JEFFREY A. CARVER
Am Ende der Ewigkeit
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
Der Autor
AM ENDE DER EWIGKEIT
Danksagung
ERSTER TEIL
Prolog: Das Gespensterschiff
Kapitel 1: Flucht aus der Gesellschaft
Kapitel 2: Die Untersuchung
Kapitel 3: Harriet Mahoney
Kapitel 4: Waffenbrüder
Kapitel 5: Harriets Methode
Kapitel 6: Historische Wahrheiten
Kapitel 7: Der Fandrang-Report
Kapitel 8: Noch mehr Wahrheiten
Kapitel 9: Auf zu den Asteroiden
Kapitel 10: El'ken, der Historiker
Kapitel 11: Entscheidungen
Kapitel 12: Das Missionszentrum der Narseil
Kapitel 13: Es geht los
ZWEITER TEIL
Prolog: Piratenpatrouille: Freem'n Deutsch
Kapitel 14: Die Suche der Piraten
Kapitel 15: Gefangen!
Kapitel 16: Aus der Asche
Kapitel 17: Faber Eridani
Kapitel 18: Begegnungen
Kapitel 19: Ins Herz der Finsternis
Kapitel 20: Überfall!
Kapitel 21: Das Cyber-Gesetz
Kapitel 22: Außenposten Ivan
Kapitel 23: Die Wächter
Kapitel 24: Wiedersehen
Kapitel 25: Yankee-Zulu/Ivan
DRITTER TEIL
Prolog: Impris
Kapitel 26: Faber Eridani: Harriet
Kapitel 27: Auf der Suche nach der Impris
Kapitel 28: Gespensterjagd
Kapitel 29: Der Fliegende Holländer
Kapitel 30: Das Gespensterschiff
Kapitel 31: Splitter in der Zeit
Kapitel 32: Mit vollen Segeln durch den Quantenriss
Kapitel 33: Gejagt
VIERTER TEIL
Prolog: Erwachen
Kapitel 34: Die Zentristen-Connection
Kapitel 35: Maris
Kapitel 36: Rückkehr nach Ivan
Kapitel 37: Abschließende Analyse
Kapitel 38: Der Gang an die Öffentlichkeit
Kapitel 39: Rückkehr nach Faber Eridani
Kapitel 40: Machtspiele
Kapitel 41: Wieder vereint
Kapitel 42: Ein neuer Anfang
Das Buch
Seit Jahrzehnten ist das riesige Sternenschiff Impris mit fünfhundert Passagieren an Bord in einer bisher unerforschten Region der Galaxis verschollen. Jeder Suchtrupp kehrte ergebnislos zurück. Doch als der Sternenrigger Renwald Legroeder eines Tages mit seinem Geist die mehrdimensionalen Strukturen des Hyperraums durchstreift, macht er eine unfassbare Entdeckung: Die Impris und ihre Besatzung sind dort in einer Zeitschleife gefangen. Wer oder was steckt dahinter?
Mit seinem eigenen Schiff unternimmt Legroeder einen gewagten Rettungsversuch.
Und das größte Abenteuer des Universums beginnt...
»Bis ans Ende der Ewigkeit und zurück – Jeffrey A. Carver nimmt seine Leser auf eine Reise mit, wie es sie noch nicht gegeben hat. Dieser Roman ist zweifellos eines der großen Science-Fiction-Werke unserer Zeit.«
- Analog
»Ein Buch voller Wunder! Zusammen mit Peter Hamilton und Alastair Reynolds setzt Carver die große Tradition von Robert A. Heinlein und Isaac Asimov fort.«
- SF Chronicle
Der Autor
Jeffrey A. Carver, Jahrgang 1949.
Jeffrey Allan Carver ist ein US-amerikanischer Science-Fiction-Autor. Zu seinen bevorzugten Themen gehören nach seiner eigenen Aussage Weltraumreisen, Kontakt mit Außerirdischen, künstliche Intelligenz, transzendente Wirklichkeiten und die moralischen, ethischen und spirituellen Implikationen dieser Möglichkeiten.
Zu seinen bekanntesten Werken zählen die Chaos-Chroniken, die unter anderem von einer fremden Spezies – den Quarx – handeln, die seit Äonen die unterschiedlichsten Welten vor Katastrophen beschützen, indem sie auf geniale Weise die Prinzipien der Chaos-Theorie anwenden. Bislang sind drei Chaos-Romane erschienen: Neptun kann warten (2003 – engl. Neptune Crossing, 1994), Das Weltenschiff (2003 – engl. Strange Attractors, 1995) und Die leuchtende Stadt (2004 – engl. The Infinite Sea, 1995).
Darüber hinaus erschienen von Jeffrey A. Carver in deutscher Sprache die Einzelromane Tachyon (1990 – engl. The Infinty Link, 1984) und Die Waffe der Begeisterung (1991 – engl. The Rapture Effect, 1987) sowie die Romanfassung der 2005er Mini-Serie Battlestar Galactica (engl. Battlestar Galactica).
Sein Roman Am Ende der Ewigkeit (2003 – engl. Eternity's End, 2000) wurde im Jahr 2001 für den Nebula-Award nominiert und zählt – wie auch der Roman Im Hyperraum (2005 – engl. Panglor, 1979, und Dragons In The Stars, 1992) – zum sogenannten Star Rigger-Universum.
Im Jahre 1995 entwickelte und veranstaltete er die Pädagogische Fernsehserie Science Fiction & Fantasy Writing - eine interaktive Live-Sendung aus Klassenräumen überall in den ganzen USA, die aktuell online verfügbar ist.
Jeffrey A. Carver lebt und arbeitete heute in der Gegend um Boston.
AM ENDE DER EWIGKEIT
Dieses Buch widme ich in Liebe meiner Familie –
Allysen, Alexandra und Julia
Danksagung
An diesem Buch schrieb ich vier Jahre lang, eine Ewigkeit, wie es schien; ein unmögliches Unterfangen. Denen, die mir bei der Entstehung dieses Werkes halfen, schulde ich mehr als das übliche Dankeswort, das sei hiermit öffentlich festgestellt.
Normalerweise erwähnt man in diesem Zusammenhang die eigene Familie am Schluss, aber ich möchte mit dieser Konvention brechen und mich in erster Linie bei meiner Frau Allysen bedanken, ohne deren liebevolle Unterstützung dieses Buch nie zustande gekommen wäre. Dafür und für vieles mehr spreche ich ihr meinen Dank aus. Und begeistertere Fans als meine beiden Töchter kann sich kein Schriftsteller wünschen. Sie verbrachten beinahe so viel Zeit in meinem Arbeitszimmer wie ich, und vermutlich haben sie keine Ahnung, wie sehr mich ihre ständige Anwesenheit inspirierte. (Anmerkung an A. und J.: Ich hoffe, ihr werdet noch viele weitere Jahre über meine Schulter spähen und fragen: »Bist du bald fertig, Daddy?«) Ich danke auch meinem Bruder, Charles S. Carver; er weiß schon, wofür. (Anmerkung: Falls Sie sich mit Personal-, Sozial- oder klinischer Psychologie beschäftigen, kennen Sie vielleicht seine Bücher.)
Als Nächstes danke ich meiner unerschrockenen Autorengruppe, die seit nunmehr zwanzig Jahren existiert! Mary Aldridge, Richard Bowker, Craig Gardner, Victoria Bolles. Dreimal - und mehr! - lasen sie dieses Buch in all seinen unausgegorenen Stadien. Sie halfen mir beim Entwirren etlicher verschlungener Handlungsstränge und beim Ausfeilen der Charaktere; zudem markierten sie die unverständlichen Stellen, damit Sie es nicht zu tun brauchen. Die Fehler und Ungereimtheiten, die sich noch in diesem Buch befinden, gehen einzig und allein auf mein Konto.
Etwaige Unstimmigkeiten dürfen Sie auch nicht meinem Freund und Herausgeber Jim Frenkel anlasten, der langmütig wartete, derweil ich schrieb und immer wieder Änderungen am Text vornahm. Danke, Jim - nicht nur für deine Toleranz, sondern auch dafür, dass du das endgültige Redigieren übernahmst. Und wenn ich schon mal dabei bin, möchte ich mich auch bei Tom Doherty und der Belegschaft von Tor Books bedanken, nicht zuletzt bei meinem Agenten Richard Curtis, die mir ausreichend Zeit ließen, damit ich dieses Buch nicht nur in Ruhe zu Ende schreiben durfte, sondern auch eine ordentliche Arbeit abliefern konnte.
Ein ganz besonderer Dank gebührt Freeman Deutsch und Noel Friedman für ihre großzügigen Beiträge zu den Big Sisters Auktionen. Ich hoffe, ihr freut euch, wenn ihr eure Namen im Roman wiederfindet.
Und zu guter Letzt danke ich Ihnen, meinen Lesern. Ein paar von Ihnen sind neu hinzugekommen; einige warten schon seeehr lange auf dieses Buch. Manche haben mir in den CompuServe und SFF Net Foren geholfen, einen Titel zu finden. Nun, da ist er, und willkommen an Bord! Danke für Ihre Ausdauer, für all die Briefe und E-Mails, die mich zum Durchhalten ermutigten. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viel mir diese Anteilnahme bedeutete.
Viel Spaß beim Lesen.
ERSTER TEIL
»Die Zeit ist das bewegte Abbild der Ewigkeit.«
- Plato
»They who see the Flying Dutchman never, never reach the shore.«
- John Boyle O'Reilly
Prolog: Das Gespensterschiff
Bänder aus Licht schienen sich wie in Zeitlupe durch die Korridore des Sternenschiffs zu winden.
Die Passagiere und die Crew bewegten sich in lang gezogenen, schwerfälligen Wellen, wenn sie durch das Schiff krochen, um den alltäglichen Beschäftigungen des Lebens nachzugehen - wenn man diese Existenz noch als Leben bezeichnen konnte.
Die Passagiere atmeten, aßen und schliefen; es gab sogar eine gewisse Geselligkeit. Die Crew übte ihre Pflichten aus, kümmerte sich um die Bedürfnisse der Passagiere, reparierte Maschinen und pflegte die behelfsmäßigen hydroponischen Gärten, die die Nahrung für die über fünfhundert Menschen an Bord erzeugten. Auf der Brücke suchten die Rigger nach einem Weg, der das Schiff heimwärts führte; während sie angestrengt in die verwirrenden Nebelschwaden des Flux spähten, fragten sie sich, was, im Namen der Schöpfung, schief gelaufen war. Ihr Dasein bestand aus Langeweile und Bestürzung, ein Zustand, der nur äußerst selten unterbrochen wurde von einer Herzklopfen verursachenden Erregung, wenn sie ein anderes Schiff sichteten... Darauf folgte unweigerlich tiefste Verzweiflung, weil ihre Bemühungen, Kontakt aufzunehmen, stets misslangen.
Es war ein seltsamer und erschreckender Schwebezustand, in dem das Sternenschiff dahindriftete, gefangen in einer rätselhaften Schicht des Flux, außerhalb der »normalen« Regionen des Flux - wobei festzustehen schien, dass es niemals wieder mit seinem Ursprungsuniversum Verbindung aufnehmen konnte. Der Strom der Zeit hatte aufgehört, in einer rationalen oder verständlichen Weise zu fließen. In launischen Wellen rann die Zeit durch das Schiff, und ein zugiger Wind fuhr seufzend durch unsichtbare Spalten in den Mauern der Ewigkeit.
Unter den Passagieren befand sich das Ehepaar Jones, das zwei Tage nach dem Abflug des Schiffs geheiratet hatte. Nun verbrachten sie ihre Zeit, indem sie einander umarmten - doch nicht, wie erwartet, die Wonnen der Liebe genießend, sondern verzweifelt und in ihre Kabine eingekapselt, in der die Zeit durch einen bizarren Trick des Schicksals noch zäher dahinschlich als im übrigen Schiff. Während sie sich in einem stasisähnlichen Zustand umschlungen hielten, gab ihnen das Gefühl körperlicher Nähe zwar keine Hoffnung, jedoch einen gewissen kummervollen Trost.
Ein Deck tiefer, in der Lounge, spielten zwei alte Männer immer noch dieselbe Schachpartie, die sie irgendwann einmal vor vielen Jahren begonnen hatten. Waren sie jemals davon aufgestanden, um zu essen oder zu schlafen? Niemand vermochte sich so recht zu erinnern. Der Captain des Schiffs schien stets in der Nähe zu sein, seine Bewegungen waren schneller als die der Schachspieler, obwohl er keinerlei Spuren von Alterung aufwies. Die Korridore auf und ab stapfend, führte er gemurmelte Selbstgespräche wie ein gepeinigter Ahab der Sterne.
Und in seiner eigenen Kabine starrte der Schneider zum tausendsten Mal auf Nadel und Faden, als hätte er beides soeben erst in seiner Hand entdeckt. In gespenstischer Langsamkeit vollführte er seine Arbeit; ihm war zumute, als sei sein Leben in sich verhärtendem Bernstein eingeschmolzen. Er begriff nicht, was passierte, und hatte seit langem aufgegeben, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Dennoch kreisten selbst beim Nähen seine Gedanken um seine Schwester und ihre Familie. Zu ihrem Heimatplaneten war er unterwegs gewesen, und diese Welt lag nun unerreichbar jenseits des doppelten Abgrundes aus Zeit und Raum. Er hatte die Hoffnung aufgegeben, seine Verwandten je wieder zu sehen, doch er kam nicht umhin sich zu fragen, wie viel Zeit mittlerweile da draußen vergangen war, und ob von den Personen, die er früher gekannt hatte, noch jemand lebte.
Mit einem gedehnten Seufzer zog der Schneider die glänzende Nadel durch die Schulternaht des Jacketts, das er gerade änderte. Die Naht teilte sich und stieß einen Zentimeter weiter nach rechts wieder zusammen. Ein halbes Leben lang begutachtete der Schneider sein Werk... um dann, mit größter Bedächtigkeit, den nächsten Nadelstich einzuleiten.
Kapitel 1: Flucht aus der Gesellschaft
Renwald Legroeders Blicke huschten hektisch hin und her auf der Suche nach anderen Fluggeräten, derweil er das Scoutschiff von den Raumdocks wegsteuerte. Sein Herz hämmerte vor Furcht. Noch war kein Alarm ausgelöst worden, Gott sei Dank; doch wie lange mochte die Ruhe dauern? Der Fluxreaktor des Scoutschiffs summte, eingeschaltet und startbereit. Auf sein Kommando hin würde sich das Rigger-Netz aufladen; doch zuerst musste er den Außenposten hinter sich lassen.
Achtern türmte sich die Piratenfestung wie eine bedrohliche Gebirgswand auf, als er mit dem winzigen Schiff ablegte. Die gigantische, bösartige Konstruktion der Raumdocks versperrte ihm größtenteils die Sicht auf den Great Barrier Nebel, der sich hinter ihm durch die Leere des Alls erstreckte. Er fühlte sich schrecklich allein.
Er schaltete das Intercom ein. »Maris - wenn du mich hören kannst, wir sind von den Docks weg!« Sie konnte nicht antworten, ihn vermutlich nicht einmal hören. Außer ihm befand sich nur noch Maris an Bord - sie hatte als Einzige den Mut besessen, mit ihm zu fliehen.
Mut - oder Wahnsinn? Lass dich nicht ablenken. Ich muss an meinen Platz...
Er stemmte sich aus dem Pilotensitz und kletterte in die Rigger-Station; mit einem heftigen Ruck zerrte er die an der Decke angebrachten sekundären Steuerkontrollen in die richtige Position. Behutsam stahl sich das Scoutschiff durch den Abflugsbereich; er wagte es nicht, das Tempo zu erhöhen. Nur keine Aufmerksamkeit erregen.
Hatte man sie schon entdeckt?
Sie hatten nur dann eine Chance, wenn sie unbemerkt blieben. Jedes einzelne Schiff von dem Dutzend, das die Piratenflotte ausmachte, konnte ihn im Nu zerstören. Gleich außerhalb der Andockzone flitzte er mit mehr Schub auf die innere Marke zu. Vorsichtig! Am liebsten wäre er mit voller Kraft losgedüst... einfach davongesprintet... Nur die Ruhe bewahren, das übliche Flugmuster beibehalten, damit ja keiner misstrauisch wird...
Seit der Schießerei mit den Wachen in den Wartungsdocks waren ungefähr zehn Minuten verstrichen. Es musste ein Wunder geschehen, wenn sie lebend aus dieser Gegend des Weltalls und aus der Gefangenschaft der Piraten entkommen wollten.
Vielleicht war Maris jetzt schon tot. Er riskierte einen Blick, indem er einen Monitor in der Krankenstation einschaltete. Maris lag in der Medi-Zelle, die Augen geschlossen, die Arme auf der Brust verschränkt. Neutraser-Verbrennungen verliefen über ihren Hals und die Schulter. Auf dem Bildschirm flimmerten Signale ihrer Lebenszeichen... akuter Schock, neurales Versagen steht kurz bevor... Er hatte das Dämpfungsfeld aktiviert; mehr konnte er nicht tun.
Aus der Komm-Einheit schmetterte ein Befehl und riss ihn aus seinen Betrachtungen, »SCOUT-SECHS-NEUNER-SIEBEN. VERIFIZIEREN SIE IHRE STARTFREIGABE.«
Er hielt die Luft an, als er die Lautstärke herunterdrehte. Zögernd schaltete er das Mikrofon ein, derweil die Abflugkontrolle durch das statische Rauschen die Anfrage wiederholte. Jede Sekunde brachte ihn ein wenig weiter weg. Vielleicht konnte er noch mehr Zeit herausschinden, indem er Verwirrung stiftete.
Er atmete tief durch. »Abflugkontrolle, Scout Sechs-Neuner-Sieben, dies ist ein Rettungseinsatz Bravo Elf Alfa. Halten Sie mich bitte nicht auf - ich antworte auf einen Notruf aus Sektor...«
Achtern explodierte ein greller Blitz, und er verstummte mitten im Satz. In der zentralen Dockregion flammte eine Reihe von Lichtern auf, und mindestens ein großes Schiff legte ab. Um die Verfolgung aufzunehmen? Hastig führte er einen Scan durch. An drei taktisch relevanten Positionen wurden Waffenphalangen gefechtsbereit gemacht.
»SCOUT-SECHS-NEUNER-SIEBEN, KEHREN SIE SOFORT UM. VON EINEM RETTUNGSEINSATZ IST HIER NICHTS BEKANNT. SCHALTEN SIE IHRE MOTOREN AB! BEREITEN SIE SICH FÜR EINE INSPEKTION VOR! ICH WIEDERHOLE...«
Legroeder fluchte, schloss kurz die Augen und zündete die Fusionstriebwerke.
Das Scoutschiff schoss an den Merkbojen vorbei und sauste quer über Flugschneisen hinweg, einen Plasmaschweif hinter sich herziehend. Bug- und Achterscan... Die Waffenbänke der Station eröffneten das Feuer; Neutraser-Entladungen blühten glitzernd vor dem schwarzen Hintergrund des Universums auf. Er vollführte einen Schwenk, der ihn weit aus der Abflugschneise fortbrachte, und schlug eine Richtung ein, in der sie ihn am wenigsten vermuteten. Stattdessen steuerte er das Eindämmungsfeld an, das den Flugkanal sicherte, pure Energie und räumliche Verzerrungen. Ein Neutraser-Strahl flackerte über seinen Bildschirm.
Halt dich gut fest, Maris!
Eine weitere Neutraser-Salve traf seinen Backbord-Sensor und blendete ihn vorübergehend. Er steuerte nach links, dann ging er in einen Sturzflug und drehte nach rechts ab. Das Schiff taumelte, als es gegen das Schutzfeld prallte. Die Hülle bebte heftig, und beinahe verlor er die Kontrolle. Dann hatte er das Feld passiert und befand sich in der Todeszone, die die Abflugkorridore umgab.
Plasmawolken wirbelten über den Bug. Dieser Ort hieß nicht ohne Grund so. Die Raumverzerrungen machten ein Hindurchmanövrieren fast unmöglich. Aber - wenn er es schaffte - hätte er seine Verfolger abgeschüttelt.
Eine Neutraser-Entladung durchdrang das Feld und umkreiste gespenstisch das Schiff. Sein Bildschirm und die Konsole glühten im Elmsfeuer. Er konnte nicht länger warten. Entschlossen schaltete er die Steuerkontrollen ab, holte tief Luft und schloss die Augen. Auf sein stummes Kommando hin blähte sich das Rigger-Netz hinaus in den Raum, ein schimmerndes sensorisches Gespinst. Aus der Komm-Einheit schnappte er ein paar Wortfetzen auf. »...In die Zone abgetaucht... muss total verrückt sein...!«
Alsdann streckte er die Arme in das Netz, spreizte sie ab wie Tragflächen an einem Flugzeug und ging mit dem Schiff in eine Kurve, die ihn aus dem Hexenkessel des Normalraums hinaus und in das Chaos des Flux hinein führte.
