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Leseprobe

 

 

 

 

RICHARD MEADE

 

 

ICH HEIRATE KEINEN ARZT

- Arztroman-Klassiker, Band 3 -

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

ICH HEIRATE KEINEN ARZT 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

 

Das Buch

Im Flugzeug lernt der Chirurg Dr. Garth Cannon bei der Betreuung eines herzkranken Passagiers ein hübsches junges Mädchen kennen, das ihm fachkundig beisteht. Als er Ellen Glenn jedoch um ein Wiedersehen bittet, weist sie ihn zurück. Sie hat eine Aversion gegen Ärzte. Doch das Schicksal fliegt mit. Sie treffen sich wieder. Zwischen Chirurgie und Liebe beginnt ein spannender Roman...

 

Ich heirate keinen Arzt erschien erstmals im Jahre 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1966. Der Roman erscheint in der Reihe ARZTROMAN-KLASSIKER aus dem Apex-Verlag, in der klassische Arztromane aus der goldenen Ära dieses Genres als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden. 

  ICH HEIRATE KEINEN ARZT

 

  Erstes Kapitel

 

 

Dr. Garth Cannon beugte sich angespannt über den Patienten auf dem Operationstisch und musterte den nach Durchtrennung und Spreizung des Brustbeins und der Rippen entstandenen Spalt. In der Brusthöhle schlug inmitten eines Gewirrs von Schläuchen und unterbundenen Blutgefäßen nur noch ganz schwach das freigelegte Herz.

»Bluttemperatur?« Garths Frage war knapp.

Der Arzt, der die Herz-Lungen-Maschine bediente, las ab: »Zwanzig Grad.«

Garth nickte. Er war groß, breitschultrig, Anfang Dreißig, und sein Gesicht etwas zu durchfurcht, um schön zu sein. Seine Augen blickten sehr aufmerksam, als er sich tiefer beugte, um die allmählich schwächer werdenden Herzbewegungen zu verfolgen.

Es war sehr still im Operationssaal. Nur der Takt der im Rhythmus des Herzschlags arbeitenden Pumpen war zu hören. Garth wartete. Endlich stand das freigelegte Herz still.

Er hob den Kopf. »Das Herz hat zu schlagen aufgehört. Behalten Sie die jetzige Temperatur bei.«

»In Ordnung«, sagte der Arzt an der Maschine, »ich behalte zwanzig Grad bei.«

Langsam streckte Garth seine kräftige, behandschuhte Rechte aus. Unaufgefordert legte die OP-Schwester ein Skalpell hinein. Garths Finger griffen danach, aber noch zögerte er einen Augenblick. Sooft er diesen Moment auch erlebte, stets ergriff ihn erneut ehrfürchtige Scheu, wenn auf seinen Wink lebendes Fleisch seine natürliche Funktion einstellte und ein von Menschenhand geschaffenes, aus Schläuchen, Pumpen und Wärmereglern bestehendes Gerät zum wichtigsten Organ des Patienten wurde, das für das stillgelegte Herz den Blutkreislauf regelte und anstelle der jetzt nutzlosen Lungen das Blut mit Sauerstoff anreicherte.

Garths Blick schweifte über den Operationstisch. In den klugen grauen Augen des alten Dr. Theringer, der ihm gegenüber am Operationstisch stand, spiegelten sich ähnliche Empfindungen. Theringer hatte dieser chirurgischen Methode am Quentin Memorial Hospital den Weg bereitet. Zehn Jahre zuvor wäre die Operation noch unmöglich gewesen. Selbst fünf Jahre vorher hätte außer Theringer und einigen Kollegen kaum ein Chirurg diese Operation durchführen können. Noch war sie längst nicht zur Routinearbeit geworden. Doch all die Männer, die das Risiko nicht gescheut und die Bitterkeit und Verzweiflung des Misserfolgs auf sich genommen hatten, bis ihnen die Operation schließlich gelang, hatten zumindest die Aussichten auf Heilung erhöht Jetzt neigte sich die Waage nicht mehr zugunsten des Todes - die Herzchirurgen hatten den Erfolg auf ihrer Seite. Dennoch schien Theringer nach all den Jahren ebenso beeindruckt von dem Wunder, das sie hier vollbrachten, wie Garth Cannon.

Wenn mich dies einmal nicht mehr bewegt, dachte Garth, weiß ich, dass ich nicht mehr zum Chirurgen tauge.

Das Skalpell noch immer in der Hand wägend, prüfte er routinemäßig ein letztes Mal die Lage, ehe er zum Schnitt ansetzte.

Von dem leblosen Herzen liefen Schläuche zur Herzlungenmaschine, brachten Blut aus der Hauptschlagader und führten es unter völliger Übergehung des Herzens durch eine tiefergelegene Vene zurück. In der Maschine pressten Metallfinger rhythmisch einen Beutel zusammen und pumpten das Blut dadurch in gleichmäßigem Fluss durch sämtliche Schläuche und durch den Körper. Wenn die Wärmeregler das Blut genügend unterkühlt hatten, war der Patient im Grunde genommen scheintot.

