Cover

Leseprobe

 

 

 

 

ADRIAN DOYLE

&

TIMOTHY STAHL

 

 

BLUTVOLK, Band 10:

Totem des Bösen

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Die Autoren 

 

Was bisher geschah... 

 

TOTEM DES BÖSEN 

 

Vorschau auf BLUTVOLK, Band 11: DER HÜTER UND DAS KIND 

von Adrian Doyle & Timothy Stahl 

 

Glossar 

 

Das Buch

Die Seuche hatte furchtbar gewütet. Von den Sippenoberhäuptern ausgehend infizierte sie die Vampire überall auf der Welt mit ihrem Keim. Rasender Durst kam über die Blutsauger – ein Durst, den sie nicht zu löschen vermochten. Die betrogene Zeit holte die Vampire ein, und sie verfielen bei lebendigem Leibe. Nur einer stellte sich gegen das Verderben: Makootemane, das Oberhaupt eines vampirischen Indianerstammes.

Die Seuche gab sich selbst eine Gestalt. Als Purpurdrache focht sie einen Kampf gegen den alten Schamanen – und musste sich geschlagen zurückziehen.

Doch dies war erst der Beginn der Schlacht. Es gab andere Wege zum Sieg. Und so beschwor der Drache das Böse herauf, dem die Angehörigen des Stammes vor langer Zeit abgeschworen hatten...

 

BLUTVOLK – die Vampir-Horror-Serie von Adrian Doyle und Timothy Stahl: jetzt exklusiv als E-Books im Apex-Verlag.

Die Autoren

 

Manfred Weinland, Jahrgang 1960.

Adrian Doyle ist das Pseudonym des deutschen Schriftstellers, Übersetzers und Lektors Manfred Weinland.

Weinland veröffentlichte seit 1977 rund 300 Titel in den Genres Horror, Science Fiction, Fantasy, Krimi und anderen. Seine diesbezügliche Laufbahn begann er bereits im Alter von 14 Jahren mit Veröffentlichungen in diversen Fanzines. Seine erste semi-professionelle Veröffentlichung war eine SF-Story in der von Perry-Rhodan-Autor William Voltz herausgegebenen Anthologie Das zweite Ich.

Über die Roman-Agentur Grasmück fing er Ende der 1970er Jahre an, bei verschiedenen Heftroman-Reihen und -Serien der Verlage Zauberkreis, Bastei und Pabel-Moewig mitzuwirken. Neben Romanen für Perry-Rhodan-Taschenbuch und Jerry Cotton schrieb er u. a. für Gespenster-Krimi, Damona King, Vampir-Horror-Roman, Dämonen-Land, Dino-Land, Mitternachts-Roman, Irrlicht, Professor Zamorra, Maddrax, Mission Mars und 2012.

Für den Bastei-Verlag hat er außerdem zwei umfangreiche Serien entwickelt, diese als Exposé-Autor betreut und über weite Strecken auch allein verfasst: Bad Earth und Vampira.

Weinland arbeitet außerdem als Übersetzer und Lektor, u. a. für diverse deutschsprachige Romane zu Star Wars sowie für Roman-Adaptionen von Computerspielen.

Aktuell schreibt er – neben Maddrax – auch an der bei Bastei-Lübbe erscheinenden Serie Professor Zamorra mit.

 

 

Timothy Stahl, Jahrgang 1964.

Timothy Stahl ist ein deutschsprachiger Schriftsteller und Übersetzer. Geboren in den USA, wuchs er in Deutschland auf, wo er hauptberuflich als Redakteur für Tageszeitungen sowie als Chefredakteur eines Wochenmagazins und einer Szene-Zeitschrift für junge Leser tätig war.

In den 1980ern erfolgten seine ersten Veröffentlichungen im semi-professionellen Bereich, thematisch alle im fantastischen Genre angesiedelt, das es ihm bis heute sehr angetan hat. 1990 erschien seine erste professionelle – sprich: bezahlte - Arbeit in der Reihe Gaslicht. Es folgten in den weiteren Jahren viele Romane für Heftserien und -reihen, darunter Jerry Cotton, Trucker-King, Mitternachts-Roman, Perry Rhodan, Maddrax, Horror-Factory, Jack Slade, Cotton Reloaded, Professor Zamorra, John Sinclair u. a.

