Cover

Leseprobe

 

 

 

 

J. B. O'SULLIVAN

 

 

Zweites Bett im Zimmer

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 32

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

ZWEITES BETT IM ZIMMER 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

Der Reporter Jimmy trifft in einem Ferienhotel in Irland den amerikanischen Privat-Detektiv Steve Silk. Für Jimmy... werden es anstrengende Ferien.

Erst schlägt ihn der Whisky k. o. … dann die grobknochige Faust von Sam Rhode, dem Filmschauspieler.

Und von Steve Silk bekommt er sogar eine Schrotflinte, um einen Mörder damit in Schach zu halten: ein gefährlicher Plan...!

 

Der Roman Zweites Bett im Zimmer des irischen Schriftstellers J. B. O'Sullivan  erschien erstmals im Jahr 1960; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr. 

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME. 

   ZWEITES BETT IM ZIMMER

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Es war der heißeste Sommer seit über hundert Jahren. Ich spreche nicht aus eigener Erfahrung, wohlgemerkt, sondern aufgrund prahlerischer Meldungen des Wetteramtes. An diesem bewussten Augustmontag, als die Hitze ihren Höhepunkt erreicht hatte, bekämpfte ich sie mit eisgekühltem Smithwick, Ich saß an einem Tisch unter einem bunten Schirm vor der Haçienda. Diese lag oberhalb des Lake Lacken - englische Version der irischen Bezeichnung Entensee - in den Wicklow Mountains an einer Stelle, wo ein sandiger Strandstreifen das von Kiefern eingesäumte Ufer unterbrach.

Die Ortsansässigen, die sich in diesem Sommer auf die Suche nach Sonnenschein ins Ausland begeben hatten, waren dumm. Heutzutage konnte man Capri, die Riviera und Valencia bedeutend billiger auf der eigenen Türschwelle haben, und Paul Tyrrell machte gute Geschäfte mit seinem Ferienhotel. Es war nicht eigentlich ein Hotel, auch kein Feriencamp, sondern beides zusammen. Früher einmal war es ein langgestrecktes, niedriges Farmhaus gewesen, aber die ursprünglichen Bewohner hätten es nun kaum wiedererkannt.

Tyrrell war ein großer, grobknochiger, aus der Gegend gebürtiger Mann, der zwanzig Jahre in Amerika verbracht hatte, schwerreich zurückgekommen war und sich aufs Hotelgewerbe geworfen hatte. Er ließ durchblicken, er habe in Texas sein Glück mit Öl gemacht - vielleicht war es auch Vieh gewesen -, aber die Einheimischen meinten augenzwinkernd, nach allem, was man von Paul wisse - er war als schwarzes Schaf der Familie im Jünglingsalter in die Staaten abgeschoben worden -, sei es eher wahrscheinlich, dass er eine Bank ausgeraubt habe - oder auch mehrere. Er war unterschiedlich als Texas oder Der Texaner bekannt, doch mit der Zeit wurde der Name einfach zu Tex verkürzt.

Das Feriencamp-Hotel verdankt seine Entstehung dem alten Victor Conway, der es diesen Sommer an Tyrrell veräußert hatte, nachdem er so viel daran verdient hatte, dass er für den Rest seines von einer arg strapazierten Leber bedrohten Lebens versorgt war.

Das Anwesen bestand aus dem ehemaligen, nun umgebauten und erweiterten Farmhaus, Nebengebäuden, die in einen Speisesaal, drei Bars und einen Tanzsaal umgewandelt worden waren, und aus Reihen von in sich abgeschlossenen Bungalows als Schlafstätten. Ein Schwimmbassin war nicht nötig, denn der Lake Lacken erfüllte den Zweck ebenso gut.

Ich hatte mit Tex ein Abkommen geschlossen. Er hatte sich bereit erklärt, mir für fünf Pfund die Woche - einen stark herabgesetzten Preis - Unterkunft zu gewähren, in einer Hütte am Rande des Anwesens, die ein Mittelding zwischen einem Bungalow und einem Hühnerstall darstellte. Für diese Vergünstigung sollte ich auch noch den Winter hier verbringen. Der Koch und die eine oder die andere Kellnerin würden zu vermindertem Lohn auch bleiben, um sich um eine Handvoll von Käuzen wie mich zu kümmern - ein paar Schriftsteller und Künstler, einen Bildhauer, einen pensionierten Testpiloten mit angeknacksten Nerven und etliche Subjekte, die aus irgendeinem Grunde das Bett des Sees vermessen wollten. Wir alle - Personal und zahlende Gäste - waren mit der Abmachung zufrieden.

Mit dem geringen Betrag, der mir von den fünfhundert Pfund, die ich im Fußballtoto gewonnen hatte, übriggeblieben war, hoffte ich ein Jahr lang auszukommen und bis dahin mein Buch über Roger Casement fertiggestellt zu haben. Mit dem restlichen Geld hatte ich Schulden beglichen, einige Nichtigkeiten erstanden und meiner Schwester und deren Familie eine Zuwendung dafür gemacht, dass sie mich so viele Jahre ertragen hatte. Der Gewinn war zur richtigen Zeit gekommen. Ich und der Chefreporter der Zeitung, für die ich arbeitete, hatten eine Meinungsverschiedenheit gehabt, und zwar wegen des Eifers, mit dem ich mich Reportagen widmete, die mir nicht zugeteilt worden waren und über denen ich die gesellschaftlichen Veranstaltungen und politischen Kundgebungen vernachlässigte, die mir sehr wohl zugeteilt worden waren. Er hielt alle Trumpfkarten, und wir kamen überein, dass ich das Spiel irgendwo anders fortsetzen würde.