Garth erwachte aus seiner Versunkenheit. Er war Chirurg, und hier wartete Arbeit auf ihn. Das Herz, das, durch einen Assistenten sorgfältig von Blut gereinigt, vor ihm lag, war nun kein Herz mehr, sondern ein reparaturbedürftiger Motor. Mit der sachkundigen Hand eines erstklassigen Mechanikers machte er sich daran, ihn in Ordnung zu bringen.

Unter seiner sicheren Schnittführung drang das Skalpell in das lebende Herz ein. Während er arbeitete, fühlte Garth Theringers Blick nachdenklich auf sich ruhen. Garth war früher Theringers Schüler gewesen und seit nunmehr drei Jahren sein erster Assistent. Aber Dr. Theringer beobachtete Garth so scharf, als operiere dieser zum erstenmal.

Es ist gut, Theringer dabei zu wissen, dachte Garth, während das Instrument tiefer drang. Die Operation erforderte zwar ein vierzehnköpfiges Team, dennoch konnte einem während dieses schwierigen Eingriffs sehr einsam zumute sein. Garth kannte nur einen Menschen, dessen Gegenwart ihm dieselbe Sicherheit verlieh wie die Theringers, das war Harold.

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit dem geöffneten Herzen zu.

Theringer beugte sich gespannt vor. Seine Stimme verriet Erregung.

»Ah«, sagte er, »da haben wir's! Sehen Sie?«

Garth nickte. Er war ebenso befriedigt wie Theringer. Die Diagnose war schwierig gewesen, aber sie hatten recht gehabt.

Der Patient war zwanzig Jahre alt und fast sein Leben lang leidend gewesen. Statt dass sich sein Gesundheitszustand im Laufe der Jahre gebessert hätte, verschlechterte er sich zunehmend. Der Kranke war völlig erschöpft, dem Tode nahe, zu ihnen gekommen. Kein Wunder, dachte Garth bei dem Anblick, der sich ihm jetzt bot.

Im Herzen des Patienten befand sich ein dünnhäutiger Sack, der zwei Öffnungen aufwies. Der junge Mann war mit diesem Herzfehler zur Welt gekommen. Zwanzig Jahre lang war ein großer Teil des Blutes, das sein Herz in den Körper pumpen sollte, nur im Herzen hin und her geflossen, ohne es je zu verlassen. Ungefähr so, dachte Garth, als mache man beim Bergsteigen zwei Schritte vorwärts und drei zurück. Das Herz war durch diese ständige, vergebliche Arbeit fast vollkommen verbraucht.

»Ja«, sagte Garth, »genau, was wir vermutet hatten! Ein geplatztes Aneurysma des Sinus Valsalvae.«

»Höchst ungewöhnlich«, murmelte Theringer, »höchst ungewöhnlich!«

Garth antwortete nicht. Er war damit beschäftigt, das zerfetzte und damit nutzlose Gewebe loszutrennen. Es dauerte nur einen Augenblick, dann begann er bereits, die vorhandene Öffnung zu vernähen. Es war eine Arbeit, die minuziöse, höchste Aufmerksamkeit erforderte, und keine Ablenkung duldete.

Schließlich hatte er es geschafft. Befriedigt richtete Garth sich auf. Er spürte, wie sein dunkles Haar unter der Kappe klebte und sich Schweißtropfen an seinen Schläfen bildeten. Aber die Gefahr war jetzt fast vorüber. Es sei denn, das Herz des Patienten nahm, wenn die Temperatur erhöht und das Blut erwärmt wurde, seinen gewohnten stetigen Schlag nicht wieder auf, sondern begann stattdessen zu flimmern, das heißt, in ein nutzloses, jagendes Zucken überzugehen, das jede normale Herztätigkeit unmöglich machte.

Die Herz-Lungen-Maschine begann das Blut anzuwärmen. Theringer und Garth beobachteten den Vorgang so scharf und konzentriert, dass es schien, als wollten sie das Herz zwingen, seine Funktion wiederaufzunehmen. Minuten vergingen.

Dann wurde das noch immer freiliegende Herz plötzlich lebendig und nahm ruhig seinen gewohnten Schlag wieder auf. Garth hörte sich selbst vor Erleichterung seufzen. »Ein entscheidender Augenblick«, sagte er, »kein Flimmern!«

Theringer zuckte mit den Achseln. »Auch damit wären wir fertig geworden.«

»Ich weiß. Trotzdem ist mir immer wohler, wenn es von selbst wieder arbeitet.«

Garths Blick fiel auf einen sehr viel jüngeren Arzt, der die ganze Zeit an seiner Seite gestanden hatte.

»Dr. Weatherby, trauen Sie sich zu, die Schläuche abzunehmen und die Operationswunde zu vernähen?«

Weatherby nickte. Er machte sich an die Arbeit, während Garth und Theringer seine Bewegungen genau verfolgten.

Dann war es endlich vorüber. Zwei Stunden lang waren sie im Operationssaal gewesen. Vierzig Minuten davon hatte das Herz des Patienten stillgestanden. Im Vorraum streifte Garth dankbar Kappe, Maske, Handschuhe und Operationsmantel ab.

