten. Seiner Schätzung nach musste er sich ganz in der Nähe der Grenze befinden. Wo blieb der Schutz, mit dem Joe geprahlt hatte? Im Rückspiegel sah er, wie die Jagdmaschine höher ging und sich anschickte, auf ihre Beute herabzustoßen.

Felder, Hecken, Straßen und ab und zu ein Haus jagten ihm entgegen und verschwanden, rollten unter ihm dahin wie ein ungeheuerliches buntes Fließband. Die Straße in die Freiheit, das Feld des Todes.

Wenn nur... Er begann nachzudenken. Aber in der nächsten Sekunde erstarrte ihm das Blut in den Adern. Ein Schauder lief durchs Leitwerk. Er wusste, dass es ihn erwischt hatte. Hastig blickte er nach links und nach rechts und sah, dass die eine Tragfläche getroffen war, und zwar, nach dem ausströmenden Rauch zu schließen, an der Motorhaube. Er warf einen Blick aufs Armaturenbrett und bemerkte, dass seine Diagnose stimmte. Die Instrumentennadeln des rechten Motors begannen heftig zu pendeln. Wie lange würde er es noch schaffen? Fünfzehn Sekunden? Dreißig Sekunden? Die Chancen wurden immer geringer. Hundert zu eins.

Nun, dachte er bei sich, geseilt Tom Pringle sich zu den Scharen der unbekannten und unbesungenen Helden. Die Helden, bitte, rechts Schlange bilden, bitte, nicht drängeln, es ist für alle Platz genug da. Hart zog er den Knüppel nach hinten, begann langsam und laut zu zählen. Die Maschine stieg fast senkrecht hoch, eine anmutige Rauchfahne hinter sich zurücklassend. Er blickte nach unten und versuchte, die Höhe abzuschätzen. Es war eine hübsche, flache Landschaft mit einigen Wäldchen. Er sah neben einer Hecke einen Marin stehen, der etwas Glitzerndes in der Hand hielt.

Tom bückte sich, zog an der Reißverschlussschnalle, die den Koffer festhielt, und hob ihn mit einem Ruck auf den Schoß. Jetzt, dachte er, ist es an der Zeit, dass der brave olle Tom sich in einen Vogel verwandelt. Pringles berühmte Nummer. Der Todessprung. Eintritt frei. Bei Versagen kein Ersatz. Er zog die Schutzklappe seines Fallschirmsitzes übers Gesicht, schaltete den Kontakt ein und fühlte den dumpfen Stoß im Rücken, als unter dem Sitz die Ausstoßladung explodierte. Einen Augenblick lang war die hämmernde Wucht des Windes fast unerträglich, schien ihn in Stücke reißen zu wollen, dann ging es vorüber, und er purzelte langsam kopfüber in die Tiefe.

Abgesehen davon, dass der Koffer allem Anschein nach entschlossen war, sich rücksichtslos bis ans Rückgrat durch ihn hindurchzustemmen, ging die Landung verhältnismäßig sanft vonstatten. Zögernd sackte der Fallschirm in sich zusammen. Tom koppelte ihn los und stand auf. Er hatte es geschafft. Und er hatte den Koffer bei sich.

Als er nach oben blickte, sah er, dass seine Maschine sich bereits in eine knatternde Feuerkugel verwandelt hatte und schnell in tausend Trümmer zerfiel, die durch die Luft sausten. In der Ferne kam die russische Jagdmaschine herangeprescht, fast auf den Kopf gestellt, um ihn mit ihren MGs zu bestreichen.

Tom nahm den Koffer und rannte los. Zu seiner Linken sah er einen kleinen Mann herantrotten, einen Melkeimer in der Hand. Er warf einen Blick über die Achsel. Die Jagdmaschine hatte sich aufgerichtet und setzte mit höchster Geschwindigkeit zum Angriff an. Sehnsuchtsvoll betrachtete Tom Pringle den Wald, der nur etwa zweihundert Meter entfernt war. Er hätte ebenso gut auf dem Mond liegen können. Ein recht veraltetes Klischee, dachte er, während er sich vornüber zu Boden warf. Der Boden war hart und taufeucht. Das Gras reichte ihm bis knapp an die Schultern. In einer Papiertüte hätte er sich sicherer gefühlt.

