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Leseprobe

 

 

 

 

 

MALLORY T. KNIGHT

 

Draculas Tochter

 

 

 

 

Roman

 

 

Apex Horror, Band 31

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DRACULAS TOCHTER 

Prolog 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

 

Eine Dissertation 

 

Das Buch

 

Sie ist schrecklich sexy und frostig schön, und sie verwandelt sich jedes Mal in einen Vampir, wenn sie mit einem Mann zusammen ist – was kaum verwundert, schließlich ist diese laszive Schönheit die Tochter Draculas!

Draculine ist die Sensation  im Swinging London: Sie ist in, gilt weit und breit als das aufregendste Sex-Symbol. Ihr Merkmal – der sogenannte Todeslook – wird zum letzten Schrei, zur tonangebenden Mode.

Auch ihre Lieblingstiere passen zu ihr und ihrem Look – süße, kleine, schwarze Fledermäuse, die sie ständig umschwirren. Niemand ahnt, dass eine dieser Fledermäuse Draculines Vater ist – und Draculines Vater ist kein geringerer als der legendäre und gefürchtete Graf Dracula.

Bis schließlich geheimnisvolle, schauerliche Dinge geschehen...

 

Der Roman Draculas Tochter von Mallory T. Knight (= Daniel Hollywood und Hal Hackady) erschien erstmals im Jahr 1969 und gilt bis heute als ein typisch englischer Geniestreich des schwarzen Humors; nicht von ungefähr gemahnt dieser Roman an die wunderbare Horror-Film-Satire Die Herren Dracula (Dracula père et fils, 1976 – Regie: Édouard Molinaro). 

Der Apex-Verlag veröffentlicht Draculas Tochter als durchgesehene Neuausgabe in seiner Reihe APEX HORROR. 

DRACULAS TOCHTER

 

 

 

 

 

  Prolog

 

 

Tief im Karpatengebirge Transsylvaniens, in einem hässlichen Haufen riesiger Felsbrocken, liegt - nistend wie ein faules hartgesottenes Ei, das aus den Wolken gefallen ist - eine feuchte und zerfallene Burg. Abgeriegelt wird sie von einem dichten Kranz nahezu undurchdringlicher Wälder, in denen sich nur Wölfe, Wildkatzen, sexverrückte Teenager und andere nächtliche Geschöpfe heimisch fühlen können.

Das 969 Jahre alte Gemäuer ist fünf Meilen vom nächsten öffentlichen Verkehrsweg und sieben oder acht vom nächsten Dorf entfernt. Umgeben ist es von einem tiefen, ausgetrockneten, steinigen Burggraben, in dem es nur von Spinnen, zischenden Reptilien und zerbrochenen Coca-Cola-Flaschen wimmelt. Über den Graben führt eine altertümliche Hängebrücke mit verfaulten Bohlen und verrosteten Ketten, die seit den Tagen Hugos des Schrecklichen, dem vormaligen Burgherrn im fünfzehnten Jahrhundert, nicht mehr geklirrt haben.

Bis zu jener schicksalhaften Nacht im Frühling des Jahres 1950 hätte sich niemand, der recht bei Sinnen war - selbst nicht der Chef der hiesigen Geheimpolizei -, auch nur in die Nähe der Burg gewagt. Im weitesten Umkreis war es bekannt, dass an diesem Ort der berüchtigte Graf Dracula und sein Vampirgefolge hausten. Weniger bekannt war dagegen den einfachen Dörflern und Bauern, dass sie vor den Nachstellungen der Monster völlig sicher waren. Das war einem hochherzigen Vertrag zwischen der kommunistischen Partei und Dracula zu verdanken. Ein oder zwei Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs hatte ein skrupelloser, aber wagemutiger Regierungsbeamter aus Budapest den Pakt mit den Vampiren - mit Blut, versteht sich - unterschrieben, worin ein ständiger Nachschub frischer Opfer garantiert wurde. Sie stammten vornehmlich aus den Kreisen von politisch Unerwünschten, Konterrevolutionären, Spionen und gelegentlichen Verkehrssündern. Bei den letzteren handelte es sich meistens um Besitzer illegal eingeführter VWs.