»Nun kommt das Beste«, sagte Theringer. »Bringen wir jetzt den Eltern des Patienten die gute Nachricht.«

Das war rasch vorüber. Die verkrampfte, nervöse und blasse Frau Mitte der Vierzig und ihr robust aussehender Mann, dessen tapferer Versuch, seine eigene Angst zu verbergen und seiner Frau Mut einzuflößen, nicht ganz gelang - sie warteten beide draußen im Korridor. Als sie die Ärzte kommen sahen, liefen sie ihnen fast entgegen und die Frage, die sie nicht zu stellen wagten, brannte in ihren Augen.

Garth lächelte ihnen beruhigend zu. »Die Operation war ein voller Erfolg. Ihr Sohn wird bald ein völlig normales Leben führen können.«

Es erfüllte ihn immer mit Demut, wenn er sah, wie sich die Gesichter solcher Menschen in solchen Augenblicken vor Dankbarkeit und Erleichterung verwandelten. Im Gesicht der Frau arbeitete es, als würde sie gleich zu weinen beginnen. »Gott segne Sie, Doktor!«, flüsterte sie. Der Mann neben ihr schnaubte sich die Nase und war wie betäubt. Er legte den Arm um seine Frau.

»Ein normales Leben«, sagte er benommen, »nach all diesen schweren Jahren kann Mark nun ein normales Leben führen?« Er drückte seine Frau fester an sich und streckte Garth und Theringer plötzlich die Hand hin.

»Ich danke Ihnen«, sagte er einfach, »ich danke Ihnen!«

Fünfzehn Minuten später saßen Garth und Theringer an einem Tisch im Ärztekasino. Jeder hatte eine Tasse dampfenden schwarzen Kaffees vor sich.

Theringer nahm einen Schluck und setzte wieder ab. »Zu heiß«, sagte er.

Er war untersetzt, stämmig, ein Mann Ende der Fünfzig. Seine Arme, Handgelenke und Hände waren die des geborenen Chirurgen, kräftig und muskulös. Er war kein Mensch, der sich leicht beeinflussen ließ. Dummköpfe waren ihm zuwider. Er spendete selten Lob. Seine nächsten Worte, einfach, fast widerwillig geäußert, waren deshalb für Garth von besonderer Bedeutung.

»Sie haben eben gute Arbeit geleistet«, sagte er. »Fehlerlose Arbeit.«

Gute Arbeit! Das war Theringers höchstes Lob.

Garth wehrte ab. »Es war edles sehr gut vorbereitet.«

Theringer schüttelte sein graues Haupt. »Man kann nie alles vorausberechnen.«

»Sie haben das nicht gekonnt. Sie mussten Ihre Erfahrungen selbst sammeln. Ich dagegen bekam das meiste von Ihnen gezeigt.«

Theringer antwortete nicht. Er hob wieder seine Tasse zum Mund. Der Kaffee war abgekühlt, er konnte trinken.

Als er die Tasse absetzte, sagte er: »Ich wollte, Sie würden es sich noch einmal überlegen. Ich brauche Sie hier. Ich habe Sie lange beobachtet, ehe ich Sie ausgewählt habe, und ich habe meine Wahl nie bereut. Sie haben genau das, was nötig ist - nicht nur die Hände, die Geschicklichkeit und die Intelligenz. Sie haben auch das andere.« Er sah auf seinen Kaffee hinab. »Ich glaube, man könnte es als Hingabe bezeichnen, so verdammt töricht dieses Wort auch klingt. Aber darin liegt der Unterschied. Der Unterschied, ob man einfach ein guter Chirurg unter vielen ist oder der Beste seines Faches.«

Garth zuckte mit den Achseln. Das war beispielloses Lob aus dem Mund eines Mannes wie Theringer. Aber Garth sagte sich ohne falsche Bescheidenheit, dass er es schließlich verdient hatte. Dennoch schienen all die letzten harten Jahre nun mit einem Schlag der Mühe wert - die vier anstrengenden Jahre des Studiums, die hektische Zeit als Pflichtassistent, und die Entbehrungen der vielen Jahre als Assistent Dr. Theringers. Nicht nur seine eigenen Opfer, sondern auch die Harolds hatten durch Theringers Worte plötzlich einen Sinn bekommen.

»Die Thorax-Chirurgie liegt mir einfach. Die Arbeit am Herzen ist faszinierend. Aber Sie finden sicher einen anderen. Weatherby wird bestimmt eine gute Kraft.«

»Gut schon«, sagte Theringer. »Aber er wird niemals ein Garth Cannon werden.«

Fast ärgerlich lehnte sich Theringer über den Tisch.

