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Leseprobe

 

 

 

 

 

MIKE MCQUAY

 

Flucht aus New York

 

 

 

 

Roman

 

Apex Science-Fiction-Klassiker, Band 16

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

FLUCHT AUS NEW YORK 

Prolog 

Erstes Kapitel: Unterwegs 

Zweites Kapitel: Manhattan Island 

Drittes Kapitel: Auf halbem Weg zur Hölle 

Viertes Kapitel: Air Force One 

Fünftes Kapitel: Alarmstufe Rot 

Sechstes Kapitel: Liberty Island 

Siebtes Kapitel: Kurz vor Torschluss 

Achtes Kapitel: Der Haken 

Neuntes Kapitel: Countdown für die Gulf-Fire 

Zehntes Kapitel: World Trade Center 

Elftes Kapitel: Ein Abend in der Oper 

Zwölftes Kapitel: Der Heizungsraum 

Dreizehntes Kapitel: Die Verrückten 

Vierzehntes Kapitel: 150th St., Memorial Library 

Fünfzehntes Kapitel: Zigeuner der Straßen 

Sechzehntes Kapitel: Grand Central Station 

Siebzehntes Kapitel: Die Mauer 

Achtzehntes Kapitel: Central Park 

Neunzehntes Kapitel: Ein sportlicher Höhepunkt 

Zwanzigstes Kapitel: Runde zwei 

Einundzwanzigstes Kapitel: Intermezzo mit Gleitern 

Zweiundzwanzigstes Kapitel: Die Brücke 

Dreiundzwanzigstes Kapitel: Die Stunde der Abrechnung 

 

Das Buch

 

1997: Manhattan ist abgeriegelt und wurde zu einem riesigen Gefängnis umfunktioniert, aus dem ein Ausbruch unmöglich ist.

Als die Air Force One des amerikanischen Präsidenten von Terroristen entführt wird und in Manhattan notlanden muss, holt man Snake Plissken, die Klapperschlange: Er hat vierundzwanzig Stunden Zeit, den Präsidenten aus der Gewalt der Verbrecher zu befreien.

Doch der Commissioner von New York hat sich eine besondere Teufelei ausgedacht: Kehrt Snake Plissken nicht innerhalb der gesetzten Frist mit dem Präsidenten zurück, explodieren in Snakes Körper zwei winzige Sprengkapseln...

 

Flucht aus New York ist das packende Buch zum legendären, als Vorläufer des Cyberpunk geltenden Film Die Klapperschlange aus dem Jahr 1981 (Regie: John Carpenter) – mit Kurt Russell als Snake Plissken, Lee van Cleef als Commissioner Hauk, Donald Pleasence als Präsident Harker, Adrienne Barbeau als Maggie und Isaac Hayes als Duke.

FLUCHT AUS NEW YORK

 

  

 

 

  Prolog

 

 

 

Bank der Vereinigten Staaten

Colorado Federal Reserve

21. Oktober 1997

15.35 Uhr

 

 

  Er glich einer Katze; er war eine Eisenstange in der Faust eines zu allem entschlossenen Killers. Er war rau wie ein Meißel und gnadenlos wie ein Presslufthammer. Er war Snake Plissken, und er legte ein mörderisches Tempo vor.

Vor ihm schien sich der dunkle Korridor endlos in die Länge zu ziehen; wie Spinnweben bedeckten komplexe Muster aus Neonzeichen die Wände. Muster des Wahnsinns, Symptome des Nervengases, das sich von Zeit zu Zeit aus dem Himmel über die Menschen senkte und in ihre Gehirne eindrang.

Aber Plissken war nicht verrückt.

Er wusste genau, was er tat.

Laut dröhnten seine Schritte auf dem Boden aus imitiertem Marmor, und die Wände warfen dumpf das Echo zurück. Plissken drückte die blaue Tasche, die er trug, enger an die Brust. Nur noch ein paar Minuten, und dann war er in Sicherheit.

In seinem kranken Auge, das von einer schwarzglänzenden Augenklappe bedeckt wurde, klopfte es heftig; wie glühende Nadeln durchbohrte der Schmerz seinen Kopf, verwandelte Gehirn und Rückgrat in eine Säule aus Feuer. Aber das war nicht weiter schlimm; er hatte sich an den Schmerz gewöhnt. Er war immer da, er sorgte dafür, dass er nicht vergaß, und verzerrte sein noch immer jugendliches Gesicht zu einer schmallippigen Grimasse, die die meisten Menschen veranlasste, ihn zu meiden. Snake Plissken war das nur recht.

Plötzlich gabelte sich der Korridor wie ein T.

Plissken lief mit hochgerissenen Armen vor die nackte Wand, sprang zurück und wandte sich nach rechts. Als er von irgendwoher Geräusche vernahm, wurde er augenblicklich langsamer und sah sich nach Deckung um.

Die Geräusche kamen näher, und Plissken blieb abrupt stehen. Mit seinem gesunden Auge versuchte er, die Dunkelheit des Korridors zu durchdringen und entdeckte schließlich ungefähr zehn Schritte vor sich einen offenstehenden Eingang. So vorsichtig wie möglich schlich er darauf zu.

Er ließ einige Sekunden verstreichen, um sich zu vergewissern, dass sich niemand in dem dahinterliegenden Raum aufhielt, und als er keine menschlichen Stimmen hörte, duckte er sich hinein. Es war ein Computerraum, in dem Neonlampen verrückte Muster auf Wände, Decke und Boden zeichneten. Zirpende und klappernde Maschinen standen überall herum und machten den Raum zu einem Irrgarten. Sie surrten und tickten wie besessen.

