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Leseprobe

 

 

 

 

RICHARD NEELY

 

 

Die Unschuld

der Schlange

 

 

 

 

 

 

 

Apex Crime, Band 15

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE UNSCHULD DER SCHLANGE 

Erstes Kapitel  

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Einundzwanzigstes Kapitel 

Zweiundzwanzigstes Kapitel 

Dreiundzwanzigstes Kapitel 

Vierundzwanzigstes Kapitel 

Fünfundzwanzigstes Kapitel 

Sechsundzwanzigstes Kapitel 

 

 

Das Buch

Der Schauplatz: Kalifornien.

Nichts zählte mehr für Gloria Worthington als die Stunden mit Gregg Flanders, ihrem Liebhaber. Zu lange hatte ihr alternder Mann sie bereits vergessen lassen, dass sie eine junge, schöne und begehrenswerte Frau war.

Doch für Gregg zählten noch ein paar andere Dinge – zum Beispiel Lloyd Worthingtons Vermögen...

 

Der klassische Psycho-Thriller Die Unschuld der Schlange von Richard Neely – erstmals im Jahr 1971 veröffentlicht – wurde 1975 von Claude Chabrol unter dem Titel Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen (Les innocents aux mains sales) meisterhaft verfilmt - in den Hauptrollen: Romy Schneider, Rod Steiger, François Maistre, Hans Christian Blech und Jean Rochefort.

  DIE UNSCHULD DER SCHLANGE

 

 

 

  

  Erstes Kapitel

 

 

An jenem strahlenden Freitagnachmittag Ende Oktober strömten die Wochenendtouristen über den South Coast Highway von Kalifornien in Richtung Laguna, die meisten, um dort in der Gegend zu bleiben, andere fuhren weiter nach Süden bis Tijuana oder Ensenada. Sie kamen daher in ihren staubigen Kabrioletts, die Rücksitze mit Bade- und Strand-Utensilien vollgepackt, in klapprigen Limousinen mit Booten auf den Dächern, in Kombiwagen, deren Ladeflächen von Wasserskiern oder Brettern fürs Wellenreiten belegt waren. Die Hitze und die Auspuffgase flimmerten über den Straßen und den Gehsteigen, deren Pflaster auch noch von unten her wie ein Backofen die gespeicherte Wärme ausstrahlte. Fette Weiber, in bunte Strandtücher gewickelt, glatzköpfige Männer in Bermudashorts - sie alle trotteten über die Gehsteige dahin, sie alle hatten nur ein Ziel: den Strand.

Gloria Worthington stand im Schatten eines Supermarktes und betrachtete angeekelt die Masse Mensch mit oder ohne Blechumhüllung, während sie darauf wartete, dass die Fußgängerampel auf Grün sprang. Sie schüttelte missbilligend den Kopf und warf ihr lockeres, schulterlanges blondes Haar hoch, damit der leichte Windzug ihren Nacken kühlte. Die vollen, von Natur aus klar gezeichneten Lippen murmelten eine leise Verwünschung darüber, dass es ihr nicht eingefallen war, früher am Tag zum Einkäufen zu gehen, bevor die Hitze und die vielen Menschen diese Aufgabe fast unerträglich machten.

Dann leuchtete das grüne Licht auf, und Gloria überquerte die Straße, schützte sich mit den Ellenbogen gegen die in entgegengesetzter Richtung andrängende Menge. Als sie die andere Seite des Gehsteigs erreicht hatte, spürte sie wieder die Hitze des Pflasters, die durch die Sohle ihrer dünnen, goldenen Sandalen drang. Die zwanzig Meter beschleunigte sie ihre Schritte, dass es fast einem Pflasterhüpfen gleichkam. Dann bog sie in die Einfahrt zu ihrem Haus ein und ging rasch hinüber auf den Fußweg, der an der Seite der asphaltierten Fahrbahn entlanglief. Augenblicklich hatte sie die Illusion, sich in einem kühlen, tropischen Wald zu befinden. Palmen, Riesenfarne und Aralien begrenzten den Fußweg und warfen dunkle Schatten auf den dichten Rasen. Schon nach ein paar Schritten verebbte der Verkehrslärm und verstummte vollends, als sie knapp zehn Meter weitergekommen war, wo sich der Pfad zum Meer hinuntersenkte und die Auffahrt in einer Wendeschleife vor der doppeltürigen Garage endete, die zur Zeit nur von Glorias altem Austin-Healy in Anspruch genommen wurde. Vor ihr, umrahmt von miteinander verwachsenen Gruppen niedriger- Korkeichen und Eukalyptusbäumen, stand das Haus, ein langgestrecktes, zweigeschossiges Gebäude aus California-Holz, über dessen Seiten das schwere Giebeldach hinausragte und ringsum Schatten verbreitete. Sie ging am Haupteingang vorbei zur Küchentür und hinein in den L-förmigen Anbau. Vom Meer herauf vernahm sie das Rauschen der Brandung, ein Geräusch, das sie mit Ruhe erfüllte.