»Zum Henker, Garth, ich verstehe Sie immer noch nicht! Ich weiß, Sie haben hier nicht viel verdient, aber Geld ist nicht alles auf der Welt. Ich habe Sie nie für einen jener Raffgierigen gehalten, die es kaum erwarten können, ihre Assistentenzeit hinter sich zu bringen, um endlich fette Honorare zu kassieren. Sie sind absichtlich hiergeblieben, als Sie es sich in einer eigenen Praxis hätten gutgehen lassen können. Ich habe immer gedacht, Sie sind hier glücklich. Jetzt sagen Sie mir, dass Sie gehen wollen. Warum? Warum wollen Sie Ihre Arbeit hier im Stich lassen und sich in einem Nest wie Windsor City vergraben?«

Garth räusperte sich. Er hatte Theringer die Neuigkeit erst diesen Morgen vor der Operation mitgeteilt. Aber schließlich hatte er Harolds Brief auch erst vor zwei Tagen erhalten. Die achtundvierzig Stunden, in denen er um einen Entschluss gerungen hatte, waren nervenaufreibend genug gewesen.

»Es lässt sich nicht mehr ändern«, sagte er. »Ich muss einfach gehen. Aber wie dem auch sei, was soll das heißen, dass ich mich in Windsor City vergrabe? Windsor City ist kein Nest. Wie ich hörte, hat es eine Viertelmillion Einwohner und vergrößert sich ständig.«

»Ist man dort auf Herzoperationen eingerichtet?«

»Noch nicht.«

»Dann würden Sie sich dort vergraben!«, sagte Theringer barsch.

»Nun, ich werde trotzdem gehen. Mein Bruder hat um mein Kommen gebeten.«

Theringer nickte. »Harold Cannon? Ja, ich gebe zu, er gilt als einer der ersten seines Faches. Aber er macht allgemeine Chirurgie, und Sie sind Spezialist für Thorax-Operationen. Warum holt er sich nicht einen Chirurgen seines Faches für sein Haus?«

Garth runzelte die Stirn. Dieselbe Frage hatte er sich auch schon mehrmals gestellt. Doch letztlich fiel das nicht ins Gewicht Entscheidend war allein, dass Harold ihn gerufen hatte. Welche Gründe auch dahinterstecken mochten, er musste gehen!

»Sehen Sie«, sagte er, »ich will versuchen, es Ihnen zu erklären. Haben Sie noch ein paar Minuten Zeit?«

Theringer nickte.

Garths Gedanken eilten um Jahre zurück. Er versuchte, sein Verhältnis zu seinem älteren Bruder klar zu sehen, um es Theringer begreiflich machen zu können.

»Harold ist acht Jahre älter als ich«, sagte er, »einundvierzig. Er eröffnete seine Praxis gerade in dem Jahr, als unsere Eltern bei einem Unfall ums Leben kamen. Sein Studium hatte ihre Reserven so ziemlich aufgebraucht, obgleich er selbst wie ein Wilder arbeitete, um sich weiterzuhelfen. Nachdem der Nachlass geordnet war, schien es unmöglich, dass ich mein Studium fortsetzte. Harold war völlig abgebrannt und durch die Einrichtung seiner Praxis bis über beide Ohren verschuldet. Er besaß anfangs nicht einmal eigene Instrumente. Aber er wollte nicht, dass ich aufhörte. Du studierst weiter, befahl er mir. Du studierst und machst dir keine Sorgen wegen des Geldes. Ich werde es irgendwie auftreiben.«

Garth zündete sich eine Zigarette an.

»Und er brachte es fertig. Er arbeitete fast bis zur Erschöpfung, er knauserte und sparte. Er lebte von der Hand in den Mund, damit ich mein Medizinstudium fortsetzen konnte. Aber ich bekam nicht nur Geld von ihm, er hat mir weit mehr gegeben. Ich war damals noch ein Junge und kannte das Leben nicht. Der Verlust meines Vaters war ein höllischer Schlag für mich und hatte mich innerlich völlig durcheinandergebracht. Ich hätte einfach klein beigegeben, wenn Harold mich nicht beständig angetrieben und mir unerschütterlich mit Rat und Tat zur Seite gestanden hätte.«

Garth senkte die Augen und betrachtete den Rauch, der aus seiner Zigarette aufstieg.

»Wenn ein Mensch so viel für einen getan hat«, sagte er, »spielt es überhaupt keine Rolle mehr, was man selbst will oder nicht will. Wenn dieser Mensch sagt, dass er einen braucht, kommt man, ohne erst lange zu fragen.«

Einen Augenblick blieb es still zwischen ihnen.

»Ich verstehe«, sagte Theringer schließlich. »Ich hatte keine Ahnung, wie Sie zueinanderstehen. Die meisten Brüder, scheint mir, haben nicht derart enge Beziehungen zueinander.«

»Harold und ich sind eben nicht wie die meisten Brüder«, sagte Garth. Dann setzte er der feierlichen Stimmung mit einem Auflachen ein Ende. »Natürlich«, fuhr er fort, »kommt noch eine weitere Schwierigkeit für mich hinzu. Sie wissen schon - Berge von Geld in einer einträglichen und gutgehenden Praxis zu verdienen.«

Theringer lachte zurück.

»Ja«, sagte er ironisch, »das wird Ihnen sicher schwerfallen.«

Dann wurde er wieder sachlich.