Aber anstatt mir eine neue Stellung zu suchen, ließ ich mich auf ein Projekt ein, das mich seit Jahren gereizt, zu dem mir aber immer die Zeit gefehlt hatte. Doch jetzt, da ich zu den reichen Müßiggängern gehörte - wenigstens vorübergehend -, sah die Sache anders aus.

Ich nahm einen Schluck von meinem vorderhand letzten Smithwick. Ich schloß die Augen halb und stellte mir vor, die Kiefern seien Palmen und die Umgebung ein tropisches Atoll im Pazifik. Wirklich, es war mir noch nie so gut gegangen. So war es viel besser, als in der Gluthitze herumzurennen und Berichte über Ereignisse zu schreiben, die von geringer Bedeutung und von keinerlei Privatinteresse waren. Ich dachte-kurz und voll Mitgefühl an meine Ex-Kollegen und bewegte genießerisch meine unbestrumpften Zehen in den Sandalen.

In dem Moment erschien am Horizont eine Staubwolke - nicht größer als eine Männerhand - und kam rasch die Seestraße herunter. Sie zog an der Wiese vorbei und wurde langsamer, als sie in die Zufahrt einbog, die zum Hotel führte. Von da begab sie sich an die Seite des Gebäudes, und ich hörte sie vor dem Empfangsbüro kreischend anhalten. Im Kern der Wolke hatte ich einen jener langen amerikanischen Wagen ausgemacht, die wie eine Kreuzung zwischen einer Weltraumrakete und einem Flugzeugträger wirken. Schon wieder war einer der verflixten Yankees angekommen.

 

Es war mir aufgefallen, dass sich die Haçienda bei Amerikanern großer Beliebtheit erfreute. Obwohl sie doch private, gleich an den Schlafraum stoßende Badezimmer bevorzugen, für die es in den Bungalows keinen Platz gibt, schienen sie mit den vorhandenen Duschecken zufrieden zu sein. Meine eigene Hütte konnte nicht einmal damit aufwarten, aber ich hatte das nie als einen großen Mangel empfunden.

Die Leute an den Tischen auf dem Rasen begannen aufzubrechen, um sich fürs Abendessen fertigzumachen - und höchstwahrscheinlich auch unter anderem zu duschen. Bald war ich allein geblieben und überlegte mir, ob es ratsam sei, sich noch einen Smithwick als Wegzehrung zu genehmigen, als eine Stimme mich erschreckte.

»Wusste ich doch, dass ich dich mit einem Glas in der Hand antreffen würde, alter Trunkenbold!«

Die Bemerkung schien an mich gerichtet zu sein. Ich drehte den Kopf um und verlor fast das Gleichgewicht. Falls das ein Geist war, dann war er ziemlich solide gebaut und trug Schuhe Größe 12, die eilig über das Gras marschierten.

Ich fühle mich immer unbehaglich, wenn ich mich Steve Silk gegenübersehe, Steve Silk, dem ehemaligen Berufsboxer der Schwergewichtsklasse und gegenwärtigem Privatdetektiv, der noch anderes ähnlich Zweifelhafte treibt. Nicht zum ersten Mal war mir, als sähe ich die Inkarnation meiner eigenen überhitzten Phantasie. Ich war ihm während meines vierjährigen Aufenthalts in Amerika begegnet und hatte' ihn allmählich gut kennengelernt. Ich hatte seine Abenteuer in Form von Zeitungsartikeln und Büchern publiziert, die seinen Namen von Küste zu Küste bekannt machten. Es war ein sonderbares Gefühl, einen namenlosen Burschen größten Ruhm einheimsen und immer mehr Anerkennung und Popularität erlangen zu sehen, nur wegen der Worte, die ein Journalist auf einer wackligen Schreibmaschine herunterhämmerte.

Er setzte sich an den Tisch und betrachtete mich mit seinem freudlosen Lächeln. In dem eleganten grauen Anzug und dem weißen Popeline-Hemd mit der kirschroten Krawatte sah er vornehm aus und roch nach Erfolg. Doch irgendetwas an ihm war anders als sonst. Vor allem war seine Sonnenbräune um einen oder zwei Töne heller geworden, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, und er hatte abgenommen. Deshalb war er noch lange nicht mager. Er mochte seine dreizehn Pfund verloren haben, aber er wog noch gut und gern neunzig Kilo. Eines jedoch hatte sich nicht geändert. Er war genauso hässlich wie eh und je, mit seiner schiefen, gebrochenen Nase und den schartigen Brauen. Das beruhigte mich einigermaßen. Wir brauchten keinen weiteren hübschen Bewerber um Rose Brentwoods Gunst. Doch dann erinnerte ich mich voll Unbehagen, dass seine Hässlichkeit - männlich-raues Aussehen, wie er selbst es bescheiden nannte - ihm bei Frauen noch nie im Weg gewesen war.

»Willkommen«, sagte ich kühl. »Welchem Umstand verdankt das liebe, geplagte Irland diesmal die Ehre?«

Er zog die Brauen hoch.