In der Küche mit den vielen Fenstern stellte sie ihre Tragtasche mit den Einkäufen vorsichtig neben die Spüle und atmete tief und vernehmlich auf. Dann räumte sie das Brot und den Salat an die dafür vorgesehenen Plätze und holte vorsichtig die vier Flaschen Whisky aus der Papiertüte, stellte sie in den Hängeschrank über der gelblackierten Anrichte, warf ihnen noch einen sonderbaren Blick zu, halb ängstlich, halb erwartungsfroh, schloss die Tür des Hängeschranks, ging zur Spüle und ließ sich das kalte Wasser über die Hände und die Pulse am Handgelenk laufen. Dann warf sie einen Blick hinaus in den kleinen Vorhof des Küchenanbaus, wo die Mülltonnen standen. Neben den Tonnen entdeckte sie den Karton mit den beiden leeren Whiskyflaschen. Es war vielleicht besser, wenn sie die Flaschen nachher in eine der Tonnen warf.

Mit ein paar Schritten gelangte sie in den an die Küche anstoßenden, großen Wohnraum, schob die gläserne Terrassentür weit auf, ging hinaus und blieb im Schatten des Sonnenschirms stehen, den ein schmiedeeiserner, weißlackierter Tisch umgab. Der hinreißende Blick auf den Pazifischen Ozean erinnerte sie an eine Bemerkung, die Lloyd, ihr Mann, erst vor kurzem einmal angesichts der tiefblauen Wellen und der weißgischtigen Brandung gemacht hatte. Lachend hatte er gesät: »Manchmal glaube ich, man kann von hier aus hinüberschauen bis nach Hawaii.« Gloria fröstelte trotz der Hitze.

Sie schlenderte zu der Steinmauer, die sich am Rand des steilen Felsufers erhob, stützte ihre Hände auf die raue Oberfläche und lehnte sich darüber, sah hinunter auf ihren eigenen schmalen, weißen Sandstrand. Auf den ersten Blick erkannte sie die Motorjacht ihres Mannes, die etwa eineinhalb Kilometer weiter draußen auf den Wellen lag und langsam größer wurde, je mehr sie sich dem Strand näherte. Gloria schaute auf die Uhr. Gleich halb drei Uhr nachmittags. Lloyd war pünktlich, wie immer.

Sie ging zurück in die Küche, goss sich eine Cola ein und kam wieder auf die Terrasse heraus, um auf ihn zu warten. Sie setzte sich in einen Liegestuhl mit Segeltuchbespannung, lehnte sich mit dem blonden Schopf gegen die schmiedeeiserne Brüstung der Terrasse und ließ ihre Blicke aus den großen, blauen Augen über die Wellen und den Strand schweifen.

Im Norden, in der Höhe von Newport Beach, war der saphirne Horizont bunt getupft mit geblähten Spinnaker-Segeln. Im Süden schob sich die lange, weiße Lagune hinaus ins Meer, auf deren Mittelpunkt sich das alte, rosafarbene Hotel erhob. Die kleinen Punkte am Hotelstrand wurden immer zahlreicher, je näher das Wochenende rückte. Gloria wandte den Blick nach rechts, über die Anlegestelle hinaus auf den Ozean, als spare sie sich das Beste für zuletzt auf. Dort, etwa dreihundert Meter vor der Brandung, warteten die Wellenreiter auf die eine, die unwahrscheinliche Welle, die sie kilometerweit den Strand entlangtrug und von der sie bis zum kommenden, langen Sommer sprechen würden.

Es mussten etwa dreißig oder vierzig Männer sein, die rittlings auf ihren Brettern saßen, die Köpfe hinausgewandt auf den Ozean, und warteten. Vor ihnen erhob sich eine gewaltige Woge, veränderte die Horizontlinie, und in fast kongruenten Bewegungen - wie in einem alten Hollywood-Musical, dachte Gloria - stellten sich die Wellenreiter auf ihre Bretter. Von hier sahen sie alle gleich aus: schlank, muskulös, braungebrannt und mit von der Sonne gebleichtem Haar.

Als die Schaumkrone der Welle sichtbar wurde, stand Gloria auf und heftete ihren Blick auf eine Gestalt, die ein wenig abseits von den anderen das Spiel mit der Welle versuchte. Das fahlblonde Haar, der athletische Körper waren nicht zu verkennen. Gregg Flanders. Er ritt gebückt und geschickt auf dem Brett über den Kamm der Welle, die Arme ausgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten.

Ein köstlicher Schauder überlief ihren Körper. Heute Abend würde Gregg wieder bei ihr sein, hier auf der Terrasse. Und danach...

Lloyds Boot hatte sich dem Strand bis auf fünfhundert Meter genähert. Die Augenbrauen zusammengezogen, als könne sie einfach nicht dagegen ankämpfen, dachte sie wieder einmal daran, was sie unternehmen würde, wenn ihr Mann auf der steilen Treppe herauf vom Strand ins Wanken käme. Sie musste erschreckt wirken, wenn sie beobachtete, wie er sich im Todeskampf an die Brust fasste. Einen Entsetzensschrei ausstoßen, wenn er zu stürzen begann. Leise vor sich hin weinen, wenn er unten lag auf dem Sand, still, kalt und mit weißem Gesicht.

So lange musste sie dieses Theater spielen, bis sie eindeutig wusste, dass er tot war.