Plissken kam sich vor wie in einem Mausoleum. Alles lief hier automatisch und machte den Menschen völlig überflüssig. Die Computerbank kümmerte sich weder um das Gas noch um den Krieg oder um Snake Plissken. Sie lief einfach weiter, während um sie herum alles einstürzte. Es störte sie nicht. Es war ihr völlig gleichgültig.

Die Geräusche draußen im Korridor waren jetzt sehr nahe. Plissken ging hinter einem Fernschreiber für Börsennotierungen in Deckung und hielt den Atem an. Seine braune Dienstuniform, auf deren Brusttasche Colorado Solar gestickt war, schien sich um seinen Hals zusammenzuziehen, und Plissken riss die obersten Verschlüsse auf.

Das Geräusch war jetzt unmittelbar neben ihm. Er glaubte, ein Quietschen zu hören, und merkte dann zu seiner Erleichterung, dass es sich wieder von ihm entfernte. Plissken presste sich so dicht wie möglich gegen die Maschine, und erst als das Geräusch sich wieder ein gutes Stück von ihm entfernt hatte, riskierte er einen Blick.

Es handelte sich um einen Minikarren aus rostfreiem Stahl, an dessen Seitenwänden Lautsprecher montiert waren.

Plötzlich begann er zu sprechen: »Achtung! Hiermit sind die Bankstunden beendet. Der Schließvorgang beginnt in dreißig Sekunden. Das Personal ist angewiesen, die blauen Zonen augenblicklich zu verlassen. Danke.«

Plissken stand auf, die Tasche fest an seine Brust gepresst, und sah zu, wie die kleine Maschine den Gang hinunter rollte und durch eine Tür verschwand. Das Ding hatte eine angenehme weibliche Stimme. Richtig sexy. Er winkte ihm nach, als es davonschnurrte. Die Mitteilung ignorierte er; sie war nicht für ihn bestimmt.

Plissken strich das Haar zurück, das unter der Dienstmütze, die zu seiner Tarnung gehörte, hervorquoll, und folgte dem Karren mit schnellen Schritten.

Er durchquerte den Computerraum und gelangte wieder in den Korridor. Plissken fand, dass es langsam an der Zeit war, von hier zu verduften. Also begann er, sich nach einem Schlüssel zur Freiheit, einem Weg nach draußen umzusehen.

Er lief durch die Gänge, bis er schließlich am Ende eines Korridors auf einen der Ausgänge, eine Tür aus kaltem Stahl, stieß. Plissken ließ seine Tasche fallen, beugte sich vor und blickte mit seinem gesunden Auge in den Identitätsschlitz. Aus der Tasche seiner Uniform zog er dann einen kleinen Schraubenzieher mit jener verlängerten Spitze heraus, für den Bill Taylor eine ziemlich obszöne Bezeichnung erfunden hatte.

Während er den Korridor im Auge behielt, ließ er den Schraubenzieher in den Schlitz gleiten, worauf die Tür aufsprang. Plissken trat ein und fand sich in einer kleinen Kabine wieder. Hinter ihm schlug die Tür zu, und er stellte fest, dass auf dieser Seite der Schlitz fehlte.

Er drehte sich der anderen Wand zu, in der sich eine zweite Tür befand. Spannung baute sich in ihm auf, ein immenser Druck, während er mit dem Schraubenzieher herumtastete, aber das störte ihn nicht, denn es bewies ihm nur, dass er noch existierte. Vater Staat hatte damals, in Leningrad, dafür gesorgt, dass er erfuhr, wie dieser Druck aussah, und seitdem hatte er Freon in den Adern. Freon und Frostschutzmittel. In seinem Innern brannte ein tiefes und ewiges Feuer aus leidenschaftlichem Hass, das ihn vorwärtstrieb, das jene Druckskala in den Rotbereich hochjagte und das ihn ständig zu verzehren drohte.

Endlich stieß der Schraubenzieher auf den Kontakt, und die Tür öffnete sich. Plissken blieb nur so lange stehen, bis er  sich vergewissert hatte, dass der Flur leer war, dann lief er los. Die winzige, in der Wand eingebaute Kamera, die jeder seiner Bewegungen wie ein Mungo einer Kobra folgte, bemerkte er dabei nicht.

Er rannte sehr schnell, bemühte sich aber, gleichmäßig zu atmen und sich nicht ganz zu verausgaben. Am Ende des Korridors schimmerte Licht. Es war das verschwommene Licht der Haupthalle, die ihn zu den Aufzügen und von dort aus hinauf auf das Dach und in die Freiheit führen würde. Plissken hetzte vorwärts.

Und dann, ganz plötzlich, schien sich die Welt um ihn herum aus den Angeln zu heben.

Das Licht nahm die Farbe von dunkelrotem Blut an und pulsierte in Einklang mit seinem kranken Auge. Die Alarmanlagen begannen zu heulen und verwandelten den Gang in ein lärmendes Irrenhaus, das die Sinne betäubte.

Plissken rannte weiter. Er hatte jetzt das Ziel vor Augen, hielt genau auf das Licht zu und wünschte sich vergeblich, dass er nicht in dieser unförmigen Uniform steckte, die ihm bei jedem Schritt hinderlich war.

Der Gang begann sich mit feinem blauen Nebel zu füllen, der vom Boden her aufstieg. Gas, immer wieder Gas. Plissken hielt sich Mund und Nase zu und lief auf das Licht zu.

Die Alarmglocken hämmerten in seinen Ohren und versuchten, ihn zu überwältigen und sein Denkvermögen zu lähmen. Aber er war Snake Plissken, und es bedurfte mehr als ein paar Geräusche und dass bisschen Nervengas, um ihn zu stoppen. Da musste schon irgendein mieses Schwein mit einem Schrotgewehr kommen und ihm die Knarre direkt in den Bauch drücken.