»Sind das die hunderttausend Willkommensgrüße, von denen man so viel hört? Allzu erbaut klingen sie nicht, will mir scheinen. Ich habe mich gleich nach der Landung in die Wohnung deiner Schwester begeben, weil ich es kaum erwarten konnte, dich ans Herz zu drücken, hörte jedoch, du seist in die Wicklow Hills verzogen. Also habe ich mich nach einer Woche geselligen Lebens unverzüglich zu dir auf gemacht.«

»Ich bin froh, dass du in Dublin eine Verschnaufpause eingelegt hast. Aber du hast dich ganz umsonst hierherbemüht. Ich habe nur Fünfhundert gewonnen. Die Hälfte ist schon ausgegeben, und der Rest streng eingeteilt.«

»Beruhige dich, mein Bester, Ich bin versorgt. Ich hatte an Bord, auf der Überfahrt, eine lange Glückssträhne, und ich habe ganz schön einkassiert. Wenn, du etwas benötigst, brauchst du es nur zu sagen.«

Das war auch wieder einer seiner aufreizenden Züge, dieses Talent, einen ins Unrecht zu setzen, die andere Wange hinzuhalten, so dass man sich ganz erbärmlich vorkam. Es war unverzeihlich. Ich wechselte das Thema.

»Was führt dich wirklich her?«

Er schaute weg, zur Mitte des Sees hinüber, wo ein Vergnügungsboot auf den Landungssteg zuhielt.

»Ich bin unterwegs, um meine Gesundheit etwas wiederherzustellen.«

Seine Stimme hatte ernst geklungen, und die Witzelei erstarb mir auf den Lippen,

»Was fehlt dir?«

Er lachte, aber nicht sehr überzeugend. »Nicht allzu viel. Ein paar altersschwache Ärzte sind der Meinung, ich sollte eine Weile ausspannen. Sie fanden, die Schweiz sei der rechte Ort dazu. Anscheinend glauben sie, ein Mann mit nur einer Lunge dürfe sich nicht einbilden, ein genauso aktives Leben führen zu können wie einer mit zweien. Kann sein, ich habe in letzter Zeit etwas übertrieben. Jedenfalls habe ich, um ihnen eine Freude zu bereiten, versprochen, Urlaub zu machen.«

Damit waren wohl sein Gewichtsverlust und die leichte Blässe zu erklären. Und er hatte tatsächlich nur eine Lunge. Eine Woche vor dem angesetzten Kampf um die Boxweltmeisterschaft hatte er einen Autounfall erlitten - so wurde es jedenfalls registriert, aber eine Menge gescheiter Leute hatten ihre Zweifel angemeldet. Ein Nerv war durchtrennt worden, und Silks rechte Lunge funktionierte seither nicht mehr.

»Ich möchte mich hier nur einige Tage aufhalten«, sagte er. »Das heißt, wenn du mich unterbringen kannst.«

»Wenn ich dich unterbringen kann?«

»Klar. Am Empfang hat man mir gesagt, man sei voll bis unters Dach. Ich habe dem Mädchen erklärt, ich sei ein Freund von dir, und sie meinte, wenn du einverstanden seist, könne sie mir ein Feldbett in deinem Bungalow aufstellen lassen.«

Ich starrte ihn mit gemischten Gefühlen an. Einesteils wäre ich gar nicht abgeneigt gewesen, mich mit ihm ausgiebig über die alten Zeiten zu unterhalten, andererseits wollte ich nicht meine luxuriöse Behaglichkeit aufgeben, und meine Unterkunft war so schon eng.

»Selbstverständlich zahle ich meinen Anteil. Und wenn es dir recht ist, möchte ich auch noch deine Rechnung für den 'Winteraufenthalt übernehmen.«

Ich wand mich.

»Das ist es nicht, Steve. Ich komme mit meinem Geld schon aus. Aber ich - also, diese dämlichen Dinger bieten nicht viel Platz und...«

»Ich werde mich nicht beklagen.« Wieder so eine unerträgliche Angewohnheit von ihm, nämlich andere misszuverstehen, wenn es ihm passte. »Übrigens muss ich dir noch sagen, dass ich im Augenblick inkognito reise. Unter dem Namen Steve Grant.«

»Warum?«

Er grinste. »Du weißt doch, wie lästig einem Fans werden können, wenn man allein sein möchte.«

»Du hast die Sonnenbrille vergessen.«

Er stand auf und klopfte mir auf die Schulter.

»Komm, altes Haus. Ich spendiere dir einen echten Appetitanreger, bevor wir essen.«

Eigentlich brauchte ich ja keinen mehr, aber ich folgte ihm, wenn auch widerwillig, zum Farmhaus und in die Bunkhouse-Bar.

Steve wandte sich an mich.

»Wie wär’s mit einem Martini dry?«

Ich nickte etwas weniger begeistert als sonst. Der Alkohol reichte mir ohnehin schon bis an die Mandeln, und die Aussicht auf die Störung meines Privatlebens, und sei es auch nur für ein paar Tage, bedrückte mich noch immer. Ich nahm also den Martini von ihm an, probierte und begann zu glühen.

Bevor ich den zweiten ausgetrunken hatte, entsann ich mich des Rufes unserer Gastfreundschaft, mein Arm lag um Steves Schulter, und ich bestürmte ihn, eine Woche lang zu bleiben, obwohl ich trotz der Alkoholdämpfe in meinem Oberstübchen wusste, dass ich es kaum aushalten würde.

Wir ließen das Feldbett in mein Hühnerhaus schaffen, und ich blickte mich um, bemüht, ein Gefühl hochgradiger Niedergeschlagenheit zu bekämpfen. Nicht ein einziges Huhn hätte mehr Platz gefunden.

Wir hatten einen Tisch für uns allein beim zweiten Abendessen, das meine Alkoholladung aufsaugte wie Löschpapier. Und meine Trübsal begann sich wieder einzustellen.

Ich fragte: »Wann fährst du in die Schweiz?«

»Ach, ich weiß nicht. Ich reise in gemächlichen Etappen.«

Da fiel mir auf, dass er an mir vorbeischaute. Seine Augen wirkten wie zwei Radarschirme, die ein ominöses Geräusch aufgefangen hatten.

