ANDREW J. OFFUTT
Cormac MacArt
Band 6: Das Zeichen des Mondes
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
Der Autor
DAS ZEICHEN DES MONDES
Prolog
ERSTER TEIL: Die Insel der Dana
1. »Ich tötete Wulfher schon vor Jahren!«
2. Das Volk von Daneira
3. Der Zauberer von Daneira
4. Der König von Daneira
5. Die Ketten der Dana
6. Das Geheimnis von Daneira
7. Thulsa Doom
ZWEITER TEIL: Das Königreich der Dana
8. In das Innere der Erde
9. Kampf in der Tiefe
10. Der Zauberer von Moytura
11. Der Kerker von Moytura
12. Der Wächter
13. Die Königin von Moytura
14. Tarmur Roag
15. Der Thron von Moytura
Nachwort
Das Buch
Wild und voller Gefahren ist das Leben auf den britischen Inseln zur Zeit König Arthurs. Cormac Mac Art, ein Abenteurer königlichen Geblüts von der grünen Insel Irland, muss seine Heimat verlassen, weil Neider ihm nach dem Leben trachten. Gerüstet mit ungewöhnlicher Körperkraft und mit der Fähigkeit, Vergangenheit und Zukunft zu sehen, durchstreift er das wilde Europa des fünften Jahrhunderts und die gefahrvolle See auf der Suche nach Abenteuern.
Cormac und Wulfher Schädelspalter rüsten zum letzten Schlag gegen den mörderischen Hexenmeister Thulsa Doom, der seit Jahrtausenden seine Magie in den Dienst des Bösen stellt. Mehrfach schon versetzte Cormacs Schwert dem Ungeheuer vernichtende Hiebe – doch stets floss kein Blut aus dem untoten Körper. Für immer entmachtet werden kann Thulsa Doom nur durch die Hand einer gekrönten Frau.
Als die Gefährten die Gesuchte endlich gefunden haben, scheint die Befreiung zum Greifen nahe. Doch da enthüllt sich eine Laune der Natur als Bedrohung der ganzen Welt...
Andrew J. Offutt - Autor von Valeron, Der Barbar - setzt Robert E. Howards Erzählungen um Cormac MacArt (zusammengefasst in dem Band Krieger des Nordens, ebenfalls im Apex-Verlag erschienen) mit sechs spannenden Romanen fort, in denen Elemente der Artus-Saga mit Wikinger-Mythen und dem Cthulhu-Mythos verknüpft werden.
Der Apex-Verlag veröffentlicht diese Romane als durchgesehene Neuausgaben - illustriert vom Wiener Künstler Johann Peterka.
Der Autor
Andrew J. Offutt (* 16. August 1934, † 30. April 2013)
Andrew Jefferson Offutt war ein US-amerikanischer Autor von Fantasy- und Science-Fiction-Literatur. Er veröffentlichte seine Werke teilweise unter Variationen seines bürgerlichen Namens, vornehmlich als Andrew J. Offutt, teilweise unter den Pseudonymen John Cleve, Jeff Douglas oder J. X. Williams. Gelegentlich ist sein Name auch vollständig in Kleinbuchstaben als andrew j. offutt geschrieben.
Offutt wuchs in einer Blockhütte in der Kleinstadt Taylorsville im Spencer County auf. Später siedelte er nach Louisville um und studierte mittels eines Stipendiums der Ford Foundation an der dortigen Universität. 1955 wurde ihm der Bachelor of Arts im Fach Englisch verliehen.
Während seiner Arbeit in Lexington lernte er Jodie McCabe kennen, die er 1957 heiratete. Das Ehepaar Offutt war über fünfzig Jahre verheiratet und lebte im Rowan County im US-Bundesstaat Kentucky. Sie hatten vier Kinder, der älteste Sohn, Chris Offutt, ist heute ebenfalls als Schriftsteller und Drehbuch-Autor (True Blood, Weeds) bekannt.
Andrew J. Offutts erste Publikation war die Kurzgeschichte And Gone Tomorrow, die 1954 in der US-amerikanischen Science-Fiction-Zeitschrift If veröffentlicht wurde. Nach dem Verkauf der Kurzgeschichte Blacksword (1959) an das Magazin Galaxy konzentrierte er sich zunehmend auf die Schriftstellerei. Mit Evil Is Live Spelled Backwards erschien 1970 sein erster Roman.
Für den Romanzyklus Thieve's World (deutscher Titel: Diebeswelt) von Robert Lynn Asprin und Lynn Abbey schuf er die Figur Hanse und beschrieb sie zwischen 1987 und 1993 in drei Romanen: Shadowspawn (1987), Deathknight (1990) und The Shadow Of Sorcery (1993).
Überdies verfasste er drei Romane über Conan sowie sechs Romane über Cormac MacArt, beides Figuren des Schriftstellers Robert E. Howard.
Zwischen 1976 und 1978 war Offutt Präsident der Science Fiction and Fantasy Writers of America. Ende der 1970er Jahre gab er unter dem Titel Swords Against Darkness fünf Anthologien mit Kurzgeschichten weniger bekannter Autoren heraus.
Unter bis zu zwölf verschiedenen Pseudonymen schrieb Offutt eine Vielzahl erotischer Romane, darunter die von 1982 bis 1984 entstandene Spaceways-Reihe, die unter dem Autorenpseudonym John Cleve publiziert wurde.
DAS ZEICHEN DES MONDES
Prolog
Ein knochendürrer Mann stand mit dem Rücken an den Mast des Schiffes gelehnt. Sein Gewand flatterte im Wind, der das einmastige Schiff südöstlich von Britannien durch die Wogen trieb. Nachtschwarz war dieses Gewand, und groß der Mann, der es trug. Er war in Fesseln, doch nicht mit Banden. Stricke konnten einen wie ihn, der sich in kriechendes Gewürm zu verwandeln vermochte, nicht halten. Noch konnten es Riemen aus Leder, oder Ketten aus Eisen.
Ein Schwertgriff ragte aus seiner Brust, ein zweiter aus seinem Unterleib. Er war in der einzigen Art und Weise mit dem Mast verbunden, die ihn wirklich hielt: durchbohrt und ans Holz gespießt, unbeweglich und hilflos. Die Schwerter nagelten ihn an den Mast.
