E. R. Eddison
Der Wurm Ouroboros
Roman
Apex Fantasy-Klassiker, Band 1
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DER WURM OUROBOROS
Die Induktion
Kapitel I: Das Schloss des Fürsten Juss
Kapitel II: Das Ringen um Dämonenland
Kapitel III: Der Rote Foliot
Kapitel IV: Beschwörung im Eisernen Turm
Kapitel V: König Gorice’ Sendung
Kapitel VI: Die Klauen von Hexenland
Kapitel VII: Gäste des Königs zu Carcë
Kapitel VIII: Die erste Ausfahrt gen Wichtland
Kapitel IX: Die Berge von Salapanta
Kapitel X: Die Grenzlande der Moruna
Kapitel XI: Die Burg von Eschgrar Ogo
Kapitel XII: Koschtra Pivrarcha
Kapitel XIII: Koschtra Belorn
Kapitel XIV: Der See von Ravarie
Kapitel XV: Königin Prezmyra
Kapitel XVI: Fräulein Srivas Mission
Kapitel XVII: Der König lässt seinen Adler steigen
Kapitel XVIII: Die Ermordung des Gallandus durch Corsus
Kapitel XIX: Thremnirs Kliff
Kapitel XX: König Corinius
Kapitel XXI: Die Verhandlung vor Krothering
Kapitel XXII: Auerwatt und Scheidersee
Kapitel XXIII: Das Wyrd von Ischnain Nemrarta
Kapitel XXIV: Ein König in Krothering
Kapitel XXV: Fürst Gro und die Fürstin Mevrian
Kapitel XXVI: Die Schlacht bei Krothering
Kapitel XXVII: Die zweite Ausfahrt gen Wichtland
Kapitel XXVIII: Zora Rach nam Psarrion
Kapitel XXIX: Die Flotte zu Muelva
Kapitel XXX: Kunde von Melikaphkhaz
Kapitel XXXI: Die Dämonen vor Carcë
Kapitel XXXII: Das Ende all derer von Hexenland
Kapitel XXXIII: Königin Sophonisba in Stormhöh
Zeittafel
Bibliografische Anmerkung zu den Gedichten
Nachwort von Helmut W. Pesch
Das Buch
Krieg ist entbrannt im Lande Merkurien – ein Krieg zwischen Hexen und Dämonen:
Doch König Gorice von Hexenland kämpft mit dunklen Mächten an seiner Seite, und so müssen die Dämonenfürsten Juss und Brandoch Daha den Gipfel des höchsten aller Berge erklimmen, von dem kein Sterblicher je zurückgekehrt ist, um das Schicksal zu ihren Gunsten zu wenden.
Vor den Toren Carcës wird die gewaltigste Schlacht geschlagen, die die Welt je erblickte, und sie entscheidet über Untergang oder zeitlosen Ruhm.
Und um all dies Geschehen windet sich der Wurm Ouroboros, der Drache, der seinen eigenen Schweif verschlingt...
Der Wurm Ouroboros von E. R. Eddison ist unumstritten eines der großen Meisterwerke der modernen Fantasy-Literatur, ein Epos, in welchem Sprache und Handlung zu einem Kunstwerk verschmelzen; wie auch Tolkiens Der Herr der Ringe hat dieser Roman ein ganzes Genre geprägt.
Der Apex-Verlag veröffentlicht zum Start der Reihe APEX FANTASY-KLASSIKER eine durchgesehene Neu-Ausgabe des Romans, ergänzt um ein Nachwort des Übersetzers Helmut W. Pesch.
DER WURM OUROBOROS
Dieses Buch ist W. G. E. und meinen Freunden
K. H. und G. C. L. M. gewidmet.
Es ist weder Allegorie noch Fabel, sondern eine Geschichte, die um ihrer selbst willen zu lesen ist.
Die Eigennamen habe ich einfach zu schreiben versucht. Das e in Carcë ist lang, das o in Krothering kurz und der Akzent auf dieser Silbe. Corund wird auf der ersten Silbe betont, Prezmyra auf der zweiten, Brandoch Daha auf der ersten und vierten. Gorice wird auf der letzten Silbe betont und reimt sich mit ›Reis‹. Das ch ist immer guttural wie in ›Loch‹.
E. R. E.
9. Januar 1922
Der Reimer Thomas lag am Bach,
Am Kieselbach bei Huntley Schloss.
Da sah er eine schöne Frau,
Die saß auf einem weißen Ross.
Sie saß auf einem weißen Ross,
Die Mähne war geflochten fein,
Und hell an jeder Flechte hing
Ein silberblankes Glöckelein.
Und Tom, der Reimer, zog den Hut
Und fiel aufs Knie, er grüßt und spricht:
Du bist die Himmelskönigin!
Du bist von dieser Erde nicht!
Die blonde Frau hält an ihr Ross:
Ich will dir sagen, wer ich bin:
Ich bin die Himmelsjungfrau nicht,
Ich bin die Elfenkönigin.
Nimm deine Harf und spiel und sing
Und lass dein bestes Lied erschalln!
Doch wenn du meine Lippe küsst,
Bist du mir sieben Jahr verfalln!
Wohl sieben Jahr, o Königin,
Zu dienen dir, es schreckt mich kaum!
Er küsste sie, sie küsste ihn,
Ein Vogel sang im Eschenbaum.
Nun bist du mein, nun zieh mit mir,
Nun bist du mein auf sieben Jahr!
Sie ritten durch den grünen Wald,
Wie glücklich da der Reimer war!
Sie ritten durch den grünen Wald
Bei Vogelsang und Sonnenschein,
Und wenn sie leicht am Zügel zog,
So klangen hell die Glöckelein.
TOM DER REIMER von Theodor Fontane
Nach einer schottischen Ballade
aus der Sammlung von Francis James Child
Die Induktion
Lessingham hieß ein Mann, der wohnte in einem alten niedrigen Haus in Wasdale, umgeben von einem grauen alten Garten, wo Eiben standen, die als Schößlinge noch Wikinger in Copeland gesehen. Lilien, Rosen und Rittersporn blühten in den Rabatten und Begonien mit Blüten groß wie Untertassen, rot und weiß und pink und zitronengelb, in den Beeten vor dem Portal. Kletterrosen, Heckenkirschen, Clematis und roter Wein rankten die Mauern empor. Zu allen Seiten des Gartens erstreckten sich dichte Wälder, die sich nur gen Nordosten öffneten und einen Blick auf den einsamen See und die großen Hügel dahinter freigaben, wo jenseits der klaren, scharfen Silhouette der Screes der Gable sein zerklüftetes Haupt in den Himmel erhob.
