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Leseprobe

 

 

 

 

PETER SAXON

 

 

DIE SCHWÄRZESTE NACHT

- 13 SHADOWS, Band 12 -

 

 

 

Horror-Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE SCHWÄRZESTE NACHT 

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

11. 

12. 

13. 

14. 

15. 

16.  

17. 

18. 

 

Das Buch

Als sich der zehnte, hundertste oder tausendste Peiniger von ihr erhob, konnte Barbara Wood das Gesicht der schwarzen Göttin über sich sehen. Sie schien boshaft auf sie herabzulächeln.

Was konnte ein Körper aushalten? Gab es noch größere Leiden?

Als die Männer sie entkleidet hatten, war kein Wort über ihre Lippen gekommen. Sie hatte geschwiegen, als gierige Hände über ihren Körper fuhren und andere Hände ihr buchstäblich die Haare vom Kopf rissen.

Oder hatte sie geschrien? Sie konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Denn in dem fürchterlichen Lärm, von dem der Tempel erfüllt war, hätte sie nicht einmal ihre eigene Stimme hören können.

Ja, sicher hatte sie bei dem ersten Mann geschrien, vielleicht auch noch bei dem zweiten - und dann war einer nach dem anderen, manchmal auch zwei zur gleichen Zeit, über sie hergefallen.

Und sie hatte nicht den Atem zum Schreien, nicht einmal den Atem zum Schluchzen.

Nun blickte sie in das Gesicht der schwarzen Göttin und fragte sich mit einem merkwürdigen Gefühl des Losgelöstseins, ob ihr Opfer ihre Seele in das Fegefeuer der Kali schicken würde. Wie dem auch sei, sie hatte genug gelitten...

 

DIE SCHWÄRZESTE NACHT von PETER SAXON erschien erstmals im Jahr 1971 als Band 7 der - für damalige Verhältnisse mitunter recht gewagten - Reihe HORROR EXPERT.

Eine durchgesehene Neu-Ausgabe von DIE SCHWÄRZESTE NACHT erscheint als zwölfter Band der Horror-Reihe 13 SHADOWS aus dem Apex-Verlag, die ganz in der Tradition legendärer Heftroman-Reihen wie GESPENSTERKRIMI und VAMPIR-HORROR-ROMAN steht. 

DIE SCHWÄRZESTE NACHT

 

 

 

  1.

 

 

1857

 

Jenseits des Sees lag die Stadt Mahadhrana, Hauptstadt des Prinzenstaats Mahadhrana, beherrscht - oder terrorisiert - von Seiner Königlichen Hoheit Sri Rajakrishna Rambutala Lalaji Nayvar, Maharadscha von Mahadhrana, Geißel des Islam, Lord der Neunundsiebzig Elefanten und ein Schuft, der seinesgleichen suchte.

Sein rosa Sandsteinpalast überblickte den See und seinen Tempel, auch den langen, schmalen Dammweg, der, von der Stadt herkommend, das schlammige Wasser des Sees fast halbierte. Und in diesem See lebten vielleicht die größten Krokodile, die es in Indien gab. Diese Krokodile machten einen wohlgenährten Eindruck; das war kein Wunder, denn nach dem Ende jeder Zeremonie pflegten die Priester die Überbleibsel der bedauernswerten Opfer einfach in das Wasser und den Krokodilen zum Fraß vorzuwerfen.

Der Maharadscha hielt sich jetzt in seinem Palast auf und blickte voller Interesse über das Wasser auf den Dammweg. In dieser Nacht, der dunkelsten Nacht, erinnerte das Licht der Pilger zum Kali-Zeremoniell an einen glitzernden Wurm. Die Leute gingen barfuß auf den Tempel ihrer Verehrung zu. Einige trugen Hühner in Körben, andere führten Schafe und Ziegen hinter sich her, die sie der Göttin Kali opfern wollten. Reichere Leute trieben sogar Wasserbüffel vor sich her, die ängstlich mit den Augen rollten, als sie den fernen Blutgeruch witterten.

Doch Seine Hoheit dachte nicht an die Pilger oder die Opfergaben, deren Blut über den Boden des Tempels fließen würde. Tatsächlich war ihm das längst zur Gewohnheit geworden, denn er hatte die Prozession vom ersten Tag an angeführt, denn seine Funktion als Herrscher war mit der eines Oberpriesters eng verbunden.