»Nim«, sagte er, »ich kann Sie jetzt wenigstens verstehen und kann Ihnen keinen Vorwurf mehr machen. Selbst wenn Sie Harold nicht so verbunden wären, wenn nur finanzielle Erwägungen hinter Ihren Plänen stünden, dürfte ich Sie im Grunde nicht tadeln. Sie sind jung, Sie sehen gut aus und werden eines Tages Frau und Kinder haben. Sie werden Ihrer Familie etwas bieten wollen. Weshalb sollten Sie wie ich als abgebrannter alter Junggeselle enden wollen?«

»Es ist nicht das Geld allein...«

»Natürlich nicht. Aber Sie sind jetzt immerhin dreiunddreißig. Sie haben Ihre Assistentenzeit freiwillig verlängert, um mit mir zusammenzuarbeiten, und verdienen jetzt gerade knapp das Notwendigste, während Ihre Altersgenossen in anderen Berufen bereits gute Positionen bekleiden. Sie haben wieviel - fünfzehn Jahre? - allein mit Ihrer Ausbildung zugebracht. Ich kann es verstehen, wenn Sie jetzt wenigstens so viel verdienen wollen, dass Sie eine Familie ernähren können. Mit Harold Cannon zusammen schaffen Sie das zweifellos weit schneller, als es hier je möglich wäre. Nein, wenn ich in Ihren Schuhen steckte, würde ich es wahrscheinlich ebenso machen. Aber Sie haben nun einmal diese natürliche Begabung für Herzoperationen, Garth, und daher schmerzt es mich, Sie zu verlieren.«

»Vielleicht kann ich in Windsor City ein Team aufbauen.«

»Ja, vielleicht,« Theringer schaute auf die Uhr und stand plötzlich auf. »Ich muss mich beeilen. In fünfzehn Minuten ist Chefarztbesprechung, Sie brauchen daran ja nicht teilzunehmen.«

Garth erhob sich ebenfalls. »Noch etwas, Herr Dr. Theringer.«

»Ja?«

»Wie ich Ihnen schon heute Morgen sagte, muss ich so rasch wie möglich nach Windsor City; Harolds Brief klang sehr dringend. Aber wenn Sie mich brauchen sollten, lassen Sie mich's wissen. Ich kann jederzeit kommen, um hier einzuspringen...«

Theringer sah ihn einen Augenblick lang an. Dann sagte er leise: »Das gilt für beide Teile, Garth. Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, wenden Sie sich einfach an mich.«

Die kühlen grauen Augen wurden etwas wärmer.

»Ich hatte nie einen Sohn, Garth, und werde auch keinen mehr bekommen. Aber wenn ich einen gehabt hätte...« Er sprach den Satz nicht zu Ende. Seine große kräftige Hand presste warm Garths Arm. Dann war er auch, schon gegangen. Garth sah ihn mit seinen typischen raschen, unternehmungslustigen Schritten zur Tür des Kasinos gehen. Er blickte ihm nach, bis die stämmige Gestalt verschwunden war. Dann sank er auf seinen Stuhl zurück.

Der Kaffee war inzwischen kalt geworden, aber das war unwichtig. Wichtig war, dass Theringer jetzt verstand, weshalb Garth ihn verließ und dass er ihm seine Sympathie bewahrte. Die hätte Garth niemals verlieren wollen. Noch spürte er die Wärme der Hand Theringers auf seinem Arm. Noch klangen Theringers letzte Worte in seinem Ohr. Er fühlte sich beglückt darüber, dass er für einen Augenblick die Enttäuschung und Niedergeschlagenheit vergaß, die ihn befallen hatte, seit er wusste, dass er die Arbeit hier am Quentin Memorial Hospital aufgeben musste. Er hatte sich Theringer gegenüber nichts davon anmerken lassen; auch Harold würde er es nicht zeigen.

Darm aber schwand sein Hochgefühl. Seine Augen wurden noch dunkler und blickten sehr beunruhigt, während er seine Tasse aufnahm und gedankenverloren von dem kalten Kaffee nippte.

Harold hatte in seinem Brief so dringend, so nachdrücklich, ja, so verzweifelt um sein Kommen gebeten, dass es schon auffällig war. Natürlich, er hatte von seiner Arbeitsüberlastung gesprochen und davon, dass er hoffte, Garth werde ihm zur Hand gehen können, um ihm das Leben zu erleichtern. Aber das war noch kein Grund dafür, dass der Brief wie ein Hilferuf klang. Es schien Garth, als habe Harold vor irgendetwas Angst. Eine Vermutung, die eigentlich absurd war. Garth sah seinen Bruder vor sich, groß, tüchtig, klar denkend und in allem peinlich genau. Harold war auch immer völlig furchtlos gewesen. Warum sollte er jetzt plötzlich vor irgendetwas Angst haben? Er hatte alles, was ein Mann begehren konnte: eine gutgehende Praxis, eine schöne Frau, einen gesunden Sohn...

Dennoch wurde Garth die Unruhe nicht los, die Harolds Brief in ihm geweckt hatte. Er stellte die Kaffeetasse ab und erhob sich langsam und ein wenig steif. Er war abgespannter, als er gedacht hatte. So waren Operationen nun einmal: hinterher fühlte man sich stets wie zerschlagen und grenzenlos müde, auch wenn alles erfolgreich verlaufen war.