Kühle lange Schatten stahlen sich über den Tennisrasen. Die Luft war golden. Tauben gurrten in den Bäumen; zwei Buchfinken spielten auf dem vorderen Pfosten des Netzes; ein kleiner Wippsterz huschte den Pfad entlang. Eine Terrassentür stand zum Garten offen; darinnen war dunkel ein Esszimmer zu erkennen, mit alter Eiche getäfelt, auf seinem jakobitischen Tisch leuchtete es hell von Blumen und Silber und Kristall und Wedgwoodgeschirr überquellend mit Früchten: Reineclauden, Pfirsiche und große Muskatellertrauben. Lessingham lag in einem Liegestuhl und betrachtete durch den blauen Rauch einer Abendzigarre das warme Licht auf den Gloire-de-Dijon-Rosen, die sich oben unter dem Schlafzimmerfenster drängten. Er hielt ihre Hand. Dies war ihrer beider Haus.
»Sollten wir nicht jenes Kapitel vom weisen Njal zu Ende lesen?«, fragte sie.
Sie nahm den schweren Band mit seinem verblassten grünen Buchdeckel und las:
»Er ging vors Haus in der Nacht auf Sonntag, als zwölf Wochen waren bis Winteranfang. Er hörte ein lautes Krachen, sodass ihm war, als bebe Erde und Himmel. Darauf schaute er gegen Westen: ihm war, als sehe er dort einen Kreis, feuerfarbig, und in dem Kreise einen Mann auf grauem Pferde: der kam schnell näher, er ritt scharf; er trug einen Feuerbrand in der Hand. Er ritt so nah an ihm durch, dass er ihn genau sehen konnte; er war schwarz wie Pech. Er sprach mit lauter Stimme dieses Gesätz:
Reite ein Ross –
Reif deckt sein Haupt,
Stirnhaar ist nass.
Ich Unheilstifter.
Glut an den Enden,
Gift in der Mitte:
Wie der fliegende Stab
sind Flosis Pläne!
Wie der fliegende Stab
sind Flosis Pläne!
Da war ihm, als schieße der Mann den Brand nach den Bergen im Osten und als breche ein mächtiges Feuer aus ihnen empor, sodass ihm war, er sehe davor nichts mehr von den Bergen. Der Mann schien ihm ostwärts in das Feuer hinein zu reiten, und dort verschwand er.
Darauf ging er ins Haus in zu seinem Bett und war lange bewusstlos und kam wieder zu sich: er erinnerte sich an alles, was ihm erschienen war, und erzählte es seinem Vater; aber der sprach, er möge es dem Hjalti Skeggissohn erzählen. Er ging hin und erzählte es ihm. ›Du hast den Geisterritt gesehen‹, sprach Hjalti, ›und das deutet immer auf große Ereignisse.‹«
Sie waren eine Weile still, dann sprach Lessingham plötzlich: »Wäre es dir recht, wenn wir heute Nacht im Ostflügel schlafen?«
»Was, im Lotuszimmer?«
»Ja.«
»Ich bin heut Abend zu träge für derlei. Liebster«, antwortete sie. »Macht es dir etwas aus, wenn ich alleine gehe? Ich werde zum Frühstück zurück sein. Ich mag meine Herzliebste bei mir; doch können wir gemeinsam gehen, wenn der Mond das nächste Mal abnimmt. Mein Schatz hat keine Angst, nicht wahr?«
»Nein!«, sagte sie lachend. Doch ihre Augen waren ein wenig groß. Ihre Finger spielten mit seiner Uhrkette. »Mir wäre lieber«, sprach sie dann, »du würdest später gehen und mich mitnehmen. All dies ist immer noch so seltsam: das Haus und alles; und ich liebe es so. Und schließlich ist es ein langer Weg und manchmal der Jahre viel im Lotuszimmer, auch wenn es am nächsten Morgen alles vorbei ist. Mir wär’ lieber, wir gingen zusammen. Wenn dann etwas geschähe, nun, dann würden wir beide draufgehen, und es wäre nicht so schlimm, nicht wahr?«
»Würden wir was?«, sprach Lessingham. »Ich fürchte, deine Sprache lässt zu wünschen übrig.«
»Du warst mein Lehrmeister!«, sagte sie; und sie lachten.
Sie saßen dort, bis die Schatten über den Rasen krochen und die Bäume hinauf, und die hohen Felsen des Berghanges dahinter brannten rot in den Abendsonnenstrahlen. Er sprach: »Wenn du gern ein wenig mit mir den Hang hinauf spazieren möchtest, der Merkur ist heut Nacht zu sehen. Wir könnten einen Blick auf ihn erhaschen, gleich nach Sonnenuntergang.«
Ein wenig später standen sie auf dem offenen Hang unter den beizenden Fledermäusen und hielten Ausschau nach dem matten Gestirn, das sich schließlich tief im Westen zwischen dem Sonnenuntergang und der Dunkelheit zeigte.
Er sprach: »Es ist, als ob der Merkur heut Abend einen Finger auf mich gelegt hätte, Mary. Es hat keinen Zweck, dass ich heute woanders Schlaf suche als im Lotuszimmer.«
Sie drückte seinen Arm. »Merkur?«, sagte sie. »Das ist eine andre Welt. Es ist zu weit.«
Aber er lachte und sprach: »Nichts ist zu weit.«
Sie wandten sich zum Gehen, als die Schatten dunkler wurden. Wie sie im Rund des Tores standen, das von dem offenen Hang in den Garten führte, erklangen die weichen, klaren Klänge eines Spinetts aus dem Haus. Sie hob einen Finger. »Horch«, sagte sie. »Deine Tochter spielt Les Barricades.«
Sie lauschten. »Sie spielt gern«, flüsterte er. »Ich bin froh, dass wir sie spielen gelehrt haben.« Und nach einem kleinen Moment fuhr er flüsternd fort: »Les Barricades Mystérieuses. Was mag Couperin zu diesem verzauberten Namen inspiriert haben? Und nur du und ich wissen, was er wirklich bedeutet. Les Barricades Mystérieuses.«
In jener Nacht schlief Lessingham allein im Lotuszimmer. Seine Fenster öffneten sich nach Osten auf die schlafenden Wälder und die schlafenden kahlen Hänge des Illgill Head. Er schlief sanft und tief; denn dies war das Haus des Postmeridians und das Haus des Friedens.