Nicht nur in Indien waren Herrscher und Oberpriester im Prinzip dasselbe. Und wer die Tempel beherrschte, der beherrschte das Land, wobei es keine Rolle spielte, wer in den prunkvollen Palästen saß. Und der Maharadscha hatte schon lange Zeit inmitten seiner rosa Sandsteinpracht gesessen...

In der Stadt gab es alte Männer; Graubärte mit gebeugten Rücken, die sich noch an die Jugend des Maharadschas erinnern konnten, der über sie geherrscht hatte wie er noch immer herrschte. Und er hatte auch immer so ausgesehen wie jetzt. Er alterte nicht, veränderte sich nicht und blieb immer der Mensch, der er schon wer weiß wie lange gewesen war.

Und diese Alten erinnerten sich, dass ihre eigenen Großväter schon von der Herrschaft Sri Rajakrishna gesprochen hatten. Und diese Großväter wussten es wieder von ihren Großvätern. Seit undenklichen Zeiten, so schien es, hatte der gleiche Mann sein Zepter über dieses Land geschwungen.

Andererseits sind alte Leute vergesslich. Ihr Erinnerungsvermögen weist oftmals Lücken auf. So war die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass sie sich in Wirklichkeit an Sris Vater oder seinen Großvater erinnerten. Wenn Tyrannei und Despotentum einer bösen Familie Generationen umspannt und die einzigen Veränderungen immer schlimmere Veränderungen sind, dann verwischen sich die Unterschiede der Generationen, zumal die Tyrannei an sich unverändert bleibt.

Und ganz gewiss war es unmöglich, dass nur ein Mann so lange geherrscht hatte. Es war unmöglich, dass er einen Palast jahrhundertelang gegen alle Intrigen, die in einem indischen Palast an der Tagesordnung sind, verteidigen und außerdem noch seine Macht festigen konnte.

Nein, in einer Welt der Intrigen, wo Frauen ihre Männer vergifteten, Väter ihre eigenen Söhne erdrosselten, wo die Mächte des Bösen sich gesetz- und gnadenlos austobten, konnte kein einzelner Herrscher so lange überlebt haben.

Und wer den Maharadscha sah, der musste diese Legende allen Ernstes bezweifeln.

Sri Rajakrishna war ein großer Mann, schwarzbärtig, dunkeläugig, mit einem arroganten Zug um den Mundwinkeln. Sein seidener, mit Gold durchwobener Turban wurde von einer riesigen Rubinspange zusammengehalten.

Er war das Ebenbild eines hinreißend gutaussehenden Rajput-Prinzen. Er erinnerte an jenen Männertyp, der als Oberrittmeister einen Kavallerieangriff leitet, sich duelliert oder tollkühne Pantherjagden macht - oder stürmisch und siegessicher ein hübsches Mädchen umwirbt. Und tatsächlich traf das alles auf seine Person zu. Wenn sich die Rajput-Prinzen in Durbar trafen, war er nur schwer von seinen extravaganten, doch verhältnismäßig harmlosen Brüdern zu unterscheiden. Sie waren fröhlich und liebten das Vergnügen, und auch er konnte sich diesen Anstrich geben.

Nur hier in seinem eigenen Staat Mahadhrana war man anderer Meinung. Und hier wagte es niemand auszusprechen. Niemand wagte auch nur ein Wort der Kritik oder der Klage. Denn die Spione des Maharadschas saßen überall.

Selbst wenn kein Spion in der Nähe war, schien der Maharadscha seine eigenen Methoden der Wahrheitsfindung zu haben. Er wusste irgendwie immer mehr als man glaubte...

Jetzt blickte er ungeduldig zu dem Tempel und dem endlos scheinenden Pilgerzug hinüber.

Wie lange musste er noch warten?

Wie lange noch, bis die nächtliche Zeremonie ihren Anfang nahm, wenn endlich die Vamamargis die Macht im Tempel übernahmen und fremdartige, furchtbare Dinge geschahen?

 

Die Kerker unter dem Palast waren so uneinnehmbar und undurchdringlich wie ein Gefängnis es nur sein konnte. Nur eine starke Sprengladung hätte die meterdicken Granitmauern bersten lassen. Und wer das Kunststück fertiggebracht hätte, zu den winzigen verbarrikadierten Fenstern hinaufzuklettern, die sich drei Meter über dem Boden befanden, der wäre nicht hindurchgekommen, weil sie zu schmal waren. Selbst wenn er es geschafft hätte, so hätte er noch lange nicht den See mit den vielen Krokodilen überwunden.