Er hatte noch zu arbeiten, viel zu arbeiten sogar, ehe er das Quentin Memorial Hospital guten Gewissens verlassen konnte. Müdigkeit oder nicht, dieser Beruf kannte keine Pause. Sein Patient würde inzwischen aus der Narkose erwacht sein.

Garth Cannon vergaß Harold für den Augenblick, verließ das Ärztekasino und begab sich zum Lift. Bis er im fünften Stock ankam, hatte er seine Müdigkeit vergessen. Nun interessierte ihn einzig und allein der Junge, dessen Leben er für immer geändert hatte, dieser Junge, der dort am Ende des Korridors in einem Krankenzimmer lag.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Als Garth Cannon eine Woche später auf dem Flughafen die riesige Elektra bestieg, war er sich völlig im Klaren darüber, dass dieser Schritt sein ganzes Leben verändern werde. Garth hatte so viele Jahre in Quentin Memorial verbracht, dass es ihm vorkam, als verlasse er nun seine Heimat. Er konnte eine gewisse Niedergeschlagenheit nicht abschütteln, die sich ihm schmerzlich aufs Herz legte. Trotz niedriger Bezahlung und harter, zermürbender Arbeit hatte er sich als Theringers Assistent wohl gefühlt. Er war zufrieden gewesen, denn er hatte, wenn auch in bescheidenem Ausmaß, zu jenen Pionieren gezählt, die jedes Jahrzehnt einmal durch irgendeine bahnbrechende Entdeckung eine Revolution auf medizinischem Gebiet hervorbrachten. Es war ein schönes und erregendes Gefühl gewesen. Jetzt hatte er die vorderste Front verlassen und begab sich in die Ordnung und Sicherheit einer einträglichen Privatpraxis. Obgleich er sich auf die Zusammenarbeit mit Harold freute, konnte er sich eines bitteren Gefühls, als habe er einen schweren Verlust erlitten, nicht erwehren.

Er setzte sich auf einen Fensterplatz und schnallte den Sicherheitsgurt um, während er gleichzeitig in die gleißende Sonne auf der Rollbahn hinausstarrte. Die letzten Fluggäste eilten eben durch die Sperre. Weit hinten erblickte Garth einen Mann, der seine kurzen Beine wie Kolben schwang, um die anderen einzuholen. Der Mann war von massiger Gestalt, sein rotes Gesicht glänzte in der Nachmittagssonne, und unter dem Gewicht seiner schweren Aktenmappe kam er ganz einseitig daher. Er würde besser langsam tun, dachte Garth. Wenn das nicht der Typ des Herzkranken ist...

Dann vergaß er den Dicken. Ein Hauch von Parfüm und das undeutliche Gefühl, eine Frau befinde sich in seiner Nähe, ließen Garth den Kopf drehen. Die Elektra war fast ganz besetzt, und er hatte eine Platznachbarin bekommen. Aber was für eine Platznachbarin!

Das Mädchen war vielleicht fünfundzwanzig, und einfach überwältigend. Ihr Sommerkostüm war streng und schlicht geschnitten, aber es konnte ihre Figur nicht verbergen, die schlank und wohlgeformt zugleich war. Sie blickte Garth nicht an, als sie neben ihm Platz nahm, und er bewunderte ihr klargeschnittenes, edles Profil, ihre dunklen Augen mit den langen Wimpern und das gepflegte kastanienbraune Haar, das weich herabfiel und im einfallenden Sonnenlicht schimmerte. Er schaute ihr bewundernd zu, als sie ein Paar prachtvolle Beine übereinander- schlug und dann den Sicherheitsgurt um ihre schlanke Taille befestigte.

Garth Cannon war nicht übermäßig empfänglich für weibliche Reize. In seinem Leben hatte es nicht viele Frauen gegeben. Da er so in seinem Beruf aufging, war ihm ihr Fehlen nicht einmal aufgefallen. Aber jetzt musste er sich eingestehen, dass allein der Anblick des Mädchens an seiner Seite seinen Pulsschlag beschleunigte. Er lächelte betreten. Was Frauen anbetraf, hatte er eine Menge nachzuholen. Nun, das würde einer der Vorteile seiner Zusammenarbeit mit Harold sein. Er würde sich wenigstens ein Rendezvous mit einem Mädchen leisten können, ohne sich fragen zu müssen, wie er diese Ausgabe bei seinem schmalen Einkommen wieder wettmachen könne.

Garth rutschte ein wenig beklommen auf seinem Sitz hin und her. Er war überzeugt, dass es Spaß machen werde, in Gesellschaft dieser jungen Dame nach Windsor City zu fliegen, falls sie überhaupt so weit mitflog; aber er war sich jäh bewusst, dass er wenig Übung darin besaß, mit fremden Damen ein Gespräch anzufangen.

Seine eigene Stimme kam ihm ziemlich laut und unbeholfen vor, als er sagte: »Entschuldigen Sie, aber wenn Sie lieber am Fenster sitzen, tausche ich gern mit Ihnen den Platz.