Der Gang mündete in die Halle, ein kalter, toter Kokon aus glattem Stahl und Glas, der sich über zwei Stockwerke erstreckte. Überall waren Kameras angebracht, die ihm nachschwenkten, um ihn zu beobachten, während er durch ihr Reich hetzte - der stahlharte Mann mit einem Auge, genau wie sie.

Plissken hastete auf die Aufzüge am anderen Ende der Halle zu, wobei er an den Verschlüssen seines Tarnoveralls zerrte. Sein Auge schmerzte höllisch, und sein Kopf, in dem der Alarm dröhnte, schien zu platzen. Mit zusammengebissenen Zähnen erreichte er die Aufzüge und stürzte auf den zu, der auf der Anzeigetafel die Aufschrift »Dachausgang« trug.

Er drückte den Türöffner und warf die Tasche hinein, als die Tür zurückglitt. Dann sprang er selbst hinterher, die Uniform schon halb über die Schultern gestreift.

Hinter ihm schloss sich die Tür und dämpfte gleichzeitig das Schrillen der Alarmanlage auf ein ersticktes Summen. Plissken drückte den Dachknopf, und der Aufzug setzte sich in Bewegung. Keuchend zerrte er sich den Rest der Uniform vom Körper, warf sie achtlos auf den Boden und riss dann die Mütze vom Kopf. Sie gab eine dunkle Haarmähne frei, die bis auf die Schultern herabfiel.

Viel zu langsam stiegen die Lichter der Anzeigetafel nach oben. Das Warten zerrte an seinen Nerven, aber Plissken wusste, dass er die Zeit brauchte, um wieder halbwegs zu Atem zu kommen. Er bemühte sich, langsamer und tiefer zu atmen, bückte sich, um seine Tasche aufzuheben und klemmte sie fest unter den Arm.

Mit einem Ruck kam der Aufzug zum Stehen. Eine Sekunde lang geschah nichts. Dann glitt die Tür auf, und - grelles Licht blendete ihn!

Blinzelnd stürmte er durch die Öffnung hinaus ins Freie. Kaum hatte er die schützende Aufzugkabine verlassen, als ihn auch schon die erste Hitzewelle traf. Vorsichtig öffnete er sein Auge ganz. Um ihn herum dehnte sich die Wüste von Colorado bis an den fernen Horizont aus: gelber Sand, der die Nachmittagshitze reflektierte und sich bis zu den als dunkler Strich sichtbaren Bergen hinzog.

Das Geräusch der Aufzugtüren, die hinter ihm zusammenschlugen, schreckte ihn aus seinen Gedanken auf und ließ ihn blitzschnell herumfahren. Nein, keine Spur von den Schwarzröcken. Ausgezeichnet. Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem Grinsen.

Die Transferstation befand sich links von ihm, und der Betonbunker, der hinunterführte, flirrte in der Hitze. Die Sonne brannte heute ziemlich stark und gab der mit Gas angefüllten Atmosphäre die blasslila Farbe von Lavendel.

Plissken steuerte auf die Station zu, den Schraubenzieher in der Hand. Er lief mit hohen, großen Schritten und hatte Mühe, auf dem unebenen Boden nicht zu stolpern, während seine Füße bei jedem Tritt feine Staubwolken aufwirbelten.

Flüchtig warf er einen Blick zurück auf den Aufzugkasten hinter ihm, das einzige äußerliche Zeichen für das darunterliegende Bankgebäude, das die Wüste verbarg. Noch waren keine Verfolger zu sehen; er musste es schaffen.

Er erreichte die massive Bunkertür und stieß den Schraubenzieher in den Identitätsschlitz. Keine Reaktion.

»Scheiße«, zischte Plissken.

Er zerrte ihn wieder heraus, steckte ihn erneut in den Schlitz und drehte den Griff hin und her, nichts passierte.

»Na, komm schon, Schätzchen«, bat er einschmeichelnd. »Tu's für mich.«

Er blickte zurück zum Aufzug, dessen Außentüren langsam aufglitten. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Schlitz zu.

Plissken ging einen Schritt zurück, holte tief Luft und trat mit dem Absatz seines Kampfstiefels voll zu. Bis zum Griff fuhr der Schraubenzieher in den Schlitzmechanismus. Funken sprühten, und dann öffnete sich der Bunker mit einem hydraulischen Summen.

Plissken sprang hinein, und gerade als der erste Schwarzrock in der Aufzugtür auftauchte, gelang es ihm, die Bunkertür zu schließen. In den Spalt zwischen Tür und Rahmen rammte er den Schraubenzieher, um so den Eingang zu blockieren.

In Sicherheit... zumindest für eine Weile.

Im Innern der Transferstation war es dunkel und kühl. Ein matt blau erleuchteter Pfeil deutete die Treppen hinunter zur Station. Plissken hastete die Stufen hinab, die von eingebauten Orientierungslampen schwach erleuchtet wurden.

Unten angekommen hörte er, wie die Schwarzröcke oben gegen die Bunkertür hämmerten. Irgendwann würden sie den Eingang aufgebrochen haben, aber das dauerte seine Zeit. Transferbunker waren so angelegt, dass sie Angriffen durchaus standhalten konnten.

Der Bahnsteig. war ruhig und verlassen. Er wurde von einem schwachen gelben Licht erhellt und schien sich endlos hinzuziehen. Leichtfüßig eilte Plissken über den Betonboden auf die Zieltafel zu.

Sie befand sich in einer Nische in der Nähe der Treppe. Plissken stellte sich vor die große Tafel und überprüfte die Anzeige. Nacheinander leuchteten kleine Lichter innerhalb des Stationsnetzes auf und zeigten die nächstgelegenen Züge sowie deren Bestimmungsorte.