Aber zurück zu jener Frühlingsnacht 1950.

Obwohl es niemand im Dorf eingestanden hätte, bestanden die Haupteinnahmen dieser Umgebung in der Produktion außergewöhnlich schöner Jungfrauen, die, wenn sie die Pubertät erreicht hatten, in die Hauptstadt exportiert und von da an nie mehr gesehen wurden. Dieser Betrieb schüttete ansehnliche Dividenden aus, denn die braven Mädchen vergaßen nie, Geld nach Hause zu schicken, und somit sah sich kaum jemand zu schwerer Arbeit gezwungen.

Die einzigen, die also unter diesem System wirklich litten, waren die jungen Männer. Aber ihr Unglück war nicht allzu groß. In ihrer unendlichen Weisheit hatte die Obrigkeit in Budapest den Dörflern ein unglaubliches Geschöpf namens Charmaine Shakowski zugestanden, das - milde ausgedrückt - eine wandelnde Sex-Verzauberung war. Monumentale Brüste hüpften bei jedem Schritt, den sie tat, und waren immer in Begriff, sich aus dem lose sitzenden Kleid zu verselbständigen. Charmaines Haut aus Milch und Honig, jedem männlichen Dorfbewohner über zwölf aufs intimste vertraut, war glatt und makellos, und die untere Hälfte ihres Körpers war keinen Quadratmillimeter minder spektakulär.

Sie arbeitete im Gasthaus ihres Onkels, wo sie Betten machte, wenn sie nicht gerade in ihnen herumtollte, und Bier an der Theke oder kleine Gefälligkeiten in den dunkleren Winkeln der Wirtschaft austeilte. Charmaines Schönheit wurde nur noch übertroffen von der Einsatzfreudigkeit, mit der sie sich um das Wohlergehen der männlichen Kundschaft kümmerte.

In jener fatalen Nacht im Jahre 1950 hatte Charmaines Onkel Sandor wieder einmal erklecklichen Umsatz gemacht.

Es war spät und die üppige Blondine, die nur zu gut wusste, was sich in dem Verstand des verdorbenen Lustgreises regte, entschloss sich zu gehen, ehe die allwöchentliche Treibjagd durch die Gaststube begann. Sie zog eine Handvoll Geldnoten und Münzen aus den verschiedenen Verstecken ihres wundervollen Körpers, warf sie verächtlich zu Boden, wo der alte Mann auf allen vieren fieberhaft der Schätze habhaft zu werden versuchte. Dann schritt sie zur Tür, warf sich einen Schal um den Hals und entschwand in die Finsternis.

Am wolkenlosen Himmel hing der Vollmond, ein eisiger Wind blies und Charmaine zog den Schal enger. Es fror sie jedoch nicht; nach all den Stunden in der verräucherten Taverne empfand sie die frische Luft als Wohltat. Außerdem freute sie sich auf ein Rendezvous mit drei russischen Soldaten, die ihr eine echte amerikanische Drei-Dollar-Note für diverse akrobatische Kunststückchen versprochen hatten. Und so eine Gelegenheit ließ man sich wohl kaum entgehen.

Aber als Charmaine frohgemut durch den monddurchfluteten Wald dahinwandelte, konnte sie nicht ahnen, dass auf der Burg Dracula etwas vorging, das sich schicksalhaft auf den weiteren Verlauf ihres Lebens auswirken sollte. Denn dies war die Nacht, in der sich der Graf zu dem geheimen Treffpunkt einfand, um aus den Händen seiner Vertragspartner die wöchentliche Ration frischer Opfer zu empfangen.