Es würde ihr nicht allzu schwerfallen, die Reaktionen einer liebenden Gattin zu heucheln. Vor einem Jahr hatte sie eines Sonntagnachmittags innerhalb von Sekunden eine erschreckende Generalprobe über sich ergehen lassen müssen. Lloyd, der vom Fischen kam, war plötzlich im Gesicht kalkweiß geworden und auf der Couch zusammengebrochen. Sie erinnerte sich noch genau an den Schock, an ihre Hilflosigkeit, und wie sie am Telefon einen Arzt herbeizurufen versuchte. Die langen Stunden des Wartens, während er im Krankenhaus untersucht wurde. Eine Herzattacke, vielleicht ein Infarkt, hatte ihr Lloyd danach berichtet. Seine Augen konnten die Angst nicht verhehlen, wenn er auch versuchte, mit gefasster Stimme zu ihr zu sprechen. Die Ärzte waren der Meinung, wenn er sich einigermaßen hielt, konnte er wieder völlig genesen.

Damals war das Haus in Laguna nur ein Wochenend-Aufenthalt gewesen. Sie hatte darauf bestanden, dass er es verkaufte, denn die vielen Treppen hinunter zum Strand waren jetzt Gift für ihn. Aber Lloyd wollte davon nichts wissen. Stattdessen beschloss er, sich aus dem Geschäftsleben zurückzuziehen. Er war neunundfünfzig und hatte genug auf die hohe Kante gelegt, um mit Gloria den Rest seines Lebens damit mehr als reichlich auszukommen. Er ließ das Haus mit dem Komfort eines ständigen Wohnsitzes versehen und kaufte sich eine zehn Meter lange Motorjacht, anstatt sich täglich ein Boot zum Fischen zu mieten, wie er es zuvor getan hatte. Sechs Monate nach dem Herzanfall kehrte er wieder in sein Schlafzimmer im ersten Stock zurück, das er zuvor der Treppen wegen vermieden hatte - aber er teilte es nicht mehr mit seiner Frau. Er brauchte Ruhe, sagte er, und es kam ihm gar nicht zum Bewusstsein, dass er ihr dadurch etwas vorenthielt, worauf sie einen Anspruch zu haben glaubte. Er war vielmehr der Ansicht, dass sie mit ihren achtunddreißig Jahren eine ablehnende Haltung gegenüber sexuellen Dingen eingenommen habe. Er ahnte nicht, dachte sie jetzt und schnitt eine Grimasse, wie sehr er sich getäuscht hatte. Aber im Grunde hatte sie bis dahin gar keine Vorstellung von sexuellen Dingen gehabt. In den fünfzehn Jahren ihrer Ehe hatte sie ihm zwar ihren Körper zur Verfügung gestellt, aber sie hatte sich ihm kein einziges Mal in der Weise gegeben, dass es ihr mehr bedeutet hätte als freundliche Duldung seiner berechtigten Wünsche.

Bald danach war Lloyd wieder täglich mit dem Boot hinausgefahren zum Fischen. Manchmal hatte sie ihn begleitet, aber die vielen Stunden auf dem Meer langweilten sie, und die Leidenschaft, einen Fisch an die Angel zu bekommen, blieb ihr ein Buch mit sieben Siegeln. Allmählich lebte sie immer zurückgezogener, beschäftigte sich den Vormittag über mit Hausarbeit, lag faul unten auf ihrem Privatstrand bis zum Abendbrot und setzte sich danach mit Lloyd und der Whiskyflasche noch ein paar Stunden auf die Terrasse. Ihr Leben bestand aus Langeweile und unerfüllten Hoffnungen.

Bis sich eines Nachmittags im April das stumpfsinnige Leben auf einen Schlag änderte durch einen schamlosen jungen Gott, den eine gewaltige Woge auf seinem Brett direkt zu ihr hereingetragen hatte. Groß, aufrecht und voll Selbstbeherrschung hatte er im Wasser gestanden, die Füße im nassen Sand vergraben, einen Arm sorglos um das Brett gelegt.

»Entschuldigen Sie«, hatte er gesagt, mit einer Stimme, die sein lässiges Verhalten noch unterstrich. »Ich kam nicht mehr um die Landzunge herum; die Strömung war zu stark.« Er hatte sie mit seinen frechen, blauen Augen angesehen.

Sie hatte augenblicklich gefühlt: Der wusste, was er wollte, und er zweifelte keinen Augenblick daran, dass er es auch bekam. Sie hielt sich das Buch, in dem sie gelesen hatte, vor die nackten Brüste. »Oh, tatsächlich?« war das einzige, was sie hervorbrachte, und es hätte gleichgültig klingen sollen.

