LOUIS L'AMOUR
Das Gesetz des Westens
Drei Romane in einem Band
Apex Western, Band 16
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
KIOWA-TRAIL
KEIN PLATZ FÜR RADIGAN
SEIN NAME WAR FLINT
WINCHESTERS POINT THE WAY: Western-Romane von Louis L‘Amour -
Ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth
Das Buch
- Sie hatten es geschafft! Mit dreitausend Rindern erreichten sie die Eisenbahn in Kansas. Die Stadt jedoch, in der sie ihre Rinder verkaufen wollten, war eine Falle für sie. Hass und Feindschaft schlugen ihnen entgegen. Und damit begann der blutigste Weidekrieg, den Kansas je erlebt hatte...
- In dem Tal war Platz für nur eine Ranch – und die gehörte Radigan. Doch da kamen sie mit dreitausend Rindern aus Texas und beanspruchten seine Weide.
Aber selbst die Gewalt der Natur und seine Feinde konnten Radigan nicht dazu zwingen, sein Land preiszugeben. Für ihn gab es nur eins: Er musste sein Land mit der Waffe in der Hand verteidigen – oder er würde drei Fuß unter der Erde liegen...
- Er nannte sich Flint. Und er kehrte zurück in den Westen, um dort zu sterben. Allein, in seinem Schlupfwinkel, den niemand außer ihm kannte. Aber sein Sinn für Gerechtigkeit war stärker als seine Sehnsucht nach Stille. Und er stellte sich noch einmal dem Kampf: Denn der gnadenlose Buck Dunn war ihm auf der Spur – angeheuert von Flints Feinden...
Das Gesetz des Westens enthält drei ausgewählte Romane von Louis L'Amour, der als der weltweit erfolgreichste Western-Autor gilt: Kiowa-Trail (1964), Kein Platz für Radigan (1958) und Sein Name war Flint (1969).
Der Apex-Verlag veröffentlicht Das Gesetz des Westens in seiner Reihe APEX WESTERN, ergänzt um ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth.
KIOWA-TRAIL
1.
Wir kamen im Frühjahr 1874 von Texas herauf und ließen unsere Herde auf dem kurzen Gras hinter den Bahngleisen weiden. Wir reinigten unsere Waffen, wuschen unsere Hälse und klopften den Staub aus unseren Klamotten. Fünfzehn Mann hoch ritten wir in die Stadt und besetzten den Saloon.
Wir waren die Tumbling B aus dem rauen Big-Bend-Land, und wir hatten eine Herde von dreitausend Longhorn-Rindern nach Kansas gebracht, die erste in diesem Frühling, obwohl die Flüsse noch randvoll vom Schmelzwasser waren und die Comanchen in Kriegsbemalung ritten.
Wir hatten zwei Männer südlich des Red River begraben, und einen hatte der Fluss mitgenommen. Ein vierter war in der Grassteppe von Kansas gestorben, zermalmt von Tausenden trampelnder Hufe. Zwei Männer waren von Comanchen erschossen worden, aber auch die Comanchen sangen ihre Totenklagen im Licht eines fahlen Mondes, und in ihren armseligen Zelten trauerten Kiowas um Krieger, die durch die Kugeln der Tumbling B ihr Leben gelassen hatten.
Die Stadt war an der Nordseite der Main Street zehn Häuser lang, und sieben an der Südseite. Im Osten lagen Viehpferche, im Westen war der Friedhof, und zwischen diesen Endpunkten verlief die Main Street.
Südlich der Straße waren die Amüsierschuppen und die Hütten der Mädchen, und nördlich der Straße die Häuser der angesehenen Geschäftsleute und Ladenbesitzer der Stadt. In diesem Viertel durfte sich kein Viehtreiber blicken lassen.
Wir waren die Reiter, die das Vieh trieben, von dem die Existenz der Stadt abhing. Wir kämpften uns durch Staub, Hagel und Regengüsse, standen Stampedes und Tage ohne einen Tropfen Wasser durch. Wir fochten unsere namenlosen Schlachten und ließen den Comanchen tot in seinem eigenen hohen Gras zurück. Wir gingen in den Tod und ließen nichts zurück als die Erinnerung an einen Mann weniger bei der Nachtwache und einen leeren Sattel im Proviantwagen.
Wir ritten die langen Präriemeilen, wo keine Grenzen waren, und einige taten ihre Tagesarbeit nur für den Lohn; andere jedoch waren erfüllt von ihrer eigenen wilden Poesie, im Bewusstsein, dass sie Pioniere einer neuen Zeit waren.
Wild und hart waren die Männer der Tumbling B. Nur zwei von uns waren über dreißig, und manche noch nicht zwanzig. Für die Mädchen auf dem Strich bedeuteten wir Geld, und für die Händler waren wir magere braune Wilde, deren Überfall auf die Stadt geduldet wurde, weil wir Geld brachten.
Ich war in diesem Jahr fünfunddreißig Jahre alt, und nur der Koch war so alt wie ich. Es war mein fünfter Treck nach Kansas, und ich hatte die Geburt dieser Stadt und anderer Städte miterlebt. Mindestens eine dieser Städte hatte ich sterben sehen, und sie hatte nur kurzlebige Narben hinterlassen, die bald vom Präriegras überwuchert waren.
Es war auch das Jahr, in dem Tom Lundy neunzehn wurde. Er war einer von denen, die mit einem Traum nach Norden ritten, denn er wollte ein Mädchen; nicht bloß eine, die er für eine flüchtige Stunde in den Armen halten konnte, sondern eine, mit der er sprechen konnte, die wie er die Schönheit einer jungen Liebe suchte.
Und ich, der jahrelang neben ihm geritten war und ihn vom Jungs zum Mann heranwachsen gesehen hatte, wusste, was in ihm lag, wusste es umso besser, weil auch mein Herz dieses Lied gesungen hatte.
Das Mädchen stand auf dem Gehsteig vor dem Laden, und als sie eine Hand hob, um ihre Augen gegen das Sonnenlicht abzuschirmen, schimmerten rotgoldene Reflexe in ihrem Haar. So blickte sie uns entgegen, als wir die Straße heraufgeritten kamen.
Sie sah ihn unverwandt an, mit einem Lächeln im Gesicht, und mit neunzehn ist das Lächeln eines fremden Mädchens ein Funke für den Geist und ein prickelnder Rausch im Blut, wie ihn kein schmutziger Grenzsaloon verkaufen kann.
Tom Lundy hatte sich seit Tagen nicht rasiert, und der Staub des Trecks hing in allen Nähten und Falten seiner Kleidung, aber er stieg ohne Zögern ab und ging zu ihr. Sie sah ihn mit einem langen, abschätzenden Blick an, dann wandte sie sich ab und ging ins Haus. Der Blick, mit dem sie ihn stehenließ, versprach nichts und verweigerte nichts.
Er hatte seinen Hut abgenommen, und mm wehte sein Haar im Wind. Er stand da und starrte ihr nach, und ich wusste Bescheid. Ein Stück weiter stand John Blake und sah zu, die schwarze Zigarre zwischen den Zähnen, und dann wandten sich seine Augen mir zu. Er schob seine Zigarre in den anderen Mundwinkel, drehte sich um und ging die Straße hinauf.
Tom kam zu seinem Pferd zurück. »Conn«, sagte er aufgeregt, »hast du sie gesehen? Hast du das Mädchen gesehen?«
»Ich habe sie gesehen.«
Er wollte ein Bad nehmen und sich rasieren, er wollte sich umziehen... und er wollte das Mädchen kennenlernen.
»Das bringt dir nur Ärger ein, Tom Lundy«, sagte ich. »Sie ist ein nettes Ding, aber du kennst die Regeln. Kein Viehtreiber darf auf die Nordseite der Stadt hinübergehen oder die Bürger belästigen.«
»Ich muss sie kennenlernen, Conn. Ich muss! Ich werde niemanden belästigen. Es ist bloß, dass ich sie Wiedersehen muss, mit ihr reden, verstehst du.«
»Dies ist John Blakes Stadt.«
Der Name hatte einen eigenen Klang, denn er war bekannt, wo immer Vieh weidete. Er war ein harter Mann, erfahren in der Behandlung harter Männer, und er kannte ihre Art und ihr Verhalten so gut, wie wir das Vieh kannten, das wir trieben. Wenn er sprach, war seine Stimme Gesetz. Er war ein breitschultriger, kraftstrotzender Mann, der für sein gerechtes Handeln bekannt war, aber auch einer, der seinem Gesetz notfalls mit dem Schießeisen Geltung verschaffte.
»Jetzt habe ich Zeit, mich um ein Mädchen zu kümmern«, sagte Tom Lundy. »Ich will mit niemandem Ärger - am wenigsten mit John Blake.«
Als wir eine Minute später vor dem Bon Ton absaßen, hörte ich Red Mike sagen: »Heute wird nicht getrunken. Wir müssen uns hinter unseren Kumpel stellen.«
Toms Augen waren voll froher Erwartung, und ich stand auf dem Gehsteig, betrachtete ihn und dachte über ihn nach.
Tom Lundy war ein Mann, stark und für jede Arbeit gut. Er war Kate Lundys Bruder, aber er ließ sich deswegen nicht bevorzugen, arbeitete wie wir in Hitze und Kälte, Dürre und Regen. Und doch war er in mancher Weise noch sehr jung und unwissend, denn in unserem wilden Land gab es auf viele Meilen im Umkreis keine Mädchen, und schon gar keine nach Tom Lundys Geschmack, der an den Romanen von Sir Walter Scott orientiert war.
In seinen Träumen sah er sich als Ritter in schimmernder Rüstung, der ausritt, um die Prinzessin mit dem goldgelockten Haar zu finden. Er war kein Dummkopf, kein einfältiger Illusionist, bloß ein gesunder junger Mann mit einem ehrlichen Traum, einem Traum, den seine Schwester - und ich, Gott helfe mir - aufzubauen mitgeholfen hatten.
Und er hatte das Mädchen gesehen.
Es hätte eins von zehntausend Mädchen in tausend Städten des ganzen Landes sein können, aber der Augenblick war da, und diese war diejenige, die er gesehen hatte.
Bannion kam aus seinem Saloon und stellte sich zu mir. »Wie war der Treck, Conn?«
»Das Übliche... bloß mehr Indianer dieses Jahr, glaube ich.«
»Du bist der erste in diesem Jahr.«
»Ban«, sagte ich, »da war eben ein Mädchen vor dem Laden drüben, ein großes, gutaussehendes Mädchen mit rotblonden Haaren. Weißt du, wer sie ist?«
»Lass deine Finger von ihr.«
»Ich rede nicht von mir. Ich rede von Tom Lundy.«
Bannion nahm die Zigarre aus den Zähnen und betrachtete aufmerksam das zerkaute Ende, bevor er antwortete.
»Conn, sag dem Jungs, er soll auf seiner Seite der Straße bleiben. Das ist Aaron McDonalds Tochter.«
Über dem Laden, in den sie gegangen war, hing ein Schild mit der Inschrift McDonalds Emporium.