Augenblicke, nachdem Dracula mit fliegendem Umhang und fiebernden Augen in die Wälder getaucht war, kam sie des Wegs und ließ sich fröhlich von den Elementen umschmeicheln. Sie beschleunigte ihren Schritt, warf den Kopf zurück und lachte übermütig, als ein Windstoß ihren Schal losriss und ihn wie eine durchsichtige Spirale vor ihr hertrug. Mehrmals versuchte sie den Schal zu erwischen, aber jedes Mal flatterte ihr der Zipfel wieder davon, bis er plötzlich an einem schwarzen Baumstumpf hängenblieb. Bevor er sich vollends um den Baum hätte wickeln können, hatte Charmaine ihn gefasst.

Aber nein, das war ja gar kein Baum. Das waren zwei Beine, die in einer schwarzen Hose steckten. Den Schal aufhebend, ließ Charmaine die Hand an einem Bein hochgleiten, und ein wohliges Schauern begann sich in ihrem herzigen Schoß auszubreiten. Ein plötzlicher Geruch von Verfall machte sie niesen.

»Gesundheit!«, sagte eine tiefe Stimme.

»Danke«, erwiderte sie. Sie richtete sich auf und schlang den Schal um die Schultern, als sie den lodernden Blick des dunklen, stattlich gebauten Fremden bemerkte. Sie musterte ihn kühl.

Mit einer gleitenden Bewegung löste er den Umhang, stieß ein unfrohes Lachen aus und bleckte die Eckzähne, die bereit waren, sich in das weiche rosige Fleisch ihres lieblichen Halses zu graben. Aber bevor der Vampir zur Tat schreiten konnte, fühlte er, wie parfümierte Finger seinen Kopf schraubstockartig umklammerten. Sein Kopf wurde nach hinten gebogen, während Charmaine ihre Scham seinen Lenden entgegenstieß, sie wie einen wildgewordenen Entsafter rotieren ließ, und konvulsivisch seine Wangen, Nase, Augen und Mund mit heißen Küssen bedeckte. Er stolperte rückwärts, nach Atem ringend. In ihren Augen war keine Furcht, nur Wollust. Längst vergessene Sinnlichkeit regte sich in den Lenden des überraschten Vampirs und während er immer noch rückwärts taumelte und sich sein Cape in einem Dornenbusch verfing, stieß die tollwütige Wildkatze, Ironie aller Ironien, ihre Zähne in seinen Hals.

»Aaaah... Stop! Ich bin Graf Dracula... glaahh... gl... glugg... glugg... glugg...«, gurgelte er voller Panik.

Aber gegen Charmaine war kein Kraut gewachsen. Fauchend wie eine Dampfmaschine riss sie ihm die Kleider vom Leib, während sie engumschlungen eine Böschung hinabrollten. Statt an Blut dachte Dracula jetzt nur noch an die exquisiten Sensationen, die seinen schon unendlich lange toten Körper durchrasten. Sensationen, die noch erhöht wurden durch die selbstvergessenen Verrenkungen einer quietschenden, keuchenden, kratzenden Blondine, deren Fleisch über dem seinen wütete.

Viele Monate später - etwa neun - schleppte ein wütender Bauersmann ein weinendes blondes Mädchen aus der Praxis des Dorfarztes. Dem Mädchen schien nicht viel an der Begleitung gelegen, aber er hing wie eine Bulldogge an ihrem Arm und verpasste ihr pausenlos klatschende Schläge auf den wohlgeformten Hintern. Sie kamen zu einer kleinen Hütte am Rande des Dorfes. Zwei klotzige Burschen zersägten einen Baumstamm vor der Einfahrt, als eine Tür aufgestoßen wurde und eine breite rotgesichtige Frau herausgeeilt kam.

»Papa, um Himmels willen!«, rief die Frau.

»Los, rein mit dir!«, dröhnte der Bauer und stieß das Mädchen durch die Tür.

»Papa!«, flehte die Frau und zupfte seinen Ärmel, als er die Hütte betrat. »Was hat der Doktor gesagt?«

»Ist doch unwichtig«, grunzte er und schlug die Tür zu.

Wie ein wütendes Rhinozeros stieß er Charmaine zu Boden. »Wer ist der Vater?«, herrschte er sie an. Sie rappelte sich auf und legte ihre Stirn in Falten.