Kein Blut floss.
Er wand sich mit wütenden, unmenschlichen Lauten.
Sie kamen über keine Lippen, denn der festgenagelte Mann besaß keine Lippen. Er hatte auch keinen Mund und kein Gesicht. Es gab weder Knorpel noch Haut noch Haar an dem schimmernden, grauweißen Totenschädel, seinem Kopf. Doch im Innern der dunklen Öffnungen, aus denen einst Augen geblickt hatten, leuchtete der rote Widerschein eines höllischen, dämonischen Feuers. Er wand sich, und ein Grollen der Wut kam aus der Öffnung seines lippenlosen Mundes.
Er sah. Er fühlte. Er klagte über Kälte, doch nicht über Schmerz.
Er war weder lebendig noch tot. Ein Toter, der lebte. Ein Lebender, der nicht getötet werden konnte, weil er nicht wirklich lebte. Er war untot seit achtzehntausend Jahren, hatte unzählige Male den Tod gebracht, dem er selbst entronnen war. Diese beiden Klingen waren der einzige Weg, ihn zu bannen.
Der totenschädelige Mann im schwarzen Gewand befand sich auf dem vorderen von zwei Schiffen, die durch wenig bekannte Gewässer glitten.
Jedes besaß einen Mast, doch nur das vordere hatte sein Segel in der leichten Brise gehisst. Beide waren aus sich überlappenden Planken in Klinkerweise gebaut. Jedes bot Platz für mehr als dreißig Ruderer, doch befanden sich keine zwanzig, nicht einmal zehn, an Bord. Viele Männer waren tot im Kielwasser der beiden Schiffe zurückgeblieben, alle Opfer der tödlichen Kräfte des totenköpfigen Gefangenen.
Das zweite Schiff war ganz ohne Mannschaft. Alle, die einst mit ihm aus Britannien aufgebrochen waren, hatten den Tod gefunden. Der Name Gelbe Vogelbeere stand an der blaugestrichenen Bordwand. Unbemannt hing sie an starken, zwei- und dreifach geflochtenen Seilen. Das grau gewordene Segel war zusammengerollt.
Das ziehende Schiff war schwer beladen, obgleich sich nur sechs Personen an Bord befanden - wovon eine die schreckliche Kreatur am Mast war. Sie waren zu wenige für die Ruder. Die grüngestreifte Sucher war kein Handelsschiff, doch sie führte beachtliche Ladung mit sich.
Stoffe und Gold, Silber und edles Geschmeide, Waffen, Rüstzeug und persönliche Gegenstände von gut zwanzig Männern lagen auf den Planken der Sucher.
All das war Diebesgut - auch wenn viele Leben mit blutroter Münze dafür bezahlt hatten. Diese Ladung war die Beute plündernder Wikinger gewesen, die bereits vor vier Monaten den Tod fanden. Danach hatten dreiundzwanzig Männer aus Britannien sie gefunden. Sie starben vor zwei Wochen. Die Ladung stammte aus dem Versteck der Wikinger, einer kleinen felsigen Insel, auf der eine Burg stand, die Menschen vor einhundertachtzig Jahrhunderten errichtet hatten.
Der untote Gefangene kam aus dem längst versunkenen Atlantis. Seine Bezwinger, jene, die überlebt hatten und nun diese reiche Beute ihr eigen nannten, waren vier Männer aus Eirinn und einer aus einem Land, das sie Lochlinn nannten, Dänemark, die Heimat der Dänen.
Der Däne war ein Riese von Gestalt, rothaarig und rotbärtig, mit mächtigem Brustkorb und breiten Schultern. Seine Arme waren so dick wie die Schenkel anderer Männer. Er lehnte am Steuerruder. Axt, Schild und Schuppenpanzer lagen neben ihm. Es kostete ihn kaum Kraft, das Schiff zu steuern. Die Sonne schien, der Wind blies leicht und stetig, und die Sucher kam mit dem Schiff im Schlepp nur langsam voran. Sobald die Sonne tiefer stand, würde er mit dem Sonnenstab den Kurs überprüfen. Während des Tages gab es keine Möglichkeit dazu.
Ein Mann sprach. Wie der dämonische Gefangene war er in ein weitfallendes Gewand gekleidet, doch vom Grün des Waldes und mit einem Stück Seil um die Mitte gegürtet. Eine Lunula hing an seiner Brust, ein goldener Halbmond, der im Sonnenlicht stumpf aufleuchtete. Er trug den Halsring aller Kelten, einen Torques. Er war es gewesen, der blauen Himmel und gute Winde vorausgesagt hatte. Seine Gefährten hatten gelernt, auf die Worte dieses Dieners Behls und Croms zu vertrauen.
»In jenen Tagen, die nun unendlich fern sind«, berichtete der grüngewandete Druide, »wurde ein Verbannter aus Atlantis Krieger in einem Land mit Namen Valusien. Es kam die Zeit, da er den König im Kampf bezwang und tötete. So kam es, dass ein Atlanter König von Valusien wurde. Sein Name war Kull. Ihm zur Seite stand ein treuer Berater. Tu war sein Name. Einfach Tu. Ich bin - ich war Tu, so wie ich auch noch andere war im endlosen Kreislauf von Geburt und Tod und Wiedergeburt. Und Ihr, Cormac, der Ihr auch viele andere gewesen seid, Ihr seid und wart Kull. Denn sie sind alle eins, Kelte und Keltoi und Celtii; Kull und Cormac, Cull und Kormak.«
Die Blicke der übrigen richteten sich auf den Mann, den der Druide Cormac genannt hatte.
Wie der Druide war er dunkelhaarig und hatte die gleichen grauen Augen, wenngleich in jenen des Druiden mehr Blau vorherrschend war. Beide Männer waren Galen aus Eirrin. Ein Leben des Kampfes, der blutigen Handgemenge hatte ihn gezeichnet. Schwerter und Äxte hatten Narben hinterlassen, die das Gesicht des Mannes mit Namen Cormac recht finster erscheinen ließen. Doch vier der sechs an Bord - zu ihnen zählte auch die Frau - schätzten und liebten ihn. Nur einer hasste ihn: der Gefangene.