Er blieb liegen und lauschte dem anschwellenden Winseln der herannahenden Jagdmaschine. Plötzlich hörte die Zeit zu rasen auf. Unglaublich langsam verrannen die Sekunden. Endlich hörte er das scharfe Rattern der Geschütze und den Knall der Schallwelle, die über seinen Kopf hinwegfegte. Dann war es vorbei.

Tom Pringle blickte auf. Der kleine Mann, der auf ihn zugelaufen war, torkelte umher, als ob er betrunken wäre, die Hände an den Bauch gedrückt. Vor Toms Augen beugte er sich immer weiter nach vorn, bis er sachte aufs Gesicht fiel und sich nicht mehr bewegte. Aus dreihundert Meter Höhe einen Melkeimer mit einem Koffer zu verwechseln: Das kann man verstehen.

Tom nahm den Koffer und rannte los. Es sollte sein Todesurteil sein.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Selbst in unseren Tagen, da die Superlative etwas Alltägliches sind und nur das Alltägliche oft ungewöhnlich ist, kann man einmal am frühen Morgen um 4.30 Luftkämpfe veranstalten, die damit enden, dass brennende Maschinen abgeschossen werden, ohne dass der eine oder andere, der nicht gerade schläft, aufmerksam und neugierig wird. In der Geborgenheit des Waldes überlegte sich Tom Pringle, diese an und für sich so friedliche Gegend würde sehr bald recht ungesund werden.

Wenn seine Berechnungen stimmten, musste er die Grenze überschritten haben und sich in Westdeutschland befinden - eine Theorie, die durch das Verhalten des russischen Fliegers bekräftigt wurde, der ihn sonst, wäre man noch in Ostdeutschland gewesen, der zärtlichen Obhut seiner Freunde unten auf dem Boden überlassen hätte. Gewiss war Tom sich darüber im Klaren, dass das keine besondere Rolle spielte. Solange er den Koffer bei sich hatte, würde alle Welt nach ihm Ausschau halten, und geriet der Koffer in unrechte Hände, würde der gute Joe seine Kalkulationen von Grund auf ändern müssen. Das war - hätte er’s nur gewusst - eine bemerkenswert exakte Prophezeiung.

Tom Pringle zog einen kleinen Kompass aus der Tasche und setzte den Kurs auf den Landeplatz. Nachdem er sich drei Stunden lang mit dem Koffer dahingeschleppt hatte, der bei jedem Schritt schwerer wurde, kam er in die Gegend, in der er den Landeplatz vermutete. Aufatmend versteckte er den Koffer in einem Heuschober. Eine halbe Stunde später kroch er durch eine Hecke und entdeckte die rissigen Reste einer alten Rollbahn. Vor ihm stand die verfallene Ruine eines hölzernen Hangars.

Gerade die Stille und Öde machten Tom Pringle nervös. Er spielte sogar mit dem Gedanken, seine Pistole aus der hinteren Hosentasche hervorzuholen, aber in der friedlichen ländlichen Umgebung kam ihm diese theatralische Geste lächerlich vor. Wie dumm würde er aussehen, wenn er mit gezückter Waffe plötzlich einem Angestellten des Büros begegnete.

Vorsichtig spähte er um die Ecke des Hangars. Dann wich er hastig zurück. Aber es war zu spät. Keine drei Meter von ihm entfernt, stand ein Mann und betrachtete ihn mit einem leicht belustigten Lächeln. Aber nicht das Lächeln fesselte Tom Pringles Aufmerksamkeit, sondern die Pistole in der Hand des Fremden, die sein freundliches Lächeln Lügen zu strafen schien.

»Hallo, Tom! Schön, dass Sie es geschafft haben!«, sagte der Mann.

»Wer sind Sie? Und was soll die Kanone?«

»Ich wollte mich nur vergewissern, dass es sich um keinen ungebetenen Gast handelt«, erwiderte der Mann ungezwungen.

Tom kam sich töricht vor. Deshalb wurde er böse. »Na, jetzt wissen Sie Bescheid - jetzt können Sie Ihr Spielzeug wegstecken.«

Lächelnd schob der Mann die Pistole in die Tasche. Aber gerade dieses Lächeln fand Tom beunruhigend.

»Sie sind doch Tom Pringle?«, fragte der Mann.