Diese Kerker waren das Ende der Hoffnung, und die Hoffnung hatte die apathisch dahinvegetierende Gruppe in der ersten Zelle verlassen. Es waren ungefähr zwei Dutzend Kriminelle verschiedener Art. Einige waren Diebe, andere Mörder. Wieder andere waren Leute, die gegen den Maharadscha aufgemuckt hatten oder so aussahen, als würden sie es tun. Es kam fast auf dasselbe heraus.

Männer und Frauen waren in diesen Zellen zusammengepfercht. Es gab keine Betten, keine Tische, keine Stühle, überhaupt nichts. Da wunderte man sich schon nicht mehr, dass sie auch nicht gereinigt wurden. Der Gestank war entsetzlich, doch die Gefangenen kümmerten sich nicht mehr darum. Es dauerte nicht mehr lange, dann würden sie ohnehin keine irdischen Sorgen mehr haben.

Nur in einer Zelle herrschte ein wenig Ordnung und sogar Sauberkeit - und auch Hoffnung.

In der Endzelle, der letzten einer verdammten Reihe unter dem Palast, wurden Hymnen gesungen.

Diese Zelle war auch nicht überbelegt wie die anderen, hatte auch frischere Luft und wirkte sogar festlich. An den Wänden hingen Blumengirlanden. In der Mitte stand ein Tisch mit Nahrungsmitteln darauf. Weiter sah man eine Karaffe mit Wasser.

Es war wenig genug unter zehn Frauen, aber es war besser als nichts. Und die Hoffnung brannte noch in den Herzen dieser zehn Menschen - Hoffnung und noch etwas anderes, vielleicht ein geistiger Funke, der weiterglomm und sich weigerte, die endgültige Niederlage zuzugeben.

»Sie werden sehen, meine Liebe«, sagte Gobbsy O'Faolian, »Sie werden sehen. Die Soldaten werden den Palast stürmen und diesen alten Maharadscha verprügeln, dass er nicht mehr weiß, wo hinten und vorne ist!«

»Miss O'Faolian - bitte!«

Mrs. Davenport, Frau des Colonels Davenport von der Neunten, blickte an ihrer eher schmalen Nase entlang auf das irische Mädchen herab.

Obwohl die beiden seit über einem Monat Gefangene der aufständischen Sepoys und quer durch Indien nach Mahadhrana verschleppt worden waren, hatte Mrs. Davenport anscheinend noch immer nicht begriffen, dass es die Situation gebot, die gesellschaftlichen Unterschiede einstweilen außer Acht zu lassen. Besonders die raue Umgangssprache des irischen Mädchens und der anderen Soldatenfrauen beleidigte gröbstens ihre empfindlichen Ohren.

»Ich rede nun mal so, meine Liebe.« Gobbsy grinste. »Ich will gewiss niemanden beleidigen. Aber es ist doch seltsam, nicht wahr?«

»Was ist seltsam, Miss O'Faolian?«

»Ich meine, in der Ortsunterkunft in Darrapore hätten Sie überhaupt nicht mit mir geredet, aber hier unterhalten wir uns wie zwei gute Bekannte. Stimmt das etwa nicht?«

Gobbsy O'Faolian fehlte ein Vorderzahn, was ihr Lächeln zwar ein wenig schief, aber keineswegs unattraktiv erscheinen ließ. Mrs. Davenport war wesentlich älter als das irische Mädchen, doch ihr Gesicht hatte die klassische Schönheit des englischen Landadels.

Obwohl sie während des verflossenen Monats alles miteinander geteilt hatten, hatte sie sich von den anderen - mit Erfolg, so hoffte sie - distanziert.

Es ärgerte sie, dass keine anderen Offiziersfrauen unter den Gefangenen waren, dass sie keine standesgemäße Vertraute hatte, mit der sie reden konnte, wie sie es nun einmal gewohnt war.

Das Regiment war eben in Darrapore eingerückt, als die Meuterei begann. Nur eine kleine Gruppe Frauen hatte sich dem Quartierstab angeschlossen. Und sie wären dann auch in Gefangenschaft geraten, als die Männer der Truppe zur nächsten Stadt geschickt worden waren, um dort die Garnison abzulösen. Und kaum waren die Männer weg, rückten die Aufständischen ein.