Das Mädchen wandte den Kopf und schaute Garth aus den größten, dunkelsten und leuchtendsten Augen an, die er je gesehen hatte. Sie lächelte nicht; ihr Gesicht war ernst und zurückhaltend.

»Nein, danke«, sagte sie. Ihre Stimme klang für eine Frau etwas tief, angenehm und weder freundlich noch unfreundlich. »Ich sitze hier ganz bequem.« Dann wandte sie sich ab und schien sich rasch in eine Zeitschrift zu vertiefen, die sie mitgebracht hatte.

Garths Mund wurde schmal. Sie hatte ihm ja deutlich genug gezeigt, dass sie nicht gestört sein wollte. Nun, sie brauchte keine Angst zu haben. Er würde sie nicht mehr stören. Es wäre nur einfach nett gewesen, wenn...

Der Dicke mit der umfangreichen Aktentasche kam als letzter an Bord. Er ließ sich auf der anderen Seite des Ganges in einen Sitz fallen. Sein Gesicht war gerötet, sein Atem ging schwer und rasch nach dem anstrengenden Lauf. Garth beobachtete, wie er seine Krawatte öffnete und sich die schweißtriefenden Wangen abwischte.

Das Mädchen war noch immer mit seiner Zeitschrift beschäftigt. Garth wandte sich erneut dem Fenster zu.

Er starrte hinaus und sah, wie die Rollbahn unter ihnen hinwegglitt, als das Flugzeug anrollte, scheinbar innehielt und sich dann im Flug vom Boden löste. Die Erde wurde undeutlich und blieb zurück. Sie flogen, und ihre Maschine gewann rasch an Höhe.

Kurze Zeit später schwebten sie hoch über einer niedrigen Wolkendecke dahin, die unter ihnen wie Schnee schimmerte. Garth schnallte seinen Sicherheitsgurt los und lehnte sich, nach einer Zigarette angelnd, in seinem Sitz zurück. Das Mädchen mit dem kastanienbraunen Haar las immer noch.

Er zündete seine Zigarette an und starrte auf die Wolken hinunter. Wenigstens, so dachte er, flog er diesmal aus einem erfreulicheren Grund nach Windsor City.

Das letzte Mal war ein Begräbnis der Anlass gewesen.

Dar war vor etwas mehr als einem Jahr gewesen, erinnerte sich Garth. Harold hatte ihn mitten in der Nacht per Ferngespräch angerufen. »Garth«, seine Stimme war fest und beherrscht gewesen, aber Garth hatte trotzdem sofort Unheilvolles geahnt, »Garth, Terri wurde von einem Auto überfahren. Es geschah heute nach der Schule. Sie - sie hatte schwere innere Verletzungen. Joe Hendley hier hat sie zu operieren versucht. Joe ist ein guter Chirurg, einer der besten. Aber«, Harolds Stimme zitterte erstmals, »sie starb auf dem Operationstisch.« Er hielt inne. Kannst - kannst du kommen? Wir brauchen dich.«

Schreck, Schmerz und die Sorge um Harold trafen Garth wie Keulenschläge. Er war sofort nach Windsor City geflogen und hatte dort die Erledigung der Beerdigungsformalitäten übernommen. Terri war Harolds achtjährige Tochter, ein reizendes Kind, das nichts vom methodischen Ernst seines Vaters an sich hatte. Sie war das völlige Ebenbild ihrer Mutter, ein Quecksilber mit viel Temperament und übermütigem Lachen. Harold hatte sie vergöttert. Während des ganzen Begräbnisses hatte Garth befürchtet, Harold würde vor Schmerz zusammenbrechen. Aber es geschah nicht. Harold hatte sich eisern in der Hand - vielleicht wegen seiner engen Vertrautheit mit dem Tod, wie sie jeder Arzt kennt, vielleicht auch aus einer inneren Kraft heraus, von der Garth nichts wusste. Harold hatte mit Garth über seinen Schmerz gesprochen. Er hatte wie ein Mensch gesprochen, der die Wirklichkeit erkannte und wusste, dass sie nicht zu ändern war.

»Außerdem«, so hatte er zu Garth gesagt, »braucht Terris Mutter meine Kraft notwendiger als Terri meinen Schmerz. Deila muss sich auf mich stützen können, ich darf sie nicht im Stich lassen.« Was typisch war für Harold! Denn soweit sich Garth erinnern konnte, hatte Harold seine eigenen Bedürfnisse stets zurückgestellt, um anderen zu helfen.

Ja, dachte Garth, Harold war wirklich ein Mann und war immer einer gewesen. Und er selbst sollte sich seiner nagenden Enttäuschung und Erbitterung schämen. Ohne Harolds Hilfe wäre er nicht einmal Arzt - nun konnte er Harold wenigstens dafür entschädigen. Während das Flugzeug dahinglitt, ließ Garth die Vergangenheit hinter sich, und sein Unwille verwandelte sich in wachsende Freude über das Wiedersehen mit Harold und ihre geplante Zusammenarbeit. Es würde schön sein.