»Ich - erinnere mich«, sagte Cormac.
Der Däne runzelte die Stirn, während er stumm zuhörte. Was sie sagten, widersprach allem, was man ihn gelehrt hatte. Aber auch andere Dinge, an die er geglaubt hatte, waren mehr als einmal von seinen Gefährten erschüttert worden. Vater Odin - werde ich nicht mit dir an einer Tafel sitzen? Werde ich nur für ein neues Leben in einem anderen Körper auf diese Welt zurückkehren? Der rotbärtige Krieger sah nicht glücklich über solch eine Vorstellung aus. Und Allvater Odin antwortete nicht...
»Sein größter Feind«, erzählte der Druide, der einst Tu von Valusien gewesen war, »der größte Verschwörer gegen König Kull war der Magier und Meister der Täuschung, Thulsa Doom. Bei nicht weniger als vier Anschlägen besiegte Kull den Zauberer, als Thulsa Doom ihn bereits in seinen Fängen wähnte. Zweimal war Kull dem Tode nahe. Doch schließlich errangen Kull und Tu und ein Magier in des Königs Diensten den endgültigen Sieg - auf der Insel, die wir verlassen haben.«
Die anderen blickten zurück. Doch die Insel, auf der sie das Grauen Schwarzer Magie kennengelernt hatten, die Insel, auf der uralte Kräfte Kulls Burg durch die Jahrtausende vor dem Verfall bewahrt hatten, sie lag weit hinter ihnen und war ihren Blicken längst entschwunden. Es war bereits Stunden her, dass sie ihre Kameraden der See übergeben hatten, die auf der Insel im Kampf gegen den Magier und seine dämonischen Trugbilder zu Tode gekommen waren.
»Dort blieb Thulsa Doom in Gefangenschaft«, fuhr der Druide fort, »einer magischen Gefangenschaft. Sein Kerker war ein Körper ohne Hände, ohne Füße, ohne Stimme.«
»Die Schlange, die Cormac erschlug!« polterte der Däne. »Das war vor vier Monaten, als er und ich Samaire aus den Händen der Wikinger befreiten.«
Der rotbärtige Däne blickte die rothaarige Frau an, von der er gesprochen hatte. Sie war Ende zwanzig. Sie trug seltsame hochschaftige Stiefel aus schwarzem Leder, die über ihre Schenkel hinaufreichten und unter ihrem Waffenhemd verschwanden. Ihr langes Haar leuchtete orange-gold im Sonnenlicht.
»Und sein Verschwinden?«, fragte Samaire. »Diese mehreren Male, da Thulsa
Doom verschwand, Bas, während wir die Schiffe beluden, obgleich er durchbohrt und zur Unbeweglichkeit verdammt war?«
»Und seine Rückkehr, obwohl er noch immer durchbohrt war«, fiel der Jüngste an Bord mit einem Seitenblick auf den unsterblichen Hexer ein. Der Junge saß nahe bei Cormac auf einer Ruderbank. Sein Haar war sehr hell.
»In alten Tagen«, erklärte der Druide, »gelang es Thulsa Doom, in eine andere Dimension zu entschwinden. Das ist eine Welt, die neben unserer durch die Zeit zieht, ihr ähnlich - und doch anders. Dort ist er unsichtbar für alle Augen aus unserer Welt. So sehr ihr auch die Stirn runzelt, ich vermag es nicht besser zu sagen. Doch es erklärt sein Verschwinden. Er könnte uns auf diese Weise entschlüpfen, wäre er nicht an seinen Körper gefesselt. Wir rammten eine Klinge durch ihn hindurch in einen Schild und setzten ihn so auf der Insel gefangen, das war der einzige Weg. Doch selbst dann vermochte er noch meine Gestalt anzunehmen, und Eure, Samaire, und die einer Schlange - und er versuchte, durch Verschwinden zu entkommen. Cormac war es, der diesen einzigen Weg fand, Thulsa Doom zu bannen. Es liegt nun an uns, dafür zu sorgen, dass diese Klingen bleiben, wo sie sind.«
»Bis in alle Ewigkeit, wenn es sein muss«, ergänzte Cormac.
»Wird er - es wieder versuchen?« Die Frage kam von dem jungen Krieger mit dem flachsfarbenen Haar und den hellen Augen.
»Gewisssssss«, zischte Thulsa Doom wütend und verschwand von der Sucher.
»Er ist noch hier«, sagte Cormac MacArt grimmig.
Trotz Cormacs Worten senkte sich eine eisige Stille über das Schiff und die Gefährten - Furcht. Der verschwundene Magier konnte die Gestalt jedes Mannes annehmen - oder jeder Frau, wie Cormac in jener Nacht des Grauens auf der Insel auf grimmigste Weise feststellen musste. Und auf nicht minder schreckliche Weise hatten sie erlebt, wie Thulsa Doom Besitz vom Verstand einiger Gefährten ergriff, so dass sie ihm blind gehorchten. Doch sie alle, die sich jetzt an Bord der Sucher befanden, hatten den Kräften des Magiers widerstanden, wenn sie auch gezwungen gewesen waren, ihre eigenen Gefährten zu töten. So hatten nur diese fünf überlebt.
Weshalb hatten sie dem übermächtigen Willen des Trugbildmeisters widerstanden? Weshalb sie - Bas, der Druide, Wulfher, der Däne, und Samaire Ceannselaigh sowie Brian na Killevy, dem Cormac den Beinamen Ich-kämpfe-für-mein-Leben-gern gegeben hatte?
»Vielleicht waren wir zu entschlossen in unserem Kampf«, sagte Bas.
»Zu unerschütterlich«, meinte Cormac.
»Zu sehr dir verschworen«, sagte Samaire.
Der junge Brian nickte, denn er bewunderte den großen, sehnigen Gälen, der einst ein Edler aus Eirrins Connacht war und Streiter des Königs von Leinster, danach des Königs von Dal Riada in Alba, als er von Eirrins Küsten verbannt war; danach Plünderer, Pirat, und schließlich der Champion von Eirrin, den der Hochkönig am Berg Tara in der Heimat willkommen hieß; zuletzt der Kapitän des Schiffes, mit dem sie im Auftrag Samaires und ihres königlichen Bruders zur Insel aufgebrochen waren. Dabei war er es gewesen, der die übermächtigen Kräfte bezwang, der die toten Krieger besiegte, die Thulsa Doom erweckt hatte - und der schließlich den unsterblichen Hexer selbst überwältigte.