»Ja. Kommen Sie aus London?« - Der Mann nickte.

»Baker Street?«

»Ja. Aber ich war eine Zeitlang in Kanada. Wo ist der Koffer?«

»Er war mir zu schwer. Ich habe ihn versteckt.«

»Wo?«

Die Frage klang allzu abrupt, allzu eifrig. Wieder durchzuckte Tom ein leises Misstrauen, aber er behielt es für sich. Solange seine Pistole in der hinteren Hosentasche steckte, war er nicht in der Lage, sich auf Auseinandersetzungen einzulassen.

»In einem Heuschober, ein paar Kilometer von hier«, erklärte er.

»Gut. Erinnern Sie sich genau, wo?«

»Gewiss.«

»Können wir mit dem Auto hinfahren?« Er deutete auf einen kleinen Wagen, der neben dem Hangar geparkt war.

Tom zögerte. Er hatte mit einem schönen langen Spaziergang gerechnet, damit er Zeit hätte, sich zu überlegen, was da nicht stimmte. Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube kaum.«

Der Mann schien ungeduldig zu werden. »Sicher können wir mit dem Auto näher rankommen. Wir dürfen keine Zeit vergeuden. Bald ist die Hölle los. Was meinen Sie - sollen wir loszockeln?«

Wieder zögerte Tom. Dann erklärte er sich einverstanden, und als er schließlich im Wagen saß, merkte er, dass sein Argwohn nachzulassen begann. Es waren die Waffe und das sonderbare Lächeln gewesen, die ihn verwirrt hatten. Da jedoch der Mann offensichtlich an der richtigen Stelle auf ihn gewartet hatte, musste wohl alles in bester Ordnung sein. Trotzdem, trotz aller Logik, die er aufzubieten versuchte, spürte er nach wie vor einen leise nagenden Zweifel.

Der Wagen war ein schwarzer, kleiner Citroen mit Pariser 75-Schildern. Er schaukelte und ächzte, während sie über das holprige Feld auf die Straße Zufuhren. Tom erläuterte, so gut er konnte, die Lage des Heuschobers. Aus der Schnelligkeit, mit der der Mann seine Hinweise erfasste, glaubte Tom zu ersehen, dass er dieses Gebiet gründlich erkundet haben musste.

»Warum hat man im letzten Augenblick den Landeplatz geändert?«, fragte Tom.

Der Mann zuckte die Achseln. »An höchster Stelle.«

»Wann wurden Sie verständigt?«

»Gestern Abend«, antwortete der Mann.

Tom wollte soeben eine weitere Frage stellen, hielt jedoch inne. Jetzt wusste er genau, dass sein Verdacht begründet war und der Mann log. Da er die Umgebung so gut kannte, musste er sich beträchtlich länger als zwölf Stunden hier aufgehalten haben.

»Ich möchte nur wissen«, sagte Tom mit einem, wie er hoffte, richtig dosierten Maß an Ärger, »warum London sich einmischen musste. Diese Order im letzten Augenblick hätte mich beinahe in die Pfanne gehauen.«

»Wieso?«

»Ich musste über Berlin abdrehen. Deshalb hat der Russe mich auf gegabelt.«

»Glauben Sie, die Leute wissen, dass Sie den Koffer haben?«

Tom nickte. »Ganz bestimmt. Beim Abflug hatten wir es mit ein paar Typen zu tun, und es ging nicht grade sang- und klanglos vorbei.«

»Auf jeden Fall haben Sie gute Arbeit geleistet«, sagte der Mann. Es klang so echt, dass Tom momentan wieder schwankend wurde. Er zeigte nach rechts.

»Dort steht der Heuschober.«

Der Mann bog auf einen holprigen Feldweg ein und hielt. Jetzt, dachte Tom, habe ich Gelegenheit, genau festzustellen, woran ich bin. Er setzte die Füße unbeholfen auf die Erde und schob dabei die Hand in die hintere Hosentasche. Mit der Pistole in der Hand drehte er sich zu dem Mann um, der an der anderen Seite des Wagens stand.

»Jetzt«, sagte Tom Pringle höflich, »ist es Zeit, dass wir uns offen und ehrlich und in aller Freundschaft miteinander unterhalten.«

Der Mann machte eine krampfhafte Bewegung, als wollte er nach seiner Waffe greifen. Sein Blick war kalt und ausdruckslos.

