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Leseprobe

 

 

 

 

GORDON D. SHIRREFFS

 

 

Blutgeld für Brasada

 

 

 

 

 

Apex Western, Band 5

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

BLUTGELD FÜR BRASADA 

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

11. 

12. 

13. 

14. 

15. 

16. 

17. 

18. 

19. 

20. 

21. 

22. 

23. 

24. 

 

Im Südwesten. Marginalien zu »Blutgeld für Brasada« Ein Essay von Dr. Karl-Jürgen Roth 

 

 

Das Buch

Die Apachen sagen, der Berg sei verzaubert: Er würde jeden töten, der die dreißig Tonnen reinen Silbers an sich zu bringen versucht, die irgendwo in dem gewaltigen Felsmassiv verborgen liegen.

Doch der Mann, den alle Brasada nennen, glaubt nicht an diesen Spuk. Er weiß, dass ein geheimnisvoller Schütze auf jeden lauert, der dem Schatz zu nahe kommt – und dass dieser Mann keine Gnade kennt.

Brasada lässt sich nicht abschrecken. Er reitet nach Soledad, um das Silber zu finden – und jenen Phantom-Schützen, der bereits dreizehn kaltblütige Morde auf dem Gewissen hat...

 

Der Apex-Verlag präsentiert diesen Klassiker der Western-Literatur in seiner Reihe APEX WESTERN als durchgesehe Neu-Ausgabe, ergänzt um ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth.

  BLUTGELD FÜR BRASADA

 

 

  

  1. 

 

 

Brasada ritt nordwärts in Richtung der Grenze von Arizona. Zu beiden Seiten zogen sich einsame, kahle Gebirgszüge hin, und über der ausgedörrten Erde wogten Hitzeschleier im brennenden Sonnenlicht. Er schien allein zu sein, denn er hatte seit vielen Meilen kein anderes Lebewesen gesehen. Aber ein Apache bleibt unsichtbar, es sei denn, er will gesehen werden. Dies war das Land der Apachen, von der Sonne versengt und so wasserlos wie der Mond.

Die Gebirge zu beiden Seiten lagen halb in Sonora und halb im Arizona-Territorium, wobei die höheren Berge nördlich der Grenze emporragten. In diesem leeren Land war eine Grenze natürlich nicht fest markiert, sondern sie bestand aus hohen Bergrücken und einem Labyrinth von einsamen Cañons. Wenn ein Mann sich einmal in diesem Gewirr von Schluchten verirrt hatte, konnte er immer wieder die Grenze in beiden Richtungen passieren, ohne es je zu merken. Aber er konnte in dieser schrecklichen, heißen Wildnis auch der Hitze und dem Durst erliegen - entweder in Arizona oder in Sonora. Das ganze Land war ein Gebiet der gefährlichen Täuschung und des plötzlichen Todes.

Als Wegweiser nach Norden diente Brasada ein großes Felsmassiv, das einfach Berg genannt wurde. Mit seinen sonnenüberfluteten Geröllhängen ragte der Felskoloss wie ein warnender Finger der Natur in den Himmel empor. Der Berg war umgeben von einer unheimlichen, fast bedrohlichen Atmosphäre, die einen Mann gleichzeitig abzustoßen und doch fast gegen seinen Willen anzuziehen schien.

Im Licht des späten Nachmittags kräuselte sich ein fast unsichtbarer Schleier von Dunst aus dem Cañon am südlichen Sockel des Berges empor. Dieser Rauchschleier war kein freundliches Zeichen. Dort wohnte niemand. Und kein Chiricahua-Indianer würde seine Anwesenheit durch ein unvorsichtiges Lagerfeuer verraten.

Ein einsamer zopilote, der große Bussard von Sonora, schien aus dem Nichts in der Luft aufzutauchen. Er schwebte hoch über dem Rauchschleier dahin. Die einzigen Bewegungen in dieser Landschaft der höllischen Einsamkeit waren das träge Emporkräuseln des Rauchschleiers und die dunkle Silhouette des zopilote, der scheinbar schwerelos über dem Rauch auf- und niedersegelte.