Brian Ich-kämpfe-für-mein-Leben-gern sah in Cormac einen Mann, wie er selbst dereinst einer sein wollte, so unerreichbar es ihm auch erschien. Cormac MacArt sah in Brian den Jungen, der er einst gewesen war, bevor die Jahre ihn an Körper und Geist mit all den Narben gezeichnet hatten. Brian von Killevy war begeistert und stolz, diesen Mann zu kennen und in seiner Gefolgschaft zu sein, denn sicherlich war Arts Sohn aus Connacht einst Eirrins größter Held, der legendenumwobene Cuchulain selbst, gewesen.
Samaires Blick glitt übers Meer. Sie war in Gedanken. Verschworen, hatte sie gesagt, aber es war mehr.
Sie nannte sich seine Gefährtin, die Waffengefährtin Cormac MacArts, aber sie war mehr - sie liebte ihn. Auch wusste sie, dass Bas die Wahrheit sprach. Sie war vollkommen sicher, dass sie Cormac in einem oder mehreren früheren Leben gekannt hatte. Sie besaß keine wirklichen Erinnerungen daran, nur dieses Wissen.
Cormac blickte auf den Mast. Thulsa Doom war wieder zurück. Das Feuer in den Augenhöhlen des Schädels loderte vor Wut. Um Cormacs Lippen spielte ein Lächeln. Er wandte sich Bas zu.
»Bas - was habt Ihr getan?« Ihr habt über ihn triumphiert, als Sturm und Wolken drohten. Was wisst Ihr etwas, das wir ebenfalls wissen sollten?«
Bas' schwarzes Haar wehte im salzigen Wind. »Es gelang mir, uns alle zu beschützen, solange wir nicht schliefen. Und die Sucher mit allen an Bord, denn das Schiff ist aus Eirrin, und meine Kräfte sind auf heimischem Boden und für jene, die von dort sind - gleich ob menschlich oder nicht - am stärksten. Da - ist noch mehr, doch lasst es mich für mich behalten. Es würde euch keinen Nutzen bringen, erzählte ich es, mich aber schwächen - und ihn stärken.«
Sie starrten auf die totenschädelige Gestalt am Mast.
Sie wand sich zischend.
Sie blutete nicht.
»Ich erzähle euch, was ich an den Burgwänden las«, sagte Bas, der Druide. Nur zu gern lösten sich die Blicke von dem abscheulichen Bild, das der Zauberer bot, und wandten sich wieder zu ihm.
»So haben diese Bilder also gesprochen!« Wulfher blickte auf seinen langjährigen Waffengefährten, denn er erinnerte sich, dass der Gäle, wie von ihnen angezogen, auf die Wände gestarrt hatte. Dabei war sein gespenstisches Erinnern über ihn gekommen. Und nach und nach, verwirrt und nicht ohne Furcht, bis Bas es erklärte, erinnerte sich Cormac MacArt an Ereignisse, die lange, unglaublich lange vor seiner Geburt stattgefunden hatten.
Vor dieser letzten Geburt, dachte der riesige Däne, denn er konnte selbst nicht mehr an der Vorstellung eines endlosen Kreislaufes von Tod und Wiedergeburt zweifeln, an den die Söhne Eirrins glaubten. Wie sollte er auch? Waren sie nicht der lebende Beweis für diese Anschauung, wie sie den Anhängern Odins/Wotans und Thors/Donars völlig fremd war?
Und Wulfher Hausakliufr lauschte aufmerksam dem Diener Behls und Croms von Eirrin. Ein tiefer Seufzer ließ seinen Brustkorb beträchtlich anschwellen. Unbewusst glitt sein Finger an seinem Bart hoch, während er nachdenklich zuhörte, und spielte mit dem vom Wind und dem salzigen Gischt struppigen Haar.
»Ich las die Bilder an den Wänden von Kulls Burg«, sagte der Druide, »und gewisse Zeichen. Runen. Von einigem, was ich dadurch erfuhr, erzähle ich euch später. Doch es wird mir ein Genuss sein, über dies in seiner Anwesenheit zu sprechen. Er soll erfahren, dass wir wissen, wie er vernichtet werden kann. Denn nur Rache und Hass empfinde ich für dich, Thulsa Doom, der du nichts als Rache und Hass kennst. Die Wand verriet mir, wie du wieder getötet werden kannst, und diesmal für immer!«
Der Magier mit dem Totenschädel knurrte wie ein Tier, und die Zähne dieses furchterregenden, gesichtslosen Schädels knirschten und malmten vor hilfloser Wut und überwältigendem Hass.
»Dieser Schädel«, fuhr Bas fort und blickte nicht seine Gefährten an, sondern Thulsa Doom, »muss abgetrennt und in gutes Leder gewickelt und in die Hände einer Gekrönten gelegt werden. Sie...«
Thulsa Doom wand sich und stemmte sich gegen den Mast, und seine Zähne knirschten, als wollten sie brechen. Das Schiff schlingerte plötzlich heftig, und das Wasser schlug schäumend gegen die Hülle. Solcherart entfachte die Wut die Kräfte des Zauberers aus der fernen Vergangenheit. Ein neuer Laut kam von ihm, ein Zischen - er hatte die Form einer riesigen Schlange angenommen.
Das Reptil wand sich und peitschte um sich und strengte sich an, sich von den Schwertern loszureißen.
Cormac sprang hastig auf die Beine und zog seine Klinge halb aus der Scheide. Doch das Reptil konnte sich ebenso wenig befreien wie die Menschengestalt, die der Zauberer wieder annahm.
Wieder verschwand Thulsa Doom.