»Ich... ich weiß es nicht«, sagte sie zögernd.

»Blödsinn! Wer ist der Vater?«

»Antworte deinem Vater!«, unterbrach ihre Mutter. »Die Frage ist berechtigt.«

Charmaine starrte zum Fenster hinaus.

Er riss eine Peitsche vom Kleiderständer, hob sie drohend und schrie: »Hör zu, du kleine Hure! Du sagst es mir sofort oder ich schlage es aus dir heraus!«

»Nein, Papa, nein!«, protestierte Mama und warf sich energisch zwischen ihn und ihre Tochter.

»Untersteh' dich, ihr zu helfen. Los, aus dem Weg! Jetzt, zum allerletzten Mal... wer ist der Vater?« Er ließ die Peitsche knallen. Seine Finger krallten sich um den Griff. Plötzlich erschien ein Lächeln auf Charmaines Gesicht und sie wies zum Fenster hinaus. Ihr Vater ließ die Peitsche sinken und folgte ihrem Blick; zuerst konnte er nichts erkennen, dann weiteten sich plötzlich seine Augen vor Entsetzen. Fassungslos wandte er sich zu seiner Frau.

»Mein Gott!«, stöhnte er.

»Was ist denn, Papa? Was sagt sie denn?«

»Mein Gott!«, wiederholte er. Er bekreuzigte sich und schüttelte den Kopf.

Sie spähte durchs Fenster und sah dann auf ihre Tochter.

»Graf Dracula!«, sagte Mama. »Liebling, willst du sagen, dass Graf Dracula der Vater ist?«

Charmaine schlug die Augen nieder.

»Papa, will sie das sagen?«

»Nun«, fragte er, einen Schritt näher tretend, »willst du das etwa behaupten?«

»Ja!«, gab Charmaine triumphierend zur Antwort.

Er bückte sich nach der Peitsche. »Grrr! Ich bring dich um! Ich bring dich um!«

Mama packte ihn am Arm. »Papa, lass das! Überleg doch mal!«

»Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank? Was gibt's da noch zu überlegen?«

»Papa, Papa«, murmelte Mama plötzlich ergriffen, »überleg' doch - unsere Tochter - eine Gräfin!«

»Was, willst du deine Tochter etwa mit einem Vampir verheiratet sehen?«

»Vampir, Schmampir!«, äffte Mama ihn nach und umarmte die strahlende Charmaine. »Bloß weil sich ein paar Besserwisser das Maul zerreißen, er sei ein Vampir, muss er noch lange keiner sein. Hör zu -«

»Pah, du weißt genau, was sie im Dorf sagen. Er schläft in seinem Sarg.«

»Na, großartig. Unsere Söhne schlafen im Stall. Sind sie deshalb Ziegen? Charmaine, Schatz, setz dich hin.«

Er feuerte die Peitsche auf den Boden, glotzte seine Frau an und drohte zornig mit dem Zeigefinger. »Und was ist mit all diesen geheimnisvollen Toten... den Malen an ihren Hälsen... dem Zeichen des Vampirs?«

»Puh!« Seine Frau zuckte die Schulter. »Ärzte, was wissen die denn schon? Charmaine, Schatz, fühlst du dich auch gut? Kann ich dir was bringen?«

»Am liebsten sähe ich sie tot«, grollte Papa.

Seine Frau rümpfte die Nase. »Willst du dir vielleicht den Klatsch des ganzen Dorfes zuziehen? Willst du vielleicht, dass der Bürgermeister eine öffentliche Bekanntmachung gibt? Vielleicht solltest du dich hinlegen, Schatz, hm? Das kannst du mir glauben, Papa, es ist besser, sie sagen, unsere Tochter ist mit einem Vampir verheiratet, als dass sie sie für ein Flittchen halten.«

»Vielleicht hast du recht, Mama«, überlegte der Alte und bohrte sich in der Nase. »Das Kind würde den Titel erben.«