Zu mitternächtlicher Stunde, in der Tiefe der Nacht, als der abnehmende Mond über den Bergkamm lugte, erwachte er plötzlich. Die silbernen Strahlen schienen durch das offene Fenster auf etwas, das sich auf dem Fußende des Bettes niedergelassen hatte: ein kleiner Vogel, schwarz, rundköpfig, mit kurzem Schnabel und langen spitzen Flügeln und Augen, die wie zwei Sterne blinkten. Er hub an und sprach: »’s ist Zeit.«
So stand Lessingham auf und hüllte sich in einen großen Mantel, der auf einem Stuhl neben dem Bette lag. Er sprach: »Ich bin bereit, meine kleine Merlette.« Denn dies war das Haus des Innigsten Begehrens.
Wahrlich erfüllten die Augen der Merlette den ganzen Raum mit Sternenlicht. Es war ein alter Raum. Lotusblüten waren in die Täfelung und das Bett und die Stühle und die Dachbalken eingeschnitten, und in dem Silberschein schwankten die geschnitzten Blumen wie Wasserlilien in einem trägen Strom. Ein Wagen von der Farbe des Lichthofs um den Mond wartete vor dem Fenster, in der Luft, und ein seltsam Tier war davor gespannt. Einem Rosse schien es gleich, doch geflügelt wie ein Adler, und seine Vorderbeine waren gefiedert und bewehrt mit Adlerklauen an Stelle von Hufen. Er stieg auf den Wagen, und die kleine Merlette setzte sich auf sein Knie.
Mit einem Rauschen von Schwingen sprang der wilde Renner himmelan. Die Nacht um sie her war wie ein Strudel von Blasen um eines Tauchers Ohren, der in einen tiefen Schlund unter einem glatten, steilen Fels in einem Gebirgsbach eintaucht. Die Zeit wurde von der Geschwindigkeit verschluckt; die Welt fiel unter ihnen hinweg; und es dauerte nur den Moment zwischen zwei tiefen Atemzügen, ehe jenes seltsame Pferd seine Regenbogenflügel ausbreitete und sich über einer großen Insel niedersenkte, die da, umgeben von kleineren Inseln, schlummernd lag in einem schlummernden Meer: ein Land von hohen Gebirgen und Hügelmatten und einer Vielzahl von Gewässern, welche allesamt im Mondlicht gleißten.
Sie landeten hinter einem Tor, das von goldenen Löwen gekrönt war. Lessingham stieg vom Wagen, und die kleine schwarze Merlette kreiste um seinen Kopf und wies ihm eine von Eiben gesäumte Allee, die vom Tor wegführte. Wie in einem Traum folgte er ihr.
Kapitel I: Das Schloss des Fürsten Juss
Von den Schätzen, dergleichen in dem hohen Audienzsaale waren gar schön und lieblich anzuschauen, und von den Vorzügen und dem Stande der Fürsten des Dämonenlandes; und von der Botschaft, welchselbige ihnen König Gorice XI. gesandt, und der Antwort darob.
Die östlichen Sterne verblassten im Morgengrauen, als Lessingham seinem Führer über den Grasweg zwischen den dunklen Reihen irischer Eiben folgte, die wachsam wie Soldaten in der Dämmerung standen, voller Geheimnis und Erwartung. Das Gras war feucht vom Tau der Nacht, und die großen weißen Lilien, die im Schatten der Eiben schliefen, erfüllten die Luft mit einem köstlichen Duft. Lessingham spürte den Boden unter seinen Füßen nicht, und als er die Hand nach einem Zweig ausstreckte, ging sie durch Ast und Nadeln hindurch, als ob diese substanzlos wie ein Mondstrahl wären.
Die kleine Merlette, die sich auf seiner Schulter niedergelassen, lachte ihm ins Ohr. »O Erdenkind«, sagte sie, »du glaubst, wir sind im Lande des Traumes?«
Er aber gab keine Antwort, und also sprach sie weiter: »Dies ist kein Traum. Als erstes der Menschenkinder bist du nach Merkurien gekommen, wo du und ich eine Zeitlang verweilen werden, damit du die Länder und Meere, die Wälder, Ebenen und alten Berge siehst, die Städte und Paläste dieser Welt und das Treiben jener, die darinnen wohnen. Doch tun kannst du hier nichts, noch dich den Bewohnern bemerkbar machen, auch wenn du dir die Kehle heiser schriest. Denn du und ich, wir wandeln hier ungreifbar und unsichtbar gleich zwei wandelnden Träumen.«
Sie standen nun auf den Marmorstufen, die von der Eibenallee zur Terrasse gegenüber dem Hauptportal des Schlosses führten. »Dir und mir stehen alle Tore und Türen offen«, fuhr die Merlette fort, als sie in den Schatten jenes alten Portals traten, das mit seltsamen Insignien versehen war, und mitten durch das massive Holz des verriegelten Tores, schwer mit Silber beschlagen, in den Innenhof vordrangen.