Besonders gern blickt er zurück auf die Mitarbeit an der legendären Serie Vampira, die später im Hardcover-Format unter dem Titel Das Volk der Nacht fortgesetzt wurde, und seine eigene sechsbändige Mystery-Serie Wölfe, mit der er 2003 zu den Gewinnern im crossmedialen Autorenwettbewerb des Bastei-Verlags gehörte.

In die Vereinigten Staaten kehrte er 1999 zurück, seitdem ist das Schreiben von Spannungsromanen sein Hauptberuf; außerdem ist er in vielen Bereichen ein gefragter Übersetzer. Mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen lebt er in Las Vegas, Nevada.

  Was bisher geschah...

 

 

Alle Vampiroberhäupter rund um den Globus werden von einer schrecklichen Seuche befallen, die sie auf ihre Sippen übertragen. Die infizierten Vampire – bis auf die Anführer selbst – können ihren Durst nach Blut nicht mehr stillen und altern rapide. Gleichzeitig wird in einem Kloster in Maine, USA, ein Knabe geboren, der sich der Kraft und Erfahrung der todgeweihten Vampire bedient, um schnell heranzuwachsen.

Sowohl die Seuche als auch die Geburt des Kindes erschüttern das Weltgefüge auf einer spirituellen Ebene. Rund um den Erdball reagieren para-sensible Menschen, träumen von unerklärlichen Dingen und möglichen Zukünften. Die »Illuminati«, ein Geheimbund in Diensten des Vatikans, rekrutiert diese Träumer.

Inzwischen trifft Lilith auf einen Vampir in der Kutte eines Mönchs. Er gehörte vor gut 500 Jahren dem Illuminati-Orden an, der nahe Rom in einem unzugänglichen Kloster ein Tor bewachte (und es noch heute tut). Eines Tages wurde er von jenseits des Tores in Bann geschlagen. Zwar konnte er die Pforte nicht öffnen, lebte fortan aber als Vampir weiter. Lilith stellt sich ihm. Dabei hört sie erstmals von dem geheimnisvollen Tor.

In New Orleans beginnen die Arbeiten für die Trockenlegung eines Sumpfgebietes. Was man nicht weiß: Hier versanken im Jahre 1862 Hunderte von Soldaten und Zivilisten – und einer davon war ein Vampir, der zuvor noch reiche Beute machte. Der Sumpf konservierte ihn und seine Dienerkreaturen. Bis heute. Als der Vampir »befreit« wird, erwacht er wieder zu unheiligem Leben, und auch seine Kreaturen drängen aus dem Sumpf. Lilith Eden streitet einen schier aussichtslosen Kampf. Ihr einziger Vorteil: Die Blutsauger müssen immer wieder in den Morast zurück, da ihre mumifizierte Haut an der Luft sonst schnell austrocknen und zerfallen würde. Als es ihr gelingt, den Vampir und seine Dienerkreaturen vom Wasser abzuschneiden, ist der Grundstein für ihren Sieg gelegt.

TOTEM DES BÖSEN

 

 

 

  New Orleans, Mitternacht 

Hier unten stank es durchdringend nach Schweiß, Tod und Verwesung. Schwarze Kerzen warfen mehr Schatten als Licht. Über den Boden verstreut lagen Tieropfer auf blutrot leuchtenden Fetischen. Zwei Gruppen von Musikern wechselten sich im Spiel ihrer Trommeln, Glocken und mit Glasperlen besetzten Stöcke ab. Ein Kinderchor sang. Frauen tanzten aufgeputscht. Ihre rituell bemalten Oberkörper waren entblößt, ihre schweren Brüste und drallen Bäuche wogten.

Alles war in Bewegung. Alles trieb dem Höhepunkt dieser teuflischen Zeremonie entgegen...