Sein linker Arm wies in die Richtung nach Norden, jenseits der Steilküste. »Ich wohne dort drüben. Gregg Flanders ist mein Name. Wir sind sozusagen Nachbarn. Ich dachte, Sie haben nichts dagegen, wenn ich den Weg abschneide und quer durch Ihr Grundstück gehe.«

Sie erinnerte sich vage, dass ihre nächste Nachbarin, Winifred Colby, einmal eine Bemerkung gemacht hatte über einen jungen Mann - einen Schriftsteller -, der in eines der kleineren Holzhäuschen in der Nähe eingezogen war. Und Gloria hatte ihn freundlich angelächelt. »Aber selbstverständlich«, hatte sie gesagt. »Warum nicht?«

Er hatte zurückgegrinst, hatte seine schneeweißen Zähne blitzen lassen. »Wenn Sie mir einen Drink anbieten würden, wäre ich übrigens keineswegs schockiert.«

Nachdem sie ausgetrunken hatten, stand sie vor ihm und wartete darauf, dass er sich verabschiedete. Stattdessen packte er sie, umschlang sie mit seinen muskulösen Armen, küsste sie auf den Mund und presste seine glatten, eisenharten Brustmuskeln gegen ihren zitternden Oberkörper. Sie stieß ihn von sich und versuchte, ihm eine Ohrfeige zu geben. Aber seine Reaktion darauf war, dass er sie noch fester packte und ein zweites Mal küsste, bis ihr der Atem wegblieb. Und diesmal war er es, der sich von ihr löste. »Ich komme später noch mal vorbei und hole mir mein Brett«, hatte er gesagt, hatte sich umgewandt und war davongegangen. Sie hatte ihm mit weit aufgerissenen Augen nachgestarrt.

Am selben Abend war er noch einmal vorbeigekommen. Er hatte hinreißend ausgesehen, wie ein jungenhafter, sieggewohnter Seeräuber, in seinem indigoblauen, hautengen Hemd, den weißen Jeans mit dem breiten Ledergürtel, der seine schmalen Hüften umschloss. Lloyd konnte ihn auf den ersten Blick gut leiden, während sie ihm nur ein paar sehr kühle Worte schenkte. Er blieb einen Drink lang, unterhielt sich äußerst höflich mit Lloyd, ging gar nicht weiter auf Gloria ein, verschwand mit seinem Brett unter dem Arm.

Zwei Abende später kam er wieder, und diesmal blieb er, bis Lloyd zu Bett gegangen war.

Diesmal riss Gregg Flanders ihr die Kleider vom Leib und nahm sie auf dem Teppich des Wohnzimmers, brachte sie zu einem Höhepunkt, dass sie ein paar Sekunden lang glaubte, ein derartiges Glücksgefühl nicht überleben zu können. Jetzt war es ihr egal, dass er im Grunde nicht mehr war als einer von den vielen jungen Männern, die hier am Strand nach reichen Witwen Ausschau hielten, und dass er von den kargen Ersparnissen lebte, die ihm eine wohlmeinende Tante hinterlassen hatte. Nichts mehr zählte, als dass sie ihren ein Leben lang vernachlässigten Körper einem Mann hingab, der ihn dafür mit ungeahnten Sensationen erfüllte...

»Mrs. Worthington?«

Sie schrak zusammen, drehte sich um. Ein grobgesichtiger Mann in einer schmierigen Mütze und einem blauen, ölbefleckten Overall kam um die Hausecke herum auf sie zu. Er lächelte versonnen und wischte sich dann den Schweiß mit einem fast einheitlich schwarzen Taschentuch von der Stirn.

»Ja, die bin ich«, antwortete sie sehr kühl. Sie hatte absurderweise das Gefühl, der Mann hätte ihre Gedanken belauschen können.

Jetzt grinste er sie breit an. »Ich bringe Ihren Wagen.«

Sie zog die Augenbrauen hoch. »Meinen Wagen?« Worüber sprach der Kerl eigentlich? Der Austin-Healy stand in der Garage; sie war doch erst vor ein paar Minuten daran vorbeigekommen.

Allmählich wich das Grinsen auf dem Gesicht des Mannes einem geheimnisumwitterten Ausdruck. »Vielleicht schauen Sie ihn sich erst einmal an.«

Neugierig folgte sie ihm zu dem Platz vor der Garage. Dort stand, wie ein Ausstellungsstück, ein fabrikneuer, schwarzer Jaguar X-KE. Gloria blieb die Luft weg.

»Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht irren?«, fragte sie, aber dann erinnerte sie sich, dass sie genau den gleichen Wagen einmal in einer Anzeige gesehen und Lloyd gegenüber erwähnt hatte, wie gut er ihr gefiel.

»Nein, nein, ich irre mich nicht«, erklärte der Mann und begann wieder zu grinsen. »Mr. Worthington hat mich beauftragt, diesen Wagen seiner Frau zu übergeben. Und zwar heute. Ich bin allerdings ein bisschen spät daran; hoffentlich gibt es deshalb keinen Ärger.«

Ihre Augen funkelten vor Aufregung. Sie ging die paar Schritte zu dem Wagen hin und ließ ihre Fingerspitzen über den blitzenden Lack streichen. Dann öffnete sie die Tür an der Fahrerseite und warf sie wieder zu. Das solide, dumpfe Geräusch entzückte sie. Sie öffnete die Tür noch einmal und setzte sich hinter das Lenkrad, genoß das luxuriöse Gefühl, sich auf echten Lederpolstern räkeln zu können. Dann bewegte sie den Ganghebel, drehte sich um und lächelte dem Mann im Overall zu. Er grinste, reichte ihr die Wagenpapiere und zwei Sätze Schlüssel; zuletzt ging er die Auffahrt entlang zurück zur Straße.