»Tom Lundy«, sagte ich, »ist ein ordentlicher Junge. Wenn ich eine Schwester hätte, für die er sich interessierte, wäre ich stolz.«
Bannion nahm seine Zigarre wieder zwischen die Zähne. »Tom Lundy ist Texaner«, sagte er. »Obendrein ist er Viehtreiber. In Aaron McDonalds Werteskala steht er damit noch tiefer als ein halbnackter Indianer.«
»Zum Teufel mit ihm.«
»Von mir aus... aber beherzige meinen Rat. Sag Tom, er soll sie sich aus dem Kopf schlagen.«
»Hast du schon mal versucht, mit einem Jungs zu reden, der gerade das Mädchen gesehen hat, ohne das er nicht leben zu können glaubt?«
»Aaron McDonald ist ein halsstarriger, bigotter alter Puritaner«, sagte Bannion, und dass er leise sprach, verriet mir einiges. »Er besitzt den Store, er hat den Mietstall, er ist Teilhaber der Bank. Außerdem hat er das beste Haus der Stadt, mit einem Rasen und einem Staketenzaun darum. Seit zehn Monaten ist er hier, und zwei- oder dreimal am Tag begegnen wir uns auf der Straße. Er hat noch nie ein Wort mit mir geredet, hat noch nicht mal meine Existenz zur Kenntnis genommen.«
Bannion hielt inne, um an seiner Zigarre zu paffen. »Ich möchte, dass du das recht verstehst. Ich weiß, wie er denkt, und ich nehme es ihm nicht übel. Er ist aus dem Osten. Seit er hier lebt, ist er nicht einmal weiter als bis zum Friedhof aus der Stadt gefahren. Als er nach Westen kam, brachte er seine veralteten Vorstellungen mit. Er ist ein eigensinniger Mann, und er lässt sich nicht davon abbringen, dass Viehtreiber rohe, verwilderte Strolche sind.«
Ich musste lächeln. Gewiss, einige von uns waren wild und roh, aber schließlich war dies noch immer zum größten Teil ein gesetzloses Land.
»Tom ist ein prächtiger Junge«, sagte ich. »Einer der besten.«
»Nicht für Aaron McDonald. Für ihn ist er ein Wilder, wenn er Sporen und Chaps trägt. Er sagt, das Viehgeschäft sei bloß eine vorübergehende Erscheinung, und je eher wir sie überstanden hätten, desto besser. Und du kannst es glauben oder nicht, es gibt hier viele, die wie er denken.«
»Hier draußen? Die sind ja verrückt!«
»Sie wollen Farmer hier ansiedeln, Conn. Sie wollen mit Vieh nichts mehr zu tun haben. Und das gilt auch für Leute wie mich und euch, was das angeht.«
»Damit würden sie sich selbst ruinieren, wenn du mich fragst. Es wird noch Jahre dauern, bis es in diesem Land genug Farmer geben wird, um eine Stadt am Leben zu erhalten.«
Kate Lundy kam aus dem Hotel, und so entschuldigte ich mich und ging zu ihr.
Kate war eine hübsche Frau. Das harte Leben in der texanischen Wildnis hatte ihrer Schönheit kaum etwas anhaben können. Sie war schlank und anmutig. Sie hatte ein feingeschnittenes Gesicht mit hohen Backenknochen und großen, hübschen Augen... Und doch war auch Stahl in Kate Lundy, ein besonderer, von der Notwendigkeit des Überlebens unter schwierigsten Bedingungen gehärteter Stahl. Nur zwei Menschen wussten, was Kate durchgemacht hatte: sie selbst und ich, denn Tom war zu jung und wusste das meiste nicht richtig zu beurteilen.
»Guten Morgen, Conn«, sagte Kate. »Wie geht's dem Vieh?«
»Gut. Ich habe Priest und Naylor draußen bei D'Artaguette gelassen.«
»Hast du gefrühstückt?«
»Kaffee... Ich dachte, es sei besser, ich käme zuerst mal in die Stadt. Hardeman ist unten bei den Corrals. Heute kann er fünfhundert Rinder abnehmen, aber den Rest müssen wir auf der Weide lassen, bis er mehr Waggons bekommt.«
»Das Gras ist gut.«
»Ja, das stimmt.«
»Du machst dir Sorgen, Conn. Weswegen?«
»Tom. Er hat Aaron McDonalds Tochter gesehen, und nun will er ihr den Hof machen. Er ist ganz hin. Ich glaube, er macht sich schon zurecht.«
»Du meinst, sie ist kein nettes Mädchen? Ist es das?«
»Sie wohnt auf der Nordseite der Straße.«
Sie schwieg längere Zeit, und wir standen zusammen im hellen Sonnenschein. Schließlich sagte sie einfach: »Conn, lass uns frühstücken.«
Wir gingen, aber John Blake kam uns auf dem Gehsteig entgegen, und wir blieben stehen, um ihn zu begrüßen.
Blaue, kühle Augen in einem eckigen Gesicht betrachteten uns aufmerksam. Er trug einen sauberen schwarzen Anzug mit schwarzer Krawatte.
»Guten Tag«, sagte er zu Kate. »Mrs. Lundy, nicht wahr?«
»Ja, und Sie dürften John Blake sein.«
Er warf mir einen kurzen Blick zu. »Und du bist Conn Dury.«
Die Feststellung war überflüssig, denn er wusste es gut genug. In den Viehzuchtgebieten gab es wenige, die meinen Namen nicht kannten, und es gab Gutes und Schlechtes, was er über mich gehört haben konnte. Weil er John Blake war, hatte er wohl alles gehört, glaube ich. Solche Kenntnisse gehörten mit zu seinem Beruf.
»Man sagt, du hast eine gute Hand mit Vieh, Dury«, sagte er, »und man sieht es den Tieren an.« Er blickte die Straße entlang, dann kam er zur Sache. »Deine Leute trinken nicht.«
»Nein.«
»Todt Mulloy«, sagte er, »und Red Mike...«
»Die und auch die andern sind in Ordnung, Blake«, sagte ich. »Gute Männer.«
»Ihr wollt hier Unruhe stiften, Dury.«
»Mann«, sagte ich gereizt, »warum sollten wir Ärger wollen? Mrs. Lundy hat eine gute Crew, lauter solide Leute, die schon lange für sie arbeiten. Die gehören alle zur Familie, sozusagen.«
»Das ist wahr, Mr. Blake«, sagte Kate.
Er war nicht zufrieden. Er wusste so gut wie wir, dass etwas in der Luft liegt, wenn eine Treibmannschaft keinen Alkohol anrührt, und er wollte wissen, was er zu erwarten hatte.
Wir hatten uns kaum an einen Tisch im Restaurant gesetzt, als sie hereinkam - ein hübsches Mädchen, kühl, beherrscht und ein wenig älter, als ich sie zuerst eingeschätzt hatte. Sie war vielleicht neunzehn oder zwanzig, ein Alter, das wenige Mädchen unverheiratet erreichten. Kate warf ihr einen Blick zu, dann noch einen, und bevor sie etwas zu mir sagen konnte, ging die Tür auf und Tom kam herein. Er steuerte direkt auf das Mädchen zu.
Er sah uns nicht. Er sah nur das Mädchen allein an einem Tisch sitzen. Als er bei ihr war, zog er seinen Hut und machte eine ungelenke Verbeugung.
»Ich sah Sie, als ich in die Stadt geritten kam«, sagte er. »Ich kann nicht gut mit Worten umgehen, und außer Pferden, Vieh und Gras kenne ich wenig. Aber als ich Sie da stehen sah, wusste ich sofort, dass mein Leben mit Ihnen angefangen hat und mit Ihnen enden wird und dass es kein Glück für mich geben würde, wenn ich Sie nicht kennenlernte.«
Sie blickte zu ihm auf und sagte: »Mein Vater ist Aaron McDonald. Er hält wenig von Texanern.«
»Wenn Sie es erlauben, werde ich heute Abend vorsprechen.«
»Das Haus steht am anderen Ende der Straße zwischen Pappeln«, sagte sie, dann fügte sie hinzu: »Und es ist auf der Nordseite der Straße.«
»Ich werde kommen«, sagte er.
Damit drehte er sich um und verließ das Restaurant, ohne uns gesehen oder auch nur in unsere Richtung geblickt zu haben.
Sie blieb still sitzen, und nichts in ihrem Gesichtsausdruck veränderte sich. Aber ich bemerkte einen Ausdruck in ihren Augen, der mir nicht gefiel.
Die Serviererin, die unser Frühstück brachte, war jung, ein nettes Mädchen mit munterem Gesicht und attraktiver Figur. Als sie am Tisch des anderen Mädchens vorbeikam, blieb sie einen Moment stehen und sagte: »Das war nicht nett von dir, Linda, und du weißt es. Er ist Texaner, und John Blake wird nicht erlauben, dass er ins nördliche Viertel geht.«
»Was ist los mit dir, Moira? Eifersüchtig?«
Die Kellnerin wandte sich mit einem Ruck ab und brachte das Essen an unseren Tisch. Linda erhob sich und ging nach einem kurzen Lächeln in unsere Richtung hinaus. Gleich darauf kam Moira an unseren Tisch zurück. »Wenn er ein Freund von Ihnen ist, dieser Texaner«, sagte sie, »dann sagen Sie ihm, er soll heute Abend nicht hingehen.«
»Danke«, sagte Kate. »Er ist mein Bruder.«
»Ach so...« Sie errötete. »Es tut mir leid, ich hätte mich nicht einmischen sollen, aber es ist schrecklich, wie sie sich benimmt! Wenn sie wirklich was für ihn übrig... ich meine, wenn einem Mädchen wirklich daran läge, dann würde sie zur Südseite kommen, um ihn zu sehen.«
»Würden Sie das tun?«, fragte Kate.
Sie reckte das Kinn. »Ganz bestimmt. Wenn es einem Mann so ernst damit ist, und wenn ich ihn mag, dann gehe ich auch zu ihm, egal auf welche Straßenseite.«
»Ich wünschte, Sie wären es, die er kennenlernen will«, sagte Kate.
Wir aßen, und nach einer Weile blickte Kate über den Tisch zu mir. »Conn... was können wir tun?«
»Ich werde mit John Blake reden.«
»Sei vorsichtig, Conn«, sagte sie mit einem besorgten Blick. »Ich will keine Schwierigkeiten.«
»Mit Blake? Jeder von uns weiß zu viel vom anderen. Wir können uns ohne Waffen verständigen.«
»Also, meinetwegen. Rede mit ihm. Vielleicht drückt er bei Tom ein Auge zu.«
Ich nickte. »Tom ist ein braver Junge. Bei seiner Erziehung hast du gute Arbeit geleistet.«
»Ich? Das war dein Werk, Conn. Was immer er ist, du hast ihn dazu gemacht. Er hat dich verehrt, und er tut es immer noch.«
Sie stellte ihre Tasse weg. »Conn. Erinnerst du dich noch an den Tag, damals? Du rettetest uns das Leben. Es war wie ein Wunder.«
Das einzige Wunder war das, was mit mir geschehen war, denn ich war damals ein Herumtreiber auf der Flucht, hatte nichts als Kämpfe und Scherereien hinter mir und nichts zu erwarten als mehr von der gleichen Art.
Ich hatte den Rio Grande überquert. Meine Hosen waren kaum trocken, als ich das hohle Krachen von Gewehren hörte und wusste, woran ich war. Südlich der Grenze hatte ich in den letzten paar Tagen zweimal die Fährte des Apachentrupps gekreuzt, und beide Male hatte ich gesehen, was die Rothäute angerichtet hatten.