»Gehen wir in den hohen Audienzsaal und verweilen dort ein wenig. Der Morgen entzündet die oberen Luftschichten, und bald werden die Bewohner des Schlosses sich erheben, denn sie recken sich nicht lange in den Betten, wenn es Tag wird im Dämonenland. Denn wisse, o Erdgeborener: dies Land ist Dämonenland und dieses Schloss das Schloss des Fürsten Juss und der nun anbrechende Tag sein Geburtstag, an welchem im Schloss ein großes Fest stattfindet, wo die Dämonen ihm Ehre erweisen sowie seinen Brüdern Spitfyr und Goldry Bluszco; und diese und vor ihnen deren Väter regieren seit undenklichen Zeiten im Dämonenland und haben die Herrschaft inne über alle Dämonen.«
Also sprach sie, und die ersten schrägen Sonnenstrahlen schlugen speergleich durch die Ostfenster, und die Frische des Morgens strömte und schimmerte in jenen hohen Saal und drängte die blauschwarzen Schatten der vergangenen Nacht in die Ecken und Winkel und zwischen die Sparren des gewölbten Daches. Es hatte gewiss kein Potentat auf Erden, weder Krösus noch der Großkönig, noch Minos in seinem Palast zu Kreta, noch alle Pharaonen, noch Königin Semiramis, noch alle Könige zu Babylon und Ninive, je einen Thronsaal besessen, der an Glanz hätte wetteifern können mit jenem hohen Audienzsaale der Fürsten von Dämonenland. Seine Wände und Säulen waren aus schneeweißem Marmor, dessen jede Ader mit winzigen Edelsteinen ausgefüllt war: Rubine, Korallen, Granate und rosa Topase. Sieben Säulen auf jeder Seite trugen das schattendunkle Dachgewölbe; der Firstbalken und die Sparren waren aus Gold, wundersam geschnitzt, das Dach selbst aus Perlmutt. Jenseits der beiden Säulenreihen schloss sich je ein Seitenschiff an, und sieben großen Fenstern an der Ostwand hingen sieben Gemälde an der Westwand gegenüber. Am Saalende auf einer Estrade standen drei Thronstühle, deren Armlehnen jeweils aus zwei in Gold getriebenen Hippogryphen bestanden, mit ausgebreiteten Schwingen, und die Beine der Stühle waren die Beine der Hippogryphen; der Sitz eines jeden Thrones aber war ein einziger Edelstein von gewaltiger Größe: der linke ein schwarzer Opal, funkelnd mit stahlblauem Feuer; der nächste ein Feueropal, einer glühenden Kohle gleich; der dritte ein Alexandrit, rot wie Wein bei der Nacht, doch am Tage von einem tiefen Meergrün. Zehn weitere Säulen standen in einem Halbkreis und hielten über der Estrade einen Baldachin aus Gold empor. Die Bänke, die von einem Ende des hohen Saales zum andren reichten, waren aus Zedernholz, eingelegt mit Koralle und Elfenbein, desgleichen die Tische davor. Der Fußboden wies ein Mosaik aus Marmor und grünem Turmalin auf, und auf jedem der grünen Gevierte war das Bild eines Fisches zu sehen, als da wären: der Delphin, der Meeraal, der Wels, der Thunfisch, der Lachs, der Tintenfisch und andre Wunder der Tiefe. Hinter den Thronsesseln hingen Tapisserien mit gewirkten Blumen: Schlangenkraut, Löwenmaul, Drachenwurz und dergleichen, und auf den Paneelen unter den Fenstern waren Reliefs von Vögeln, Landtieren und kriechenden Wesen.
Doch das größte Wunder dieses Audienzsaales und nur mit Staunen anzuschaun war, wie das Kapitell einer jeden der vierundzwanzig Säulen, aus einem einzigen Edelstein gehauen, von der Hand eines alten Meisters zu der lebensechten Gestalt eines Ungeheuers geformt worden war: Hier war eine Harpyie mit kreischend aufgerissenem Mund, so wundersam in ockergetönte Jade geschnitten, dass man erstaunt war, ihre Schreie nicht zu hören; hier in weingelbem Topas ein fliegender Feuerdrache; dort ein Basilisk, geschaffen aus einem einzigen Rubin; dort ein Sternsaphir in der Farbe des Mondlichts, geschnitzt zu einem Zyklop, sodass die Strahlen des Sterns in seinem einzigen Auge zusammentrafen; da waren Salamander, Meerweiber, Chimären, Riesen, Leviathane, alle aus makellosen Edelsteinen gehauen, die den dreifachen Umfang eines starken Mannes hatten: samtdunkle Saphire, Crystolithe, Berylle, Amethyste und der gelbe Zirkon, der wie durchsichtiges Gold ist.
Um dem Audienzsaal Licht zu spenden, hingen sieben Garfunkelsteine darinnen, groß wie Kürbisse, über die Länge des Saales verteilt, und neun helle Mondsteine standen auf silbernen Piedestalen jeweils zwischen den Säulen auf der Estrade. Diese Edelsteine, die bei Tag den Sonnenschein tranken, gaben in den Stunden der Dunkelheit ein rötliches Licht von sich und einen sanften Schein wie von Mondstrahlen. Und, noch ein Wunder, die Unterseite des Baldachins über den Thronstühlen war mit Lapislazuli ausgekleidet, und in diesem künstlichen Himmelszelt brannten die zwölf Zeichen des Tierkreises – jeder Stern ein Diamant, der aus eigner Kraft leuchtete.
Die Leute im Schloss begannen sich nun zu regen, und eine Schar von Bediensteten kam mit Besen, Bürsten, Lappen und ledernen Tüchern bestückt in den Audienzsaal, um ihn zu fegen und zu schmücken und das Gold und die Juwelen des Saales zu putzen, bis alles glänzte. Wendig waren die Diener und flink, von frischer Hautfarbe und mit blondem Haar, mit Hörnern auf den Köpfen. Als ihr Werk vollendet war, verschwanden sie, und der Saal begann sich mit Gästen zu füllen. Eine Freude war es, solch vielfältige Pracht zu sehen an Samtstoffen, Pelzen, erlesenen Stickereien und Silberseide, Musselin, Spitzen, Rüschen, kostbaren Ketten und Halsgeschmeiden aus Gold; solch ein Glitzern von Juwelen und Waffen; solch ein Nicken von Federbüschen, welche die Dämonen im Haar trugen und mit denen zum Teil die Hörner umwunden waren, die ihren Häuptern entsprossen. Einige Gäste ließen sich auf den Bänken nieder oder stützten sich auf die blanken Tische, andre flanierten über den glänzenden Mosaikboden auf und ab. Hie und da waren auch Frauen unter den Anwesenden – Frauen so schön, dass man ausrufen wollte: Sicherlich ist dies hier die weißarmige Helena; dies die arkadische Atalante; dies Phryne, die Praxiteles für das Bildnis der Aphrodite Modell stand; dies Thais, zu deren Ergötzen der große Alexander die Stadt Persepolis in Brand steckte wie eine Fackel; dies jene, welche der dunkle Gott von den fruchtbaren Feldern Ennas raubte, dass sie Königin sei auf immerdar unter den Geistern der Dahingeschiedenen.