*
Der Flux der Sternen-Rigger: eine Sphäre mit einer hohen Anzahl von Dimensionen, in der sich Wirklichkeit und Phantasie auf sonderbare Weise vermischten und Seelenlandschaften mit der realen Stofflichkeit des Raums Verbindungen eingingen. Und der Raum selbst befand sich in ständigem Fluss und Bewegung. Hier vermochte ein Rigger mit einem einzigen Sprung Lichtjahre zu überbrücken, doch genauso schnell konnte er in den Tod stürzen.
Legroeder flog durch einen Gewittersturm; Scherwinde und Blitze attackierten das Schiff. Seine Sinne erstreckten sich durch das Netz in den Flux, wie wenn sein Kopf und Torso den Bugspriet des Schiffs verkörperten. Seine Arme umfingen den Sturm, während verwirbelte Nebelschwaden durch seine Finger strömten. In seiner Phantasie erzeugte er das einzige Bild, das ihm einfiel: ein Flugzeug mit Flossenstummeln, das sich durch Kumulonimbus-Wolken kämpfte und sich hartnäckig weigerte aufzugeben.
Verbissen pflügte sich das Schiff voran. Es war schwer, in diesen Turbulenzen den Kurs zu halten, doch er musste es schaffen, wenn er die Todeszone durchqueren wollte. Überall hatten die Piraten Minen ausgestreut, ein im Grunde überflüssiges Unterfangen; diese Gegend war ein natürliches Minenfeld. Alles war verzerrt und verdreht, angefangen vom Normalraum bis zum Flux. Ein fragmentarisches Überbleibsel eines urtümlichen Gewaltausbruchs der Schöpfung; der ideale Schlupfwinkel für Piraten. Nur ein Irrer würde das versuchen, was Legroeder gerade tat...
Er meisterte eine Anwandlung von Panik, während Scherwinde ihn hin und her schleuderten. Wieso hatte er geglaubt, er könnte diese Herausforderung bewältigen? Es ist unmöglich!
Sowie ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoss, verschlimmerten sich die Turbulenzen. Er kannte den Grund und bemühte sich, die Selbstbeherrschung wiederzufinden. Sein Gemütszustand vermochte den Flux auf fatale Weise zu beeinflussen; er durfte sich keine Angst oder Hysterie erlauben.
Ruhig bleiben!
Er atmete langsam und tief durch und trachtete danach, das Bild von neuem zu erzeugen. Ich muss das Schiff fliegen. Was auch geschehen mag, alles ist besser, als bei den Piraten zu sein.
Was lag noch vor ihnen? Minen. Tückische Untiefen. Schiffswracks. Aber wo? Wechsle das Bild: mach es transparent. Leichter gesagt als getan. Die Energieströme, die sich vor ihm zu Strudeln verdichteten, erschwerten eine Umorientierung. Er blinzelte einmal, um den Kontrast zu verstärken, und nun gewahrte er in der Ferne dunkle Flecken, die sich gegen die glühenden Sturmwirbel abhoben. Verlassene Schiffe? Er konnte es nicht erkennen.
Wumm!
An Backbord breitete sich ein weißer Glast aus. Eine Mine explodierte. Er vollführte eine harte Wende, um das Schiff zu retten. Sein Herz raste. Die Explosion hatte eine Schneise durch den Sturm gerissen, ein schattiger Tunnel streckte sich durch die Wolken. Ein Durchlass? Bald würde sich die Lücke wieder schließen. Er flog eine Schleife und scannte nach Verfolgern. Nichts. Vielleicht hielten sie ihn für tot. Los jetzt – los! Die Strömungen waren gefährlich; er musste mit den Armen rudern, um das Schiff hindurchzubringen.
Als er das Schiff in eine Kurve brachte und in den Tunnel hineinfädelte, schienen die Windverhältnisse günstig zu sein - doch sogleich bemerkte er seinen Irrtum. Eine Falle. Er wendete und flog zurück in die Strömung. Jetzt war der Sog zu stark - er zog ihn in die Passage. Fluchend ließ er die Fusionstriebwerke an - im Flux ein riskantes Manöver! - und erhöhte den Schub, bis er an der Öffnung vorbeisauste. In diesem Augenblick schnürte sich die Passage zusammen, um gleich darauf einen gewaltigen Feuerstoß auszurülpsen. Die Druckwelle traf auf die Kante seiner Tragfläche und schleuderte ihn kopfüber.
Rings um ihn her quirlten und stoben die Wolken. Nachdem er das Schiff stabilisieren konnte, hatte er völlig die Orientierung verloren. Er spürte, wie er in Panik geriet.
Dann hörte er in seinem Kopf eine leise, ferne Stimme. Du musst deinen ruhenden Pol wiederfinden... gelassen bleiben. Legroeder, du schaffst es. Immerhin warst du mein Lehrer, oder?
Sein Herz setzte ein paar Takte aus, als er die Stimme erkannte; es war sein alter Schiffskamerad Gev Carlyle, und er klang so deutlich, als stünde er hinter ihm und peilte über seine Schulter. Den ruhenden Pol in sich selbst finden... gelassen bleiben... wie oft hatte er diese Ermahnungen ausgesprochen, als der junge Carlyle gegen seine Ängste und Instinkte anzukämpfen versuchte.
Den ruhenden Pol finden...
Das Schiff tanzte und schlingerte durch die Sturmwolken wie ein Holzstück auf einer wütenden See. Abermals schöpfte er tief Atem und richtete seine Gedanken nach innen. Nachdem er seinen Geist auf einen einzigen Punkt konzentriert hatte, öffnete er sich wieder nach außen - und für einen kurzen Moment verdünnten sich die Wolken zu einer leuchtenden, transparenten Schicht. Noch einmal holte er Luft. Sich konzentrieren, läutern... auf die Intuition warten...
Einen Augenblick lang glaubte er, die körperliche Anwesenheit seines alten Freundes zu spüren. Das Gefühl war so übermächtig, dass es seine Angst noch ein bisschen mehr dämpfte, und sofort nahmen die Sturmwolken eine hellere Färbung an. Durch die Mäander und Wirbel der hastig dahinfließenden Strömungen entdeckte er einen Weg: im Flux erschien eine Falte, und eine Strömung glitt mittendurch...
*
Die Flucht ging so schnell, dass Legroeder kaum Zeit zum Nachdenken fand. Sieben Jahre lang, seit seiner Gefangennahme, hatte er auf diese Chance gelauert. Aber die Bewachung war zu streng, die Festung uneinnehmbar und Lichtjahre von jeder bewohnten Gegend entfernt. Noch nie war jemand lebend von hier entkommen; so hieß es jedenfalls. Alle sagten es; alle glaubten es. Ein paar hatten einen Ausbruch versucht: jetzt waren sie tot oder wurden in abgeschiedenen Verliesen gefoltert.
Und dennoch... selbst wenn er als Pilot ihre Piratenschiffe flog und nichts ahnenden Schiffen in der Wildnis des Golen Space auflauerte, selbst als er für die Korsaren gearbeitet hatte, um am Leben zu bleiben, ließ seine Aufmerksamkeit niemals nach; unentwegt heckte er Pläne aus, bereit, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu fliehen.
Er wagte es nicht, die anderen Gefangenen in sein Vertrauen zu ziehen. Doch er spürte, dass Maris genauso dachte wie er. Ihm war es bei den Piraten schlecht ergangen, doch ihr Los war noch entsetzlicher. Ihn hatte man wenigstens nicht vergewaltigt und missbraucht, als man ihn zwang, sich den Freibeutern anzuschließen. Maris war eine hartgesottene Frauensperson, und sie hatte eine Stinkwut im Bauch. Er betrachtete sie als eine Freundin, die er noch nicht gut genug kannte.
Als sich dann endlich die Möglichkeit zur Flucht ergab, musste er binnen Sekunden eine Entscheidung treffen. Sie kamen gerade von Wartungsarbeiten an einem Schiff in den Außendocks zurück - Jolly, Lumo, Maris und Legroeder - als ein Flux- Kondensator in der Hauptandockrampe explodierte und eine Fontäne brennenden Plasmas ausspie. Zwei Wachen, die von dem Strahl getroffen wurden, stürzten zu Boden. Mehrere andere Arbeiter halfen, die Verletzten zu bergen und ließen zwei Aufpasser für vier Gefangene zurück. Durch den Dunstschleier des ausströmenden Plasmas erspähte Legroeder unter einer Konsole eine Faustfeuerwaffe, die jemand aus der Hand gefallen war. Er sah Maris an, die erstarrte, als sie die Waffe auch entdeckte.
Legroeder dachte fieberhaft nach. Die übrigen Wachen waren mit dem Plasmaleck beschäftigt, und hinter Legroeder und den anderen Gefangenen, lediglich einen kurzen Korridor hinunter, lag angedockt ein kleines Schiff mit geöffneten Luftschleusen. Seine Crew hatte es gerade durchgecheckt; es war abflugbereit.
Maris und er schauten sich an; beide entfernten sich verstohlen von der Stelle, wo die Wachen brüllend herumfuhrwerkten und versuchten, die Plasmaentladung zu stoppen. Maris zuckte die Achseln; Legroeder fasste die Geste als Frage auf. Er deutete ein Nicken an. Er fasste Jolly und Lumo ins Auge, die ein wenig abseits herumlungerten und den Plasmastrom beobachteten.
Keiner von beiden wäre eine Hilfe. Als er wieder zu Maris hinsah, pirschte sie sich vorsichtig an die Waffe heran.
Schließlich fiel es einem der Bewacher auf. »Heh, was machst du da?«, schrie er und riss sein Neutraser-Gewehr von der Schulter. Die Plasmawolke behinderte seine Sicht, doch ein Schuss würde hindurchgehen.
Legroeder stieß einen Warnschrei aus.
Maris bückte sich nach der Waffe.
Eine Neutraser-Salve krachte. Maris schrie vor Schmerzen und taumelte verwundet zurück. Trotz ihrer Verletzung erwiderte sie das Feuer; in geduckter Haltung schoss sie dreimal. Ein schrilles Kreischen verriet Legroeder, dass sie einen der Aufseher getroffen hatte. Sie ließ die Waffe fallen und wankte.
Legroeder hob die Waffe auf und packte Maris beim Arm. Der zweite Wächter huschte an dem versiegenden Plasmastrahl vorbei. Legroeder zielte und drückte ab. Aus der Mündung fauchte ein Blitz: der Wachmann torkelte rückwärts. Jolly und Lumo pressten sich gegen die Wand, verblüfft und sprachlos. »Kommt ihr mit uns?«, brüllte Legroeder.
Jolly schüttelte den Kopf. Lumo war starr vor Schreck.
Legroeder tippte hastig ein paar Befehle in das Komm-Panel der Wachen. »Wagt ja nicht, uns aufzuhalten!«
Jolly nickte verängstigt.
»Dann mal los!«, knurrte Legroeder und versuchte, Maris mit seiner Schulter zu stützen.
»Okay«, keuchte sie. »Dann mal los!« Ihr Gesicht war schmerzverzerrt, doch sie stolperte bereits in Richtung Luftschleuse.
Er brauchte ungefähr fünf Minuten, um sie beide in das Scoutschiff zu verfrachten, die Luftschleuse zu verriegeln, Maris in der Medi-Zelle unterzubringen und Energie auf die Brücke zu leiten.
Eine Ewigkeit.
*
Das Scoutschiff flitzte aus der Todeszone wie ein Fisch durch ein zerrissenes Netz. Legroeder steuerte wie ein Wahnsinniger, auf der Suche nach Strömungen, die vom Außenposten der Piraten wegführten. Eine Gefahr hatten sie überwunden, doch sie waren noch lange nicht in Sicherheit.
Barooooom!
Das Schiff schüttelte sich heftig.
Im Flug suchte er nach dem Ursprung der Explosion. Die karmesinroten und orangefarbenen Wolken des Flux wogten vorbei wie schäumende Brandung, die vom Bug eines Unterseeboots durchschnitten wird. Aber er musste schnell sein und manövrierfähig bleiben. In Gedanken verwandelte er das Abbild eines stummelflügeligen Flugzeugs in einen rasanten, schnittigen Düsenjäger, der wie ein Pfeil durch die Nebelwolken schoss. Er schwenkte nach links und zog die Maschine hoch, dann drehte er rechts ab und ging in einen gewagten Sinkflug. Falls man ihn im Visier hatte, wollte er ein möglichst schwer zu treffendes Ziel abgeben. Sie waren wieder in der Hauptflugschneise, halbwegs auf einem Kurs, den auch ein Piratenschiff beim Verlassen dieser Zone nehmen würde. Wenn ihn die Piraten immer noch verfolgten...
Barooooom!
An Backbord zuckten Blitze durch die Wolken, und Legroeder musste in einer engen Kurve ausweichen. Drei Piratenschiffe brachen durch den Nebel und nahmen die Jagd auf. Zur Hölle! dachte er. Sie hatten hier gelauert, um zu sehen, ob er die Todeszone bezwang. Er war verdammt sicher, dass sie überrascht waren.
Sein Schiff drehte eine Korkenzieherrolle und sauste in steilem Winkel nach unten, wobei es kurz abschmierte. Über die Hauptroute würden sie es nie schaffen - womit ihnen ein einziger Ausweg blieb.
Maris!, brüllte er ins Intercom. Wir fliegen durch den Kamin raus. Wenn du mich hören kannst, halt dich fest!
Ihm stülpte sich der Magen um, doch er ignorierte das Gefühl und ließ das Schiff schlingernd nach unten sacken. Dann fing er es ab und zog es steil hoch, um einen Blick auf seine Verfolger zu werfen. Die waren nicht ganz so verzweifelt wie er - oder verrückt - und flogen einen weiteren Bogen. Sie feuerten auf ihn, bewirkten jedoch nur, dass sich Lichtreflexe in den Wolken spiegelten. Legroeder vollführte im Rückenflug eine ganze Rolle, damit er die Wolkenschichten »darunter« inspizieren konnte, und endlich erspähte er eine verschattete Region, die die Öffnung des Kamins anzeigte, eine so schmale und riskante Passage, dass man ihr die Bezeichnung »Narrenloch« verliehen hatte. Er streckte sich in das längste und schnellste Kampfflugzeug, das er sich vorstellen konnte, und zielte geradewegs nach unten in die trübe Finsternis des Kamins.
Plötzlich brandeten Energiewellen gegen das Netz, kehr um! KEHR UM, ODER DU WIRST STERBEN!... STERBEN!... STERBEN! Die Piraten sendeten die Nachricht in den Flux.
Wuchtige Schläge wie das Dröhnen einer Kesselpauke aus Stahl schienen direkt aus dem Kamin zu hallen, wurden als Echo von der im Flux wirbelnden Materie zurückgeworfen und fingen sich in dem Rigger-Netz, sodass es ihm vorkam, als säße er in einer Trommel. Legroeder kannte die Quelle dieses donnernden Getöses, er kannte sie sogar sehr gut - hatte er sie doch selbst gegen andere eingesetzt - doch obwohl er wusste, dass es sich bloß um einen Trick handelte, um Furcht einzuflößen, fühlte er sich verunsichert. Er stand wirklich im Begriff, eine Wahnsinnstat zu begehen.
DU WIRST STERBEN... STERBEN... STERBEN...
Vor dem Lärm gab es kein Entrinnen. Er konnte nur versuchen, ihn nicht zu beachten und seine Angst nicht überhand nehmen zu lassen.
Eine tiefe, finstere Spalte öffnete sich in den unter ihm liegenden Wolken. Dort hinein musste er fliegen - und seine letzten Bedenken wurden ausgeräumt, als hinter ihm Neutraserfeuer aufflackerte und Flux-Torpedos explodierten. Er sog scharf die Luft ein und tauchte hinab in die Öffnung. In den Kamin. Von diesem Augenblick an existierten seine Verfolger für ihn nicht mehr. Um sie brauchte er sich keine Sorgen mehr zu machen. Wenn sie so dumm waren, ihm hinterher zu fliegen, kamen sie vielleicht allesamt ums Leben...
STERBEN... STERBEN... STERBEN...
Jähe Dunkelheit umfing ihn - die Mitternacht des Kamins. Lichtfunken tanzten durch die Wolkenbänke vor dem Bug. Tödliche Flux-Abszesse oder andere Fallen, die ihnen ein entsetzliches Ende bescherten.
Er blickte zurück. Verdammt! Sie waren immer noch hinter ihnen her. Keine Zeit, um sich zu sorgen; er stürzte mit ungeheurer Geschwindigkeit durch einen Schacht, in dem Turbulenzen tobten. Ein Schwindel packte ihn, als die Wolkenwände in raschem Wechsel aufflammten und sich wieder verfinsterten, bis er nicht mehr klar sehen konnte.
Von oben sauste etwas an ihm vorbei, ein glänzender Lichtschleier, der sich umkehrte und ihn einzuholen trachtete, wie ein gigantisches Fischnetz aus Energie, das seiner Beute hinterherstob. Vor Wut knurrend verdichtete er das Rigger-Netz zu einer Nadel und stieß urplötzlich damit hinunter. Mit einem lauten Knattern blähte sich der leuchtende Schleier auf, und abermals hüllte ihn ein Sturm aus glitzernden Funken ein. Das Schiff schlingerte und strengte sich mächtig an, um vorwärts zu kommen, aber es flog tapfer weiter - bis es die Schockwelle einer Turbulenz traf.
Kreischend geriet das Schiff außer Kontrolle, dieses Mal endgültig, und krängte in hohem Tempo gegen die tödliche Wand des Kamins.
Kapitel 2: Die Untersuchung
Im Anhörungsraum der Rigger-Gilde herrschte Totenstille.
Die gewölbte Decke trug eine Schicht aus einem multi-optischen Laminat, sodass es aussah, als funkelten Sterne an einem dunklen Himmel. Legroeder ließ den Blick durch die Kuppel schweifen, und einen Augenblick lang verwandelten sich die Sterne in die leuchtenden Phänomene des Flux.
Er raste auf die Kaminwand zu, in der Lichterscheinungen pulsierten: Nischen aus Quantenchaos, in denen sich Bilder ohne Vorwarnung verzerrten. Das Schiff taumelte hindurch, und plötzlich flimmerte die Landschaft in grellen Kontrasten, und die Konturen lösten sich auf. Hinter ihm blitzte Waffenfeuer. Ehe er wusste, wie ihm geschah, explodierte eine Breitseite von Flux- Torpedos und erzeugte eine Kaskade von Verwerfungen, die sein Schiff ins Trudeln brachten...
Die Hologramme der drei Mitglieder des Untersuchungsausschusses saßen an dem halbrunden Tisch vorn im Zimmer. Legroeder saß mit seinem jungen, von der Gilde bestellten Anwalt, Mr. Kalm-Lieu, an einem kleineren halbrunden Tisch mitten im Raum, dem Komitee gegenüber. Trotz des offenen Designs war die Räumlichkeit so ausgelegt, dass zwischen dem Ausschuss und den zu befragenden Personen eine strikte Distanz gewahrt blieb. Nur Legroeder und Kalm-Lieu waren körperlich anwesend.
Das Hologramm der Vorsitzenden des Untersuchungsgremiums der Rigger-Gilde ergriff das Wort. Die Stimme klang hohl und mechanisch. Legroeder konnte sich an den Namen der Frau nicht erinnern, persönlich hatte er sie nie kennen gelernt. »Rigger Legroeder, bitte denken Sie daran, dass dies eine Anhörung ist und keine Anklage. Uns geht es nicht darum, Schuld oder
Nichtschuld festzustellen, sondern zu entscheiden, ob Sie in dieser Angelegenheit von der Rigger-Gilde vertreten werden sollten. Wir hoffen, dass Sie den Unterschied begreifen.«
Legroeder zuckte verständnislos die Achseln und starrte nach oben in die Kuppel.
Die mit Flux-Geschwüren übersäte Nische stülpte sich durch den Torpedo-Treffer nach außen und schleuderte ihn in eine Spalte, die er mehr spürte als sah, einen Riss, den der Torpedo-Beschuss verursacht hatte. Er lenkte das Schiff mit einer Intuition, die in ihrer Genauigkeit an Zauberei grenzte, und schlängelte sich durch die Lücke...im Handumdrehen dümpelte er im freien Flux, weit weg vom Kamin und von den Piraten. Ihre Verfolger hatte er offensichtlich abgehängt.
Als er eine Strömung entdeckte, die aus dieser Region hinausführte, ließ er sich so lange darin treiben, bis er sich für einen Zielplaneten entschied. Letzten Endes wurde ihm die Wahl abgenommen; in Reichweite lag nur eine größere Welt, die nicht von den Piraten beherrscht wurde: Faber Eridani, weit entfernt von den Grenzen zum Golen Space. Kein leichter Flug für ein kleines Schiff; doch wenn er frei sein wollte, wirklich frei, blieb ihm nichts anderes übrig, als das Risiko einzugehen. Häufig nach Maris schauend, die immer noch in Beinahe-Stasis im Dämpfungsfeld lag, riggte er ihr Schiff zu neuen, hoffnungsvollen Ufern, wo sie beide in Freiheit leben konnten. Hier genossen sie die Sicherheit der Zentristen-Welten und den Schutz der Rigger-Gilde; hier gehörten sie hin...