Es gab Vergewaltigungen, Plünderungen und bestialische Morde. Jene Frauen, die mit dem Leben davongekommen waren, landete schließlich in der Zuflucht Mahadhrana. Aber das war eine Zuflucht für die Sepoys, nicht etwa für ihre Gefangenen.

Sri Rajakrishna war schon mehrfach mit der Militärtruppe zusammengeprallt, aber sein Staat lag fern der Haupthandelsstraßen, und er war klug genug, seine Ausfälle und Plünderungsfeldzüge in Grenzen zu halten. Das Militär hatte keinerlei Verträge mit ihm geschlossen und auch keine Strafexpedition in seinen Staat geschickt.

Was den Aufstand selbst betraf, so galt der Maharadscha als verhältnismäßig neutral. Man konnte ihm keine Unterstützung der Sepoys nachweisen, obwohl er sie mit Sicherheit unterstützte. Wie dem auch sei, er bekannte sich nicht öffentlich zu den Rebellen.

Und jetzt hatte er Gefangene. Gefangene, die christliche Lieder sangen, sich ihrem Gefangenendasein anpassten und, anscheinend ohne große Furcht, auf ihr weiteres Schicksal warteten.

Sie waren auch Gefangene, die keine Ahnung hatten, was die Blumengirlanden zu bedeuten hatten, die die Wände ihrer Zelle zierten.

Diese britischen Frauen waren wirklich unwissende Geschöpfe. Sie nahmen an, diese Blumen seien eine Geste der Sympathie seitens ihres Kerkermeisters. Möglich, dass es so etwas gab - allerdings nicht im Staat des Maharadschas von Mahadhrana. Und hätte es so etwas gegeben, wäre der Maharadscha sehr zornig geworden. Die Blumengirlanden hatten nämlich ein besonderes Muster. Es waren auch besondere Blumen, solche die der schrecklichen schwarzen Göttin mit der blutigen Zunge gefielen.

Es waren Opferblumen, doch nicht für die Opfer bestimmt...

 

Die Angehörigen der Reiterschwadron waren mit Schweiß bedeckt und am Rand der totalen Erschöpfung. Ihre Pferde konnten sich kaum noch auf den Beinen halten.

Während der verflossenen zwei Wochen hatten sie sich keine Ruhe gegönnt, waren quer durch das Land geritten und hatten jedes verwüstete Dorf mit dem bedrückenden Gefühl betreten, dass sie hier die wahrscheinlich schon ermordeten Frauen vorfinden würden.

Sie hatten Leichen aus verseuchten Brunnen gezogen und in der Asche abgebrannter Hütten herumgestochert. Ja, sie hatten mehr als genügend Leichen entdeckt, aber nicht jene Leichen, die sie suchten. Und in den Dörfern gab es überlebende, die sich an eine kleine Gruppe Europäerinnen erinnerten, die von den flüchtenden Aufständischen mitgeschleppt wurden.

Jetzt hatten sie endlich Halt gemacht, und am Himmel vor ihnen war ein heller Glanz: die Lichter der Stadt Mahadhrana.

»Vielleicht kommen wir in dieser Nacht ein wenig zum Schlafen«, grunzte Reiter Harris, als Major Wood das Zeichen zum Halten gab. »Old Lakri wird es sich gewiss nicht einfallen lassen, in der Dunkelheit in eine fremde Stadt einzurücken. Und nach allem, was ich gehört habe, besitzt dieser alte Maharadscha eine ziemlich große eigene Armee.«

»So sieht mein Held aus«, grinste Reiter Johnson. »Mach dir keine Sorgen um diese armen Frauen. Harris wird diese Nacht schlafen.«

»Nun, das bleibt abzuwarten. Reiten wir nachts in die Stadt, schneiden die Burschen den Gefangenen die Kehlen durch, bevor wir noch eine Chance haben, sie zu befreien. Das wäre doch wirklich nicht in unser aller Interesse, nicht wahr?«

»Wie ich die Dinge sehe, wird Old Lakri einen Überraschungsangriff starten und Seine Hoheit beim Schlafittchen packen, bevor er noch etwas unternehmen kann. Wären das alles meine Frauen, ich weiß nicht, ob ich mich bei der Suche nach ihnen so angestrengt haben würde...«

»Das hast du reizend gesagt, wirklich ganz reizend. All diese Engländerinnen einem Haufen heidnischen Gesindels zu überlassen. Kein Zweifel, du bist ein netter Bursche!«