Nun kam Bewegung in die Gäste beim großen Portal, und Lessingham gewahrte einen reich gekleideten Dämon von stämmiger Gestalt und edlem Gebaren. Sein Gesicht war rotbacken und sommersprossig, seine Stirn breit, seine Augen ruhig und blau wie das Meer. Sein dichter, lohfarbener Bart war gescheitelt und an beiden Seiten nach hinten und oben gebürstet.
»Sag mir, meine kleine Merlette«, sprach Lessingham, »ist das Fürst Juss?«
»Das ist nicht Fürst Juss«, antwortete die Merlette, »und keiner, der sich mit ihm könnte messen. Der Herr, den du dort siehst, ist Volle, der unter Kartadza am Seegestade wohnet. Ein großer Seefahrer ist er, und einer, der sich für die Sache Dämonenlands trefflich geschlagen hat und der ganzen Welt, im letzten Krieg gegen die Ghulen.
Doch lenke deinen Blick erneut zur Tür, wo einer inmitten eines Knäuels von Freunden steht, von hohem Wuchs und in gebückter Haltung. Er trägt einen silbernen Harnisch und einen Mantel von alter brokatner Seide, der schimmert wie mattes Gold. In seinen Zügen ähnelt er Volle, doch ist seine Haut dunkler, und er hat einen struppigen, schwarzen Schnurrbart.«
»Ich sehe ihn« sprach Lessingham. »So ist das also Fürst Juss!«
»Mitnichten«, sprach die Merlette. »Das ist Vizz, Volles Bruder. Er ist der reichste an Gütern unter allen Dämonen, abgesehen von den drei Brüdern allein und Fürst Brandoch Daha.«
»Und wer ist der dort?«, fragte Lessingham und zeigte auf einen, der soeben leichten und forschen Schritts und mit einem Funkeln im Auge auf Volle zutrat und ihn in ein Gespräch unter vier Augen verwickelte. Ein hübsches Gesicht besaß er, wenngleich etwas langnasig und scharfzügig: klar und hart und voller Leben und der Freude daran.
»Hier siehst du« antwortete sie, »Fürst Zigg vor dir, den weitberühmten Pferdezähmer. Unter den Dämonen sieht man ihn gern, da er von heitrem Gemüt ist und ein Mann der Tat zudem, wenn er mit seinen Reitern gegen den Feind zieht.«
Volle warf seinen Bart hoch und lachte schallend über einen Scherz, den Zigg ihm ins Ohr flüsterte. Sogleich beugte Lessingham sich weit vor, um besser hören zu können. Das Stimmengewirr im Saal übertönte die Worte; doch als er sich vorbeugte, gewahrte Lessingham, wie sich die Vorhänge hinter der Estrade kurz teilten, und einer von königlicher Gestalt trat an den Thronstühlen vorbei in den Saal. Des jungen Mannes Schritt war graziös wie der eines geschmeidigen Raubtiers, das eben aus seinem Schlummer erwacht war, und er begrüßte mit gelassener Anmut die vielen Freunde, die sich vor ihm verneigten. Sehr groß war er und schlank gewachsen wie eine Maid. Die Seide seines Rockes hatte die Farbe der wilden Rose und war mit goldnen Blumen und Blitzen bestickt. Juwelen glitzerten an seiner linken Hand und an den Ringen an seinen Armen und an dem Reif, der in die goldnen Locken seines Hauptes geflochten und mit den Federn des paradiesischen Königsvogels besteckt war. Seine Hörner waren mit Safran gefärbt und mit goldner Filigranarbeit eingelegt. Seine Halbstiefel waren mit Gold geschnürt, und an seinem Gürtel hing ein Schwert, dessen Klinge schmal und scharf war und dessen Heft bestückt mit Beryllen und schwarzen Diamanten. Seltsam leicht und zierlich von Gestalt und Art war er, doch spürte man eine große Kraft in ihm schlummern, wie bei den zarten Formen eines Schneegipfels, der fern im Schein der roten Morgensonne glüht. Sein Antlitz war herrlich anzuschaun; es besaß die weichen Farben eines Mädchengesichts, und sein Ausdruck war von einer sanften Melancholie, mit einer Spur Geringschätzung vermischt, doch erwachten hin und wieder feurige Blitze in seinen Augen, und die Linien rascher Entschlusskraft umspielten seinen Mund unter dem gedrehten Schnurrbart.
»Endlich«, murmelte Lessingham, »endlich Fürst Juss!«
»Dein Irrtum«, sprach die Merlette. »sei dir verziehen, denn wohl kaum hat dein irdisches Auge etwas Erhabeneres erblickt. Doch ist dies nicht Juss, sondern Fürst Brandoch Daha, dem ganz Dämonenland westlich der Ginsterheide und des Stropardon untertan ist: die reichen Weinberge von Krothering, die weiten Weidelande von Failze und alle westlichen Inseln mit ihren klippenbegrenzten Hügeln. Glaube nicht, weil er Seide und Geschmeide liebt wie eine Königin und gazellenhaft und graziös wie eine junge Birke ist, dass seine Hand leicht oder sein Mut im Kriege zweifelhaft sei. Über Jahre hinweg ward er als drittbester Krieger in ganz Merkurien erachtet, nächst Goldry Bluszco und Gorice X. von Hexenland. Und diesen Gorice hat er vor neun Sommern im Einzelkampf besiegt, als die Hexen ins Koboldland einfielen und Brandoch Daha mit fünfhundertundachtzig Mann ins Feld zog, um Gaslark, dem König jenes Landes, Entsatz zu bringen. Und nun kann niemand mehr Fürst Brandoch Daha in der Waffenkunst übertreffen, es sei denn vielleicht Goldry allein.