»Wie seltsam«, sagte Brian und bemühte sich, das Zittern in seiner Stimme zu verbergen. »In so kurzer Zeit habe ich gelernt, das Unvorstellbare zu akzeptieren. Mich schaudert nicht einmal mehr, wenn er verschwindet.«
Das Schiff schaukelte so wild, dass Samaire über das Ruderdeck rutschte und bei dem neuen Schmerz in ihrem Schenkel aufstöhnte. Cormac schwankte. Wasser spritzte hoch. Der Gäle schaute sich um. Das andere Schiff lag ruhig, nur vom Kielwasser der Sucher leicht bewegt. Es wehte kein Wind, und die See lag ruhig.
»Er hat uns nicht verlassen«, stellte Bas, der Druide, fest.
»Aber eine gekrönte Frau«, grübelte Wulfher laut. »Was nützt uns dieses Wissen? Die gibt es nirgends!«
»Noch mehr Zauberei!« Brians Stimme war kaum mehr als ein Wispern.
Bas blickte ihn nur kühl mit weiten grauen Augen an. »Wollt ihr den Rest hören?«
»Ja«, antwortete Cormac.
»Bitte«, fügte Samaire hinzu.
»Diese gekrönte Frau muss den Schädel dann zu Staub zerschlagen, und zwar mit einem Hammer aus Eisen.«
»Eisen?«
»Ja. So zumindest habe ich es der alten Bilderschrift entnommen. Vielleicht gab es zu Atlantis' Zeiten keinen Stahl.«
Cormacs Gesicht war grimmig und hoffnungsvoll zugleich. »Aber eine gekrönte Frau! Wo herrscht eine Frau?«
»Nirgendwo«, erwiderte Samaire seufzend. Sie wirkte plötzlich nachdenklich.
»Dann...«
»Dann...«, begann Bas.
Er hielt inne, als das Schiff erneut heftig schlingerte. Wasser spritzte hoch. Der Himmel schien zu flimmern. Als alles abklang, sprach Angst aus den Augen, und die
Knöchel hoben sich weiß von den Händen ab, die krampfhaft Halt suchten und festhielten, als könnten sie sich so davor bewahren, über den Rand der Welt geschleudert zu werden.
Bas begann erneut. »Dann müssen wir ihn gefangen halten. Das ist unsere Pflicht gegenüber der Menschheit. Denn auf andere Weise kann der tote Thulsa Doom nicht vernichtet werden.«
Und er kannte nur einen einzigen, mörderischen Gedanken - schreckliche Rache an Cormac MacArt - oder an ihm, der er einst in ferner Vergangenheit gewesen war.
Während sie mit zusammengepressten Lippen zuhörten, schaukelte das Schiff aufs Neue wie in einem heftigen Sturm. Die Männer stöhnten, ihnen drehten sich die Mägen um. Dann war alles ruhig. Da war nur die leichte Brise, die die Sucher fort von Kulls Insel, der sie den Namen Doomheim gegeben hatten, nach dem fernen Eirrin geleitete. Thulsa Doom erschien erneut hilflos am Mast.
»Verdam-m-m-mt!«, knirschte er und war still.
Zwei Langschiffe glitten in einer leichten Brise über das Meer, beladen mit Vergangenheit und Grauen.
Bas' Augen waren hell und weit, als er zum Himmel aufsah. Seine Finger zeichneten die Symbole seiner Götter in die Luft, und die ihrer Kräfte, die Teil der Natur waren, wie das Grün seines Gewandes. Die anderen spürten, dass er nun mit Thulsa Doom rang, dessen Kräfte solche der Finsternis und des Wahns waren, im Widerstreit mit dessen der Natur und des Lichts.
Da rief Samaire: »Dort war eine kleine Insel - dort! Jetzt - jetzt ist sie verschwunden!«
Die Blicke ihrer Gefährten folgten ihrer ausgestreckten Hand. Durcheinanderredend bestätigten sie, dass sie Recht hatte. Die See hatte sich verändert; die Welt hatte sich verändert. Bas drehte sich um und ging auf den Zauberer zu.
»Sei verflucht! Immer und immer wieder hast du es versucht und mit aller Kraft. Dir ward Erfolg zuteil, und doch hast du versagt, nicht wahr? Es gelang dir, in deine andere Dimension durchzubrechen - doch ungewollt hast du uns mitgenommen - in eine andere Welt!«
ERSTER TEIL: Die Insel der Dana
1. »Ich tötete Wulfher schon vor Jahren!«
Mit der Gelben Vogelbeere im Schlepp glitt das Schiff langsam nordwestwärts, fort von der Insel des Grauens und des Todes.
An Bord befand sich der armselige Rest der einstigen Mannschaft: ein Druide mit goldener Lunula, in schmutzigem grünen Gewand; eine Kriegerin, deren Haar orange-gold in der Herbstsonne leuchtete, und drei Krieger - von denen einer kaum den ersten Bartflaum hinter sich hatte. Die Frau hatte eine dunkle Narbe aus einem Kampf am Schenkel, in dem sie ihre Klinge geführt hatte, wie nur wenige Frauen es vermögen.
Dies war die Mannschaft der Sucher. Der Passagier stand am Mast. Er war in der einzigen Weise damit verbunden, die ihn zu halten vermochte. Der Anblick war schrecklich und widerwärtig. Ein Beobachter, der nichts von dem Gefangenen und seinen Kräften wusste, wäre über die scheinbare Grausamkeit seiner Bewacher entsetzt gewesen.
Er wand sich, und immer wieder klagte er über eine Kälte, die Kälte der stählernen Klingen, die ihn durchbohrten und die Wunden am Schließen hinderten.
Aber er blutete nicht.
Die angenehme Brise war heftiger geworden. Sie kräuselte die Meeresoberfläche. Die Sucher glitt ruhig dahin. Die Gelbe Vogelbeere folgte wie ein Hund an der Leine. Ihr Kiel zeichnete eine lange weiße Linie in die See.
Das zweite Schiff war leer, ohne Mannschaft, und im Augenblick völlig wertlos. Es hemmte ihre Fahrt nur. Sie hatten bereits einen weiten Bogen hinter sich, um dem Wind zwischen den Inseln zu entgehen, der Wulfher und Cormac schon einmal zum Verhängnis geworden war. Ein zweites Hindernis war zu umschiffen gewesen - die Insel, die der Gäle nach dem Meeresgott seines Volkes benannt hatte: Der Zorn des Manannàn Mac Lir.