Einsame mexikanische Ranches und Bauerngehöfte niedergebrannt, das Vieh weggetrieben, die toten und verstümmelten Leichen der Bewohner in der Sonne zurückgelassen. In beiden Fällen hatten sie die Leute bei der Arbeit überrascht, nichtsahnende Menschen, die auf ihren Feldern und vor den geschwärzten Ruinen ihrer Häuser lagen, den Geiern zum Fraß. Aber die Schießerei, die ich jetzt hörte, schien ein Zeichen zu sein, dass die Apachen bei einem neuen Überfall weniger Glück hatten.
Der Trupp, dessen Fährte ich gekreuzt hatte, bestand aus neun Indianern. Ich ritt vorsichtig weiter, stieg schließlich ab und kletterte auf einen kahlen, steinigen Hügel hinauf. Von den Felsen hielt ich Ausschau und sah die Flammen aus einem brennenden Haus schlagen, den aufsteigenden Rauch... und zwischen dem Gebäude und meiner Felskuppe sah ich die Indianer.
Einer lag ausgestreckt neben dem Haus, anscheinend tot. Am flach auslaufenden Hang unter mir kroch einer mit gebrochenem Bein im Gestrüpp herum.
Hinter einem Holzstoß nahe beim Haus krachte eine Büffelflinte, und der Pulverrauch verriet mir die Position des einsamen Verteidigers. Ich schluckte, sah genauer hin... es war eine Frau!
Auf einmal bewegte sich schräg hinter ihr der vermeintlich tote Apache. Und als er sich auf richten wollte, feuerte ich.
Es gab keinen Gedanken hinter der Tat, keine Überlegung, nicht einmal den Wunsch zu helfen. Der Apache war hinter der Frau, und er kam in die Höhe, ein Messer in der Hand. Und plötzlich hatte ich ihn im Visier und feuerte.
Er schrie auf und warf sich blindlings vorwärts, aber als er drei Schritte vor der Frau aufs Gesicht fiel, war er schon tot.
Mindestens zwei der neun Apachen waren kampfunfähig, also blieben noch sieben übrig, aber meine Lage war denkbar günstig. Vor meinem Eingreifen hatte ich ihre Stellungen ausgemacht, und nun, während mein Schuss verhallte, gab es kein Zurück mehr: ich hatte den Krieg erklärt, und Sieg war der einzige Ausweg. Ich schwenkte den Gewehrlauf und feuerte drei weitere Schüsse ab, so schnell ich zielen und abdrücken konnte.
Mein Angriff kam zu plötzlich für sie, zu unerwartet. Mein erster Schuss traf einen Indianer zwischen die Schulterblätter; der zweite fuhr in den Sand; der dritte fing einen rennenden Indianer mitten im Sprung ab. Sein Gewehr flog in hohem Bogen durch die Luft, er selbst schlug lang ins Gestrüpp und blieb liegen.
Ein Indianer ist durch keinen Zwang dahin zu bringen, dass er bis zur letzten Patrone kämpft. Wenn das Kriegsglück nicht auf seiner Seite ist und er die Möglichkeit hat, macht er sich einfach davon und wartet auf einen anderen Tag und eine günstigere Gelegenheit. Von neun Männern waren drei tot und wenigstens einer verwundet. Die Geister waren nicht mit ihnen, und so nahmen sie die Toten mit, die sie erreichen konnten, und verschwanden im Busch.
Ich holte mein Pferd und ritt hinunter, zu meiner ersten Begegnung mit Kate Lundy.
»Vielleicht nützt es was, wenn ich mit Tom rede«, schlug Kate unvermittelt vor.
»Kate, der Junge jagt einem Traum nach. Er hat ein Mädchen gesehen, und für ihn ist es auf einmal die Verkörperung all der Mädchen, von denen er je geträumt hat. , Der Umstand, dass es Widerstände gibt, bestärkt ihn nur darin. Du kannst mit ihm reden, wenn du willst, aber es Wird nicht helfen.«
Ich nahm meinen Hut und stand auf. »Hardeman wird bei den Corrals sein und auf uns warten«, sagte ich. »Er will über den Abschluss verhandeln. Ist es nötig, dass ich dabei bin?«
»Ich kann das allein machen.«
»Dann gehe ich zu Blake.«
2.
Todt Mulloy und Red Mike faulenzten auf dem Gehsteig in der Nähe des Store. Als sie mich kommen sahen, standen sie auf. Todt war zweiundzwanzig und seit seinem vierzehnten Lebensjahr Cowboy. Er und Tom Lundy waren Sattelpartner. Red Mike war einige Jahre älter, ein kaltschnäuziger und grober Kerl, aber ein guter Arbeiter und ein sehr guter Schütze. Angst war für ihn ein Fremdwort.
»He, Corrn«, grollte er, »machen sie Ärger, weil Tom mit der Puppe ausgehen will?«
»Ich werde mit John Blake reden.«
»Hat keinen Zweck. Du weißt, wie er ist, Conn. Seine Regeln sind ihm heilig.«
»Ich werde schon mit ihm klarkommen.«
»Na schön«, sagte Mike. »Wenn ihn jemand zurechtstutzen kann, bist du es.«
»So hatte ich das nicht gemeint«, sagte ich gereizt. »Wir wollen diese Sache nicht zu einer Schießerei hochspielen, also bleibt friedlich!«
»Wenn du uns brauchst, sind wir jedenfalls hier«, sagte Mike. »Und nüchtern.«
Er nahm eine Flasche von der Theke, ließ sich zwei Gläser geben er seine Flasche von der Theke, ließ sich zwei Gläser geben und nickte mir zu. Zusammen gingen wir an einen der hinteren Tische und setzten uns.
»Hast du dein Vieh verkauft?«
»Kate spricht gerade mit Hardeman.«
Blake füllte die Gläser. »Conn, willst du mir einen Gefallen tun? Wenn du dein Geld hast... zieh weiter.«
»Kate ist der Boss. Wir ziehen ab, wenn sie es anordnet.«
»Sie wird auf dich hören.«
»Vielleicht.«
»Conn, ihr habt eine schwierige Crew. Ich kenne einige von den Jungs von Abilene und Ellsworth her, und ich weiß, wann ich mit Ärger rechnen muss. Wenn so eine Crew nichts trinkt, ist was faul. Ich will wissen, was es ist.«
»Warst du schon mal verliebt? Ich meine, als du jung warst.«
Er machte ein erschrockenes Gesicht. Ich glaube, es war das einzige Mal, dass ich John Blake erschrocken sah. Plötzlich war er auch verlegen.
»Wieso, jeder war mal verliebt. Oder er bildete es sich ein.«
»Was auf das gleiche hinausläuft.«
John Blake strich seinen Schnurrbart mit der Fingerspitze und sah mich forschend an. Ich entschied mich für Offenheit.
»John, Tom Lundy wird heute Abend auf die Nordseite der Stadt gehen.«
Seine Gesichtsmuskeln spannten sich. »Nein«, sagte er, »das kann ich nicht erlauben.«
»Man kann es auch anders ansehen, John. Du brauchst nicht dabei zu sein, und du brauchst es nicht zu wissen. Dann wird es keine Schwierigkeiten geben.«
»Du weißt nicht, wovon du redest. Verdammt, wenn ich geahnt hätte, dass es das ist, wäre ich...«
»Tom Lundy ist Kates Bruder, John. Er ist ein anständiger Junge, kein Krawallmacher. Er kann arbeiten, er meint es ernst, und er ist ein Junge, der seinen Weg in der Welt machen wird. Ein Mädchen, das sich nicht für ihn interessiert, müsste übergeschnappt sein.«
»Kennst du Aaron McDonald?«
»Nein.«
»Dann solltest du ihn kennenlernen. Vielleicht verstehst du mich danach besser. Er ist ein strenger, harter Mann. Unnachgiebig. Für ihn gibt es bloß schwarz oder weiß. Er ist ein Hexenjäger.«
»Verstehe ich nicht.«
»Ein Hexenjäger. Wie diese Leute in den alten Zeiten, ich meine, die Katholiken mit ihrer Inquisition. So ist er auch. Er könnte das Urteil sprechen und auch noch eigenhändig den Scheiterhaufen anzünden. Trotzdem ist er auf seine Weise ein guter, braver Bürger. Als sie mich einstellten, war er zuerst dagegen, aber jetzt ist er froh darüber, denn seit damals hat es in der Stadt keine Schießereien mehr gegeben und die Viehtreiber aus Texas sind südlich der Straße geblieben.
Er hat Geldsammlungen für eine Kirche veranstaltet, und bis wir einen Priester bekamen, predigte er selbst von der Kanzel, meistens über Hölle und Verdammnis. Ich kann mich noch gut an eine Predigt erinnern, die er über die Leute aus Texas gehalten hat. Das ist ein Thema, von dem er nicht genug kriegen kann... das und das Geld.«
»Wie stellt er sich das Geldverdienen hier draußen vor, wenn er mit den Viehleuten aus Texas nichts zu tun haben will?«
»Wo sollen die Viehleute sonst hingehen, Conn? Dies ist der beste Verladeplatz, und das wissen McDonald und seine Freunde. Ja, und vergiss nicht, er ist nicht allein. Zwei Drittel der Stadt stehen hinter ihm - Tallcott, Braley, Carpenter, alle diese Leute. Tallcott und Braley sind mit ihm nach Westen gezogen. Sie können vierzig Männer gegen euch auf die Beine bringen, vielleicht mehr.«
»Mit Tom wird es keine Schwierigkeiten geben, solange andere keinen Ärger machen. Er glaubt, er habe das Mädchen seiner Träume gefunden, und vielleicht hat er es wirklich gefunden.«
»Er hat es nicht.«
Etwas in seinem Tonfall ließ mich aufblicken. »Könntest du mir das erklären?«
John Blakes bleiches, kantiges Gesicht bekam ein wenig Farbe. »Ich gehöre nicht zu denen, die über eine Frau reden. Hat dieser Junge dir erzählt, was sie gesagt hat?«
»Wir haben es selbst gehört, Kate und ich. Sie sagte nicht, dass er kommen solle, sie sagte nicht, dass er wegbleiben solle.«
»Siehst du.«
»Was?«
John Blake rutschte auf seinem Stuhl herum und legte seine dicken, behaarten Arme auf den Tisch. »Corny ich möchte nicht, dass du das weitererzählst, aber dieses Mädchen wird noch jemanden unter die Erde bringen. Genau das könnte es sein, was sie vorhat.«
»Du bist ja verrückt«, sagte ich. Es war eine absurde Idee. Ich hatte das Mädchen gesehen, und sie hatte genug von einer Dame, um in jedem vornehmen Saloon bestehen zu können. Nichts Leichtsinniges, Flatterhaftes an ihr, und keine Frage, sie war anziehend. Vielleicht ein bisschen kühl... aber Mädchen dieses Typs sind manchmal die leidenschaftlichsten und zärtlichsten.
»Ich habe das Mädchen gesehen, John«, sagte ich.
