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Leseprobe

 

 

 

 

 

ANDREW J. OFFUTT

 

Cormac MacArt

Band 1: Die Nebel des Untergangs

 

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

 

DIE NEBEL DES UNTERGANGS 

EINLEITUNG: Mit Dankbarkeit 

 

Prolog: Wandler im Nebel 

 

Erster Teil: DAS KÖNIGREICH CONNACHT 

1. Die Verschwörer 

2. Der Bär 

3. Glondrath 

4. Lord von Glondrath 

5. Abschied von Glondrath 

 

Zweiter Teil: DAS KÖNIGREICH LEINSTER 

6. Partha MacOthna von Ulster 

7. Mesca und Mocci 

8. Die Flammenlady 

9. Auf der Ebene der Trauer 

10. Leinsters Rinderraub 

11. Samaire 

12. Pikten 

13. Im Tal der Gefahr 

14. Auf dem Berg des Todes 

15. Narben 

16. Das Problem mit der Ehre 

17. Ein Druide und ein Priester 

18. Flüchtling 

 

Das Buch

 

Wild und voller Gefahren ist das Leben auf den britischen Inseln zur Zeit König Arthurs. Cormac Mac Art, ein Abenteurer königlichen Geblüts von der grünen Insel Irland, muss seine Heimat verlassen, weil Neider ihm nach dem Leben trachten. Gerüstet mit ungewöhnlicher Körperkraft und mit der Fähigkeit, Vergangenheit und Zukunft zu sehen, durchstreift er das wilde Europa des fünften Jahrhunderts und die gefahrvolle See auf der Suche nach Abenteuern.

 

Ruhm und Neid gleichermaßen erringt der junge MacArt durch seinen siegreichen Kampf gegen einen gefürchteten Killerbären. Die Furcht seiner Feinde indes bringt ihn um das väterliche Erbe, und er muss bei Nacht und Nebel die Heimat Eirrin verlassen. Unter dem Namen Partha MacOthna verdingt er sich im Königreich Ulster. Als die Tochter des Königs ihm ihre Liebe schenkt, braut sich erneut ein tödliches Verhängnis zusammen, und als

Flüchtling ohne Vaterland muss er wiederum ins Exil. Doch Cormac MacArt ist willens, sich auch in der Fremde mit seinem Schwertarm Respekt unter seinen Gegnern zu verschaffen...

 

Andrew J. Offutt - Autor von Valeron, Der Barbar - setzt Robert E. Howards Erzählungen um Cormac MacArt (zusammengefasst in dem Band Krieger des Nordens, ebenfalls im Apex-Verlag erschienen) mit sechs spannenden Romanen fort, in denen Elemente der Artus-Saga mit Wikinger-Mythen und dem Cthulhu-Mythos verknüpft werden.

Der Apex-Verlag veröffentlicht diese Romane als durchgesehene Neuausgaben - illustriert vom Wiener Künstler Johann Peterka.

  Der Autor

Andrew J. Offutt (* 16. August 1934, † 30. April 2013)

 

Andrew Jefferson Offutt war ein US-amerikanischer Autor von Fantasy- und Science-Fiction-Literatur. Er veröffentlichte seine Werke teilweise unter Variationen seines bürgerlichen Namens, vornehmlich als Andrew J. Offutt, teilweise unter den Pseudonymen John Cleve, Jeff Douglas oder J. X. Williams. Gelegentlich ist sein Name auch vollständig in Kleinbuchstaben als andrew j. offutt geschrieben. 

Offutt wuchs in einer Blockhütte in der Kleinstadt Taylorsville im Spencer County auf. Später siedelte er nach Louisville um und studierte mittels eines Stipendiums der Ford Foundation an der dortigen Universität. 1955 wurde ihm der Bachelor of Arts im Fach Englisch verliehen.

Während seiner Arbeit in Lexington lernte er Jodie McCabe kennen, die er 1957 heiratete. Das Ehepaar Offutt war über fünfzig Jahre verheiratet und lebte im Rowan County im US-Bundesstaat Kentucky. Sie hatten vier Kinder, der älteste Sohn, Chris Offutt, ist heute ebenfalls als Schriftsteller und Drehbuch-Autor (True Blood, Weeds) bekannt. 

Andrew J. Offutts erste Publikation war die Kurzgeschichte And Gone Tomorrow, die 1954 in der US-amerikanischen Science-Fiction-Zeitschrift If veröffentlicht wurde. Nach dem Verkauf der Kurzgeschichte Blacksword (1959) an das Magazin Galaxy konzentrierte er sich zunehmend auf die Schriftstellerei. Mit Evil Is Live Spelled Backwards erschien 1970 sein erster Roman. 

Für den Romanzyklus Thieve's World (deutscher Titel: Diebeswelt) von Robert Lynn Asprin und Lynn Abbey schuf er die Figur Hanse und beschrieb sie zwischen 1987 und 1993 in drei Romanen: Shadowspawn (1987), Deathknight (1990) und The Shadow Of Sorcery (1993). 

Überdies verfasste er drei Romane über Conan sowie sechs Romane über Cormac MacArt, beides Figuren des Schriftstellers Robert E. Howard.

Zwischen 1976 und 1978 war Offutt Präsident der Science Fiction and Fantasy Writers of America. Ende der 1970er Jahre gab er unter dem Titel Swords Against Darkness fünf Anthologien mit Kurzgeschichten weniger bekannter Autoren heraus. 

Unter bis zu zwölf verschiedenen Pseudonymen schrieb Offutt eine Vielzahl erotischer Romane, darunter die von 1982 bis 1984 entstandene Spaceways-Reihe, die unter dem Autorenpseudonym John Cleve publiziert wurde. 

DIE NEBEL DES UNTERGANGS

 

 

 

 

 

  EINLEITUNG: Mit Dankbarkeit

 

 

Dieser Roman ist chronologisch gesehen der erste des Zyklus um den irischen Helden des späten fünften Jahrhunderts, Cormac MacArt. Hier ist alles aufgezeichnet, was wir über seine frühe Jugend, den Tod seines Vaters, des Waisen Zeit als Krieger in Leinster wissen - und über die Ereignisse, die zu Cormacs Abenteuern fern seiner geliebten Heimat führten, vor allem als Seeräuber, als der Robert E. Howard ihn in seinem Buch Krieger des Nordens (ebenfalls als E-Book und Paperback im Apex-Verlag erschienen) schilderte.