Gloria stieg erst nach einer Weile wieder aus dem Jaguar und inspizierte ihn noch einmal bewundernd von allen Seiten. Plötzlich verzerrten sich ihre Lippen. Typisch Lloyd! dachte sie. Versuchte, sie mit einem kostbaren Geschenk zu überraschen, während sie selbst ihm den Tod wünschte! Sie wandte sich rasch um und ging wieder auf die Terrasse.

Danach saß sie an der Kante der Mauer und schaute hinunter auf die Gestalt mit dem roten Hemd, die das Boot mit geschickten Manövern in das Bootshaus steuerte. Sie sah, wie er zu ihr heraufschaute und winkte. Ihre Lippen pressten sich zusammen, aber sie winkte zurück. Jeden Tag die gleiche Zeremonie! Und jeden Tag ihre Abscheu gegen den Mann, der sich jetzt eben wieder aus dem Boot schwang und die Treppe heraufkam.

Bei jedem vierten Schritt machte er eine kleine Pause, fasste das Geländer und warf den Kopf in den Nacken, suchte ihren Blick und schaute hinauf, als wolle er sie für seine vorsichtige Gangart um Nachsicht bitten. Mit seiner schwarzen Seglermütze auf dem Kopf,

der glatten Haut über den ausgeprägten Backenknochen, dem flachen, muskulösen Bauch sah er mindestens zehn Jahre jünger aus. Ohne die Ruhepausen auf der Treppe hätte man ihn für einen von Gesundheit strotzenden Mann in den besten Jahren halten können. Wenn er das nur gewesen wäre!

Schließlich zog er sich schwitzend vor Erschöpfung die letzten Stufen nach oben und ging dann steif auf die Terrasse zu. Er küsste Gloria auf die Wange und spielte ganz den Unschuldigen, als er fragte: »Na, was gibt's Neues?«

Sie atmete tief ein. Dann gelang der Schauspielerin, die in ihr steckte, ein strahlendes Lächeln. »Lloyd, der Wagen! Phantastisch!«

Er lächelte vergnügt und verschmitzt und machte eine geringschätzige Handbewegung. »Dachte, dass er dir gefällt.«

»Gefällt? Du weißt genau, dass ich vor Freude ganz aus dem Häuschen bin.«

Er strich sich mit der Hand über die hellen Bartstoppeln und schaute ihr eindringlich ins Gesicht. »Nun gut, dann fahr damit und freu dich darüber.«

Sie kannte diesen Blick. Er besagte: Du wirst niemals eine erwachsene Frau werden. Immer wirst du das kleine Mädchen bleiben. Na schön, warum auch nicht? Sie drückte seinen rechten Arm, spürte die starken Muskeln darunter und sagte: »Nein, heute nicht, Lloyd. Heute ist zu viel Verkehr. Ich werde ihn erst einmal studieren, während du dich schlafenlegst. - Danke, Lloyd.«

»Du hast ihn verdient«, meinte er großzügig. »Aber du willst ihn doch sicher herzeigen, oder? Was ist mit Gregg? Ruf ihn an, lade ihn auf einen Drink ein, und wir bringen ihn danach mit dem Wagen nach Hause.«

Als er den Namen erwähnte, erstarrte sie für den Bruchteil einer Sekunde. »Ja, vielleicht. Wir werden sehen.« Sie fühlte sich schuldbewusst, dachte an den Zettel, den ihr Gregg heute Morgen unter der Tür durchgeschoben hatte. Bis zum Cocktail, G. 

»Oder du holst Winifred Colby zum Tee herüber«, schlug Lloyd vor. »Sie wird vor Neid erblassen.«

»Schon möglich. Nur, das würde sie einen ganzen Nachmittag vom Schnüffeln abhalten. Ich weiß nicht, ob ihr das recht wäre.«

»Umso besser!«

Winifred Colby, eine ältliche Witwe, lebte allein in einem Haus etwa fünfzig Meter weiter nördlich von den Worthingtons. Sie war bekannt in der ganzen Gegend, und zwar nicht nur deshalb, weil sie zu den ersten Ansiedlern der Steilküste gehörte, sondern vor allem, weil sie über alles und jeden in der Nachbarschaft Auskunft geben konnte.

»Wie ich Winifred Colby kenne«, meinte Gloria, »wusste sie schon vor mir über den Jaguar Bescheid.«

Lloyd ließ sich in einen der Stühle unter dem Sonnenschirm fallen, atmete schwer und schaute sie mit glasigen Augen an. »Vielleicht trinke ich einen Schluck, bevor ich mich hinlege.«

Sie ging ohne Widerrede in die Küche, holte eine Flasche Whisky aus dem Hängeschrank, öffnete sie. Ihr Puls beschleunigte sich, während sie zusah, wie die Flüssigkeit in das Glas gurgelte. Dann brachte sie es hinaus auf die Terrasse, wobei ihre Hand leicht zitterte, während sie es ihm reichte. Er kippte den Alkohol in einem Zug hinunter, wischte sich den Mund mit dem Hemdsärmel und fächerte sich danach mit der Mütze frische Luft zu. Ein paar Sekunden später war sein Atem wieder völlig normal. Der glasige Blick wich aus seinen Augen.