»Versteh mich nicht falsch. Es hat wegen ihr nie Gerede gegeben. Sie reitet nicht mit jungen Männern aus, und ich kann die Gelegenheiten an den Fingern abzählen, wo sie mit einem auf der Straße gegangen ist.«
Wir kamen nicht weiter, und Kate brauchte mich vielleicht bei den Verkaufsverhandlungen mit Hardeman - obwohl es das erste Mal wäre. Kate war eine gute Geschäftsfrau, der keiner etwas vormachen konnte. Sie konnte genauso hart und zäh verhandeln wie irgendeiner.
»Und das ist gerade das Problem«, sagte John Blake.
»Was?«
»Pass auf, Conn. Hier haben wir ein hübsches Mädchen. Sie ist zwanzig Jahre alt, obwohl sie das nicht zugeben wird, weil die meisten Mädchen in diesem Land zwischen sechzehn und achtzehn heiraten. Du kannst mir glauben, sie hat genug Chancen gehabt.
Aber wie ich sagte, sie reitet nicht mit den Jungs aus, sie geht nicht mit ihnen spazieren. Sie lädt sie nach Hause ein. Oder lässt sie glauben, sie seien eingeladen.«
»Und?«
»Dann schickt ihr Vater die Jungs fort.«
Ich konnte keinen Sinn darin sehen und sagte es. John Blake schob seinen Hut in den Nacken, dann nahm er ihn ab und legte ihn neben sich auf den Tisch.
»Vielleicht drücke ich mich nicht deutlich genug aus. Die Sache ist die: ich glaube nicht, dass sie überhaupt heiraten will, und ich glaube, es macht ihr Spaß, wenn ihr Vater diese Männer fortschickt. Und wie er sie abblitzen lässt!«
Blake machte eine Pause, dann sagte er: »Conn, ich weiß nicht, ob du das verstehst, aber ich bin der Meinung, dass sie Männer hasst.«
Allmählich begann ich zu wünschen, dass Kate Lundy hier wäre. Wenn es um Vieh, Pferde oder Männer geht, kenne ich mich aus. Da weiß ich Bescheid, aber mit Frauen war ich meiner Sache nie sicher.
»Das leuchtet mir nicht ein.«
Blake kippte seinen Schnaps. »Conn, wenn du dein Leben wie ich in einer Kleinstadt verbringst, stößt du auf eine Menge Dinge, die dir nicht einleuchten wollen. Rede mit dem Jungs. Erzähl ihm, was ich dir über das Mädchen gesagt habe, dann kommt er vielleicht von selbst zur Vernunft. Aber sieh zu, dass du ihn südlich der Straße hältst.«
»Und wenn ich es nicht kann?«
»Dann muss ich ihn selbst aufhalten.«
Da war es. Offen und ohne Umschweife.
Ich räusperte mich. »Es handelt sich hier nicht um eine Herausforderung, John. Kein Mensch kann dir einen Vorwurf machen, wenn du ihn nicht siehst. Lass den Jungs hingehen, sich seine Abfuhr holen und zurückkommen. Dann reiten wir aus der Stadt, und der Fall ist erledigt.«
Er schaute mich eindringlich an. »Du meinst, das sei so einfach? Diese Regel braucht nur einmal durchbrochen zu werden - nur einmal -, und sie existiert nicht mehr. Während der ganzen Saison würde ich jede Nacht in der Woche eine Schießerei haben. Wenn einer sich so was herausnehmen kann, warum dann nicht alle?«
Wir saßen da und wussten, dass unser Gespräch zu Ende war und dass wir nicht weitergekommen waren. Aber keiner von uns wollte aufstehen und Fortgehen, weil es bedeutet hätte, dass der offene Konflikt unvermeidbar wäre.
»John, ich bitte dich. Schau in die andere Richtung.«
»Ich kann nicht. Und wenn ich es könnte, McDonald würde es nicht tun. Glaub mir, Conn, der Mann kennt kein Nach geben. Er ist wie Eisen.«
Mein Mund war trocken, und ich fühlte meine Hände schwer und unbeholfen auf dem Tisch vor mir liegen. Der Whisky war da, aber ich wollte ihn nicht. Alkohol hat noch nie ein Problem gelöst oder einfacher gemacht.
»John, wenn der Junge nicht hören will und hingeht...«
Er sah mich an, die kalten Augen noch kälter. »Was dann?«
»Dann muss ich ihn unterstützen, John.«
Eine lange Minute sahen wir einander über den Tisch hinweg an, und jeder wusste, was dieser Moment bedeutete. John Blake war ein Town Marshal, dessen Ruf auf seiner Furchtlosigkeit gründete. Er war ein guter Mann im Umgang mit der Waffe, aber einer, der selten von ihr Gebrauch machte. Er drohte nie, prahlte nie, legte nie eine Hand an die Waffe, es sei denn, um sie zu ziehen, und zog niemals, es sei denn, um zu schießen. Und er schoss nur, wenn er töten musste.
Im Laufe von fünfzehn Jahren als bewaffneter Beifahrer auf Wells-Fargo-Postkutschen und Marshal kleiner Landstädte im Viehzuchtgebiet hatte John Blake elf Männer getötet. Unter ihnen waren keine Trunkenbolde oder ruhmsüchtigen jungen Burschen gewesen. Mit solchen wurde er auf andere Art fertig.
Was mich anging, so wusste John Blake genug, um zu erkennen, was die Entscheidung bedeuten konnte. Es hatte eine Zeit gegeben, wo es hieß, ich sei schneller als Wes Hardin und somit der gefährlichste lebende Revolverschütze - ein Ruf, auf den ich nie Wert gelegt hatte.
»Das sollte mir leid tun«, sagte er einfach, und ich kannte den Mann gut genug, um zu wissen, dass er es genauso meinte.
»Tom Lundy ist der Junge, den ich gern als Sohn gehabt hätte«, sagte ich, »obwohl ich kaum alt genug bin, um sein Vater zu sein.«
Er verstand, dass es ein hohes Lob war, und nickte. Nach längerem Schweigen sagte er: »Kannst du deine Leute aus der Sache heraushalten, Conn? Es gibt Geschichten von Männern, die eine Stadt terrorisierten, aber wir wissen beide, dass es nie passiert ist. In einer Stadt, wo siebzig Prozent der Bewohner Kriegsveteranen sind und neunzig Prozent gegen Indianer gekämpft haben, ist so was ausgeschlossen.
Übrigens solltest du Aaron McDonald nicht unterschätzen. Er ist ein kalter Fisch, aber wenn er glaubt, dass ich Hilfe brauche, würde er mich mit fünfzig Gewehren unterstützen, lauter gute Schützen.« Er sah mich an. »Du hast fünfzehn Männer, glaube ich.«
Natürlich hatte er Recht. Wenn die Jungs darauf bestanden, Tom Lundy den Rücken zu stärken, würde es ein Gemetzel geben. Die Stadt würde leiden, aber für unsere Leute wäre es das sichere Ende.
»Ich werde sehen, was ich tun kann.«
Der Barkeeper sah mich gehen, und der sorgenvolle Gesichtsausdruck des Mannes verfolgte mich bis auf die Straße. Seine Familie wohnte hier, und wenn die Schießerei losging, waren auch die Unbeteiligten in Gefahr.
Draußen blieb ich eine Minute im Sonnenlicht stehen. Natürlich gab es nur eine Lösung. Ich musste die Crew aus der Stadt abziehen.
Kate war im Hotel, als ich hinkam, und du Gesicht schien anzudeuten, dass sie etwas gehört hatte. Wir setzten uns in eine Ecke des leeren Foyers.
»Was sagt er?«
»Er gibt nicht nach, Kate, aber ich verstehe seinen Standpunkt. Er wagt die Tür nicht mal einen Spalt breit zu öffnen.« Dann berichtete ich, was John Blake über Linda McDonald gesagt hatte.
»Ich kann darin keinen Sinn finden, Kate. Warum sollte sich ein Mädchen so verhalten?«
Kate schwieg, und ich wartete; denn Kate war bei aller Tatkraft eine Frau mit Menschenkenntnis.
»Es kann schon sein, dass sie keine Männer mag. Wahrscheinlich hängt sie sehr an ihrem Vater.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Manchmal misst ein Mädchen alle Männer an ihrem Vater, oft ohne es zu wissen. Es gefällt ihr, wie er die Verehrer davonjagt, denn für sie beweist es die Überlegenheit ihres Vaters.«
»Kate, wie stehen wir mit Hardeman?«
»Er bietet zweiundzwanzig Dollar für das Stück, aber ich glaube, er wird bis auf fünfundzwanzig gehen.«
»Geh auf sein Angebot ein, Kate. Lass uns von hier verschwinden.«
Sie blickte mich überrascht an. »Ist es so schlimm?«
»Ich sagte Blake, dass ich Tom beistehen werde, sollte es hart auf hart gehen. Das bedeutet, wenn Tom zu diesem Mädchen geht, werde ich ihn begleiten.«
»Und du würdest es auf einen Kampf mit Blake ankommen lassen?«
»Wenn Tom hartnäckig bleibt, könnte es dazu kommen.«
Sie stand auf. »Ich werde mit Hardeman reden.«
Sie wandte sich zum Gehen, dann blieb sie noch einmal stehen, »Tom wird auf dich hören, Conn. Geh zu ihm. Mach' ihm klar, wie albern das alles ist.«
»In Ordnung.«
Als ich die Straße entlang ging, begriff ich, wie ernst die Lage geworden war. Es steckte mehr dahinter als bloß ein Junge, der ein Mädchen besuchen wollte; der Krieg zwischen den Staaten wirkte nach, und es gab immer noch böses. Blut. Neun von meinen Leuten hatten in der Armee der Konföderierten gekämpft, .und die meisten anderen hatten Väter oder Brüder, die für den Süden gekämpft hatten öder gefallen waren. Alle Bas auf einen stammten aus Texas. Bis auf einen - und mich.
In gewisser Weise stammte ich auch aus Texas, denn meine Eltern lagen dort begraben, und ich hatte länger dort gelebt als irgendwo sonst.
Die Männer dieser Stadt hatten dagegen auf Seiten der Union gekämpft oder waren, wie ich es von McDonald wusste, entschiedene Gegner der Sklaverei gewesen. John Blake selbst hatte als Kundschafter für die Unionsarmee gedient.
Die meisten texanischen Viehtreiber interessierten sich nicht für das, was nördlich der Straße lag. In jeder Stadt, die vom Viehumschlag lebte, gab es eine solche Trennung; man akzeptierte sie ohne viele Worte. Die Cowboys kamen in die Stadt, um sich auszutoben, und zum Austoben gab es Saloons und Bordelle. Jeder verstand das und sah keine Diskriminierung darin.
John Blakes Anordnung hatte vernünftige Gründe, und bis auf gelegentliche aufsässige Trunkenbolde fühlte sich niemand auf gerufen, sie in Frage zu stellen. Tom Lundy s Fall war ganz anders gelagert.
Tom war der jüngere Bruder der Ranchbesitzerin, zugleich aber war er der jüngere Bruder eines jeden anderen in Kate Lundys Crew, selbst für jene, die kaum älter waren als er. Er war ein Ehrenmann und hatte sich immer wie einer benommen. Er ritt die wildesten Pferde, er arbeitete mit den anderen Treibern und bekam den gleichen Lohn, und bei aller leichtsinnigen Unüberlegtheit bewegte sich sein Handeln doch stets innerhalb scharf umrissener Grenzen, die er sich selbst zog. Er trank keinen Alkohol, und keinem unserer zechfrohen Männer wäre es eingefallen, ihm einen Drink anzubieten.