»Sag mal, wer ist die Puppe?«

Ich brauchte mich im Grunde gar nicht umzudrehen. Es konnte sich ja nur um Rose Brentwood handeln. Ich wandte den Kopf und erkundigte mich überflüssigerweise: »Welche denn?«

»Die dunkelhaarige mit dem aufgemalten gelben Kleid natürlich«, gab er ungeduldig zurück.

»Ach, die?«, meinte ich gleichgültig. »Rose Sowieso. Ich glaube, sie ist Kleindarstellerin beim Film.«

Er hatte ihr Kleid auf diese schlichte Art gut beschrieben. Es war schimmernd gelb und sah wirklich so aus, als sei es aufgemalt, und vielleicht war es das sogar - von einem Goldschmied, der seinen Beruf liebte. Roses Arme und Schultern waren unbekleidet und sonnengebräunt. Sie befand sich an einem nicht sehr weit entfernten Tisch mit drei Männern, die ihr fasziniert zuhörten. Auch Männer an anderen Tischen schienen das zu tun. Zumindest starrten sie sie alle an und schoben sich das Essen fast in die Ohren, statt in die albern aufgesperrten Münder.

In dem Moment kreuzten sich unsere Blicke. Sie lächelte, hob die Hand und winkte mir mit den Fingern zu. Mir blieb beinahe das Herz stehen.

»Ach, sie kennt dich?«, sagte Steve. »Das ist gut. Du kannst mich vorsteilen. Ihr Lächeln gefällt mir.«

»Nicht jetzt gleich«, wehrte ich entsetzt ab. Meine schlotternden Beine hätten mich auch gar nicht so weit getragen.

»Natürlich nicht. Erst müssen wir diese Parasiten verscheuchen.«

Meine Eiscreme schmeckte plötzlich schal. Ich verschüttete den Kaffee und bot Steve eine Zigarette an, ganz vergessend, dass er ja nicht rauchte. Er lächelte mich grübelnd an, und meine Finger zitterten, als ich mir selber eine anzünden wollte. In der Hölle sollte er schmoren! Er war in Eroberungslaune und würde kaum zu bremsen sein. Er war entschieden überflüssig hier, und ich hatte diese Viper auch noch bei mir aufgenommen. Auf solche Weise schafft man sich selber sein Unglück.

»Sie gehen«, sagte Steve. »Wir müssen sie einholen, bevor sie das Mädchen entführen.«

Ich ließ ihn zuerst zur Tür gehen und hoffte, sie würde entschlüpfen. Dann hätte er auf dem Trockenen gesessen, denn er war ja auf mich angewiesen. Aber es kam anders. Sonderbarerweise rutschte ihr die Abendtasche aus Goldlamé aus der Hand, und sonderbarerweise blieb Rose hinter ihren drei Begleitern zurück, die sich fast überschlugen, um ihr die Tür zu öffnen. Und sonderbarerweise war es allein Steve, der die Tasche auf dem Boden liegen sah und sie aufhob, um sie ihr zurückzugeben. Ich gab es angewidert und geschlagen auf, und als ich bei ihnen ankam, waren sie schon gute Bekannte. Roses Begleiter hielten sich im Hintergrund, begafften die Szene und wussten nicht, was sie tun sollten.

»Wie ich sehe, kennt ihr euch bereits«, bemerkte ich.

Steve schenkte mir ein nettes Lächeln. »Ich habe ihr gesagt, dass ich Steve Grant heiße. Nun ist nur noch eine formelle Vorstellung fällig.« Er gab sich also als Grant aus. Doch falls er meinte, Rose zählte zu seiner Verehrer-Schar, dann schmeichelte er sich.

Es gab keinen Ausweg. Ich machte sie miteinander bekannt, fügte jedoch boshaft hinzu: »Steve konnte es kaum erwarten, Sie kennenzulernen, Rose. Er war vom ersten Augenblick an von Ihnen fasziniert.« Indem ich es so darzustellen versuchte, als handelte es sich um eine Jungenschwärmerei, hoffte ich, sie würde, echt Frau, das Interesse verlieren. Ich wandte mich finster an ihn: »War das dein Schuh, an dem ich mir das Schienbein angeschlagen habe, Steve?«

»Wenn du Faust für Schuh einsetzt und Schienbein für Kinn, kannst du das als Prophezeiung werten.«

Rose fand das anscheinend komisch und zeigte all ihre Grübchen.

»Da haben Sie’s, Jimmy«, sagte sie zu mir, aber ihre großen dunklen Augen verweilten dabei auf Steves hässlicher Visage. »Wir wollten zum Tanzen gehen. Tanzen Sie, Mr. Grant?«

«Nicht sehr gut, aber ich bin ein gelehriger Schüler.«

Wieder die Grübchen. »Ich könnte es ja einmal mit Ihnen versuchen. Ach, hier sind ein paar Freunde, mit denen ich Sie bekannt machen möchte, Mr. Grant.« Das Trio an der Tür sah nicht so aus, als beruhte dies auf Gegenseitigkeit.

Ich verlor ebenfalls das Interesse. Als wir alle durch die Tür gingen, sagte ich zu Steve: »Ich habe zu arbeiten. Weck mich nicht auf, wenn du hereinkommst. Und bedenke, dass du ein kranker Mann bist.«

Vor der Tür zum Speisesaal gibt es eine Halle, wo man nach den Mahlzeiten herumsitzen und Atem schöpfen kann, bevor man sich zu neuen Lustbarkeiten aufmacht. Als ich den anderen folgte, bemerkte ich zufällig in einem der Lehnsessel einen zeitunglesenden Mann. Die Zeitung senkte sich langsam, und ich sah seinen Blick zu der Gruppe schweifen, deren Hauptanziehungspunkt Rose bildete. Seine Augen weiteten sich. Dann hob sich die Zeitung wieder und verbarg sein Gesicht.