Doch siehe«, sprach sie, als eine süße und wilde Melodei sich an ihr Ohr stahl und die Gäste sich der Estrade zuwandten und die Behänge sich abermals teilten, »endlich, das Dreigestirn der Herrscher von Dämonenland! Jauchzet, ihr Instrumente! Lächelt, Schicksalsnymphen, ob dieses festlichen Tages. Glück und Friede erstrahle über diese Welt und über Dämonenland! Richte deinen Blick erst auf ihn, der majestätisch in der Mitte schreitet, gekleidet in einen olivgrünen Waffenrock aus Samt, geziert mit Symbolen von verborgner Bedeutung in Stickerei aus Gold und Perlen aus Chrysolith. Sieh, wie seine um die Waden geschnürten Halbstiefel vor Gold und Bernstein blinken. Sieh seinen nachtdunklen Umhang, mit Gold gesäumt und mit blutroter Seide ausgeschlagen: ein Zaubermantel, der in längst vergessenen Zeiten von den Sylphiden gefertigt ward und über das Geschick seines Trägers wacht, dass er tapferen Herzens sei und niemals verzage. Und sieh nun ihn, der ihn trägt: sein süßes, dunkles Angesicht, das violette Feuer in seinen Augen, die Wärme seines Lächelns, gleich einem Herbstwald im letzten Sonnenschein. Das ist Fürst Juss, der Herr dieses altehrwürdigen Schlosses; keinem wird mehr Huldigung im ganzen Dämonenland zuteil denn ihm. Auch versteht er sich auf die Kunst der Magie, doch wendet er sie nicht an; denn sie zehret an Leben und Kraft, und es geziemt sich nicht für einen Dämonen, Vertrauen in die Magie zu setzen, statt auf die Macht seines eignen Armes zu bauen.
Und jetzt lenke deinen Blick auf ihn, der sich auf des Fürsten Juss linken Arm stützt. Kleiner, doch kräftiger denn jener, geht er in schwarze Seide gekleidet, die bei jeder seiner Bewegungen wie Gold schimmert, und mit einem Kamm von schwarzen Adlerfedern zwischen den Hörnern in seinem blonden Haar. Seine Züge sind wild und kühn wie die eines Seeadlers, und unter seinen dichten Brauen werfen die Augen Blicke umher so scharf wie die Spitze eines Speeres. Ein schwaches Feuer, blass wie das Leuchten eines Irrlichts, strömt hie und da aus seinen geblähten Nüstern. Das ist Fürst Spitfyr, ungestüm im Kampf.
Zuletzt schaue zu Juss’ rechter Hand jenen Fürsten, der von Gestalt mächtig wie Herkules erscheint, doch leicht einherschreitet wie eine Färse. Die Muskeln und Sehnen seiner mächtigen Arme wölben sich bei jeder Bewegung unter einer Haut weißer denn Elfenbein; sein Mantel aus Goldbrokat ist schwer mit Juwelen besetzt, und auf seinem Waffenrock aus schwarzem Zindeltaft sind aus Rubinen und rotem Seidenfaden große Herzen gearbeitet. Von seiner Schulter hängt ein zweihändiges Schwert, dessen Knauf ein zur Form eines Herzens geschliffener Rubin bildet; denn das Herz ist sein Sinnbild und Zeichen. Dies ist das Schwert, von Elfen geschmiedet, mit dem er das Seeungeheuer erschlug, wie du auf jenem Gemälde an der Wand sehen kannst. Edel ist er von Angesicht, ganz wie sein Bruder Juss, doch von dunklerem Braun sein Haar, und röter sind seine Wangen und seine Wangenknochen stärker. Betrachte ihn dir gut, o Erdenkind, denn nimmer wird dein Auge einen größeren Recken sehen als den Fürsten Goldry Bluszco, Hauptmann der Heerscharen von Dämonenland!«
Nun, da man sich allenthalben begrüßt hatte und die Klänge der Lauten und Flöten in der schattigen Wölbung des Daches verhallt waren, füllten die Mundschenke große, zu Kelchen geschliffene Edelsteine mit altem Wein, und die Dämonen tranken mit großen Zügen auf das Wohl des Fürsten Juss zu Ehren dieses Jahrestages seiner Geburt. Nun waren sie im Begriff, sich zu zweien oder dreien auf den Weg in die Parks und Lustgärten zu begeben, die einen, um sich zwischen den Rabatten und an den Fischteichen zu ergehen, andre, um auf den bewaldeten Anhöhen der Jagd zu frönen, wieder andre, um sich mit Wurfspielen, Ringstechen zu Pferde, Tennis oder kriegerischen Übungen zu ergötzen – sich, mit einem Wort, so den lieben langen Tag, wie es sich bei einem solch hohen Fest geziemte, sorglos den Freuden und Taten des Lebens hinzugeben, um sich hernach in der hohen Halle an Speis und Trank zu laben, bis die Nacht dem Morgen wich.
Aber noch hatten die edlen Gäste den Saal nicht verlassen, als draußen eine Trompete anhub und ein dreifach schmetterndes Signal ertönte.
»Welch Störenfried erdreistet sich hier?«, sprach Spitfyr. »Die Trompete ertönt nur, wenn Reisende aus fremden Landen nahen. Ich spür’ es in den Knochen, dass ein Unhold nach Stormhöh gekommen ist, einer, der Böses im Schilde führt und einen Schatten über diesen festlichen Tag zu werfen gedenkt.«
»Beschwör das Unheil nicht herauf«, mahnte Juss. »Wer immer es auch sein mag, wir werden uns sogleich seines Ansinnens annehmen, um uns dann ganz unsrem Vergnügen zu widmen. Jemand gehe zum Tor und lasse ihn herein.«
Der Diener eilte von dannen und kehrte alsbald zurück. »Herr«, sprach er, »’s ist ein Gesandter von Hexenland mitsamt Gefolge. Er heischt sofortiges Gehör.«
»Von Hexenland, ha? Solcher Rauch pflegt stets von Feurio zu künden.«
»Soll er doch warten«, sprach Spitfyr, »bis es uns beliebt. Eine Schande ist’s, dass so einer unsren Frohsinn vergällt.«
Goldry lachte und sprach: »Wen man uns wohl gesandt hat? Etwa diesen Laxus? Damit er sich mit uns dafür versöhne, dass er uns bei der Schlacht vor Kartadza so schmählich im Stich gelassen und sein gegebnes Wort schändlich gebrochen hat?«
Juss fragte den Diener: »Du hast den Gesandten gesehen. Wer ist es?«
»Herr«, antwortete dieser, »sein Gesicht ist mir fremd. Klein von Gestalt ist er und hat, mit Euer Liebden Verlaub, gar wenig gemein mit einem Würdenträger von Hexenland. Und mich dünkt, trotz des wundersam reichen und kostbaren Gewandes, mit dem er angetan, gleicht er ganz einem falschen Stein in einer kostbaren Fassung.«
»Wohlan«, erwiderte Juss, »eine bittere Arznei wird durch Zuwarten nicht süßer. Der Gesandte möge vortreten.«
Fürst Juss saß auf dem Thron in der Mitte der Estrade; zu seiner Rechten hatte Goldry Bluszco auf dem Sessel aus schwarzem Opal Platz genommen; Spitfyr thronte zur Linken auf dem Alexandrith. Auch die andren Fürsten von Dämonenland hatten sich auf der Estrade niedergelassen, und die Gäste niederen Ranges füllten die Bänke um die glänzenden Tische im Saal, als die großen Türen in den silbernen Angeln aufgetan wurden und der Gesandte mit Pomp und Gepränge über den glänzenden Mosaikboden aus weißem Marmor und grünem Turmalin hereinstolziert kam.
