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Leseprobe

 

 

 

 

EVA CHRISTOFF

 

 

DIE TERRANAUTEN, Band 30:

Blick in die Vergangenheit

 

 

 

Science-Fiction-Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

BLICK IN DIE VERGANGENHEIT von Eva Christoff 

 

Das Buch

Man schreibt das Jahr 2500 irdischer Zeitrechnung.

Merlins Kampf in der Tagen vor Davids Geburt...

Merlin III erklärt David, dass durch die Schiffe der Grauen Valdecs Wahnsinn jetzt auch Rorqual erreicht hat, aber auch den Weg für ihn nach Rorqual eröffnet hat. Davids Bereitschaft, sich mit ihm in Verbindung zu setzen, erlaubte es ihm, als Banshee in ihn einzudringen und ihn durch die Zeit zu führen.

Merlin führt nun David nach Weltraum II, zeigt ihm die Sonnenburgen: Die Stätten, an denen die Seelen von Menschen sich gegen die Finsternis zur Wehr gesetzt haben. Nur Menschen mit besonderer Kraft können derlei Sonnenburgen errichten - wie Caesar oder König Artus...

 

DIE TERRANAUTEN – konzipiert von Thomas R. P. Mielke und Rolf W. Liersch und verfasst von einem Team aus Spitzen-Autoren – erschien in den Jahren von 1979 bis 81 mit 99 Heften und von 1981 bis 87 mit 18 Taschenbüchern im Bastei Verlag. 

Der Apex-Verlag veröffentlicht die legendäre Science-Fiction-Serie erstmals und exklusiv als E-Books.

  BLICK IN DIE VERGANGENHEIT von Eva Christoff

 

 

 

 

David terGorden folgte einem schmalen Waldweg, der dicht mit kurzem Gras und kleinen gelben Blumen bewachsen war. Zu beiden Seiten des Weges erhoben sich mächtige, Weit auseinanderstehende Bäume, deren Stämme so dick waren, dass es mehrerer Männer bedurft hätte, sie zu umfassen. Zwischen den Bäumen wucherten dornige Büsche, die sich zu einer undurchdringlichen Mauer verwoben und die neu aufschießenden Baumschösslinge erstickten.

Die Frage, wie er in diesen Wald gelangt war, kam David nicht in den Sinn. Es war ganz natürlich und richtig, dass er durch einen Wald ging, den es auf der Erde des Jahres 2500 längst nicht mehr gab; dass er warme Sommerluft einatmete und das pausenlose Summen der unzähligen Insekten hörte, die auf der Erde nur noch vereinzelt vorkamen.

David hatte vergessen, dass er sich vor wenigen Augenblicken noch auf Rorqual, der Stützpunktwelt der Terranauten in Weltraum II, befunden hatte. Durch die dunklen Gänge der Festung der Grünen Flieger war er geflohen, gehetzt von Grünen Fliegern, die von Seelen aus Weltraum II übernommen worden waren. Plötzlich hatte eine Seele Davids Bewusstsein übernommen und sich als Merlin III zu erkennen gegeben. Aber das alles hatte David vergessen.

Er ging schnell, mit gesenktem Kopf, als hätte er ein bestimmtes Ziel, das er unbedingt erreichen musste. Als der weiche Waldboden unter seinen Füßen leicht zu vibrieren begann, stutzte er, ging langsamer und sah sich einige Male um.

Durch die vielen Windungen des Weges, an denen Bäume die Sicht versperrten, konnte David nicht feststellen, wer oder was ihm folgte, obwohl die Schwingungen des Bodens sich zu einem gedämpften, aber wuchtigen Pochen verstärkten. David kümmerte sich nicht darum. Er wusste nur, dass er zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein musste, alles andere war für ihn unwichtig.

Und die lautlose Stimme in seinem Innern ließ ihm keine Zeit. Auf bleischweren Beinen watete er durch das hohe Gras den Hügel hinauf. Nach einigen hundert Metern wurde der Hang steiler. Ein schmaler, aber tief eingeschnittener Bach rauschte über ausgewaschene Felsstufen in einen tiefblauen Teich.

