GORDON R. DICKSON
DER RAUMFAHRER
- Galaxis Science Fiction, Band 7 -
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DER RAUMFAHRER
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Das Buch
Im Vergleich zu den riesigen und bärenstarken Bewohnern des Entwicklungsplaneten Dilbia wirken selbst terranische Schwergewichtlicher wie Zwerge. Trotzdem hat ein Mensch es fertiggebracht, sich auf Dilbia Respekt zu verschaffen: Er besiegte einen berüchtigten dilbianischen Schläger im Zweikampf.
Nun ist der junge Bill Waltham, ein Maschinenbau-Student, an der Reihe, auf Dilbia zum Champion der Menschheit zu werden. Bill hat, ohne es zu wollen, Knochenbrecher herausgefordert, den Anführer der dilbianischen Banditen.
Dass der Ausgang dieses Duells die zukünftige Politik zwischen Terranern und Hemnoiden, den erbittertsten Konkurrenten Terras, bestimmen soll, ahnt Bill Waltham nicht – den er ist ein Unbewusster Agent.
Das humorvolle SF-Abenteuer DER RAUMFAHRER von Hugo- und Nebula-Preisträger GORDON R. DICKSON erscheint in der Reihe GALAXIS SCIENCE FICTION aus dem Apex-Verlag, in der SF-Pulp-Klassiker als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
DER RAUMFAHRER
1.
Als er in der Fähre von dem Raumschiff, das ihn nach Dilbia gebracht hatte, der großen, blauen Welt, die unter ihm lag, entgegenflog, überdachte Bill Waltham missgelaunt seine Lage.
Den größten Teil der Fünf-Tage-Reise hatte er unter einem Hypnohelm verbracht. Nun schwirrte ihm zwar der Kopf von der Unmenge an Information über Dilbia und ihre übergroßen Bewohner, sowie deren Sprache, Gebräuche und Wesensart, aber er hatte immer noch das Gefühl, weniger als nichts über die Aufgabe zu wissen, zu der man ihn hierher abkommandiert hatte.
Die Fähre sollte ihn in der Nähe des Tieflanddorfs Sumpfloch absetzen. Dort würde ihn Lafe Greentree, der menschliche Regierungsvertreter, in Empfang nehmen, zusammen mit seiner Assistentin Anita Lyme, einer Studentin von der Erde, die sich unverständlicherweise freiwillig darum beworben hatte, ihr Praktikum auf Dilbia abzuleisten, so wie Bill sich ursprünglich für das Deneb-Siebzehn-Projekt gemeldet hatte. Diese beiden würden Bill dann mit seinem einheimischen Helfer bekanntmachen, einem Hochlanddilbianer namens Bergläufer. Dieser sollte ihn dann seinerseits den einheimischen Tieflandbauern vorstellen, die in Sumpfloch lebten, damit Bill sich an seine offenbar ungeheuer wichtige Aufgabe machen konnte, den Einheimischen den Umgang mit landwirtschaftlichen Geräten beizubringen.
Voller Bitterkeit verglich Bill das großartige Zusammenspiel von Technik und Entwicklung, das ein erderschaffendes Projekt wie Deneb-Siebzehn darstellte - nämlich, die Oberfläche und das Klima eines ganzen
Planeten zu verändern, um ihn für Menschen bewohnbar zu machen - mit der langweiligen Aufgabe, die ihn für zwei lange Jahre auf Dilbia erwartete. Aber diese beiden Tätigkeitsbereiche schienen sich überhaupt nicht miteinander vergleichen zu lassen.
Immerhin würde ihm seine Arbeit auf Dilbia eine Leistungsnote einbringen, ebenso wie seine ursprünglich beabsichtigte Tätigkeit. Und diese Leistungsnote würde nicht eben hoch ausfallen, wenn er damit anfing, schon im Voraus die riesigen, bärenähnlichen Einwohner Dilbias und alles, was mit ihnen zusammenhing, zu hassen. Zumindest besaßen die Dilbianer Sinn für Humor, wenn man nach den Namen ging, die sie einander gaben.