»Wer denn sonst?«, rief Frau Shakowski. »Denk doch mal nach, Papa! Ein Adelstitel! Wenn es ein Junge ist - und warum sollte es kein Junge sein?« Sie bedachte ihre drei klotzigen Söhne, die mit herabhängenden Kinnladen in der Tür standen, mit einem vielsagenden Blick. »Stell dir vor... ein Graf in unserer Familie... so was kann doch nur uns passieren!«

Das Streitgespräch dauerte bis in die Nacht hinein. Spät nach Mitternacht zog eine seltsame Prozession entschlossen durch die Dunkelheit zur Burg Dracula. In der ersten Reihe, mit einem brennenden Kreuz bewehrt, schritt Pater Imre, der Dorfpriester. Hinter ihm kam Papa Shakowski, der eine schluchzende Charmaine hinter sich herzerrte. Dahinter seine Frau, einen Wollknäuel in der Hand, eine lange Stricknadel in der anderen, ein Halsband aus frischem Knoblauch auf ihrem wogenden Busen. Den Schluss bildeten ihre drei Söhne, Vlad, Sigismund und Attila, die alle Fackeln trugen.

Niemand sprach ein Wort, bis sie schließlich die zerbröckelnden Ruinen der Burg Dracula erreichten. Sie hielten kurz inne, schlugen ein Kreuz und marschierten dann über die ächzende Hängebrücke. Der alte Shakowski schob Pater Imre sanft zur Seite und pochte gegen das Tor. Ein hohles Echo war die Antwort, sonst nichts. Einen Fluch auf den Lippen, bewegte er den Türgriff und zur unangenehmen Überraschung aller schwang die Tür leise knirschend auf.

»Worauf wartest du noch?«, sagte Mama. »Geh doch schon.« Erst als der zitternde Pater Imre die Türschwelle überschritten hatte, folgte Papa, den übrigen ein Zeichen gebend, nachzukommen. Die düstere Eingangshalle roch nach feuchtem Grabgewölbe. Überall hingen riesige Spinnennetze, Ratten suchten Deckung, und unsichtbare Fledermäuse schlugen mit den Flügeln. Der flackernde Schein von Kreuz und Fackeln warf gespenstische Schatten an die Wände. Während sich die Eindringlinge enger aneinander drängten und überlegten, was sie als nächstes tun sollten, erscholl eine kichernde Stimme.

»Was wünschen die Herrschaften?«

Aller Augen wandten sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Auf der untersten Stufe der Steintreppe verharrte Klaus, Draculas missgestalteter klumpfüßiger Majordomus. Es war ein grotesker Anblick, wie er so dastand und sie anstarrte, eine lange schwarze Kerze in der Hand, die aus einem Menschenschädel ragte. Mama Shakowski unterdrückte einen Schrei und schlug noch einmal rasch das Kreuz, aber Papa, der sah, dass Klaus von zwergenhaftem Wuchs war, ging auf ihn zu und packte ihn am Kragen.

»Wo ist dein Herr?«, fauchte der erzürnte Vater. Klaus versuchte sich aus dem Griff zu befreien, aber Shakowski verpasste ihm zwei schallende Ohrfeigen. »Wo?«, wiederholte er. Klaus riss sich los, schlüpfte an der Gemeinde vorbei und humpelte, so schnell er konnte, durch einen niedrigen Gang, der zur Tür der Gruft führte.

»Ihm nach!«, schrie Shakowski.

Von diesem Satz beflügelt jagten die anderen nach und bildeten einen bedrohlichen Kreis um den zu Tode erschrockenen Klaus, der nun mit weitgeöffneten Augen und gespreizten Beinen an der Tür der Gruft stand.

»Aus dem Weg, du Wicht!«, dröhnte Papa, packte Klaus an der Schulter und stieß ihn wie Watte zur Seite.

»Uff!« entfuhr es Draculas Handlanger, als Attila und Sigismund ihn zwischen die Rippen traten. »Autsch!« plärrte er, als ihn Mama mit der Nadel ins Ohr piekste.