David kletterte am Ufer entlang weiter nach oben. Der Bach entsprang unter dem felsigen Gipfel des Hügels, der kahl und weiß aus dem Grün herausragte. Ein kleines Stück unterhalb der Quelle fiel das Wasser in einem funkelnden Schleier über einen Felsabbruch.

David erreichte die ebene Stelle am Fuß der Felswand und beobachtete das Spiel der Sonnenstrahlen auf dem Wasserfall. Seine Erschöpfung und auch der Zwang, immer weiterzugehen, waren verschwunden. Er hatte sein Ziel erreicht.

Mit schlafwandlerischer Sicherheit trat er in das Bachbett, das den Wasser-

fall aufnahm, spürte für einen Moment die feinen Tropfen in seinem Gesicht und stand in einem schmalen, hohen Steinbogen, der in eine runde Felskammer führte.

»Du hast mich gerufen«, sagte er laut. »Wo bist du?«

»Wo bist du, wo bist du, wo bist du?«, antwortete ein gedämpftes Echo, das an den Wänden entlanglief.

Der Fels war trocken und warm. David kam es vor, als atmete er langsam und regelmäßig wie ein schlafendes Lebewesen.

Behutsam trat er weiter in die Kammer hinein. Suchend blickte er sich um, aber er fand kein Zeichen, das auf einen Bewohner schließen ließ. Er ging an der linken, gekrümmten Wand entlang, bis er den hintersten Teil der Kammer erreichte, wo es eine kleine Nische gab.

David berührte den Fels, der an dieser Stelle matt leuchtete, und spürte, wie die scheinbar massive Wand unter seinen Fingern nachgab. Ein leichtes, nicht unangenehmes Prickeln lief über seine Haut, als er sich, ohne zu zögern, durch die watteartige Substanz drängte.

Grelle Helligkeit schlug gegen seine Augen und blendete ihn für einen Moment. Verschwommen erkannte er teppichbehangene Wände, Tierfelle auf dem Boden und lange Bänke an den Seiten des Raumes, die aus dem Fels herausgearbeitet waren.

Auf einer dieser Bänke saß ein weißhaariger Mann, reglos wie ein Toter, die Hände auf die Knie gestützt. Er blickte David entgegen aus Augenhöhlen, in denen die Schwärze des Universums glomm.

»Merlin«, sagte David verstört. »Warst du es, der mich gerufen hat?« Er beugte sich über den starren Körper und berührte ihn mit den Fingerspitzen. Im gleichen Augenblick durchfuhr ein greller Schmerz seinen Kopf. Etwas, das ein Teil von ihm selbst geworden war, riss sich aus seinem Bewusstsein, strömte aus ihm hinaus und hinterließ in David das Gefühl, gewaltsam aus einem tiefen Schlaf geweckt worden zu sein. Vollkommen verwirrt blickte er durch den fremdartigen Raum und dann auf Merlin, der tief und gleichmäßig zu atmen begann, in dem gleichen Rhythmus, in dem auch die Felswände der Kammer pulsierten, die David zuerst betreten hatte.

»Farrell, Ramée, Reta«, fragte David. »Wo sind sie? Und Ödrödir …? Ich war doch eben noch in Ödrödir. Ich weiß genau, dass ich am Eingang der Höhle eingeschlafen bin, und als ich aufwachte, wurde ich von einer Banshee …«

Merlin bewegte sich. Die starre Haltung seines Körpers lockerte sich, und er wandte den Kopf, um David anzusehen.

»Deine Freunde sind in Sicherheit«, sagte er bedächtig. »Vorläufig wenigstens. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«

David nickte geistesabwesend. »Aber ich begreife das alles nicht«, murmelte er. »Ich war auf Rorqual. Wir suchten einen Ausgang aus der Burg der Grünen Flieger. Dann Dunkelheit – alles veränderte sich. Ich öffnete eine Tür und fand mich in Grönland wieder. Da war der Weg, auf dem ich zu dir gekommen bin – Ödrödir, Yggdrasil. Der Baum war gesund und kräftig wie früher, als ich noch ein Kind war. Eine Banshee griff mich an – von da ab weiß ich nichts mehr. Ich kam hierher. Und hier finde ich dich. Dabei habe ich mit eigenen Augen deinen Leichnam gesehen.«