Legroeder zitterte vor Wut. Er vermied es, die Ausschussmitglieder anzusehen. Hatte er es geschafft, den Piraten zu entkommen und Maris in ein Krankenhaus zu bringen, nur um beschuldigt zu werden, er hätte bei seiner Gefangennahme mit den Piraten kollaboriert? Das war lachhaft. Nicht zu fassen!
»Herr Anwalt, dürfen wir das Schweigen als Zustimmung auffassen?«, fragte die Stimme der Vorsitzenden.
Kalm-Lieu blickte unsicher zu Legroeder hin. »Ja, Ma'am.«
»Wenn das so ist, Rigger Legroeder, erbitten wir noch einmal Ihre Aussage. Schildern Sie uns, was Sie vor sieben Jahren taten, als die Ciudad de los Angeles von den Piraten im Golen Space gekapert wurde.«
Legroeder kam es vor, als stünde er neben sich und würde sich selbst beobachten - ein schmächtiger Mann mit olivfarbener Haut und traurigen Augen, der zu begreifen versuchte, in welche Falle er getappt war. Seufzend rieb er sich die Schläfen und zwang sich dazu, dieses Bild zu verdrängen.
»Lassen Sie mich Folgendes feststellen«, begann er gedehnt. »Ich entfloh interstellaren Piraten, die mich gewaltsam in ihre Dienste pressten, suchte hier auf Faber Eridani Asyl und bot Ihnen an, alles zu erzählen, was ich über die Operationen der Piraten weiß. Aber das Einzige, was Sie interessiert, sind die Vorgänge, die bei der Kaperung meines Schiffs vor sieben Jahren passierten und ob Sie mir eine Mitschuld zuweisen können?«
»Keineswegs, Rigger Legroeder. Wir möchten nur sämtliche Fakten kennen.«
»Einschließlich der Sichtung des Gespensterschiffs? Der Impris?«
Die virtuelle Ausschussvorsitzende neigte den Kopf. »Sie dürfen Ihre Gefangennahme mit den Worten beschreiben, die Ihnen angemessen erscheinen. Wenn Sie nun bitte beginnen würden...«
Legroeder schloss die Augen und rief sich die Ereignisse vor sieben Jahren in Erinnerung. Der Anfang eines Albtraums...
*
Die Ciudad de los Angeles war ein Linienschiff, das Passagiere und Fracht beförderte. An Bord befanden sich damals zweiundfünfzig Passagiere, eine bescheidene, wenn auch solide Anzahl, vierundzwanzig Crewmitglieder, einschließlich der sieben Rigger. Legroeder gehörte zu den erfahrensten Riggern; drei befanden sich ständig im Netz. Legroeder war auf die Heckrigger-Station spezialisiert, den Anker. Er sorgte dafür, dass sie nicht aufliefen und dass der gesunde Menschenverstand siegte, besonders wenn die Lotsen- und Kielrigger sich von den Trugbildern des Flux mitreißen ließen. Er galt als Rigger mit düsteren Visionen aber hoher Verlässlichkeit.
Die Ciudad de los Angeles war unterwegs nach Varinorum Prime - ungemütlich nahe an der Grenze zum Golen Space, aber auf einer Route, auf der man kaum Piratenangriffe zu befürchten hatte. Legroeder war es, der als Erster das andere Schiff im Flux entdeckte, als es sich an der Backbordseite der L.A. ins Blickfeld schob. Es schien sich auf einem Parallelkurs mit ihnen zu befinden. Die Sichtung eines weiteren Schiffs im Flux kam so selten vor, dass sich das Bild in sein Gedächtnis eingebrannt hatte: wie ein Wal glitt das lange, schmale, silberne Schiff gemächlich durch die Nebel des Flux. Er sah es nicht nur, er konnte es auch hören: das leise Pfeifen des Notsignals, so schwach und so weit entfernt, dass es kaum noch zu vernehmen war.
Schaut mal nach links und sagt mir, ob ihr seht, was ich sehe, machte er seine Rigger-Kameraden auf die Erscheinung aufmerksam. Er strengte sich an, das Notsignal zu verstärken. Es blieb so unklar und unverständlich wie der Kurs des Schiffes; es schien sich durch eine Ebene des Flux zu bewegen, die von der L.A. durch eine leichte Phasenverschiebung getrennt war, doch eine begrenzende Schicht, eine Art Horizont, vermochte er nicht zu erkennen.
Ich sehe es auch, antwortete Jakus Bark von der Kielrigger-Position. Ist das ein Notruf? Wir sollten wohl lieber den Captain verständigen. Brücke... Captain Hyutu...?
Als Captain Hyutu sich einloggte, berichtete er, er könne das Schiff nur vage auf den Brückenmonitoren ausmachen. Unterdessen hatte sich die Lautstärke des Notsignals erhöht. Die Codes konnten vom Computer der L.A. nicht entschlüsselt werden, doch bald hörten sie Stimmen, die über den Abgrund hallten: »Dies ist die Impris... das Schiff Impris ruft... bitte antworten Sie... wir brauchen Hilfe... dies ist die Impris von Faber Eridani...«
Legroeder und die restlichen Crewmitglieder waren sprachlos.
Die Impris.
Der legendäre Fliegende Holländer, das Geisterschiff der Sternenozeane? Ausgeschlossen! Offiziell war die Impris nichts weiter als eine Legende - ein Schiff, das vor über hundert Jahren während einer Routinefahrt im Flux verschwand. Die Impris war nicht das erste und auch nicht das letzte Schiff, das unterwegs verloren ging, besonders in Kriegszeiten. Was sie zu einer Legende machte waren die ständig wiederkehrenden Gerüchte, man hätte das Gespensterschiff gesichtet - und nicht nur ein oder zwei Schiffe behaupteten, dem Spuk begegnet zu sein, sondern Generationen von Riggern. Keine der Sichtungen war deutlich genug, um als Beweis für ihre Existenz zu dienen, doch die Anzahl der angeblichen Beobachtungen reichte aus, um den Mythos am Leben zu erhalten.
Es war, als hätte sich die Impris mit dem Flux verbunden, um niemals mehr in den Normalraum zurückzukehren; aber zugrunde gegangen war sie nicht. Also wucherten die Geschichten in den Bars der Sternen-Rigger: sie sei wie der alte Fliegende Holländer, das legendäre verwunschene Hochseeschiff, dessen Kapitän und Mannschaft dazu verdammt waren, bis in alle Ewigkeit über die Meere zu segeln, verirrt, unsterblich und ohne Hoffnung.
Ein Mythos, stand in den Archiven der Raumfahrtbehörde.
Die Wirklichkeit, tönten die Rigger in den Bars.
Im Flux war es manchmal schwer, den Unterschied zu erkennen.
Doch nicht dieses Mal. Legroeder sah, wie das Schiff durch die Nebelschwaden des Flux kroch, und seine Crewkameraden sahen es auch. Captain Hyutu von der L.A. war zwar kein Rigger aber ein erfahrener Schiffsführer, der die Zeichen auf den Monitoren zu lesen verstand wie kein anderer. Als er den Notruf empfing, erteilte er den Riggern den Befehl: Langsame Fahrt voraus in Richtung auf dieses Schiff. Versucht, uns längsseits zu bringen. Eine Durchsage wurde über Bordlautsprecher in der ganzen L.A. verbreitet. Man bereite sich darauf vor, einem Schiff in Not zu helfen.
Die L.A. schloss zu dem anderen Schiff auf.
In diesem Augenblick begann der Flux zu leuchten, die Dunstschleier rings um die L.A. blitzten wie in einem psychedelischen Lichtspektakel. Was, zum Teufel...?, murmelte Legroeder.
Dann begann der Lärm... droom! droom! droom!... wie wummernde Kesselpauken, die das Notsignal übertönten. Legroeders Herz raste, als die Impris Kurs auf die L.A. nahm, und ein paar Sekunden lang dachte er, das Getöse käme von der Impris selbst.
Machen sie eine Wende, um bei uns anzudocken?, fragte Jakus, der die Position im Kiel innehatte.
Sie sind auf Kollisionskurs!, schrie der Lotsenrigger. Hart nach Steuerbord! Captain, wegtauchen, Kollision!
Legroeders Magen verkrampfte sich, während er versuchte, in einem Flux, der sich plötzlich in einen unberechenbaren Mahlstrom verwandelt hatte, das Heck herumzureißen. Captain Hyutu singsangte Recht so! Stütz! Die Rigger gehorchten. Legroeder hielt den Atem an. Und dann erblickte Legroeder, was Hyutu auf den Monitoren gesehen haben musste: das andere Schiff schimmerte in einem unwirklichen Licht und verlor seine Stofflichkeit. Als es sich der L.A. näherte und einschwenkte, streifte die Spitze des Netzes das nach Backbord ausgerichtete Bugnetz der L.A.
Einen kurzen Augenblick lang spürte Legroeder die Anwesenheit der Rigger-Crew auf dem anderen Schiff, er hörte ihre ängstlichen und verzweifelten Schreie, fühlte, dass sie wiederum ihn wahrnahmen... und dann verflüchtigte sich das Bild, die Impris mitsamt ihrer Besatzung wurde durchsichtig und verschwand.
Sie verschwand einfach.
Einen Herzschlag später tauchte an derselben Stelle ein anderes Schiff aus den Nebelwolken auf: ein stacheliges, unförmiges Schiff mit einer grotesken, hämisch grinsenden Fratze am Bug und einem waffenstarrenden Rumpf. Was...?, hauchten Legroeder und seine Kameraden im Netz, und dann schrie jemand: Golen Space Piraten! Das dröhnende Schallbombardement steigerte sich zu einem furiosen Crescendo: doooom!... doooomm-m! Der Flux stand lichterloh in Flammen, in Brand gesteckt vom Schiff der Marodeure. Es hatte sich hinter der Impris versteckt, das Schiff der Verdammten als Tarnung benutzt.
Weg hier!, brüllte Legroeder, und sie versuchten, die L.A. zu wenden und zu fliehen, aber dazu war es bereits zu spät. Die Rigger der Piraten hatten ein Netzwerk aus Täuschung und Angst gesponnen, und sie schienen die Materie des Flux in einer Weise zu manipulieren, die der Crew der L.A. fremd war.
Binnen Minuten hatten die sich windenden, verdrehten Strömungen des Flux die Schiffe miteinander verbunden, und dann zog das Schiff der Marodeure sie durch die Schichten des Flux hinauf in die Leere zwischen den Sternen. Als sie in den Normalraum eintraten, Lichtjahre entfernt von der nächsten Welt, die ihnen hätte helfen können, versperrte der smaragdgrüne und blutrote Schleier des Great Barrier Nebels sogar die Sicht auf die fernen Sterne, die das Ziel der L.A. gewesen waren.
Das Entern war eine kurze, gewaltsame Angelegenheit. Das Linienschiff, das nur mit leichten Verteidigungswaffen gegen die Fährnisse des Golen Space ausgerüstet war, vermochte sich gegen die Übermacht der Piraten nicht zu wehren. Der Kampf dauerte ungefähr zehn Sekunden, und danach waren mindestens sechs von der Crew tot. Legroeder nahm alles nur verschwommen wahr, wie durch einen Nebel - als er das Netz verließ und auf die Brücke taumelte, fingen ihn Piraten ab und trieben ihn mit vorgehaltener Waffe durch die Korridore des Schiffs, in denen sich toxische Gase und Qualm ausbreiteten. Man stieß ihn durch die Luftschleuse und einen Verbindungstunnel entlang, der im Piratenschiff mündete - alsdann sperrten sie ihn zusammen mit rund dreißig anderen Leuten in einen Frachtraum; damit endete sein Leben als freier Mann.
*
Die Kommission unterbrach ihn und verwies darauf, dass man über die Zeit seiner Gefangenschaft später reden wolle. Legroeder verstummte und starrte den Rat an. »Wir möchten gern wissen«, sagte ein Mann, der zur Rechten der Vorsitzenden saß, »ob Ihnen Einzelheiten über das Schicksal anderer Personen von der Ciudad de los Angeles bekannt sind.« Dieser Mann repräsentierte die Raumfahrtbehörde, die Vollzugsinstanz, die sich mit Piraten befasste. Was hatte er hier zu suchen, wenn Legroeder nicht angeklagt war? »Wie viele gerieten Ihrer Ansicht nach in Gefangenschaft, und wie viele wurden von den Piraten getötet?«
Legroeder starrte ihn an. »Schwer zu sagen. Ich habe nicht alles gesehen.«
Der Mann setze eine gequälte Miene auf, als sei es ihm zuwider, solche Fragen zu stellen. »Was würden Sie denn schätzen?«
Frustriert wandte sich Legroeder an Kalm-Lieu.
Kalm-Lieus weiche, jungenhafte Züge wirkten angespannt, als er sich erhob. »Die Kommission möge bitte zur Kenntnis nehmen, dass mein Mandant über keine diesbezüglichen Informationen verfügt.«
»Herr Anwalt«, beschied ihm die Vorsitzende, »wir versuchen lediglich, uns ein möglichst vollständiges Bild von der Situation zu machen. Vielleicht kann Ihr Mandant hochrechnen, wie viele Gefangene es gab und wie viele Exekutionen...«
Kalm-Lieu sah Legroeder an und zuckte die Achseln.
Legroeder seufzte. »Wenn ich raten sollte, würde ich sagen, dass in etwa die Hälfte bis zwei Drittel der Crew und Passagiere gefangen genommen wurden, und der Rest kam während des Enterns ums Leben. Meinen Sie das, wenn Sie von Exekutionen sprechen?«
»Würden Sie es nicht als Hinrichtung bezeichnen, wenn unschuldige Menschen beim Aufbringen eines Schiffs getötet werden?«, hakte der Mann von der Raumfahrtbehörde nach.
»Doch, sicher, das würde ich«, räumte Legroeder ein. Aber während seiner sieben Jahre in Gefangenschaft hatte er gesehen, wie man massenhaft Leute umbrachte, die noch nicht einmal Widerstand leisteten. Selbst jetzt noch machte der Gedanke daran ihn krank. Allerdings hatte er keine Ahnung, wie viele Personen beim Entern starben, weil er die meisten der Passagiere und Crewmitglieder nie wieder sah - auch nicht Captain Hyutu. Doch an ihn hegte er eine höchst merkwürdige Erinnerung, die ihn in all diesen Jahren immer wieder beschäftigte. Als er Hyutu das letzte Mal sah, während die Piraten das Schiff stürmten, bemerkte er auf dem Gesicht des Captains einen Ausdruck von Wut und Groll. Bei einem anderen Mann hätte er dies als natürliche Reaktion empfunden. Aber nicht bei Hyutu; der verzog niemals eine Miene, wenn er zornig war. Legroeder hatte ständig darüber nachgegrübelt, was die Wandlung in dem Captain bewirkt haben mochte.
»Ich verstehe«, erwiderte der Mann.
Die Vorsitzende sprach unhörbar ein paar Worte zu den beiden anderen Ausschussmitgliedern. Dann wandte sie sich an Legroeder. »Das wäre alles für heute, Rigger Legroeder. Vielen Dank für Ihre Kooperation.«
*
Kalm-Lieu begleitete Legroeder zur Haftanstalt der Raumfahrtbehörde und wartete, als Legroeder im Krankenhaus anrief. An Maris' Zustand hatte sich nichts geändert. Kopfschüttelnd ging Legroeder in das kleine Besuchszimmer zurück, wo sein Anwalt saß. Seit ihrer Flucht lag Maris im Koma und wurde nun auf der Intensivstation behandelt. Legroeder schwankte zwischen einem Gefühl der Dankbarkeit, dass sie überlebt hatte, und Selbstvorwürfen, weil sie im Koma lag. Denn er hatte sie ermutigt, mit ihm zu fliehen. Nicht nur die Verwundungen machten ihr zu schaffen; die Piraten hatten Implantate in ihren Hinterkopf praktiziert, die speziell darauf programmiert waren, einen Ausbruchsversuch zu verhindern. Die Ärzte hier wussten nicht, wie sie sie entfernen sollten, ohne Maris zu töten. Legroeder fragte sich, ob sie jemals ein solches Implantat gesehen, geschweige denn, damit gearbeitet hatten.
»Es tut mir Leid«, sagte Kalm-Lieu und gab ihm eine Tasse Kaffee - richtigen Kaffee vermutlich, und nicht das Gesöff, das er bei den Piraten bekommen hatte.
»Sie können nichts dafür«, murmelte Legroeder und trank einen Schluck. Der Kaffee brannte in seiner Kehle.
»Gerade werden die Nachrichten gesendet«, erklärte Kalm-Lieu und zeigte auf das Hologramm in einer Zimmerecke.
»Nachrichten«, flüsterte Legroeder. Wie lange war es her, seit er das letzte Mal Nachrichten gesehen hatte - unzensierten Journalismus, der ihn aufklärte, was sonst noch auf der Welt passierte. Und nicht nur auf dem Planeten, auf dem er gerade weilte, zum Teufel noch mal, in der gesamten erforschten Galaxis. Er nahm die Tasse in beide Hände und schaute.
»Die Gespräche zur Verbesserung der Handelsbeziehungen mit den Heimatwelten der Narseil gerieten heute ins Stocken, als bekannt wurde, dass der Interessenverband der Narseiller Händler den Clendornanern einen bevorzugten Status angeboten hat. Es heißt, dass der Handelsminister von Faber Eridani nicht bereit sei, ohne eine angemessene Gegenleistung die Geschäfte der Narseil zu unterstützen. Diese Verlautbarung widerspricht früheren Aussagen der Regierung von Faber Eridani, die eine Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den Narseil ausdrücklich befürworteten.«
Legroeder nippte an dem heißen Getränk und ließ die Worte des Reporters an sich vorbeirauschen. Diese Probleme kamen ihm so fremd vor - Narseil, Clendornaner, interstellare Handelsabkommen.
»Wissen Sie«, flocht Kalm-Lieu kopfschüttelnd ein, »ich frage mich, wie lange sie noch so tun wollen, als könnten wir unsere Beziehungen zu den Narseil vernachlässigen. Wir brauchen einander ja nicht zu mögen. Trotzdem kann man mit ihnen Kontakte pflegen.«
Leicht benommen sah Legroeder ihn an. Wen interessiert das schon?, dachte er. Die Politiker haben die Narseil immer gehasst.
»Stagnation«, fuhr Kalm-Lieu fort. »Daran krankt unsere Gesellschaft. Schon seit langem.«
»Aber man treibt doch immer noch Handel mit anderen Welten, oder?« Konnten sich die Verhältnisse denn so sehr geändert haben?
Kalm-Lieu streifte ihn mit einem Blick. »Ja, sicher - natürlich gibt es einen Warenaustausch. Aber der findet meistens unter den Menschen statt - und den Zentristen. In vielerlei Hinsicht sind wir eine sehr isolationistische Gesellschaft. Aber das geht schon seit langer Zeit so.«
Legroeder blinzelte und versuchte zu verarbeiten, was ihm der Anwalt erzählte. Sieben Jahre lang hatte er außerhalb der Zivilisation gelebt, und Faber Eridani war nicht einmal seine Heimatwelt. Aber da er nun hier gelandet war, konnte es nicht schaden, alles darüber zu lernen.
Das Hologramm riss ihn in die Gegenwart zurück. »Weitere Nachrichten von der Außenwelt. Die Rigger-Gilde hat eine Voruntersuchung eingeleitet, die die näheren Umstände einer geglückten Flucht von den Piraten im Golen Space klären soll. Vor zehn Tagen gelang es einem Sternenrigger, in einem waghalsigen Manöver aus der Gefangenschaft zu entkommen, und seitdem befindet er sich auf Faber Eridani.«
Legroeder verschluckte sich an seinem Kaffee.