»Da haben wir's wieder. Was ich sagte, ist verkehrt; aber was ich meinte, war nur... Nun, vielleicht sind sie ganz gut über die Runden gekommen. Man braucht doch nicht gleich immer das Schlimmste zu befürchten, habe ich Recht?«

»Bewahre!«

»Vielleicht wollen sie gar nicht gerettet werden.«

»Du bist ein Optimist!«

»Ehrlich, kannst du dir denken, wie ihnen jetzt zumute ist?«

»Die Soldaten der Königin bekommen nicht ihren Sold, damit sie denken. Du weißt das ganz genau. Und jetzt hältst du am besten deinen Schnabel, sonst sperrt Old Lakri dich noch fünf Tage ein.«

Aber Major Charles Desmond Wood, von seinen Untergebenen Old Lakri genannt, hatte im Augenblick andere Sorgen, als geringfügige Verstöße gegen die militärische Disziplin zu bestrafen.

Er dachte an seinen Cousin, Oberstleutnant James Davenporth von der Neunten. Der Offizier hatte ein zerschmettertes Bein und konnte daher die Rettungstruppe nicht begleiten. Doch in seinen Augen war eine verzweifelte Bitte gewesen.

»Du wirst sie finden, Charlie, nicht wahr? Du wirst sie bestimmt finden.«

»Ja, ich werde sie finden«, hatte Major Charles Desmond geantwortet.

Und nun war das Ende der langen Straße in Sicht. Die Gefangenen waren bis nach Mahadhrana gekommen. Es hatte genügend Zeugen gegeben, die das bestätigen konnten.

Die Frage war nur, ob die Frauen noch lebten...

Und wie würde der Maharadscha reagieren, wenn die Reiterschwadron einrückte. Würde er seine Gefangenen einfach umbringen lassen, die Leichen beseitigen und jegliches Wissen über diese Vorgänge bestreiten? Oder würde er sich von einer Demonstration militärischer Stärke einschüchtern lassen?

Dumm war nur, dass man zu diesem Zweck mehr als nur eine Schwadron benötigen würde. Denn er besaß ein ganzes Regiment leichter Kavallerie, zwei Geschützbatterien und drei Regimenter Fußvolk.

Es traf zu, dass diese Streitkräfte schlecht ausgebildet, schlecht bewaffnet und unterernährt waren. Aber gab man dem Maharadscha Zeit, so dass er seine Maßnahmen treffen konnte, war er leicht in der Lage, eine Reiterschwadron abzuwehren.

Und seine Gefangenen spielten auch noch eine Rolle, wenn es zu einer Auseinandersetzung kam. Mit ihnen konnte er die Angreifer unter Druck setzen.

Schon der Gedanke an einen nächtlichen Überraschungsangriff gefiel Wood überhaupt nicht, zumal es sich um eine unbekannte Stadt handelte. Dennoch wusste er, dass er es darauf ankommen lassen musste. In den engen Straßen der Stadt musste seine Kavallerie mit allen möglichen Nachteilen und Überraschungen rechnen. Aber ein rascher Galopp konnte sie zum Palast bringen, bevor Alarm gegeben wurde. Geschwindigkeit und Gewalt konnten den Kampf entscheiden, ehe die Verteidiger noch wussten, was gespielt wurde.

Die Überraschung ist noch immer auf unserer Seite, dachte er.

Die Schwadron hatte sich rasch voran bewegt, seit sie die Grenzen von Mahadhrana überschritten hatte. Sie waren auf keine örtlichen Beobachterposten gestoßen. Sie hatten auch eine direkte Richtung eingeschlagen, so dass niemand gewarnt worden sein konnte.

Die Pferde hatten ihre Verschnaufpause gehabt; es war an der Zeit, sich wieder auf den Weg zu machen. Er war der Dunkelheit der Nacht dankbar, denn sie würde die Bewegung der Schwadron tarnen. Kein Mond. Ein bewölkter Himmel. Die schwärzeste Nacht des Monats.

Die schwärzeste Nacht...

 

»Sahib«, sagte der Dieb mit einer stoischen Ruhe, »es ist die schwärzeste Nacht. Die Zeit der Kali-Zeremonie...«

Die graue Gesichtsfarbe von Major Wood war nicht ausschließlich auf Müdigkeit zurückzuführen. Er hatte sich schon lange in Indien aufgehalten und verstand viele der Landessprachen. Er hatte die Völker, deren Religionen und Gebräuche studiert.