Merlin schüttelte den Kopf. »Ich war nicht tot«, sagte er. »Ich bin nur wieder dahin zurückgekehrt, woher ich kam – nach Weltraum II. Für mich kann es viele Tode geben, aber niemals einen endgültigen. «

David wich unwillkürlich zurück. Er kannte Merlin, seit er denken konnte. Der alte Mann war sein Begleiter durch seine Kindheit gewesen und später ein unschätzbarer Helfer. Schon immer war Merlin von Geheimnissen umgeben gewesen, aber doch menschlich. Jetzt allerdings hatte David das Gefühl, einem vollkommen fremden und unglaublich mächtigen Wesen gegenüberzustehen.

»Wie ist das möglich?«, fragte er.

Merlin schüttelte den Kopf. »Warum hast du auf einmal Angst vor mir?«, fragte er. »Du erinnerst mich an die Menschen, die ich in meiner Jugend kannte. Sie fürchteten alles, was sie nicht verstehen konnten, und rotteten es aus. Von dir hätte ich diese Reaktion allerdings nicht erwartet.«

David setzte sich auf eine der Bänke. »Ich habe keine Angst«, meinte er. »Nur mein Gehirn weigert sich, noch mehr an ungelösten Fragen und Problemen aufzunehmen. Wenn ich dich recht verstehe, hast du mich also hierher geführt. Und wo bin ich hier?«

»In meiner Vergangenheit«, antwortete Merlin lächelnd. »Auf der Suche nach Wissen und nach Hilfe bist du nach Ödrödir geflüchtet oder wenigstens in ein Abbild von Ödrödir, denn du warst immer noch auf Rorqual. Die Welträume überschneiden sich dort. Risse sind entstanden, und du hast einen von ihnen gefunden. Es war die böse Macht der Schiffe, die euch verfolgt haben. Valdecs Wahnsinn hat jetzt auch Rorqual erreicht. Aber das Böse bringt auch manchmal Gutes hervor. Es öffnete auch mir ein Tor nach Rorqual. Deine Bereitschaft, dich mit mir in Verbindung zu setzen, bot mir die Möglichkeit, als Banshee in dich einzudringen und dich durch die Zeit zu führen – zu mir. Du befindest dich mehr als tausend Jahre in der Vergangenheit, in einem England, dessen Bevölkerung von den normannischen Eroberern unterdrückt wird.«

»Ich wollte zu dir, um zu erfahren, was es mit Rorqual auf sich hat«, sagte David tonlos. »Ein Abbild von Ödrödir, sagst du?«

Merlin nickte. »Ein Heiliges Tal, wie du es dir gewünschst hast«, sagte er. »Rorqual selbst ist nichts, aber Rorqual ist die Heimat aller Verlorenen.«

»Ist das die Antwort auf meine Frage?«

»Es wird eine Antwort sein, sobald du darüber nachdenkst und begreifst. Aber ich habe dich hierher gerufen, weil ich mit dir über Yggdrasil sprechen muss. Du weißt, dass ihr verloren seid, wenn Yggdrasil endgültig stirbt?«

»Ich weiß es!«, sagte David heftig. »Aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich es auch glauben soll. Yggdrasil, die Misteln – sind sie wirklich so wichtig für die Treiberraumfahrt? Ich habe lange keinen Kontakt mehr mit Yggdrasil gehabt. Was ist sie wirklich? Was sind ihre Ziele? Und wie ist es möglich, dass du dich zwischen den Welträumen bewegen kannst, wie ein Mensch von einem Planeten zum anderen fliegt – und ganz ohne Misteln?«

»Was Yggdrasil betrifft – so steht es mir nicht zu, darüber zu reden. Die Terranauten müssen ihr helfen, sie darf nicht sterben. Wenn die Zeit gekommen ist, wird sie selber mit dir sprechen.«

»Wird sie das?«, fragte David zweifelnd.