»Was soll denn das bedeuten?«, fragte er wütend.

Nun, da Tom die Oberhand gewonnen hatte, fühlte er sich beträchtlich wohler. »Erster Punkt auf der Tagesordnung«, sagte er in unbeschwertem Ton. »Wer sind Sie?«

»Ich heiße Raglan und habe die Nummer 18004.«

Tom schüttelte bekümmert den Kopf. »Sie müssen sich schon ein bisschen mehr anstrengen, lieber Mann.«

Der andere konnte nur mühsam seinen aufflammenden Zorn beherrschen. »Ich weiß nicht, was diese dummen Scherze für einen Sinn haben sollen - aber wenn wir erst wieder in London sind, wird es einen Krach geben, dass die Wände wackeln.«

»Sie irren sich«, sagte Tom kühl. »Hier wird es Krach geben, weil ich Ihnen nicht ein Wort von alldem glaube, was Sie mir bisher erzählt haben.«

»Warum nicht?«, fragte der Mann.

»Sie haben also gestern von der Änderung des vereinbarten Planes gehört, ja?«

»Das sagte ich bereits.«

»Um welche Zeit - ungefähr?«

»Was spielt das für eine Rolle?«

»Für mich spielt es eine Rolle«, erwiderte Tom gelassen. »Gegen fünf.«

»Und wann sind Sie hier eingetroffen?«

Der Mann zögerte. Er witterte die Falle. »Gegen sieben.«

»Und Sie haben die ganze Nacht in dem verfallenen Hangar verbracht?«

»Ich bin ein bisschen umhergewandert.«

»Zu Fuß?«, fragte Tom.

Der Mann sah ihn scharf an. »Ja, zu Fuß.«

Tom sagte ganz langsam: »Wie kommt es dann, dass Sie sich in dieser Gegend so gut auskennen?«

»Nach der Karte.«

»Okay, her damit!«

Der Mann musterte ihn mit unverhohlener Wut. Tom schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge. »Umdrehen!«, befahl er.

Der Mann schrie ihn fast an. »Ich denke nicht daran - und Sie werden noch was zu hören bekommen!«

Tom sagte in ungezwungenem Plauderton: »Ich bewillige Ihnen fünf Sekunden.«

Der Mann starrte ihn an, ohne sich zu rühren.

»Na?«, fragte Tom.

Langsam drehte der Mann sich um.

»Werfen Sie Ihre Pistole weg!«

Hinter seinem Rücken sah Tom zu, wie er die Waffe aus der Tasche nahm und auf die Erde fallen ließ.

»Nur der Form halber - sind Sie Kommunist?«, fragte Tom. Aber die Antwort, der er erhielt, war sehr kurz und im Druck nicht wiederzugeben.

»Niederknien!«, befahl Tom.

»Was haben Sie vor?«, fragte der Mann. Seine Stimme klang gepresst.

»Ich werde Sie fesseln«, erwiderte Tom vergnügt. »Und dann mit Ihrem Wagen verduften.«

»Wohin?«

»Das ist meine Angelegenheit«, sagte Tom mit Bedacht. »Jetzt dürfen Sie sich flach hinlegen.«

»Sie sind verrückt - total verrückt.«

»Vielleicht leide ich an Verfolgungswahn. Bitte, legen Sie sich mit dem Gesicht nach unten auf die Erde.«

»Passen Sie auf, lieber Mann!«, sagte der andere. »Sie sind auf dem Holzweg. Eben fällt mir ein, dass ich einen Briefbogen aus der Baker Street bei mir habe. Das wird Ihnen ein Beweis dafür sein, dass ich völlig in Ordnung bin.« Hastig fügte er hinzu: »Schauen Sie sich mal das Papier an, ja?«

Tom zögerte. Langsam und vorsichtig drehte der Mann sich zu ihm um.

»Ich werde beweisen, wer ich bin, und dann Schwamm drüber. Einverstanden?«

Tom wusste, dass seine Weigerung unvernünftig sein würde, aber seine innere Stimme ermahnte ihn, sich nicht auf solche Geschichten einzulassen. Schließlich sagte er widerwillig: »Na schön, zeigen Sie mir den Wisch - aber langsam.«

Er passte gut auf, während der Mann sachte den linken Arm hob und seine Hand in die innere Brusttasche gleiten ließ. Es war schwer zu sehen, was für ein Kniff sich dahinter verbergen sollte.