»Kali-Zeremonie! Gibt es Vamamargis? Folgen sie dem sogenannten Pfad der Linken Hand?«

Die Augen des Diebes wurden kleiner und nahmen einen verschlagenen Ausdruck an. Es genügte nun nicht mehr, dass diese unerwartete Expedition ihm zur Freiheit verholfen hatte; vielleicht konnte er noch einen zusätzlichen Profit einstreichen.

»Der Sahib stellt viele, viele Fragen...«

Major Wood packte ihn mit einer Hand und hob ihn mühelos vom Boden. »Du wirst mich zum Tempel der Göttin Kali führen oder auf der Stelle sterben, du stinkender Sohn einer Kröte!«

Die Augen des Diebes rollten. »Ich werde es auch tun, Lord. Sicher werde ich das tun...«

»Das will ich hoffen.«

»Und der Sahib wird seinen demütigen Diener und Führer belohnen.«

Die Kerker waren jetzt alle leer; die Kerker, in denen Diebe, Mörder und eine kleine Gruppe englischer und irischer Frauen gewesen waren.

Nur Major Wood wusste von der Bedeutung der Blütenblätter auf dem Boden des Kerkers, der die Frauen beherbergt hatte, die Blüten der Opferblumen.

»Oberwachtmeister!«

»Sir?«

»Die B-Gruppe bleibt hier auf Posten zurück, der Rest aufsitzen!«

Die schwarze Göttin tanzte noch immer auf dem Körper ihres Mannes Mahakala.

Und im Tempel schwebte ein starker Blutgeruch.

Es schien beinahe, als habe das frische Blut die aus Stein gehauene Göttin mit einem Eigenleben erfüllt. Ihr Körper schimmerte im Lichtschein der vielen kleinen

Lampen; man hatte den Eindruck, als winde er sich mit obszönen Bewegungen hin und her.

Die vier Arme schienen sich gierig ausgestreckt zu haben und zu fordern: Mehr... Mehr... 

Und es sollte noch mehr Blut fließen.

Jetzt führte ein stämmiger Bauer seinen Büffel vor die Göttin und zog ein langes, gekurvtes Schwert.

»Zur Ehre von Kali und des Wohlstandes und langen Lebens unseres gnädigen Maharadschas!«, rief er laut.

Seine Worte würden, davon war dieser Mann überzeugt, zu Sri Rajakrishna getragen werden, der seine Opfergabe gnädig zur Kenntnis nahm.

Die Klinge blitzte im Licht auf und zuckte nach unten.

Und die Priester hinter der Kali-Statue stießen einen langgezogenen Laut der Enttäuschung und Verzweiflung aus.

Denn die Klinge hatte sich während des Zuschlagens ein wenig verdreht.

Sie trennte den Kopf des Büffels nicht mit einem Streich vom Rumpf, sondern drang nur tief in den dicken, kräftigen Nacken. Es durchtrennte nicht die Wirbelsäule, sondern blieb im Wirbel stecken.

Das war ein Omen, wie es schlimmer gar nicht sein konnte.

Es prophezeite eine Katastrophe!

Der Kopf des Opfers zu Ehren der Göttin Kali musste mit einem einzigen Hieb vom Rumpf getrennt werden, sonst war sie beleidigt und zog den dunklen Mantel ihrer schützenden Macht zurück.

In den Augen des Bauern stand das blanke Entsetzen geschrieben, als er das Schwert aus der Wunde zog und noch einmal ausholte.

Der Büffel brüllte schmerzgepeinigt auf, riss mit einem wilden Ruck den Haltestrick durch und griff die nächsten Priester an. Ein Mann rutschte in der Blutlache aus und stürzte. Der Büffel war über ihm, bevor er sich aufrichten konnte, schnaufte wütend und begann auf dem Körper herumzustampfen.

Der Bauer, halb wahnsinnig vor Angst, schlug noch einmal mit der Kraft der Verzweiflung zu.

Und endlich stürzte der Kopf des Büffels zu Boden. Das Blut sprudelte wie Quellwasser aus dem Hals und umspülte die Beine der Göttin Kali.

Der Rauch unter der Decke des Tempels hatte sich gesenkt; es war, als verhülle eine Wolke das Gesicht der Göttin.