Tom Lundy das Recht zu verweigern, im nördlichen Teil der Stadt ein Mädchen zu besuchen, war eine persönliche Beleidigung für jeden Reiter der Tumbling B.
Der verlorene Krieg war noch frisch in jedermanns Erinnerung, und Ressentiments beherrschten die Gefühle. Die Polizei der Union hatte die Texaner in ihrem eigenen Land wie zweitklassige Menschen behandelt. Bitterkeit hatte sich tief in viele Herzen eingefressen.
John Blake wusste es, und er kannte auch die Männer unserer Crew. Jeder von ihnen hatte Dutzende kleinerer und größerer Gefechte mit Indianern oder Viehdieben mitgemacht. Die Stadt konnte sie schlagen, vielleicht sogar auslöschen, aber bevor das geschähe, würden andere Männer sterben.
Ich nahm mein Pferd und ritt hinaus zur Herde. Tom sah mich gleich und kam mir entgegen. Er war rasiert, gewaschen und herausgeputzt.
»Hallo, Conn!« Er wendete sein Pferd und kam längsseits. »Kannst du nicht einen zur Ablösung schicken? Ich will in die Stadt.«
»Ich kann dich nicht gehen lassen, Tom.«
Sein Gesicht verhärtete sich ein wenig. »Was ist los? Hast du Angst vor John Blake?«
Die Worte waren kaum heraus, da taten sie ihm schon leid. Ich sah es in seinen Augen, aber in mir war plötzlich wieder dieses alte Gefühl, dass sich etwas zusammenzog. In jenen Tagen sagte man das nicht ungestraft zu einem, der eine Waffe an der Seite trug, doch ich war alt genug, um darüber wegzusehen.
»Ich habe keine Angst vor ihm, Tom, und du weißt es verdammt gut. Aber wenn du heute Abend zu diesem Mädchen gehst, könnte es jemanden das Leben kosten.«
»Ich fürchte mich nicht.«
»Das habe ich nicht behauptet, noch habe ich gesagt, dass du derjenige sein würdest, der dran glauben muss.«
Wortgewandtheit war noch nie meine Sache gewesen. Irgendwie konnte ich nie die treffende und überzeugende Form finden, obwohl ich weit genug herumgekommen und auch nicht auf den Mund gefallen war.
»Junge«, fing ich noch einmal an, »wenn du heute Abend in den Nordteil der Stadt gehst, wird die Hölle los sein. Glaub mir, McDonald lässt sich das nicht bieten.«
»Ah, Conn!«, sagte er. »Ich werde schon aufpassen. Bevor jemand was merkt, bin ich zurück.«
»Sie will dich in Wahrheit gar nicht sehen, Tom.«
Das glaubte er natürlich nicht, und ich hätte es mir denken können. Sie war das Mädchen, das er wollte, und die Idee, sie könnte ihn verschmähen, erschien ihm unannehmbar.
Ich setzte es ihm auseinander, so ruhig und vernünftig wie ich konnte, und ich sagte ihm, was John Blake mir anvertraut hatte.
»Ich glaube es nicht.«
»Sag das nicht, wo John Blake dich hören kann.«
»Zum Teufel mit ihm! Alle reden ständig von John Blake! Was ist denn so großartig an ihm? Hat er vier Hände oder was?«
»Er braucht keine vier Hände, Tom. Lass dir das von mir sagen.«
Er schien mich zum ersten Mal zu sehen, so starrte er mich an, und ich wusste plötzlich, dass ich in diesem Augenblick Tom Lundys Respekt eingebüßt hatte.
Der Begriff Tod ist nur ein Wort, wenn man in seinem Alter ist; und so viel Tom auch schon gesehen hatte, noch nie hatte er gute Männer wegen einer Lappalie im Staub einer Straße sterben sehen. John Blake war ein guter Mann, der eine notwendige Arbeit tat, und ich wollte John Blake nicht töten. Noch wollte ich riskieren, aus einem lächerlichen Anlass wie diesem selbst getötet zu werden.
»Also gut«, sagte er. »Du hast es mir gesagt, und ich habe dich gehört;«
»Geh nicht, Tom. Du darfst nicht mal daran denken.«
»Meinst du, ich habe Angst?«
Da war es wieder. In seinem Alter bedeutete es so viel, sich und anderen zu beweisen, dass man keine Angst hatte. Ich wusste, wie er fühlte, denn es war noch nicht allzu lange her, dass ich ähnliche Gedanken gehabt hatte.
»Es geht hier nicht allein um dich, Tom. Es geht um uns alle.«
»Verdammt, Conn, wir könnten diese Stadt auseinandernehmen. Die Tumbling B könnte diese Leute hier auf die Bäume jagen.«
»Tom, siehst du den Mann mit dem Bart, der den Gehsteig fegt? Das ist George Darrough. Als Büffeljäger schoss er in zwei Jahren über zweitausend Bisons. In dieser Zeit hatte er sieben Kämpfe mit Indianern, und vorher war er vom ersten bis zum letzten Tag im Krieg. Der Mann, der jetzt die Straße überquert und zu ihm geht, ist einer der besten Scharfschützen im Westen. Männer wie sie sind es, gegen die du zu kämpfen hättest.«
Darauf wusste Tom Lundy nichts zu sagen, aber sein Gesicht bekam einen trotzigen Ausdruck, und ich wusste, was er dachte. Er war stolz auf unsere Tumbling B, und wir hatten gerade eine Herde durch alle möglichen Gefahren ans Ziel gebracht, hatten die Angriffe der Indianer abgewehrt, und das mit zu wenig Arbeitskräften. Er mochte nicht zugeben, dass den Mahnern der Tumbling B irgendetwas unmöglich war.
Außerdem fürchtete er vermutlich, dass Linda McDonald ihn für ein Großmaul halten würde, wenn er sein Versprechen nicht wahr machte. Er war zu jung, um nüchtern abzuwägen, um die untergründigen Ressentiments zwischen unseren Leuten und den Stadtbewohnern zu beurteilen und einzukalkulieren.
»Ich will keine Schießerei, Conn«, sagte er. »Wann habe ich je eine angefangen? Ich will bloß ein Mädchen besuchen. Was ist daran so schlimm?«
»Nichts. Gar nichts, außer dass, niemand einen Viehtreiber nördlich der Straße sehen will, John Blake hat dafür zu sorgen, dass keiner hingeht - ohne Ausnahmen. Das ist sein Job.«
Die Verärgerung in seinem Gesicht war nicht zu übersehen, und ich konnte ihm seine Gefühle nicht verdenken. Aber ich sah auch keinen vernünftigen Grund, wegen einer solchen Sache das Leben einiger Männer zu riskieren.
Schließlich sagte er: »Ist es in Ordnung, wenn ich mit dir in die Stadt zurückreite? Dann kann ich ihr wenigstens sagen, dass ich nicht komme.«
Was konnte ich entgegnen? Ich stimmte zu, aber ich blieb besorgt, nicht allein seinetwegen, sondern auch wegen der anderen. Delgado war in der Stadt, und er war ein kühler Kopf, aber von Rule Carson konnte man das nicht behaupten: ein falsches Wort genügte, um eine Schießerei zu provozieren. Die ganze Crew fühlte sich mit Tom Lundy diskriminiert; in dieser Situation war es an mir ebenso wie an John Blake, den Frieden zu wahren.
Kate wartete auf mich im Hotel, als ich in die Stadt kam. Sie hatte das Geschäft mit Hardeman abgeschlossen, und es gab nichts mehr zu tun als zur Bank zu gehen und das Geld abzuheben.
Hardeman kam zu mir und sagte: »Conn, ich muss dich warnen. Ich habe das Gerede in der Stadt gehört, und der Mann, der das Geld auszahlt, wird Aaron McDonald sein.«
»Und?«
»Er ist ein engstirniger, unverträglicher Mann, aber glaube nicht, er habe keinen Rückhalt in der Stadt. Er spricht für die meisten anderen.«
»Wir werden nur geschäftlich miteinander sprechen, sonst nichts.«
Hardeman ließ seinen Blick zu Tom weitergehen. »Tut mir leid, Junge. Wenn sie meine Tochter wäre, würdest du willkommen sein, aber ich habe hier nichts zu sagen. Ich bin aus Kansas City und habe nur geschäftlich hier zu tun.«
Kate hatte sehr wenig gesagt, aber ich hatte sie beobachtet und machte mir Sorgen. Ihre Miene war kalt, kälter als ich sie je gesehen hatte. Tom Lundy war für sie mehr Sohn als Bruder; sie hatte ihn großgezogen und ärgerte sich wie wir alle über seine Diskriminierung.
Wir gingen zur Bank. Auf der Straße lungerten Männer herum, mehr als sonst um diese Zeit, wie mir schien.
Nur John Blake stand vor der Bank. Er wandte sich uns zu und streifte mich kaum mit einem Blick, aber vor Kate Lundy zog er respektvoll den Hut. »Guten Tag, Ma'am. Ich hoffe, Sie hatten eine gute Reise hierher.«
»Wir hatten nicht mehr Schwierigkeiten als man um diese Jahreszeit gewärtigen muss, Mr. Blake.« Sie sah ihn kühl an, dann sagte sie: »Wissen Sie, was Sie Mr. Dury sagten, ist richtig. Wir haben nur fünfzehn Männer, aber mittlerweile sind wenigstens zwanzig andere Trecks von Texas unterwegs hierher, und die Clements bringen dieses Jahr zwei Herden.«
John Blake schüttelte seinen massigen Kopf. »Nun, Mrs. Lundy, es besteht keine Veranlassung, dass wir in Konflikt miteinander geraten sollten. Sehen Sie zu, dass Ihr Bruder südlich der Straße bleibt, und alles wird sich in Wohlgefallen...«
»Warum?«, unterbrach Tom mit ruhiger Stimme. »Warum soll ich südlich der Straße bleiben, Mr. Blake? Bin ich ein Wilder? Bin ich ein Bandit? Mit welchem Recht diskriminieren Sie mich?«
Tom Lundy konnte lesen und schreiben und hatte einige Bücher gelesen, und wenn er wollte, war er imstande, sich gewählt auszudrücken. Es hatte eine Zeit gegeben, wo ich ihn regelmäßig ein paar Stunden am Tag unterrichtet hatte, und in mancher Hinsicht hatte ich eine bessere Erziehung genossen als der durchschnittliche Mann meiner Zeit, obwohl auch ich nicht lange zur Schule gegangen war.
Kate hatte viel Zeit mit Tom verbracht, mehr als ich, und ihm gutes Benehmen beigebracht. Sie wusste, was sich gehörte, aber die Monate, die ich in England und auf dem Kontinent zugebracht hatte, halfen viel.
John Blake geriet in Verlegenheit. Er sah Tom Lundy an, halb forschend, halb zweifelnd. Er kannte sich mit ungehobelten Viehtreibern, Raufbolden, Spielern und anderem Gelichter aus und wusste diese Leute zu behandeln, aber Tom Lundy war ein netter Junge, und Blake hatte das begriffen.