»Pfff«, zischte er. »Ziemlich heiß für Oktober. In Hawaii wäre es jetzt angenehm kühl.«

Die Angst stieg wieder in ihr hoch. »Ich hoffe, du fängst nicht wieder damit an.«

»Ich habe nie damit aufgehört«, erklärte er freundlich. »Ich habe mich mit ein paar Immobilienmaklern unterhalten und mir auch schon die Fotos von ein paar Häusern zeigen lassen. Eines davon gefällt mir besonders, direkt am Strand von Kona, stell dir vor! Mein Gott, dort gibt es Fische - herrlich!«

Sie erinnerte sich nur zu gut an die zwei Wochen, die sie auf der größten Insel des Archipels, auf Kona, verbracht hatten. Und zwar dachte sie noch immer mit Vergnügen an das luxuriöse Kamehameha-Hotel, aber alles andere, woran sie sich erinnerte, war Fischen, Fischen und noch einmal Fischen. Sie fand die Ferientage dort zum Kotzen.

»Na, schön, wir können ja mal wieder hinfahren«, sagte sie. »Aber deshalb brauchst du nicht gleich ein Haus zu mieten.«

Er schaute sie überrascht an. »Mieten? Ich will es kaufen und dort leben.«

Einen Augenblick lang war ihr die Kehle wie zugeschnürt. Sie ließ sich in einen Stuhl fallen. »Oh, nein, Lloyd!«

»Oh, ja«, antwortete er und lächelte, aber nicht mehr so nachgiebig wie zuvor. »Ich finde, Hawaii ist einer der wenigen Flecken auf dieser Erde, wo sich ein Mann noch richtig ausruhen und erholen kann. Hier«, er deutete auf die Straße hinter dem Haus, »hier siedelt sich immer mehr Gesindel an. Aber in Kona - und die herrlichen Fische, mein Gott!«

Sie war äußerst beunruhigt. Als er früher von Hawaii sprach, tat sie es einfach als Hirngespinst ab. Aber jetzt hatte es ganz den Anschein, als sei er fest entschlossen, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Kona - Tausende von Kilometern zwischen ihr und Gregg Flanders! Er würde ihr niemals dorthin folgen. Oder doch?

»Wir sprechen später noch darüber«, sagte sie, »wenn du dich ausgeruht hast.«

Sie sah ihm zu, wie er das rote Hemd über den Kopf zog, und warf einen Blick auf den Geldgürtel, den er wie immer um den Leib trug. Eine alberne Angewohnheit, fand sie seit jeher. Sie griff danach, als er den Gürtel abgelegt hatte. »Komm, ich bringe ihn rauf in dein Zimmer.«

Aber er nahm ihn ihr rasch weg. »Nein, ich behalte ihn lieber an. Du weißt, ich trenne mich nur ungern von meinem Geld.«

Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen, während sie ihn beobachtete, wie er durch das Wohnzimmer stapfte und dann unter großer Anstrengung nach oben in sein Schlafzimmer ging. Und sie dachte wieder einmal: Jetzt! Mein Gott, vielleicht stirbt er jetzt!

  Zweites Kapitel

 

 

Gloria Worthington stand kerzengerade an der Anrichte in der Küche und goss den Rest der Flasche in Lloyds Glas, starrte auf die goldbraune Flüssigkeit, die das Glas nur einen Fingerbreit füllte. Dann warf sie die leere Flasche in den Mülleimer unter der Spüle, langte hinauf in den Hängeschrank und holte die zweite Whiskyflasche herunter, die sie an diesem Nachmittag gekauft hatte, öffnete sie und füllte damit das Glas zu einem Drittel. Danach ließ sie zwei Eiswürfel hineinplumpsen und gab zuletzt drei Fingerbreit Wasser aus der Leitung dazu.

Es war nicht viel anders, als wenn man eine Pistole lud, dachte sie. Aber Lloyd hatte keine Ahnung, wie gefährlich diese Waffe war. Er hatte bis jetzt fünf solcher Drinks hinter sich; nach dem dritten hörte er meist auf mit dem Zählen und ahnte auch nicht mehr, wie sehr ihm die Wirkung des Alkohols schadete.

Sie stellte die drei Gläser auf ein Tablett - zwei leichte Drinks  für sie und Gregg, den harten für Lloyd - und sie brachte sie hinaus auf die Terrasse. Gregg und Lloyd saßen nebeneinander in Regiestühlen am Schirmtisch. Das Kinn ihres Mannes war ihm auf die Brust gesunken, während sich Gregg vorbeugte und zu ihm wie zu einem normalen Menschen sprach. Sie warf einen Blick hinaus auf den Pazifik, wo die Sonne vor einer Viertelstunde untergegangen war und mit ihrem Widerschein noch ein paar Wolken am Horizont vergoldete. Lloyd konnte nicht mehr lange leben, dachte sie, und zugleich fühlte sie ein flaues Gefühl in der Magengrube.

Als sie sich den beiden Männern näherte, richtete sich Gregg auf, prüfte die Gläser und nahm sich dann einen von den leichten Drinks vom Tablett. Gloria stellte ihr Glas auf den Tisch und ging dann auf die rechte Seite von Lloyds Stuhl, reichte dem zusammengesunken Dasitzenden das Glas mit dem Whisky.

»Prost, Lloyd«, sagte sie und konnte die zynische Betonung nicht ganz verbergen.

Lloyd nickte ein paarmal mit dem Kopf und gab ein klagendes Geräusch von sich.