»Das dürfte Sie restlos überzeugen«, sagte der Mann.

Ein scharfer Knall. Tom fühlte einen Schlag gegen die Schulter. Eine Sekunde lang blieb er regungslos stehen, fast so, als wäre er ein unbeteiligter Zuschauer. Er spürte zuerst keinen Schmerz, sah nur den kleinen Blutfleck an der rechten Schulter. Dann setzte es ein, ein heißer Stich, so dass er sich instinktiv zusammenkrümmte, und als er sich aufrichtete, sah er, dass der Mann einen kleinen, nur etwa zehn Zentimeter langen Derringer in der Hand hielt. Der Stoff über der Brusttasche schwelte, dort, wo das Geschoss ihn durchschlagen hatte. Tom sah seine Pistole auf der Erde liegen und musste hilflos zuschauen, wie der Mann vorsichtig zwei Schritt näherkam und sie aufhob.

»Ich fürchte, lieber Freund«, sagte der Mann, »dass Sie allzu spät in Ihrem Leben eine wichtige Lehre erhalten haben. Es hat keinen Zweck, schlau zu sein, wenn man nicht schlau genug ist.«

»Wer sind Sie?«, fragte Tom schroff. Mit Bedauern stellte er fest, dass die veränderte Machtbalance ihm seinen sanften Tonfall verschlagen hatte.

»Was Sie nicht alles wissen wollen!«, erwiderte der Mann liebenswürdig. »Aber unter den gegebenen Umständen, die Ihnen, wie ich annehme, inzwischen aufgedämmert sind und da Sie so freundlich waren, mich zu dem Heuschober zu führen - es ist doch wohl der richtige Heuschober...?«

»Nein - er ist es nicht.«

»Als Lügner lassen Sie viel zu wünschen übrig«, bemerkte der Mann. »Aber wie gesagt, angesichts der ganzen Lage habe ich nichts dagegen, aufrichtig zu sein.«

»Soll das heißen, dass Sie die Absicht haben, mich zu ermorden?«

»Ein hässliches und theatralisches Wort - aber es dürfte wohl ebenso gut taugen wie ein anderes«, sagte der Mann gelassen.

»Aber warum das alles?«

»Aus einem einfachen Grund. Mit dem Koffer, den Sie mir in so freundlicher Weise mitgebracht haben mir blutet das Herz, wenn ich bedenke, was für ein Risiko Sie vergebens auf sich genommen haben -, mit diesem Koffer beabsichtigen wir, ich und einige sorgfältig ausgewählte Freunde, Multimillionäre zu werden - ohne dabei, wie ich dankbar betonen darf, zum Unterschied von Ihnen, besonders viel zu riskieren.«

»Wie denn?«

»Ich will es folgendermaßen formulieren«, sagte der Mann, nicht anders, als ob er eine Schulklasse unterrichtete. »Mit einer Pistole kann man, wie Sie wissen, einen Menschen überzeugen und vielleicht sogar, wenn man sie geschickt auszunützen versteht, ein halbes Dutzend. Wenn wir aber einen Schritt weitergehen und ein Maschinengewehr verwenden, können wir Dutzenden, ja, vielleicht sogar Hunderten unseren Willen aufzwingen. Mit Hilfe dieses Koffers hoffe ich in der Lage zu sein, mehrere Millionen Menschen von der Richtigkeit meiner Argumente zu überzeugen.«

»Das heißt, Sie wollen den Koffer zu Erpressungszwecken benutzen.«

»Sie haben eine Vorliebe für unappetitliche Ausdrücke«, erwiderte der Mann lächelnd. »Aber nennen Sie es, wie Sie wollen, der Koffer ist Millionen wert, steuerfrei.«

»Woher wussten Sie, wo ich landen würde?«

»Weil ich Ihnen die Weisung erteilt habe«, sagte der Mann zu Tom, Pringles Überraschung.