 

Isaak Germain, der Großmeister, war zufrieden, doch solche Gefühle ließ er sich nicht anmerken. Sein Gesicht unter der weißen Kappe strahlte nichts anderes aus als patriarchalische Autorität.

Kühl blickte er auf den Körper hinab, der festgebunden auf dem Altarstein lag, die nackte Haut mit Kerzenwachs beträufelt.

Beschwörungsmuster.

Der Grand Commandeur des Kults kannte die schön gewachsene Gestalt, der neben der Kopf- und Schambehaarung auch die Brauen entfernt worden waren, seit ihrer Geburt. Einst hatte er Aimee getauft, wie es in ihren Kreisen üblich war – und heute würde er ihr das Leben nehmen, um die Geister des Wahnsinns zu besänftigen. Um dem die Stirn zu bieten, was Germain in seinen Gesichtern der letzten Tage und Nächte gesehen hatte...

Der Voodoo-Meister sog die Angst des Mädchens förmlich in sich ein. Weit aufgerissene Pupillen starrten ihn flehentlich an – wissend, dass keine Gnade zu erwarten war.

Als ein gurgelnder Schrei aus der zerschnittenen Kehle eines Hahns ertönte, versuchte der blutverschmierte Mädchenmund die Nähte aus Tiergedärm zu sprengen, die ihn geschlossen hielten.

Es misslang, und der Schmerz der vergeblichen Anstrengung ließ weitere Äderchen im unschuldigen Weiß der Augen platzen. Salzige Tränen rannen über glatte, bleiche Wangen, drangen in die gestochenen Wunden und entfachten neue Qual.

Die Gehilfen des Großmeisters standen auf der anderen Seite des Altars. Im Gegensatz zu Isaak Germain weideten sie sich ungeniert an den Leiden des menschlichen Wesens, dessen Blut den Schutzzauber des Kults erneuern sollte.

Gesang und Tanz der Voodoosi wurde immer aggressiver, immer fordernder.

Der Grand Commandeur kannte diesen Effekt von vielen anderen Zusammenkünften und betrachtete sich selbst nur als Katalysator, an dem sich die Emotionen ihrer geheimen Allianz entzündeten. Nicht er war das Monster, das bereit war, ein junges Menschenleben zu zerstören... Die Summe aller Begierden, die in den Augen der hier Versammelten loderte, war monströs!

Sie alle kannten Aimee seit ihrer Geburt – und sie alle wussten, dass sie selbst das nächste Opfer der nächsten Zeremonie sein konnten...

... doch damit lebten sie.

Weil ihnen nichts anderes übrig blieb.

Weil sie vor vielen Jahren unwissentlich erweckt hatten, was seither ihre Namen, ihre Gesichter, den Abdruck ihrer Seelen kannte und sie dadurch überall finden konnte.

Nur die Gemeinschaft bot Schutz.

Die Talismane.

Die Rituale.

Die Opfer...

Isaak Germain kannte das Aussehen dessen, was sie fürchteten, so wenig wie seine Jünger. Dennoch zweifelte er keine Sekunde an seiner Existenz.

Generationen zuvor waren seine Vorfahren von gewinnsüchtigen Sklavenhändlern aus Schwarzafrika hierher verschleppt worden. Billige, rechtlose, vogelfreie Arbeitskräfte. Und das einzige, was ihnen nicht genommen worden war, weil es ihnen nicht genommen werden konnte, das einzige, was sie aus ihrer nie vergessenen Heimat mit in die Fremde gebracht hatten, war ihr Glaube gewesen. Ihre unersättlichen Götter.

Legba, Kokou, Egungun, Sango...

Isaak Germains Blick schweifte vom Gesicht des Opfers hin zu der noch leeren Kalebasse, die bald mit Aimees Blut gefüllt sein würde. Blut, das durch die Kehle eines jeden Voodoosi rinnen sollte.

Ein einziger Tropfen genügte zur Erneuerung des Schutzes.

Und wie stets in den vergangenen Monaten und Jahren würde der Leib des Opfers am Ende der Feier verschwunden sein. Und dort, wo man ihn gefesselt und zu duldsamem Schweigen verurteilt hatte, würde nur noch ein kleiner Haufen amorphen Staubs liegen.