Ein Zug, dessen Ziel Eugene, Oregon, war, würde die Station bald erreicht haben. Plissken drückte die entsprechenden Koordinaten und schob dann die Kreditkarte eines gewissen George Moropy in den Schlitz. Er hatte nicht die Absicht, den Zug nach Eugene zu nehmen, aber er hatte dieses Ziel angegeben, weil sie genau das von ihm erwarteten. Im Westen wurde noch immer schwer gekämpft, und es war das ideale Gebiet für Leute wie Plissken, die untertauchen mussten. Er würde dorthin gehen, aber nicht auf dem direkten Weg.

Nachdem ein grünes Licht auf dem Schirm sein Ziel bestätigte, drückte Plissken die Koordinaten für Atlanta und benutzte diesmal die Karte einer Lynda Millford. In Atlanta wartete Bill Taylor auf ihn, der sich um die Verbindungen nach Westen kümmern würde.

Plissken ging zurück auf den Bahnsteig und wartete vor der Röhre nach Osten. Die Röhren bestanden aus einem dicken, fast undurchsichtigen Plastikmaterial. Hin und wieder wischte ein Zug vorbei, der durch die Innenringe der Röhre raste und von außen nur als verwischtes Lichtband zu erkennen war. Die Röhren waren ein Transportmittel der Reichen, und dieser exklusive Kreis wurde sehr schnell immer kleiner. Entsprechend selten kamen Züge vorbei.

Auf der anderen Seite des Bahnsteigs, die nach Westen führte, kam kreischend ein Zug zum Stehen. Es war der Eugene-Express. Plissken drehte sich um und betrachtete ihn müßig. Ein Teil der Röhre glitt zurück, worauf eine angenehme, aber autoritäre Stimme erklang: »Eugene, Portland, Salem und weitere Westziele. Alles einsteigen, bitte.«

Für einen Moment herrschte Schweigen, dann wurde -die Ansage wiederholt. Der Zug blieb noch eine kurze Zeit stehen. Schließlich schlossen sich die Türen, und er brauste davon. Plissken war sich ziemlich sicher, dass die Schwarzröcke diese Spur verfolgen würden. Es blieb ihm nur zu hoffen, dass sie den nächsten in Ruhe ließen.

Keine fünf Minuten später traf der Atlanta-Express ein. Erleichtert stieg Plissken ein und ließ sich in den weichgepolsterten, weißen »G«-Sessel in seinem eigenen Abteil fallen. Er reiste immer erster Klasse. Lynda Millford konnte es sich mit Sicherheit leisten.

Von irgendwoher ertönte leise Musik, und dann meldete sich der Computer. »Sie fahren nach Atlanta?«, fragte er.

»Ja«, antwortete Plissken, während er es sich in dem Sessel bequem machte und den Kopf zurücklehnte. »Nach Atlanta.«

»Schnallen Sie sich bitte an.«

Plissken legte den Gurt an, achtete aber darauf, dass er ziemlich locker saß.

»Hey, was ist denn das«, ließ sich die Maschine vernehmen. »Sie können es sicher besser.«

Plissken konnte es tatsächlich besser.

»So ist es gut. Wir fahren in wenigen Sekunden ab. Möchten Sie nach der Beschleunigungsphase vielleicht einen Drink?«

Snake Plissken sah zu, wie sich die Wand um ihn herum schloss. »Warum nicht«, meinte er dann. »Ein Drink wäre jetzt gar nicht so übel. Aber wenn schon, dann auch gleich einen doppelten.«

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel: Unterwegs

 

 

21. Oktober 22.07 Uhr

 

 

  Plissken hatte seinen Spitznamen Snake in der Armee bekommen und war unter diesem Namen so bekannt geworden, dass jetzt niemand mehr seinen richtigen Vornamen kannte.

Er war ein As auf dem College gewesen, als er dann als Lieutenant eingezogen und an die russische Front geschickt wurde. Der Ausbruch des Krieges war von den Leuten mit großer Begeisterung aufgenommen worden, denn immerhin lag der letzte echte Konflikt schon ziemlich lange zurück, und alle drängte es, die Muskeln ihres Egos endlich einmal wieder zu strecken.

Der Krieg hatte als kleine Auseinandersetzung irgendwo im Nahen Osten begonnen und sich langsam ausgeweitet, ohne dass allerdings Atomwaffen eingesetzt wurden. Ganz am Anfang war in Stockholm eine Konferenz der führenden Nationen einberufen worden, auf der man sich darauf geeinigt hatte, im Hinblick auf die blockfreien Staaten der Welt auf Atomwaffen zu verzichten. Das Ganze war natürlich nur ein Tarnmanöver, denn in Wirklichkeit sah es einfach so aus, dass alle eine Heidenangst vor der Atombombe hatten.

Man entschied sich also für etwas anderes, für eine Waffe, die sich eigentlich recht harmlos und gleichzeitig supermodern anhörte. Man griff zu chemischen Kampfmitteln. Plissken musste bei diesem Gedanken grinsen, während er zusah, wie die Kontaktpunkte an seinem Fenster vorbeiglitten, und verbissen versuchte, den bohrenden Schmerz in seinem kranken Auge zu ignorieren.

Chemische Waffen waren eine ganz hässliche Sache. Natürlich gab es keine Art des Tötens, die nicht im Grunde hässlich und gemein war, überlegte er, aber die chemischen Wolken, die in der Atmosphäre herumtrieben, töteten im Zeitlupentempo. Niemand konnte sich ihrer Wirkung entziehen. Geruch- und geschmacklos senkten sie sich unbemerkt über die Menschen und fraßen die Gehirnzellen und das Nervensystem an. Chemische Waffen machten die Leute erst verrückt, bevor sie sie endgültig umbrachten. Überall liefen Verrückte herum. Haufenweise. Millionen.

 

*

 

»Wir erreichen Atlanta in fünf Minuten«, meldete sich der Computer.