»...und wundern Sie sich nicht«, hatte der Offizier fröhlich gewarnt, der ihn von seiner neuen Aufgabe informiert hatte, »wenn Sie bei Ihrer Ankunft feststellen, dass man Ihnen bereits einen dilbianischen Namen verpasst hat.«
Im Fährboot erklang das Landesignal. Bill blickte aus dem Fenster und sah, dass sie auf eine große Wiese herabschwebten, die etwa eine halbe Meile von einer Ansammlung von Gebäuden entfernt lag, die vermutlich das Dorf Sumpfloch bildeten. Bill blickte nach unten, auf der Suche nach Greentree und seiner Assistentin, aber er konnte keine menschlichen Gestalten entdecken. Mehr noch, er sah überhaupt keine Gestalten. Wo war sein Empfangskomitee?
Das fragte er sich immer noch, als er fünf Minuten später allein auf der Lichtung stand, seinen Koffer neben sich, während die Fähre über ihm rasch wieder himmelwärts stieg. Der Fährpilot war auch nicht eben hilfreich gewesen. Er hatte erklärt, überhaupt nichts darüber zu wissen, wer Bill in Empfang nehmen sollte; er hatte lediglich Order, so schnell wie möglich zum Raumschiff zurückzukehren.
Bill blickte zu der üppigen, gelben dilbianischen Sonne auf, die am Nachmittagshimmel stand. Es war ein schöner, fast wolkenloser Tag. Die Luft war warm, und von einer nahen Baumgruppe her war das hohe Zirpen irgendeiner einheimischen Tier- oder Vogelart zu hören.
Wenigstens ein Gutes, dachte Bill, dass die Schwerkraft Dilbias etwas geringer war als die Schwerkraft der Erde. Das würde ihm das Tragen seines Koffers bis zum Dorf um einiges erleichtern. Da weit und breit niemand zu sehen war, beschloss er, sich auf den Weg zu machen, und nahm seinen Koffer.
Er erinnerte sich ungefähr an die Richtung, in der er das Dorf gesehen hatte, und marschierte über die Wiese und durch den Hain, als er plötzlich Stimmen hörte - einen Chor unglaublich tiefer Bassstimmen.
Sämtliche in Hypnose aufgenommenen Auskünfte wiesen darauf hin, dass die Dilbianer im Allgemeinen gutmütig und freundlich waren, wenn vielleicht auch etwas lärmend. Außerdem neigten sie dazu, ihren Stolz darein zu setzen, die Buchstaben des Gesetzes zu beachten, während sie den Sinn desselben sorgfältig umgingen. Zudem hatte das Dorf Sumpfloch ein vertragliches Übereinkommen mit den menschlichen Mitgliedern des Landwirtschaftlichen Hilfsprogramms geschlossen, und dies stellte ihn offiziell unter den Schutz jedes Mitglieds dieser einheimischen Gemeinde.
Es gab also keinen Grund, sich dieser Versammlung von Dilbianern nicht zu nähern. Zumindest konnte er sich den Weg zu Greentrees Residenz zeigen lassen, wenn nicht sogar jemanden finden, der bereit war, ihm sein Gepäck ins Dorf zu tragen. Und es bot ihm die Gelegenheit, einen unvoreingenommenen Eindruck von den Eingeborenen zu erhalten, bevor er mit Greentree sprechen würde und sich von dessen Meinung beeinflussen lassen konnte.
Er marschierte also weiter mit seinem Koffer durch den Hain, bis er auf der anderen Seite des Hains herauskam und sich, wie es schien, auf dem Hof eines Anwesens befand.
Auf dem Hof war ein Holztisch aufgestellt, und an diesem Tisch saßen ein halbes Dutzend über zweieinhalb Meter große, bärenähnliche Geschöpfe, von oben bis unten mit braunschwarzem Haar bedeckt sowie mit einigen Riemen, an denen jedes dieser Geschöpfe ein riesiges Schwert sowie einige Satteltaschen und Beutel hängen hatte. Die Gesellen am Tisch aßen und tranken aus großen hölzernen Krügen, die ständig aus einem offenen Fass nachgefüllt wurden. Ein paar Meter vom Tisch entfernt lag ein Stapel von Säcken, die offenbar mit Wurzelgemüse gefüllt waren, ein halber Ochse und ein geschlossenes Fass wie jenes, aus dem sie tranken, sowie alle möglichen anderen Dinge, einschließlich eines dreibeinigen Holzschemels. Ein kleines, schweineähnliches Tier war mit einem Strick an einen der schweren Gemüsesäcke gebunden. Es grunzte und knabberte an dem Strick, von dem es sich bald befreit haben würde.