Sie fasste seine rechte Hand und schloss seine Finger um das Glas. Dann beobachtete sie ihn, wie er Zugriff und wieder nickte. Anschließend ließ er sich nach hinten sinken, versuchte, das Kinn ein wenig zu heben, und seine Augen, die er nur noch einen schmalen Schlitz weit offen hatte, starrten sie verständnislos an.

»Trinken Sie aus, Lloyd«, sagte Gregg, und seine Stimme klang befehlend.

Bleischwer in den Gliedern hob Lloyd das Glas und goss sich fast die Hälfte des Drinks in die Kehle. Ein paar Tropfen liefen ihm über das Kinn und benetzten sein Hemd. Gloria lehnte sich mit der Hüfte gegen den Tisch, und Gregg beugte sich wieder nach vorn. Beide beobachteten Lloyd, der gleich danach wieder in sich zusammensank. Die Arme ließ er neben dem Stuhl nach unten baumeln, aber das Glas behielt er fest in seinem Griff. Dann endlich lockerte er die Finger, und das Glas zersplitterte auf den roten Bodenplatten der Terrasse. Kleine Bächlein rannen in die Ritzen zwischen den einzelnen Fliesen.

Weder Gloria noch Gregg sagten einen Ton oder rührten sich von der Stelle. Es dauerte noch mindestens eine oder zwei Minuten, ehe sie sicher sein konnten. Erst dann, wenn er schwer zu atmen begann...

Greggs Blicke trafen sich mit den ihren, und wieder erkannte sie diesen harten, grausamen Blick, der sie in jener Nacht so erschreckt hatte. Der Blick, mit dem sie Gregg angesehen hatte, als er ihr vorschlug, sie sollten gemeinsam Lloyd ermorden.

Sicherlich, sie hatten ihn mehr oder weniger schon zuvor langsam in den Tod getrieben, als sie seine selbstmörderische Trunksucht mit allen Mitteln unterstützten. Aber bis dahin war es ein unausgesprochener Wunsch gewesen, vielleicht auch nur die Absicht, ihn oben in sicherem Schlaf zu wissen, während sie sich hier unten im Wohnzimmer liebten.

»Sein angegriffenes Herz«, hörte sie Gregg immer wieder sagen wie damals, »und dazu noch die unheimlichen Mengen Alkohol - er wird sich früher oder später unter die Erde bringen.«

»Ich weiß. Ich habe mir schon oft große Sorgen gemacht.«

Dann hatte Gregg sie mit seinen kalten, berechnenden Augen angesehen. »Vielleicht solltest du dich darum kümmern, dass es bald geschieht.« Er war aufgestanden. »Solange du noch jung genug bist.«

Sie hatte sich ebenfalls erhoben und stand vor ihm.

»Ich meine, solange du noch etwas von seinem Geld hast. Solange du mich noch haben kannst.«

Es war klar, was er meinte.

»Oh, Gregg, aber das können wir doch nicht tun!«

»Er tut es ja selbst. Wir helfen höchstens ein wenig nach.« Er trat einen Schritt weg und lachte bitter. »Uns kann man gar nichts anhaben. Die einzigen, gegen die man etwas Vorbringen könnte, wären Johnny Walker oder Long John.«

Danach hatten sie einen genauen Plan ausgearbeitet, wie sie seinen Tod durch Alkohol möglichst rasch herbeiführen konnten. Von nun an saßen sie oft zu dritt auf der Terrasse, Lloyd von Tag zu Tag betrunkener, denn Gloria erhöhte ständig die tödliche Dosis. Danach musste ihn Gregg hinauf in sein Schlafzimmer tragen, und zuletzt waren sie beide allein, unten im Wohnzimmer.

Der Plan lief nun schon seit fast sechs Monaten, Gregg wurde immer ungeduldiger, als er miterleben musste, wie sich Lloyd jeden Morgen aus dem Bett erhob und den Tag über zum Fischen hinausfuhr auf das Meer. Zuletzt erklärte er, dass er die Situation nicht länger ertragen wolle, und schlug Gloria einen anderen Plan vor, bei dem sie den Alkohol nur als Vorwand für den Mord an Lloyd benutzen mussten. Es sollte so aussehen, als habe Lloyd im volltrunkenen Zustand seine Frau angegriffen, und sie habe sich zur Wehr gesetzt, was den Tod ihres Mannes zur Folge hatte. Gloria war wie vom Donner gerührt, brach in Tränen aus und flehte Gregg an, er solle diesen Plan wieder vergessen. Er aber ließ sich nicht davon abbringen, fing immer wieder damit an, und sie blieb lange Zeit stark genug, sich seinen Argumenten zu entziehen. Sie meinte, es könne ohnehin nicht mehr lange mit Lloyd dauern. Kein Gesunder habe die Kraft, derartige Mengen von Alkohol ohne Schaden zu sich zu nehmen, geschweige denn ein Mann, der an einem schweren Herzfehler litt.