»Du kannst sicher sein. Yggdrasil ist von größerer Bedeutung, als du jetzt ahnen kannst. Sie ist die Beschützerin und die Botschafterin der Menschheit im Kosmos. Dass ich ihre Misteln nicht brauche, um mich in Weltraum II zu bewegen, hat einen bestimmten Grund. Meine Familie ist uralt, und alle meine Vorfahren befassten sich mit Magie, wie man es damals nannte. Sie wussten um die verborgenen Fähigkeiten des menschlichen Gehirns, und so erfuhren sie vom zweiten Universum. Innerhalb von Generationen mehrte sich das Wissen, und hätten nicht die Römer das Geschlecht der Druiden nahezu ausgerottet – vielleicht hätte die Menschheit schon viel früher die Geheimnisse des Weltalls erforscht.«

»Und du warst einer dieser Druiden?«

Merlin schwieg eine Weile. Auf eine Handbewegung von ihm erlosch die grelle Helligkeit, die den Raum erfüllt hatte. Das Felsgestein der Nische, durch die David gekommen war, wurde klar und durchsichtig wie Glas. Gedämpftes Sonnenlicht, durch den Wasserfall vor dem Höhleneingang in matte Farben zersplittert, fiel in den Raum.

»Ich war von ihrem Blut und hatte die Gabe. Das Wissen aber musste ich mir selbst aneignen. Dir alles zu erzählen, würde zu weit führen. Nur soviel: Ich diente König Artus, dem letzten großen Herrscher der Briten, bevor das Volk der Sachsen die Macht an sich riss, das wiederum von den Normannen verdrängt wurde. Ich diente Artus lange Zeit, bis ich einer Intrige zum Opfer fiel. In einem Moment der Unachtsamkeit wurde ich in diese Höhle verbannt und in einen Schlaf gezwungen, der nach dem Willen meiner Feinde ewig dauern sollte.«

David sprang unruhig von der Bank auf und wanderte durch den Raum. Nicht einmal in der Burg der Grünen Flieger hatte er sich so fremd und unsicher gefühlt wie in der Welt, die Merlin mit seinen Worten vor ihm erstehen ließ.

»Die Menschen deiner Zeit müssen mächtiger gewesen sein als wir«, sagte er unwillig. »Das ist doch unmöglich. Haben wir denn in fast zweitausend Jahren nichts dazugelernt?«

»O doch. Die Menschheit hat gelernt, aber sie hat sich nicht entwickelt. Im Grunde seid ihr immer noch die gleichen wie vor tausend oder zweitausend Jahren. Und ihre PSI-Fähigkeiten haben die Menschen lange Zeit geleugnet. Selbst das Jahrhundert, in dem du lebst, empfindet sie noch als erschreckend. Die Garden hatten viele freiwillige Helfer, als die Jagd auf die Treiber begann.«

»Und zu deiner Zeit war das anders?«

»Bei der Masse der Bevölkerung nicht, aber unser Geschlecht suchte einen anderen Weg, den Weg des Liedes und der Bäume. Wir wandten uns unserem Geist zu, und wir mussten ihn ausnutzen, um zu überleben.«

»Wenn deine Feinde so stark waren, wie ist es dir dann gelungen, dich aus deinem Gefängnis zu befreien?«

»Es dauerte einige Jahrhunderte, bis der Bann durch die Veränderungen, die in der Welt vor sich gingen, so weit geschwächt war, dass ich ihn abschütteln konnte – teilweise. Mein Körper blieb in dieser Höhle, aber es gelang mir, meinen Geist freizusetzen. Bei meinem Erwachen fand ich mich in dem Raum, den du Weltraum II nennst.«

 

*

 

Merlin stand abwartend vor dem durchsichtigen Teil der Felswand und beobachtete, wie sich vor der Höhle die Dämmerung herabsenkte, während David, der sich wieder gesetzt hatte, schweigend vor sich hinstarrte.

Es war David nie zu Bewusstsein gekommen, dass Merlin eine Vergangenheit haben könnte. Er hatte den alten Mann als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, die immer da gewesen war und immer da sein würde. Erst durch Merlins Bericht war ihm klar geworden, wie weit der Hüter Yggdrasils seine Ahnenreihe zurückverfolgen konnte und wie fest er in der Vergangenheit verwurzelt war.

David ballte die Fäuste. Er dagegen – sicher, er hatte seinen Vater gekannt, aber was wusste er von seiner Mutter? Gelegentlich hatte er verschwommene Andeutungen aufgeschnappt und natürlich die Geschichten gehört, die über Myriam terGorden im Umlauf waren, aber was davon konnte man glauben? Und was wusste er von den bedeutsamen Ereignissen der Zeit vor seiner Geburt? Nichts!