Doch Wulfher und Cormac, dem sie den Beinamen an Cliuin, der Wolf, gegeben hatten, waren viele Jahre zur See gefahren und plündernd von Küste zu Küste gezogen. Wulfher brachte es nicht über sich, ein gutes, vollkommen seetüchtiges Schiff aufzugeben. Auch Cormac brachte es nicht über sich, ein Schiff zurückzulassen, das noch gute Dienste leisten mochte - außer es war unumgänglich.
Glücklicherweise war es das bis jetzt nicht gewesen. Und wenn es dazu kommen sollte, dann hoffte Cormac MacArt, dass die Gründe für sich selbst sprachen. Sonst würde es nur ein erneutes Aufeinanderprallen von Wulfhers ungestümem, unerschütterlichem, von der eigenen Kraft berauschtem Selbstvertrauen und dem nüchternen, immer wachsamen Verstand MacArts sein. Es hatte viele solcher Augenblicke gegeben. Auch hatte Cormac sich nicht immer durchzusetzen vermocht. Die jungenhafte Neigung des Dänen, vorwärtszupreschen, ohne erst die Chance abzuwägen, hatte Cormac Narben und Erinnerungen an so manches noch eben verhinderte Stelldichein mit dem Tod eingebracht.
Doch nun war die See ruhig und der Wind günstig. Thulsa Doom war in ihrer Hand, und ihr nächstes Ziel lag direkt vor ihnen, eine kleine namenlose Insel.
Cormac erinnerte sich gut an sie. Sie waren schon einmal hier an Land gegangen, er und Wulfher und Samaire und ihr Bruder Ceann mong Ruadh. Wie jetzt brauchten sie auch damals Wasser. Wulfher hatte gestöhnt, als gutes Ale aus den Lederbeuteln geschüttet worden war, um Platz für frisches Trinkwasser zu schaffen. Auch legten die Menschen Eirrins großen Wert auf körperliche Sauberkeit. Samaire und Ceann hatten auf einem Bad bestanden. Da hatte Cormac gestöhnt und war hoch auf die Felsen geklettert, um Wache zu halten. Offenbar war das bewaldete Eiland unbewohnt, und Cormac hatte ebenfalls gebadet, während Wulfher den überflüssigen Ausguck übernahm.
Nun brachte Wulfher sie unter geschickter Nutzung des Windes erneut an diese paradiesische Küste heran. Einem schwimmenden Smaragd gleich, duftend und tiefgrün, lag die Insel in der See südlich Britanniens.
Die Felsen waren grün vom dichten Laubwerk hoher Bäume. Der Gesang der Vögel war allgegenwärtig. Kristallklares Wasser stürzte von hohen steilen Felsen herab in eine kleine Bucht - ein Hafen, wie es keinen geschützteren geben konnte. Dort hinein manövrierte der Däne die Sucher so meisterhaft wie kaum ein anderer Steuermann auf diesen Meeren es vermocht hätte.
Die Gelbe Vogelbeere im Schlepp erwies sich als der schwierigste Teil, doch mit vereinten Kräften, trotz der Gegenwart ihres dämonischen Gefangenen lachend und guter Dinge, schafften sie es.
Wulfher half Cormac in sein Panzerhemd, worauf Samaire sie daran erinnerte, dass sich dieser grüne Fleck auf dem Meer als unbewohnt erwiesen hatte. Ihr eigener Lederharnisch lag an Deck. Sie trug nur das verschmutzte blaue Unterhemd und ihre Stiefel, deren Schäfte bis unter das Hemd reichten.
Cormac warf ihr einen mahnenden Blick zu.
»Auch Doomheim war unbewohnt«, sagte er und gürtete sein Schwert. Er wandte sich an Brian, der sein kleingliedriges eirrinisches Kettenhemd aufgehoben hatte und sich anschickte, seinen bewunderten Anführer zu begleiten. Cormac hob abwehrend die Hand.
»Ich werde über den Wasserfall hinaufsteigen und dort oben Wache halten. Es ist nicht zum erstenmal. Du hilfst, Wasser an Bord zu bringen - und badest.«
Brian runzelte die Stirn. Sein Blick wanderte die Felsen hoch, zurück zu Cormac, dann zu Samaire. Baden? Drei Männer und eine Frau?
Cormac lächelte. »Es geschieht nicht zum erstenmal, dass wir hier baden, Brian Ich-kämpfe-für-mein-Leben- gern. Sicherlich wirst du eine Möglichkeit finden, wenn vier Männer und eine Frau auf dem Schiff einen Weg finden, ihre natürlichen Bedürfnisse zu erledigen.« Cormac sah Bas an.
»Ich werde an Bord bleiben, bei - ihm«, erklärte der Druide.
Mit einem zustimmenden Nicken wandte sich der Gäle um und schritt zum Bug. Dort schlang er den Schild auf den Rücken, gürtete sein Schwert höher. Er duckte sich und schätzte die Entfernung. Dann sprang er mehrere Fuß weit auf einen Felsen, der von Wurzeln umwachsen war, bewegungslosen Schlangen gleich. Mit klirrendem Rüstzeug und gegen den Rücken schlagendem Schild kletterte er die Felswand hoch, wie er es vor vier Monaten bereits getan hatte. Es war kein schwieriger Aufstieg.
Samaire beobachtete ihn kopfschüttelnd. Immer der vorsichtige und ewig wachsame Pirat, ihr Dairlin Cormac!
Sie seufzte und sah ihm nachdenklich nach. Es war nicht nur so gewesen, dass sie sich sofort zu ihm hingezogen gefühlt hatte, damals, als sie noch ein junges Mädchen gewesen war und er ein Junge, der sein wahres Alter verbarg, um Krieger in ihres Vaters Gefolgschaft zu werden. Das war vor zwölf Jahren gewesen. Sie hatte ihn damals bereits gekannt, wie alle anderen, die ihn auf unerklärliche Weise, auf - wie sie dachten - den ersten Blick, mochten oder liebten.