Asche?

Selbst der Grand Commandeur wusste es bis heute nicht.

Vielleicht gab es unter seiner Gemeinde den einen oder anderen Zweifler – Isaak Germain selbst jedoch war felsenfest überzeugt, dass die Magie, derer sie Zeugen wurden, echt war. Dass etwas von jenseits der normalen Wahrnehmungen zu ihnen kam, seine Sinne prüfend über jeden einzelnen der Anwesenden schweifen ließ und dann entschied, ob es das Opfer... oder die ganze Gemeinde mit sich reißen sollte ins Reich der Schatten.

In die Welt hinter der Welt...

Wieder krähte ein Hahn, und sein Blut sprühte über den Chor der Kinder. Kinder, die ihre Unschuld längst verloren hatten – nicht erst in dieser Stunde.

Wie Aimee.

Isaak Germains Augen fanden zu ihr zurück. Die Wachsmuster auf ihrem gertenschlanken Körper bewirkten mehr als nur spirituelle Stimulation. Er bekam eine Erektion, die allerdings unter der weiten, weißen Kutte verborgen blieb.

Wie seine eigenen Narben, die sein Vater – auch einmal Hohepriester ihres Bundes – ihm bereits in frühester Kindheit zugefügt hatte. Wunden, die sich bis in Germains Seele gegraben hatten und nie verheilen würden.

Es musste so sein.

Ohne diese wertvolle Erfahrung hätte Isaak Germain die Qualen, die er anderen zufügte, nicht so virtuos steuern können, wie er es in dieser versteckten Kirche seit so vielen Jahren tat.

Um der Bedrohung aus dem Jenseits zu entrinnen, hätte es nicht genügt, einfach den Ort ihres Wirkens zu wechseln. Für das Unaussprechliche schien es Raum und Entfernung gar nicht zu geben – vielleicht nicht einmal den Faktor Zeit.

Es kannte sie.

Es hatte sich jedes einzelne Muster ihrer Gedanken gemerkt.

Und Es verfolgte die Frevler von einst bis in jede folgende Generation hinein.

Wir sind genetisch verflucht, dachte Isaak Germain vage. Deshalb wird Aimee es besänftigen. Aimee ist ein so wunderbares Opfer... 

Zwischen den durch die Fesselung gespreizten Beinen lag der Dolch auf dem polierten schwarzen Stein.

Die Gesänge der Gemeinde peitschten durch das Gewölbe. Peitschten auch Isaak Germain nach vorn. Drängten ihn zu tun, was getan werden musste.

Ein Leben für viele. Das war der zur Normalität verkommene Preis, den jeder gelehrt worden war zu akzeptieren.

Die Augen des Grand Commandeurs glommen finster, als er den Oberkörper nach vorn neigte und den linken, vom Herzen kommenden Arm ausstreckte.

Doch bevor er aber die Hand um den Schaft der Klinge schließen konnte, geschah das Unerwartete.

Das Unmögliche.

NEIN!

Isaak Germain hatte das Gefühl, in flüssigen Stickstoff getaucht zu werden. Eiseskälte fraß sich wie ein lähmender Schock durch seinen Körper. Für eine Sekunde, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, war er außerstande, auch nur einen Finger zu krümmen.

In dieser Sekunde ähnelten seine Augen denen von Aimee, die immer weiter aus den Höhlen quollen.

Übelkeit verdrehte Germains Magen. In seinem Bauch schien ein schrecklicher Kobold zu sitzen, der sich einen Spaß daraus machte, Säure aus einem Flakon in immer neue Richtungen zu sprühen. Oder glühende Nadeln in alles zu stechen, was in seiner Reichweite lag.

Voodoo?

Versuchte ein anderer Voodoosi, vielleicht ein anderer Großmeister, ihn zu attackieren?

Isaak Germain fühlte etwas wie einen Schwall Erbrochenes im Mund. Er schluckte hart. Niemand sollte bemerken, was für einen Kampf er ausfocht.