Berichte über spätere Ereignisse in Cormacs abenteuerreichen Leben wurden ausgegraben und ließen sich verhältnismäßig leicht nachprüfen. Die Geschichten wurden in irischer Tradition mündlich weitergegeben, und mehr als ein Epiker zwischen dem fünften und zehnten Jahrhundert hat von seinen Taten geschrieben: als Kapitän eines Piratenschiffs und in späteren Jahren als Vertrauter des dänischen Seeräubers Wulfher Hausakliufrs; von seinen Abenteuern in Britannien und Dänemark und in dem kleinen Königreich Gallaecia; ebenso unter den Tuatha de Danann auf der grünen Insel; von seiner Begegnung mit Artus von Britannien und mit Hengist, einem der ersten, der übers Meer gekommen war, um sich mit dem Schwert Land in Britannien zu erobern, das England werden sollte; von der Sache mit dem ägyptischen Siegelring; von seinen gefährlichen Kämpfen mit Zauberern wie Thulsa Doom, Tarmur Roag, Lucanor von Antioch und anderen.

Schwieriger war es, etwas über seine Jugend zu erfahren, ehe er zum bekannten

Helden und Schrecken der Zauberer wurde. Die Aufgabe, Näheres darüber auszugraben und das Gefundene zu ordnen, übernahm mein Freund Geo. W. Proctor.

Wie Howard, der als erster auf den Cormac MacArt- Zyklus stieß und ihn nach und nach aufzeichnete, ist Proctor Texaner und liebt hehre Abenteuergeschichten, vor allem heroische Fantasy. Seine eigenen Geschichten von mutigen Kämpfern habe ich in meinen Anthologien neuer heroischer Fantasy Swords Against Darkness veröffentlicht. Außerdem arbeitet er an eigenen Romanen.

Es war Geo. Proctor, der, unermüdlich den verschlungensten Pfaden folgend, durch unzählige Quellen schließlich Macghnimharta na Cormaic (Die jugendlichen Taten Cormacs) aufspürte. Aus einem zerfallenden Kloster nahe Cashel stammen Fetzen des Manuskripts Partha na Lagen, sorgsam - auf lateinisch - kopiert, und Geo. Proctor fand heraus, dass dieser Partha (MacOthna) von Laigin oder Leinster tatsächlich Cormacs Deckname war. Aus der modrigen Bibliothek eines alten - inzwischen verstorbenen - Gelehrten, der nahe Dublin lebte, das Dubh-linn (und früher Baile Atha Cliath oder Ath-Cliath) war, gelangte die nahezu unleserliche Schrift Longes mac Airt (Die Verbannung von Arts Sohn) in Proctors Hand. In leinster'schen Archiven ist stolz Tain Bo an-Ard Riogh aufgezeichnet: Der Raub der Rinder vom Hochkönig, oder Das Wiederbeschaffen der Rinder vom Hochkönig.

Peinlichst prüfte und überprüfte Proctor das zusammengetragene Material, sortierte es aus, ordnete es, und irgendwie gelang es ihm, die Geschichte eines abscheulichen Komplotts des Hochkönigs und eines Priesters - und die des jungen Cormacs - zusammenzustückeln. Seine Leistung beschämt Gelehrte und Historiker (denen ich bei meinen Nachforschungen manche Fehler nachweisen konnte - was nicht heißt, dass nicht auch mir Fehler unterlaufen).

Geo. und ich standen bereits in Verbindung, und da ich der Chronist und angebliche Experte bin, schickte er seine Zusammenfassung an mich - und zwei Kopien seiner viele Seiten zählenden Fußnoten. Da ich Gälisch nicht beherrsche, ersuchte ich ihn, das Ganze in Form einer Erzählung in groben Zügen zusammenzustellen. (Wir einigten uns, die Sache mit der Kemenate der Königin und die Geschichte der zwölf Pikten auszulassen, da beides zu zweifelhaft war und sicher in späterer Zeit von irgendwelchen Enthusiasten erfunden und hinzugefügt worden war.)

Proctor kam meiner Bitte nach, und nachdem ich die Geschichte geschrieben hatte, gab er sein Einverständnis zu dieser Version. Er erklärte mir auch geduldig, dass Ceann nicht Sean, sondern ganz einfach Ken ist und dass der Geschlechtsname des leinster'schen Königshauses Ceannselaigh wie Kensly ausgesprochen wird. Er bestätigte auch den Namen Conan. Es handelt sich um einen sehr alten irischen Namen, genau wie Crom. Er erwähnte auch, dass das Wort Amra so viel wie Eulogie heißt. Howard mochte eben seine Kelten.

Dieser Band ist also meine Erzählung nach der Zusammenfassung von Geo. W. Proctor aus Tay-has.

Wir sind ihm alle zu wirklich großem Dank verpflichtet.

 

- Andrew J. Offutt,

Kentucky/USA

 

 

 

 

 

 

 

 

  Prolog: Wandler im Nebel

 

 

 

Zwar hatte es kurz vor Sonnenuntergang zu regnen aufgehört, aber die Wolken waren geblieben. Das sich schließende Auge Behls warf sein Gold und Rot über einen Himmel, der vom hellsten bis zum dunkelsten Grau schattiert war. Nur wenige Minuten war diesem atemberaubenden Bild vergönnt, dann war die Sonne verschwunden, und tiefes Schiefergrau überzog den Himmel, um alsbald von dunklem Blau und schließlich schwärzestem Schwarz verdrängt zu werden. Die Nacht hatte ihre Herrschaft angetreten. Die stattlichen Bauten, die sich auf dem abgelegenen Berg Tara dem Firmament entgegenreckten, wandelten sich zu Schatten; dunkel hoben sich einige vom Himmel ab, andere gespenstisch bleich.

Nebel und Dunst waren seit Urzeiten die eigentlichen Bewohner dieses Landes, das ihnen und den Wäldern schon gehört hatte, lange ehe die Fir Bholgs sich eingenistet hatten, und nach ihnen die Tuatha de Danann und schließlich die Kelten. Tief über dem Boden wallte der Nebel, so dass man meinen konnte, die ländlichen Hütten und Häuser, die sich dicht an den Fuß des Berges kauerten, ragten aus einem See. Einige waren gar nicht mehr zu sehen, unter ihren triefenden, mit Stroh und Grasnarben bedeckten Dächern. Weder Frauen noch Kinder waren unterwegs, nur wenige Männer. Obgleich noch nicht viel Zeit seit Sonnenuntergang verstrichen war, lagen viele bereits im Bett, denn des Tages Arbeit begann jeden Morgen mit Behls Erscheinen im Osten, wenn Perlmutt das Dunkel der Nacht ablöste und bald von strahlendem Gold gefolgt wurde. So offenbarte sich täglich der Gott der Kelten, ob diese nun hier lebten oder drüben in gallischen oder fränkischen Landen. Denn noch hatte der neue Gott, jener der Juden und dann Roms, über dem die Sonne untergegangen war, nicht die Macht Bels an sich gerissen - Bel, den man, je nachdem, wo er verehrt wurde, auch Baal oder Beal oder Ba'al oder Behl nannte.