»Vor sieben Jahren diente Renwald Legroeder auf dem interstellaren Linienschiff Ciudad de los Angeles, als es von Piraten aufgebracht wurde. Es heißt, dass die Raumfahrtbehörde Rigger Legroeder verdächtigt, mit den Piraten zusammengearbeitet zu haben. Ihr liegt eine eidesstattliche Erklärung vor, in der behauptet wird, der Rigger hätte die Ciudad de los Angeles absichtlich zu dem Piratenschiff hingesteuert. Durch seinen von der Gilde bestellten Rechtsbeistand lässt Rigger Legroeder verlautbaren, diese Anschuldigungen entbehrten jeder Grundlage. Auf Anfragen der Presse gab der Leiter der Raumfahrtbehörde, Hochkommissar Ottoson North, folgende Erklärung ab...«
Das Bild des Reporters wurde durch das Hologramm eines distinguiert aussehenden Mannes ersetzt, der eine elegante Tunika mit dem goldenen Emblem ineinander verschlungener Ringe auf der Brust trug. »Lassen Sie mich eines klarstellen: diese Raumfahrtbehörde wird niemals dulden, dass jemand mit Piraten gemeinsame Sache macht. Aber Rigger Legroeder muss die Chance erhalten, sich vor einem ordentlichen Gericht zu verteidigen. Nach der tollkühnen Flucht von einem Außenposten der Piraten ist er auf Faber Eridani gelandet, und es ist sein gutes Recht, eine faire Behandlung zu erwarten. Und so lange Ottoson North die Raumfahrtbehörde leitet, wird er diese faire Behandlung bekommen. Vielleicht erweist es sich letztendlich, dass dieser Mann ein Held ist.«
Der Leiter wurde durch den Zwischenruf eines Reporters unterbrochen. »Was ist dran an den Vorwürfen, er sei für den Verlust der Ciudad de los Angeles verantwortlich?«
North wedelte mit der Hand um anzudeuten, dass er die Frage akzeptierte. »Wir ermitteln in dieser Angelegenheit, wie es unsere Aufgabe ist. Sämtlichen Vorwürfen wird nachgegangen. Bis jetzt ist seine Schuld noch nicht erwiesen - und der Raumfahrtbehörde obliegt es, sich um Fakten zu kümmern, nicht um unbewiesene Anklagen. Es gehört auch zu den Verpflichtungen der Rigger-Gilde, die Interessen ihrer Rigger überall zu schützen und zu verteidigen, das schließt Rigger Legroeder und seine Kollegen ein. Ich schlage vor, wir warten die Ergebnisse der Untersuchung ab und lassen dann die Beweise für sich sprechen.«
Das Hologramm blendete North aus und zeigte wieder das Nachrichtenpult mit der Moderatorin, die das Thema aufgriff. »Trotz der zuversichtlichen Worte des Leiters der Raumfahrtbehörde, North, veröffentlichte die Rigger-Gilde eine potenziell belastende Aussage des Riggers selbst...«
Nun sah Legroeder sich selbst, wie er erzählte: »Wir näherten uns dem anderen Schiff...« - Schnitt und neues Bild -, »der Captain befahl uns, auf Kurs zu bleiben...« - Schnitt »wir steuerten direkt auf das Piratenschiff zu...«
Die nächste Szene stammte von der Anhörung. Der Mann fragte, wie viele Personen gefangen genommen und getötet wurden. Legroeder schnaubte durch die Nase und verdrehte geringschätzig die Augen zur Zimmerdecke. Dann kam seine Antwort: »Schwer zu sagen...«
Zum Schluss wiederholte man Norths Feststellung: »...und lassen dann die Beweise für sich sprechen...«
Legroeder fiel die Kaffeetasse aus der Hand und sie rollte über den Boden. Er starrte auf das Holobild und hörte kaum, wie sein Anwalt immerzu sagte: »Das ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen. So hatten Sie das nicht gemeint. Das können wir anfechten. Keine Sorge, das fechten wir an...«
*
»Der Untersuchungsausschuss hat einen Beschluss gefasst«, verkündete die Vorsitzende nach einer knappen Einleitung.
Legroeder holte tief Luft. Einen Beschluss gefasst... ? Er wandte sich an seinen Anwalt.
Kalm-Lieu war bereits aufgesprungen. »Frau Vorsitzende, das ist höchst regelwidrig. Mein Mandant hat seine Zeugenaussage noch nicht beendet.«
»Es mag regelwidrig sein«, entgegnete die Vorsitzende mit ernster Miene. »Trotzdem haben wir eine Entscheidung getroffen.«
»Darf ich erfahren, warum Sie es so eilig hatten, ein Urteil zu fällen?«, fragte Kalm-Lieu.
»Dies ist kein Urteil, Herr Anwalt, lediglich eine Entscheidung, die klärt, welche Haltung die Rigger-Gilde in diesem Fall einnimmt«, kanzelte die Vorsitzende Kalm-Lieu ab. »Das eigentliche Gerichtsverfahren hat noch gar nicht begonnen.«
»Nichtsdestoweniger...«
»Aber ich gebe zu, dass die Raumfahrtbehörde um eine zügige Abwicklung dieses Verfahrens gebeten hat, damit die konkreten Ermittlungen in die Wege geleitet werden können. Die Raumfahrtbehörde betrachtet den Vorfall als eine sehr ernste Angelegenheit, und die Rigger-Gilde ist bemüht, jedwede Unterstützung zu gewähren.«
Die Vorsitzende senkte den Blick und räusperte sich. »Nun, denn. Dieser Untersuchungsausschuss ist zu dem Ergebnis gelangt, dass Ihre Handlungsweise während Ihres Dienstes an Bord der Ciudad de los Angeles aller Wahrscheinlichkeit nach den Ihnen anvertrauten Passagieren sowie Ihren Crewkameraden Schaden zufügte. Derartige Aktionen stellen eine Verletzung des Codex der Rigger-Gilde dar...«
Legroeder stöhnte fassungslos und wollte sich seinem Anwalt zuwenden, doch sein Kopf fühlte sich an, als sei er zu Eis erstarrt.
»...da zu erwarten steht, dass Sie von dem Gericht der Raumfahrtbehörde wegen Pflichtversäumnis verurteilt werden, lehnt die Rigger-Gilde es ab, Sie in diesem Fall rechtlich zu vertreten.«
»Frau Vorsitzende, ich erhebe Einspruch!«, hörte er seinen Anwalt protestieren. Die Stimme klang meilenweit entfernt. »Meinem Mandanten hat man es nicht einmal gestattet, den Sachverhalt vollständig darzulegen...«
»Mr. Kalm-Lieu, nehmen Sie bitte wieder Ihren Platz ein. Ich wiederhole, diese Anhörung dient lediglich dem Zweck, zu entscheiden, ob die Rigger-Gilde die Vertretung Ihres Mandanten übernimmt. Wir finden, die Rigger-Gilde sollte davon Abstand nehmen.«
Der Anwalt war sichtlich verwirrt. »Ich muss doch wirklich... ich meine, werden die Umstände denn gar nicht berücksichtigt? Was ist mit dem Sternenschiff Impris? Sie haben der Presse irreführende Informationen zugespielt, und uns verweigern Sie die Möglichkeit...«
»Bitte schweigen Sie, Mr. Kalm-Lieu, während ich unseren Entschluss zu Ende lese. Danach dürfen Sie eine Erklärung abgeben.«
Zitternd vor Empörung stand der Anwalt noch eine Weile da. Schließlich setzte er sich neben seinen Mandanten.
Legroeder war wie betäubt. Er starrte auf seine Hände und hörte teilnahmslos zu, wie der Rest der Entscheidung verlesen wurde.
»Danke. Rigger Legroeder, Ihr Dienst auf der Ciudad de los Angeles war eine heilige Pflicht. Hätten Sie mit mehr Umsicht und Verantwortungsgefühl gehandelt, wären diese unglücklichen Passagiere und Crewmitglieder nicht in die Hände der Piraten des Golen Space gefallen. Doch in Ihrem Wahn, Sie hätten das legendäre Schiff Impris gesichtet, jagten Sie einem Phantom nach. Aufgrund dieses Fehlverhaltens wurde Ihr Schiff geentert, die darauf befindlichen Personen gerieten in Gefangenschaft oder kamen ums Leben.«
»Einspruch! Er war schließlich nicht das einzige Besatzungsmitglied, das in den Vorfall verwickelt war. Was ist mit dem Captain?«
»Mr. Kalm-Lieu, mäßigen Sie sich! Außer Rigger Legroeder mögen noch andere Besatzungsmitglieder versagt haben, aber er ist der Einzige, der nun vor uns steht.«
Ein paar Herztakte lang funkelten sich die beiden wütend an.
Dann fuhr die Vorsitzende fort: »Es bleibt zu klären, inwieweit sich Rigger Legroeder während seiner Gefangenschaft zu einem Komplizen der Piraten machte. Wir überlassen es der Raumfahrtbehörde, darüber zu befinden. Wie er selbst zugibt, nahm er an fünfzig bis sechzig Kaperfahrten teil...«
»Weil sie ihn dazu zwangen!«, protestierte Kalm-Lieu.
Bildete Legroeder es sich nur ein, oder gab sein Anwalt bereits auf?
»...bei diesen Akten der Piraterie verloren zahlreiche unschuldige Menschen ihr Leben. Deshalb beschließen wir, dass Rigger Renwald Legroeder bis auf Weiteres nicht mehr der Rigger-Gilde angehören soll und ihm weder in diesem Fall noch in anderen Angelegenheiten der Schutz der Rigger-Gilde zusteht.«
Legroeder saß schweigend und stocksteif da, während die Vorsitzende schloss: »Mr. Kalm-Lieu, die Leidenschaft, mit der Sie Ihren Mandanten verteidigen, ist bewundernswert. Aber hiermit ist Ihre Rolle in dieser Angelegenheit beendet. Mr. Legroeder, nach dieser Anhörung stehen Ihnen die juristischen Kanzleien der Rigger-Gilde nicht mehr zur Verfügung. Sie werden der Raumfahrtbehörde überstellt, die darüber zu befinden hat, ob Sie mit den Piraten des Golen Space eine Komplizenschaft eingingen.
Nun, Mr. Kalm-Lieu. Wenn Ihr Mandant ein letztes Wort an uns richten möchte, so erhält er jetzt die Gelegenheit.«
Kalm-Lieu erhob sich langsam; offensichtlich rang er um die passenden Worte, um seine Fassungslosigkeit auszudrücken. »Ma'am, ich kann nur wiederholen, dass dies eine krasse Verletzung der Rechte meines Mandanten bedeutet. Ich erbitte eine kurze Unterbrechung, damit ich mich mit ihm berate.« Er wandte sich an Legroeder. »Wenn dies eine Gerichtsverhandlung wäre, könnte ich in die Berufung gehen. Aber die Regeln der Gilde...« Hilflos rang er die Hände. »Dieses Vorgehen ist äußerst ungewöhnlich. Damit hatte ich nicht gerechnet.«
Legroeder sah seinen Anwalt nicht an, sondern blickte ruhig zu dem Holo der Vorsitzenden auf. Er merkte, wie seine Benommenheit allmählich einem hochkochenden Zorn wich, doch es gab niemanden, an dem er seine Wut hätte abreagieren können. Ihm war absolut klar, dass dieser Ausschuss nicht aus eigenem Antrieb so handelte. Dazu war die Vorgehensweise viel zu irrational. Doch wer kontrollierte die Untersuchungskommission? Er konnte nicht einmal raten. Schließlich schaute er zu Kalm-Lieu hin.
»Möchten Sie gegen diesen Beschluss protestieren, nur aus Prinzip?«, fragte ihn der Anwalt.
»Sie haben bereits alles gesagt«, meinte Legroeder. Mit erhobener Stimme fuhr er fort: »Es hegt auf der Hand, dass diese Anhörung von Anfang an eine Farce war. Also kann ich mir jedes weitere Wort sparen.«
Kalm-Lieu stieß einen brummenden Laut aus. Unsicher stand er auf und fixierte Legroeder zweimal, ehe er sagte: »Mein Mandant... erhebt Einspruch gegen die unfaire Behandlung, die ihm zuteilwurde. Mehr hat er nicht zu sagen.« Kalm-Lieu setzte sich wieder und rutschte nervös auf seinem Platz hin und her.
Mit einer Handbewegung speicherte die Vorsitzende das Ergebnis der Anhörung in den Computer ein. »Ich erkläre die Sitzung für beendet.« Kurz darauf begannen ihr Abbild und das der beiden anderen Ausschussteilnehmer zu flimmern, und das Holo verschwand.
Mühsam stemmte sich Legroeder von seinem Stuhl hoch; seine Brust war wie zugeschnürt, er bekam kaum Luft.
»Es tut mir Leid«, bedauerte Kalm-Lieu.
Mir auch. »Wie geht es jetzt weiter?«
Kalm-Lieus Blicke huschten unstet durch den Raum. »Leider darf ich Sie nicht länger beraten. Man hat mir Ihren Fall entzogen.«
Legroeder stieß heftig den Atem aus. »Soll das heißen, ich steh jetzt ganz allein im Regen?«
Kalm-Lieu vollführte eine linkische Geste. »Mir passt das auch nicht, aber...«
»Aber so ist das nun mal, nicht wahr?« Legroeder deutete auf den leeren Anhörungstisch, und endlich klang die Wut in seiner Stimme durch. »Geben Sie mir zu verstehen, dass Sie mir nicht einmal verraten dürfen, was als Nächstes mit mir passiert? Wer soll mich bei der Raumfahrtbehörde vertreten? Was muss ich tun?«
»Natürlich steht es Ihnen frei, sich einen Rechtsbeistand zu nehmen.« Kalm-Lieu senkte die Stimme und sah aus, als würde er sich am liebsten in einem Loch verkriechen. »Ich könnte Ihnen da jemand empfehlen...«
»Und wer bezahlt den Anwalt?«, donnerte Legroeder. »Ich war sieben Jahre lang im Golen Space gefangen, und ich besitze nichts außer dem Hemd, das ich am Leib trage. Und Sie raten mir, ich soll mir einen Verteidiger nehmen?«
»Ich kann verstehen, wie Ihnen zumute ist...«
»Ach, wirklich?«, schnauzte Legroeder. Er brüllte in den Raum hinein: »Können Sie sich vorstellen, wie es ist, wenn einen ausgerechnet die Menschen verraten, die einem Schutz bieten müssten? Können Sie das tatsächlich nachempfinden?«
»Bitte. Das hilft Ihnen auch nicht weiter.«
»Was dann? Soll ich lieber hier herumsitzen und über den Codex der Rigger-Gilde diskutieren, anstatt herauszufinden versuchen, warum sie mich dafür verantwortlich machen, dass eine Bande von Piraten mein Schiff kaperte?«
Kalm-Lieu blickte betroffen drein. Zwei Sicherheits-Agenten kamen und flankierten Legroeder. »Es tut mir Leid«, sagte Kalm-Lieu, »aber bis zur Verhandlung bleiben Sie im Gewahrsam der Raumfahrtbehörde. Es sei denn, Sie stellen eine Kaution...« Verlegen fuchtelte er mit den Händen.
Legroeder schnaubte angewidert durch die Nase. Eine Kaution stellen? Mit welchem Geld. Selbst sein rückständiges Gehalt von den Eignern der Ciudad de los Angeles war bis zur Erledigung dieser Angelegenheit gesperrt. Er deutete ein Kopfschütteln an und marschierte ohne ein weiteres Wort aus dem Anhörungsraum, dichtauf gefolgt von den beiden Wachen.
Kapitel 3: Harriet Mahoney
Nur wenige Leute saßen in der Haftanstalt der Raumfahrtbehörde ein: zwei kleine Schmuggler und der Pilot eines orbitalen Schleppbootes, dem man Lizenzvergehen vorwarf. Nur selten befand sich ein Rigger in diesem Gefängnis, denn normalerweise genossen sie den Schutz ihrer Gilde. Wenn sie überhaupt festgehalten wurden, dann im Allgemeinen im Quartier der Rigger-Gilde. Legroeder fühlte sich gedemütigt, dass man ihn einkerkerte wie einen gewöhnlichen Kriminellen.
Wenigstens hauste er nicht in einer Zelle. Sie hatten ihn in einen kleinen Raum mit nur einer Pritsche gesteckt, wo er allein sein konnte. Eine Komm-Konsole bot ihm Zugriff auf die Gefängnisbücherei, doch das war auch so ziemlich der einzige Luxus. Das Schlimmste für ihn war der Mangel an Freiheit. Die ersten Tage verbrachte er bis zur Erschöpfung mit sportlichen Übungen, weil er nach der langen Reise, eingepfercht in dem Scoutschiff, seine Muskeln stärken wollte. Die Wachen sahen ihm verdutzt zu, wie er sich an den Trainingsgeräten verausgabte: er rannte, stemmte Gewichte, tat alles, um fit zu werden, bis ihm vor Anstrengung die Luft wegblieb. Wenn er nicht trainierte, lag er in grimmige Gedanken versunken auf der Pritsche, sorgte sich um Maris und versuchte zu verstehen, wieso er nach der Flucht aus dem Golen Space hier gelandet war.
Wie konnte man ihm vorwerfen, er hätte die Ciudad, de los Angeles absichtlich den Piraten überlassen, selbst wenn ihm beim Riggen ein Fehler unterlaufen war? Woher sollte er wissen, dass die Piraten sich hinter dem Phantomschiff versteckten und nur auf eine Gelegenheit zum Zuschlagen lauerten? Er hatte ja nicht einmal das Kommando über das Schiff gehabt. Captain Hyutu hatte den Befehl gegeben, sich der Impris zu nähern.
Dennoch ertappte er sich dabei, wie er anfing, seine eigenen Aktionen infrage zu stellen. Viele Menschen waren gestorben; noch mehr Personen wurden von den Piraten des Golen Space gefangen genommen. Nur wenige würden aus der Sklaverei entkommen, so wie er, falls überhaupt jemandem die Flucht gelang. Ihm war elend zumute, wenn er daran dachte, dass man seine ehemaligen Mitgefangenen vielleicht wegen seines Ausbruchs quälte.
Drei Tage nach seiner Inhaftierung wusste er immer noch nicht, wann der Prozess gegen ihn beginnen sollte. Kalm-Lieu war fort, und Legroeder hatte sich keinen neuen Verteidiger gesucht. Er verbrachte etwas Zeit an der Komm-Konsole und stöberte in den Suchprogrammen der Rigger-Gilde, um herauszufinden, ob sich einige seiner alten Rigger-Freunde auf Faber Eridani aufhielten. Aber die einzige diesbezügliche Information, die er zutage förderte, betraf einen kurzen Zwischenstopp vor sechs Monaten. Den Rigger hatte er vor zehn Jahren einmal flüchtig gekannt. Es sah nicht so aus, als könnte er hier Hilfe von Freunden erwarten.
Faber Eridani!, dachte er. Wieso musste ich mir ausgerechnet Faber Eridani aussuchen? Aber er hätte ja nirgendwo anders hinfliegen können.
Die Grübelei brachte ihn nicht weiter. Er kippte den kalt gewordenen Kaffee im Spülbecken aus und setzte sich wieder an den winzigen Schreibtisch neben seiner Pritsche. Versonnen blickte er auf das Wandhologramm, ein Seestück, das ein Schiff im Sturm darstellte, und dachte, ein Geisterschiff. Es war kein Gespenst. Aber wer wird mir glauben? Wer...?
*
»Renwald Legroeder!«, rief eine Stimme auf dem Korridor.
Blinzelnd richtete Legroeder sich auf. Wie spät, zum Teufel, war es? Morgens früh... er erinnerte sich nicht, zu Bett gegangen, geschweige denn eingeschlafen zu sein.
»Rigger Legroeder!« Dieses Mal klang die Stimme näher.
Legroeder starrte auf die verriegelte Tür. Vinnie, der groß gewachsene, dürre Wachmann trat ein. Er war halb menschlich und zur anderen Hälfte irgendein trakonischer Hybrid, gebaut wie ein Geländer mit seinen ausladenden Hüften und Schultern. Ein unheimlich aussehender fremdartiger Wachhund stand neben ihm und erzeugte tief ihm Rachen grollende Geräusche. Der Wärter behauptete, es sei bloß ein Schnurren, aber Legroeder legte keinen Wert darauf, die Probe aufs Exempel zu machen. Vinnie grinste. »Hab ich dich geweckt?«
Legroeder zuckte die Achseln.
Vinnie gluckste vergnügt und zupfte an einer Strähne seiner kordelähnlichen Haare. »Du hast es gut, eh - kannst so lange schlafen, wie du willst. Na ja, jetzt ist Schluss damit. Pack deine Sachen zusammen. Du darfst abschwirren.«
»Abschwirren?« Legroeder rappelte sich auf die Beine. »Werde ich woanders hin verlegt?«
Vinnies Lachen klang wie Scheppern. »Nee, Mann! Du bist gegen Kaution entlassen.«
»Kaution? Ich habe keine Kaution gestellt.«
»Jemand tat es für dich.«
Verständnislos glotzte Legroeder ihn an.
»Was ist? Ich dachte, du würdest dich vor Freude kringeln.«
»Ich freue mich ja. Seh ich nicht glücklich aus? Wer war es?«
Der Wärter löste ein Computer-Pad von seiner Brusttasche und informierte sich. »Der Name lautet Harriet Mahoney. Freundin von dir?«
»Nie von ihr gehört.« Verwirrt kniff Legroeder die Augen zusammen. »Wer ist sie?« Hastig stöberte er in seinem Gedächtnis, doch ihm fiel nichts ein. Hatte er mit ihr vielleicht vor Jahren eine Affäre gehabt und es inzwischen vergessen? Lächerlich. Auf diesem Planeten hatte er sich nur wenige Male aufgehalten und ganz bestimmt keine Liebschaft angefangen.
Vinnie schien seine Gedanken zu lesen und zwinkerte ihm listig zu. »Na ja, wenn du mich fragst, sie ist eine richtige Schönheit.«
Legroeder furchte die Stirn und zuckte die Achseln. Hauptsache, er kam hier raus, das war das Einzige, was zählte. Er schnappte sich die Reisetasche, die eine freundliche Seele in der Gilde ihm geschenkt hatte, und begann zu packen. Es dauerte nicht lange.
»Fertig?«
Legroeder nahm die Tasche auf die Schulter, mogelte sich vorsichtig an dem Wachhund vorbei und nickte.