Dieser Zwischenfall belustigte und ärgerte mich gleichzeitig. Ich erkannte in dem Mann Ed Pearson, einen Amerikaner, der vor einigen Tagen angekommen war. Inzwischen hatte auch er Rose verlangend angeschaut und ihre Bekanntschaft gemacht. Warum zuckte er also bei ihrem Anblick jetzt überrascht zusammen? Und warum verkroch er sich wieder hinter der Zeitung, wenn sie vorbeikam?

Ich hatte keine Lust, dieses kleine Geheimnis zu enträtseln, und folgte Rose und ihren Begleitern hinaus. Der Abend war noch immer warm und schön, und als ich die anderen die Richtung zum Tanzsaal einschlagen sah, bedauerte ich, ihn in einem geschlossenen Raum verbringen zu sollen. Ein Spaziergang in den Hügeln oder eine Ruderpartie auf dem See war weit verlockender. Während ich mich für eins davon zu entscheiden versuchte, zog es mich aus irgendeinem Grunde zur Bunkhouse-Bar.

Gedankenverloren trat ich ein, und es dauerte nicht lange, da hatte ich einen Martini in der Hand. Ich starrte das Glas an, als wäre es dort gewachsen. Dann zuckte ich die Achseln und nahm einen Schluck. Für meine gegenwärtige Stimmung war mir das Getränk zu mild. Ich leerte das Glas und bestellte einen Waldschrat-Cocktail. Ich wusste, dass ich die ganze Nacht in der Bar sitzen und mich sinnlos betrinken würde. Und ich würde immer rachsüchtiger werden und in den frühen Morgenstunden Steve ein Messer zwischen die Schulterblätter stoßen und es mit Vergnügen vibrieren sehen.

»Trinken Sie noch einen auf meine Rechnung.«

Ich schwang auf dem Hocker, herum und stellte fest, dass sich mir der Amerikaner, Ed Pearson, zugesellt hatte.

Klar. Warum nicht? Vielleicht kam ich der Sache mit der Zeitung auf den Grund - als ob es mir nicht gleichgültig gewesen wäre.

»Was ist das überhaupt?«

»Was? Ein Waldschrat? Ach, man tut ein paar Eiswürfel hinein und Tonic und Zitronenscheiben...«

»Sonst nichts?«

»Doch, oh, ja, einen tüchtigen Schuss Jameson-Whisky. Der neutralisiert alles andere.«

Er grinste. »Sie nehmen mich wohl auf den Arm, was? Ich möchte auch einmal einen probieren.« Er bestellte zwei. Offensichtlich schmeckte es ihm. »Mhm. Gepflegt, Mann, gepflegt.«

Er war selbst ein gepflegter Mann. Groß, schlank, schwarzhaarig, kostspielig gekleidet - leichter grauer Anzug, cremefarbenes Hemd und grüne Krawatte. In der Krawatte steckte eine goldene Nadel in Hufeisenform, und ein dicker goldener Ring, wie ein Schlagring, zierte den Mittelfinger seiner rechten Hand. Er sah auch recht gut aus mit seinem schmalen Gesicht, aber der Mund war ein bisschen zu klein, und die Augen ziemlich blass und hart, wenn er nicht lächelte. Lächelte er doch, dann verengten sie sich zu Schlitzen, und man wusste nicht, ob sie sich erwärmt hatten oder nicht.

Wir plauderten über dieses und jenes, und ich bestellte noch ein Paar Waldschrate.

Schließlich sagte er: »Wie ich sehe, hat sich die Brentwood einen neuen Kavalier geangelt.«

»Ja.«

»Ich habe Sie mit ihm sprechen sehen. Kennen Sie ihn?«

»Ja. Er heißt Steve...« Im letzten Moment fiel mir das alberne Inkognito ein, ich zuckte die Achseln und spielte mit. »Steve Grant.«

»Grant? Den Namen kenne ich nicht, aber das Gesicht kommt mir bekannt vor.«

»Ich glaube, er war früher Boxer oder Polospieler oder so etwas.

Aber das muss schon lange her sein.« Falls Steve wirklich daran gelegen war, sich seine Verehrer vom Leib zu halten, war ich bereit, ihm dabei zu helfen.

Er fischte eine Zitronenscheibe aus seinem Glas und knabberte nachdenklich an ihr. »Ach so. Wahrscheinlich kenne ich sein Bild aus den Sportzeitungen. Ungemütlich aussehender Knabe. Aber jetzt boxt er nicht mehr, wie? Was macht er?«

»Ich glaube, er spielt Poker.«

Pearson lachte, und seine Augen verbargen sich hinter den Schlitzen. »Das kann er zu Hause auch haben. Was sucht er hier?«

»Angeblich macht er Ferien.« Plötzlich war mir aufgegangen, dass Pearsons Überraschung nicht Rose gegolten hatte, sondern dem neuen Mann in der Gruppe. Warum hatte ihn Steves Anblick überrascht, und warum hatte er daraufhin das Gesicht versteckt - wenn es das war, was er getan hatte? Weitere ärgerliche kleine Geheimnisse, doch diesmal viel interessanter.