Die Dunkelheit vor Aufgang des Mondes sank herab, als Brasada die Mündung des Cañons erreicht hatte. Er stieg ab, wickelte Rohlederlappen um die Hufe des schwarzbraunen Pferdes und führte es dann nach Norden weiter. In der Dunkelheit waren jetzt nur die von den Lederhüllen gedämpften Schritte des Pferdes und das Rascheln von Dornenzweigen gegen die ebenfalls mit Leder umhüllten Beine von Brasada zu hören.

Brasada spähte zu dem Berg empor, der hoch über dem Cañon in den Nachthimmel ragte. Die Dunkelheit an den unteren Hängen und die Dämmerung in den oberen Bereichen schufen die optische Täuschung, als ob der Berg sich drohend zu ihm hinabbeugte. »Zurück mit dir, bastardo«, murmelte Brasada. Der Berg wich nicht zurück.

Der erste blasse Lichtschimmer des aufsteigenden Dreiviertel-Mondes erhellte den östlichen Horizont. Gleichzeitig damit schien der Geruch von harzigem Holzrauch und verbranntem Fleisch herüberzuschweben.

Brasada pflockte den Schwarzbraunen im Schatten eines Eichengehölzes mit silbern schimmernden Blättern an. Von hier aus sah er auf eine tinaja hinab - eine von hochkantig daliegenden Felsblöcken umgebene natürliche Felszisterne, die gewöhnlich - aber nicht immer - einen flachen Teich von abgestanden schmeckendem Regenwasser auch während der Sommermonate enthielt.

Der Wind fächelte über einen Aschenhaufen, aus dem ein Glutfunken wie ein böse schimmerndes Auge aufging und sich wieder schloss. Eine Flamme zuckte plötzlich neben der Asche empor, und in dem ungewiss flackernden Licht erkannte Brasada den Körper eines Mannes ohne Kopf. Die Flamme züngelte sich an seinem brennenden linken Ärmel hoch.

Der Mond stieg höher. In seinem Lichtschein war auf einem flachen Felsen der abgetrennte Kopf zu sehen, dessen grauer Bart den Boden berührte. Das Mondlicht spiegelte sich in den glasigen Augen, die angespannt zu dem Berg empor zu starren schienen.

»Jubal Conn«, sagte Brasada leise. »Es scheint, ich bin ein wenig spät zu unserem Treffpunkt gekommen.«

Der Wind bewegte den Bart des alten Mannes.

 

 

 

 

 

 

  2.

 

 

 

Brasada schlich im Schatten der Felsen hinunter, bis er den enthaupteten Körper in den Schutz der Felsblöcke nahe an die tinaja schleppen konnte. Dann ergriff er den Kopf an dem dicht verfilzten grauen Haar und trug ihn zu der Leiche.

Brasada kauerte sich hin und riss ein Streichholz an. Er stieß einen leisen Laut des Erstaunens aus, als er den Kopf untersuchte. Über dem rechten Ohr war ein schwarz umrandetes Loch von etwa anderthalb Zentimeter Durchmesser zu sehen, wo das Geschoss in den Schädel eingedrungen war. Bei ihrem Austritt hatte die Kugel das linke Ohr und ein großes Stück des Schädelknochens weggerissen. Brasada ging zu dem verglimmenden Lagerfeuer hinüber. Er hob eine deformierte Patrone auf. Die Spitze war breit zerschlagen, aber der Boden war noch nach innen gewölbt und ringförmig, wo er einmal fest in eine Patronenhülse vom 50er-Kaliber gepasst hatte.