»Ich habe das Gesetz nicht gemacht«, sagte Blake.
»Ist es ein Gesetz?«
»Es ist eine örtliche Verordnung«, raffte sich Blake auf, »und ich habe für ihre Einhaltung zu sorgen. Keine Leute aus Texas nördlich der Straße.«
»Mr. Blake«, sagte Tom Lundy höflich, »Conn Dury hat mir von Ihnen erzählt, und ich habe Respekt vor Ihnen. Nichtsdestoweniger werde ich heute Abend nördlich der Straße sein. Sie können mich erwarten.«
Ärgerlich wie ich war, konnte ich nicht umhin, den Jungs zu bewundern; und nach einem Blick in John Blakes Augen wusste ich, dass es ihm nicht anders ging.
Im Eingang zur Bank wandte sich Tom noch einmal um. »Mr. Blake, was ich heute Abend tun werde, werde ich allein tun. Ich werde ohne Conn und ohne die Tumbling B kommen.«
Wir gingen hinein. Dick Hardeman stand schon an dem hölzernen Geländer, das den Raum teilte, und wartete auf uns. Sein Gesicht war blass und nervös. Dann sah ich hinter ihm den Mann am Schreibsekretär und verstand Hardemans Unbehagen.
Aaron McDonald war ein schmächtiger, langer Mensch, trocken wie Staub und so mager, dass man einen Verhungernden vor sich zu haben glaubte. Zwischen hohlen Wangen und buschig vorspringenden Brauen lagen zwei wache, misstrauische Augen tief in ihren Höhlen. Er blickte von mir zu Kate, nickte kurz, öffnete die Geldschublade und begann Scheine und Goldmünzen auf den Tisch zu zählen. Kate hatte für dreiundzwanzig Dollar das Stück verkauft.
Es war eine Menge Geld, und McDonald war ein Mann, der Geld respektierte.
Schweigend zahlte er, und schweigend sah er zu, wie ich die Banknoten und das Gold in einem kleinen Segeltuchsack verstaute. Zuletzt fragte er: »Ihre Geschäfte hier sind beendet?«
Bevor Kate antworten konnte, sagte Tom: »Ich habe noch ein paar Besuche zu machen.«
»Sie sind willkommen«, sagte McDonald trocken. »Südlich der Straße.«
»Heute Abend werde ich bei Ihnen läuten, um Ihre Tochter zu sprechen.«
Aaron McDonald legte die Quittung weg und blickte auf. Seine Augen waren kalt wie Eis. »Meine Tochter empfängt heute Abend keine Besuche. Es steht Ihnen frei, Ihren Geschäften nachzugehen; darüber hinaus sind Sie nicht willkommen.«
»Ich werde kommen«, erwiderte Tom schlicht.
»Mr. MacDonald«, sagte Hardeman, »Tom Lundy ist ein ordentlicher junger Mann. Ich kenne Kate Lundy und diesen Jungs seit Jahren, und...«
»Ihre Meinung interessiert mich nicht, Mr. Hardeman. Ich hoffe, Sie beabsichtigen nicht, Angelegenheiten meines Haushalts zu regeln?« Er stand auf. »Dies ist ein Geschäftslokal, und es scheint, dass unser Geschäft abgeschlossen ist.«
Kate Lundy war wütend. »Lass uns gehen, Tom«, sagte sie mit bebender Stimme. »Wir haben hier nichts mehr verloren.«
Aaron McDonald konnte sich das letzte Wort nicht versagen. »Das ist richtig«, bemerkte er. »Für Leute wie Sie haben wir südlich der Straße alle Annehmlichkeiten geschaffen. Ich hoffe, Sie werden uns die Wahl gestatten, wen wir nördlich davon auf nehmen.«
Ich langte über das Geländer, bekam seine Weste zu fassen und riss ihn zu mir, und dann ohrfeigte ich ihn. Meine Hand ist groß und von der Arbeit hart, und ich schlug ihn mit der flachen Hand und dann noch einmal mit dem Handrücken über den Mund.
»Wenn Sie zu einer Dame sprechen«, sagte ich, »nehmen Sie sich gefälligst bei der Wahl Ihrer Worte in acht.«
Hinter mir hörte ich John Blakes Stimme: »Conn! Lass ihn los.«
Ohne den Kopf zu wenden, fragte ich: »Hast du was in der Hand?«
»Nein... Ich sage es dir im Guten.«
Wortlos entließ ich McDonald aus meinem Griff. Ich drehte mich um und sagte ärgerlich: »Du solltest ihm Manieren beibringen.«
McDonald war fahl im Gesicht. Er sprang an die Barriere und schüttelte mir seine Faust nach. »Gottverdammtes Gesindel!«, schrie er, außer sich. »Wir hätten euch alle umbringen sollen! Mit Feuer und Schwert hätten wir den Süden säubern und jedes Haus dem Erdboden gleichmachen sollen! Bei Gott...«
Plötzlich musste ich lächeln. Ich wandte mich nach ihm um, und mein Lächeln schien seine Wut nur zu steigern. »Mr. McDonald, es wird Sie vielleicht interessieren«, sagte ich sanft, »dass ich als Offizier unter General Sheridan für die Union gedient habe.«
»Conn«, hörte ich Kates aufgeregte Stimme vom Eingang. »Komm! Schnell!«
Ich fuhr herum und war mit ein paar Schritten bei ihr. Vor dem Bankeingang standen Delgado, Red Mike und Rule Carson. Tom Lundy war bei ihnen.
Auf der Straße standen ihnen neun Männer aus der Stadt in einem Halbkreis gegenüber, Gewehre und Schrotflinten schussbereit in den Händen.
»Kate«, sagte ich. »Du bleibst hier. Ich werde...«
»Nein«, unterbrach John Blake, »es wird nicht geschossen!« Er ging an mir vorbei, trat aus der Tür und ließ seinen Blick in die Runde gehen.
»Es gibt hier keine Knallerei«, erklärte er. »Bringt eure Gewehre nach Hause.«
Ich nahm Kate Lundys Arm und geleitete sie inmitten unserer Leute zu ihrem Wagen. Während ich ihr auf den Sitz half, holte Delgado unsere Pferde. Wir saßen auf.
Ich fühlte Tallcotts Blick auf mir und merkte erst jetzt wieder, dass ich Kates Geldsack in meiner Linken trug. Der Ausdruck in Tallcotts Augen gefiel mir nicht. Ich legte den Sack neben Kate in den Wagen und nickte ihr zu. »Alles klar?«
Sie nickte, und unser kleiner Trupp setzte sich in Bewegung.
Die Männer aus der Stadt standen immer noch auf der Straße und sahen uns nach. Als wir uns dem Stadtrand näherten, sah ich Todt Mulloy, der sich vor aller Augen vom Dach eines eingeschossigen Hauses schwang und auf den Gehsteig heruntersprang. Einen Augenblick später führte Van Kimberly zwei Pferde aus einer Seitengasse.
Todt Mulloy und Van Kimberley trugen Gewehre, und die Stadtbewohner um Tallcott begannen zu begreifen, dass sie während der letzten zehn Minuten Zielscheiben gewesen waren. Es war ein Gefühl, das niemand große Freude macht. Mulloy und Van Kimberly schlossen sich unserem Trupp an.
Fünfzig Meter weiter sah ich auf einmal Linda McDonald allein auf dem Gehsteig stehen. Sie war aus dem Eisenwarenladen gekommen, dem vorletzten Haus der Straße, und trug einen koketten kleinen Sonnenschirm. Tom Lundy ritt sofort an den Straßenrand und zügelte vor ihr sein Pferd. Sie blickte auf, als ob sie ihn erst in diesem Moment gesehen hätte.
Sie war schön, das war keine Frage, und ich konnte Tom verstehen. Auf den einsamen und abgelegenen Ranches unserer Heimat bekam er solche Mädchen natürlich nicht zu sehen.
Doch da war noch etwas anderes in ihrem Gesicht, eine gewisse Kälte und Geringschätzung, etwas, dem ich nicht traute. Vielleicht war es auch nur, dass ich sie jetzt mit John Blakes Augen sah.
»Ihr Vater sagte mir, dass Sie heute Abend keinen Besuch empfangen«, sagte Tom mit leisem Vorwurf in der Stimme.
Sie begegnete seinem Blick. Ein schwaches Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. »Habe ich das gesagt?«
»Nein, aber...«
»Mein Vater ist ein sehr harter Mann«, sagte sie und klappte ihren Sonnenschirm mit einer sehr weiblichen Gebärde zu. »Es wundert mich nicht, dass Sie sich vor ihm fürchten.«
»Ich fürchte ihn nicht!«, erwiderte Tom verletzt. »Ich möchte nur nicht sein, wo ich nicht erwünscht bin.«
»Unser Haus«, sagte sie, »steht immer noch zwischen den Pappeln am Ende der Straße.«
Damit machte sie kehrt und ging davon, die Schultern sehr gerade und steif, aber umso beweglicher in den Hüften.
Tom wendete sein Pferd, als wolle er ihr folgen, dann bemerkte er mich und wurde rot.
»Du hättest nicht zu horchen brauchen«, sagte er gereizt. »Für was hältst du mich?«
»Für einen Texaner allein in einer Stadt, die keine Texaner leiden kann«, antwortete ich.
Er machte eine mürrische Handbewegung und lenkte sein Pferd herum. Schweigend ritten wir bis in Sichtweite der Herde, dann platzte er auf einmal heraus: »Conn, ich muss heute Abend zu ihr. Ich kann nicht anders.«
Ich wusste, wie ihm zumute war. Ich wusste, was er für das Mädchen empfand und wie er über Aaron McDonald dachte, dessen Haltung beleidigend und herausfordernd zugleich war.
An solchen Dingen entscheidet sich das Schicksal eines Menschen.
Was mich anging, ich war alt genug und erfahren genug, um die Situation klar zu erkennen und fortzureiten, aber wie konnte er es sein, in seinem Alter? Und hätte ich fortreiten können, wenn es in meinem Fall Kate und nicht Linda McDonald gewesen wäre?
3.
Dick Hardeman war draußen bei der Herde, als wir eintrafen, und er hatte drei Helfer mitgebracht. Das sagte mir einiges; es ging gegen Abend, und die Dunkelheit war eine schlechte Zeit zum Verladen einer Viehherde. Immerhin war es ein guter Gradmesser der Gefühle in der Stadt.
»Ich dachte, wir übernehmen das Vieh heute noch, Mrs. Lundy«, sagte Hardeman mit einiger Verlegenheit. »Dann sind Sie wenigstens diese Sorge los.«
»Es sieht also schlecht aus in der Stadt, nicht wahr?« Kate konnte man nichts vormachen.
»Ja, Ma'am, das kann man sagen.« Hardeman legte sein Gesicht in düstere Falten. »Ich an Ihrer Stelle würde von hier fortziehen, sobald es dunkel ist. Und ein Lagerfeuer brennen lassen.«
»Die wollen uns hier auf den Pelz rücken?«, fragte Tom Lundy ungläubig. »Warum, um alles in der Welt?«
»Aaron McDonald hat seinen Stolz«, sagte Hardeman trocken. »Selbst wenn er hundert Jahre alt werden sollte, wird er die Ohrfeigen nicht vergessen. Du hast dir heute einen Feind fürs Leben gemacht, Conn.«
»Er hatte es verdient.«
»Gewiss.« Hardeman machte eine Pause, dann fragte er mich: »War das die Wahrheit? Hast du unter Sheridan gedient?«
»Klar. Die Jungs wissen es. Ran Priest war auch Soldat für die Union. Aber soweit es uns betrifft, ist der Krieg zu Ende.«
Nachdem sie mit der Herde losgezogen waren, standen wir um unser Feuer. Nur die Pferde waren noch da, sie und der Küchenwagen und Kates Proviantwagen.