Er hob den Kopf, um Merlin eine Frage zu stellen, als er das Gefühl hatte, von einer gewaltigen, eiskalten Faust im Nacken gepackt zu werden. Die teppichbehangenen Felswände um ihn herum drehten sich in einem wahnwitzigen Wirbel, und die Faust drückte ihn unbarmherzig nach vorne auf einen senkrechten Schacht zu, der sich vor seinen Füßen öffnete.

Vor Überraschung war er im ersten Moment zu keiner Gegenwehr fähig. Der raue Stein der Bank, an der er sich festklammerte, zerriss die Haut in seinen Handflächen. Er spürte den Schmerz nur ganz am Rande seines Wahrnehmungsvermögens. Alle seine Sinne waren auf die winzigen Gestalten konzentriert, die vom Boden des Schachtes zu ihm aufblickten.

Farrell, Reta und Ramée saßen in einem Kreis von Malaiara. Flackerndes Licht beleuchtete ihre Gesichter, in denen Erstaunen und Verständnislosigkeit standen. Farrell bewegte die Lippen, und David glaubte, seinen Namen davon ablesen zu können. Er wollte rufen, aber der Druck in seinem Nacken presste seinen Oberkörper so weit hinunter, dass er das Gleichgewicht zu verlieren drohte.

Panikerfüllt krümmte er den Rücken und stemmte sich gegen den furchtbaren Griff in seinem Genick. Das Knirschen seiner vor Anstrengung zusammengepressten Zähne dröhnte durch seinen Kopf, und er hatte das Gefühl, dass seine Halswirbel jeden Moment brechen mussten. Trotzdem kam die schwarze Öffnung immer näher auf ihn zu. Blut schoss in seine Augen, aber er konnte sehen, dass Farrell und Ramée aufsprangen und ihre Hände nach ihm ausstreckten, während Reta sich duckte und die Augen zuhielt.

In dem Augenblick, als seine Armmuskeln nachgaben und er kopfüber von der Bank in den Schacht stürzte, verschwanden die Miniaturgestalten seiner Freunde. Er fiel auf eine gigantische silberne Fläche zu, auf die in Schwarz zwei Buchstaben aufgemalt waren – JO. Mehr konnte er nicht erkennen, da er unwillkürlich die Augen schloss.

Der rasende Sturz endete abrupt. David stand in dem Computerring eines Raumers und sah vor sich den goldglänzenden Rücken Llewellyns, der in seinem Stuhl herumschwang und ihn fassungslos anstarrte. David wollte auf ihn zugehen, aber es gab keinen festen Boden unter seinen Füßen. Er roch zwar den unverwechselbaren Geruch, der in dem Computerring jedes Schiffes herrschte, ein Gemisch aus erwärmtem Protop und Metallfolie, aber er konnte nichts berühren.

Immer mehr Treiber, die sich innerhalb des Ringes aufgehalten hatten, strömten zusammen. David sah bekannte und fremde Gesichter, unter ihnen auch die beiden Camerons. Es war gespenstisch zu beobachten, wie sich Lippen bewegten, ohne dass ein Laut zu hören war. Llewellyn war aufgestanden und kam auf ihn zu, aber noch während er sich zwischen den Besatzungsmitgliedern des Schiffes hindurchdrängte, rückte er immer weiter von David weg. Die Menschen, das Schiffsinnere glitten in die Tiefe wie eine Spielzeuglandschaft auf einer absinkenden Liftplatte. Ein feuriger Ball explodierte in Davids Kopf und löschte sein Bewusstsein aus.

 

*

 

Der grausame Schmerz in seinen verkrampften und überdehnten Muskeln brachte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Er hockte immer noch in vornüber geneigter Haltung auf der Felsbank und starrte auf den geglätteten Steinboden vor sich.

Stöhnend richtete er sich auf, schwang die Beine hoch und legte sie vorsichtig zurück. Die raue Unterlage war nicht eben bequem, aber sie war solide, und nach den Ereignissen der letzten Stunden hatte David ein starkes Bedürfnis nach soliden Dingen.