Brasada durchsuchte den Toten sorgfältig. Er riss die abgelaufenen Hacken der Stiefel ab und schlitzte die dünnen Sohlen auf. Er durchsuchte das Hemd, die Hosen und die langen Unterhosen, aber er fand nichts. Der Mörder des alten Mannes hatte wahrscheinlich alles Wertvolle mitgenommen - und besonders einen Gegenstand.

Hoch am monderhellten Hang löste sich ein Stein und kam springend und klappernd zur tinaja herabgerollt. Nicht weit vom Lagerfeuer entfernt blieb der Stein liegen. Das zischende, raschelnde Geräusch von niederrieselnden Steinsplittern und trockenem Sand erstarb.

Brasada trat ins Mondlicht hinaus und spähte zu dem Eichengehölz empor. Der Wind flüsterte zwischen den Blättern. »Sie können jetzt herauskommen«, rief Brasada. Sein Ruf hallte von den Cañonwänden wider.

Nichts bewegte sich. Der Wind erstarb.

Brasada grinste, und seine Zähne schimmerten dabei im Mondlicht wie bei einem jagenden Wolf. Er ging auf seine Winchester-Büchse zu.

»Das ist weit genug!«, rief eine raue Stimme aus dem Eichengehölz. »Heben Sie die Hände! Keine Bewegung!«

Brasada drehte sich um und hob langsam die Hände. Der breite Rand seines Sombreros überschattete seine Nase und die Augen.

Sporen klirrten leise. Ein großer schlanker Mann kam den Hang herunter. Das Mondlicht schimmerte matt auf dem Metall seines Repetiergewehrs. Die Farbe Grau war am hervorstechendsten an dem Mann: Das Haar an den Schläfen seines schmalen Kopfes unter dem Hutrand war grau; seine Augen waren grau und sein Schnurrbart ebenfalls. Vor allen Dingen schien eine Atmosphäre wintergrauer Kälte von dem Mann auszuströmen, dachte Brasada. Das Mondlicht schimmerte auf dem an seine Weste gehefteten Blechstern eines Hilfssheriffs.

Der Hilfssheriff nahm Brasadas Winchester und schnüffelte an der Mündung und am Schloss. Dann trat er hinter Brasada und zog ihm den Colt aus dem Halfter. Der Zylinder kreiste rasselnd, als er zur Prüfung der Ladung herumgewirbelt wurde. »Wer hat den alten Mann getötet?«, fragte der Hilfssheriff.

»Er war bereits tot, als ich herkam, und Sie wissen das«, antwortete Brasada.

»Wer sind Sie?«

»Ich werde Brasada genannt.«

»Ich will Ihren ganzen Namen wissen.«

Brasada zuckte mit den Schultern. »Das ist er - Brasada.«

Der Hilfssheriff trat vor Brasada. »Sie sprechen gut Englisch«, sagte er, »was sind Sie? Ein Halbblut?«

»In Amerika geboren«, antwortete Brasada. »Aber ich bin auch ein Bürger von Mexiko - ein emigrado, wenn Sie das vorziehen.«

»Für mich seid ihr alle Spics.«

Ein Stein löste sich wieder irgendwo oben und polterte, eine kleine Geröll-Lawine auslösend, den Hang herunter.

»Der Berg ist heute Nacht sehr geräuschvoll«, bemerkte Brasada.

»Monte Ruidoso - Lärmender Berg«, übersetzte der Hilfssheriff. »Ihr Spics habt eine Vorliebe für solche Namen.«

Mit einer plötzlichen Handbewegung schlug der Hilfssheriff den Rand von Brasadas Sombrero zurück. Die Wirkung war erschreckend, fast unheimlich, als hätte jemand ein magisches Scheinwerferlicht auf das hagere, düstere Gesicht des Mannes namens Brasada gerichtet. Ein Augenpaar so grau und kühl wie eisiger Winterregen blickte, ohne zu blinzeln, in die Augen des Hilfssheriffs.

Irgendwo hoch auf dem Berghang heulte ein Coyote.