Es war nur der erste Blick in diesem Leben, diesem einen von vielen, dem letzten, aber nicht endgültigen einer langen Reihe von Leben, einer nie endenden und unzerreißbaren Kette von Tod und Wiedergeburt, die in die fernste Vergangenheit reichte, aber auch in die fernste Zukunft. Samaire wusste es. Sie war nicht sicher, ob Samaire Ceannselaigh aus Leinster, aus Atlantis oder aus Valusien stammte oder ob sie wirklich diesen König Kull gekannt hatte, von dem die Rede war. Es war nicht von Bedeutung. Doch sicher war sie, dass sie vor diesem Leben das Ka, die Lebenskraft oder Seele, die als Kull und Conan und Cormac und viele andere geboren worden war, gekannt hatte. Das Wann war nicht wichtig. Die Namen, die sie in vergangenen Leben hatten, waren nicht wichtig. Das Jetzt war wichtig. Die Gegenwart und die Zukunft - jetzt und danach. Cormac, Samaire und Tu, durch die Jahrtausende miteinander verbunden. Es waren keine ruhigen Jahrtausende gewesen, noch würde die Zukunft anders sein. Die Lebenskraft, mit der ihre eigene verbunden war, schien ein Schlüssel zu sein. Und nun war diese Kraft Cormac MacArt, der eben den höchsten Punkt des Felsens erreicht hatte - der Mann, den sie liebte und immer geliebt hatte, zu allen Zeiten.
Sie lächelte und schloss sich Wulfher und Brian an, die Behälter mit jener Kostbarkeit zu füllen, die es weder auf dem Meer noch auf Doomheim gegeben hatte: klares Süßwasser zum Trinken. Nur Wulfher murrte darüber, dass die herabschäumende Flüssigkeit Wasser und nicht Ale war.
Die Oberfläche der Felswand, die gut vierzig Fuß hochragte, bot einem Kletterer ausreichend Halt. Cormac schaffte es in kurzer Zeit. Sein Atem ging kaum rascher, als er sich über den Rand schwang. Bereits nach ein paar Schritten begann der Grasbewuchs, gleich dahinter lag der Waldrand. Er trat ins Gras und blickte den langgestreckten Hang hinab, der mit Buschwerk und Bäumen bewachsen war und unten in den tiefen Wald überging, der dem Anschein nach die ganze Insel bedeckte.
Ein wunderschöner Ort, dachte er.
Eiche und Haselnuss überragten ihre dicht wachsenden kleineren Nachbarn. Die Hälfte des Laubes hatte der Herbst bereits zu Fall gebracht - auf einen dichten Teppich von Gräsern, Moosen, Schlinggewächsen, Kräutern, Büschen und Wildblumen, die längst verblüht und ausgesamt waren. Im Sommer musste dies dem Betrachter als eine verzauberte Insel erschienen sein, auf der ewiger Sommer herrschte, mit allen Schattierungen von Grün, und duftend von Blüten aller Farben.
Nun, da der Herbst gekommen war, hatte sie kaum an Schönheit eingebüßt.
Welch ein Land, dachte er, und unbewohnt!
Dann sah er, dass er sich geirrt hatte.
Es gab Bewohner.
Er erstarrte mit dem Blick eines Mannes, der von der Legende über den Garten Eden gehört hat, die die Anhänger des toten Gottes verbreiteten, und der nun das Paradies vor sich liegen sah - und die Schlange entdeckte. Die Menschen, die er sah, waren mit dem blutigen Handwerk ihrer Art - seiner Art - beschäftigt.
Ein Junge und ein Mädchen, vielleicht auch ein junger Mann und eine Frau von zierlicher Gestalt, waren in einer kleinen Waldlichtung von vier Kriegern gestellt worden. Diese trugen runde Helme und Rüstzeug, zwei Schuppenpanzer, die anderen beiden Lederharnische. Einer war mit einem Schwert bewaffnet, die anderen drei hatten Äxte. Alle trugen runde Schilde, und alle vier hatten flachsfarbene Bärte. Das junge Pärchen war weder gerüstet noch bewaffnet - zumindest nicht mit Stahl.
Aber sie setzten sich wohl zur Wehr mit Stöcken, die sie mit ungewöhnlicher Meisterschaft handhabten. Eine Axt kam im Bogen auf den Jungen herab, verfehlte ihn, und der Angreifer hatte Mühe, den raschen Stockhieb mit dem Schild abzuwehren.
Die beiden verteidigten sich geschickt - doch es konnte nur eine Frage der Zeit sein, bis sie dem Stahl in den Fäusten erfahrener und gerüsteter Krieger unterlagen. Dennoch presste Cormac MacArt die Lippen zusammen und zwang sich, dem Geschehen den Rücken zuzuwenden.
Wo vier Norweger auftauchten, waren auch noch mehr. Ihr Schiff lag irgendwo an der Küste. Vielleicht waren die beiden entflohene Gefangene. Ihr Streit geht mich nichts an.
Er blickte zu seinen Gefährten hinab. Sie hatten das Trinkwasser bereits an Bord geschafft, und die Männer hatten mit einer an dieser einsamen Küste wahrlich seltsam anmutenden Artigkeit ihre Gesichter seewärts gewandt und harrten solcherart aus, damit Samaire baden konnte. Während Cormac hinabblickte, legte sie das letzte Kleidungsstück ab und sah hoch. Die schlanke Gestalt winkte fröhlich und lachte. Dann sprang sie ins Wasser und tauchte unter den Wasserfall. Wenn sie etwas gerufen hatte, so übertönte das Rauschen ihre Worte.
Sie wird nicht lange brauchen, dachte er. Ein paar hundert Herzschläge, und sie ist zurück auf dem Schiff und schüttelt ihr Haar in der Sonne. Dann die anderen. Auch sie werden in kurzer Zeit fertig sein. Ich werde verzichten. Sie müssen mich dreckig ertragen. Sollen sie die Nasen rümpfen! Und die anderen - nein, ihr Streit ist nicht meine Sache. Vier Wikinger auf dieser Insel - das bedeutet ein Schiff in der Nähe, und das bedeutet wenigstens vierzig der ihren - und wir sind nur fünf. Wir haben genug gekämpft! Nichts darf uns aufhalten. Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen: die Welt für alle Zeit von Thulsa Doom zu befreien!