Die anderen Priester und Eingeweihten verschwanden so rasch wie Spukgestalten, niemand sah den anderen an, niemand wagte zurückzublicken. Kali war wütend und zürnte ihnen wegen dieser Stümperei.

 

Selbst in der eher armselig wirkenden Robe eines Priesters strahlte Seine Hoheit Sri Rajakrishna Macht und Autorität aus.

Er war schweigend und leise hinter der Statue der grausamen Göttin hervorgekommen, als der Bauer seine Opfergabe verpfuschte und damit seinen Wert beträchtlich verminderte. So etwas erforderte wieder Blut.

Sri Rajakrishnas glühende Augen schienen den Bauern wie Haken festzuhalten. Der Mann wollte kehrt machen und blindlings davonlaufen, aber er brachte es nicht fertig. Er konnte nur keuchend auf der Stelle stehenbleiben, und ihm war, als würde ihm jegliche Energie entzogen.

»Du hast etwas Schlechtes getan«, sagte endlich der Prinz.

»Ich habe gesündigt, Lord«, beeilte sich der Bauer zu sagen.

»Das Gesicht der Göttin zeigt Zorn. Sie verbirgt daher ihr Gesicht vor uns.«

»Ja, Lord.«

»Ihr Altar ist besudelt; denn ein Opfer, das nicht vorschriftsmäßig geschlachtet wird, ist schlimmer als kein Opfer.«

»So ist es, Lord.«

»Der Tempel muss gereinigt werden.«

»Er muss gereinigt werden, Lord!«

Die Stimme des Mannes klang hilflos, betäubt, ergeben. Er wusste, was ihn erwartete. Er fürchtete sich entsetzlich davor, aber er hatte keine Kraft in seinen Beinen, konnte nicht weglaufen. Und wohin sollte ein Mensch schon laufen, wenn er sich dem Zorn der Göttin Kali entziehen wollte?

»Bringt alles, was in diesem Augenblick nötig ist«, befahl der Maharadscha.

Es dauerte nicht lange, da kam ein Priester hinter der Statue hervor. Er hatte ein Rasiermesser, ein kurzes, doch schweres Schwert und eine seltsame stählerne Vorrichtung, die wie zwei Steigbügel aussah.

Der Bauer kniete nieder, und ein Priester rasierte ihm den Kopf kahl.

Blut wurde auf den nackten Schädel gesprengt, und der Priester murmelte hastig ein Gebet.

Die Musik im Vorraum war verstummt. Jetzt begannen wieder die kleinen Trommeln zu dröhnen. Es war ein zwingendes, hypnotisches Geräusch, das von dem dünnen Wimmern eines Banshri und einer Bambusflöte begleitet wurde.

Jetzt setzte der Priester die Klinge sorgfältig auf den Nacken des Bauern. Die Klinge war sichelförmig. An beiden Enden baumelten die Steigbügel herab, deren Ketten gerade so lang waren, dass der Bauer in geduckter Haltung seine Füße hineinschieben konnte.

Die Klinge befand sich zwischen zwei Halswirbeln und es war klar, dass sie, sobald der Mann sich aufrichtete, seinen Hals durchtrennen würde.

»Kali, Göttin der Dunkelheit und der Vernichtung«, intonierte der Maharadscha. »Trotz dieser Befleckung wird bald alles rein sein...«

Er begann jene uralten Verse zu singen, die dieser Zeremonie gewidmet waren.

Und während er sang, wurden die Trommeln lauter und lauter.

Plötzlich stieß er einen Schrei aus. Das Getrommel erreichte die größte Lautstärke.

Dann war es still.

Unwillkürlich richtete der Bauer seinen Oberkörper auf. Jeder Muskel straffte sich.

Die sichelförmige Klinge trennte ihm fast im gleichen Moment den Kopf vom Rumpf. Er stand noch sekundenlang aufrecht, als der Kopf schon zur Seite kippte, und erst dann knickten seine Beine ein.

Aber der Kopf war noch nicht völlig abgetrennt, und obwohl ein Priester vortrat und rasch mit dem Schwert zuschlug, war die Enthauptung nicht auf Anhieb komplett gewesen.

Und das war entschieden kein gutes Omen.

Doch diesmal schien der Maharadscha sich nicht daran zu stören.

»Jetzt werden wir uns mit den Frauen beschäftigen«, gab er bekannt.