Tom verstand nicht gleich, was damit gemeint war. Dann: »Sie haben mich angefunkt?«

»Bravo. Ich habe einen Kurzwellensender im Hangar.« Tom war verdutzt. »Aber wie haben Sie denn überhaupt von der ganzen Sache Wind bekommen?«

»Ach«, erwiderte der Mann mit einem verschmitzten Grinsen, »wir haben hochgestellte Freunde.«

»Zum Beispiel?«

»Zwei Nadeln haben genügt«, erwiderte der Mann, dem seine Geheimnistuerei offenbar Spaß machte.

»Nadeln?«, wiederholte Tom verdutzter denn je.

Der Mann lächelte. »Ja, Nadeln. Mehr werde ich Ihnen nicht verraten.«

»Aber wenn begann Tom und verstummte.

»Wenn Sie doch sterben müssen, warum sollte ich Ihnen dann nicht alles erzählen?«

Tom nickte langsam.

»Weil ich es mir mein Leben lang zur Gewohnheit gemacht habe, den Mund zu halten. Ich weiß, lieber Freund, dass Tote nichts weitererzählen, aber Prinzip ist Prinzip. Zufrieden?«

»Wohl oder übel«, sagte Tom heiser.

»Gut.« Der Mann hob die Hand.

Aufgescheucht durch den jähen Knall, flogen wütende Krähen aus den benachbarten Baumwipfeln hoch.

Der Mann kniete nieder und durchsuchte sorgfältig Tom Pringles Taschen. Dann näherte er sich vergnügt pfeifend dem Heuschober - dem strahlenden Glanz der Millionen.

 

 

 

 

  Drittes Kapitel

 

 

»Ja, Joe«, sagte der Unglückliche ins Telefon, »selbstverständlich, Joe. Nein, ich habe keine Ahnung, warum Tom hier landen wollte, nicht die leiseste Ahnung, Ja, etwas muss ihn veranlasst haben, seine ursprüngliche Absicht zu ändern.« Mit der freien Hand zog der Mann ein Taschentuch hervor und fuhr sich über den Nacken. »Aber, Joe!«, protestierte er. »Ja - sobald ich es zu hören bekam. Unser Vertreter in der Nähe von Helmstedt hat mich angeklingelt. Ich habe mich sofort in Bewegung gesetzt. Ja, ich habe alle Leute losgeschickt, die ich zusammentrommeln konnte. Man sucht ihn überall. Mir ist die Sache völlig rätselhaft.« Nun benützte er das Taschentuch, um sich die Stirn abzuwischen. »Ja, darüber bin ich mir im Klaren. Ich weiß, dass es heiß hergehen wird, wenn wir den Koffer nicht finden. Aber ich kann nicht mehr tun, als ich ohnedies schon getan habe. Ja, selbstverständlich, Joe. Wenn ich irgendetwas höre, rufe ich sofort zurück.« Erleichtert legte er auf.

»Ich nehme an«, sagte der junge Mann an der anderen Seite des Schreibtisches, »dass unser Joe der alte ist - froh und sonnig wie immer.«

»Ja - nur noch ein bisschen ausgeprägter«, erwiderte der dicke Mann, der soeben telefoniert hatte. »Er tobt und schimpft in sieben Sprachen. Vier davon konnte ich zum Glück nicht verstehen.«

»Fiat er eine Ahnung, warum Tom abgedreht ist?«

»Nein«, antwortete der dicke Mann finster. »Außer, dass ich dran schuld bin.«

»Das ist das zehnte Parkinson-Gesetz«, sagte der jüngere Mann. »Die Hauptaufgabe des Personals besteht darin, die Schuld auf sich abwälzen zu lassen.«

»Er erklärte, wenn wir nicht diesen Koffer ensiguida oder möglichst noch schneller zur Stelle schaffen, fliegen wir alle aufs Pflaster.«

»Er auch?«, fragte der andere hoffnungsfreudig.

»Das wäre wohl zu viel verlangt.«

Der Raum, in dem sie saßen, war kalt und ungemütlich und trug den undefinierbaren Stempel einer Militärbaracke. Mit Recht. Für gewöhnlich hauste hier ein Captain, ein dürres Männlein mit dem wohlverdienten Ruf, sich um unnötige Details zu kümmern.

»Falls ich mich nicht allzu sehr in fremde Angelegenheiten einmische«, sagte der jüngere Mann höflich, »möchtest du mir verraten, worum es sich handelt?«

»Mein lieber Mann, da weißt du genauso viel wie ich.«

»So unwissend könntest nicht einmal du sein!«, erwiderte der Jüngere lächelnd.         