In einer Anwandlung von Ordnung strich er sich das Haar zurück und sah auf die Uhr. Der Zug war etwas zu früh. Plissken blickte auf die Tasche, die auf seinem Schoß lag.

Sie nannten ihn Snake - die Schlange -, weil er ein besonderes Geschick dafür zu haben schien, sich aus allen brenzligen Situationen irgendwie wieder herauszuschlängeln. Er hatte ein Sonderkommando angeführt, das die höchste Erfolgsquote im ganzen russischen Feldzug aufzuweisen hatte. Niemand konnte verstehen, warum Snake so erfolgreich war, nur Snake wusste es. Manche konnten mit ihren Händen Dinge bauen. Andere konnten wundervolle Musik komponieren oder waren gut im Rechnen. Und Snake Plissken hatte eben ein Talent für den Krieg. Es lag ihm einfach im Blut.

»Atlanta«, erklang die Stimme. »Wir danken Ihnen für Ihre Mitreise.«

Um ihn herum dröhnte es auf, und durch das Bremsmanöver wurde er nach vorn in die Gurte gepresst. Mit einem leichten Ruck kam der Zug zum Stehen, und noch bevor sich die Röhre öffnete, hatte sich Plissken schon aus den Gurten befreit und stand vor dem Ausgang.

Sobald die Wand zurückgeglitten war, sprang er hinaus auf den Bahnsteig und sah sich nach allen Seiten um. Nein, keiner zu sehen. Auch keine Schwarzröcke. Nichts, gar nichts.

Es war ihm nicht aufgefallen, dass er unwillkürlich den Atem angehalten hatte, und merkte es erst, als er ausatmen musste. Lächelnd machte er sich auf die Suche nach Taylor.

Taylor war an jenem Morgen mit ihm zusammen im Büro des Kommandanten gewesen, wo sie zum erstenmal etwas über den sogenannten »Leningrad-Trick« gehört hatten. Es war Anfang Herbst gewesen, und aus den grauen, mit Gas gesättigten Wolken fiel ein todbringender Säureregen auf die Erde, die ohnehin schon von schwebenden Giftstoffen kahl und abgestorben war. Wochenlang konnten sie sich nur in ihren Gasanzügen bewegen und verständigten sich über die in ihren Masken eingebauten Mikrofone.

An jenem Morgen also standen sie in einem winzigen Büro vor einem gewissen Captain Berrigan. Zumindest nannte er sich so. Die ganze Zeit über behielt er seine Maske auf, selbst in jenem verhältnismäßig sicheren Schutzbunker. Plissken tat es heute noch leid, dass er nie das Gesicht dieses Mannes von der Abteilung für Sondereinsätze gesehen hatte, denn lange Zeit hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als Captain Berrigan aufzuspüren und ihm ein Messer zwischen die Rippen zu jagen.

Mit großen Schritten eilte er durch den verlassenen Bahnhof, bis er endlich auf Menschen stieß. Es waren nicht viele, aber ihre Nähe reichte aus, um ihm ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln.

Mit einem Aufzug fuhr er zur Eingangshalle hinunter, wo sich die meisten der ankommenden und abreisenden Passagiere aufhielten. In der Menge fühlte er sich endlich völlig sicher. Er entdeckte zwar ein paar Sicherheitsleute in den Fernsehräumen und in der Nähe der Lebensmittel- und Getränkeapparate, aber ihre Aufgabe bestand nur darin, Eigentum zu beschützen und nicht, Schicksal zu spielen. Plissken gab sich unbeschwert, einer unter vielen.

Sein Blick fiel auf eine Aufschrift an einer Betonwand, die Pacific Express lautete. Plissken folgte dem Pfeil, der einen Gang hinunter zeigte. Irgendwo am Ende wartete Taylor auf ihn.

 

*

 

Captain Berrigan hatte sie davon unterrichtet, dass einer der Topagenten der Alliierten von den Russen gefangengenommen worden war und in Leningrad festgehalten wurde. Er gab ihnen den Auftrag, den Mann herauszuholen, bevor er Geheimnisse preisgab, die den Ausgang des Krieges entscheiden konnten. Plisskens Kommando war aufgrund seiner hohen Erfolgsquote extra für diesen Einsatz ausgewählt worden. Es war eine große Ehre für sie.

Weder er noch Taylor waren begeistert von dem Plan; er klang zu sehr nach einem Selbstmordkommando. Aber Pflicht war Pflicht. Also überflogen sie am nächsten Morgen in aller Frühe auf niedrigem Kurs die Ostsee und erreichten Leningrad bei Sonnenaufgang. Zu fünfzig Mann flogen sie in ihren Gulf-Fire-Seglern knapp über den Dächern in die Stadt ein, während Unterstützung aus der Luft im Osten das Feuer auf sich zog.

Leningrad war der Versorgungsstützpunkt der Russen und entsprechend die am heftigsten verteidigte Stadt in Westrussland. Plissken und seine Männer schienen geradewegs in die Hölle zu fliegen, eine Hölle, die schlimmer war, als der menschliche Verstand sich ausmalen konnte. Wenn Plissken daran zurückdachte, hatte er hauptsächlich brennende Gebäude vor Augen, ein Chaos aus grell leuchteten, orangefarbenen Feuerblumen.

Erfolg war ein Ding der Unmöglichkeit, und mit dem Überleben sah es nicht viel anders aus. Als Plissken klar wurde, dass sie den Mann unmöglich herausholen konnten, sprengten sie das Gebäude, in dem er gefangen gehalten wurde, in die Luft und begruben ihn unter fünfhundert Tonnen Gestein und Mörtel.