»Warum haben Sie den Körper und den Kopf des alten Mannes außer Sicht geschafft?«, fragte der Hilfssheriff.

Brasada zuckte mit den Schultern. »Ich wusste nicht genau, ob sich der Mörder des Alten noch irgendwo dort oben befand und mich beobachtete.«

»Und Sie wussten die ganze Zeit über, dass ich dort oben war, wie?«

Brasada nickte.

»Was haben Sie bei dem Toten gesucht?«

Brasada zuckte mit den Schultern. »Irgendetwas Wertvolles.«

Der Hilfssheriff lachte. »Bei Jubal Conn? Kannten Sie den alten Mann?«

»Schon seit Jahren.«

»Warum sind Sie hergekommen? Um ihn zu treffen?«

Brasada schüttelte den Kopf. »Das war Zufall. Ich habe die Wasserstelle gesucht.«

Der Hilfssheriff musterte Brasada mit kaltem Blick. »Vielleicht kennen Sie nicht die mit dem Berg verknüpfte Legende von Morden. In den vergangenen drei Jahren sind zwölf Männer auf die gleiche Art wie Jubal getötet worden. Er ist der dreizehnte.«

»Der Berg sucht also immer noch seine Opfer«, bemerkte Brasada.

»Das ist der Aberglaube eines Spic«, sagte der Hilfssheriff. Er legte den Kopf schief. »Vielleicht sind Sie kein Spic, aber Sie kleiden sich, denken und handeln wie einer.«

»Das ist nicht verboten«, sagte Brasada ruhig.

»Vielleicht war es das Werk eines Apachen«, vermutete der Hilfssheriff.

»Kaum. Kein Apache kann so gut schießen, und auch nur wenige Weiße können es.«

»Sie behaupten eine ganze Menge«, sagte der Hilfssheriff. »Können Sie mir Beweise zeigen, Mister?«

Brasada führte ihn den Hang hinter dem Wasserloch empor. Er deutete in eine flache, von Büschen getarnte Mulde, wo drei Eindrücke im weichen Treibsand zu sehen waren.

»Ellbogen, Knie und Zehen«, erklärte Brasada. Er schaute sich um. »Keine leere Patronenhülse. Wahrscheinlich zum Nachladen aufgehoben.« Er ging ein paar Schritte den Hang hinunter und hob einen mit Fett befleckten weißen Papierfetzen auf. »In Papier gewickelte Patrone«, fügte er hinzu. Er spähte den kleinen Hang zur tinaja und dem verglühenden Lagerfeuer hinab. »Ein Schuss bergab über sechshundert Meter mit der Nachmittagssonne in den Augen, und er hat den Kopf des alten Mannes im Zentrum getroffen.« Er hielt ihm die deformierte Patrone hin. »50er-Kaliber-Geschoss. Explosiv-Patrone. Schlägt als 50er-Kaliber ein und kommt viermal so groß heraus. Mörderisches Zeug.«

Der Hilfssheriff nickte. »Sehr gut. Aber warum?«

Brasada blickte hangaufwärts zu ihm hin. »Das Soledad-Silber«, antwortete er ruhig. »Es existiert eine Legende, wonach vor hundertfünfundzwanzig Jahren dreißig Tonnen reinen Silbers aus diesem verdammten, von Geistern heimgesuchten Felsmassiv gegraben, in Barren geschmolzen und versehen mit dem Siegel von Charles III., König von Spanien, und dem Kreuz der Pater hier irgendwo versteckt worden sein sollen. - Gott allein weiß, wo.«

Der Hilfssheriff nickte. »Sprechen Sie weiter«, sagte er.