Kampf?

Es gab keine Fehde mit einem anderen Clan. Wer sollte also...?

In diesem Moment empfing er den nächsten lautlosen Schrei. Niemand sonst schien ihn zu hören.

Isaak Germain richtete sich ruckartig auf. Sein Rückgrat knirschte. Aber vielleicht bildete er sich auch das nur ein...

Um ihn herum entstand Unruhe, geboren aus Unverständnis. Sein Verhalten fiel auf. Nur noch in Aimees Augen flackerte die Hoffnung wie ein trübes Licht – die restliche Gemeinde geriet in Aufruhr. Der Chor verstummte, die Musikanten stellten ihr enervierendes Spiel ein.

»Was ist...?«, flüsterte einer seiner Gehilfen Germain zu. »Geht es Euch... nicht gut?«

Germain zögerte.

»Doch«, antwortete er schließlich gepresst. »Wartet auf mich. Ich bin gleich wieder da...«

»Warten?«, kam es ungläubig zurück.

Der Grand Commandeur achtete nicht mehr darauf. Er kehrte Altar und Gemeinde den Rücken und stakste hölzern davon. Dorthin, woher er Minuten zuvor gekommen war.

In seine Kammer. Den Raum, den niemand außer ihm betreten durfte.

Und wo er... erwartet wurde! 

 

 

Bis zuletzt glaubte Lilith nicht, es schaffen zu können. Der dunkelhäutige Priester widersetzte sich ihrem magischen Einfluss mit aller Vehemenz.

Er war stark. Dies hier war kein fauler Zauber irgendwelcher geistig Verwirrter, die ihre Beschwörungen und Verschwörungen zelebrierten. Es war Religion.

Und mehr...

»Schließ die Tür!«

Er gehorchte. Im Gegensatz zu Lilith war auf seinem Gesicht kein einziger Schweißtropfen zu erkennen. Hart, wie aus dunklem Granit gemeißelt wirkten die negroiden Züge, die zwischen dem Weiß des kapuzenlosen, kuttenartigen Gewands und dem ebensolchen Weiß der schlichten Kappe zu schweben schienen.

»Verriegele sie!«

Auch diesem mündlichen Befehl kam er nach. Dann lehnte er sich gegen das dicke Holz der Tür. Nicht nur mental, auch von seiner Physis her war er ein Koloss. Lilith spürte die Vibrationen, die von ihm ausgingen und ihr seinen Willen aufzuzwingen versuchten. 

Er wehrte sich. Er war längst nicht besiegt.

»Bist du ein Vampir?«, fragte sie.

Er lachte heiser. Und allein, dass er dazu fähig war, verriet, wie fragwürdig die Kontrolle war, die Liliths Geist ihm aufzwang und unter der die Halbvampirin ihn sich wünschte. Um ein Leben zu retten.

»Nein«, sagte er.

»Nein?«

Sie war auf der Suche nach Vampiren, die das Massaker der vorletzten Nacht überlebt haben mochten. Den Sippenführer und seinen Kontrahenten hatte sie bereits unschädlich gemacht, ebenso wie die gut drei Dutzend untoten Dienerkreaturen, die sich aus den trockengelegten Sümpfen erhoben hatten1 . Aber bevor sie nicht sicher war, dass wirklich alle Vampire hier in New Orleans ausgerottet waren, wollte sie der Stadt nicht den Rücken kehren. 

Im Grunde war es keine Frage des Wollens, sondern ein Muss. Das Tattoo in ihrer Hand ließ ihr keine Wahl. Es erinnerte sie stets an den Auftrag, den sie am Anbeginn der Zeit, im Zentrum der Schöpfung, erhalten hatte.

Doch inzwischen gab es auch Momente, in denen sie sich fragte, ob sie den Lohn, den Gott ihr versprochen hatte, falls sie ihn nicht enttäuschte, überhaupt anstrebte. Ob der Verlust ihres vampirischen Anteils – und der damit verbundenen Durchsetzungskraft – denn wirklich erstrebenswert war. 