Aber niemand auf dem Hof achtete auf das Tier. Aller Aufmerksamkeit richtete sich auf eine kleinere, rundlichere Gestalt - einen guten Kopf kleiner als die Gesellen am Tisch und eigentlich schon fett zu nennen. Aus der Tatsache, dass die Stimme dieses Geschöpfs eine Oktave höher lag als die der übrigen und dieses Geschöpf außerdem kein Schwert trug, schloss Bill, dass es sich um ein weibliches Geschöpf handeln musste. Sie stand etwas abseits vom Tisch und schrie die anderen an, besonders einen, der auch kein Schwert trug, wie Bill jetzt bemerkte, aber noch betrunkener war als die übrigen und am Kopf des Tisches saß.
»Musst du dich mit diesen Halunken und Nichtsnutzen zusammensetzen und betrinken! Warum tust du das, Blechohr? Nun, antworte mir!«
»Weil sie es mir gesagt haben«, murmelte das Geschöpf am Kopf des Tisches, das offensichtlich Blechohr hieß. Seine Zunge war etwas schwer, aber sein Ausdruck, soweit Bill ihn auf dem pelzigen Gesicht deuten konnte, war durchaus nicht unglücklich.
»Nun, warum lässt du dir das einfach sagen? Warum kämpfst du nicht gegen sie wie ein Mann?«
»Ist unhöflich, nicht mit Gästen zu trinken«, protestierte Blechohr leicht lallend.
»Unhöflich! Gäste!«, schrie sie. »Abtrünnige, Räuber, Diebe...«
»Nun halt aber die Luft an, Manches Ding! Es ist unnötig, so garstig zu werden!«, brummte einer der schwerttragenden Trinker warnend. »Was recht ist, ist recht. Falls in dem Stapel dort etwas ist, was ihr wirklich nicht entbehren könnt, so steht es dir frei, zum Tal hinüberzulaufen und mit Knochenbrecher zu sprechen...«
»Oh, ja!«, schrie Manches Ding. »Mit Knochenbrecher soll ich sprechen, wie? Aber er ist auch nicht besser als der Rest von euch - erlaubt Süßes Ding, ihre Nase in die Luft zu recken und ihn von oben herab zu behandeln! Wenn es hier in der Gegend ein paar richtige Männer gäbe, wären sie längst mit Gesindel wie ihm und euch fertig geworden! Als ich jung war, da hatte ein Mädchen nicht viel zu sagen, wenn es sein Zuhause noch nicht verlassen wollte. Der Mann, der sie begehrte, kam einfach eines Tages herein, packte sie und trug sie davon...«
»So wie Blechohr es mit dir gemacht hat, wie?«, unterbrach einer der Schwertmänner, und seine Trinkgesellen brachen in ein schallendes Gelächter aus, das Bill die Ohren erdröhnen ließ. Selbst Blechohr erstickte fast an dem Inhalt seines Holzkrugs, obgleich doch in gewissem Maß seine eigene Person Gegenstand des Scherzes war.
Manches Ding schrie etwas zurück, aber ihre Worte gingen in dem Getöse unter. Als sich das Gelächter nach einigen Minuten etwas legte, grölte der Sprecher der Schwertmänner über den Tisch: »Ich habe nämlich gehört, dass du es warst, Manches Ding, die in einer dunklen Nacht in das Haus von Blechohrs Papa eingebrochen ist und ihn davongetragen hat!« Woraufhin erneut dröhnendes Gelächter erscholl.
Diese letzte Bemerkung raubte Manches Ding offensichtlich vorübergehend die Sprache, und Bill gedachte sich diesen Vorteil zunutze zu machen. Er hielt den Zeitpunkt für gekommen, die Aufmerksamkeit der Versammlung auf sich zu lenken, denn obgleich er seit einer ganzen Weile in vollem Tageslicht praktisch neben dem Tisch gestanden hatte, schien niemand ihn bemerkt zu haben. Er trat vor und stieß den Dilbianer, der den Wortwechsel mit Manches Ding geführt hatte, in die Rippen.
»Hallo!«, sagte Bill.
Der Kopf des Dilbianers fuhr herum. Da er saß, befand sich sein haariges Gesicht auf gleicher Höhe mit Bills Gesicht. Er starrte Bill aus einer Entfernung von weniger als einem Meter an, und dann fiel ihm die Kinnlade herab vor Staunen. Hinter ihm verebbte das Gelächter der anderen, bis eine steinerne Stille herrschte, während alle am Tisch ungläubig auf Bill starrten.