»Die Pater wussten, dass sie aufgrund eines Erlasses von Charles innerhalb von vierundzwanzig Stunden aus der Neuen Welt ausgewiesen werden sollten. Und sie wussten auch, dass sie nichts weiter mitnehmen durften als ihre Kleidungsstücke, die sie am Körper trugen, eine Bibel, ein Brevier und ein Messbuch.«

»Und sie sollen den Schatz mit einem Fluch belastet haben, damit keiner ihn finden und lange genug weiterleben könnte, um darüber zu berichten«, fügte der Hilfssheriff hinzu. »Was uns wieder in die Gegenwart zurückführt. Irgendwer, vielleicht mehr als eine Person, hat es sich zur Aufgabe gemacht, zumindest in den letzten drei Jahren jeden mit Geschossen aus einem weitreichenden Gewehr zu ermorden, der etwas über das mögliche Versteck des Silbers erfahren hat oder dem Schatz wissentlich oder unwissentlich zu nahe kommt. In verschiedenen Fällen hat der Mörder dann den Kopf seines Opfers abgetrennt und ihn so auf einen Felsen gestellt, dass er zu dem Berg hinaufstarren kann, bis er den Coyoten als Mahlzeit dient.«

»Makaber«, murmelte Brasada. »Ein Wahnsinniger, der von einer fixen Idee besessen ist.«

Der Hilfssheriff blickte zu dem düsteren Berg empor. »Seltsam«, sagte er ruhig. »Der alte Jubal Conn hat rings um diesen Berg seit über zwanzig Jahren nach Erzen gesucht. Sogar die Apachen haben ihn in Frieden gelassen.«

»Sie dachten, er sei einer, »dessen Geist weit fortgegangen ist«, und der deshalb unter dem Schutz der Götter steht.«

Der Hilfssheriff schaute zur tinaja hinab. »Das bedeutet, er wusste irgendetwas; vielleicht hat er es erst neuerdings erfahren. Kurz und gut: Sein Mörder muss gewusst haben, dass Old Jubal jene bestimmte Entdeckung gemacht hat.«

»Gut kombiniert«, bestätigte Brasada.

»Damit kommen Sie ins Spiel.«

Brasada tastete nach Tabak und Zigarettenpapier.

Der Hilfssheriff spannte sein Gewehr. »Warum sind Sie heute Nacht wirklich hergekommen?«

Brasada drehte sich eine Zigarette. »Senken Sie das Gewehr«, sagte er.

Der Hilfssheriff musterte ihn scharf. »Entweder sind Sie ein ganz kaltblütiger Typ oder ein Idiot«, sagte er.

Brasada schob die Zigarette zwischen seine Lippen. »Wir werden von jemand oben auf dem Hang des Berges beobachtet.«

Der Hilfssheriff spähte den scheinbar leeren Hang empor. »Unsinn«, sagte er.

Brasada neigte den Kopf und zündete die Zigarette an. »Jetzt spielen Sie den Idioten. Gehen wir beide ruhig und wie alte Freunde zum Wasserloch hinunter, und verhalten Sie sich dabei ganz ruhig.« Er begann den Hang zur tinaja hinunterzugehen.

»Ich bin noch nicht mit Ihnen fertig!«, rief der Hilfssheriff.

Weit oben auf dem Hang heulte ein Coyote. Sein Schrei fand ein Echo bei einem anderen viel dichter beim Wasserloch. Dann wurde es wieder geisterhaft still.

Brasada grinste, als er den Sheriff hinter sich den Hang herunterkommen hörte. Er legte Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand zwischen die Zähne und stieß einen scharfen Pfiff aus. Einen Moment später tauchte der Schwarzbraune aus dem Eichengehölz auf und trottete zu Brasada herunter, der ihn ans Wasser führte.

»Warten Sie«, befahl der Hilfssheriff. Er durchsuchte die Satteltaschen. Flaschen klirrten gegeneinander.

»Trinken Sie einen Schluck«, lud Brasada ein. Der Hilfssheriff lüftete den Zipfel einer serape - einer mexikanischen Poncho-Decke -, die unter dem hinteren Sattelwulst befestigt war.

»Kein Weißer würde so etwas tragen«, sagte er.

Brasada lächelte. »Mexikaner tun es«, antwortete er.