Ungewöhnlicherweise stieg der Nebel in dieser Nacht den Berg empor, zu den Häusern der Edlen, ja sogar zu den Festungsbauten der Righ-danna, jener gar nicht so wenigen, die auf die eine oder andere Weise mit dem Ard-righ, dem Hochkönig, verschwägert waren. Ja, in dieser verwunschenen Nacht wallte der Nebel selbst um dieses obersten Lords Burg oder Rig-thig.

Mit Füßen und Beinen in diesem wogenden Grau versinkend, wandelte ein Mann durch die Nacht, körperlos durch den Kapuzenumhang, gesichtslos durch die Nacht. Sich mit einem langen Eichenstab vorwärtstastend, näherte er sich fast lautlos seinem Ziel.

Ein Mann in flickenversehenem braunen Umhang und einer Kappe aus Hasenfell berührte die Stirn, als er bergab schreitend den Weg des Aufwärtssteigenden kreuzte. Der Mann war spät auf dem Heimweg vom Haus seines Lords, der ihm nicht freundlich die Meinung gesagt hatte, denn der Getreidespeicher, für den zu sorgen die Aufgabe des Mannes war, war nicht ausgebessert worden, und die noch eifrigen Katzen würden bald zu fett sein, alle eindringenden Mäuse zu fangen.

»Lord Druide«, sagte der Landmann als Gruß, nichts weiter, während er ohne anzuhalten weiterstapfte.

Der Druide im tannengrünen Kapuzenumhang verharrte stumm und dankte auch auf keine andere Weise für den respektvollen Gruß. Weiter stieg er bergan in dieser dunklen Nebelnacht, wo die Feuchtigkeit von allen Dächern troff. Bei jedem Schritt verursachte sein Eichenstab, wenn er ihn hochzog, ein leises saugendes Geräusch.

»Manche von denen im Dienst Croms und Behls«, murmelte der Mann, doch nicht so laut, dass es von anderen als den eigenen Ohren gehört wurde, »halten sich für zu erhaben unter gewöhnlichen Sterblichen...Anderen gewöhnlichen Sterblichen«, fügte er hinzu, denn alle in diesem seeumschlungenen Land waren stolz, und keiner sprach von sich als von niedrigem Stand - zumindest nicht, wenn sie außer Hörweite eines Lords waren.

Weiter stapfte er den gewundenen Weg zu seinem kleinen Haus aus dickem Holz, von dessen mit Stroh und Grasnarben gedeckten Haus es ebenfalls tropfte. Als sein Weib Faencha ihn ausschalt, weil er so spät kam, reagierte er scharf. In stumpfem Schweigen aß er Schweinefleisch und Brot und trank Ale, das nicht viel mehr als Gerstenwasser war, während sie sich mit übertriebenem Eifer mit ihrer Handarbeit beschäftigte.

Der Mann im Druidengewand näherte sich inzwischen der Mauer, die um das prächtige Haus des Hochkönigs errichtet war; aus Eiche war diese Mauer und gut einen halben Fuß dick.

Dort kam er zu zwei Männern in bronzeverzierten Helmen und scharlachroten Wollumhängen, die sie dicht um sich gezogen hatten. Ihre nebelfeuchten Hände schlossen sich um lange Speerschäfte mit Bronzeringen. Nicht einen Ton gaben sie von sich, sie starrten nur. Der wallende Ärmel raschelte ganz leicht, als der Wandler den Arm ausstreckte. Die beiden blickten auf seine Faust und das Zeichen dort, dann nickten sie. Respektvoll öffneten sie das Tor für den gesichtslosen Mann, der stumm hindurchschritt.

»Gut ist es, einen Druiden unterwegs zu sehen und mit einem Ring des Hochkönigs persönlich, Cairthide«, murmelte einer der beiden Posten, während sie das Tor schlossen. »Und das, obwohl sein Weib und so viele andere an den neuen Gott glauben.«

»Gut ist es, in einer solchen Nacht, überhaupt einen Druiden zu sehen!« entgegnete Cairthide. Ein Seufzer entrang sich ihm, und er erschauderte. »Eine gute Nacht für Herd und Ale - und eine geschlossene Tür!«

Sein Kamerad hustete und schnäuzte sich.

Durch den Hof des Hochkönigs schritt der Vermummte, der scheinbar keine Beine hatte. Nebenbauten, die als Lager, Ställe, als Schmiede und zum Buttern dienten, scharten sich wie aufs Geratewohl um den Hauptbau, so dass es kein gerader Weg war, den er nehmen konnte. Der Nebel war hier sowohl dünner wie auch dichter am nassen Boden, als wäre der hohe Sohn von Laegair gefeit - geachtet sowohl von den Mächten der Erde, des Wassers und des Himmels, der sich in dieser Nacht tief herabgesenkt hatte, um die Erde zuzudecken.

Unmittelbar an den Mauern des Hauses stellten sich dem Wandler im Nebel erneut zwei Männer in den Weg. Behelmt waren sie und gerüstet, und bewaffnet mit Schwertern und bronzeverzierten Rundschilden und langen Speeren. Beide trugen wie die anderen einen roten Wollumhang. Diese Wackeren beäugten den Eichenstab, der wie ein langer Knüppel wirkte, hätte nicht ein Mann im Druidengewand ihn getragen.

Auch jetzt öffnete der Mann im dunkelgrünen Umhang den Mund nicht, sondern streckte wieder die Faust aus, auf der ein Ring aus Gold, Email und Granat blitzte.

»So tretet denn ein, Lord Druide!« forderte ein Wächter ihn auf und öffnete die schwere Tür.

»Ja, tretet ein aus dieser grimmigen Nacht, Lord Druide!«, warf der andere mit einem Lächeln ein, vergaß dabei jedoch nicht, achtungsvoll den Kopf im glänzenden runden Helm zu neigen.