»Traun, welch ein Ungetier ist dies!«, flüsterte Fürst Goldry in seines Bruders Ohr. »Seine haarigen Hände reichen ihm bis zu den Knien. Er hoppelt wie ein Esel mit gebundnen Vorderbeinen.«
»Mir behagt das schmutzige Gesicht dieses Gesandten nicht«, sprach Fürst Zigg. »Seine Nase sitzt so flach in seinem Gesicht, als wäre sie ein Lehmklumpen; und ich kann ihm wohl einen Sommertag lang durch die Nase in den Kopf sehen. Ich will verdammt sein, wenn seine Oberlippe ihn nicht als einen selten unersprießlichen Bombasten verrät. Wäre sie einen Fingerbreit länger, könnt’ er sie sich in den Kragen stecken, um sich in einer kalten Wintersnacht das Kinn zu wärmen.«
»Mir behagt der Geruch dieses Gesandten nicht«, sprach Fürst Brandoch Daha und befahl den Dienern, Rauchfässer und Wedel mit Lavendel und Rosenwasser zu bringen, um den Saal zu bestäuben, und er ließ die Kristallfenster öffnen, auf dass die frischen Brisen des Himmels hereinwehten und das Innere mit ihrem süßen Wohlgeruch erfüllten.
Also schlurfte der Gesandte über den glänzenden Fußboden und trat vor die Fürsten von Dämonenland. Er war in einen scharlachroten Mantel mit Hermelinbesatz gehüllt, der mit Krebstieren, Kugelasseln und Tausendfüßlern aus Goldgarn bestickt war. Auf dem Kopf trug er eine schwarze Samtmütze, an die mit einer Silbernadel eine Pfauenfeder gesteckt war. Umringt von seinen Schleppenträgern und Lakaien lehnte er sich auf seinen goldnen Stab, hub mit harscher Stimme an und verkündete laut:
»Juss, Goldry Bluszco und Spitfyr und Ihr andren Dämonen, ich trete vor Euch als der Gesandte von Gorice dem Elften, dem ruhmreichen König von Hexenland, Herrscher und Großfürst von Butenien und Estremerine, Fürst von Sulan, Thramne, Mingos und Permio und Markgraf der Esamozischen Sümpfe, Erzherzog von Trakien, Tyrann von Beschtrien und Nevrien und Prinz von Ar, Herr über die Reiche Ojedien, Maltraenien sowie der Baltarei und Toribiens und über viele andre Länder, Seine Durchlauchtigste Majestät, dessen Macht und Herrlichkeit sich über die ganze Welt erstreckt und dessen Name alle Generationen überdauern wird. Und zunächst ersuche ich Euch, die Unantastbarkeit meines heiligen Amtes als Gesandter des Königs zu achten, welche von allen Völkern und Potentaten, außer den wahrhaft unzivilisierten, Gesandten und Botschaftern zugestanden wird.«
»Sprich und fürchte dich nicht«, antwortete Juss. »Du hast meinen Eid. Und nie erwies ich mich meineidig, ob zu Hexen oder andren Barbaren.«
Der Gesandte formte seine Lippen zu einem O und drohte mit dem Kopf; dann grinste er und bleckte seine spitzen und missgestalten Zähne und fuhr fort:
»Also spricht der ruhmreiche und mächtige Gorice, der mir auftrug. Euch diese Botschaft zu überbringen, ohne ein Wort hinzuzufügen oder wegzulassen: ›Es steht mir im Sinn, dass mir keine Huldigung und kein Lehenseid geleistet ward von den Bewohnern meiner Provinz Dämonenland ...‹«
Wie das Rascheln von dürren Blättern, die über das Pflaster streichen, wenn eine jähe Brise sie erfasst, ging ein Raunen durch die Gäste im Saal. Fürst Spitfyr indes konnte seinen Zorn nicht verbergen, sondern sprang auf und fuhr mit der Hand an den Schwertgriff, als wollte er den Gesandten auf der Stelle niederschlagen. »Provinz?«, schrie er. »Sind nicht die Dämonen ein freies Volk? Und müssen wir’s dulden, dass die Hexen diesen Sklaven zu uns senden, der uns Beleidigungen ins Gesicht schleudert – und das in unsrem eignen Schloss!«
Ein Murmeln ging durch den Saal, und hie und da erhoben sich die Anwesenden von ihren Plätzen. Der Gesandte zog den Kopf zwischen die Schultern wie eine Schildkröte, entblößte die Zähne und blinzelte mit seinen kleinen Augen. Doch Brandoch Daha, legte seine Hand leicht auf Spitfyrs Arm und sagte: »Der Gesandte hat noch nicht zu Ende gesprochen, Vetter, und du hast ihn erschreckt. Hab Geduld, und verdirb nicht die Komödie. Es wird uns nicht an Worten fehlen, Gorice Antwort zu geben; noch an Schwertern, sollte der Hexenkönig darauf bestehen. Aber von uns Dämonen soll es nicht heißen, dass es nur einer rüpelhaften Rede bedurfte, uns von unsrer alten Gastfreundschaft Gesandten und Herolden gegenüber abzubringen.«
Also sprach Fürst Brandoch Daha in gelassenem, halb spöttischem Ton, wie einer, der beiläufig den Ball der Konversation zurückwirft; doch deutlich genug, dass alle ihn hören konnten. Und alsgleich verebbte das Gemurmel, und Spitfyr sagte: »Ich bin friedlich. Verkünde, was du zu verkünden hast, und fürchte nicht, dass wir dich für irgend etwas, das du sagst, zur Rechenschaft ziehen, an dessen Statt, der dich gesandt hat.«
»Dessen ergebenes Sprachrohr ich nur bin«, ergänzte der Gesandte, der wieder ein wenig Mut fasste, »und der, mit Verlaub, den Willen und die Macht besitzt, seinen Dienern zugefügte Unbill zu rächen. Also sprach der König: »Deshalb befehle und gebiete ich euch, Juss, Spitfyr und Goldry Bluszco, zu mir ins Hexenland auf meine Feste Carcë zu eilen und mir dortselbst untertänigst die Füße zu küssen, um aller Welt zu bezeugen, dass ich euer Herr und König und rechtmäßiger Herrscher über ganz Dämonenland bin.‹«
Ernst und ohne Regung lauschte Juss dem Gesandten, zurückgelehnt auf seinem Thron, die Arme rechts und links um den geschwungenen Hals des Hippogryphen gelegt. Goldry, auf dessen Gesicht ein verächtliches Lächeln lag, spielte mit dem Knauf seines mächtigen Schwertes. Spitfyr saß angespannt und mit finsterem Blick; unter seinen Nasenlöchern prasselten die Funken.