In diesem Augenblick entrang sich der Kehle des Dicken auf der anderen Seite des Ganges ein sonderbares Geräusch. Ein ungeübtes Ohr hätte ihm keine Bedeutung beigemessen. Garth aber drehte neugierig den Kopf. Dann war er mit einem Satz auf den Beinen und stolperte fast über das erschreckte Mädchen an seiner Seite.

Sie richtete sich entrüstet auf. »Moment mal, was...«, begann sie. Dann folgte sie Garth mit den Augen und erblickte den Dicken. Sein Kopf hing nach hinten, seine Augen waren geschlossen, und seine Wangen, kurz zuvor noch blühend, waren krankhaft blass. Sein Gesicht trug alle Anzeichen des Todes, und er griff sich verzweifelt an die Brust.

Garth ließ sich neben dem Mann auf die Knie nieder. Seine Finger suchten automatisch den Puls. Er fand ihn nur leicht erhöht und nicht allzu unregelmäßig. Das war gut. Im Bestreben, durch den vernichtenden Schmerz zu dem Mann vorzudringen, sagte er mit barscher Stimme: »Nur ruhig. Ich bin Arzt. Hören Sie? Ich bin Arzt! Wo tut es weh? In der Brust, am Brustbein oder im linken Arm?«

Der Dicke nickte mit schweißbedecktem Gesicht. »Überall«, keuchte er.

Garth bemerkte, dass jemand hinter ihm stand. Er drehte sich um. Das Gesicht seiner Platznachbarin war weiß und angespannt, aber sie war völlig ruhig.

»Angina pectoris?«, fragte sie.

Garth nickte. Ihre präzise Frage überraschte ihn.

»Stewardess!«, rief das Mädchen.

Die Stewardess eilte aus dem Heck der Maschine herbei. Verschiedene andere Fluggäste erhoben sich jetzt neugierig von ihren Plätzen. Als die Stewardess an ihnen vorbeizukommen suchte, sagte das Mädchen mit dem kastanienbraunen Haar entschlossen: »Es ist schon gut. Bitte bleiben Sie auf Ihren Plätzen! Der Mann muss genügend Luft haben. Ein Arzt ist ja hier. Bitte gehen Sie an Ihre Plätze zurück!« Eine ganz Übereifrige beförderte sie kurzerhand persönlich auf ihren Platz.

Die Stewardess sah den schwer atmenden Mann angstvoll an. »Ist ihm übel geworden?«

Garth nickte. »Herzanfall. Angina pectoris. Ich bin Arzt. Sagen Sie dem Piloten, er muss so rasch wie möglich irgendwo zwischenlanden, wo dieser Mann in ein Krankenhaus geschafft werden kann. Er soll sofort eine Funkmeldung durchgeben und einen Krankenwagen samt Arzt und Sauerstoffgerät anfordern. Haben Sie verstanden?«

Die Stewardess nickte. »Ja, Herr Doktor.«

Garth wandte sich wieder dem Kranken zu. »Hatten Sie schon einmal so einen Herzanfall? Haben Sie irgendwelche Medikamente, irgendwelche Pillen, bei sich?«

Der Kranke schüttelte mühsam den Kopf.

»Gut«, sagte Garth beruhigend. »Wenn es Ihr erster Herzanfall ist, ist es wahrscheinlich nicht so schlimm. Er erhob sich und wollte es dem Mann etwas bequemer machen, um ihm das Atmen zu erleichtern. Zu seiner Überraschung ahnte das Mädchen sofort, was er tun wollte und hatte bereits den Hebel betätigt, der die Rücklehne aufrichtete.

»Ist es besser so?«, fragte Garth. »Können Sie jetzt leichter atmen?«

Der Kranke nickte, sein Atem rasselte etwas weniger.

»Nitroglycerin-Pillen!«, sagte das Mädchen. »Würden Sie den Schmerz nicht lindem?«

»Ja«, sagte Garth grimmig, »aber ich habe kein Nitroglycerin bei mir.«

»Soviel ich weiß, befinden sich an Bord dieser Flugzeuge Medikamente für die verschiedensten Notfälle«, sagte das Mädchen. »Hier kommt die Stewardess. Ich werde sie fragen.«

Sie fing die Stewardess ab, die aus der Pilotenkabine kam und sagte leise etwas zu ihr. Dann eilten beide an Garth vorbei nach dem Heck der Maschine. Einen Augenblick später waren sie zurück, und das Mädchen streckte ihm eine Arzneiflasche hin. »Ist das nicht das Richtige?«

Garth nahm die Flasche und warf einen raschen Blick darauf. »Sehr gut.« Er nahm eine Nitroglycerin-Pille heraus und schob sie dem Mann unter die Zunge.

Die Stewardess sagte: »Wir werden in fünf Minuten landen. Es ist nicht fahrplanmäßig, aber wir bekamen eine besondere Landeerlaubnis. Der Krankenwagen wird

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Richard Meade/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Martin Koenig/Apex-Graphixx.
Cover: Martin Koenig/Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Zasu Menil.
Übersetzung: Wiltrud Bichsel-Kessler und Christian Dörge (OT: Two Surgeons).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 29.05.2019
ISBN: 978-3-7487-0589-5

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