»Tut mir leid, euch zu belästigen«, erklärte Bill förmlich in seinem besten Dilbianisch, »aber ich bin gerade angekommen und auf dem Weg zur Shorty-Residenz im Dorf Sumpfloch. Vielleicht würde jemand so freundlich sein und mir den Weg zum Dorf zeigen? Und vielleicht wäre auch einer von euch bereit, mich zu begleiten und mir zu helfen, mein Gepäck zu tragen?«
Er wartete, aber die Dilbianer fuhren lediglich fort, ihn in stummer Faszination anzustarren. Da er wusste, dass Handeln ebenso ein Teil des dilbianischen Wesens war wie Atmen, fügte er vorsichtig hinzu: »Ich könnte wahrscheinlich ein paar Nägel zusammenkratzen für den, der mir gern helfen möchte.«
Wieder wartete er, aber er erhielt keine Antwort. Das Schweigen hielt an. In Bill rührte sich ein leichtes Unbehagen. Er fand, dass sie ihn anstarrten, als hätten sie noch nie einen Menschen gesehen, und das war merkwürdig. Seine hypnotisch erhaltenen Informationen besagten eindeutig, dass Shorties - wie die Menschen von den Dilbianern genannt wurden - den Sumpflöchern wohlbekannt waren. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, in diese Runde einzubrechen.
»Ein Shorty!« äußerte der von Bill angesprochene Dilbianer endlich und brach damit das Schweigen. »Wie ich lebe und atme! Ein richtiger, lebendiger, sprechender, kleiner Shorty! Hier draußen und ganz allein!«
Er drehte sich vollends um und streckte langsam einen langen Arm aus, dem Bill auswich, indem er ein paar Schritte zurückging.
»Komm her, Shorty!«, sagte der Dilbianer.
»Nein, danke«, entgegnete Bill, dem jetzt völlig klar wurde, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Der Riese mit dem Schwert mit dem er gesprochen hatte, war bereits dabei, sich zu erheben mit der offensichtlichen Absicht, Hand an ihn zu legen, und Bill entschied, dass es höchste Zeit war, an seinen geschützten Status zu erinnern. »Ich dachte lediglich, ich könnte hier vielleicht Hilfe finden«, sagte er hastig. »Ich bin nämlich selbst ein Mitglied der Residenz, versteht ihr?«
Der Dilbianer war jetzt auf den Füßen, und die übrigen erhoben sich ebenfalls. Die Alarmglocke in Bill klingelte jetzt Sturm, und er wich weiter zurück.
»Was ist los mit euch?«, schrie er. »Wisst ihr nicht, dass wir Shorties einen Vertrag mit den Sumpflöchern haben? Gemäß diesem Vertrag schuldet ihr mir alle Schutz und Hilfe!«
Die Dilbianer, die auf ihn zukamen, erstarrten in der Bewegung, sahen einander an und brachen dann in wildes Gelächter aus, lauter und wilder als es Bill bisher von ihnen gehört hatte. Verblüfft starrte Bill die Riesen an.
»Begreifst du nicht, du verrückter, kleiner Shorty!«, schrie Manches Ding ihm wütend zu. »Kannst du den Unterschied zwischen Leuten nicht erkennen, wenn du sie siehst? Dies sind keine ehrlichen Männer wie wir Leute vom Dorf! Das sind Diebe und Plünderer und Tunichtgute aus dem Banditental! Es sind Geächtete, und sie haben niemals irgendeinen Vertrag geschlossen, mit niemandem!«
2.
Die Warnung von Manches Ding erklärte zwar die Vorgänge, kam aber etwas spät. Inzwischen war der anführende Bandit Bill gefährlich nahe gekommen,
und Bill setzte sich hastig in Bewegung.