Der Gedanke daran erfüllte ihn beinah mit Mutlosigkeit. Einen Magier zu überwältigen, der achtzehntausend Jahre lang nur auf Rache gesonnen hatte, war schwierig genug gewesen - doch, eine Frau zu finden, die regierte, um ihn für alle Zeiten zu vernichten, das war, als wollte man eine Schlange in den grünen Hügeln Eirrins suchen, oder ein Kleeblatt auf den nackten Felsen Doomheims!
Er blickte aufmerksam rundum.
Er konnte kein anderes Schiff entdecken. Unten planschte Samaire lachend in der Bucht, doch das hinabstürzende Wasser ließ keinen Laut zu ihm hochgelangen. Er musste sofort hinunterklettern und den Gefährten berichten. Sie mussten die Insel verlassen. Sie hatten genug Gemetzel und Aderlass hinter sich. Wenn er sich für die beiden jungen Leute in den Kampf mischte, würde es nicht lange dauern, bis die Kameraden der vier Wikinger aufmarschierten, und sicherlich in großer Zahl. Junge Männer waren zu allen Zeiten zu Tausenden, ja Millionen, getötet worden, bevor ihr Flaum zum Bart wurde und ihr Geschlecht fruchtbar. Hübsche junge Frauen waren zu allen Zeiten und an allen Orten verletzt und vergewaltigt und erschlagen worden oder hatten wund und blutend überlebt. So war die Welt und ihre Geschichte. Weshalb sollte es ihn kümmern, einen geschundenen Krieger Eirrins, auf dessen Schultern bereits mehr Verantwortung ruhte, als ein gewöhnlicher Mann tragen konnte, und der eine Frau zu beschützen und für sie zu sorgen hatte.
Nein. Es galt, wegzusehen. Was man nicht sah, ließ einen unberührt.
Wikinger...
Wikinger waren es gewesen, denen ihr eigener Bruder Samaire und Ceann ausgeliefert hatte, um sie von Eirrin zu verschleppen. Diese elenden Hunde kommen nur herab aus ihrem kalten Land, um zu morden und zu plündern!
Ja und nochmals ja, doch diesmal war es nicht seine Sache.
Unten stieg Samaire aus dem Wasser. Ihr Körper funkelte von Tropfen, das nasse Haar klebte ihr am Rücken. Der Anblick ihrer weißen Hinterbacken und ihrer nackten weißen Brüste entlockte ihm ein Lächeln. Aber wie sehr er es auch versuchte, die Ablenkung wollte nicht gelingen. Seine Kiefer schmerzten, und er hörte sich mit den Zähnen knirschen.
Er wandte den Blick von Samaire, die zu ihm hochwinkte.
Er starrte landeinwärts, den langen grünen Hang hinab.
Äxte blitzten im Sonnenlicht zwischen den Stämmen. Der junge Mann fiel nach hinten gegen den mächtigen Stamm einer Eiche. Der Stock entfiel seinen kraftlosen
Händen. Er sank nieder und lag still. Die junge Frau bewegte sich mit der Geschicklichkeit einer Katze. Ihr Stock, den sie mit beiden Händen vor sich hielt, schmetterte gegen den Helm eines Gegners. Noch in derselben Bewegung stieß sie mit dem anderen Ende nach einem zweiten.
Grinsend warfen die vier Männer ihre Waffen fort. Nur mit den Schilden, um sich ihres Stockes zu erwehren, drangen sie auf sie ein. Der Junge lag reglos.
Mädchen oder Frau, sie war mutig. Ihr langes dunkles Haar flog, gehalten nur von einem Band im Nacken. Sie hätte Samaire sein können in alten Tagen. Oder Brians Schwester aus Killevy, falls Brian wirklich Geschwister hatte. Oder...
Cormac wirbelte herum und ließ sich fallen. Auf dem Bauch liegend streckte er den Kopf über den Rand des Felsens und rief. Seine Gefährten hörten ihn nicht im Rauschen des Wassers. Am Mast stand Thulsa Doom, reglos, abstoßend. Samaire, in ihrem Hemd, das goldschimmernde Haar ausgewunden, blickte hoch. Cormac rief ihr zu. Er sah sie lächeln, sah an ihren Lippen, dass sie antwortete, doch das Wasser übertönte sie. Die Männer aber hörten sie und wandten sich um. Ihre Blicke richteten sich nach oben.
Er sprang auf, zog seine Klinge, deutete landeinwärts und schwenkte Schwert und Schild.
Cormac war sicher, dass seine Gefährten verstanden hatten. Er wandte sich um und stürmte den langen grünen Hang hinab.
Er rannte so schnell es ihm all die Bäume und Büsche und Schlingengewächse im Weg erlaubten. Doch einmal konnte er nicht verhindern, dass er stürzte. Er schwang den Schwertarm weit aus, um nicht in die eigene Klinge zu fallen. Er rollte, rutschte, ächzte. Als sein Körper endlich quer zum Hang war, fand er Halt und stemmte sich fluchend auf die Beine. Er lief weiter. Das Rauschen des Wassers hinter ihm wurde rasch leiser.
Bald waren das Kreischen der Vögel und sein heftiger Atem die einzigen Geräusche.
Dann hörte er das Mädchen aufschreien.
Wenn er rief, würden ihre Peiniger von ihr ablassen und sich ihm zuwenden - und auf seinen Angriff vorbereitet sein. Ein wenig musst du leiden, Mädchen. Die Überraschung wird umso größer sein, unbewaffnet wie sie sind!
Schweigend kam er heran, hörte die Männer lachen und das Reißen von Kleidung.
So versunken waren sie in ihr lüsternes Treiben, so laut waren ihr Lachen und die anfeuernden Rufe, die dem einen galten, der sich auf das Opfer geworfen hatte, dass keiner den
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Andrew J. Offutt/Apex-Verlag/Successor of Andrew J. Offutt.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx. Die Illustrationen im Text stammen von Johann Peterka.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Peter Sladek.
Übersetzung: Lore Strassl (OT: The Sign Of The Moonbow). Mit freundlicher Genehmigung der Edition Bären/Literatur-Agentur J. M. Munsonius.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 25.11.2018
ISBN: 978-3-7438-8751-0
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