Gewand und Umhang aus dunklem Grün raschelten wie fallendes Laub, lederne Sohlen schritten weich; der Eichenstab schlug einmal auf, dann hob er sich vom Boden. Ansonsten ging der Besucher still an ihnen vorbei. Von der Wand nahm er eine Kerze, die er ein wenig schwenkte, damit sie besser aufleuchtete, während er durch die dunkle Halle schritt. Auf dem Weg zu dem Gemach, das er suchte, begegnete ihm nur eine Frau, doch sie war nicht die Gemahlin des Hochkönigs. Sie machte einen Knicks, als der Vermummte vorbeikam, aber er beachtete sie nicht.

Ein Mann mit hellbraunem Haar, sauberer grüner Hose und blauem Wollkittel saß vor der Tür, auf die der Druide zuging. Diese Tür schien zu leben mit ihrer Schnitzerei phantastischer Tiere, was wohl am bewegten Schein der flackernden Fackel in ihrer Messinghalterung an der Wand liegen mochte.

»Der Lord Hochkönig empfängt keine Besucher, Druide.«

Wieder wies der Vermummte stumm den Ring vor. Der andere warf blinzelnd einen Blick darauf.

Zum erstenmal erklang nun eine Stimme unter der Kapuze. Weder tief noch hell war sie, doch ein wenig angespannt, als kämpfe ihr Besitzer gegen Husten an. Auch leichte Kurzatmigkeit verriet sie, denn der Berg Tara war weder niedrig noch mühelos zu besteigen.

»Respektlos bist du, Junge, und nicht einmal bemüht, es zu verbergen. Doch das wird sich ändern, wenn du älter und weiser wirst. Bist du ein Anhänger Iosa Chriosts?«

»Ja, Lord Druide«, antwortete der Mann ruhig und ohne Feindseligkeit in Stimme oder Benehmen. Er war auch aufgestanden und einen Schritt zur Seite gewichen. Verstohlen spähte er in die Dunkelheit unter der Kapuze, doch in dem unsicheren Licht war lediglich eine Nasenspitze erkennbar. Nun, ein Gesicht hatte der Besucher zumindest!

»So öffne die Tür!«

Leicht verlegen klopfte der braunhaarige Mann zweimal an die Tür, hielt kurz an, um stumm zweimal bis zehn zu zählen, wie sein hochedler Lord ihm aufgetragen hatte, und öffnete sie. Sie schwang nach innen auf. Der junge Mann wandte sich gerade noch rechtzeitig um, um nach der Kerze zu greifen, die der Besucher ihm achtlos zuschob.

Raschelnden Gewandes betrat der Wandler aus dem Nebel den Raum, in dem nicht weniger als vier Kerzen brannten. Wahrlich, die Mägde hätten zu tun, das Wachs später aufzusammeln! Er hielt an, wie um sich zu vergewissern, dass die Tür sich ganz hinter ihm schloss, was sie tat. Er befand sich in einem breiten Raum mit Wänden aus rotbraunem Eibenholz mit Kupfernägeln; an zwei Wänden hingen von der Decke bis zum Boden fein gewebte Behänge in warmem Ton mit prächtiger Blumen- und Phantasiestickerei.

Hinter einem Tisch saß ein Mann auf einem kunstvoll geschnitzten Stuhl nahe dem flackernden Feuer. Er hob den rothaarigen Kopf, um dem Besucher entgegenzublicken. Hoch war die Stirn dieses Mannes, denn das gelichtete Haar floh dort zurück, zwei Fingerbreit bereits, verglichen mit dem Wuchs seiner Jugendzeit, und an den Schläfen verdrängte Grau das Rostrot. Obwohl nicht wirklich fett, wies sein Gesicht Hängebacken auf. Nebelgraue Augen richteten sich auf den Eindringling in seine geschützte, warme Einsamkeit, denn allein saß dieser Mann in losem Gewand von dunkelstem Blau mit Silberborte und Biberkragen. Ein breiter Torques, ein prachtvolles Schmuckstück aus Rotgold mit Geißblattziselierung, hob sich über der Brust davon ab. Dieser übergroße muin-torch bedeckte sie schier. Fünf Ringe schmückten seine Hände, einer davon - aus Gold mit großem Granatstein - war das Gegenstück des Rings am Finger seines Gastes.

Letzterer warf, den Stab unter den Arm geklemmt, die Kapuze mit beiden Händen zurück. Der Mann am Feuer lächelte. Die Ärmel seines tiefblauen Gewandes waren bis zu den Ellbogen offen und die Schlitze mit Biberfell verbrämt. Darunter waren weiße Ärmel aus feinem Stoff sichtbar.

»Eine gute Tarnung, Milchu. Komm, wärm dich! Indech!«

Als der Sitzende diesen Namen rief, zog der Besucher die Kapuze wieder tief ins Gesicht. Hinter ihm öffnete sich die Tür. Der Sitzende blickte an seinem Gast vorbei.

»Heißes gewürztes Ale - nein, Glühwein, Indech. Und klopf an, wenn du ihn bringst.«

»Sofort, Lord König.«

Die Tür schloss sich. Der Vermummte namens Milchu trat ans Feuer.

»Wir unterhalten uns erst, wenn der Wein gebracht ist, Milchu«, bestimmte der König. »Leg ein paar Eichenscheite nach, wenn du möchtest. Doch nicht der Geduld rühmt man mich. Hast du mir viel zu berichten?«

»Sehr viel, Hoch...« Heftiger Husten unterbrach Milchu. »...könig von Eirrin.«

»Sieht es gut oder schlecht aus für Lugaid MacLaegair?«

Sich wiederholt räuspernd, warf Milchu mehrere knorrige Eichenscheite ins Feuer. »Wenn der Wein gekommen ist, Lugaid MacLaegair.« Seine Stimme klang gequält, erneut übermannte ihn Husten.

»Keine Nacht zum Wandern, ob vermummt oder nicht«, bemerkte der Hochkönig Lugaid.

Nun schwiegen sie. Der Hochkönig spielte unruhig mit dem Griff eines hohen Kruges auf dem Tisch. In Tierform war dieser Griff, ein Bär, doch unnatürlich lang und dünn, und die übergroßen Ohren liefen spitz zu. Am Fuß zierten zwei Streifen aneinandergereihter Quadrate aus grünem und rotem Email den Krug, und zwischen den Streifen schmückte ihn ein verschlungenes Muster aus Korallen. Es sah aus, als rängen Lugaids beringte Finger mit dem Bronzebären.

Endlich erklang das erwartete Klopfen. Statt die üblichen dreißig Herzschläge abzuwarten, rief Hochkönig Lugaid, Sohn des Hochkönigs Laegair, sofort laut: »Herein!«

Indech, der junge Mann in der grünen Hose, eilte mit einem großen Tonkrug und zwei Tonbechern zum Tisch. Sich verneigend, setzte er sie ab, blickte seinen Herrn fragend an und schenkte auf ein ebenso stummes Nicken das dampfende goldfarbene Getränk in die Becher. Einen weiteren Blick warf Indech auf das Feuer und sah, dass die Flammen prasselnd loderten. Wieder blickte er seinen Herrn fragend an. Lugaid winkte ab. Mit einer Verbeugung und einem kurzen Blick auf Milchu, der mit dem Rücken zu ihm am Feuer stand, verließ Indech das Gemach mit dem binsenbedeckten Boden und den kälteabfangenden Wandbehängen über dem feinen roten Eibenholz.

Als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, drehte Milchu sich um. Wieder warf er mit beiden Händen die Kapuze des Druidenumhangs zurück und öffnete die Verschnürung am Halsausschnitt, die bis etwa zur Höhe der Brust reichte.

Nunmehr offenbarte er einen Anhänger, der wahrhaftig ungewöhnlich auf der Brust eines Mannes im Gewand eines Druiden der Kelten wirkte.

Vor Jahrhunderten hatten die Ägypter das Zeichen der Triade geformt: eine Schlinge über zwei geraden Balken, einer senkrecht von der Mitte des anderen verlaufend, so dass das Ganze eine Dreiheit bildete - Mann und Frau vereint, als Symbol der Erschaffung des Lebens, des ewigen Lebens, nach dem Glauben Sets, Horus' und Osiris'. Nach ihm formten die Römer ein ähnliches Zeichen und benutzten es, aus Holz erbaut, zur Hinrichtung von Missetätern. Anch hatten die Ägypter ihres genannt, das Zeichen des Lebens. Crux nannten etwas später die ihr Zeichen, das als Symbol des Todes bekannt wurde. An ihm hatten sie einen gewissen Yehosua hingerichtet (Iesu in ihrer Sprache, in Eirrin in Iosa umgewandelt) - wegen Aufwiegelung des einfachen Volkes gegen die Priester und, was weit schlimmer war, gegen die togatragenden Vertreter der römischen Macht. Dieses Zeichen wurde, gemeinsam mit dem Fisch, von seinen Freunden übernommen (die später von einigen Jünger, von anderen Christen genannt wurden).

Obgleich sie behaupteten, dass dieses Kreuz genau wie das Henkelkreuz der alten Ägypter für ewiges Leben stand und ewiges Leben versprach, gab es viele, für die es im Gegenteil das Zeichen für Schmerz, einen qualvoll langsamen Tod und einen toten Gott war.

Obgleich er es in letzter Zeit vermieden hatte, war doch bekannt, dass Lugaid von Iosa Chriost, der Jesus Christus war, als dem toten Gott gesprochen hatte. Daran dachte er nun, als er auf den Anhänger an Milchus Brust blickte.

Kein Druide trug das Kreuz von Iosa Chriost!

 

 

 

 

 

 

  Erster Teil: DAS KÖNIGREICH CONNACHT

 

 

 

 

  1. Die Verschwörer

 

 

 

Das Kreuz hüpfte und glitzerte auf der Brust des Gastes, als der Mann hustete. Während er zusah, wie der Jesus-Priester den tarnenden Umhang auszog, dachte Hochkönig Lugaid, dass es Milchu arg verdrossen haben musste, die Robe des alten Glaubens über seinem Hinrichtungssymbol zu tragen. Iosa war der Feind aller anderen Götter, so wie die Christenheit und ihre »Heiligem die Feinde jeglichen anderen Glaubens waren. Da konnte man wohl kaum erwarten, dass die Druiden des alten Glaubens und die Priester des neuen sich als Freunde sahen!

Lugaid grinste säuerlich. Mit dem Becher Glühwein in der Hand erinnerte er sich, wie der ehemalige Schäfersklave von Rom nach Eirrin zurückgekehrt war und den neuen Glauben predigte. Er hatte die alten Bräuche und den alten Glauben direkt angegriffen, dieser Padraigh oder Patriche, und er hatte erklärt, dass die Druiden, wie alle wussten, mit ihrer Macht die Finsternis beschwören konnten, Jesus, der Christus, dagegen das Licht brachte. Und er hatte die große Statue Crom Cruachs und die dazugehörenden anderen Statuen auf der Ebene von Siecht gestürzt: Und der alte Gott von Eirrin hatte genauso wenig wie Behl etwas unternommen, sich für diesen Frevel zu rächen.

So gab es nun solche, die sagten, Padraighs Gott sei der Gott. Sein Glaube breitete sich im ganzen Land der mächtigen Krieger aus. Irgendwie nahmen die Söhne Eirrins die Gebote des Friedens ernster als die Leute auf dem Kontinent; ihre Heiligen töteten Heilige, und das alles im Namen Jesus, den sie Christus nannten, als wäre das sein Name. Es hatte nicht lange gedauert, dachte Lugaid düster, bis Padraigh viele Menschen, ja selbst die Gemahlin des Hochkönigs Laegair bekehrte; denn er ließ sie Schuld empfinden, genau wie den obersten Berater, und so konnte Laegair kein Feind der Heiligen sein. Nur zu gut erinnerte Lugaid sich, wie seine Mutter sich verändert hatte; und auch der Veränderung in der Beziehung zwischen ihr und seinem königlichen Vater gedachte er.

Doch selbst das hatte den Heiligen nicht genügt. Sie wollten alles!

Sie wollen alles, dachte Lugaid der König, und seine Hand verkrampfte sich um den Tonbecher.

Trotzdem war der Ard-righ von Eirrin kein Feind des alten Glaubens, und so blieben die Druiden fast im ganzen Land weiterhin willkommen. Das gefiel jedoch den Priestern in den dunklen Kutten nicht, die nach Padraigh nun Eirrin besuchten. Dieser strenge Mann mit seinem großen spitzen Stab predigte das, was zum Sturz des Römischen Reichs beigetragen hatte und es bei der Suche nach einem eigenen Reich überlebt hatte.