»Wir können gehen.«
*
Als Legroeder durch die Eingangshalle der Raumfahrtbehörde geleitet wurde, hielt er nach einem bekannten Gesicht Ausschau. Erst nachdem er die Sicherheitsschranken passiert und sechs oder sieben Formulare ausgefüllt hatte, ohne sie zu lesen, hörte er den Namen Mahoney wieder. Er drehte sich um, um zu sehen, wer gemeint war. Er folgte Vinnie in ein kleines Seitenzimmer der Halle. Eine ältere Frau erhob sich von einem Plastikstuhl, um ihn zu begrüßen. Ihr faltiges Gesicht wies einen leicht geröteten Teint auf, wie von einem Sonnenbrand, und das silbergraue Haar war von schwarzen Strähnen durchzogen. Sie trug eine geschmackvolle Brille mit Chromfassung. Dem Alter nach hätte sie seine Großmutter sein können. Legroeder fixierte Vinnie, der ihm verschmitzt zublinzelte. Eine richtige Schönheit. Aber sie bewegte sich mit einer Energie, die nicht zu einer älteren Frau passte. »Renwald Legroeder?« Sie hielt ihm die Hand entgegen. »Ich bin Harriet Mahoney. Ich habe für Ihre Entlassung gesorgt.«
Legroeder schüttelte ihre Hand. »Es freut mich, Sie kennen zu lernen. Und - haben Sie vielen Dank. Finden Sie es unbescheiden, wenn ich frage: Wer sind Sie?«
Sie lächelte. »Im Augenblick vielleicht der einzige Mensch, der sich für Ihr Wohlergehen interessiert. Betrachten Sie mich als Ihre Freundin. Wenn Sie mir beim Frühstück Gesellschaft leisten, werde ich Ihnen gern alles erklären. Ich habe mir Ihre Entlassungspapiere angesehen, und sie sind alle in Ordnung.«
Legroeder starrte sie an. »Sind Sie eine Art Anwältin oder so?«
Mahoney rückte ihre Brille zurecht. »Genau. Mir scheint, Sie brauchen einen Rechtsbeistand. Stimmt das?«
»Nun ja...«
»Ich habe für Sie die Kaution hinterlegt, und Sie dürfen sich frei bewegen. Allerdings ist es Ihnen wegen des gegen Sie anhängigen Verfahrens untersagt, den Planeten zu verlassen. Sind Sie damit einverstanden?« Sie peilte gespannt über den Rand ihrer Brille.
Legroeder zuckte die Achseln. »Hab ich denn eine Wahl?«
Mrs. Mahoney klimperte mit den Lidern. »Nicht, dass ich wüsste. Können wir jetzt gehen und frühstücken?«
Legroeder schürzte die Lippen. »Vorher möchte ich gern eine Freundin im Krankenhaus besuchen.«
*
Eine geraume Zeit lang blickte er auf Maris hinab. Reglos lag sie auf dem Wasserbett, und die Narben auf ihrem Gesicht und am Nacken sahen unter den transparenten Bandagen nicht viel besser aus als an dem Tag, als er sie hierher brachte. Doch es waren nicht die Narben, die ihm Sorgen bereiteten; es war ihre Stille. Die schlimmsten Verwundungen waren nicht sichtbar. Die Ärzte meinten, die grundlegenden Lebenszeichen seien kräftig, doch solange die durch die Piraten eingesetzten Implantate gewisse kortikale Funktionen steuerten, vermochten sie nicht abzuschätzen, wann sie aus dem Koma aufwachen würde - falls sie überhaupt das Bewusstsein wiedererlangte. »Mit diesen Optimierungsvorrichtungen haben wir so gut wie keine Erfahrung«, bekannte einer der Ärzte. »Sie sind so fest an das autonome Nervensystem gekoppelt, dass wir uns nicht trauen, daran herumzupfuschen - nicht, mit unserem rudimentären Wissen. Aber sollte sich ihr Zustand in ungefähr einer Woche immer noch nicht geändert haben, probieren wir ein kortikales Stimulans aus und warten ab, was passiert.«
Legroeder berührte Maris' Unterarm. Mitgefangene. Waffenkameradin. Er wusste wenig über ihr Leben vor der Gefangennahme durch die Piraten. Sie wurde von einem Schiff entführt, dessen Namen er nicht kannte. Ein paarmal hatten sie auf Kapermissionen zusammen gearbeitet. Doch eigentlich war es in diesen zwei, drei Minuten im Wartungsdock geschehen, dass sie spontan beschlossen, einander zu vertrauen. In diesem Augenblick war die Verbindung zwischen ihnen geknüpft worden. Er griff nach ihrer schlaffen Hand und beugte sich über sie. »Du hast dich tapfer geschlagen, Maris«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Wir haben es geschafft. Wir sind keine Gefangenen der Piraten mehr. Du wirst frei sein, sobald du aus diesem Koma erwachst. Nur noch diese eine Anstrengung.« Er zögerte. »Ich muss jetzt gehen. Ich habe Verschiedenes zu erledigen. Da gibt es ein paar Dinge zu klären. Aber ich komme zurück, sobald ich kann.«
Seufzend richtete er sich wieder auf. Er ging zu Harriet Mahoney, die in der Halle auf ihn wartete. Gemeinsam verließen sie das Krankenhaus und traten nach draußen in den morgendlichen Sonnenglast.
*
Harriet schien eine Menge Cafés in dieser Gegend zu kennen. Sie entschieden sich für eines, das in einer holografisch erzeugten Wüstenlandschaft lag, komplett mit Dornenbüschen, Schirmakazien und üppig wuchernden Wüstenblumen. Eine Quelle sprudelte neben ihrem Tisch - echter Fels und richtiges Wasser - und zum ersten Mal seit Jahren hatte Legroeder das Gefühl, sich wieder richtig entspannen zu können, wenn er nur lange genug an diesem Ort verweilte. Und wenn ihn nicht tausend unbeantwortete Fragen quälten. Doch die meisten behielt er für sich, während er einen Teller Waffeln verputzte und einen Becher Kaffee trank - nicht nur richtigen Kaffee, sondern guten Kaffee. Er hatte schon vergessen, wie köstlich das Aroma von gutem Kaffee duftete, das ihm nun verlockend in die Nase stieg.
Schließlich begann er: »Mrs. Mahoney - oder darf ich Sie...?«
»Sagen Sie Harriet zu mir.« Sie setzte ihre Teetasse auf dem Unterteller ab. »Bitte. Ich hasse die förmliche Anrede. Dabei komme ich mir so alt vor.«
»Also gut. Harriet. Gibt es einen Mr. Mahoney?«
»Den gab es. Er starb vor fast zwanzig Jahren.«
»Das tut mir Leid.«
Ein Lächeln zuckte um ihren Mund. »Es braucht Ihnen nicht Leid zu tun. Ich glaube, er war froh, von mir wegzukommen. Damals war ich ein ziemlich schwieriger Mensch, und es fiel ihm sicher nicht leicht, mit mir zusammenzuleben. Vermutlich bin ich auch heute noch kompliziert.« Sie gluckste vergnügt. »Und wie möchten Sie angeredet werden, Rigger Renwald Legroeder?«
»Wie es scheint, darf ich mich nicht mehr Rigger nennen«, knurrte er verärgert. »Legroeder genügt.«
»Dann ist Renwald Ihr Nachname?«
Er schüttelte den Kopf. »Seit ungefähr meinem fünften Lebensjahr nennt man mich nur Legroeder. Das heißt, meine Freunde tun das.«
»Na schön - Legroeder. Sie möchten wissen, warum ich Sie gegen Kaution rausgeholt habe.« Harriet fasste an ihr rechtes Ohr, als wolle sie ihren Ohrring zurechtrücken. Auf dem Tisch erschien ein zwölf Zentimeter großes Hologramm. Es war ein Junge, sechs oder sieben Jahre alt, der mit einem zahmen Althasianischen Zwergbären auf einem Rasen saß. Der Bub lächelte und winkte in die Kamera. »Haben Sie diesen jungen Mann irgendwann einmal gesehen?«, fragte Harriet. Zum ersten Mal hörte Legroeder, dass ihre Stimme zitterte.
Legroeder beugte sich vor, um das Bild zu studieren. »Müsste ich ihn denn kennen?« Er blickte zu Harriet hoch. »Er gleicht Ihnen ein wenig. Ein Verwandter?«
»Mein Enkel«, antwortete sie. »Mein einziger Enkel. Er befand sich an Bord der Ciudad de los Angeles, als das Schiff verloren ging.« Ihre Stimme brach ab. »Als die Piraten es angriffen.«
Legroeders Kehle schnürte sich zusammen, als Harriet traurig das Holo ansah. »Seine Eltern lebten getrennt, wissen Sie. Sein Vater - mein Sohn - kam hier in Elmira bei einem Gebäudeeinsturz ums Leben. Bobby war unterwegs nach Thrice Varinorum, zu seiner Mutter. Er war auf der L.A.« Wieder fingerte Harriet an ihrem Ohrring, und das Bild löste sich auf. »Jahrelang erfuhren wir gar nichts, außer dass das Schiff nicht angekommen war und als verschollen galt.«
Legroeder erwiderte nichts darauf.
»Erst vor zwei Jahren hörten wir, die L.A. sei gekapert worden... von den Gentlemen-Piraten aus dem Golen Space.«
Legroeder stieß ein hohles Lachen aus. »Gentlemen?«
Harriet griff nach ihrer Teetasse, doch ihre Hand fing an zu zittern und sie zog sie zurück. »Von den mordenden, plündernden, verbrecherischen Piraten aus dem Golen Space«, flüsterte sie.
Legroeder schloss die Augen und verdrängte die Erinnerungen.
»Entschuldigen Sie«, sagte Harriet. »Sie haben auch gelitten. Ich sehe es in Ihren Augen. Sind Sie sicher, dass Bobby Ihnen niemals begegnet ist? Haben Sie gar keine Ahnung, was mit ihm geschehen sein könnte?«
Legroeder schüttelte den Kopf. »Selbst während der Reise kam ich kaum mit den Passagieren in Kontakt. Und nach der Gefangennahme wurden wir getrennt. Ich weiß nicht einmal, wo die meisten meiner Crewkameraden geblieben sind. Ich habe sie ganz einfach nicht mehr gesehen.«
Harriet kniff leicht die Augen zusammen. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich unbehaglich unter ihren forschenden Blicken. Er schaute an ihr vorbei auf die im Sonnenglast flirrende Wüstenlandschaft, die das Café umgab. »Nicht einmal Jakus Bark?«, fragte sie.
»Jakus?« Legroeder erschrak, als er den Namen hörte. Auf dem Tisch flimmerte plötzlich ein Hologramm von Jakus Bark, dem Kielrigger, der zusammen mit ihm im Netz den Dienst verrichtet hatte, als die Piraten angriffen. Aber auf diesem Bild sah er ein wenig anders aus... älter. »Woher haben Sie dieses Bild?«, wollte er wissen.
»Das erzähle ich Ihnen gleich. Darf ich fragen, wann Sie Rigger Bark das letzte Mal sahen?«
»Tja, ich...« Legroeder verstummte, als er sich entsann, wie er und die anderen Rigger von der Brücke der L.A. getrieben wurden. Jakus hatte vor Furcht geschlottert; er blickte noch entsetzter drein, als Legroeder sich fühlte. Legroeder räusperte sich. »Als die Piraten uns von der L.A. holten und in ihr eigenes Schiff entführten. Aber man sperrte uns in verschiedene Räume.«
»Sind Sie ihm danach noch einmal begegnet?«
»Nur ein einziges Mal. Es muss ein paar Wochen später gewesen sein. Im Außenposten der Piraten. Sie hatten uns pausenlos indoktriniert und uns klar gemacht, dass wir kooperieren müssten, wenn wir überleben wollten.« Legroeder schluckte und spürte von neuem den vertrauen Schmerz. »Für uns Rigger hieß das, dass wir ihre Schiffe steuern sollten.« Er rang um die passenden Worte. »Jakus - als ich ihn dieses eine Mal sah - schien mir fügsamer zu sein als die meisten Gefangenen. Ich rebellierte immer noch - nicht offen, aber hier drin.« Er klopfte sich auf die Brust. »Jakus hingegen... es war, als sei sein Wille gebrochen. Er war nicht so wütend wie wir anderen. Danach habe ich ihn nie wieder gesehen.«
Harriet drehte das Holo, damit Legroeder einen besseren Blick auf Jakus' Gesicht werfen konnte. »Wären Sie überrascht zu erfahren, dass er hier auf Faber Eridani weilt?«
»Er ist hier?« Legroeder war wie vor den Kopf geschlagen.
»Sogar hier in Elmira. Seit zwei Jahren. Kurz nach seiner Ankunft unterhielt ich mich mit ihm.«
»Aber...«, stammelte Legroeder, »bei der Anhörung sagten sie, niemand von der L.A. sei zurückgekehrt. Wieso... oder haben sie keine Ahnung, dass er hier ist?«
»Sie wissen es nicht nur«, beschied ihm Harriet, »sondern es war in erster Linie seine Aussage, die die Kommission dazu veranlasste, sich gegen Sie zu entscheiden.«
Bestürzt starrte Legroeder sie an. »Aber das ist doch nicht... von einer Aussage war nie die Rede...«
»Nein, natürlich nicht«, räumte Harriet ein. »Finden Sie das nicht höchst merkwürdig, vor allem, wenn man bedenkt, wie sehr Ihnen seine Zeugenaussage geschadet hat?«
Wieder sperrte Legroeder vor Staunen den Mund auf. »Er hat mich belastet?«
»Später kann ich sie Ihnen zeigen, wenn Sie möchten. Die Tatsache, dass man es Ihnen verheimlicht hat, können wir bei Ihrer Verteidigung anführen. Vermutlich wird die Aussage in einem richtigen Prozess verwendet. Doch bei dieser Voruntersuchung brauchten sie sie nicht. Man wollte Ihnen lediglich den Schutz der Rigger-Gilde verweigern. Aber irgendjemand ganz hoch oben muss auf einmal Angst bekommen haben. Jedenfalls kommt Ihr plötzliches Wiederauftauchen manchen Leuten absolut nicht gelegen. Ihre Ankunft hat sie so verunsichert, dass sie eine geheime Aussage, die Sie in Misskredit bringt, benutzen, offensichtlich in der Hoffnung, dass man Sie lebenslänglich einsperrt. Haben Sie einen Verdacht, wer dahinterstecken könnte und warum?«
»Ich habe keinen blassen Schimmer.«
Harriet seufzte. »Wir müssen herausfinden, was hier läuft. Ich glaube, dass es in diesem Fall um mehr geht als um die Vergehen, die man Ihnen anlastet. Doch bis jetzt kann ich nur Vermutungen anstellen.« Einen Moment lang fasste sie Legroeder prüfend ins Auge. »Es war nicht leicht, Sie gegen Kaution frei zu bekommen, wissen Sie. Mir scheint, man hat Ihnen nur deshalb Kaution gewährt, weil keiner damit gerechnet hat, jemand wie ich könnte aufkreuzen und Ihnen helfen.« Konzentriert presste sie die Fingerspitzen gegeneinander. »Sie sind sich wohl darüber im Klaren, dass man Ihr Gedächtnis löschen oder Ihnen eine lebenslange Haft aufbrummen kann, wenn das Gericht Sie für schuldig hält, Sie hätten bei der Kaperung der L.A. mitgewirkt.«
Legroeder kniff die Lippen zusammen und schwieg.
»Verzeihung - ich hätte Sie nicht ausdrücklich darauf hinweisen müssen.« Harriet lächelte versuchsweise. »Nun, Rigger Legroeder... möchten Sie, dass ich Ihre Verteidigung übernehme?«
»Tja, ich habe kein...«
»Ich verlange kein Honorar, lediglich einen prozentualen Anteil, wenn wir auf Schadenersatz klagen und einen Betrag zugesprochen bekommen. Wahrscheinlich wird das nicht der Fall sein. Ich tue das nicht des Geldes wegen.«
Legroeder sah alles verschwommen; in seinem Kopf überstürzten sich die Fragen. »Ist Kalm-Lieu mit der Bitte an Sie herangetreten? Sind Sie eine gute Anwältin?«
Harriet schmunzelte. »Spielt das eine Rolle? Ich bin die Einzige, die Sie haben. Doch, ja, ich halte mich für eine ziemlich gute Anwältin. Und Kalm-Lieu hat sich nicht an mich gewandt - obwohl ich glaube, dass er jetzt erleichtert ist, weil ich Sie vertrete.« Ihr Lächeln erlosch, und sie blickte todernst drein. »Als ich mit Kalm-Lieu sprach, erschien er mir - eingeschüchtert, das ist das einzige Wort, das mir dazu einfällt. Aber er gab sich Mühe, seine Angst zu vertuschen. Trotzdem bin ich mir sicher, dass er froh ist, nicht mehr mit dem Fall befasst zu sein.«
Eingeschüchtert? Frustriert, ja, das hatte er angenommen. Wütend. Aber wieso ängstlich? »Warum haben Sie keine Angst? Geraten Sie nicht so leicht in Panik wie Kalm-Lieu?«
Harriet legte die Finger zu einem Dach zusammen. »Ich habe Ihren Fall mit größter Aufmerksamkeit verfolgt - wie mich alles interessiert, was in Zusammenhang mit dem Verschwinden der Ciudad de los Angeles steht. Ich hoffe, wir können uns gegenseitig helfen, die Wahrheit herauszufinden, und Ihre Unschuld zu beweisen.«
»Aber warum? Weshalb unterstützen Sie mich?«
»Weil es irgendeine Verbindung geben muss zwischen dem, was Ihnen passiert ist, und dem, was Bobby zustieß«, erwiderte sie leise. »Egal wie, aber ich werde das Rätsel lösen.«
Unmöglich. Bobby befindet sich in Golen Space. Wenn er überhaupt noch lebt. Er bleibt unauffindbar, dachte Legroeder und schloss die Augen. Er holte tief Luft. »Wie hoch stehen die Chancen, etwas über Ihren Enkel in Erfahrung zu bringen? Realistisch geschätzt.«
»Vielleicht ist die Chance gleich Null. Vielleicht gibt es keine Hoffnung. Vielleicht bin ich nur eine verrückte alte Frau, und wenn Sie das denken, nehme ich es Ihnen nicht übel. Aber ich will wissen, ob Bobby tot ist oder ob er noch lebt. Ich will wissen, was passiert ist.« Einen Augenblick lang schien ihr leidenschaftlicher Ausbruch sie selbst zu verblüffen. Dann schenkte sie sich Tee von der Thermoskanne in ihre Tasse. »Und ich werde dafür sorgen, dass alle anderen ebenfalls Bescheid wissen. Möchten Sie noch etwas Kaffee?«
Legroeder schwindelte. Es kam ihm vor, als prallten ihm die Strahlen einer realen Sonne auf den Kopf, hier, in der Holowüste des Cafés. Er spürte eine Gluthitze wie von einem Hochofen. »Ja, Danke«, murmelte er. »Ich hätte gern noch eine Tasse...«
Kapitel 4: Waffenbrüder
Die Wiedergabe der Aufzeichnung war wegen der mangelhaften Decodierung ein wenig unscharf. Die Dienststelle der Rigger-Gilde hatte den Zugriff darauf verwehrt, und vor zwei Jahren heuerte Harriet einen Privatermittler an, der unerlaubt eine Kopie aus dem Datengitter zog. Der Privatdetektiv meinte, die Kopie, die er abgefangen hatte, sei an einen Ort übertragen worden, die als Datenstop für eine Gruppe politischer Extremisten galt. Diese Vereinigung bezeichnete sich selbst als Zentristische Front. Was die Zentristische Front mit einer Untersuchung der Rigger-Gilde zu tun hatte, die sich um ein seit fünf Jahren verschollenes Schiff drehte, vermochte der Ermittler nicht zu sagen. Von der Zentristischen Front hatte Legroeder noch nie etwas gehört. Harriet erzählte ihm, das Hauptquartier des Verbands befände sich hier auf Faber Eridani, doch Aktivisten gäbe es auch auf einigen anderen Welten. Diese Gruppierung forderte in schon beinahe fanatischer Weise eine neue Expansion der Menschheit in die Galaxis. Ihre Philosophie beruhte auf dem so genannten Kismet-Manifest, in dem die feste Überzeugung vertreten wurde, dass die Menschen dazu bestimmt seien, die Sterne - und zwar alle - zu erobern und zu besiedeln. Obwohl man der Form halber behauptete, man wolle andere Spezies tolerieren, ging der Tenor jedoch dahin, der überlegenen menschlichen Rasse die Oberhoheit zu sichern.
Harriet schwieg, derweil Legroeder sich den Beginn von Jakus' Aussage ansah. Es war eine ziemlich ehrliche Schilderung des Piratenüberfalls, bei der jedoch eine wichtige Einzelheit fehlte. Mit keiner Silbe erwähnte Jakus die Sichtung des verschollenen Sternenschiffs Impris. Mit zusammengekniffenen Lippen schaute Legroeder hin und wartete gespannt darauf, wie sein alter Schiffsgefährte den Hinterhalt beschreiben würde, in den die L.A. geriet. In dieser Aufzeichnung war von dem Jakus, mit dem Legroeder auf der L.A. gedient hatte, nicht mehr viel zu erkennen. Zum einen wirkte er verzagt und mutlos, und - jedenfalls kam es Legroeder so vor - über seine Jahre hinaus gealtert. Zermürbt wäre vielleicht der treffendere Ausdruck. Die Gefangenschaft bei den Piraten hatte schwere Spuren hinterlassen. An seiner linken Schläfe flackerte ein implantierter Datenchip - zweifelsohne ein Werk der Piraten. Legroeder fragte sich, wie man ihn hier auf Faber Eridani wegen dieses Implantats behandelt hatte. Auf vielen Welten, in denen die Zentristen den Ton angaben, herrschten viele Vorurteile gegen diese Form der mechanischen Aufrüstung - jedenfalls war es vor sieben Jahren so gewesen. Nicht zum ersten Mal schickte Legroeder ein Dankgebet gen Himmel, weil man ihm diese spezielle Erniedrigung erspart hatte.