»Die Tür auf!«, sagte Papa, und während Vlad der Aufforderung nachkam, kroch Klaus herbei, klammerte sich an Papas Beine und beleckte seine Hand.

»Nein! Bitte nicht!«, flehte er.

»Platz da, du Wurm!«, sagte Papa und trat ihn mit einem ekelhaften Geräusch gegen die Kinnspitze, worauf Klaus am Bein heruntersackte und wie leblos liegenblieb.

»Ich denke, ich bleibe hier und passe auf ihn auf«, wisperte Pater Imre nervös, während seine Blicke zwischen dem bewusstlosen Klaus und der glitschigen Steintreppe hin und her irrten.

»Der Teufel soll ihn holen!«, schnappte Shakowski. »Sie werden jetzt gebraucht.«

Einen leisen Fluch auf Lateinisch ausstoßend, stieg Imre als erster die dunkle Treppe hinab.

Wieder huschten Ratten vorüber, aber als sie unten angelangt waren, gab es kein Lebenszeichen mehr. Es war kalt und feucht, und aus dem rohen Gemäuer drang ein widerlicher Geruch. Nur die ungefähr zwanzig hübsch aufgerichteten Särge schienen in gutem Zustand und weder von Zeit noch Verfall angegriffen. Auf einer erhöhten Plattform in der Mitte der Gruft stand ein prächtiger schwarzer Sarg, reich mit Silber beschlagen und mit dem drachenförmigen Familienwappen der Draculas verziert. An Kopf und Fuß brannten trübe zwei schwarze Kerzen, und die Stufen zur Plattform waren mit einem verblichenen purpurnen Samtteppich ausgelegt.

»J... j.. etzt was?«, murmelte Mama Shakowski, die inständig an einer dicken Knoblauchzehe knabberte.

Aber ehe jemand antworten konnte, erklang ein ominöses Krächzen. Charmaine stockte der Atem, Attila nässte in die Hose, und Pater Imre brachte nur ein zusammenhangloses »Hic... haec... hoc...!« hervor.

Langsam begann sich der Deckel von Draculas Sarg zu heben, krächzend und quiekend wie ein tausendfältiges Orchester verstimmter Türangeln. Vor aller Augen erschien eine klauenähnliche Hand und glitt den Deckelrand entlang. Plötzlich, inspiriert durch einen Blick auf den geschwollenen Bauch seiner Tochter, sprang Shakowski vor und riss den Deckel gewaltsam auf. Charmaine, gleichsam entrückt, machte einen Schritt nach vorne und wurde von ihren Brüdern wieder zurückgerissen, während ihr Vater sich nicht mehr länger beherrschen konnte und unter Aufbietung seiner letzten Kraftreserven völlig unfeierlich den schlaftrunkenen Graf am Revers packte und ihn hochriss.

»Wa... wa... was?«, krächzte der Graf.

Der Bauer rüttelte den Vampir, bis dessen Eckzähne klapperten, gleichzeitig traktierte er ihn mit kreuzweisen Hieben über sein bleiches Gesicht. Erbost wandte er sich an seine Tochter: »Ist das der Kerl?«

Charmaine senkte keusch den Blick und nickte. Der Graf, jetzt voll erwacht, grollte gefährlich. Seine schrecklichen Augen glühten vor Zorn. Er sprang vor, aber Shakowskis starker Arm drängte ihn weder in den Sarg zurück.

»Was tun Sie hier?« explodierte Dracula. »Wie können Sie es wagen, mein Haus zu entweihen?«

»Halten Sie den Mund, Sie blutsaugendes Stinktier!«

grunzte der Alte und verlieh seinen Worten mit einem lauten, knoblauchgeschwängerten Rülpser Nachdruck.

Dracula würgte, dem Erstickungstod nahe.