Merlin setzte sich neben ihn. Sein weißes Haar war schweißdurchtränkt und wirkte wie altes Silber, sein Gesicht war erschöpft.

»Sie denken an dich«, sagte er, »und beinahe wäre es ihnen gelungen, dich zurückzuholen. Rorqual gerät in Bewegung. Es geschehen Dinge, die nicht sein dürften. Zu viele Psi-begabte Hirne in einem kleinen Areal massiert – das ist nicht gut.«

»Was meinst du damit?«, fragte David mürrisch.

»Du hast deine Antwort schon bekommen«, erwiderte Merlin. »Sobald du dir die Zeit nimmst, darüber nachzudenken, wirst du wissen, was ich gemeint habe.«

David legte einen angewinkelten Arm über seine Augen.

»Andeutungen«, murmelte er. »Mein ganzes Leben besteht aus Andeutungen und unbeantworteten Fragen. Nie bekomme ich eine klare, eindeutige Antwort. Schon als Kind, wenn ich nach meiner Mutter fragte, redeten alle Leute plötzlich von etwas anderem. Ich fühlte mich immer wie ein Monstrum, eine Missgeburt, der man aus Mitleid verschweigt, was mit ihr nicht stimmt.«

»Du bist weder ein Monstrum noch eine Missgeburt«, sagte Merlin leise. »Wenn du dich so gesehen hast, war es die Schuld deines Vaters. Er konnte nie verwinden, dass …«

Merlin brach ab. David fuhr hoch.

»Die Schuld meines Vaters!«, sagte er zornig. »So einfach ist das also. Meinen Vater habe ich kaum gesehen, aber du warst immer da, und du hast mir auch nichts gesagt. Hast du keine Schuld?«

Merlin wiegte den Kopf. »Vielleicht«, meinte er. »Ich wollte abwarten, bis du alt genug warst, um begreifen zu können, was ich dir mitzuteilen hatte. Es ging nicht einfach nur darum, dir zu sagen, wer und was deine Mutter gewesen ist, sondern zugleich mit diesem Wissen hätte ich dir eine schwere Bürde übergeben müssen, der du damals noch nicht gewachsen warst.«

»Jetzt bin ich alt genug. Und die Bürde habt ihr mir schon lange aufgeladen. Wie wäre es, wenn ich jetzt endlich erfahren dürfte, weshalb ich eigentlich so unersetzlich als Führer der Terranauten sein soll?«

Merlin legte ihm eine Hand auf die Schulter und sah ihm forschend in die Augen. David erwiderte den Blick.

»Du bist immer noch sehr jung«, sagte Merlin nach einer Weile, »immer noch zu leicht erregbar und sehr verletzlich. Doch das ist kein Fehler. Du bist der, der du werden solltest nach dem Willen Yggdrasils und deiner Mutter.«

»Dem Willen Yggdrasils?« David unterdrückte die Unsicherheit, die in ihm aufstieg.

»Es hätte keinen Zweck, dir mit Worten erklären zu wollen, was vor deiner Geburt geschehen ist«, sagte Merlin. »Wenn du einverstanden bist, werde ich in dein Bewusstsein eindringen und dir all meine Erinnerungen an deine Mutter übermitteln. Allerdings kann man nicht an jeder beliebigen Stelle in den Strom der Zeit springen. Deshalb wirst du auch an anderen Dingen teilhaben, die ich durchlebte, nachdem ich in Weltraum II aus meinem Bann erwachte.«

»Irgend jemand hat einmal gesagt, dass der Weg zur Wahrheit immer lang ist«, meinte David und versuchte ein Lächeln.

Merlin drückte ihn sanft in liegende Stellung zurück und beugte sich über ihn. Die schwarzen Abgründe seiner Augenhöhlen, in denen sich das Universum spiegelte, verbreiteten ein zitterndes Licht, hinter

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Eva Christoff/Apex-Verlag. Published by arrangement with Thomas R. P. Mielke and Rolf W. Liersch.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx. DIE TERRANAUTEN-Logo by Arndt Drechsler.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Zasu Menil.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 23.05.2019
ISBN: 978-3-7487-0555-0

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