Dann stellte ein Mitglied der Untersuchungskommission Jakus die Frage, warum die Ciudad de los Angeles das Tempo so weit gedrosselt hatte, dass die Piraten überhaupt eine Möglichkeit zum Angriff bekamen.
»Jetzt achten Sie mal auf Jakus' Gesichtsausdruck«, murmelte Harriet.
Der Mann mit den verhärmten Zügen zögerte, ehe er antwortete. Jakus sah aus, als ginge er in Gedanken zwei oder drei mögliche Szenarien durch. Zweimal schien er zum Sprechen anzusetzen, überlegte es sich jedoch im letzten Augenblick anders. Er kratzte an dem Implantat in seiner Schläfe und legte den Kopf ein wenig schräg. Schließlich erwiderte er mit heiserer Stimme: »Es war wegen eines blöden Bildes von unserem Heckrigger. Er bildete sich ein, er hätte ein havariertes Schiff entdeckt.« Jakus versuchte, über diese verrückte Idee zu lachen, doch es wollte ihm nicht recht gelingen. »Wir anderen und der Skipper - wir durchschauten das Ganze. Es war bloß eine plumpe Täuschung durch die Piraten, um uns zu verwirren.«
»Waren Sie denn verwirrt?«, erkundigte sich jemand, der nicht im Bild zu sehen war.
»Na ja, danach wurden die Dinge ziemlich schnell ziemlich happig.« Jakus gab ein bellendes Gelächter von sich, das fast wie ein Husten klang. »Trotzdem...«
»Was?«
»Tja, wissen Sie. Wenn unser Heckrigger nicht drauf reingefallen wäre, hätten wir ein Zusammentreffen mit den Piraten vermeiden können. Sie steuerten erst auf uns zu, nachdem wir das Tempo verlangsamten.«
»Aber wenn Sie und der Captain den Hinterhalt durchschauten, konnten Sie dann nichts unternehmen?«
Jakus schüttelte den Kopf. Nun, da er die Lüge ausgesprochen hatte, schien sein Selbstbewusstsein wieder stärker zu werden. »Mit dem Riggen verhält es sich folgendermaßen - es ist eine Teamangelegenheit. Es genügt, wenn eine Person in die verkehrte Richtung abdriftet oder etwas durcheinander bringt, und das ganze Netz bricht zusammen. Genau das ist passiert - wir erhielten eine Fehlinformation vom Heck, weil unser Kumpel dort unentwegt behauptete, er würde etwas sehen. Und obwohl der Skipper meinte - na ja...« Jakus verhedderte sich. »Na ja, er befahl, auf Kurs zu bleiben, aber... aber es ging nicht...«
»Wegen des Heckriggers?«
»Jawohl.«
»Wie lautete sein Name?«
»Äh... hmm...« Jakus zögerte und schluckte krampfhaft. »Ich glaube, er hieß Groder. Kann das sein?«
Eine andere Stimme aus dem Komitee: »In der Rigger-Crew war ein Renwald Legroeder aufgeführt. Ist er der Mann, den Sie meinen?«
Jakus' Stimme schwankte ein bisschen. »Ja, das ist er.«
»Vielen Dank...«
»Legroeder«, wiederholte Jakus mit Nachdruck. »Es war Renwald Legroeder.«
Die Aufzeichnung war zu Ende.
Harriet schaltete den Monitor ab und setzte sich in den Ohrensessel hinter ihrem Schreibtisch. Das Licht, das durch das Fenster schien, färbte sich golden-orange, denn es war kurz vor Sonnenuntergang. »Was denken Sie?«
»Ich denke«, knurrte Legroeder, »dass ich mich gern einmal mit meinem Freund Jakus unterhalten möchte.«
»Dabei käme sicher nicht viel heraus.« Harriet nahm ihre Brille ab und ließ sie an einer Kette von ihrem Hals baumeln.
»Diese Aufnahme ist zwei Jahre alt. Mittlerweile ist die Untersuchung ein alter Hut. Doch wenn wir beweisen könnten, dass die Aussage nicht ganz den Tatsachen entspricht...«
»Beweisen? Der verdammte Hurensohn hat das Blaue vom Himmel herunter gelogen, weil er nicht glaubte, sich irgendwann einmal vor mir verantworten zu müssen.« Mühsam kämpfte Legroeder gegen seinen aufwallenden Zorn an. »Sie wissen nicht zufällig, wo er lebt, oder?«
»Ich habe ihn aus den Augen verloren...«
»Machen Sie mir bitte nichts vor. Sie sind meine Anwältin.«
Harriet funkelte ihn wütend an. »Also gut. Als Ihre Anwältin rate ich dringend vor einer persönlichen Konfrontation ab. Sie sind gegen Kaution draußen, schon vergessen?«
»Nein, ich hab's nicht vergessen. Aber irgendetwas ist hier oberfaul, und wir finden nicht heraus, was zum Himmel stinkt, wenn wir die Hände in den Schoß legen. Wissen Sie, wo Jakus steckt, oder wissen Sie es nicht?«
Eine Weile starrte Harriet ihn an. »Mal sehen, was in der neuesten Datei meines Privatdetektivs steht.« Sie setzte sich die Brille wieder auf, aktivierte einen kleinen Bildschirm auf ihrem Schreibtisch und studierte die Eintragungen, ehe sie sich Legroeder zuwandte. »Angeblich wohnte er kurze Zeit in einem Komplex der Rigger-Gilde am Stadtrand; dann verließ er die Gilde und zog in ein kleines Apartment. Seitdem ist er nicht mehr geflogen, aber er arbeitet für eine Wartungsfirma am Raumhafen.« Abermals konsultierte sie den Monitor. »Ich frage mich, welche Art von Tätigkeit ein Rigger in einer Wartungswerkstatt ausübt.«
Legroeder rieb sich das Kinn und dachte daran, wie oft er im Außenposten der Piraten mit Wartungsarbeiten beschäftigt gewesen war.
»Wie auch immer, er verbringt viel Zeit dort. Moment mal, hier steht - eines muss ich meinem Privatermittler lassen, er bleibt wirklich immer am Ball -, dass Jakus sein Apartment aufgegeben hat und jetzt ständig in dieser Wartungsanlage weilt.«
»Heißt das, dass er im Raumhafen schläft?«
»Offensichtlich.« Harriet schaltete den Monitor ab, »Die Frage ist, was unternehmen wir?«
Legroeder stand auf. Er zitterte, aber nicht, weil er zu viel Kaffee getrunken hatte. »Ich weiß, was ich tun muss.«
»So hatte ich das nicht gemeint, Legroeder. Bitte überlassen Sie mir die Initiative - andernfalls landen Sie womöglich wieder im Gefängnis. Mein PD soll mit Jakus Kontakt aufnehmen.«
Legroeder schloss die Augen, als die Erinnerung an all das, was geschehen war, eine neue Anwandlung von Wut in ihm auslöste. Er rang um Selbstbeherrschung. »Wahrscheinlich haben Sie Recht. Aber dies muss ich selbst in die Hand nehmen.« Jakus Bark. Mein Freund. Der verfluchte Dreckskerl ist mir in den Rücken gefallen. Gezwungen lächelte er Harriet an. »Ich werde nicht ausrasten. Ich habe nicht vor, ihn zu verprügeln oder so. Aber ich will mit ihm sprechen. Immerhin haben wir zusammen gearbeitet. Das kann man doch nicht einfach vergessen, oder?«
»Legroeder, bitte...«
»Danach befolge ich Ihre Ratschläge. Ich verspreche es.«
*
Der Raumhafen war eine riesige Anlage, gesäumt von zahllosen Hangars, Reparaturwerkstätten und Verwaltungsgebäuden. Nur wenige Wegweiser dienten Fremden zur Orientierung. Legroeder kannte den Komplex, doch er hatte Mühe, sich zurechtzufinden; während der letzten sieben Jahre hatte sich viel verändert. Man hatte ihm den Ausweis der Rigger-Gilde abgenommen, doch wie es sich herausstellte, war dieser Teil des Geländes so gut wie gar nicht bewacht.
Legroeder stand am Rand des verwahrlosten Plasphalt-Belags eines Parkplatzes und spähte blinzelnd über die freie Fläche in die untergehende Sonne. Anhand von Harriets Notizen versuchte er den Standort des Wartungshangars auszumachen. Er befand sich in einem abgelegenen Winkel des Komplexes, und das Ganze glich eher einem vergammelten Industriepark als einem Raumhafen.
Harriets Worte hallten in seinem Kopf nach. Was werden Sie tun, wenn er nicht mit Ihnen reden will? Sie hatte ihn lange und ernsthaft gemustert. Nicht einmal seine mittlerweile verstorbene Großmutter hätte gestrenger dreinblicken können.
Die Antwort blieb er ihr schuldig, weil er sie bis jetzt noch nicht wusste. Aber eines war ihm klar: Wenn er Jakus überhaupt zum Sprechen bringen wollte, dann musste er ihn persönlich aufsuchen. Mit Papierkram würde man nichts aus ihm herausbekommen.
Die Reihe von Hangars auf der anderen Seite des Platzes erschien ihm viel versprechend. Er marschierte über den geborstenen Plasphalt, wobei er unablässig die Fäuste ballte und wieder öffnete. Als er merkte, was er tat, zwang er sich dazu, die Hände ruhig zu halten.
Die letzte Werkstatt war die, nach der er suchte. Auf einem schmutzigen Schild stand: Cavanaugh und Farhoodi Rigger-Systeme. Weil die Hangartür geschlossen war, probierte er es an einer schmalen Seitenpforte. Knarrend ging sie auf und fiel hinter ihm mit einem lauten Knall ins Schloss. Drinnen entdeckte er ein schäbiges Büro mit einem zerkratzten Tisch und einem dreckigen Stuhl. Dahinter lag ein weiteres Zimmer, in dem Licht brannte. Eine Frauenstimme rief: »Heh, wer ist da? Wir haben geschlossen.«
»Hallo!«, rief er zurück und umrundete den Tisch, um in das Nebenzimmer zu peilen.
Eine mollige Frau in einem verschlissenen Overall stand hinter einem Schreibpult und hielt einen Staubwedel in der Hand. »Eigentlich sollte die Tür abgesperrt sein«, schimpfte sie. »Wir haben geschlossen.«
Legroeder spreizte die Finger. »Es tut mir Leid - aber ich bin nicht geschäftlich hier. Ich suche jemanden namens Jakus Bark. Man sagte mir, dass er hier arbeitet.«
Die Augen der Frau verengten sich misstrauisch. »Ja, das stimmt. Was wollen Sie von ihm?«
Nur zögernd kamen die Worte über seine Lippen. »Früher arbeiteten wir zusammen als... Rigger. Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen und wollte ihm... Guten Tag sagen. Außerdem würde ich gern in seine... Branche einsteigen.«
Die Frau musterte ihn von Kopf bis Fuß und schien seine Worte abzuwägen. Er vermochte nicht zu sagen, ob sie ihn aus den Nachrichtensendungen erkannte oder nicht. Vielleicht sah sie sich ja niemals die Nachrichten an. »Ich frag mal nach«, erbot sie sich. Sie berührte einen Komm-Schalter an ihrem Kragen, sprach ein Weilchen stimmlos vor sich hin und nickte dann. »Wie heißen Sie?«
Er stellte sich vor, und sie gab die Information weiter. Einmal hob sie die Augenbrauen, während sie einer Antwort lauschte. Schließlich zuckte sie die Achseln. »Das geht in Ordnung, schätze ich. Er steckt im - wie nennt ihr diese Dinger doch gleich - Sim'lator drei, ganz hinten.« Mit dem Daumen deutete sie über die Schulter auf eine Tür. »Dass Sie mir aber ja nichts anfassen, denn vermutlich dürften Sie da gar nicht rein.« Sie brummelte ein paar Worte zu sich selbst, ehe sie hinzufügte: »Und beeilen Sie sich. Ich will nämlich keine Scherereien kriegen.«
»Ich werde ganz vorsichtig sein«, versicherte Legroeder. »Vielen Dank.«
Er ging durch die Tür in den Hangar und blieb stehen, damit seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnten. Im Hangar parkten mehrere Raumschiffe von bescheidener Größe, wobei einige Luken und Konsolen zur Inspektion und Wartung geöffnet waren. Ein kleines Schiff hatte man weitgehend in seine Einzelteile zerlegt. Legroeder musste um den Bug des ersten Schiffs herumgehen, um einen Weg durch den Hangar zu finden. Zwei Schiffslängen weiter, an der rechten Wand, entdeckte er drei gigantische graue Eier. Das waren die Rigger-Station-Simulatoren, die dazu dienten, Reparaturen an den Flux-Reaktoren und am Rigger-Netz zu testen. Als Legroeder an den Schiffen entlangging, sah er hinten im Hangar das Flackern von aktinischem Licht. Jemand arbeitete mit einem Photonenbrenner unter dem Bauch eines dritten Schiffs.
Die Tür des Simulators drei stand ein wenig offen, und durch den Spalt schien Licht. Im Näherkommen sah er eine komplette Steuerungsanlage mit Kontrollen und Monitoren - und den Hinterkopf eines Mannes. Plötzlich ging die Tür ganz auf, der Sessel schwenkte herum, und sein alter Kamerad Jakus Bark blinzelte ihn unter dem Rand einer Schirmmütze an. »Legroeder«, sagte er und rieb sich die linke Schläfe. Unter seinen Fingerspitzen glitzerte ein Implantat. »Wer hätte das gedacht?«
Legroeder fiel es schwer zu sprechen. »Hallo... Jakus.«
Jakus kniff die Augen zusammen. »Menschenskind - schön, dich zu sehen. Ich hörte in den Nachrichten, dass du es geschafft hast. Mann, ich staune, dass überhaupt jemand fliehen konnte. Das war schon eine tolle Sache.« Seine Stimme bebte, als er zu seinem ehemaligen Crewkameraden hochblickte.
Legroeder musste ein paarmal ansetzen, ehe er seine Stimme wieder in der Gewalt hatte. Eine Unmenge von Gefühlen wallte in ihm auf, überlagert von einem maßlosen Groll. »Du bist doch auch weggekommen«, brachte er schließlich heraus. »Stell dir meine Überraschung vor, als ich davon hörte.«
Jakus zog ganz kurz die Brauen hoch, dann lachte er - ein nervöses Bellen, das in der winzigen Kammer widerhallte.
»In der Rigger-Gilde schien man deine Flucht vergessen zu haben«, fuhr Legroeder mit erzwungener Ruhe fort.
»Na ja, heh - da sieht man mal wieder, wie die Rigger-Gilde sich um ihre Leute kümmert.«
»Recht hast du«, räumte Legroeder ein. »Und auf welchem Weg bist du rausgekommen?«
Jakus zuckte die Achseln. »Ich befand mich auf einem Piratenschiff, das explodierte. Das geschah vor ein paar Jahren. Ich war der einzige Überlebende. Und wie hast du es bewerkstelligt?«
»Es ergab sich eine Gelegenheit zur Flucht. Keine schöne Geschichte.«
»Kann ich mir vorstellen.« Abermals gab Jakus ein nervöses Lachen von sich. Er deutete auf das Simulator-Panel. »Gefällt dir mein neuer Job?«
»Und ob. Ist richtig nett hier.« Legroeder blickte sich im Hangar um, dann fasste er wieder Jakus ins Auge. »Ich hab den Eindruck, du freust dich nicht über meinen Besuch - wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.«
»Na ja - nein, du verstehst das falsch, Mann. Scheiße - lass mich erst mal hier aussteigen...« Jakus stemmte sich aus dem Liegesessel hoch und hielt sich an den Rändern der Einstiegsöffnung fest. »Hab schon viel zu lange hier gehockt.« Er hievte sich aus dem Riesenei nach draußen und drückte sein Kreuz durch, wobei er Legroeder um gut sechs Zentimeter überragte. Sein Haar war schütter geworden, und die Gesichtszüge wirkten scharf, wie gemeißelt. »Ich hatte bloß nicht damit gerechnet, dass du wie aus heiterem Himmel hier auf tauchst, das ist alles. Wie, zum Teufel, hast du mich überhaupt gefunden?«
Legroeder überhörte die Frage und schaute noch einmal in die Runde. »Was genau tust du in diesem Laden?«
»Was glaubst du denn?« Jakus hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Ich übernehme die Wartungsarbeiten bei Schiffen, teste sie für die Kunden. Das hier ist keine pompöse Umgebung, aber wir zwei haben schon schlimmere Orte gesehen, was?«
Legroeder widersprach ihm nicht. Gewiss war es hier besser als in dem Piratennest, wo man ständig gegen Angst und Verzweiflung ankämpfte. Aber wie kam es, dass ein Rigger wie Jakus in einem solchen Drecksloch endete? Damals war er ein ausgezeichneter Rigger gewesen. Vor dem Piratenüberfall...
»Was ist los, Renwald?« Jakus lehnte sich gegen die Simulatorhülle. »Du bist doch nicht hergekommen, nur um mir mal kurz Guten Tag zu sagen, oder?«
Legroeder funkelte ihn aus schmalen Augenschlitzen an. »Nein, bin ich nicht.« Sein Magen verkrampfte sich. »Ich bin hier, um mit dir über deine Zeugenaussage vor der Rigger-Gilde zu reden.«
»Zeugenaussage?«, grunzte Jakus.
»Genau. Zeugenaussage. Es ging um die L.A. Möchtest du darüber sprechen? Warum du die Gilde angelogen hast, als du schildern solltest, wie es zu dem Piratenangriff kam.«
Jakus wich seinem Blick aus. »Ich habe keine Ahnung, was du meinst«, nuschelte er und massierte seine Nase. »Hab nie als Zeuge ausgesagt.«
»Ich habe die Videoaufzeichnung gesehen, Jakus«, sagte Legroeder hart. »Du gabst mir die Schuld, dass die L.A. gekapert wurde.«
Wieder stieß Jakus dieses nervöse Lachen aus. »Nein, nicht wirklich. Jetzt erinnere ich mich. Zuerst wusste ich nicht, worauf du hinaus wolltest.«
Legroeder bleckte die Zähne. »Du sagtest, du und der Captain hättet mir ausreden wollen, dass die Impris real war - und dass die Piraten nur wegen meines Irrtums angreifen konnten.«
Jakus starrte auf den Fußboden. »Na ja - aber so hat es sich doch zugetragen, oder?«
»Du gottverdammter Hurensohn!« Legroeder schlug mit der Faust gegen die Simulatorkapsel. »Du sahst das Schiff ebenso wie ich! Und Captain Hyutu gab den Befehl, längsseits zu gehen. Du hast mich noch bestätigt, als ich das Schiff identifizierte!«
Jakus hob die Brauen. »Hab ich das?«
»Ja. Verdammt noch mal, du hast die Beobachtung verifiziert.« Zischend blies Legroeder den Atem aus. »Was haben die Piraten mit dir angestellt, Jake? Früher konnte ich mich darauf verlassen, dass du die Wahrheit sagst. Anstatt zu lügen, um deinen Arsch zu retten...«
Jakus zuckte zusammen.
»...oder was immer du zu schützen versuchst.«
Jakus erwiderte nichts. Sein rechtes Augenlid begann zu flattern, und er rieb den Tic mit dem Finger. Als Jakus den Kopf drehte, bemerkte Legroeder, dass ein zweites Implantat hinter seinem rechten Ohr aktiv war; in unregelmäßigen Abständen flimmerte eine winzige rote Leuchtdiode auf. War Jakus in diesem Moment mit irgendetwas oder irgendjemandem verbunden? Oder dachte er bloß nach?