Konnte jemand wie sie, der sich so lange Zeit dem Kampf gegen übernatürliche Gefahren gewidmet hatte, überhaupt noch auf ein normales Leben umschalten? Würde ihr Verstand es eines Tages verkraften, ohne die mit diesen Gefahren verbundene Herausforderung zu leben...?

Aber jedes Mal, wenn sie ihre Zähne ins Fleisch eines Vampirs senkte, wenn sie dessen übel schmeckendes Blut trank, um zu überleben, schob sie solche Zweifel beiseite.

Dann wollte sie dieses Los um jeden Preis abstreifen. 

Aber ein Trunk aus menschlichem Blut...? Zu genau erinnerte sie sich noch an den Geschmack, den sie so sehr vermisste. Und sie war drauf und dran –

»Wer... bist... du?« Schwerfällig rann die Frage über die aufgeworfenen Lippen des Priesters.

Lilith hatte die Zeremonie minutenlang verfolgt, ehe sie eingeschritten war. Die pure Logik in ihr hatte längst begriffen, dass sie keinen Unterschlupf von Vampiren entdeckt hatte, sondern einem Akt pseudoreligiösen Wahns beiwohnte.

Die Südstaaten der USA waren schon seit der Ankunft der ersten Siedler ein Nährboden, auf dem abstruse Ideen, Rassismus und Fanatismus gediehen. Der Süden, das war Ku-Klux-Klan, gesetzlich überwachte Prüderie und eine im Sommer mitunter unerträgliche Schwüle, die Farmer und Städter gleichermaßen kirre machte...

»Wer ich bin?« Die Frage bewies endgültig, dass ihr der dunkelhäutige Zeremonienmeister nicht willenlos ausgeliefert war, und Lilith hoffte nur, dass er ihrem Ruf nicht nur deshalb gefolgt war, um die Quelle zu finden. Und zuzuschütten.

Nicht nur Vampire, auch einige Menschen widerstanden Liliths Hypnosemagie. Das hatte sie im Laufe der Zeit immer wieder erfahren müssen, ohne dass es offensichtliche Gründe für diese Immunität gab.

Aber seit ihr Keim keine Diener mehr schuf, hatte er sich in eine Droge verwandelt, die jeden Vampir in dem Moment, da Lilith ihre Augzähne in seine Ader bohrte, zu bedingungsloser Unterwürfigkeit verurteilte. 

Dieser Keim war ihre Trumpfkarte im Kampf gegen ihre Feinde – und natürlich durfte sie auch auf die Stärke vertrauen, die ihr im Zustand der vampirischer Metamorphose zur Verfügung stand. Ein Gedanke genügte zur Verwandlung...

»Ich bin dein Schicksal«, sagte Lilith. »Und vielleicht bist du mein Schicksal. Wer weiß...« 

Sie rechnete immer damit, zu unterliegen. Selbstüberschätzung war kein guter Verbündeter.

Jeder Vampir war stark – und verfügte über einen Wissensschatz, der Liliths Erfahrung – allein an Lebensjahren – überlegen sein musste. Denn keines der heute noch existierenden Kelchkinder war jünger als 270 Jahre. Damals hatte Felidae den Lilienkelch aus dem Dunklen Dom des Berges Ararat entwendet und dem Vampirgeschlecht entzogen. 

»Warum bist du hier?«, fragte der Priester. »Ich kenne dich nicht. Ich sah dich nie zuvor.«

Lilith zögerte. Dann sagte sie: »Selbst wenn du nicht bist, was ich suche, werde ich dich nicht eher aus diesem Raum lassen, bis ich sicher bin, dass das Mädchen draußen am Leben bleibt.«

In seinen Augen stoben Funken. »Du scheinst nicht zu wissen, was du verlangst – und was du riskierst.« 

Lilith war nicht sicher, aber sie hoffte, dass er bluffte. »Du drohst mir?«

Seine nächste Erwiderung verblüffte

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Adrian Doyle/Timothy Stahl/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Brgit Rehberg.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 08.08.2019
ISBN: 978-3-7487-1197-1

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /