DOUGLAS R. MASON
DAS JANUS-SYNDROM
- Galaxis Science Fiction, Band 6 -
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DAS JANUS-SYNDROM
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Das Buch
Dr. Mark Brant arbeitet als Wissenschaftler auf einem außerirdischen Planeten. Der terrestrische Geheimdienst zwingt ihn, für Terra auf dem Planeten Lados zu spionieren. Ein Auftrag, der zum Scheitern verurteilt scheint, denn auf Lados hat man einen Apparat erfunden, der sämtliche Gehirnvorgänge wiedergeben kann – auch die eines terrestrischen Spions...
DAS JANUS-SYNDROM von DOUGLAS R. MASON erscheint in der Reihe GALAXIS SCIENCE FICTION aus dem Apex-Verlag, in der SF-Pulp-Klassiker als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
DAS JANUS-SYNDROM
Erstes Kapitel
Für Hominoiden, Ursprungsplanet Erde, mochten wohl Arbeit, Nahrung und Liebe an der Spitze stehen.
Brant, der im Schweiße seines Angesichts einen Quadratmeter Verkleidungsmaterial auf das Gerüst seines Türmchens stemmte, sagte sich, dass er in den Punkten zwei und drei benachteiligt war.
Da er in der Stimmung für Maximen war, bot er sich eine zweite an. Arbeit ist eine großartige Therapie. Der Satz hatte keinen Erfolg. Brant sagte: »Zum Teufel damit«, ließ die federnde Platte nach innen fallen, auf einen purpurroten Teppich aus Donnerbeeren, und beugte sich in seinem Sicherheitsgürtel hinaus.
Unter ihm stürzte ein Kilometer freien Falls zu einem Talboden, auf dem gemischte Vegetation wucherte. Vom Vorsprung aus wirkte sie vorwiegend blau. Aber er erkannte das als tachistische Illusion. Alle Farben der Palette waren vorhanden. Meterbreite blutrote Renanten; gelbe fleischfressende Lilien; Ranken, kobaltblaue Ranken überall, leibesdick, sich windend, die ruhende Lebensform auf Xuthus.
Auf diese Entfernung ein tiefes Bett, worauf man sich fallenlassen konnte. Den Verschluss öffnen und hinabschweben. Einfach. Ein weicher Teppich des Unwissens. Siebzig Kilogramm komplexer Organe, in Sekunden von gleißender Farbenpracht verschlungen.
Warum nicht? Er war es müde, die Marionettendrähte an dem Ich zu bewegen, das sich Mark Brant nannte. Lösch es aus. Fang neu an. Oder doch nicht? Das war die Frage für eine Million Dollar.
Der Aufschub des Problems kam von außen. Er reagierte darauf, war wieder er selbst und konnte nicht sagen, ob es eine echte Konfrontation gewesen war oder nicht. Ein Summton des kleinen Videogeräts in der Brusttasche seines weißen Overalls veranlasste ihn, es herauszuziehen.
Es war Tabal, sein xuthusischer Unteraufseher, dessen Augenstiele vor Angst vibrierten. Auf dem Miniaturbildschirm wirkte sein kleines, spitzes Gesicht so, als stehe es nicht im richtigen Verhältnis zu vorgeschobenen Augenstrukturen, die sich jetzt hinausreckten, als wollten sie den Wellen durch das verwirrende Innere des Geräts folgen.
»Was ist los?« Brant gebrauchte die Hilfssprache der Galaxis.
Tabal musste einen Entzerrer verwenden. Direktübertragung der Gaumenbewegungen zu einem Mischroboter, der sie ausgerechnet in eine kühle Frauenstimme verwandelte. Sie sagte: »Dringende Nachricht für Doktor Brant. Signal von militärischem Patrouillenfahrzeug. Einflug in Gravisphäre, Sektor J. Bitte beeilen.«
Die Sekretärin, die fünfzigtausend englische Wörter hineingesprochen hatte, hatte einen gleichmäßigen, samtenen Ton beibehalten. An der Oberfläche wirkte die Stimme zärtlich und heiter. So würde sie das Ende der Welt ankündigen. Es kostete Mühe, eine männliche Reaktion zu unterdrücken.
Aber ungewöhnlich genug war das. Ein namentliches Ersuchen. Das erste seit einem halben Jahr in dieser entlegenen Station.
Es hatte keinen Zweck, Tabal zu fragen. Die Xuthusier waren so unpersönlich wie die Funkanlagen, mit denen sie so gut umgehen konnten. Ihr Talent, Relaissinnpflanzen zu gebrauchen, war eine unerhoffte Beigabe gewesen, als man Xuthus zur natürlichen Telefonzentrale für die Hälfte der Planetensysteme am Galaxisrand bestimmt hatte.
Zu etwas anderem taugte es jedenfalls nicht.
Brant schwang sich hinein und löste den Verschluss. Hand über Hand kletterte er in den geräumten, kreisrunden Schacht, wo sein blau-weißer Arbeitswagen wie ein massives Requisit in einem Windtunnel lag.
Von unten gesehen war es ein eindrucksvoller Bau für die Leistung eines einzelnen Mannes. Brants Torheit. Ein Aussichtsturm, mit dem lebenden Fels der höchsten natürlichen Erhebung im ganzen Umkreis fest verbunden. Vier Monate Arbeit, und das Schlimmste war getan. Das Gerüst fertig, die Verkleidung fast zur Hälfte angebracht. Zu bewältigen waren noch zwei Decks und gewölbte Aussichtsfenster, dann war der Turm fertig, wie der Bug eines Raketenschiffs, das aus einem massiven Felsblock heraussprang.
Brant umrundete ihn einmal im Wagen, bevor er den Autopiloten einschaltete, um sich nach Hause bringen zu lassen.
Zwei Minuten, in denen sein Geistesprodukt zu einem schimmernden Stern schrumpfte, und der Wagen schlängelte sich durch die übereinanderliegenden Reihen von Paraboloidschüsseln. Ein stummer Wald, so bizarr wie nur irgendetwas, was jemals von den Naturkräften erschaffen wurde. Meterdicke Innenhofmauer, umgeben von schwarzem Karbonabfall, wo die herankriechenden Ranken von eingebauten, automatischen Flammenwerfern zurückgeworfen worden waren.
Wie lange würde das halten, wenn sie weggingen? Sobald die Flammenkanonen aufhörten, würde das Ganze in einem xuthusischen Jahr ein zweites Angkor Wat sein. In zweihundert Erdentagen. Sein Vergnügungsturm würde es überdauern. Falls er je damit fertig wurde. Der Anruf von draußen stellte die richtige Perspektive her. Er spielte wie ein kleiner Junge mit einem Baukasten von riesigen Ausmaßen. Nachgeholte Jugend.
Der Wagen fegte unter ein Dach, und in der kurzen Verdunklung des scharfen, silbrigen Tageslichts spiegelte sich Brant in der Windschutzscheibe. Langes Gesicht mit hoher Stirn. Verlängert durch ein säuberliches braunes Bartdreieck. Ein hochgewachsener Mann mit breiten, kräftigen Händen, die durch die Wölbung der Scheibe jetzt unnatürlich vergrößert wurden, so dass sie das Bild beherrschten.
Nur ein arbeitender Prolet, sagte er sich. Weshalb hier? Warum sich nicht irgendwo als Totengräber niederlassen, wo es noch Gräber gibt? Das ist deine Branche, mein Junge. Der Tod ist deine Branche.
Es war ein Problem, das warten musste. Das Fahrzeug sackte ohne Erschütterung auf seine Kufen, als es das Vordach des Kontrollblocks erreichte.
Ein Android am Empfangsschalter richtete einen Prüfstrahl auf ihn und senkte den Arm, der ihm von der Tür her gefolgt war. Die Toleranzen waren ziemlich groß, aber Brant dachte plötzlich, dass er wohl eine Korrektur zu melden haben würde, wenn er durch das Schwitzen bei der Bauarbeit Gewicht verlor. Irgendeine Unklarheit, und der Android mochte ein Frustrationssyndrom erleiden und ihn mit dem Laser in seinem dicken Zeigefinger zerstrahlen.
So aber bekam er eine Art Willkommensgruß zu hören, wieder in einer angenehmen Frauenstimme aus dem Zentralentzerrer: »Sie werden erwartet, Doktor Brant. Der Anruf ist in Ihr Büro gelegt worden.«
Er ignorierte den wartenden Lift und lief eine breite, wenig steile Treppe hinauf, wobei er drei Stufen auf einmal nahm und aus Gewohnheit mitzählte. Einundzwanzig bis zur Biegung und ärgerlicherweise neunzehn bis zum obersten Geschoß und seinem geräumigen Korridor.
Ein Zimmer über dem ganzen Komplex mit Glas an drei Seiten. So eingerichtet, um bei dem Leiter von Terminal Delta Größenwahn zu erzeugen. Oben auf einem Haufen, der eine Milliarde Dollar wert war, mit einem Netzwerk von Nachrichtenverbindungen, das fast tausend Planetensysteme umfasste.
Brant setzte sich an seine Konsole und drückte an der einen leuchtenden Platte auf Empfang. Tabal tauchte noch einmal kurz auf. Die ausdrucksvollen Augen verrieten Neugier und die verwirrte Nachsicht, die er für einen verrückten Erdenbewohner aufbrachte.
»Durch jetzt, Chef.«
Der Wandbildschirm erglühte mit einer Sternkarte und dem bleistiftschlanken Umriss eines silbernen Raumschiffs, zeigte es zwei Sekunden lang und ging näher heran, bis Brant die Identitätssymbole erkennen konnte. Erdschiff Falcon, Militärkreuzer, Raumflotte der Westlichen Hemisphäre.
Bevor er Spekulationen anstellen konnte, blickte er in die Kommandokabine, einen kleinen, stillen Raum mit drei Insassen. Einer davon klopfte mit einem Elfenbeinstift auf seine Steuerkonsole und wartete offenkundig darauf, zumindest mit einem Drei-Sterne-General sprechen zu können. Bekannt. Er hätte sagen müssen, dass er ihn gut kannte. Aber der Name fiel ihm nicht ein.
Brant sah ihn auf den Monitor blicken und wusste, dass er sich zu der Runde gesellt hatte.
Er meldete sich als erster.
»Hier Brant. Willkommen auf Xuthus.«
»Danke, Doktor Brant. Sholto, Oberkommando West. Haben Sie in Delta eine Raumfähre?«
»Ja.«
»Können Sie sie bedienen?«
»Ja.«
»Ich gehe in eine Parkumlaufbahn direkt über Ihnen. Sagen wir, in einer Stunde.« Sholto wandte sich an den Mann zu seiner Linken. »Passt Ihnen das, Kommodore Halsall?«
»Ja.«
»Dann können Sie in knapp einer Stunde mit den Kursdaten rechnen, Doktor Brant. Irgendein Problem?«
»Nur eines.«
»Nämlich?«
»Das ist eine zivile Anlage. Ich stehe weder unter dem Kommando der Westlichen Hemisphäre, General, noch unter einem anderen. Wir haben draußen einen Landeplatz. Sie bekommen eine Landegenehmigung, wenn Sie mich besuchen wollen.«
Sholto wirkte gelangweilt. Ein Pferdegesicht mit kurzgeschorenen grauen Haaren. Er verzichtete auf jede Höflichkeit.
»Zu Ihrer Information, Brant, das ist abgesprochen mit Terminal Alpha, mit der Nachrichten AG, mit der Regierung der Westlichen Hemisphäre und allen Stellen dazwischen. Halten Sie sich an die Abmachung, ja? Ich habe einen weiten Weg hinter mir.«
»Und wenn ich ablehne?« Schon während er es sagte, regte sich etwas in Brants Gehirn. Er erinnerte sich an ein Gespräch mit diesem Mann. Ein Nein würde nicht ins Gewicht fallen.
»Das ist kein Spiel, Brant. Sie werden hier sein. In einer Stunde. Bis dann.«
Sholto drückte eine Taste, und der Bildschirm wurde dunkel. Brant verließ die Konsole und trat ans Fenster. Hinter dem Halbkilometerkreis silbergrauer Gebäude war Xuthus bis hin zu jedem Horizont ein wildes Spiel von Farben. Fern genug. Eine ganz winzige Insel. Niemand war vor den forschenden Augen der Ämter irgendwo in der Galaxis sicher.
Sicher? Ein dummer Ausdruck. Was hatte er zu fürchten, wovor musste er sich verstecken? Schließlich war er selbst ein Beamter nicht geringen Ranges. Respektiert, man hatte ihm diesen wertvollen Außenposten anvertraut. Respektiert? Nach Terambus? Konnte es mit dieser Affäre Zusammenhängen? Aber das war alles geklärt. Durch die Untersuchung war er entlastet worden. Sonst konnte er nichts angestellt haben. Alle waren sich darin einig gewesen.
Immerhin konnte er sich bei Alpha, dem Haupt-Terminal, erkundigen, viertausend Kilometer entfernt auf der anderen Seite des Planeten.
Kontrolleur Vergos konnte außer einer Bestätigung nichts hinzufügen. Über die Zerhackerleitung sagte er: »Gut, dass Sie mich anrufen, Mark. Sonst hätte niemand gewusst, worauf Sie hinauswollen. Ich kann Ihnen gar nichts sagen. Nur ein Routineersuchen, dass Sie zu einem Gespräch die Station verlassen sollen. Die Falcon ist auf einem Rundflug. Nichts Ungewöhnliches. Man hat das mit mir persönlich abgesprochen. Kein Zusammenhang mit der Station. Es kostet Sie nichts, festzustellen, was los ist. Vielleicht bekommen Sie einen Orden.«
Vergos wusste auf jeden Fall nicht mehr. Sie waren keine engen Freunde, aber Brant war überzeugt davon, dass er geheime Vorbehalte in dem breiten, fleischigen Gesicht bemerkt hätte. Na gut. Er konnte ja mal nachsehen. Eine Stunde, ein bisschen knapp. Soviel Zeit brauchte er schon fast, um die Raumfähre zu überprüfen.
Er sagte zu Tabal: »Ich fliege zu einem Rendezvous mit dem Raumkreuzer hinauf. Kann nicht lange dauern. Wenn ich in drei Stunden nicht zurück bin, informieren Sie Alpha. Steht etwas an?«
»Nichts Wichtiges, Doktor Brant. Seien Sie vorsichtig.«
Typisch Xuthusier. Sehr feinfühlig. Tabal hatte etwas von der inneren Unruhe in ihm aufgefangen.
Brant fuhr mit seinem privaten Aufzug vier Etagen hinunter zum Untergrundring. Der Innenkäfig rollte heraus und schloss sich an einen von einer Einschienenbahn herabhängenden Linearmotor an. Zwei Minuten danach klinkte er in Greifklauen unter dem Fährendock ein und signalisierte seine Bereitschaft, die nächste Strecke in Angriff zu nehmen. Wieder zwei Etagen hinauf, und Brant gelangte auf die Docksohle vor der offenen Luke der Raumfähre.
Er schaltete die Rufkonsole auf Automatik und suchte sich die Raumausrüstung heraus. Bevor er seinen Anzug abgedichtet hatte, übernahmen die Computer der Falcon, und der Countdown war schon im Gange.
Er zögerte noch immer und spielte mit dem Gedanken, die Fähre leer hinaufzuschicken. Das blieb aber an der Oberfläche. Ein tiefer liegender Motivstrom erfasste ihn. Angegurtet auf einer Beschleunigungscouch, verfolgte er, wie sich der Silo langsam dem silbernen Himmel öffnete, spürte, wie das Deck zu vibrieren begann, als sich die Rückstoßkraft anstaute. Selbst nach all den Jahren seiner Erfahrung war es noch immer ungeheuerlich, dass er als Mensch, denkend und bewusst, Teil eines Geflechts von Maschinen war, das nach eigener Logik handelte.
Es war zum Teil ein Drang, zu protestieren, der ihn zu der Torheit mit dem Aussichtsturm veranlasst hatte. Ein handgefertigter, nicht-mechanischer Ausguck, ein primitiver Wachtturm. Seine persönliche Handschrift in der Landschaft.
Dann hob die Fähre ab, und er wurde in das Sofa gepresst. Jetzt war es unmöglich, dem Rückblick auf die Zeit zu entgehen, die er auf Terambus erlebt hatte, als er allein in einem Raumschiff gestartet war, mit ganz geringen Aussichten und dem überwältigenden Zweifel, ob er nicht besser hätte bleiben und sein Glück zusammen mit Melanie und Ray Peters hätte suchen sollen. Es war etwas, was er immer noch nicht begriff, so als sei es mit einer anderen Person geschehen.
Jetzt war sein Zögern begreiflich. Etwas in ihm hatte gewusst, dass dieser Augenblick der Selbstanalyse kommen würde, und ihm zu entgehen versucht.
Die Zeit, dem nachzugehen, lief ab, als die Fähre eine Kurskorrektur vornahm und die Falcon durch ein Sichtfenster zu erkennen war. Der Schwung brachte ihn auch an den Rand der G-Toleranz, und er war froh darüber, durch kleinere Arbeiten wie Trimmen und Unterstützung des Autopiloten abgelenkt zu werden.
Die Falcon wirkte aus der Nähe riesig, ragte wie eine graue Klippe über der winzigen Fähre empor. Ein Teil der Rumpfwand war aufgeklappt und gab den Blick auf eine Andockkupplung und eine Innenschleuse frei. Das war eine unerwartete Zugabe. Der Spaziergang durch den Weltraum zu einem anderen Schiff hatte ihm nie behagt.
Ein Kommunikationskadett erwartete ihn, als sich die Schleusentür öffnete. Stramm. Korrekter Gruß. Kein Anzeichen dafür, dass Brant etwas anderes als ein hochgeachteter Besucher war.
»Willkommen an Bord der Falcon, Doktor Brant. General Sholto erwartet Sie. Wenn Sie bitte mitkommen wollen, Sir.«
Daran, dass alles glänzte, und am Eifer der Besatzungsmitglieder, denen sie begegneten, war zu erkennen, dass Halsall ein strenges Regiment führte.
Sie stiegen ein Deck höher, durch eine Kollisionsluke, deren Ausrüstung sich in mustergültigem Zustand befand, und waren an Ort und Stelle.
Der Kadett führte ihn hinein, als sei der Besucher eine von ihm selbst konstruierte Apparatur, die Sholto als erster sehen sollte. Er salutierte noch einmal und verschwand wie ein Kaninchen aus dem Zylinder eines Zauberers.
»Da sind Sie ja, Brant«, sagte Sholto. »Ich dachte mir schon, dass Sie die Dinge so sehen würden wie ich.«
Sie waren allein in der Tageskabine des Raumschiffes, die mit Mikrofilm-Schränken und einer eindrucksvollen Viermeter-Computeranlage ausgestattet war. Sholtos großer Schädel stand im Gegensatz zu dem kleinen, kräftig-kompakten Körper des Kommodores, der am Schreibtisch lehnte.
Brant kam sich wie ein zum Rapport bestellter kleiner Junge vor, aber er verdrängte das und sagte: »General, ich glaube, Sie schulden mir eine Erklärung. Was auch immer der Zweck der Übung sein mag, ich möchte ihn erfahren.«
»Schon gut, Brant. Sie sind hier, und wir können offen reden. Da unten, wo auf wer weiß wie raffinierte Weise mitgehört wird, kämen wir nicht voran. Setzen Sie sich. Machen Sie es sich bequem.«
Es war eine Verunglimpfung des Systems, die Brant nur schwer ertrug. Gleichzeitig erschien ihm Sholtos abwertende Bemerkung doch auch berechtigt.
»Hören Sie, General, die Überwachung auf Xuthus ist erstklassig. Das sollten Sie wissen.«
»Sagen wir, ich ziehe es vor, hundertprozentig sicherzugehen. Hier sind wir völlig abgeschirmt.«
»Na gut. Angenommen, ich gebe Ihnen recht. Worum geht es?«
»Vor einigen Jahren haben Sie mit Henry Thulden zusammen gearbeitet?«
Von allen Fragen, die man ihm hätte stellen können, war das die unerwartetste und am wenigsten verfängliche. Anti-Klimax. Erleichterung sogar. Brant setzte sich aus freien Stücken.
»Sie werden mir nicht erzählen, dass Sie mich heraufgeholt haben, um mich das zu fragen?«
»Sie scheinen überrascht zu sein.« Sholto löste sich vom Schreibtisch, ging nach hinten, setzte sich, gewann dadurch an Statur und versetzte Brant in die klassische Position des zu Vernehmenden.
»Sie sind mit Thulden befreundet gewesen? Sie kannten ihn gut?«
»Das könnte man sagen. Er war mein Vorgesetzter bei einem Nachrichtenforschungsprogramm. Er ist sehr tüchtig. Ich weiß aber nicht, ob jemand behaupten kann, ihn gut zu kennen. Wir waren zwei Jahre zusammen, dann wurde er befördert. Er hat es verdient, möchte ich meinen.«
»Er ist verheiratet. Wussten Sie das?«
»Nein, ich habe seit fünf Jahren nichts von ihm gehört, aber ich wusste, dass er sich wieder versetzen ließ. Er ist nicht in diesem Planetensystem.«
»Lados?«
»Möglich. Wie gesagt, ich habe nichts mehr von ihm gehört.«
Sholto schien zufrieden zu sein.
»Lados ist richtig. Seine Frau heißt Carol. Jünger als er. Künstlerin. Malt sehr reizvolle abstrakte Bilder.«
»Reden wir über Kunst, meinetwegen. Hören Sie, General, ich habe zu tun. Was wollen Sie?«
»Gut, Brant, kommen wir zur Sache. Ihr Freund Thulden ist auf Lados. Er ist sehr bekannt und hat einen ausgezeichneten Ruf. Man ist dort sehr auf Sicherheit bedacht, und es dringt nicht viel an die Außenwelt. Wir haben natürlich unsere Agenten, aber was er. treibt, ist für einen Nichtspezialisten zu schwierig. Wir möchten, dass Sie hinfliegen und ihn aufsuchen. Sprechen Sie mit ihm. Sie können leicht herausbekommen, womit er sich beschäftigt. Verbringen Sie ein, zwei Monate bei ihm, und erstatten Sie dann Bericht.«
»Spionage. Da sind Sie an den Falschen geraten. Ich tauge auf dem Gebiet nichts, selbst wenn ich es machen wollte, was nicht zutrifft.« Brant stand auf. Wenn das alles war, konnten sie sich etwas anderes einfallen lassen. Es gab reguläre Agenten genug, die so viel verstanden, dass sie die Sache klären konnten. Was ihn ärgerte, war der Ausdruck in Sholtos Gesicht, der ironisches Vergnügen über seine Reaktion zu verraten schien.
»Nur nicht nervös werden, Brant«, sagte Sholto. »Setzen Sie sich. Sprechen wir von Terambus.«
Diesmal war es ein Volltreffer. Mark Brant wusste, dass er den Namen nie würde hören können, ohne sich zu verraten. In gewisser Beziehung war ihm klar, was kommen würde, als habe er von Anfang an damit gerechnet. Er setzte sich.
»Das ist alles aufgeklärt. Sie taten, was Sie tun mussten. Sie hielten sich an die Regeln. Aber nehmen wir einmal an, dass sich neue Tatsachen ergeben. Angenommen, Sie hätten noch vierundzwanzig Stunden warten können? Was dann? Zumindest fahrlässige Tötung.«
»Melanie war meine Frau. Das wissen Sie.« Er sagte es sachlich, als Feststellung, und versuchte herauszufinden, was hinter den Worten lag, die Sholto gebrauchte; er war davon überzeugt, dass ihr Gespräch eine zusätzliche Dimension besaß.
»Um ganz brutal zu sein, Brant, das besagt gar nichts. Männer haben sich schon oft ihrer Ehefrauen entledigt. Da war auch noch Ihr Assistent. Der junge Peters. Aber wie schon gesagt, das ist eine harte Branche. Man könnte Indizien finden und das Verfahren neu eröffnen.«
»Erdichtete.«
»Neuentdeckte oder erdichtete.«
»Ein schmutziger Beruf.«
»Wie Sie wollen. Worauf ich hinauswill, ist, dass Sie verwundbar sind. Wenn wir es genau nehmen, haben Sie eigentlich kaum die Wahl.«
»Sie würden das benützen, um mich zu zwingen?«
»Jetzt haben Sie es ausgesprochen, Brant. Ich hatte gehofft, wir könnten das vermeiden.«
»Es stinkt immer, egal, wie man es nennt.«
Sholto stand auf und trat an das Sichtfenster, vor dem Xuthus wie ein riesiger Purpurmond leuchtete. Seine Stimme klang freundlicher, sogar mitfühlend.
»Auf Ihrem Gebiet genießen Sie einen guten Ruf, Doktor Brant. Glauben Sie mir, was Sie für mich tun sollen, ist sehr wichtig. Äußerst wichtig. Es tut mir leid, dass ich Sie unter Druck setzen muss. Sechs Monate von Ihrer Zeit, und Sie können hierher zurückkommen.«
»Es sieht so aus, als bliebe mir nichts anderes übrig.« Brant sagte es mit bitterem Unterton. Aber in gewissem Maß spürte er auch Erleichterung. Terambus war endlich wieder aufgetaucht, objektiviert. Nicht mehr eine nagende Ungewissheit in seinem Denken. Wenn er die Aufgabe übernahm, mochte das in mancher Hinsicht eine Buße sein. Das Gespenst endgültig bannen.
»Wann geht es los?«
»So ist es richtig.«
Sholto kehrte zum Schreibtisch zurück und hob mit Daumen und Zeigefinger eine Mikrobandkassette hoch.
»Das sind Instruktionen. Wir füttern sie Ihnen im Tiefschlaf ein. Nur für den Fall, dass Sie verhört werden. Sie wissen nur, dass Sie auf Lados Urlaub machen und sich mit Ihrem alten Freund Thulden unterhalten wollen. Sie müssen einverstanden sein, sonst werden die Anweisungen nicht richtig aufgenommen.«
In Brant flackerte noch immer Widerstand. »Guter Gott, Mann, das brauchen Sie mir nicht zu sagen. Das ist mein Fach, nicht wahr?«
Wieder hatte er ohne Begründung das Gefühl, auf einem Weg zu sein, den er schon einmal gegangen war.
Da sein Ziel erreicht war, konnte Sholto es sich leisten, liebenswürdig zu sein.
»Das weiß ich, Doktor Brant. Sie waren einer der Besten in der ganzen Galaxis. Das ist einer der Gründe, weshalb Sie es sein mussten. Glauben Sie mir, ich setze niemandem gern die Daumenschrauben an, aber es ist wichtig. Wir müssen wissen, wo Thulden steht.«
Brant, der jede Betonung aufmerksam registrierte, entdeckte im letzten Teil einen Unterschied. Er kam auf den Gedanken, dass Sholto über Thulden schon sehr viel wusste. Na und? Das änderte gar nichts. Von ihrem Standpunkt aus war das nur vernünftig. Kein gewöhnlicher Agent konnte abschätzen, was Thulden machte. Übrigens würde es interessant sein, das herauszufinden. Ein teurer Urlaub. Nun, das war ihm der Staat schuldig.
»Wie steht es mit Geld?«
»Jetzt haben Sie den richtigen Standpunkt. Haben Sie sich in letzter Zeit mit Ihrem Kontostand befasst?«
»Nicht, seitdem ich hier bin. Auf Xuthus gibt es nichts zu kaufen.«
»Das dachte ich mir. Wenn Sie den Halbjahresauszug bekommen, werden Sie sehen, dass Geld eingegangen ist. Verkauf der Rechte an einigen der Lehrbänder über Informationsverarbeitung, die Sie für das Institut produziert haben. Sobald die Mission erfüllt ist, gibt es mehr. Sie werden die Beträge großzügig bemessen finden.«
»Wird es nicht merkwürdig aussehen, wenn ich Xuthus verlasse und nach Lados gehe?«
»Nicht bei Ihrem Ruf, ein Exzentriker zu sein, wenn Sie mir das verzeihen? Sie gehen zuerst nach Nikon. Verbringen Sie eine Woche dort. Lados ist die nächste natürliche Station in einem Urlaubsplan. Ein Touristenparadies. Berühmte rosarote Sandstrände. Mehr Frauen, als man zählen kann, wenn Ihnen so etwas Spaß macht. Vom ganzen Galaxisrand kommt man dorthin in die Ferien. Trotz der scharfen Sicherheitsbestimmungen. Lassen Sie es langsam und ruhig angehen. Wohnen Sie in Riga. Wenn Sie Glück haben, macht Thulden vielleicht den ersten Schritt und sucht Sie auf. Man berichtet über neue Besucher. Wenn nicht, können Sie sich eine oder zwei Wochen Zeit lassen und dann selbst handeln.«
»Ich weiß ja, was ich zu tun habe.«
»Richtig. Sie wissen, was Sie zu tun haben.« Sholto griff wieder nach der Kassette. »Das enthält alles von Belang. Wir können es gleich machen. Dauert nur etwa eine halbe Stunde. Einverstanden?«
Als Brant im Medi-Zentrum Falcon auf einer Couch festgeschnallt war, ließ er seine Gedanken frei schweifen. Es war nicht ganz freiwillig. Er spürte, wie eine Entspannungsdroge auch das letzte Atom von innerer Unruhe verdrängte. In nebelhafter Euphorie kam es ihm so vor, als stehe in der besten aller Welten alles zum besten. Er war Sholto sogar dankbar dafür, dass er an ihn herangetreten war. Tränen der Dankbarkeit rollten über sein Gesicht und verschwanden im braunen Gestrüpp seines Bartes. Die Lichtstärke sank zu einem sanften, orangeroten Schimmern hinab. Er fühlte sich federleicht, körperlos, ein undeutliches, angenehmes Bewusstsein, als schwebe er in einem schützenden Schoß der Wärme.
Eine Stimme begann zu sprechen, leise und drängend. Eine Frauenstimme. Tiefer, heiserer Alt. Er lauschte und stimmte zu. Was sie sagte, war richtig. Er war schläfrig und schlummerte ein. Die Stimme sprach weiter.
Brant fügte die letzte Scheibe Flexiglas ein und verschloss die Fuge mit einer Lötnadel am Wanderkabel der Batterie des Wagens.
Auf einer primitiven Ebene war es sehr befriedigend, zu sehen, dass Bauteile, die er in der Werkstätte des Terminals hergestellt hatte, mit Mikrometergenauigkeit passten. Er hatte mit Millimetertoleranzen gearbeitet, schnell und entschieden, ohne eine einzige zeitraubende Korrektur.
Seit dem Gespräch in der Falcon war er innerlich ruhiger als je zuvor. Er hatte sich auf die Arbeit konzentriert, als sei sie das einzig Wichtige in seinem Leben. Irgendwo im Hintergrund gab es das sichere Bewusstsein, dass die Zukunft vorgeplant war, dass er wissen würde, was zu tun sei, sobald die Zeit kam.
Er ließ eine federnde Hitzeleine auf ihre Trommel zurückgleiten und ging auf seinem engen Besitz herum. Auf diesem verwitterten Felsen gab es nicht einmal für die Ranken Nahrung. Ein paar Ausläufer eines Donnerbeerenbuschs hatten die leichte Strahlungssprengung überstanden, mit der er die Fläche saubergefegt hatte, und die blutroten Schoten platzten Unter den Sohlen wie Feuerwerkskörper. Das machte nichts. Ein natürliches Alarmsystem für seine Schnelligkeit. Noch zwei Fahrten mit Armaturen, und er war fertig. Jetzt, am Ende der Arbeit, begann er das Interesse zu verlieren. Es war, als laufe ein Programm aus. Er schwang sich in den Wagen und brauste davon, ohne sich umzusehen.
Tabal beobachtete in diesen Tagen alles mit großer Aufmerksamkeit. Für Stimmungen überempfänglich, wusste er, dass den Leiter von Terminal Delta etwas verändert hatte. Der Mann von der Erde wirkte in sich gekehrter, stärker in sein seltsames Projekt vertieft als je zuvor. Er arbeitete jetzt, als sei der Fertigstellungstermin vorgezogen worden. Es war keine Sache von langfristiger Bedeutung mehr. Ein Vorspiel für andere Ereignisse.
Als das Signal von Alpha kam, wusste Tabal, dass es mit Brants Stimmungswechsel und dem kurzen Besuch des Raumschiffs zusammenhing, aber selbst sein raffiniertes Xuthusier-Gehirn vermochte nicht die Summe zu ziehen. Er watschelte aus seiner Konsole, eine absurde, dachsartige Gestalt, weg von der Maschine, und traf Brant in der Halle, bevor ihn der Empfangs-Android aufhalten konnte.
»Doktor Brant.« Er strengte sich zum Zeichen der Freundschaft besonders an und gebrauchte einen Gaumen, der nie für Sprache gedacht war. »Ein Signal für Sie. Sie werden sich freuen, denke ich. Es ist eine Urlaubsgenehmigung. Ich wusste nicht, dass Sie darum ersucht hatten.«
Brant hörte sich antworten, als sei er Zuhörer des Gesprächs, und er wusste, dass sogar diese Einzelheit vorausgesehen und programmiert worden war.
»Die ist jetzt gekommen? Ich hatte vor einer Ewigkeit mal Urlaub beantragt. Anscheinend ist man erst jetzt dazu gekommen.«
»Sie freuen sich?« Tabals Stimme klang zweifelnd; in Brants Ton schwang etwas mit, was für sein empfindliches Gehör unecht wirkte.
»Ja. Ich habe schon lange keinen richtigen Urlaub mehr gehabt. Da hat sich allerhand angesammelt. Wieviel gesteht man mir zu?«
»Sechs Monate, Erdzeit.«
»Beginn?«
»In zwei Tagen. Man wird an die Flugpläne gedacht haben. An diesem Tag werden wir jeden Monat angeflogen.«
Die Mühe des Sprechens zeigte dem Xuthusier Wirkung. Er trat nervös von einem platten Fuß auf den anderen, während sich die Hände auf dem grauen, spitzen Panzer seines Brustkorbs unruhig verschränkten und wieder voneinander lösten.
Brant konnte sich nie genug darüber wundern, dass sich die Evolution auf Xuthus vom Ästhetischen her der fortgeschrittensten Lebensform gegenüber so schäbig benommen hatte. Die träge Dialektik von Veränderung und Wechsel hatte ein Wesen hervorgebracht, das ein größeres und differenzierteres Gehirn besaß als der Mensch. Nicht viel größer als ein Meter; vorwiegend grau; Außenskelett in einem Panzer, der hinten glatt und streifenförmig und vorn gezackt war. Zarte Hände mit dem vertrauten Prinzip des opponierenden Daumens - das bei fast allen höheren Lebensformen in der ganzen Galaxis entwickelt war. Aber ein trister und farbloser Inhaber des ersten Platzes auf einem Planeten, wo leuchtende Farben vorherrschten.
Sie waren im Grunde Zuschauer. Empfindliche Instrumente, zu schauen, zu hören und Aufzeichnungen zu machen. Es gab keinen Drang, sich darzustellen. Als hermaphroditische Gattung waren sie völlig unabhängig und autark. Das war vermutlich das Entscheidende. Es gab keinen Zwang, einem anderen Xuthusier gefallen zu wollen. Dazu die angeborene Neigung, gut von sich selbst zu denken, und sie waren es zufrieden, neutral zu sein. Bloße Gefäße für ein Erfahrungen verarbeitendes Gehirn.
Wenn man es genau nahm, genügte das auch. Die orektische Seite des Wesens war eine Brutstätte von Problemen. Da waren die Computer im Vorteil. Keine Affekte, sondern in jeder Frage eine klare Darlegung des Faktengleichgewichts. Ein Computer, der auf Terambus vor die Entscheidung gestellt worden wäre, hätte getan, was Brant getan hatte, aber ohne sich nachträglich schuldig
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Douglas R. Mason/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: N.N. und Christian Dörge.
Cover: N.N./Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Korrektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Übersetzung: N. N. und Christian Dörge (The Janus Syndrome).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 27.07.2018
ISBN: 978-3-7438-7613-2
Alle Rechte vorbehalten