»Die Wahrheit«, sagte Jakus gedehnt. »Du benutzt dieses Wort sehr leichtfertig. Was genau verstehst du darunter?«
Legroeder schnaubte durch die Nase. »Muss ich dir erklären, was Wahrheit bedeutet?«
Jakus' Kiefer mahlten ein Weilchen, dann deutete er mit dem Kopf auf das erleuchtete Innere des Rigger-Simulators. »Na ja, zum Teufel noch mal, Renwald, wir sind doch beide Rigger, oder? Wir wissen, dass man im Flux oft genug nicht unterscheiden kann, was real ist und was Einbildung.«
»Red keinen Quatsch, Jakus! Flüstert dieses Ding dir so laut ins Ohr, dass du deine eigenen Gedanken nicht mehr hören kannst? Du und ich wissen, was wir sahen.«
»Es war nicht real«, betonte Jakus und schüttelte den Kopf. »Nicht real.«
»Du weißt, dass es real war!«, brüllte Legroeder. »Du hast den Notruf gehört. Hyutu befand sich nicht mal im Netz, und er hörte ihn auch! Wenn jemand an der Katastrophe schuld ist, dann er!«
»Zeige etwas mehr Respekt«, erwiderte Jakus und erschauerte. »Respekt vor dem Tod.«
Legroeder stutzte. »Wer ist tot?«
»Hyutu.« Mit dem Finger vollführte Jakus die Geste des Kehleaufschlitzens. »Die Piraten haben ihn liquidiert. Du und ich hatten Glück, dass sie uns am Leben ließen.«
Legroeder runzelte die Stirn. »Woher weißt du das? Warst du dabei?«
Jakus zuckte die Achseln. Er tippte auf die silberne Scheibe an seiner Schläfe. »Wenn du dieses Cyber-Zeug in deinem Kopf hättest, könntest du auch mehr sehen. Du würdest Dinge verstehen, die du jetzt nicht begreifst.«
Bei Jakus' Worten lief es Legroeder eiskalt über den Rücken. Cyber-Zeug. »Ist das der Grund?«, wisperte er. »Haben diese Implantate dir deine...« - er suchte nach dem passenden Ausdruck - »Integrität zerstört?«
Jakus lachte kurz. »Was, du willst über meine Integrität urteilen? Menschenskind, Renwald - du musst ja ein überaus integrer Mensch sein, wenn du jahrelang Piratenschiffe gesteuert und unschuldige Menschen verbrannt hast. Dass ich nicht lache!«
Vor Bitterkeit und Scham schoss Legroeder das Blut ins Gesicht. »Ich tat, wozu man mich zwang - um zu überleben. Ich streite gar nicht ab, dass ich als Rigger auf Piratenschiffen arbeitete.« Er hatte sich fügen müssen, wenn er am Leben bleiben wollte. Und nur seine überragenden Fähigkeiten als Rigger hatten ihn davor bewahrt, dass man ihm Implantate einsetzte; er konnte die Piraten davon überzeugen, dass er ohne irgendwelche Mechanik in seinem Kopf ein besserer Rigger war.
»Genau, Renwald, du hast ja so Recht. Wir taten alles, um zu überleben. Wir beide, du und ich. Und wenn du selbst einen Chip in deiner Schläfe hättest, würdest du dich vielleicht nicht so überlegen fühlen.« Jakus lächelte höhnisch. »Hör mal, es war nett von dir, dass du vorbeigekommen bist, aber ich muss wieder an meine Arbeit.«
Legroeder merkte, dass er Jakus erlaubt hatte, ihn vom eigentlichen Thema abzulenken. »Du hast die Gilde belogen, Jake. Dir habe ich es zu verdanken, dass ich mein Zertifikat los bin und man mir den Verlust der L.A. anhängt.«
»Tut mir aufrichtig Leid«, erwiderte Jakus.
»Wärst du dann bereit, dich der Gilde zu stellen und die Wahrheit zu sagen? Ihnen zu erzählen, dass wir beide die 7mpris sahen? Dass das Schiff real war?«
Jakus schüttelte den Kopf. »Ich sagte doch schon - im Flux kann man Phantasie von Wirklichkeit nicht immer trennen. Du hieltest das Schiff für real, ich nicht. Auch der Captain wusste, dass es ein Trugbild war. Ich habe nicht vor, meine Aussage zu ändern.«
»Aber die Piraten waren kein Hirngespinst, oder?«, knurrte Legroeder.
»Nein, die waren leider echt.« Jakus peilte über die Schulter, wie wenn er Angst hätte, jemand könnte sie belauschen. »Hör zu - wir zwei hatten verdammtes Glück, dass wir überhaupt wegkamen. Vielleicht nehmen sie dir wirklich für immer dein Zertifikat weg - ich besitze übrigens auch keines mehr aber du bist wenigstens mit heiler Haut davongekommen. Ist das nicht wichtiger als dein Zertifikat? Arbeiten kannst du trotzdem.«
»Arbeiten? Höchstwahrscheinlich sperren sie mich für den Rest meines Lebens ein. Oder sie unterziehen mich einer Gehirnwäsche.«
Jakus zuckte die Achseln. »Und wenn schon.«
Legroeder starrte in die beklemmende Düsternis des Hangars. Seine Gedanken überschlugen sich. »Ist das dein letztes Wort? Du lässt es zu, dass sie mir so etwas unterschieben?«
Abermals zuckte Jakus die Achseln. »Wenn du es so ausdrücken willst. Aber jetzt muss ich wirklich an meine Arbeit zurück.«
»Ja, sicher.« Legroeder machte keinen Hehl aus seinem Abscheu. »Du hast zu tun. Wir sehen uns noch, Jake.« Er wandte sich ab.
»Du weißt ja nicht, was die Wahrheit ist!«, rief Jakus ihm hinterher. Gleich darauf gab es einen lauten, metallischen Knall.
Legroeder drehte sich um; Jakus war in den Simulator geklettert und hatte die Tür hinter sich zugeschlagen. Wütend marschierte Legroeder davon, an den halb demontierten Raumschiffen entlang. Was, zum Teufel, ging hier vor? Wieso legte jemand so viel Wert darauf, dass man ihn für die Kaperung der L.A. verantwortlich machte? Es lag klar auf der Hand, dass Jakus nicht dahinter steckte. Der Plan schien von irgendeiner Stelle der Raumfahrtbehörde zu kommen. Aber welche Verbindung konnte zwischen der Raumfahrtbehörde und einem kleinen Ganoven wie Jakus bestehen?
Während er zum Hangartor zurückging, stellte er sich die Frage, welche Reederei eine derart heruntergekommene Werkstatt wie diese in Anspruch nahm. Er konnte nicht glauben, dass eine seriöse Firma hier arbeiten ließ. Eine Weile betrachtete er die Schiffe, dann erkannte er, was ihn daran störte. Sie sahen... gepanzert aus. Das Licht der einzigen Deckenleuchte spiegelte sich in den Rumpfplatten, die in einer grünlichen Farbe schimmerten, als bestünden sie aus oxidiertem Kupfer. Es war nicht auf den ersten Blick zu erkennen, und auch ihm wäre nichts aufgefallen, hätte er nicht sieben Jahre lang mit Kriegsschiffen der Piraten zu tun gehabt. Aber diese Außenhüllen schienen mit einer Panzerung aus Arnidium verkleidet zu sein, einem extrem harten und strahlungsresistenten Material. Nachdem Legroeder verstohlen um sich geblickt hatte, ging er in die Hocke, um unter das nächste Schiff zu spähen.
Viel gab es nicht zu sehen - eine Reihe von geschlossenen Abteilungen in der Rumpfunterseite der Maschine. Er richtete sein Augenmerk auf das nächste Fluggerät; dabei entdeckte er die Füße eines Mechanikers, der mit einer Werkstattlampe herumging. Hinter dem Schiff öffnete sich eine Luke mit einem mechanischen Zischen. Legroeder ging noch tiefer in die Hocke und strengte sich an, um besser beobachten zu können. Die Füße wandten sich nach links, dann nach rechts. Das Licht flackerte. Er erhaschte einen kurzen Blick in die soeben geöffnete Abteilung. Eine Waffenstation. Ihm fielen drei schmale Geräte ins Auge - dunkel, schnittig, ölig glänzend. Dann bewegte sich der Lichtstrahl weiter, und das Schiff lag abermals im Dunkeln. Er hörte das Fauchen, mit dem sich die Luke wieder schloss.
Auf den Fersen kauernd, lehnte sich Legroeder zurück und blies langsam den Atem aus. Das waren Flux-Torpedos, dessen war er sich ziemlich sicher. Aber warum, zum Teufel, war ein solches Schiff in einer solchen Werkstatt mit Flux-Torpedos ausgerüstet? Das Fluggerät trug kein Hoheitsabzeichen, weder das der Polizei noch das der Marine. Wozu diente es dann? Um eine geheime Operation durchzuführen? Kriminellen Zwecken? Und das hier auf dem größten und wichtigsten Raumhafen? Ohne dass die Sicherheitskräfte der Raumfahrtbehörde etwas mitkriegten... Es sei denn, sie wussten Bescheid. Doch das war unmöglich, oder etwa nicht?
Geräuschlos erhob sich Legroeder aus der Hocke. Je eher er von hier fort kam, umso besser. Im Weitergehen sah er den Arbeiter mit dem Photonenbrenner, der sich zwischen den beiden Schiffen bewegte; er musste die Waffenstation geöffnet und wieder geschlossen haben. Der Kerl warf Legroeder einen unfreundlichen Blick zu und glotzte ihm hinterher, während er mit klopfendem Herzen dem Vorderausgang zustrebte.
Als er in der Nähe des Büros stehen blieb, hörte er Schritte, dann das Scheppern von Metall. Eine unvertraute Stimme rief nach Jakus; Jakus brüllte zurück. Die Ohren gespitzt, verharrte Legroeder im Schatten. Als sich die Stimmen in einem hitzigen Streit in die Höhe schraubten, biss er sich auf die Lippe. Was habe ich angerichtet? Ohne genau zu wissen warum, pirschte er verstohlen denselben Weg zurück. Sich am Rumpf des nächsten Schiffes entlangstehlend, versuchte er, das Gespräch zu verstehen. Er schnappte seinen eigenen Namen auf - dann kreischte Jakus: »...hab ihm doch nichts verraten!« Die Stimmen nahmen einen gedämpfteren Klang an. Er musste sich anstrengen, um ein paar Brocken zu erhaschen, und er glaubte, das Wort Impris herauszuhören. Die Wut, die in den Stimmen mitschwang, war unverkennbar und machte das Gebrüll nahezu unverständlich. Dann vernahm er einen schweren, dumpfen Schlag und ein lang anhaltendes Stöhnen. Daraufhin mischte sich eine dritte Stimme ein, in einer Sprache, die Legroeder nicht verstand - vielleicht Veti Alphan. Es gab einen zweiten Schlag, und das qualvolle Ächzen verstummte. Schritte, die sich eilig entfernten. Was, zum Teufel, ging hier vor?
Halt dich da raus, Legroeder.
Aber er konnte nicht einfach Weggehen, oder? Jemand hatte eindeutig seine Unterredung mit Jakus belauscht.
Gott verdammt! Hastig blickte er sich nach einem Gegenstand um, mit dem er sich notfalls verteidigen konnte. Nichts zu finden. Leise fluchend schlich er sich zu den Simulator-Kapseln zurück. Die Tür zum dritten Simulator stand offen, und Licht schien heraus. Er presste die Lippen zusammen. Vielleicht sollte er so tun, als sei er zurückgekommen, weil er etwas vergessen hatte. »Jakus, bist du noch da?«, rief er leise. Keine Antwort; doch hinten im Hangar knallte eine Tür ins Schloss.
»Jakus?« Er spähte in die Simulator-Kapsel. Sie war leer, doch die Kontrollen standen noch unter Energie, eine Simulation flimmerte über die Bildschirme. Auf dem Boden lag Jakus' Kappe mit verbogenem Schirm. Legroeder hob sie auf und prüfte sie im Licht der Simulations-Kammer. Am Rand klebte ein dunkler, feuchter Fleck. Blut, wie es schien.
Nervös blickte Legroeder sich um. Nun machte der Hangar einen völlig verlassenen Eindruck. Er bückte sich, um unter die Schiffe zu spähen. Niemand in Sicht. Dann hörte er, wie draußen Türen zuschlugen und ein Motor angelassen wurde. Fuhr jemand weg? Vielleicht, um Jakus fortzuschaffen? Legroeder umkreise das Heck des dritten Schiffs und stahl sich in den hintersten Teil des Hangars. Überall lagen Werkzeuge herum, die dazu dienten, Raumschiffe zu warten. Es stank nach Ozon und vakuumgeeigneten Schmiermitteln. In einer entfernten Ecke führte ein trübe beleuchteter Gang aus dem Hangar heraus. Zögernd steuerte er darauf zu. Der Korridor war nur kurz. Im matten Schein einer Notbeleuchtung sah er zwei Türen an der rechten Seite und eine am Ende des Flurs.
Legroeder holte tief Luft. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihm breit. Er benahm sich töricht. Was sollte er tun, wenn er jemandem begegnete? Trotzdem... jetzt war er schon so weit gekommen. Er betrat den Gang. Wohin führte er - zu Lagerräumen, Büros, Waffenkammern? An einer der beiden Türen zur Rechten befand sich ein vor Schmutz starrendes Warnschild: Achtung - stufen. Vorsichtig probierte er den Knauf. Abgesperrt. Leise atmete er aus. Hinter der Tür am Ende des Korridors nahm er Verkehrsgeräusche wahr. Es war eine Stahltür mit einem druckknopfgesteuerten Öffnungsmechanismus, daneben befand sich eine Alarmanlage. Mit einem nervösen Blick auf die Alarmvorrichtung öffnete er die Tür.
Die kühle Nachtluft begrüßte ihn, zusammen mit dem Brummen eines vorbeibrausenden Lasters. Er stand oben auf einer kurzen Treppe. In der heraufziehenden Dunkelheit wanderte sein Blick über ein paar leere Ladedocks; viel mehr gab es nicht zu sehen. In der Ferne glommen die Lichter des Raumhafens. Falls man Jakus nach draußen geschleppt hatte, so war er längst fort. Legroeder schickte sich an, in den Hangar zurückzukehren.
»Das reicht jetzt, du Blödmann...«
Er nahm nur einen verschwommenen Schatten wahr. Dann traf ihn der Knüppel seitlich am Kopf, und er taumelte rückwärts die Stufen hinunter. Sein Schädel schlug hart auf dem Rollfeld auf, und jemand rief ihm zu: »Wenn du noch einmal hier aufkreuzt, bringen wir dich um.« Dann knallte die Tür zu. Benommen hob er einen Arm, um weitere Hiebe abzuwehren, doch es kamen keine.
Als er sich endlich in eine sitzende Position hochgerappelt hatte, erkannte er, dass er ganz allein war, außerhalb des verschlossenen Gebäudes.
Kapitel 5: Harriets Methode
»Sie hatten Glück, dass sie Sie nicht getötet haben«, meinte Harriet und untersuchte die Wunde an seiner Schläfe. »Vermutlich war es ihnen nur zu lästig, Ihre Leiche verschwinden zu lassen. Um Himmels willen, halten Sie doch endlich still!«
Legroeder stöhnte, als Harriet mit einem antiseptischen Tuch die Schürfwunde reinigte. Kopfschüttelnd sprühte sie ein Pflaster darüber. »Ich bin Anwältin, keine Ärztin«, murmelte sie. »Na also, ich hoffe, es hält.«
»Vielen Dank«, erwiderte Legroeder und betastete die verpflasterte Stelle mit einer Fingerspitze. »Man merkt, dass Sie mal eine Mutter waren.«
»Ich bin immer noch eine«, beschied ihm Harriet und legte die Dose mit dem Sprühpflaster in den Erste-Hilfe-Kasten zurück. »Wenn auch keine besonders gute.«
»Oh - na ja...«
Sie setzte sich wieder hinter ihren Schreibtisch und öffnete ihr Computer-Pad. »Möchten Sie mir nicht erzählen, warum Sie so etwas Dummes anstellten? Es war schon schlimm genug, dass Sie darauf beharrten, mit Jakus zu sprechen. Und dann schnüffelten Sie auch noch im dunklen Hangar herum.« Harriet lehnte sich in ihrem Sessel zurück und sah ihn an. »Aber da Sie noch einmal zurückgingen, um Ihrem verletzten Kameraden zu helfen, enthalte ich mich jeder weiteren Bemerkung über Mandanten, die sich töricht benehmen.«
Legroeder seufzte. Er kam sich vor wie ein Idiot. Noch schlimmer, er wusste nicht, was er als Nächstes unternehmen sollte. »Es bleibt die Frage, was mit Jakus geschehen ist. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie ihn umgebracht haben.« Ihm war klar, dass Jakus nicht aus eigenem Antrieb vor der
Raumfahrtbehörde gelogen hatte, sondern dass man ihm den Befehl dazu gegeben hatte. Und wenn ihr Gespräch im Hangar belauscht worden war...
Legroeder hatte eine Stinkwut auf diesen Kerl, aber den Tod wünschte er ihm nicht. Zum einen, weil immer noch die Möglichkeit bestand, dass er seine Aussage widerrief und Legroeder entlastete. Obwohl die Chance verschwindend gering war, in dieser Hinsicht machte er sich nichts vor.
»Ich wäre auch nicht überrascht, wenn sie ihn getötet hätten. Schade, dass Sie die blutverschmierte Kappe nicht mitbringen konnten. Das wäre ein Indiz«, sagte Harriet.
Legroeder schnaubte durch die Nase. Er wusste nicht mehr, ob er die Kappe im Simulator zurückgelassen hatte oder ob sie ihm aus der Hand gefallen war, als man ihn niederknüppelte. Der Schlag auf den Kopf trübte sein Erinnerungsvermögen.
»Natürlich klebt jetzt nicht nur Jakus' Blut an der Kappe, sondern auch das Hautfett von Ihren Fingern«, gab Harriet zu bedenken. »Also brauchen wir keinen großen Wert darauf zu legen, dass diese Schirmmütze wieder auftaucht.«
»Das Ganze tut mir aufrichtig Leid. Aber können wir denn gar nichts unternehmen? Sollten wir nicht wenigstens die Polizei informieren? Angenommen, Jakus' Leiche liegt noch irgendwo im Hangar oder sie haben ihn in einen Graben geworfen?«
Harriet stieß einen Seufzer aus. »In Anbetracht der Umstände und dass man darauf aus ist, Ihnen ein Verbrechen anzulasten, bin ich mir nicht sicher, wem wir überhaupt trauen können. Wahrscheinlich untersteht der Hangar der Gerichtsbarkeit der Raumfahrtbehörde.«
»Aber...«
»Allerdings könnte ich mit meinem Privatdetektiv Kontakt aufnehmen und ihn bitten, telefonisch eine anonyme Meldung durchzugeben. Er soll behaupten, er hätte gehört, dass in diesem Hangar ein Kampf stattgefunden habe. Warten Sie einen Moment.« Sie berührte den Kommunikator an ihrem Hals und schwenkte den Sessel herum. »Peter? Hier spricht Harriet Mahoney. Ich möchte, dass Sie mir einen Gefallen tun...«
Als sie das Gespräch beendet hatte, wandte sie sich wieder Legroeder zu. »Machen Sie sich lieber keine großen Hoffnungen«, ermahnte sie ihn. »Und erwarten Sie nicht, dass man im Hangar gepanzerte Schiffe vorfindet, wenn man sich dort umschaut. Sie wissen schon, was ich meine.«
Legroeder hob die Hände und ließ sie wieder sinken. »Na schön. Jedenfalls haben wir unsere Pflicht getan. Was kommt als Nächstes?«
»Ich bitte Peter, er soll ein paar Recherchen bezüglich geheimer militärischer oder paramilitärischer Operationen anstellen. Oder was sonst noch infrage käme - es könnte ein Dutzend plausibler Erklärung für das Vorhandensein dieser Schiffe geben. Doch da Jakus involviert ist, dürfte die Angelegenheit für uns von Interesse sein. Aber das herauszufinden, ist Peters Job, wir lassen besser die Finger davon. Wir können uns anderweitig nützlich machen...« Harriet ließ die Brille an der Kette herunterbaumeln und sah ihn an. »Sind Sie jetzt bereit, einen Rat Ihrer Anwältin zu befolgen?«
Er gab sich geschlagen. »Ich gab Ihnen mein Wort, nicht wahr?«
»Wie gut, dass Sie sich daran erinnern.« Harriet lächelte matt. »Ich finde, wir sollten uns sämtliches Informationsmaterial über das Sternenschiff Impris besorgen, das in dieser Stadt erhältlich ist.«
Fragend spreizte er die Finger. »Und wo fangen wir mit der Suche an? Weder in der Bibliothek der Rigger-Gilde noch in der Bücherei der Raumfahrtbehörde gibt es darüber Material.«
Harriet klappte ihr Computer-Pad zu. »Zuerst einmal gönnen wir uns ein paar Stunden Schlaf. Ich kann Sie bei mir unterbringen. Oder möchten Sie lieber woanders wohnen? - Gut. Gleich morgen früh statten wir der öffentlichen Bibliothek einen Besuch ab.«
»Der öffentlichen Bibliothek?«
»Ob Sie es glauben oder nicht, Legroeder, aber Rigger sind nicht die einzigen Personen, die sich gern Wissen aneignen.«
*
Eine orangerote Sonne weckte Legroeder, noch ehe jemand an seine Tür klopfte. Auf einen Ellbogen gestützt lag er im Bett und schaute aus dem Fenster auf Gebäudedächer, als eine samtweiche Stimme schnurrte: »Sie wollten um sechs geweckt werden, Mr. Legroeder-r-r?« Es war Harriets Haushälterin, Vegas.
»Ich bin wach«, rief er zurück. Er zog sich an und verließ das Gästequartier. Es handelte sich um ein kleines Cottage, ungefähr zwanzig Meter von Harriets Haus entfernt. Er spazierte durch den Garten zur hinteren Tür des Haupthauses; Vegas war vorausgeeilt und ließ ihn herein. Vegas war eine Eingeborene von Faber, die aussah wie eine Kreuzung zwischen einem Schwan und einem sehr schlanken, sehr hellhäutigen Humanoiden mit kleinen verkümmerten Flügeln. Sie führte ihn ins Speisezimmer.