»Spielen Sie auch Poker, Mr. Pearson? Vielleicht könnten wir ein Spielchen organisieren.«

»Tja, ich bin nicht sehr geübt darin, und womöglich verliere ich bei solchen Partnern noch mein letztes Hemd.«

»Was treiben denn Sie, Mr. Pearson?«

Ich spürte einen gelinden Schauder, als sein Blick auf meine Augen traf. Sofort fühlte ich mich an einen jener Western-Filme erinnert, wo irgendein Schwachkopf diese Frage einem Fremden stellt. Der Fremde blitzt ihn immer mit einem Blick an und sagt: »Dort, von wo ich herkomme, fragt man einen Mann so etwas nicht.« Dann spuckt er verächtlich in den Staub.

Doch Pearson enthielt sich des Ausspuckens. »Ich bin Handlungsreisender«, erklärte er. »Galanteriewaren. Ich will mich hier nach Absatzmöglichkeiten umschauen, aber gleichzeitig ist es auch ein Urlaub.« Er zündete sich eine Lucky-Strike an.

»Wo sind Sie diesem Grant begegnet?«

»In den Staaten, als ich vor einigen Jahren dort war. Auf irgendeiner Gesellschaft. Wir trafen uns ein paarmal, und wenn er hier war, kam er mich besuchen.«

»Und was arbeiten Sie?«

»Ich schreibe. Eigentlich sollte ich es jetzt auch tun, aber ich bin nicht in der Stimmung.«

»Lassen Sie sich von mir nicht stören.« Er trank seinen zweiten Waldschrat aus und glitt vom Hocker. »Wiedersehen.«

Ich blieb nachdenklich zurück. Er hatte mir einen Drink spendiert und neugierig nach Steve Silk gefragt. Doch als er auf taubes Gestein gestoßen war, hatte er sich eine Zigarette angezündet, ohne mir eine anzubieten. Es war sonnenklar. Er hatte gemerkt, dass aus mir nichts herauszuholen war und hatte mich fallenlassen wie eine leere Streichholzschachtel.

Ich blinzelte, um mich besser konzentrieren zu können, aber meine Gedanken bewegten sich nicht in gerader Linie fort. Ich hatte zu viele Waldschrate konsumiert. Daran fand ich zwar nichts auszusetzen, aber nun stand mir der Sinn nach etwas Sanfterem, was den scharfen Geschmack von Ed Pearsons Anwesenheit neutralisierte. Ich fragte einen der Barmixer, was er mir in dieser Richtung empfehlen würde. Er schlug einen Sidecar vor, und ich - der ewig Unverbesserliche - bestellte einen. Ich entdeckte eine leere Nische mit bequemen Sitzen rundum und wankte auf sie zu. Ich setzte mich und entschied, ich sei nicht in der Verfassung, eine Kahnpartie in den Hügeln oder einen Spaziergang auf dem See zu unternehmen.

Ich muss eingeschlummert sein. Eine halbe Stunde war verstrichen, als ich erschrocken hochfuhr. Mein nicht ausgetrunkener Sidecar stand vor mir auf dem Tisch.

Ich schaute mich schuldbewusst um, aber da mich niemand anstarrte, hatte ich wohl nicht geschnarcht. Ich erblickte den wuchtigen Tex Tyrrell, der seinen Gästen eine Höflichkeitsvisite abstattete. Er wanderte von Tisch zu Tisch und erkundigte sich anscheinend, ob alle sich gut unterhielten. Es musste wohl so sein, denn sie lachten und nickten, und er trat zur nächsten Gruppe.

Schließlich kam er auch zu mir. Er bemerkte mit übertriebener Verwunderung, dass ich allein in einer Nische war, und setzte sich neben mich.

Ich erläuterte, dass ich mich zum Nachdenken hierher begeben hätte. »Ein Schriftsteller muss ja manchmal nachdenken. Aber wenn man es recht bedenkt - wer würde das schon manchmal denken?« Ich unterzog den letzten Satz einer Prüfung und gelangte zu dem Schluss, dass da einige Verwirrung herrschte, und versuchte, die Fäden zu entwirren.

Er nickte freundlich. Er war ein großer, gutmütig aussehender Mann mit einer prächtigen weißen Haarmähne, die es einem erschwerte, sein Alter abzuschätzen. Es mochte außer den Jahren noch viele Gründe geben, die das gebleichte Aussehen des Haares bewirkt hatten - oder aber er war schon damit auf die Welt gekommen. Es kontrastierte auffallend mit dem Seemannsblau seiner Augen und dem Mahagonirot seiner Gesichtshaut. Er hatte mehrere Goldkronen an den Vorderzähnen - seit jeher das Abzeichen des Landeskindes, das aus einem gewinnbringenden Exil in den Staaten heimkehrt. Beim Sprechen schwang in seiner Stimme jenes transatlantische Näseln mit, das den letzten Beweis lieferte.

Er sagte gerade: »Nett von Ihnen, dass Sie Ihren Freund bei sich aufgenommen haben. Ich hatte noch keine Gelegenheit, Sie zu fragen, ob es Sie sehr beeinträchtigt. Tut es das?«

Wenn man schon nicht gewinnen kann, soll man wenigstens so tun, als sei man ein guter Verlierer. »Nein, nicht im geringsten.«

»Ich weiß, so etwas kann einem unangenehm werden. Man möchte nicht gern ablehnen.«

Ich hielt es für angebracht, zu protestieren. »Für jeden würde ich es auch nicht tun. Wenn ich ihm nicht zugetan wäre, könnte er zum Teufel gehen.«

»Ach, dann ist er wohl ein ziemlich guter Freund von Ihnen? Übrigens, sein Name kommt mir bekannt vor.«

Grant? Steve Grants Name kam ihm bekannt vor? Vielleicht hatte Steve unwissentlich die Identität eines Mannes angenommen, der von sich aus berühmt war?

»Wenn Sie in den Staaten gelebt haben, wäre das durchaus möglich«, entgegnete ich.