Brasada führte sein Pferd zum Wasser, und der Hilfssheriff betrachtete ihn nachdenklich. »Ich frage Sie noch einmal«, sagte er, »warum sind Sie heute Nacht hergekommen?«

Brasada drehte sich um, und jetzt lächelte er nicht mehr. »Und jetzt frage ich Sie: Welche Befugnis haben Sie eigentlich, mich das zu fragen?«

»Verdammt, ich bin Hilfssheriff dieses Countys!«

Brasada zeigte Überraschung und schaute sich um. »Sind Sie das? Ist das hier Arizona oder Sonora? Wenn es Arizona ist, werde ich ihre Fragen beantworten. Falls es Sonora ist, beantworte ich sie nicht. So einfach liegt der Fall.«

Der Hilfssheriff blickte auf sein Gewehr hinab. »Vielleicht ist das meine Befugnis, Mister.« Er schaute zu Brasada hoch. »Was tun Sie eigentlich, Brasada?«

Brasada zuckte mit den Schultern. »Ich versuche, einen ehrlichen Peso zu verdienen, wann und wo ich kann.«

»Soll ich Ihnen sagen, wie?«

Brasada neigte mit höflicher Ironie den Kopf. »Bitte tun Sie das.«

Der Hilfssheriff musterte den Sombrero mit dem Silberband, den quer über die Brust geschlungenen Patronengurt, den verzierten Revolvergurt und den Halfter und schließlich das hagere braune Gesicht mit den grauen Augen und dem schwarzen, kurz gestutzten Schnurrbart mit den dünnen Spitzen. »Revolvermann, Legionär, bezahlter Revolutionär und Kopfgeldjäger.«

»Sie haben Skalpjäger vergessen«, sagte Brasada höflich.

»Vielen Dank, dass Sie mich daran erinnert haben.«

»Gern geschehen«, sagte Brasada.

Sie musterten einander so scharf und so hart wie zwei Messerkämpfer, die beim Gegner nach einer Schwäche suchen, bevor sie ernsthaft ihr blutiges Gemetzel beginnen.

»Falls Sie hier in der Gegend bleiben wollen«, sagte der Hilfssheriff, »dann machen Sie mich nicht zu Ihrem Feind, Brasada.«

»Ich habe mir keinen Feind gemacht, den ich nicht schon vom ersten Moment der Begegnung hatte«, antwortete Brasada.

»Soll es zwischen uns so sein?«

Brasada zuckte mit den Schultern.

»Ihnen ist es eigentlich gleichgültig, ob so oder so, nicht wahr?«

Brasada schüttelte den Kopf.

Wieder durchbrach der bellende Schrei eines Coyoten die gespannte Stille, und als der Ruf in einem langgezogenen Heulton erstarb, begannen ein zweiter und dann ein dritter Coyote, jeder aus einer anderen Richtung zu heulen.

»Sie sind heute in guter Gesellschaft, Brasada«, meinte der Hilfssheriff spöttisch. »Ihre vierbeinigen Artgenossen sind zahlreich versammelt, um Sie zu begrüßen.«

Brasada spähte immer noch den Hang empor. »Das sind keine Coyoten, Mister.«

 

 

 

 

 

 

  3.

 

 

 

Brasada schleppte den kopflosen Leichnam zu einem schmalen Felsspalt und schob ihn hinein. Dann trug er auch den Kopf zu dem Felsspalt. Etwas fiel aus dem dick verfilzten grauen Haar und blieb auf der Brust der Leiche liegen. Brasada fügte den Kopf an den Körper und legte seine Hand auf den Gegenstand, der aus dem Versteck im Haarschopf des Toten gefallen war. Es war eine Rolle von etwa einem Zoll Durchmesser und drei Zoll Länge und fühlte sich an wie dickes Papier oder dünnes Pergament.

Brasada richtete sich auf und stieß Steine und loses Geröll in den Spalt, bis die Leiche ganz bedeckt war.