Erst letzte Woche, nachdem er Lloyd wieder einmal nach oben getragen hatte, gab es zwischen Gregg und Gloria eine ernsthafte Auseinandersetzung darüber. Gregg war weggegangen, hatte ihr noch gesagt, sie solle sich zum Teufel scheren, und hatte sich in der folgenden Nacht nicht blicken lassen. Am nächsten Morgen war sie zu seinem Haus hinübergegangen, aber Gregg war verschwunden. Erst tags darauf kam er auf die Terrasse und tat so, als sei überhaupt nichts gewesen, sagte, er sei mit ein paar Wellenreitern nach Mexiko gefahren. Sie wusste genau, warum er sich nicht hatte blicken lassen. Er wollte sie weichmachen.

Jetzt schaute Gregg ihr wieder in die Augen. »Ich glaube, es ist mal wieder so weit«, sagte er sehr gelangweilt.

Gloria legte den Zeigefinger an die Lippen und ließ sich leise in den Stuhl sinken, während Gregg aufstand, Lloyd mit geübtem Griff hochzerrte und sich über die Schultern legte. Gloria sah ihm zu, wie er den Bewusstlosen durch die Wohnzimmertür schleppte, und dachte: Wie eine Schweinehälfte trägt er ihn davon. Wie ein Stück Fleisch! Sie bückte sich und hob die Scherben des Glases auf, trug sie vorsichtig in den Mülleimer, dann ließ sie sich Wasser über die Hände laufen und trocknete sie mit dem Küchenhandtuch ab. Zuletzt kehrte sie auf die Terrasse zurück.

Gregg saß schon wieder in seinem Stuhl, die Beine ausgestreckt, und starrte mit finsterem Blick hinaus in die Nacht. Er schwieg eine Weile, und erst, als sie sich neben ihn gesetzt hatte, sagte er voller Abscheu: »Stimmt - er hat es wieder mal geschafft. Aber ich sage dir: Der überlebt uns noch beide!«

»Das kann ich nicht glauben. Du hättest ihn heute sehen sollen, wie er am Nachmittag die Treppe heraufkam.« Sie lachte nervös. »Ich suche mir in Gedanken schon meine schwarzen Kleider aus.«

Gregg wandte sich ihr mit anklagendem Blick zu. »Was ist das eigentlich für ein Geschwätz über Hawaii und Kona? Den ganzen Abend hat er darüber gesprochen, als er noch reden konnte.«

Gloria rutschte verlegen auf ihrem Stuhl hin und her. »Ich weiß. Ich höre auch seit Wochen nichts anderes. Aber...«

»Du hast mir bisher keinen Ton davon gesagt. Warum nicht?«

»Ja, also...« Sie erhob ihre Stimme, wollte sich verteidigen. »Bisher dachte ich immer, es ist nur Gerede.«

»Und was denkst du jetzt?« Er sprach wie ein Staatsanwalt.

»Jetzt fürchte ich, dass etwas dahintersteckt«, meinte sie atemlos. »Ich glaube, er hat die feste Absicht, etwas zu unternehmen.«

»Wieso hast du plötzlich deine Meinung geändert?«

Sie dachte einen Augenblick nach. Warum sollte sie nicht die Karten auf den Tisch legen? Sie hatte keine Lust mehr, mit Gregg immer wieder zu streiten. »Erstens hat er schon mit Immobilienmaklern gesprochen, die auf Hawaii spezialisiert sind. Er hat sich angeblich sogar schon Fotos von Häusern und Grundstücken zeigen lassen. Zweitens hat er einen Makler hierher in unser Haus eingeladen und ihn gefragt, wieviel er für diesen Besitz hier bekommen könne. Drittens ist sein Geldgürtel, den er stets am Leib trägt, dicker gefüllt als je zuvor. Und noch etwas. Er hat in der letzten Zeit viel von seinen Wertpapieren eingelöst.«

»Du meinst, er verwandelt alles in Bargeld?«

»Alles vielleicht nicht. Aber du kennst doch Lloyd; er liebt es, sich ganz rasch zu entschließen, hier Geld, hier der Kaufvertrag. Er glaubt, das ist die beste Art, ein Geschäft abzuwickeln.«

»Mein Gott! Es ist ihm also ernst!« Gregg kniff die Augen unter den dichten Wimpern zusammen. Dann schaute er sie an, als sei sie selbst an allem schuld.

Sie fühlte auf einmal eine merkwürdige Überlegenheit und genoß einen Augenblick lang die Situation. Dann fragte sie ihn: »Würdest du mitkommen nach Hawaii, Gregg?«

»Auf keinen Fall. Wenn ich dort auftauchte, wüsste Lloyd gleich über uns beide Bescheid. Er würde dich sitzenlassen, und zwar ohne einen Cent.«

Ihre Stimme war so leise, dass er sie kaum vernehmen konnte. »Ich habe gefürchtet, dass du das sagen würdest.«

Gregg Flanders schwieg eine Minute lang. Dann stand er auf und ging hinüber an die Steinbrüstung. Er schaute hinunter auf die vielen Treppen bis zum Strand, dann hinüber zur Motorjacht an der Anlegestelle. Zuletzt sagte er heiser: »Also, diesmal müssen wir uns zum Handeln entscheiden.« Er machte eine Pause, dann fügte er hinzu: »Sonst ist es zwischen dir und mir zu Ende.«

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Richard Neely/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Zasu Menil.
Übersetzung: Friedrich A. Hofschuster (OT: The Damned Innocents).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 07.03.2019
ISBN: 978-3-7438-9913-1

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