»Bist du auch wirklich sicher, dass das der Kerl ist?«

»Oh-hoh«, gurrte Charmaine. »Ist er nicht aufregend? Sieh dir doch nur mal seine Zähne an. Wie sexy sie sind.«

»Was hat das alles zu bedeuten?« fiel der Vampir ein. »Ich bin Graf Dracula.«

Plötzlich erklang eine Symphonie krächzender Sargdeckel, der Rest der Vampire begann aus traumlosem Schlaf zu erwachen. Bestürzung trat in Draculas melancholische Gesichtszüge. Sein Arm fuhr heraus und schlug den nächsterreichbaren Deckel wieder zu. Es war auch wohl schwerlich ruffördernd für den Monsterboss, bei einer Diskussion mit solch schäbigen Bauernlümmeln ertappt zu werden. Aber der Lauf der Dinge war nicht aufzuhalten. Ein Vampir kroch nach dem andern aus dem Sarg und scharte sich um seinen Anführer. Der Ausdruck der bläulich-fahlen Gesichter reichte von absolutem Unverständnis bis zum äußersten Entsetzen.

»Jetzt hören Sie einmal gut zu, Herr Dracula...«, begann Papa.

»Graf Dracula, wenn ich bitten darf«, unterbrach der Vampir und kratzte sich mit spitzen Fingern einen getrockneten Blutfleck von der Hemdbrust.

»Bleiben Sie mir mit Ihren scheißkapitalistischen Parolen vom Leib!«, sagte der Bauer und stieß Dracula wieder in den Schrein zurück.

Die anderen Vampire rangen, einem Chor altgriechischer Dämonen gleich, ungläubig nach Luft.

Graf Dracula tauchte wieder aus dem Sarg auf, hielt sich an den Seiten fest und hohnlächelte über das Bauernvolk: »Glaubt ihr Tölpel denn wirklich, dass ihr etwas gegen Dracula ausrichten könnt?«

Der Priester, der seine Fassung wiedergefunden hatte, hob das brennende Kreuz und schwang es über die versammelten Vampire. Kreischend, stöhnend, winselnd und heulend stolperten sie durcheinander und bedeckten ihre Augen. Selbst Dracula drehte grimassierend das Gesicht weg. Papa Shakowski wandte sich an Pater Imre und lächelte siegesgewiss.

»In Ordnung, Sie können das Kreuz löschen. Die machen uns keine Schwierigkeiten mehr.«

»Was soll denn das schon wieder heißen?« erboste sich Dracula, öffnete die Augen und glotzte von neuem. »Niemand hat je Graf Dracula beleidigt - und ist mit dem Leben davongekommen! Was glaubt ihr armen Sterblichen denn, was ihr mir antun könnt?«

»Soll ich Ihnen das wirklich sagen?«, konterte Shakowski mit einem bösen Seitenblick.

Er nickte seinen Söhnen zu. Gehorsam traten sie vor, jeder einen langen, scharf gespitzten Pfahl in der Hand, während ihre Mutter aus den Tiefen ihrer Schürze einen schweren Hammer hervorholte.

 

Die Hochzeit war ganz bestimmt kein alltägliches Ereignis, besonders wenn man in Betracht zog, dass der Bräutigam und sein Anhang seit siebzehn bis 376 Jahren nicht mehr unter den Lebenden weilten. Die Harmonie wurde auch dadurch etwas beeinträchtigt, dass die Brautmutter dreimal in Ohnmacht fiel, als Schwärme großer Fledermäuse niedersegelten und mit den Flügeln ihr Gesicht streiften. Aber als der letzte Trinkspruch getan war - Dracula hatte widerwillig eine Flasche sehr alten Weins aus seinem Keller geopfert -, zählte nur noch eins: die liebliche Charmaine, geb. Shakowski, trug jetzt den Namen Draculas - ein Name, mit dem sie ihr bald zu erwartendes Baby beglücken konnte.

 

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Genau

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Daniel Hollywood/Hal Hackady/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Zasu Menil.
Übersetzung: Hans Gamber und Christian Dörge (OT: Dracutwig).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 11.03.2019
ISBN: 978-3-7438-9939-1

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