Harriet saß am Tisch bei einer Tasse Tee und studierte ihr Computer-Pad. »Guten Morgen. Haben Sie gut geschlafen?«
Harriet war eindeutig ein Morgenmensch. Im Gegensatz zu Legroeder. Und er hatte nicht gut geschlafen; während der Nacht war er dauernd aufgewacht. »Hätte gar nicht besser sein können. Haben Sie schon mit den Recherchen angefangen?«
»Ich habe in der Bibliothek der Gilde nach Dateien über die Impris gesucht, aber da gibt es nicht viel, wie Sie bereits sagten. Also probierte ich es mit den Hauptdateien in der öffentlichen Bibliothek. Gut bestückt sind sie da aber auch nicht.« Harriet spielte mit dem Monitor des Com-Pads. »Nur ein Resümee, das die Legenden um die Impris mit den alten Geschichten vom Fliegenden Holländer vergleicht. Wenn man davon ausgeht, wundert man sich, wenn überhaupt jemand diese angeblichen Sichtungen ernst nimmt.«
»Und das hier, in ihrem Heimathafen. Man sollte doch annehmen, dass auf diesem Planeten mehr Informationen über die Impris zu erhalten sind als an irgendeinem anderen Ort in der Galaxis.« Legroeder zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und blickte dankbar Vegas an, die soeben mit einem Tablett erschien und ihm Kaffee in einer Thermoskanne und eine Tasse brachte.
»Nun ja, das Schiff ging vor einhundertundvierundzwanzig Jahren während des Krieges verloren. Und nach dem Krieg verschwanden viele der frühen Aufzeichnungen.« Harriet drehte das Com-Pad herum. »Hier, sehen Sie selbst.«
Legroeder schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und gab eine gelblich gefärbte Sahne hinzu. An dem Kaffee nippend, las er den Eintrag.
»Impris. Interstellares Linienschiff, das während des Kriegs der Tausend Sonnen von Faber Eridani aus regelmäßig Passagiere beförderte. Im letzten Kriegsjahr verschwand die Impris auf einem Routineflug. Für den Verlust des Schiffs gab es nie eine offizielle Erklärung; aber inoffizielle und höchst umstrittene Berichte machten für das Verschwinden der Impris einen überraschenden und feindseligen Angriff der Narseil verantwortlich, die bis dahin als Verbündete der von Menschen besiedelten Zentristischen Welten galten. (Für einen historischen Überblick siehe Narseil: Partnerschaft mit den zentristischen weiten: Abbruch der Beziehungen.)«
Legroeder stieß einen brummenden Laut aus. Die Narseil hätte er nicht mit der Impris in Verbindung gebracht. Die amphibischen Narseil waren recht seltene - und nicht immer willkommene - Gäste in der menschlichen Gemeinschaft. Aber ihre Rigger galten als die besten der bekannten Galaxis, und das Narseiller Rigging Institut war führend, wenn es um das wissenschaftliche Studium und die Technik des Riggens ging. Legroeder war schon immer der Meinung, dass die Narseil den menschlichen Riggern eine Menge beibringen konnten, wenn man ihnen nur Gelegenheit dazu gab. Über die historischen Beziehungen zwischen den von Menschen und Narseil bewohnten Welten wusste er nicht viel - Geschichte war nie seine starke Seite gewesen - aber er konnte sich nicht vorstellen, aus welchem Grund die Narseil die Impris hätten zerstören sollen.
Schlückchenweise seinen Kaffee trinkend, las er weiter.
»Während der Nachkriegswirren auf dem Heimatplaneten der Impris, Faber Eridani, gingen wichtige Informationen und etliche andere Berichte, die Aufschluss über das Verschwinden des Schiffs hätten geben können, unwiederbringlich verloren. Das Ereignis wäre längst in Vergessenheit geraten, gäbe es nicht immer noch politische Vorbehalte gegen die Narseil, eine Einstellung, die unter anderem dazu führte, dass die Erforschung des Weltraums sich verzögerte (siehe auch die Erkundung der Galaxis: Gemeinsame Projekte: Stagnation der Nachkriegsära). Zudem entstanden im Laufe der nächsten Jahrzehnte innerhalb der Rigger-Gemeinde seltsame Legenden, die die Impris als den Fliegenden Holländer des Universums bezeichneten - ein Gespensterschiff, das mitsamt seiner unsterblichen Besatzung dazu verdammt ist, bis in alle Ewigkeit durch den Flux zu segeln.
Bis jetzt liegen keine objektiven Beweise vor, um den Realitätsgehalt dieser Legenden zu unterstützen. Doch angeblich wurde das Schiff seit seinem Verschwinden vor über hundert Jahren mehrere Male von Riggern bei Routineflügen durch den Flux gesichtet. Es wird berichtet, die Rigger hätten einen flüchtigen Blick auf die geisterhafte Form des Schiffs erhascht und manchmal sogar schwache Notsignale aufgefangen. Doch die Crew der Impris antwortete niemals auf Versuche, einen Kontakt herzustellen. Eine Variante dieses Mythos führt den Verlust anderer Schiffe auf eine tödliche Begegnung mit der Impris zurück; aber auch diese Behauptungen lassen sich nicht beweisen.
Obwohl die Legenden für die Rigger-Navigation keine praktische Bedeutung haben, bildete sich im Lauf der Jahre zu diesem Thema eine blühende Folklore aus, die nicht nur die Impris, sondern auch andere Schiffe, die als im Universum verschollen gelten, zum Thema hat; diese Geschichten ranken sich hauptsächlich um die Devonhol und die Totauri. (Siehe Vermeintliche Gespensterschiffe: Weltraum und die Legende vom fliegenden Holländer: Literatur und Holo: Fakten Vs. Fiktion).«
Legroeder schwenkte den Monitor wieder in Harriets Richtung. »Das hilft uns auch nicht weiter.«
Harriet schüttelte den Kopf. »Wie ich schon sagte, es ist ein erster Schritt.« Sie nahm sich ein Hörnchen von einem Tablett, das Vegas auf den Tisch gestellt hatte, und bestrich es mit Butter. »Essen Sie, dann fahren wir in die Stadt und sehen, was wir zu diesem Thema finden.«
»In die Stadt fahren?«, wunderte sich Legroeder. »Wozu soll das gut sein?«
Harriet schmunzelte und biss einen Happen von ihrem Hörnchen ab.
*
Die öffentliche Bibliothek von Elmira befand sich in einem hohen Turm, der ursprünglich als Rathaus diente und später in eine öffentliche Bibliothek umfunktioniert wurde; eine prosaischere Angelegenheit als die Stadtverwaltung, wie manche meinten. Als sie aus dem Hoverbus ausstiegen und zu Fuß weitergingen, gestand Harriet Legroeder, wie gern sie sich in der Bibliothek aufhielt. Von zu Hause oder irgendeinem Café aus hätte sie sich in jede Datei einloggen können, doch sie liebte die Sammlung der echten hard-copy Bücher. Papier, Mylar, Pergament... ihr war es einerlei, worauf sie gedruckt waren. »Ich mag das Beständige, die Textur, den Geruch dieser alten Wälzer...«
»Den Staub, die Staubmilben...«
»Himmel noch mal, müssen Sie immer alles vermiesen?« Harriet lotste ihn die Treppe hoch und in den zentralen Saal der Bücherei. »Mein lieber Legroeder, manchmal finden Sie Informationen in hard-copy Büchern oder auch durch Personen, die es im Internet einfach nicht gibt.«
Legroeder brummte abfällig.
»Na ja, vielleicht behalten Sie ja Recht. Wir werden sehen.« Rüstig schritt sie aus. Sie durchquerten den Hauptlesesaal, vorbei an einer kleinen Galerie mit Pastellzeichnungen auf Papier - Kunstwerke der Eingeborenen. Am Ende des Lesesaals gelangten sie an eine massive Holztür, hinter der ein Korridor lag, von dem Büros und Studierzimmer abzweigten. Harriet klopfte an die dritte Tür zur Rechten. Eine einheimische Fabri blickte von ihrem Schreibtisch auf. Legroeder fand, sie sähe genauso aus wie Vegas.
»Quoya, Mrs. Mahoney«, grüßte die Frau mit einem melodiösen Lachen. »Schön, Sie wieder-r-rzusehen.«
»Guten Morgen, Adaria«, erwiderte Harriet. »Ob Sie uns heute wohl bei der Lösung eines Problems behilflich sein könnten?«
»Ha, ich bemühe mich doch immer-r-r, oder etwa nicht? Welches Thema inter-r-ressiert Sie denn dieses Mal? Exotische
Kochr-r-rezepte aus den Gar-r-rssen Ber-r-rgen? Das Tierleben in den Zir-r-ruswolken? Die Ar-r-rchitektur der alten Erde?«
Harriet lächelte. »Nein, danke. Mein Freund Legroeder und ich suchen nach alten Informationen, die nicht mehr im Umlauf sind, und ich dachte mir, vielleicht könnten wir in einem der Originalberichte, die noch auf Papier gedruckt sind, fündig werden.«
»Natürlich«, erwiderte Adaria und schenkte ihnen ein zahnloses Lächeln; anstatt eines Gebisses besaßen die Fabri Gaumenplatten zum Zerkleinern von Nahrung. »Und wonach suchen Sie?«
»Nun ja - wir hofften, Sie könnten uns ein paar aufschlussreiche Hinweise über die Impris besorgen, dieses legendäre Sternenschiff. Wie Sie wissen, war Faber Eridani sein Heimathafen. Aber bis jetzt bin ich auf keine Aufzeichnungen von Belang gestoßen.«
Adaria lehnte sich leicht zurück. »Ffff. Und in den Hauptdateien haben Sie nichts gefunden?«
»Nichts, was der Rede wert wäre. Deshalb dachten wir, die Originalberichte könnten eventuell ergiebiger sein.«
»Ahh. Es ist sicher nicht ganz einfach, an diese Originale heranzukommen. Wenn Sie bitte hier warten wollen...«
Ein bisschen hektisch stand die Bibliothekarin auf und eilte den Korridor hinunter. Als sie wenige Minuten später zurückkam machte sie einen aufgeregten Eindruck. »Ich habe mit dem Direktor des Archivs gesprochen. Diese Dokumente waren sehr alt und wurden leider schon vor Jahren aus der Sammlung entfernt.« Sie schnaufte ein paarmal.
Aufmerksam legte Harriet den Kopf schräg. »Das tut mir Leid. Stimmt etwas nicht, Adaria?«
»Wie bitte? Ffff - nein alles bestens. Das heißt, ich glaube, dass alles in Ordnung ist. Aber meine Frage schien den Direktor aus irgendeinem Grund zu beunruhigen. Warum, weiß ich nicht.« Nervös plusterte die Bibliothekarin einen ihrer rudimentären Flügel auf.
»Ich verstehe.« Harriet zog die Stirn kraus. »Wissen Sie zufällig, warum diese Dokumente fortgeschafft wurden?«
Adaria blickte verunsichert drein. »Meistens geschieht das, wenn keiner mehr nach ihnen fragt. Unterlagen, die ohnehin niemand liest, werden nicht ewig hier aufbewahrt.«
Legroeder mischte sich ein. »Merkwürdig. Das Schiff stammte von Faber Eridani. Jemand muss sich doch für seine Geschichte interessiert haben - und wenn nur, um die Legende als Touristenattraktion zu vermarkten.«
»Eine berechtigte Fr-r-rage«, räumte die Fabri ein. »Ich erinnere mich, dass die private Presse ein paar Artikel zu diesem Thema veröffentlichte. Aber sie schienen nicht viel Beachtung zu finden. Wir verfügen nicht einmal über Kopien dieser Publikationen.«
Harriet rieb sich das Kinn, derweil die Bibliothekarin die Achseln zuckte. »Verraten Sie mir eines. Hat man die Berichte vernichtet, nachdem sie aus dem Bestand genommen wurden?«
»Nun - fffff - woher soll ich das wissen? Das liegt Jahre zurück.«
»Angenommen, diese Aufzeichnungen existierten noch. Wo könnte man sie wohl hingebracht haben?«
Adaria schnalzte nachdenklich mit der Zunge. »Möglicherweise wurden sie einer kleineren, spezialisierteren Sammlung einverleibt. Das passiert manchmal mit veraltetem Material.«
»Ließe es sich feststellen, in wessen Besitz sich diese Aufzeichnungen jetzt befinden?«
Adaria konsultierte ihr Computer-Pad. »Ffff - ich hätte da eine Idee. Diese Presseartikel, die ich vorhin erwähnte - ein paar wurden von einem gewissen R-r-robert McGinnis geschrieben und publiziert.«
Harriet hob die Hände. »Kennen Sie diesen Mann?«
»Ich habe von ihm gehört«, entgegnete Adaria. »Er besitzt ein pr-r-rivates Archiv und hat ein besonderes Interesse an Material, das während des Krieges der Tausend Sonnen entstand. Man sagt ihm nach, er sei ein Eigenbr-r-rötler und Eremit, aber seine Sammlung genießt höchstes Ansehen. Vielleicht gibt es einen Hinweis auf seinen Wohnsitz... Fffff, jawohl. Möchten Sie die Adresse haben?«
»Ja, bitte«, erwiderte Harriet. Sie drückte den Ring an ihrer rechten Hand gegen die Kante des Com-Pads. Dann nickte sie. »Vielen Dank, Adaria. Sie haben uns sehr geholfen.«
Mit flatternden Schwingen erhob sich die Bibliothekarin. »Es ist mir immer ein Vergnügen, Mrs. Mahoney. Das nächste Mal suchen wir vielleicht etwas über-r-r Edelsteine von Iliution heraus. Ffff - wir haben wundervolles Bildmaterial. Geradezu hin- r-r-reißend.«
Harriet lächelte. »Warum nicht, Adaria. Bis bald.« Sie wandte sich an Legroeder. »Können wir jetzt gehen?«
Legroeder nickte der Bibliothekarin höflich zu und verließ mit Harriet das Gebäude. »Hat es sich gelohnt?«, fragte er und blinzelte im Glast der grellen Vormittagssonne, die nun in einem bläulichen Licht strahlte.
»Das werden wir bald wissen, nehme ich an.« Harriet summte leise vor sich hin. »Adaria ist ein Schatz und immer sehr hilfsbereit. Ich arbeite gelegentlich für ihr Volk, wissen Sie - die eingeborenen Fabri haben manchmal Probleme mit unserem Verständnis von Zivilisation. Unter anderem geraten sie mit Gruppierungen wie der Zentristischen Front aneinander, die ihnen ihr Land wegnehmen und sie drangsalieren. Und niemand gebietet ihnen Einhalt. Bei gewissen Anlässen stand ich den Fabri mit juristischem Rat zur Seite.«
Verblüfft sah Legroeder sie an. »Mir scheint, Sie sind sehr aktiv. Und die Zentristische Front wohl auch.«
Harriet zuckte die Achseln und furchte die Stirn. »Es passieren eine Menge Dinge, von denen Sie nicht die geringste Ahnung haben - und die Sie selbst dann nicht bemerken würden, wenn Sie bereits seit Längerem hier lebten.« Ehe er etwas erwidern konnte, lotste sie ihn um eine Ecke. »Möchten Sie vielleicht Ihre Freundin im Krankenhaus besuchen? Derweil erkundige ich mich, was es mit diesem Mr. McGinnis auf sich hat, und später treffen wir uns in diesem herrlichen Café gleich beim Hospital...«
*
Regungslos saß Legroeder an Maris' Bett, seine Hand ruhte auf ihrem Arm. Während er zusah, wie sie in ihrem Hydrobett schlief, dachte er: Sie schläft. Ich will glauben, dass sie schläft. Besser als die Vorstellung, wie sie im Koma liegt und von diesen verfluchten Implantaten langsam erstickt wird. Die Brandmale an ihrem Gesicht und am Hals schienen ihn unter den durchsichtigen Bandagen boshaft anzuschielen. Ihr habe ich es zu verdanken, dass ich lebend aus der Piratenfestung rauskam. Sie hat die Wachen aufgehalten - obwohl sie selbst angeschossen wurde. Ergrimmt schüttelte er den Kopf.
Er wünschte sich, er könnte ihr helfen. Helfen zu genesen, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Resigniert lehnte er seinen Kopf gegen die Wand und schloss die Augen, bestrebt, dieses Gefühl der Ohnmacht zu verdrängen - nicht nur bezüglich Maris, sondern weil er sich irgendwelchen unbekannten Mächten hilflos ausgeliefert fühlte. Wie viele Feinde kann ein Mann haben? Er hasste die Vorstellung, dass jemand ihn vernichten wollte.
»Mr. Legroeder?«
Er öffnete die Augen. »Ja?«
Vor ihm stand ein Pflegeroboter. »Es tut mir Leid, aber Ihre Besuchszeit ist abgelaufen.«
Seufzend stand er auf. »Sie benachrichtigen mich doch, wenn ihr Zustand sich ändert?«
»Selbstverständlich, Sir.«
Legroeder sprach ein stummes Gebet für seine Gefährtin und verließ das Krankenhaus, um sich mit Harriet zu treffen.
*
Er fand sie an einem hinteren Tisch in dem Café, ihr Computer- Pad hatte sie an einen Wandstecker angeschlossen. »Ah, da sind Sie ja«, begrüßte sie ihn. »Ich fing schon an, mir Sorgen zu machen. Setzen Sie sich gar nicht erst hin, wir brechen sofort auf.«
»Wie bitte? Wohin gehen wir denn?« Er hatte sich schon auf einen guten starken Eridani-Kaffee mit Marsotz-Sahne gefreut.
»Zur Aircar-Vermietung.«
Legroeder blinzelte verwirrt.
Harriet erhob sich und packte ihr Com-Pad ein. »Ich habe einen Flieger gemietet, der uns zu Mr. McGinnis bringt.«
»Das ging ja schnell. Haben Sie mit ihm gesprochen?«
Harriet schüttelte den Kopf. »Mr. McGinnis besitzt keine eingetragene Kommunikations-Nummer. Aber ich habe ein paar Erkundigungen eingezogen. Er scheint ein richtiger Einsiedler zu sein, wird aber von denen, die ihn kennen, hoch geachtet. Früher war er ein Mitglied bei den Space-Marines.« Sie bugsierte Legroeder zur Tür. »Und auf diesem Planeten besitzt er die umfangreichste Dokumentensammlung über den Krieg der Tausend Sonnen. Obendrein interessiert er sich ganz besonders für die Geschichte des Riggens.« Harriet lächelte verkniffen. »Hoffen wir, dass er gegen einen Überraschungsbesuch nichts einzuwenden hat.«
Kapitel 6: Historische Wahrheiten
Das McGinnis-Anwesen lag vierhundertunddreißig Kilometer nordwestlich vom Raumhafen entfernt; mit dem kleinen Flieger, den sie gemietet hatten, würden sie eine gute Stunde bis dorthin brauchen. Sie flitzten über grün bewaldete Landstriche hinweg. Der Autopilot war auf das Ziel eingestellt, deshalb blieb Legroeder und Harriet nicht viel zu tun, außer Kaffee zu trinken und sich Sorgen zu machen.
Legroeder fragte Harriet, warum sie sich trotz ihrer Besessenheit (ihr eigener Ausdruck) mit diesem Fall nicht schon früher mit der Geschichte der Impris beschäftigt hatte.
Amüsiert blickte sie ihn an. »Sie sind wohl nicht daran gewöhnt, Rätsel zu lösen, oder?«
»Was soll das heißen?«
»Nun ja, denken Sie doch mal nach. Vor Ihrer Rückkehr konnte ich gar nicht ahnen, dass die Impris bei diesem Vorfall eine Rolle spielt. Ich bin nicht nur neugierig, was es mit diesem Schiff auf sich hat, ich möchte auch zu gern wissen, warum die Informationen darüber aus der Bibliothek entfernt wurden. Geschah es ohne Hinterlist oder will jemand etwas vertuschen? Wenn ja, aus welchem Grund? Ich glaube, wenn wir das wissen, kommen wir auch dahinter, weshalb jemand Ihnen die Schuld für das Verschwinden der L.A. in die Schuhe schiebt.«
Legroeder zuckte die Achseln. »Die Bibliothekarin sagte, wenn keine Nachfrage nach bestimmten Dokumenten besteht...«
Harriet lachte. »Entschuldigen Sie meine Offenheit, aber Sie müssen ein lausiger Pirat gewesen sein.«
Legroeder spürte, wie er rot wurde.
»Fassen Sie das bitte nicht als Beleidigung auf. Es ist ein Kompliment. Mir scheint, Sie sind ein durch und durch ehrlicher
Mensch. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Unterlagen entfernt wurden, weil man verhindern wollte, dass jemand sie liest. Jetzt müssen wir herausfinden, ob es eine andere Person gibt, die sich
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Jeffrey A. Carver/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Zasu Menil.
Übersetzung: Ingrid Herrmann-Nytko (OT: Eternity's End).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 14.05.2018
ISBN: 978-3-7438-6858-8
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