»Ja, ich habe dort gelebt. Sollte es dort gewesen sein? Was hat er drüben gemacht?«

Ich muss mich irgendwie hinauswinden. »Er war Berufsboxer. Hätte es fast bis zum Weltmeister im Schwergewicht gebracht, wenn man seinen Reden glauben darf.«

Er rieb sich nachdenklich das Kinn. »Nein, im Boxsport kenne ich mich nicht aus. Es muss in einem anderen Zusammenhang gewesen sein. Boxt er noch immer?«

»Nicht, wenn er gescheit ist - in seinem Alter.«

Die blauen Augen musterten mich geduldig. »Also, was dann?«

Ich setzte mein dümmliches Gesicht auf. »Was dann?«

»Ich meine, was treibt er jetzt?«  

Schon wieder einer, der meine Bücher nicht gelesen hatte! Es hatte keinen Anlass gegeben, die Wahrheit zu verschweigen, als Ed Pearson mir die gleiche Frage gestellt hatte, aber eine gewisse Verstocktheit hatte mich daran gehindert. Es gab auch keinen Anlass, Tex die Wahrheit vorzuenthalten, doch wenn zwei Personen hintereinander mit den gleichen unschuldigen aber forschenden Fragen herausrücken, überfällt mich der Drang, mich taub zu stellen. Ich hatte das Gefühl, ich müsste mich erst mit Steve besprechen und seine und meine Geschichten aufeinander abstimmen, bevor mich wieder jemand das gleiche nach ihm fragte.

Ich sagte: »Ach, ich glaube, er verdient seinen Lebensunterhalt recht gut beim Pokern, aber im Augenblick macht er, seinen Angaben zufolge, ausgedehnt Urlaub.«

Tex ließ sich keinerlei Gemütsbewegung anmerken, stand jedoch ziemlich unvermittelt auf und legte mir die große Hand auf die Schulter. »Darf ich Sie zu einem Drink einladen?«

Ich hatte den auf dem Tisch stehenden noch nicht ausgetrunken und fühlte mich sowieso noch ein bisschen benebelt.

»Vielen Dank, aber ein andermal.«

Er zuckte die Achseln und entfernte sich. Er verließ die Bar, ohne sonst noch jemanden zu fragen, ob er sich gut unterhielt.

Es war lange her, dass ich so viel getrunken hatte, und ich schimpfte mich aus. Das war keine Art, mich auf einen Morgen harter Schreibarbeit vorzubereiten. Lassen Sie sich von niemandem einreden, Schriftsteller seien schwache, schmächtige Kerlchen, die entweder ein ausschweifendes Alkoholiker-Dasein führen oder im Traumland des Opiumrauches leben. Man muss stahlhart und topfit sein, um in den Mühlen des Literaturbetriebs zu bestehen.

Ich beschloss, den Schaden wieder gutzumachen, indem ich frühzeitig zu Bett ging und mich ausschlief. Auf Gummibeinen verließ ich die Bar und ging eine der hell erleuchteten Straßen zwischen zwei Reihen Luxusbungalows entlang zu dem jämmerlichen Winkel, wo wir Hühnerfarmer hausten. Hier leuchteten nur kümmerliche 40-Watt-Birnen, und man riskierte sein Leben zwischen den Fußangeln und Löchern dieses Niemandslandes. Das Risiko steigerte sich in direktem Verhältnis zum Alkohol, den man sich einverleibt hatte.

Diesmal überlebte ich das Abenteuer, weil die Sonne noch nicht ganz untergegangen war und ich nicht blindfliegen musste. Aber in meiner Hütte war es dunkler als draußen, und meine Laune besserte sich keinesfalls, als ich mit dem Schienbein gegen das vergessene Feldbett stieß, bevor ich den Lichtschalter erreichte.

Ich sprach mein Nachtgebet in aufrührerischer Stimmung, nicht ohne für Steve Silks alsbaldige Abberufung in die Staaten ein Wort eingelegt zu haben. Ich stieg ins Bett und blätterte eins der Hefte durch, die. ich mit Notizen für mein Buch über Casement angefüllt hatte. Monate hatte es gedauert, bis ich das Material zusammengetragen hatte – aus Büchern und Dokumenten der Nationalbibliothek und der Antiquariatsbuchhändler, aus Briefen und Zeitungsartikeln. Damals war mir das alles sehr mühselig erschienen, doch nun, da ich mich der eigentlichen Arbeit des Schreibens gegenübersah, merkte ich, dass mir das Schwerste noch bevorstand. Der springende Punkt war der: Wo sollte ich beginnen? Und in welcher Hinsicht würde ich zu einem neuen Verständnis für Casement beitragen? War nicht schon alles geschrieben worden?

Ich hatte das erste Kapitel in mein funkelnagelneues Tonbandgerät diktiert, doch als ich es abhörte, war ich nicht beeindruckt gewesen, weder vom Klang meiner Stimme noch vom halb vergessenen Pathos des Stils, in dem ich es, wie ich glaubte, diktiert hatte. Irgendwo in der Höllenmaschine hatte es sich verflüchtigt, und was zurückblieb, war abgedroschenes Stroh.

Indes, das war lediglich der kleine Tod, den wir Literaten täglich erleiden und überleben. Ich legte das Heft weg und knipste das Licht aus. Morgen würde ich das zweite Kapitel beginnen, und dabei sollte mir ein größerer Höhenflug vergönnt sein.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Ich erwachte mit einem Kopf, in dem lauter kleine Männlein mit heißen Hämmern meine Schädeldecke bearbeiteten. Außerdem schien mein Mund voll von verbrannten Mäusebussard-Federn zu sein. Der Anblick des auf seinem Feldbett friedlich schlafenden Eindringlings trug auch nicht zur Hebung meines Allgemeinbefindens bei.