»Wir werden Hardemans Rat befolgen und zu dem Flügel dort übersiedeln«, bestimmte Kate. »Hinter der Kuppe ist eine kleine Senke; dort können wir lagern.«
»Ich würde lieber in die Stadt reiten und einen Feuerzauber machen, dass ihnen die Fetzen um die Ohren fliegen!« murrte Rule Carson.
»Unsinn«, sagte Kate. »Auf diesem Ritt hatten wir Ärger genug. Ich will nicht noch mehr leere Sättel nach Texas zurückbringen.«
»Auf mich wartet niemand«, sagte Rule Carson verdrießlich.
»Zu Hause gibt es eine Schlafkoje, die dich vermissen würde, Rule«, sagte Kate und löste allgemeines Schmunzeln aus, denn Carson war ein Mann, der seinen Schlaf schätzte.
Red Mike nahm sein Gewehr und entfernte sich vom Feuer, um in Richtung zur Stadt Wache zu halten. Todt Mulloy und Delgado führten die Pferde im Schutz einer Buschgruppe vom Lagerplatz fort und trieben sie langsam zu dem ungefähr eine Meile entfernten Hügel. Eine halbe Stunde später rollten die Wagen fort, und gegen acht Uhr war der Umzug abgeschlossen.
Kate stand neben dem kleinen Feuer, das wir in der Senke entzündet hatten, gut geschützt gegen Sicht aus der Stadt. Sie winkte mich zu sich und sagte: »Conn, du könntest einige von den Jungs schlafen lassen. Bis Mitternacht sind noch vier Stunden Zeit.«
Ich teilte drei Mann für die erste Wache ein, dann setzte ich mich zu Kate an das heruntergebrannte Feuer.
Tom Lundy hatte vielleicht kein gutes Urteilsvermögen bewiesen, als er sich in Linda McDonald verliebt hatte, aber schließlich war er nicht der erste, der sich mit der falschen Frau eingelassen hatte. Und niemand konnte leugnen, dass Linda hübsch war.
Auch ohne das hätte es zu einem Konflikt kommen können. Wo so viel Zündstoff angehäuft ist und so viele Ressentiments am Schwelen sind, bedarf es oft nur eines Vorwands, und in den vergangenen Jahren waren einige Texaner, verbittert durch die Niederlage des Südens, nur zu gern bereit gewesen, wieder mit dem Schießen anzufangen. Und es gab immer Hitzköpfe, die nur zu gern zurückschossen.
Männer wie McDonald mit ihrer engstirnigen, unduldsamen Betrachtungsweise konnten nicht wissen, wieviel es jungen Burschen bedeutete, dann und wann ein wenig Dampf abzulassen. Wenn sie drei Monate lang den Staub der Erde geschluckt, verirrte Tiere gejagt, sich mit Indianern herumgeschlagen und Unwettern getrotzt und vom Morgengrauen bis in die Dunkelheit hinein geschuftet hatten, musste man sie einmal auf die Pauke hauen lassen.
Die Nacht auf der Ebene war eine Zeit der Stille. Nur ein Coyote klagte irgendwo in weiter Ferne den Sternen sein Leid, und sein Bellen machte die Stille nur noch tiefer. Das Feuer war zu einem stumpfrot glühenden Punkt in der Finsternis niedergebrannt. Von Zeit zu Zeit erfasste die Glut am Rand der Feuerstelle einen dünnen Zweig, der dann kurz aufflammte.
»Ich möchte vor Tagesanbruch aufbrechen«, sagte Kate. »Wir werden die Stadt im Westen umgehen. Auf die Weise vermeiden wir jeden weiteren Ärger und sehen etwas von dem Land im Westen.«
Wir saßen da und sprachen leise, aber die ganze Zeit lauschte ich in der Dunkelheit nach Geräuschen, die ich nicht zu hören hoffte.
»Ich wusste nicht, dass du auf der Seite der Union gekämpft hast, Conn«, sagte Kate. »Du hast nie viel über dich gesprochen.«
»Du hast genug Geschichten gehört.«
»Aber man weiß nie, welche wahr sind und welche nicht. Genau genommen weiß ich nichts von dir, außer dass du ein Revolverheld oder was Ähnliches warst. Du kamst des Weges, als ich Hilfe brauchte, und du bliebst. Mittlerweile ist es so, dass ich nicht weiß, was ich ohne dich täte, Conn.«
Ich wusste, dass es nicht so war. Kate konnte auch ohne mich auskommen. Ihre Spannkraft erinnerte mich an eine Toledo-Klinge, an einen Degen, den ich einmal in Spanien gesehen hatte. Sie hatte große innere Kraft, aber sie war nicht starr und versteift - wie McDonald, zum Beispiel.
Sie hatte die Ranch aufgebaut, praktisch aus dem Nichts, und mancher Mann wäre daran verzweifelt. Ich hatte dabei geholfen, aber das Hauptverdienst kam ihr zu.
»Über mich gibt es nicht viel zu erzählen«, sagte ich. »Man hat mir gesagt, ich sei am Rapidan River in Virginia geboren, aber meine Eltern müssen bald darauf nach Texas gezogen sein. Als ich neun war, brachten die Apachen sie um und verschleppten mich nach Mexiko. Drei Jahre lang war ich einer von ihnen, dann stahl ich ein Pferd und ritt von der Sierra Madre zurück nach Texas.«
Pa war an die Quelle gegangen, um einen Eimer Wasser zu holen, und ich hatte die Axt genommen und hackte an dem alten Mesquitestumpf im Hof herum. Es war ein tief verwurzeltes altes Ding, und wir hätten viel Arbeit gehabt, es aus der Erde zu holen. Pa aber hatte nie die Zeit, denn es gab immer eine Menge anderer Dinge zu tun. So hatte er eine Axt neben den Stumpf gelegt, und wenn einer von uns vorbeikam, hackte er für ein paar Minuten an einer Wurzel herum.
Ma war im Haus und steckte ihr Haar auf, denn es war Sonntag, und wenn Pa von der Quelle zurückkehrte, war eine Bibellesung fällig.
Es war ein schöner Tag für uns alle, denn seit Pa beschlossen hatte, sich am Bach niederzulassen, hatte es kaum etwas anderes als Arbeit gegeben. Aber an den Sonntagen lasen Pa und Ma nach der Bibellesung aus einem unserer anderen Bücher vor, und in letzter Zeit hatte ich selbst vorlesen dürfen.
Plötzlich rief Ma vom Haus herüber, und ihre Stimme hatte einen seltsam ungewohnten Klang. »Conn, komm sofort her!«, rief sie. »Schnell!«
Ihr Tonfall machte mir Angst, denn es war ganz und gar nicht Mas Art zu sprechen, und so drehte ich mich um und lief zum Haus, die Axt immer noch in der Hand.
Ma hatte die Tür einen Spalt offen, aber dann hörte ich das Fenster quietschen und sah Pas Gewehr aus der Öffnung ragen. Es ging mit einem mächtigen Krach los, und ich drehte im Laufen den Kopf über die Schulter, um zu sehen, auf was Ma zielte, und dann krachte das Gewehr noch einmal, und ich hörte das Zischen von Pfeilen - und Ma war tot.
Später, als ich Erfahrungen gesammelt hatte, war ich froh, dass es so gekommen war und sie nicht lange hatte leiden müssen. Ich versuchte ins Haus zu gelangen, aber es war schon zu spät, und als ich hinter mir jemand rennen hörte, drehte ich mich um und schwang die Axt. Sie wurde mir aus der Hand gerissen, und ich blickte in das Gesicht eines Apachenkriegers auf.
Noch Tage später, als wir die mexikanische Grenze längst hinter uns hatten und uns der Sierra Madre näherten, sah ich das Gesicht meines Vaters vor mir, wie ich es zuletzt gesehen hatte. Als die Indianer mich von unserem brennenden Haus wegführten, kamen wir an der Quelle vorbei, und dort sah ich ihn liegen, zwei Pfeile in der Brust und einen im Rücken. Er hatte sich den unerwarteten Angreifern gestellt, und wenn er eine Waffe bei sich getragen hätte, wäre er dem Tod vielleicht entgangen, denn die Apachen waren eine armselige Bande von fünf nackten, halbverhungerten Wilden, die nur mit Speeren und Pfeil und Bogen bewaffnet waren.
Die Leute hatten Pa schon oft gewarnt, weil er immer waffenlos ging, aber er hatte bis dahin noch nie einen Indianer gesehen und nahm die Gefahr nicht ernst. Das war der Grund, warum ich mein Leben lang niemals ohne eine Waffe gegangen bin.
Sie trieben fünfzig Rinder, einige Pferde und Maultiere und fünf Schafe weg. Die Schafe schlachteten sie noch am selben Tag, weil sie nicht Schritt halten konnten, und als sie kein Schaffleisch mehr hatten, mussten die Maultiere dran glauben.
Sie brachten mich an einen abgelegenen Ort in der Sierra Madre. Später erfuhr ich, dass es das Quellgebiet des Rio Bavispe war, die wildeste und schönste Landschaft, die ich je gesehen habe. Wir begingen Pfade, die zu erklettern ich kaum einer Bergziege zugetraut hätte. Drei- oder viermal stürzten Rinder ab und kollerten über steile Schrofen und Felsabbrüche in die Tiefe, aber die Apachen kümmerte das wenig.
Der Rio Bavispe war ein kalter, klarer, kleiner Fluss, der ein unberührtes Waldgebiet durchströmte. Es war ein in seiner Einsamkeit großartiges Bergland, und dort lebte ich drei Jahre lang wie ein Apache. Aber nie gab ich den Gedanken an Flucht auf.
Nicht dass ich es gezeigt hätte. Ein alter Goldsucher, der einmal bei uns durchgekommen war, hatte gesagt, es gebe nur eine Möglichkeit, mit Indianern auszukommen, und die sei, ihr Leben zu leben und ein besserer Indianer zu werden als sie selbst. Also gab ich mir Mühe, und bald merkten sie es und versuchten mir zu helfen.
Mit zwölf Jahren war ich ein guter Fährtensucher, Jäger und Fallensteller und ein besserer Reiter als jeder Apache, den ich gesehen hatte. Sie waren kein Reitervolk wie die Kiowas und Comanchen der Prärie. Eines Tages zogen die meisten Krieger zu einem Raubzug nach Norden über die Grenze, und zwei Tage nach ihrem Aufbruch nahm ich die Gelegenheit wahr, stahl ein Pferd und machte mich unbemerkt davon, auf einem Weg, den ich beim Jagen entdeckt hatte. Er führte nach Osten, und ich wählte diese Richtung, weil ich glaubte, dass sie das am wenigsten erwarten würden.