Er ließ seinen Koffer fallen und duckte sich behende, als die großen Hände des Dilbianers nach ihm griffen. Sie verfehlten ihn, und er raste los, nur um festzustellen, dass er in die falsche Richtung lief. Mit Geschrei und Gejohle war nun die ganze Bande von Banditen hinter ihm her. Wo immer er sich hinwandte, blockierte eine riesige, fast drei Meter hohe Gestalt seinen Fluchtweg. Zwar konnte er sich dem Zugriff der Riesen verhältnismäßig leicht entziehen, da die Dilbianer, fast doppelt so groß und um ein Mehrfaches schwerer, allein aufgrund dieser Tatsache wesentlich langsamer und schwerfälliger waren als er, andererseits wurde ihm bald klar, dass es keine Lösung für ihn bedeuten würde, durch eine Lücke zu schlüpfen und einfach davonzurennen. Die Dilbianer mochten zwar langsamer sein als er, aber sie konnten mit ihren riesigen Schritten doppelt so viel Boden zurücklegen wie er und würden ihn schnell einholen, sollte er versuchen, es auf einen Wettlauf ankommen zu lassen. Seine einzige Hoffnung war, überlegte er, während er auf dem Hof hin und her sprang, ihnen weiter auf diesem engen Raum auszuweichen, bis ihnen die Luft ausging, und dann zu riskieren, ihnen davonzulaufen. Wenn es ihm gelang, sie noch ein paar Minuten hinzuhalten...
»Aufgepasst!«, schrie der Banditenanführer. »Lasst euch von ihm nicht um die Puste bringen. Kreist ihn ein! Drängt ihn in eine Ecke!«
Bills Hoffnungen sanken auf den Nullpunkt. Er drehte und wand sich und fand nirgends eine Lücke. Die Banditen bildeten jetzt einen Halbkreis, die langen, mächtigen Arme seitwärts ausgestreckt, und drängten ihn langsam gegen die Vorderwand des Hauses. Bill täuschte einen Ausbruch nach rechts vor und raste dann nach links, wildentschlossen, zwischen den Beinen das Banditenführers durchzulaufen, der vor der Hausecke stand. Aber im letzten Augenblick trat der Bandit einen Schritt vor und brüllte mit seiner mächtigen Stimme: »Jetzt hab’ ich dich, Shorty!«
Bill bremste jäh. Der Bandit streckte seine Arme aus, um ihn zu greifen... und lag im nächsten Augenblick flach auf dem Bauch. Eine pelzige Gestalt hockte auf ihm und stieß einen wilden Kriegsschrei aus.
»Ich bin ein Sumpflöcher und stolz darauf!« röhrte der immer noch betrunkene Blechohr triumphierend. »Lauf, Shorty!«
Aber Bill wusste nicht, wohin er laufen sollte. Die anderen Banditen hatten die durch ihren gefallenen Anführer entstandene Lücke sofort geschlossen. Gehetzt blickte Bill sich um und entdeckte an der Hauswand genau unterhalb des Daches eine Öffnung, die in einen dunklen Innenraum führte, vermutlich ein Speicher oder Heuboden. Die jeweiligen Balkenenden der Vorder- und Seitenwände des Hauses waren eingekerbt und so ineinandergefügt, dass sie rechtwinklig zueinander herausragten. Für jemanden von Bills Größe bildeten diese herausragenden Balkenenden eine prächtige Leiter. Nicht umsonst hatte er in der Überlebensschulung auf der Erde eine Medaille im Klettern gewonnen. Wie ein Eichhörnchen kletterte er behende die Balkenenden hinauf und verschwand Sekunden später in dem dunklen Dachgeschoss, in das die Öffnung führte, die er von unten gesehen hatte. Eine Weile lag er keuchend auf den harten Balken, die vermutlich die Decke des darunterliegenden Raums bildeten. Als er wieder zu Atem kam, kroch er zu der Öffnung zurück und spähte hinaus.
Blechohr lag schlummernd oder bewusstlos auf dem Boden, auf der gleichen Stelle, wo er den Banditenführer angesprungen hatte. Der Anführer selbst stand wieder auf seinen Füßen und drängte sich mit den anderen um die Hausecke. Einer von ihnen versuchte gerade, die etwa sechs Meter hohe Balkenleiter zu erklimmen, die Bill gerade benutzt hatte.
Die Balkenenden erwiesen sich jedoch als zu klein für die großen Hände und Füße der Dilbianer. Der Kletterer fand zwar einigermaßen Halt mit seinen Zehen, konnte sich jedoch nur mit den Fingerspitzen an den höheren Balken festhalten. Seine ganze Aufmerksamkeit galt seinen Fingerspitzen, und Bill hatte eine plötzliche Eingebung. Er beugte sich aus der Öffnung nach unten, legte seine Hand auf den harten, pelzigen Schädel, der nur noch einen Meter entfernt war, und stieß ihn mit aller Kraft von der Hauswand fort.