Ich torkelte aus dem Bett und schwappte mir kaltes Wasser über Gesicht und Nacken. Ich sagte mir, dass das Korn und die Traube - ganz zu schweigen von der Wacholderbeere - sich nicht miteinander vertrugen, gurgelte und trank ein Glas Wasser, aber es nützte nichts. Das Geräusch des fließenden Wassers musste meinen Schlafgenossen geweckt haben. Er gähnte und wünschte mir einen guten Morgen mit einer Heiterkeit, die mich nicht für ihn einnahm.

Wahrscheinlich hatte er gesehen, wie ich zwei Aspirin-Tabletten schluckte und vor meinem zerknitterten Spiegelbild erschauderte, denn er fragte, ob ich Kopfschmerzen hätte.

»Nein, die Hühneraugen tun mir weh.«

»Na schön, dann behalte ich eben mein Mitleid für mich. Du siehst verkatert aus, und ich wollte dir einen Katzenjammerschluck anbieten.«

Hoffnung durchzuckte mich. Das mochte das einzige Mittel sein, das mir das Leben rettete. »Hast du denn einen Schluck bei dir?«

»Klar. Zwei Flaschen voll.« Er griff unters Bett und warf mir eine Flasche zu. »Bediene dich.«

Das Etikett war mir unbekannt. Es trug die Aufschrift Bergtau und das Bild eines blauen Berges, dessen Gipfel eine Wolke umschwebte. Ich entkorkte die Flasche und goss ein wenig vom Inhalt ins Wasserglas. Ich nahm einen ordentlichen Zug, und dann verschluckte ich mich und spuckte das Zeug von mir, in feurigem, goldenem Strahl, der die gegenüberliegende Wand traf und eine Fliege hinwegschwemmte, die so unklug gewesen war, dort zu übernachten. Sie verendete augenblicklich, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

»Du meine Güte«, sagte ich, als ich zu Atem gekommen war. »Was für eine Sorte von Flugzeugtreibstoff ist denn das?«

Er schaute beleidigt drein. »Du hast eben keinen Gaumen für guten Schnaps. Zugegeben, er ist ein bisschen stärker als andere Marken, die ich kenne, aber er geht ins Blut, oder nicht?«

»Wenn hier jemand ein Streichholz anreißt, fliegt die ganze Bude in die Luft. Das ist der ordinärste Selbstgebrannte, den ich je gekostet habe.«

»Selbstgebrannt? Mach dich nicht lächerlich. Selbstgebrannter ist doch farblos, nicht? Dieser hier ist bernsteingelb und hat mich dreißig Shilling die Flasche gekostet.«

»Da hat man dich schön beklaut. Woher hast du ihn?«

»Aus der kleinen Gastwirtschaft im Dorf, von Rafferty. Rose und ich gingen vom Tanzen dorthin. Ich bekam diese Flasche nur# aus großer Gefälligkeit.«

Er grinste, nahm mir das Glas ab, nippte daran und war so anständig, das Gesicht zu verziehen. »Tatsächlich, stärker als ich dachte. Ich hatte nämlich schon ziemlich einen sitzen, als wir dorthin gingen. Ich verlangte Jameson, bekam aber zur Antwort, er sei ausgegangen. Der Mann schlug mir vor, eine neue Marke zu probieren - diesen Bergtau. Er sagte, er habe nur einige wenige Flaschen, und die seien für amerikanische Besucher reserviert.«

»Wohl bekomme es ihnen!«

Das Aspirin hatte zu wirken begonnen, aber ich fühlte mich noch immer schwach und kroch ins Bett zurück. Ich sagte: »Am besten, ich bleibe gleich drin. Morgen ist auch noch ein Tag.«

»Würde man dir das Frühstück bringen, wenn ich darum ersuchte?«

»Frühstück! Na, vielleicht könnte ich einen Topf Kaffee bei mir behalten. Er könnte mir eventuell auf die Beine helfen - und das habe ich bitter nötig, wenn ich heute noch etwas arbeiten soll.«

»Was denn?«

Ich erzählte ihm von dem Buch.

Steve stand auf und zog eine Gabardinehose und ein grellbuntes Freizeithemd an. Er kämmte sich und meinte: »Kaffee täte mir auch ganz gut. Geh nicht fort.«

Er verließ die Hütte, und ich schlummerte ein. Nach ein paar Minuten war er wieder da. Er brachte ein Kännchen Kaffee und zwei Tassen mit. Der Duft des Kaffees machte mich wach, und nach der ersten, stark gesüßten Tasse begannen sich meine Lebensgeister zu regen. Ich zündete mir eine Zigarette an und sog den Rauch so dankbar ein wie ein zum Tode Verurteilter, der soeben von seiner Begnadigung erfährt.

Steve machte es sich auf dem Feldbett bequem und schaute mich prüfend an. »So, so, also Roger Casement. Ich bin dir wohl nicht mehr gut genug? Ich habe mich schon gefragt, warum du aufgehört hast, meine Abenteuer zu beschreiben.«

Es ist peinlich, wenn die Ausgeburt der eigenen Phantasie sich plötzlich vor die Tatsache gestellt sieht, dass sie eben nicht mehr als das ist, und dass der Zeitpunkt gekommen ist, da sie abtreten muss. Auch mir war es peinlich. Ich tat die Sache so unbefangen ab, wie ich es vermochte.

»Du weißt doch, wie das

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: J. B. O'Sullivan/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: Gerhard Baumrucker (OT: Backlash).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 19.09.2019
ISBN: 978-3-7487-1585-6

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