 

Die kleine, hilflose und traurig wirkende Prozession wurde in den Tempel geführt. Jede Frau wurde von einem bewaffneten Priester bewacht.

Draußen hatten die Frauen nichts sehen und auch nichts empfinden können, doch hier drinnen schien der Blutgeruch alles zu durchdringen. Und der Terror schwebte in der Luft wie etwas Greifbares, Kompaktes.

Cynthia Davenport starrte entsetzt auf die Göttin mit der blutroten Zunge und spürte ein schreckliches Gefühl der Schwäche in sich aufsteigen. Sie hatte während ihrer Gefangenschaft schon scheußliche Dinge gesehen, aber das waren Eindrücke von dieser Welt.

Die schwarze, blutige Statue, deren Kopf von einer undurchdringlichen Rauchwolke umgeben war, schien aus einer völlig anderen Welt zu stammen, einer unheimlichen, unwirklichen Welt, die in der Hölle beheimatet war.

»Mrs. Davenport«, sagte Gobbsy O'Faolian mit dünner Stimme, »würden Sie vielleicht ein Gebet sprechen? Mein Gott, mir fällt nichts ein. Nicht einmal ein einziges Wort...«

Jane Carter, die zwölfjährige Tochter des Quartiermeisters, begann leise zu schluchzen.

Die älteren Frauen waren vor Entsetzen wie erstarrt. Der Terror hatte sie in eine Art Trance versetzt.

Und doch wurden sie für einige Zeit völlig ignoriert.

Denn für die Vamamargis, den Gefolgsleuten des Pfades der Linken Hand, war die strikte Einhaltung der Zeremonie oberstes Gesetz.

Für Sri Rajakrishna war alles von vitaler Bedeutung.

»Erkenne und erhöre mich«, sagte er zu der Göttin.

»Ich bin dein demütigster Diener, und aus diesem Grund hast du mich in diesem Land erhalten. Ich tue alles, was dir wohl gefällt. Du hast meinem Leben andere Leben hinzugefügt, damit Mahadevis Wille erfüllt werde. Mein Leben wurde durch deine Gnade verlängert, und so suche ich jetzt eine weitere Gelegenheit, dir auf Erden zu dienen. Du kennst mich seit vielen Jahren, und wenn es dein Wille ist, so werde ich noch viele Jahre leben.«

Er begann die Tantras zu singen, die mit den fünf Ms identisch waren: Mamsa, Fleisch; Matsya, Fisch; Mudra, die mystischen Zeichen; Madya, Wein, und Maithuna, die sexuelle Vereinigung.

Bei den ersten drei M reichten ihm die Priester die entsprechenden Opfergaben, die er kostete und dann in die goldene Schale zu Füßen der Göttin Kali legte.

Nur das fünfte M war noch zu berücksichtigen, und nun erst wandte er sich den Frauen zu.

Seine langen, schlanken Finger deuteten die Geheimzeichen eines Befehls an.

Zwei Priester packten Jane Carter und schleppten sie vor die Statue der Göttin Kali.

Sie schrie jetzt, ein fortwährend schrilles Kreischen, pausen- und atemlos. Es war ein Schrei des äußersten Terrors, der kein Atemholen gestattete.

Mit einem kleinen geschwungenen Messer schnitt ein anderer Priester ihr Kleid von oben bis unten durch - dann ihr Unterkleid.

Die zerschnittene Kleidung wurde vom Körper des Mädchens gerissen. Sie schrie noch immer ununterbrochen, und nur ihre Stimme verriet, dass noch Leben in ihr war; ihr Körper schien schon tot und starr zu sein. Sie leistete so gut wie keinen Widerstand, als sie zu dem blutigen Opferaltar gestoßen wurde.

Zwei Priester drückten sie zu Boden, während zwei weitere Priester ihre Beine packten und auseinanderrissen. Sie hatten keine Gnade mit ihrer Jugend, kein Erbarmen mit ihrer Unschuld, ihre Gesichter zeigten überhaupt keine Gemütsbewegung an. Weder sadistische Freude noch irgendein Interesse spiegelten sich in den Gesichtern, die nur mit starren Masken zu vergleichen waren. Sie hielten das Mädchen fest, und der Maharadscha warf sich über den

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Wilfred McNeilly/W. Howard Baker.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Zasu Menil.
Übersetzung: N. N. (OT: The Darkest Night).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 07.03.2018
ISBN: 978-3-7438-5984-5

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