»Ich will diese Beleidigung eines Vorgesetzten und ehemaligen Freundes stillschweigend übergehen und wiederholen, dass ich keinerlei Informationen besitze, die ich nicht an dich weitergeleitet hätte.«

»Das lässt sich bezweifeln«, bemerkte der andere trocken.

»Hör zu!«, sagte der ältere Mann gereizt. »Ich weiß nur folgendes: Gestern hat London von gewissen, mir unbekannten Personen eine Funkmeldung erhalten, Tom Pringle befinde sich in einem geklauten russischen Jagdbomber auf dem Weg zur Grenze.«

»Erstaunlich, was du fertigbringst, wenn du dir Mühe gibst«, murmelte der junge Mann.

»Und er habe ein Paket bei sich.«

»Braver Tom Pringle! Ein Paket. Wahrscheinlich handelt es sich um diesen ominösen Koffer. Weißt du, was er enthält oder wo Tom ihn herhatte?«

»Keine Ahnung«, antwortete der dicke Mann seelenruhig.

»Oder weißt du, warum er nicht dort gelandet ist, wo er landen sollte?«

»Nein. Darauf reitet Joe herum. Wir tun, was wir können. Wir haben sogar eine Luftsperre gelegt, für den Fall, dass er ungebetene Gäste mitgebracht hat.«

»Und das alles wegen eines Koffers?«, fragte der junge Mann ungläubig.

»Richtig.«

»Was ist nachher passiert?«

»Das wissen wir nicht genau. Irgendwo, aus unerfindlichen Gründen, hat er seinen Kurs verlassen. Und dann kam er plötzlich heute früh um 4.25 über Helmstedt gepfiffen, mit einer MIG 19 auf den Fersen. Etwa zwei Minuten später pfefferte ihm die MIG ein paar gesengte Bohnen in den rechten Motor, und seine treue Rosinante ging in Stücke. Von Tom keine Spur - vom Koffer keine Spur. Man hat nur seinen Fallschirm auf einem Feld gefunden. Daraus geht hervor, dass ihm der Absprung gelungen ist. Ferner hat man in einer Entfernung von etwa zwanzig Metern einen toten Deutschen gefunden.«

»Hat Tom ihn erschossen?«

»Nein. Er wurde durch MG-Feuer von oben her getötet. Der Russe muss ihn aus Versehen erschossen haben. In der Nähe gibt es einige kleine Wälder. Ich nehme an, dass Tom sich dort verkrochen hat.«

»Und seither ist er verschwunden?«

»Spurlos.«

»Jetzt handelt es sich also darum, Tom Pringle zu finden?«

»Und zwar schnell. Alle sind sie hinter ihm her. Wir, die Deutschen und die Russen.«

»Wer zuerst kommt, schnappt den Koffer, stimmt’s?«

»Ja. London gibt zehn Points für den Koffer - und denkt vielleicht auch zwischendurch mal an den braven Tom Pringle.«

»Was machen die Russen?«

»Abgesehen von wilden diplomatischen Protesten - heute früh um acht haben sie den Außenminister aus dem Bett, holen lassen

»Schlafmütze! Kein Wunder, dass das Land vor die Hunde geht.«

Der ältere Mann ignorierte die Unterbrechung und fuhr fort: »Darüber hinaus haben sie ihren hiesigen Apparat mobilisiert.«

»Wie lautet unsere offizielle Version?«, fragte der junge Mann.

»Ach, wir behaupten, dass es sich um einen russischen Deserteur handelt. In etwa einer Stunde werden wir die Nachricht durchgeben, dass er als politischer Flüchtling um Asyl gebeten hat. Damit die Gemüter sich beruhigen. Ich habe bereits Auftrag erteilt, seine Lebensgeschichte zu verfassen.«

»Macht einen Waisenknaben aus ihm! Ich finde, die Herren büßen an Sympathie ein, wenn sie eine Frau und zehn Kinder zurücklassen. Der Mann von

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Bryan Edgar Wallace/Apex-Verlag/Successor of Bryan Edgar Wallace.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Paul Baudisch und Christian Dörge (OT: Death Packs A Suitcase).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 22.10.2019
ISBN: 978-3-7487-1847-5

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