Zwei Wochen ernährte ich mich nach Art der Apachen vom Land, dann durchquerte ich schwimmend den Rio Grande.
Ausgehungert, auf einem erschöpften Indianerpony reitend, nur mit einem Lederlappen bekleidet, stieß ich nicht weit vom Fluss auf ein einsames Lager. Drei Männer waren dort, und zwei von ihnen hatten ihre Revolver im Anschlag, bevor ich sprechen konnte. Der dritte Mann saß neben dein Feuer im Sand und schaute mich mit großen Augen an.
»Ein Apache!«, sagte einer der Männer. »Bei Gott, das ist ein Apache!«
»Sir«, sagte ich, »ich heiße Conn Dury, und ich war ein Gefangener.«
»Na, dann steig mal ab und komm ans Feuer, Junge«, sagte der Sitzende. »Es ist genug Essen da.«
Sein Name war James Sotherton. Er war erst vor ein paar Monaten aus England gekommen, aber vorher hatte er als Kolonialoffizier in Indien und an der Nordwestgrenze gedient.
Nach dem Essen ließ er sich meine Geschichte erzählen und stellte viele Fragen über das Leben und die Bräuche der Apachen. Ich konnte ihm über nahezu alles Auskunft geben, denn nur ein Apache hätte besser Bescheid wissen können als ich.
»Und was nun?«, fragte er schließlich.
. »Ich muss Arbeit finden«, sagte ich, »und Kleider kaufen.«
»Und in die Schule müsstest du gehen, findest du nicht?«
»Ja, Sir.«
»Hast du keine Verwandten oder Freunde?«
»Keine, Sir.«
»Nun, Arbeit kannst du bei mir bekommen. Die Pferde müssen versorgt werden, und im Lager gibt es immer was zu tun.«
Einer der anderen, ein bulliger, dunkelhaariger Mann mit einem Vollbart, erhob Einwände. »Das würde ich mir noch überlegen, Mr. Sotherton. Dieser Junge kann weggelaufen sein, wie er behauptet. Er kann aber auch ein Spion der Rothäute sein.«
»Ich habe das bedacht«, erwiderte Sotherton. »Du bist eingestellt, Conn. Nun leg' dich hin und schlaf'.«
Der Mann mit dem Bart hieß Morgan Rich, und er war ein Mann, den ich nie vergessen sollte. Bob Flange war sein Schatten, und beide hatten sich Jim Sotherton in San Antonio als Führer verdingt.
Ich hatte keine Ahnung, was Sotherton mit seiner Reise bezweckte, aber er wollte in das Land am Big Bend, dem wildesten Gebiet in Texas, das damals noch zum größten Teil unbekannt war. Wahrscheinlich waren es einfach Abenteuerlust und eine Liebe zur Wildnis um ihrer selbst willen, die seinen Weg bestimmten, aber bald gewann ich den Eindruck, dass Morgan Rich und Bob Flange glaubten, er reite aus anderen Gründen in jene gottverlassene Gegend.
Zufällig wusste ich ziemlich viel über das Land am Big Bend, weil die Indianer, bei denen ich gelebt hatte, auf ihren Sommerstreifzügen häufig in die Gegend kamen und jeden Winkel kannten. Es war das Grenzgebiet zu den südlichen Comanchen-Stämmen, und fast jedes Jahr war es dort zu Kämpfen gekommen. Wenn die Lage für sie kritisch wurde, wussten die Apachen immer, wie sie untertauchen konnten. Der Apache, der mich gefangen und später wie seinen eigenen Sohn behandelt hatte, hatte mir viel über das Land und die Lebensbedingungen dort erzählt.
Außer dem Indianerpony und einer zerrissenen Decke, die mir tagsüber den Sattel ersetzte und mich nachts gegen die Kälte schützte, hatte ich aus dem Indianerdorf nur einen Revolver mitnehmen können.
Es war eine fast neue Waffe, die ich nach einem Kampf am Unterlauf des Bavispe bei einem gefallenen mexikanischen Polizei-Sergeant gefunden hatte. Sie musste von unseren Kriegern übersehen worden sein, denn niemand suchte sie oder fragte später danach.
Ich hatte das Ding in einer Felsspalte versteckt und bis zum Tag meiner Flucht gewartet; dann hatte ich es wieder an mich genommen.
Die drei Männer und ich errichteten am Fuß der Burro Mesa und in der Nähe einer Quelle eine Hütte aus Felsbrocken. Sotherton hatte den Ort als Stützpunkt ausersehen und trieb den Ausbau mit großer Energie voran. Wir setzten Pfosten für zwei Corrals, legten einen kleinen Gemüsegarten an, für den ich zu sorgen hatte, und jagten wilde Pferde. Wir fingen einige, aber Rich und Flange meinten, sie seien die Mühe nicht wert.
Einmal im Monat ritten wir alle nach San Antonio, beluden ein paar Packpferde mit Proviant und Ausrüstungsgegenständen und kehrten wieder zurück. Auf einer dieser Reisen blieben Morgan Rich und Bob Flange, die die Lust an dem Unternehmen verloren hatten, in San Antonio.
Sotherton und ich ritten allein zurück in die Wildnis, und nach dieser Reise fing er an, mich regelmäßig zu unterrichten. Während ich ihn lehrte, wie ein Apache vom Land zu leben, brachte er mir bei, was er über englische Literatur, Geschichte und andere Sachgebiete wusste.
Wir unternahmen weite Streifzüge durch das Land, und von Zeit zu Zeit ritten wir nach San Antonio oder Austin, und dann eines Tages nach New Orleans. Dort gingen wir in eine Bank, und Sotherton hob eine Menge Geld in Goldstücken ab.
Er kaufte einige Bücher und Ausrüstungsgegenstände, und zuletzt erstand er einen .44er Henry-Karabiner für mich.
Einen Tag nach unserer Rückkehr zur Hütte am Fuß der Burro Mesa fand ich die Spuren - und sie stammten nicht von Apachen. Jemand war während unserer Abwesenheit dagewesen.
Jede Fußspur ist verschieden. Die Stiefelabdrücke eines Mannes sind so leicht zu erkennen wie seine Unterschrift. Ich war jedenfalls davon überzeugt, dass einer der Männer, deren Spuren ich entdeckt hatte, Morgan Rich war.
Als ich Sotherton meinen Verdacht mitteilte, nickte er bloß und meinte, dass die Männer wahrscheinlich zurückgekommen seien, um für ihn zu arbeiten... Vielleicht würden sie wiederkommen.
Ich war sicher, dass Rich gedacht hatte, Sotherton sei auf der Suche nach Schätzen aus der Zeit der Spanier; und später fand ich heraus, dass es sich tatsächlich so verhalten hatte. Als Sotherton nach unserer Rückkehr aus New Orleans - keiner wusste, dass wir dort gewesen waren - anfing, mit Goldstücken zu bezahlen, hatten Rich und Flange davon gehört.
»Sollte mir jemals etwas zustoßen«, sagte Sotherton einmal zu mir, »gibst du diesen Brief auf.« Er versteckte den Umschlag hinter einem losen Stein in der Wand, und ich dachte schon bald nicht mehr daran.
Wir waren noch keine vier Wochen aus New Orleans zurück, als Sotherton mich zu einem Wasserloch schickte, um nachzusehen, ob dort wilde Pferde zur Tränke kämen. Es war ein langer Ritt, und als ich zurückkam, war es beinahe Nacht.
Diesmal waren drei von ihnen dagewesen, Morgan Rich, Bob Flange und ein Fremder. Und was sie mit Jim Sotherton gemacht hatten, war schlimmer als wenn es Apachen getan hätten. Sie mussten sich in den Kopf gesetzt haben, dass er einen spanischen Schatz gefunden hatte, und sie hatten ihn gefoltert, um ihn zum Reden zu bringen - was er natürlich nicht hatte tun können.
Was er an Gold bei sich gehabt hatte, war fort. Seine Waffen, unsere Ausrüstungen, unser Proviant, unsere Pferde - alles fort.
Alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass sie kurz, nachdem ich fortgeritten war, eingetroffen waren, und auf einmal kam mir der Gedanke, sie könnten noch in der Gegend sein. Hastig raffte ich zusammen, was ich tragen konnte, und floh ins nahe Hügelland, wo ich bis Tagesanbruch wartete. Dann ritt ich in weitem Bogen um unseren Stützpunkt, bis ich die Fährte fand.
Sie waren fortgeritten und hatten die Richtung nach San Antonio eingeschlagen.
Ich kehrte zu unserer Hütte zurück, und als ich den unglücklichen Mr. Sotherton begraben hatte, folgte ich seinen Mördern. Aber vorher nahm ich den Brief aus dem Versteck, und in San Antonio brachte ich ihn zur Post.
Ein paar Tage später fand ich einen Mann, der die drei in nordöstlicher Richtung hatte reiten sehen. Ich schlug die gleiche Richtung ein, fand ihre Fährte außerhalb der Stadt und folgte ihr, bis ich zu ihrem Lager am Leon River kam.
Nur ein Mann war am Feuer. Ich ließ mein Pferd zurück und ging zu Fuß naher, den Revolver in der Hand. Als ich durch den Busch kam, sah ich, dass es Bob Flange war, der neben dem Feuer hockte und Kaffee kochte.
»Sie haben Mr. Sotherton ermordet«, sagte ich, als ich hinter ihm stand.
Er zog die Schultern ein, als ob ich ihn mit einem Stock geschlagen hätte, und dann drehte er langsam den Kopf zur Seite, bis er mich sehen konnte. Er stand auf.
»Nun hör mal zu, Junge«, sagte er. »Du weißt nicht, wovon du redest.«
»Das da ist sein Gewehr. Und da hinten sind seine Pferde angepflockt.«
Er wog die Chancen ab und kam offenbar zu dem Schluss, dass es zu riskant wäre, gleich nach der Waffe zu greifen.
»Sie haben ihn ermordet«, wiederholte ich. »Und Sie haben ihn gefoltert. Das Gold, das Sie gestohlen haben, hatte er in New Orleans von der Bank geholt. Ich war mit ihm dort.«
»Es gibt da einen Schatz«, sagte Flange geheimnisvoll. »Was hat er sonst in der öden Gegend da oben gesucht?«
»Er liebte das wilde Land«, sagte ich. »Sie haben einen guten Mann ermordet, nur wegen der fixen Idee, dass er wissen könnte, wo es Gold gibt.«
Er wurde immer zuversichtlicher. »Was hast du nun vor, Junge? Wenn du von dem Gold was abhaben willst...« Er langte in seine Brusttasche und zog eine schimmernde Goldmünze heraus. »Das kannst du haben.« Er warf das Goldstück vor meine Füße.
Wie ein Trottel schaute ich hin, und er zog und feuerte auf mich. Nur war er zu sehr in Eile und fehlte. Ich verfehlte ihn nicht.
Ich hob das Goldstück auf und nahm ihm auch noch alles
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Louis L' Amour/Apex-Verlag. Successor of Louis L' Amour. Copyright des Essays by Dr. Karl Jürgen Roth.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Zasu Menil.
Übersetzung: Walter Brumm/Werner Gronwald/Hans Maeter/Christian Dörge (OT: Kiowa Trail/Radigan/Flint).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 10.12.2018
ISBN: 978-3-7438-8997-2
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