Hoch über dem Geröllhang des Berges gab es einen scharf splitternden Laut, und Brasada sprang zur Seite, warf sich hin und wälzte sich weiter und weiter, bis er im Schutz der Felsen am Wasserloch war.

Ein Felsbrocken von der Größe eines Fasses prallte auf dem harten Boden auf, wo Brasada eben noch gestanden hatte. Steinsplitter flogen in alle Richtungen, und einer davon traf auf Brasadas linken Wangenknochen wie eine scharfe Dolchspitze.

Es war wieder still. Langsam hob Brasada die Hand und fühlte, wie das Blut aus seiner Wange rann. Er spähte zum Berg empor. Nichts bewegte sich. Sein Blick streifte seine blutigen Fingerspitzen. Ein gespenstisches Gefühl von Unruhe wehte wie ein kalter Windstoß durch sein Inneres.

Hoch auf dem Geröllhang über der tinaja lag vor der Steilwand des Berggipfels ein Mann reglos da und hielt den Atem an. Er hatte sein gesundes Auge geschlossen, und kalter Schweiß rann über sein Gesicht. Mutter Gottes, dachte er.

Er konnte es nicht über sich bringen, zu den lautlos sich bewegenden Gestalten hinzuschauen, die nicht weiter als fünfzehn Meter von ihm entfernt vorbeigingen. Woher die Chiricahuas gekommen waren, wusste er nicht. Sie schienen direkt aus dem Felsen gewachsen zu sein und bewegten sich außer Sicht von dem einsamen Mann dort unten am Wasserloch lautlos den Hang empor.

Ignaçio Einauge fand endlich den Mut, sein gesundes Auge zu öffnen. Die Chiricahuas waren fort. Er wischte sich den kalten und fettigen Schweiß von der Stirn. Dann griff er wieder nach dem alten Fernglas, das er aus der Ausrüstung eines ermordeten rurale - eines mexikanischen Grenzpolizisten - gestohlen hatte, und spähte zu dem Mann an der tinaja hinunter. Der Fremde dort unten bewegte sich wie eine Raubkatze oder wie ein Yaqui-Indianer. Der letzte Gedanke war sehr beunruhigend für Ignaçio Einauge. Er hatte gesehen, wie der Fremde den alten Jubal Conn beerdigt hatte. »In zwei Stücken«, hatte Ignaçio furchtsam vor sich hin geflüstert. Es war wieder der Berg. Dessen war Ignaçio sicher.

 

Brasada tauchte eine seiner großen Feldflaschen in das abgestandene Wasser der tinaja. Nachdem er die Feldflasche gefüllt hatte, setzte er sich im Schutz der Felsbrocken hin und musterte seinen Fund. Es war Banknotenpapier - ähnlich dem, das er nahe bei der Stelle gefunden hatte, von der aus der Gewehrschütze Jubal getötet hatte. Das blutbefleckte Papier war mit Schriftzeichen und seltsamen Symbolen bedeckt. Brasada zuckte mit den Schultern. Er blickte zu dem Grab von Jubal Conn hinüber. »Musstest du wegen diesem Stück Papier sterben, Alter?«, fragte er sanft. Er führte sein Pferd oben an dem Eichengehölz vorbei und eine Senke entlang, die Schutz gegen Sicht von den Geröllhängen her bot. Vierhundert Meter von dem Wasserloch entfernt fand er einen Haufen Pferdemist. Mit einem Finger prüfte er Wärme, Inhalt und Feuchtigkeit eines Pferdeapfels. Dann

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Gordon D. Shirreffs/Apex-Verlag. Copyright des Essays by Dr. Karl-Jürgen Roth.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Zasu Menil.
Übersetzung: Werner Gronwald und Christian Dörge (OT: Brasada).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 21.05.2018
ISBN: 978-3-7438-6940-0

Alle Rechte vorbehalten

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