Irgendwann während des Kampfgewühls bohrte sich dann ein Splitter in Plisskens linken Augapfel, und das Gas begann seine Arbeit. Mit letzter Kraft gelang es ihm, den Rückzug anzuordnen und zur Basis zurückzukehren. Er hatte das Gefühl, als wäre sein Kopf ein glühender Ball, in dem ständig grelle, orange Feuer explodierten. Als die Gleiter wieder zu Boden gingen, waren noch zwei von ihnen übrig. Nur zwei.

Er verbrachte einen Monat im Krankenhaus, bevor sie Taylor endlich zu ihm vorließen. Er ging auf Krücken; sein rechtes Knie war bei einer Bruchlandung auf dem Rückflug nach Helsinki zerschmettert worden. Er war bleich wie ein Albino, als er hereinkam, und seine Augen waren ebenso rot.

»Es war nur ein Täuschungsmanöver«, hatte er Plissken in jenem sterilen Krankenzimmer aufgeklärt. »Ein hinterhältiges, mieses Täuschungsmanöver.«

Es stellte sich heraus, dass der angebliche Top-Agent in Wirklichkeit ein verkappter Corporal war, der sich von den Russen hatte schnappen lassen, um ihnen falsche Informationen zu liefern. Plisskens Kommando war nur losgeschickt worden, um dem Ganzen den Anstrich von Glaubwürdigkeit zu verleihen. Zu allem kam noch, dass das Manöver fehlgeschlagen war. Der Mann hatte die andere Seite nicht einen Augenblick lang täuschen können.

Und genau in jenem Moment trat eine entscheidende

Veränderung in Snake Plisskens Leben ein.

Dieser Teil der Station, der zum Pacific Express führte, war völlig verlassen, denn. niemand, der noch halbwegs vernünftig denken konnte, wollte nach Westen. Plissken entdeckte den Aufzug zur Untergrundstation und fuhr hinunter.

Unten herrschte Halbdunkel. Ganz in der Nähe, fast direkt vor sich, sah er Taylor, der vor der Wand kauerte. Lautlos näherte sich Plissken dem kleinen Mann mit flinken Augen und einem weichen Gesicht. Doch der äußere Eindruck täuschte; Taylor war ganz gewiss nicht weich. Er trug eine Mütze und eine Arbeitsjacke, auf deren Ärmel noch die Einstiche zu sehen waren, wo früher die Rangabzeichen eines Sergeants angenäht gewesen waren. Seine Hände waren bis zu den Handgelenken in einem Anschlusskasten verschwunden, der in die Wand eingebaut war.

»Na, wie sieht's aus, Sarge?«, fragte Plissken, als er nahe genug herangekommen war.

Der andere zeigte keine Spur von Überraschung. »Wie schon«, brummelte er. »Man schlägt sich halt durch.« Er wandte den Kopf und sah Plissken an. Dann wanderte sein Blick zu der Tasche in dessen Hand. Neben ihm stand eine zweite, identische Tasche auf dem Boden.

»Du bist früh dran«, meinte der kleine Mann.

»Sie sind mir auf den Fersen.«

Taylor nickte und wandte sich wieder dem Kasten zu, wobei er leise vor sich hin fluchte. Er arbeitete schnell und geschickt, und schließlich setzte er sich mit einem zufriedenen Brummen zurück. »Das wär's« stellte er fest.

Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als sie auch schon das Geräusch einer herankommenden Untergrundbahn hörten, die direkt neben ihnen mit einem Zischen zum Stillstand kam.

»Dann nichts wie los«, ließ sich Plissken vernehmen und ging auf den Zug zu. Taylor stand auf und folgte ihm leicht hinkend mit seinem kaputten Bein.

Sie schafften es gerade noch, einzusteigen, bevor sich die Türen schlossen. Es war ein alter Wagen, und das grelle Neonlicht verlieh den verschlissenen Sitzen und den dreckigen, beschädigten Wänden eine seltsame Art von Sterilität.

Mit einem lauten Kreischen setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Plissken und Taylor griffen haltsuchend in die Polster, um sich gegen die Beschleunigung abzustützen. Snake grinste, als die Geschwindigkeit zunahm. Sie hatten es geschafft.

»Wohin fährt der Wagen? Nach Seattle?«, fragte er.

Taylor verzog den Mund. »Vielleicht«, antwortete er. »Vielleicht nach Seattle, vielleicht auch nach San Francisco oder nach Barstow.« Er zuckte die Achseln. »Ehrlich, ich habe keine Ahnung. Diese verdammten Schaltkreise sind so klein.«

Plissken warf Taylor die Tasche zu und ließ sich in einen Sitz fallen. Sein Blick wanderte zum Fenster, während sich die Erschöpfung in seinem Körper ausbreitete wie die Leichenstarre bei einem Toten. Als er den Kopf drehte, -sah er, dass Taylor gerade dabei war, den Reißverschluss der Tasche zu öffnen.

»Meinen Glückwunsch«, nickte Plissken ihm zu. »Du bist jetzt Milliardär.«

Die Tasche war jetzt offen, und Taylor zog eine Handvoll weißer Plastikkreditkarten heraus. »Himmel, Snake.« Dann begann er, laut vorzulesen: »Master, US National Bank. Master, US Port Authority. Master, US Tobacco Reserve.« Er hielt Plissken die offene Tasche unter die Nase. »Möchtest du dir das nicht einmal ansehen?«

Plissken faltete die Hände und lehnte sich in seinem Sitz zurück. »Mach du's für mich. Ich bin hundemüde.«

»Komm schon. Wir müssen es doch aufteilen.«

»Ich trau dir.«

Er sah zu, wie Taylor die andere Tasche öffnete und sich daranmachte, die Kreditkarten umzufüllen. Dann schloss er die Augen und schlief fast augenblicklich ein. Er träumte davon, dass sein Kopf brannte, von einem orangen Feuer verzehrt wurde. So wie jede Nacht.