Die Fingerspitzen des Kletterers verloren ihren spärlichen Halt; ein Schrei ertönte, und der Kletterer landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Rücken im Dreck. Brüllend vor Wut krabbelte er wieder hoch und wollte offenbar von neuem hinaufklettern, besann sich aber dann eines Besseren und ließ die bereits erhobenen Arme wieder sinken.
»Es hat keinen Zweck!«, sagte er missmutig zu dem Banditenführer. »Da ist nichts, an dem man sich richtig festhalten kann. Hast du gesehen, was er mit mir gemacht hat?«
»Holt Feuer aus dem Ofen drinnen!«, befahl der Banditenführer und rieb sich die Hände über seinen glücklichen Einfall. »Wir werden ihn ausräuchern!«
»Nein, das werdet ihr nicht tun!« trompetete Manches Ding aus dem Hintergrund. »Banditen-Abgaben zu zahlen, ist eine Sache, aber ihr werdet nicht unser Haus abbrennen! Versucht es nur, und ihr werdet sehen, wie schnell ich im Banditental bin und eure Schandtat dem Knochenbrecher berichte! Versucht es nur!«
Ihre Worte brachten die Banditen, die sich einträchtig zur Haustür in Bewegung gesetzt hatten, wieder zum Stehen. Sie berieten sich leise und blickten ab und zu hinauf zu der Öffnung, aus der Bill hinunterspähte.
Schließlich blickte der Anführer zu Bill auf. »Also gut, Shorty!«, sagte er streng. »Du kommst jetzt sofort herunter!«
Bill lachte nur grimmig.
»Was ist daran so komisch?«, fragte der Bandit wütend.
Bill hatte eine plötzliche Eingebung. Ihm war gerade etwas eingefallen, das er in Hypnose gelernt hatte. Erstens, dass sein Gesicht zu wahren - im menschlichen, orientalischen Sinn - den Dilbianern sehr viel bedeutete, da der einzelne Dilbianer in der Gemeinschaft nicht mehr Status besaß, als ihm sein Verstand oder seine
Muskelkraft einbringen konnte. Zweitens, dass man in einem dilbianischen Wortwechsel mit den ungeheuerlichsten Behauptungen, solange sie einem abgenommen wurden, dem Gegner umso mehr Gesichtsverlustpunkte beibringen konnte. Vielleicht gelang es ihm, sich aus dieser misslichen Lage herauszubluffen, indem er sie für die Banditen so demütigend darstellte, dass sie schließlich von ihm ablassen und Weggehen würden.
»Du bist es, der so komisch ist!«, entgegnete er mutig. »Warum glaubst du wohl, bin ich hiergeblieben, anstatt wegzulaufen? Weil es zum Lachen ist! Ich konnte mich kaum halten vor Lachen, als ich sah, wie ihr alle übereinander gepurzelt seid mit dem Versuch, mich zu fangen. Warum sollte ich also herunterkommen und dem Spaß ein Ende machen?«
Die Banditen starrten ihn an, und der Anführer machte eine finstere Miene. »Spaß?«, entgegnete er grollend. »Soll das etwa heißen, dass du nur zum Spaß hin und her gerannt bist?«
»Ja, natürlich«, antwortete Bill und lachte wieder, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Ihr habt doch wohl nicht gedacht, ich hätte Angst vor euch?«
Sprachlos starrten sie ihn an. »Du meinst, du hattest keine Angst?«, sagte ihr Anführer schließlich.
»Angst? Wer? Ich?«, rief Bill herzhaft und beugte sich etwas weiter aus der Öffnung. »Wir Shorties haben vor nichts Angst, das auf zwei Beinen oder auf vieren läuft. Und auch sonst vor nichts!«
»Oh? Warum kommst du dann nicht wieder herunter aus deinem Loch da oben?«, wollte einer der anderen Banditen wissen.
»Das ist doch ganz klar«, erklärte Bill, »immerhin seid ihr sechs oder sieben, und ich bin nur einer. Wenn das nicht so...«
»He, was ist hier los?«, dröhnte eine neue Stimme und unterbrach ihn. Bill hob seinen Blick, und auch die Banditen drehten sich um. Aus dem Wäldchen trat der größte und hagerste Dilbianer, den Bill bis jetzt gesehen hatte. Er war unbewaffnet, aber bestimmt einen guten Kopf größer als der größte der Banditen, und sein Fell war heller, von rostbrauner Farbe.
»Geht es dich was an, Hochländer?«, knurrte der Banditenführer.