Nein, dachte Lugaid MacLaegir, während er auf den nicht weniger streng wirkenden Opportunisten Milchu blickte, die Heiligen werden sich mit nicht weniger als der Herrschaft über Eirrin - und die ganze Welt - zufriedengeben. Und dieser fanatische Anhänger jenes toten Sohnes eines Handwerkers der Juden...

Lugaid schätzte Milchu als das ein, was er war - trotz seines asketischen Gesichts und seiner Tünche. In den Fußstapfen Padraighs wandelte dieser Mann, und doch stand er tief unter ihm, denn die Priester hatten nun Macht in Eirrin und waren alles andere als abgeneigt, sie auch zu nutzen.

Dieses Wieselgesicht sucht nur persönliche Macht und Einfluss, so hing Lugaid weiter seinen Gedanken nach, und das alles im Namen seiner Religion. Noch bereiter als ich oder mein Onkel ist dieser Mann, seine moralische Einstellung und die sanfte Lehre seines Gottes zur Seite zu legen; schließlich gibt es jetzt ja eine Beichte und Vergebung der Sünden durch ihren Gott. Und zweifellos heiligt für Milcho MacRoigh immer der Zweck die Mittel! Wahrhaftig, wenn der Mensch am Rand der Welt den warmen Odem seines Gottes auf sich spürt, gibt es wenig, was er nicht vor sich rechtfertigen kann!

Ein würdiger Diener also für Lugaid MacLaegair, dachte Lugaid MacLaegair. Hatte der Priester erst seine Schuldigkeit getan, fiele ihm schon etwas für den Mann mit den immer verkniffenen Lippen und der strengen Miene ein! Denn gewiss, sagte sich Lugaid Ard-righ, bin ich der Überlegene bei jeder Art von Ränkeschmieden, auch wenn man von allen Seiten und zu allen Zeiten Komplotte gegen mich ausbrütet. Er war sicher, dass der Priester Milchu unabhängig von ihm Intrigen spann. Denn wer tat das nicht? Wäre nicht des Hochkönigs ungemein mächtiger Onkel Muirchetach MacErca - und mein eigenes Genie - hätte man Lugaid schon längst von seinem höchsten Sitz gestürzt. Davon war er überzeugt.

»Du bist sicher und mühelos durchgekommen«, sagte er laut, »denn gewiss käme niemand auf den Gedanken, einen Priester Roms unterwegs im eichengrünen Gewand eines Druiden zu suchen!«

Der Priester ließ den Umhang zu Boden fallen. Bei dieser Bewegung blitzte das silberne Kreuz auf seiner Brust auf, denn Feuer und Kerzen erhellten den Raum gut, wenn auch ungleichmäßig. Kein Lächeln milderte seine Züge.

»Kein Priester Roms bin ich, Sohn L...« Ein Husten unterbrach ihn. »...Sohn Laegairs, sondern ein Priester von Iosa Chriost, unseres Erlösers - ein Priester Eirrins, so wie Ihr Eirrins Hochkönig seid!«

Mit einem Blinzeln der grauen Augen nickte der Hochkönig, während sein Lächeln schwand.

»Die Wege Gottes sind unerforschlich«, sagte Milchu. »Ich bediene mich lediglich des Werkzeugs, mit dem er mich bedenkt, Lord König.« Mit dem beschuhten Fuß trat er nach seinem letzten Werkzeug, dem Druidenumhang.

»Ja. Doch sind es nicht die Psalmen deines Gottes, die du mir bringen solltest, sondern Kunde. Setz dich, Milchu, und sprich!«

Milchu ließ sich auf einem Stuhl nieder, lehnte sich vor und fixierte den König mit einem Blick aus den glänzenden Augen des Fanatikers.

»Kunde, ja. Von Connacht.«

»Ah, Connacht, Connacht! Lange drängte es diesem Land seine Hochkönige auf - bis ich, Enkelsohn Niall Noiqiallachs, mit den anderen ui-Neill, ja sogar mit jenen von Leinster vereint, Connachts Macht, ja seinen Würgegriff über diesen Berg brach. Tot ist mein Vorgänger Ailill Molt; vergangen ist die Macht Connachts.« Auch er lehnte sich vor; unbewusst spielte die Hand mit dem Henkel des Kruges. »Und zweifellos schmieden die Edlen von Connacht ein Komplott ums andere, nicht wahr? Eh, Milchu? Eh, eh?«

»Ja, Hochkönig. Es gibt Männer in Connacht, die Ränke schmieden.«

»Ah! Gegen den Hochkönig von ganz Eirrin!«

»Ja, Hochkönig. Selbst gegen Euch!«

»Ah.«

Ein Leuchten, das nicht vom Feuer kam, spiegelte sich in Lugaids grauen Augen, denn das war es, was er vermutet hatte. Und für Lugaid, der im Schatten seines mächtigen Oheims MacErca lebte, und für die verschwommenen Schleier seines eigenen Misstrauens bedeutete, Komplotte zu vermuten so viel wie daran zu glauben. Und wahrlich freute er sich, dass Milchu seinen Verdacht bestätigte, der für ihn bereits zur Überzeugung geworden war. Denn hätte der Priester etwas anderes behauptet, hätte Lugaid, Sohn Laegairs, ihm misstraut. Was so viel bedeutet hätte, wie ihm nicht zu glauben.

Schließlich, dachte Lugaid, muss man seinen Spionen glauben - jedenfalls solange man sie dann und wann beobachten und überprüfen lässt.

»Ja«, sagte Milchu erneut. »Auch in Ulster werden Komplotte geschmiedet, Lord König, und in Munster, sogar in Leinster...«

»Ja, ja, und in Meath und selbst hier auf Berg Tara!« Des Königs Augen glitzerten geradezu. »Aber was ist mit Connacht, Priester?«

»...und wir, die wir in Christo vereint und überall sind, König, Sohn eines Königs, sind Eure Augen und Ohren und - mit einer Erhöhung unserer Zahl - Euer Schutz.«

Milchu verdarb sich die dramatische Wirkung selbst, denn während er sich bemühte, den König mit einem bedeutungsvollen stählernen Blick zu fixieren, kitzelte ihn erneut der Hustenreiz, und er konnte ihm nicht widerstehen.

Macht, dachte Lugaid. Erhöhung der Zahl, eh? Das bedeutete Erhöhung der Macht! Ich verstehe, Priester! Ich höre sogar die Worte, die du nicht aussprichst.

»Milchu.«

»Lord König?«

»Connacht!«

»Gestattet, dass ich dem Hochkönig nicht von jenen erzähle, die Komplotte schmieden, sondern von einer vielleicht schlimmeren Gefahr in Coiced Connachta im Westen.«

Lugaid lauschte aufmerksam mit zusammengekniffenen Augen. Er vergaß den Krug Bier und den Becher guten Glühweins.

»Von einem Jungen, der vor kurzem erst vierzehn geworden ist, muss ich Euch erzählen, Lord König.«

»Vierzehn! Ein Kind fast noch! Milchu...«

Milchu hob stumm eine bleiche, bleiche Hand, die Handfläche dem König zugewandt. Der König starrte ihn an und schwieg. Und wartete.

»Ist zehn und vier nicht das Alter, da ein Junge zum Mann wird, Lord König? Und vor allem, wenn der betreffende junge Mann sechs Fuß zählt, schwellende Muskeln hat, über druidengelehrte List und über eine Geschicklichkeit im Umgang mit Waffen verfügt, die angeboren ist? Und wenn er ganz allein, noch keinen Mond ist es her, mit nicht weniger als vier Cruithne an der Felsenküste von Westconnacht kämpft, ohne einen Kratzer davonzutragen, wohl aber vier Piktenleichen zurücklässt, damit sie in Sonne und Flut verwesen?«

Mit glänzenden Augen, die Knöchel der Hand um den phantastischen Krughenkel weiß, winkte Lugaid ungeduldig mit der anderen Hand, denn der Spion hatte innegehalten, um die Spannung zu erhöhen.

»Das ist eine Tatsache, Milchu?«

»Das...« Wieder unterbrach ihn ein Hustenanfall. Blinzelnd nahm er einen hastigen Schluck und wischte sich den Augenwinkel mit einem langen schmalen Zeigefinger.

»Das ist eine Tatsache, Sohn Laegairs. Er fällte sie alle vier, wie man Bäume im Wald fällt.«

»Das hört sich an wie aus einer Heldensage.«

»Ah! Nicht wahr? Damit verbinden Connachtmänner diesen Jüngling auch - sein Name ist Cormac, Sohn Arts des Sohnes von Comail.«

»Art!«

»Ja.«

»Ihr Götter von Eirrin, welch ein Name! Eine Sage für sich! Wie kann es einer namens Art wagen, seinem Sohn den Namen eines so großen Hochkönigs alter Zeit zu geben?«

»Er hat es mit voller Absicht getan, mein Lord König. Denn Lord Art von Connacht ist kein Dummkopf. Er wusste sehr wohl, wie der Name, den er seinem Sohn gab, in den Ohren und im Kopf der Menschen von Eirrin klingen musste - Eures Eirrins, MacLaegair.«

»Mein Eirrin.« Es klang, als koste Lugaid edlen Wein.

»Nun hat dieser Junge Taten vollbracht, die auf ihn aufmerksam machen, so dass sein Name in ganz Connacht von Mund zu Munde geht. Noch einen Namen fügten sie ihm bei. Denn wie Ihr selbst sagtet, Lord König: Seine Tat hört sich wie die eines Sagenhelden an. Nicht nur vollbrachte er sie mit Speer und Schwert und Rundschild, und das ganz allein, er stand auch, als danach andere dazukamen, vor einem großen stehenden Stein an der Küste, die vier erschlagenen Cruithne zu seinen Füßen.«

»Vier«, murmelte Lugaid.

»Atemlos war er, mit Piktenblut bespritzt, wie er so keuchend an dem hohen Stein lehnte, der aus dem Sand wuchs. Für jene, die als erste an den Strand kamen, hatte es den Anschein, als wäre der Junge an ihn gebunden, als wäre er tot, als er so stand...« Milchu betonte nun jedes einzelne Wort. »...wie Eirrins größter Held bei seinem Tod.«

»Cuchulain von Muirthemne!« Lugaids Stimme war ein heftiges Flüstern. Es war der Name des irischen Achilles oder Odysseus/Ulysses; seines Landes größter Volksheld, dessen Taten schon jedem Kind bekannt waren. Und der König wechselte mehrmals die Farbe.

»Wie Cuchulain«, bestätigte Milchu.

Da legte Lugaid den Kopf schief und lächelte fast. »So war es beim Tode Cuchulains - aber war Arts Sohn von Connacht denn tot?«

»Durchaus nicht, Lord König. Nur benommen und erschöpft war der Jüngling, und seine Arme zitterten von der überstandenen Anstrengung, doch sieghaft stützte er sich gegen einen Stein, der höher als er war und viermal so breit.«

Lugaids Augen waren böse, und sein Mund war verkniffen. »Ich ziehe eine tote Sage einem lebenden Helden vor, Milchu - vor allem bei seiner Abstammung und diesem Namen.«

»Ja«, sagte Milchu und schwieg, als er sah, wie der Hochkönig seinen Gedanken nachhing.

Wohlbekannt war Lugaid Art von Connacht. Von edler Geburt war der Mann, ein Nachkomme der Familie der Hochkönige, von denen so viele aus Connacht gekommen waren, dass man es die Wiege der

Könige genannt hatte, ja sogar Tara des Westens. Oh, ja, Lugaid wusste von Art MacComail. Ein mutiger, furchtloser Krieger im Dienst von Connachts König war der Mann. Viele Jahre hatte er unter den immer unruhigen Cruithne oder Pikten an Connachts Küste aufgeräumt.

Auch war Art ein Nachfahr von Niall.

Siebzig Jahre war Niall tot, der Hochkönig, der nach Alba und Britannien, ja sogar nach Gallien über dem Wasser gezogen war. Söhne hatte er reichlich gehabt: Fiacaid und Laegair, Conal Crimthanni von der britannischen Mutter, und Mani und Conal Gulban und Eoghan und Cairbri und Enna - erst dreizehn Jahre lang war Conal von Tir Connail tot. Dies waren die ui-Neill, die Nachkommen Nialls, und einer war Art, Comails Sohn von Connact. Doch war er weder auf Tara noch in Connacht König.

Ohne wirkliche Macht war der Mann, doch aufgrund dessen, was und wer er war, behielt sein eigener König ihn im Auge. Lugaid wusste, dass er beim Volk beliebt und ein Held war, der Befehlshaber eines Raths - einer Bergfestung - an der Küste fern der Hauptstadt Cruachan.

Die Überheblichkeit gefällt mir nicht, mit der dieser Mann seinem Sohn den Namen Cormac gegeben hat, nach diesem größten aller Hochkönige, dessen Vater Art Aenfher, Art der Einsame, gewesen war. Zu leicht, dachte er, wachsen Sagen und die Gunst des Volkes. Und in Connacht... 

»So ist nun also der Sohn Arts, der connachtischen ui-Neill, und mit einem so schicksalsträchtigen Namen noch dazu, ein Held...«

»Ja, Lord König.«

»Und das mit vierzehn.«

»Ja, Lord König.«

»Er hat noch viele Jahre vor sich.«

»Lord König, das sind Eure Worte.«

Ja, und eine Bedrohung der höchsten Krone! Eine Gefahr für mich! Doch dies sprach Lugaid nicht aus.

»Und das, Milchu, ist Tatsache...?«

»Lord König, die Kunde kommt von einem Gewährsmann in meinen Diensten, und er ist von Connacht, dem Lord Art nahe.«

»Du wirst mir seinen Namen nennen!«

Dem beugte Milchu sich und antwortete sofort, denn keine Frage war es gewesen, sondern ein Befehl.

»Eoin MacGulbain, Hochkönig.«

»Gulbain! Ah!«

»So ist es, mein König. Lord Gulbains Sohn ist Gefolgsmann des Lord Art. Ein kühner Mann und treuer Krieger - doch bedient Eoin sich eines anderen Namens und verheimlicht seinen, denn er hat eine Blutfehde mit Art...«

»Ahhh.« Diesmal lächelte Lugaid nicht, denn schnell wie Komplotte fielen ihm Möglichkeiten ein, diese Tatsache zu nutzen.

»Ja, Lord König.« Milchu nickte. Er wusste, dass er diesem stets misstrauischen Mann, diesem berechnenden Ränkeschmied auf Eirrins höchstem Thron, nicht zu erklären brauchte, was dies bedeutete. »Ja, nichts Gutes wünscht Eoin MacGulbain Art, denn er glaubt, dass Art am Niedergang seines Vaters und seiner Familie schuld ist.«

Jetzt richtete Lugaid sich auf. Glänzenden Auges griff er nach seinem Becher und nahm einen Schluck Wein.

»Hast du nicht gesagt, Milchu, dass Gott uns mit Werkzeug bedenkt...«

Milchu lächelte schwach, als zögere er, seine asketische Miene davon beeinflussen zu lassen.

»So ist es«, sagte er erneut. »Und von Interesse ist es, dass Eoin als einer von uns getauft und so ein Heiliger ist.«

Lugaid grinste. Die Schultern nach vorn gebeugt, stützte er sich auf die Tischplatte. »Und er wird tun, was ein Priester seines Glaubens ihn heißt?«

»Allein ein Priester von Connacht hält ihn davon ab, seine Blutrache an Art zu stillen, Lord König. Und nur unwillig hält er sich zurück. Dies hat er von seinem Lord Art gesagt: >Wenn er mir fünfzigmal Gutes täte, würde ich ihm danken, indem ich ihm keine Ruhe ließe, wenn er in Not ist, sondern ihm schade, wie ich kann.<«

»Ein würdiger junger Sohn Eirrins! Und hat er auch Verstand?«

»Er hält ihn zurück, Lord König.«

»Hm. Doch unwillig.«

»Trotzdem, Lord König.«

»Ho!« Lugaid trank. »Ha! Spräche ein Priester anders, riete ihm entgegengesetztes Verhalten und wiese darauf hin, dass Art ein Feind ist von Iosa Chriost...«

»Wahrlich, Lord König, er ist kein Freund...«

»Gewiss sähe dieser edle junge Mann es dann als seine heilige Pflicht an, seinen bedauernswerten Vater zu rächen!«

»Zweifellos, mein Lord. Überzeugte man ihn davon.« Als hätte er es vergessen und dächte erst jetzt daran, hustete Milchu erneut.

»Ein schlimmer Husten«, bemerkte der Hochkönig.

»Die - Nachtluft - der Nebel«, entgegnete Milchu schwach und beugte sich vor, bis sein Kinn fast die Tischplatte berührte.

Er verharrte in dieser seltsamen Haltung, denn die Augen des anderen ruhten auf ihm. Die beiden blickten einander unbewegt an, und keiner missverstand den andern. Das Feuer prasselte und warf tanzendes Licht und Schatten auf ihre Gesichter, doch nicht ihre Augen.

So einfach es auch aussieht, dachte der Ard-righ von Eirrin, wird seine Mitarbeit nicht so ohne weiteres zu gewinnen sein. Er wartet - denn er will etwas. Und dieses Etwas, was immer es auch sein mag, liegt in meinen Händen, da ich Hochkönig von Eirrin bin!

»Soll ich fragen, Priester?«

»Mein Lord?«

»Versuch nicht, mit mir Spielchen zu spielen, Milchu, der du es mit vielen so lange getrieben hast!«

»Mein Lord Hochkönig, ich...«

»Auch werde ich nicht feilschen wie mit einem Händler über Schweine oder Stickerei! Du weißt genau, was ich meine! Was möchtest du haben, Milchu, Priester, um...Eoin zu raten, das zu tun, was seine Ehre und seine Pflicht verlangen?«

»Mein Lord!«

Lugaid schwieg. Wieder spielten seine Finger mit dem Henkel seines Kruges. Er wartete.

Schließlich lehnte Milchu sich zurück, ohne sich jedoch zu entspannen. »Große Ehre würde meinem Lord Gott zuteil«, murmelte er scheinbar nachdenklich, »genau wie meinem Lord Hochkönig und somit Eirrin, wäre es Lugaids Laegairs Sohn, der großzügig gestattete, dass ich in der Stadt Ath Cliath eine prächtige Kirche baue, der ich als Bischof vorstehe, sobald sie errichtet ist, um sowohl Gottes als auch des Hochkönigs Ruhm zu verbreiten, der Gott erfreut.«

Eine Weile saß Lugaid wie erstarrt. Dann lehnte

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Andrew J. Offutt/Apex-Verlag/Successor of Andrew J. Offutt.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx. Die Illustrationen im Text stammen von Johann Peterka.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Peter Sladek.
Übersetzung: Lore Strassl (OT: The Mists Of Doom). Mit freundlicher Genehmigung der Edition Bärenklau/Literatur-Agentur J. M. Munsonius.
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 15.09.2018
ISBN: 978-3-7438-8080-1

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