Plissken erwachte, als Taylor ihn sanft am Ärmel zerrte. »Wach auf, Snake. Wir sind da.«

Wie ein Tier war er sofort hellwach und in Alarmbereitschaft. Er setzte sich auf und musterte seine Umgebung. Sein Kopf war völlig klar - mit Ausnahme des Schmerzes, der immer da war.

»Was?« war sein erstes Wort.

Taylor war ein paar Schritte zurückgewichen. Er kannte Plissken lange genug, um zu wissen, dass Snake manchmal in Abwehrstellung erwachte und gewalttätig wurde. Es hatte  irgendetwas mit seinem Auge zu tun.

»Der Zug wird langsamer, Lieutenant. Wir sind da.«

»Da? Wo da?«

»Irgendwo.«

Plissken streckte sich hastig und beobachtete, wie der Zug in die Station einfuhr. Alle Stationen sahen gleich aus, und der Anblick allein konnte einem nicht sagen, wo man gerade war.

Er stand auf, als der Zug zum Stehen kam. Taylor war schon an der Tür, die jetzt zurückglitt.

»Willkommen in San Francisco«, erklang eine Computerstimme. »Bitte halten Sie sich rechts.«

Als brave Bürger stiegen Plissken und Taylor aus und schlenderten unauffällig auf die Rolltreppen rechts von ihnen zu.

»Seattle war's also nicht«, runzelte Taylor die Stirn. »Aber zumindest sind wir nahe dran.«

»Nahe genug, um für die Regierung arbeiten zu können«, erwiderte Plissken.

Taylor dachte einen Moment über diese Bemerkung nach, dann zog ein breites Grinsen über sein Gesicht. »San Francisco ist ganz okay. Eine Milliarde kann ich bestimmt auch hier ausgeben.«

Sie hatten inzwischen die Rolltreppen erreicht und fuhren hinauf. »San Francisco«, wiederholte Taylor und schüttelte den Kopf. »Gott sei Dank. In Barstow hätte ich sie sicher nicht ausgeben können.«

»Mmmh«, machte Plissken, der mit den Gedanken woanders war. Er fühlte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten.  Irgendetwas war hier faul. Als sich die Stufen, auf denen sie standen, der oberen Halle näherten, begann Plissken, seinen Kopf zu verdrehen, um sich zu vergewissern, dass sein ungutes Gefühl unbegründet war.

»Was ist los?«, erkundigte sich Taylor.

Mit zusammengepressten Lippen schüttelte Plissken den Kopf. »Ich weiß nicht.  Irgendetwas...«, begann er und brach dann ab.

Sie verließen die Rolltreppe und betraten die Halle, die völlig verlassen vor- ihnen lag. Ganz anders  als die Haupthalle in Atlanta. Noch nicht einmal Sicherheitsleute waren zu sehen. Plissken blickte sich vorsichtig um, während sie weitergingen.

Taylor klopfte ihm auf die Schulter. »Immer ruhig, alter Junge«, meinte er. »Es ist vier Uhr früh. Hör endlich auf, überall Gespenster zu sehen. Wir haben es geschafft, Snake.«

Plissken blieb kaum eine Sekunde, um zu dem Schluss zu kommen, wie recht Taylor doch im Grunde hatte, als die Luft um sie herum zu explodieren schien. Maschinengewehre ratterten los, und plötzlich warf es Taylor herum. Schreiend fiel er zu Boden, der von der Kugel aufgerissen und förmlich zerfetzt wurde.

Plissken konnte den kleinen Mann gerade noch auffangen und ließ sich mit ihm zu Boden gleiten. Taylors linker Arm war von Kugeln durchsiebt. Durch zusammengebissene Zähne stieß er einen Fluch aus, während sich auf seiner Arbeitsjacke ein großer roter Fleck bildete, von dem dunkle Tropfen auf den Zementboden fielen und sich dort zu einer immer größer werdenden Pfütze sammelten.

»Oh, Gott, Snake«, presste er hervor. »Oh, Gott... Scheiße!«

Plissken versuchte, ihn auf die Füße zu ziehen. »Komm schon, hoch mit dir!« Er blickte auf die Rolltreppen vor ihnen, am anderen Ende der Halle, über die jetzt die Schwarzröcke hinunterstürmten, die eine Etage höher Stellung bezogen hatten. Es waren Killer, Verrückte, die im Auftrag des Staates mordeten. Sie waren mit AR-15ern bewaffnet, die sie entsichert auf die beiden Männer vor ihnen angelegt hatten. Ihre Köpfe waren unter schwarzen Schutzhelmen mit dunkel getönten Visieren versteckt. Sechs Teufel ganz in Schwarz.

»Komm schon!«

Es gelang ihm, Taylor auf die Füße zu stellen, aber es hatte ihn ziemlich böse erwischt. In seinem Gesicht lag ein Ausdruck von Resignation, den Plissken noch nie bei ihm gesehen hatte, noch nicht einmal damals in Leningrad.

Sie liefen den Weg zurück, den sie gekommen waren, und hinter ihnen ratterten die Gewehre wieder los. Taylor blieb zurück, der Blutverlust und das steife Bein forderten ihren Tribut.

Plissken stürzte die Rolltreppe hinunter und rannte in großen Sätzen den Bahnsteig entlang. Im Laufen wandte er den Kopf, um sich zu vergewissern, dass Taylor noch hinter ihm war, doch der kleine Mann war nirgend zu sehen.

Plissken wurde langsamer und blieb dann stehen. Suchend sah er sich nach Taylor um, und als er ihn nicht finden konnte, drehte er sich wieder um und starrte den Bahnsteig hinunter, der seine Rettung bedeuten konnte.