»Nicht, wenn du meinst, dass es mich nichts angeht«, entgegnete der Neuankömmling fröhlich und schlenderte herbei. »Aber es sieht so aus, als hättet ihr etwas da oben in Blechohrs Dach gefangen...«
»Es ist ein Shorty«, berichtete der Banditenführer und blickte wieder zu Bill auf. Offenbar akzeptierte er den Neuankömmling ohne weiteren Protest. »Er ist da hinaufgeklettert, und wenn einer von uns versucht, hinaufzukommen und sich mit Fingerspitzen und Zehennägeln festzuhalten, stößt er ihn hinunter. Er sitzt einfach da und lacht uns aus.«
»Tatsächlich?«, bemerkte der große Dilbianer. »Nun, ich wüsste, wie ich ihn da herausbekäme.«
»Du?«, entgegnete der Anführer verächtlich. »Wieso würdest du ihn da herausbekommen, wenn wir es nicht können?«
»Nun, weil ich nicht hinaufklettern müsste«, erklärte der andere leichthin. »Wie ihr seht, bin ich ein bisschen größer als ihr. Soll ich es mal versuchen?«
»Von mir aus kannst du es gern versuchen«, brummelte der Anführer, und die übrigen Banditen murmelten zustimmend. »Wird aber nicht viel nützen.« Hinter ihm richtete sich langsam Blechohr vom Boden auf und blickte benommen um sich.
»Meinst du?«, sagte der große Dilbianer ungerührt. »Lasst mich erstmal einen kleinen Blick auf ihn werfen.« Er trat direkt unter Bills Schlupfloch. »Pass auf, Shorty - jetzt komme ich!«
Bei seinen letzten Worten duckte er sich plötzlich, dann sprang er und streckte gleichzeitig seine unglaublich langen Arme aus. Bill wich von der Öffnung zurück, als sich zehn kraftvolle, pelzige Finger um den Balken unter der Öffnung krallten. Eine Sekunde später schob sich das Gesicht des Neuankömmlings vor die Öffnung und starrte interessiert zu Bill herein, der sich bereit machte, Widerstand zu leisten. Aber erstaunlicherweise kam kein Angriff von dem Eindringling,
sondern lediglich ein heiseres Flüstern.
»Hör zu! Bist du der Hacke-und-Schaufel-Shorty?«
»Nun, ja«, flüsterte Bill verwirrt zurück. »Mein Shorty Name ist Bill Waltham, aber man hat mir schon gesagt, dass...«
»Schon gut«, flüsterte der Dilbianer ungeduldig. »Sag ich ja. Du bist Hacke-und-Schaufel. Jetzt hör zu! Ich werde die anderen dazu bringen, sich etwas zurückzuziehen. Wenn es soweit ist, dann springst du hier heraus, und ich bringe dich weg von ihnen. Hast du das verstanden?«
»Ja, aber...«
Bill sprach in die leere Luft. Ein dumpfer Aufprall unten verriet ihm, dass sein Gesprächspartner wieder auf dem Boden gelandet war. Bill kroch vor und spähte hinaus. Unter ihm redete der große Dilbianer mit den ihn dicht umdrängenden Banditen. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt, und die Unterhaltung sollte offensichtlich vertraulich sein, aber Bill konnte dennoch deutlich verstehen, was gesagt wurde.
»...man muss listig sein mit diesen Shorties«, erklärte der große Dilbianer. »Also, ich habe ihm gesagt, dass ich euch überreden würde, fortzugehen und ihn in Ruhe zu lassen. Ich schlage daher vor, dass ihr alle um die Hausecke verschwindet, und wenn er dann herunterklettert, schneide ich ihm den Weg ab, und ihr könnt hervorkommen und ihn fangen. Verstanden?«
Die Banditen murmelten freudige Zustimmung, und die Köpfe hoben sich.
»Also, Männer«, sagte der Banditenführer laut und gähnte, »ich glaube, wir machen uns jetzt auf den Weg zurück ins Tal. Auf geht’s!« Er blickte betont nicht in Bills Richtung.
Alle taten unbekümmert und wanderten um die entfernte Hausecke davon. Ihre Beute ließen sie allerdings zurück. Gleich darauf hörte Bill deutlich die schweren Tritte der Dilbianer, als sie hinten um das Haus herumrannten und hinter der Ecke unter ihm wieder zum Stehen kamen.
»Nun, Shorty«, sagte der große Dilbianer laut und sah zu Bill auf. »Wie ich dir gesagt habe, sie sind alle weggegangen...«Seine Stimme senkte sich plötzlich, und er hob seine beiden riesigen Pranken: »Jetzt, Hacke-und-Schaufel, vorwärts! Spring!«
Bill, der bereits in der Öffnung kauerte, zögerte, unentschlossen, ob er glauben sollte, was der große Dilbianer ihm, oder was er den Banditen gerade erzählt hatte. Dann erinnerte er sich jedoch der Information, dass die Dilbianer sich ungemein anzustrengen pflegten, eine direkte Lüge zu vermeiden, obgleich sie durchaus bereit waren, die Wahrheit nach allen Richtungen hin zu verdrehen, um die gleiche Wirkung zu erzielen.
Der große Dilbianer hatte gesagt, dass er Bill von den Banditen wegbringen würde, und damit war er praktisch daran gebunden, sein Versprechen zumindest buchstabengetreu auszuführen. Außerdem hatten die Banditen den Neuankömmling mit »Hochländer« angeredet, und Bills Informationen besagten, dass zwischen den Bergbewohnern und den Tiefländern wenig Sympathie herrschte.
Bill sprang.
Die großen Hände des Dilbianers fingen ihn geschickt auf. Eine Sekunde später rannten sie, oder vielmehr, der Dilbianer rannte, und Bill wurde in seiner Umklammerung hin und her gerüttelt.
Hinter ihnen erscholl plötzlich das Wutgeschrei der Banditen. Bill drehte seinen Kopf und reckte den Hals um einen haarigen Ellenbogen. Die Banditen kamen hinter dem Haus hervorgelaufen und nahmen die Verfolgung auf. Gleichzeitig fühlte sich Bill auf einmal hochgehoben auf die Schulter des Dilbianers.
»Kletter... auf meinen... Rücken«, wies ihn sein Retter zwischen den Schritten an. »Setz dich auf das Dingsda! Dann kann ich mich richtig in Bewegung setzen!«
Bill spähte über die pelzige Schulter und sah so etwas wie einen groben Sattel, befestigt an Riemen, die über Kreuz über den Rücken des Dilbianers liefen. Er hielt sich am dicken Nacken seines Retters fest, kletterte vorsichtig über die Schulter, drehte sich um und ließ sich auf dem Sattel nieder. Um zusätzlichen Halt zu haben, fasste er die Schulterriemen und verankerte seine Beine in den unteren Riemen.
»Alles in Ordnung«, meldete er schließlich, und die Worte wurden ihm aus dem Mund geschüttelt.
»Bestens«, erwiderte der andere. »Dann wollen wir ihnen jetzt Staub zu fressen geben. Pass auf, Hacke-und-Schaufel!«
Der Rhythmus der Gangart des Einheimischen änderte sich - es war ein Unterschied wie etwa der zwischen dem Trab und dem Galopp eines Pferdes -, und Bill sah, wie sich auf geradezu magische Weise der Abstand zu ihren Verfolgern vergrößerte. Schon begannen die ersten Banditen aus dem Rennen auszuscheiden.
»Sie geben auf!«, rief er ins Ohr seines Trägers.
»Ganz klar«, antwortete der Dilbianer. »Ich wusste, sie würden es gleich sehen... mich können sie nicht einholen. Niemand kann mich einholen, Hacke-und-Schaufel, kein Tiefländer, kein Hochländer, niemand!«
Er verlangsamte sein Tempo zu einem gleichmäßig schwingenden Schritt. Bill blickte nachdenklich auf den pelzigen Hinterkopf vor seiner Nase.
»Du bist der Bergläufer, nicht wahr?«, fragte er.
»Wer sonst?«, entgegnete der andere, und Bill hatte den Eindruck, dass der Bergläufer nur beeindruckt gewesen wäre, hätte Bill ihn nicht erkannt. »Du hast Glück, mich zu bekommen«, fuhr der Bergläufer ohne falsche Bescheidenheit fort. »Wirklich Glück. Als die anderen Shorties beschlossen, dich herkommen zu lassen, hat
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Gordon R. Dickson/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Peter Sladek.
Übersetzung: Susi-Maria Roediger (OT: Spacepaw). Mit freundlicher Genehmigung der Edition Bärenklau/Literatur-Agentur J. M. Munsonius.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 15.09.2018
ISBN: 978-3-7438-8086-3
Alle Rechte vorbehalten