»Taylor!«, rief er zurück. »Taylor!« 

 Aber Taylor würde nicht kommen, das wusste er. Und er wusste auch, dass er ihm nicht würde helfen können. Noch einmal sah er den Bahnsteig hinunter, Sein Verstand drängte ihn, weiterzulaufen. Aber Taylor war alles, was er noch hatte. Sie waren alle tot, sie alle, die Snake Plissken als Mensch gekannt hatten. Keiner von ihnen lebte mehr.

Er seufzte, trottete zurück zur Rolltreppe und fuhr wieder hinauf. Taylor lag bäuchlings auf dem Boden und kroch wie im Zeitlupentempo vorwärts, wobei er eine Blutspur wie die Schleimspur einer Schnecke hinter sich ließ. Die Schwarzröcke näherten sich ihm absichtlich langsam, die schussbereiten Waffen auf ihn gerichtet. Sie zogen es in die Länge, kosteten es bis zum Letzten aus, den Mann vor ihnen zu quälen und ihm noch einen letzten Blick auf das Tageslicht zu gönnen.

Plissken spürte, wie sich seine Magenmuskeln zusammenzogen. Er hasste die Schwarzröcke, hasste den Gestank des Todes, der von ihnen ausging wie Nebel von einer Moorlandschaft. Vorsichtig ließ er die Tasche fallen und hob die Hände.

Sofort war er von Gewehrmündungen umgeben. »Lass die Tasche los, Taylor«, wandte er sich an den kleinen Mann.

Der hob den Kopf und sah Plissken mit einem flehenden Blick an, der sich wie ein Messer in seinen Körper zu bohren schien. Dann presste er die Tasche fester an sich und kroch weiter durch sein eigenes Blut. »»Nicht aufgeben, Lieutenant«, keuchte er, und seine Stimme klang wie die eines alten Mannes. »Nicht aufgeben.«

Plissken sah zwischen Taylor und den Schwarzröcken hin und her. Er konnte merken, wie sie zitterten. Sie hatten Blut gerochen und wollten mehr. Langsam und darauf bedacht, nur ja keine falsche Bewegung zu machen, sprach er wieder auf Taylor ein, wobei er jedes Wort betonte. »Lass die Tasche los, Taylor«

Der andere öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber er kam nicht mehr dazu. Einer der Killer eröffnete das Feuer auf den kleinen Mann, und die übrigen fielen augenblicklich ein. Taylors Körper zuckte und wand sich in einem wahnsinnigen Todestanz, als die schwarzen Teufel einer nach dem anderen ihre Gewehre auf ihn leerten. Es war ein grandioses Schauspiel, und es machte ihnen einen Heidenspaß.

Plissken blieb reglos stehen, als sie auf ihn zukamen, um ihn zu ergreifen. Als Taylor starb, nahm er einen Teil von Snake Plissken mit. Er war jetzt allein, und zum erstenmal gab es etwas, das den Schmerz in seinem Auge verdrängen konnte... die Trauer um seinen Freund.

Sie packten ihn und drehten ihm die Arme unbarmherzig auf den Rücken, aber er ertrug die Schmerzen gleichgültig. Es gab viel Schlimmeres.

 

 

 

 

 

  Zweites Kapitel: Manhattan Island

 

 

23. Oktober 1997

19.30 Uhr

 

 

  Bob Hauk überließ sich dem hypnotisierenden Geräusch der Rotorblätter, während er durch die Glaskuppel hinunter auf das aufgepeitschte Wasser des Hudson starrte.

Es würde bald anfangen zu regnen; man konnte förmlich das Gas riechen, das in den Wolken hing, obwohl es die Meteorologen hartnäckig leugneten und einen sauberen Regen angesagt hatten. Die Leute im Wetteramt waren notorische Lügner.

Früher, in der Armee, hatten sie ihn Big Bob genannt, aber das war damals gewesen, als noch ein Lebensfunke in ihm gebrannt hatte. Damals, bevor die Leute verrückt geworden waren. Heute hieß er nur noch Hauk, und das war genau der richtige Name für ihn.

Früher einmal hatte er Leute geführt, die Menschen geliebt und an Ideale geglaubt. Heute herrschte er über das größte Getto in der Geschichte der Menschheit. Heute saß er in einem Sessel und verbrachte seine Zeit damit, die Tage bis zu seinem Tod abzuzählen. Es war nicht besser oder schlechter als jeder andere Job auch. Früher einmal war er zäh und hager gewesen, aber langsam verwandelte sich das alles in Fett. Nur seine Augen hatten sich nicht verändert, Augen von eiskaltem Blau und so durchdringend wie Pfeile, in denen noch immer der alte, befehlsgewohnte Ausdruck lag.

Neben ihm begann das Funkgerät zu quäken. Hauk für zusammen und starrte den Apparat verstört an, während der Pilot die Hand ausstreckte und die Frequenz einstellte. »Ich höre«, sagte er.

»Gotham 4. Hier spricht die Kontrollstation. Verstehen Sie mich? Over.«

»Ich habe Sie auf dem Empfänger. Sprechen Sie. Over.«

Hauk starrte weiter auf das Gerät, fast so, als wäre es ein Wesen aus Fleisch und Blut, das da im blassroten Licht der Instrumente zu ihm sprach. Er schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster. Vielleicht machte sich auch bei ihm langsam die Wirkung des Gases bemerkbar.

»Wir haben ein Signal auf dem Radarschirm, und zwar in der North Bay, Abschnitt siebzehn. Das Objekt bewegt sich auf die Jersey-Mauer zu. Können Sie es überprüfen? Over.«

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Mike McQuay/Slam Dunk Productions, Inc./Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex Graphixx.
Lektorat: Zasu Menil.
Übersetzung: Barbara Heidkamp und Christian Dörge (OT: Escape From New York).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 19.03.2018
ISBN: 978-3-7438-6208-1

Alle Rechte vorbehalten

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