»Hast du alles gesagt?«, fragte Juss.
»Alles«, sagte der Gesandte.
»Du sollst deine Antwort haben«, sprach Juss. »Während wir uns darob beratschlagen, iss und trink«, und er winkte dem Mundschenk, für den Gesandten funkelnden Wein einzugießen. Doch der Gesandte entschuldigte sich und sagte, er sei nicht durstig; er habe Speis und Trank an Bord seines Schiffes, genug für sich und sein Gefolge.
Da sprach Fürst Spitfyr: »Kein Wunder, dass das Hexengezücht Gift im Becher fürchtet. Wer selbst seine Feinde mit solch heimtückischen Mitteln zu beseitigen pflegt, wie der Tod von Rezedor aus Koboldland bezeugt, den Corsus mit einem Gifttrank mordete, dem zittern wohl die Knie, dass ihm selbst solch tödliche Atzung zuteilwerde«, und er ergriff den Becher, leerte ihn bis auf den Grund und schleuderte ihn vor dem Gesandten auf den Marmorboden, dass er in tausend Scherben zersprang.
Und die Fürsten von Dämonenland erhoben sich von ihren Thronen und zogen sich hinter die gewirkten Behänge in ein Nebengemach zurück, um mit sich zu Rate zu gehen, welche Antwort sie auf die Botschaft erteilen sollten, die König Gorice von Hexenland ihnen gesandt.
Als sie unter sich waren, ergriff Spitfyr das Wort und sprach: »Sollen wir’s erdulden, dass der König uns solchen Schimpf angedeihen lässt? Könnt’ er nicht zumindest einen der Söhne des Corund oder des Corsus zu seinem Botschafter bestellt haben, uns seine Herausforderung zu überbringen, anstatt dieses niedersten seiner Domestiken, dies Zwergen, der nur dazu da ist, sie beim Saufgelage zu erheitern, wenn sie bereits zu drei Vierteln trunken sind?«
Fürst Juss lächelte verächtlich. »Mit Bedacht«, sprach er, »hat Hexenland diesen Zeitpunkt gewählt, einen Streit vom Zaun zu brechen; denn er weiß sehr wohl, dass dreiunddreißig unsrer besten Schiffe vor Kartadza im Krieg gegen die Ghulen gesunken sind und dass uns nur mehr vierzehn verbleiben. Jetzt, wo die Ghulen bis auf den letzten Mann vernichtet und ausgelöscht sind und somit die größte Plage und Gefahr auf dieser Welt ein Ende gefunden hat, allein durch das Schwert und den Mut Dämonenlands, scheint für diese falschen Freunde der glückliche Moment gekommen zu sein, über uns herzufallen. Denn haben nicht die Hexen eine starke Flotte, da all ihre Schiffe schon zu Beginn des Kampfes gegen die Ghulen die Flucht ergriffen haben? Und jetzt sinnen sie auf neuen Verrat und wollen in heimtückischer Weise in unser Land einfallen. Denn der König weiß wohl, dass wir nicht gen Hexenland ziehen und seiner Heerfahrt nicht wehren können, sondern erst viele Monate lang unsre Flotte erneuern müssen. Und ich zweifle nicht daran, dass er bereits seine Flotte zu Tenemos zusammengezogen hat, die Kurs hierher nimmt, wenn wir ihm die Antwort senden, die er von uns erwartet.«
»Also woll’n wir ihn erwarten«, sprach Goldry, »und derweil unsre Schwerter schärfen; soll er doch mit seinen Armeen über die salzige See segeln. Nicht einer aus Hexenland mag seinen Fuß auf Dämonenlands Boden setzen, der nicht seine Gebeine und sein Blut hier lassen soll, um unsre Kornfelder und Weingärten zu düngen.«
»Wollen wir«, sprach Spitfyr, »ihm nicht zuvorkommen und mit den vierzehn Schiffen, die uns geblieben, noch heute in See stechen? Wir können Hexenland in seiner Feste Carcë überraschen, sie stürmen und ihn den Krähen zum Fraß vorwerfen, noch bevor er der Schnelle unsrer Antwort recht gewahr ist. Das ist mein Rat.«
»Nein«, sprach Juss, »wir würden ihn nicht überrumpeln. Du kannst sicher sein, dass seine Schiffe in den Gewässern Hexenlands bereitliegen und gegen jeden raschen Angriff auf der Hut sind. Es wäre Torheit, unsren Kopf in die Schlinge zu stecken, und es würde Dämonenland kaum zum Ruhme gereichen, geduldig seiner Ankunft zu harren. Das also ist mein Rat: Ich werde Gorice zum Zweikampf herausfordern und ihm anbieten, die Fehde von dessen Ausgang abhängig zu machen.«
»Ein guter Ratschluss, so er in Erfüllung ginge«, sprach Goldry. »Doch wird er es nie wagen, sich im Einzelkampf mit Waffen dir oder einem andren von uns zu stellen. Indes, so soll es geschehen: Ist Gorice nicht ein mächtiger Ringkämpfer, und hat er nicht in seinem Palast zu Carcë die Schädel und Gebeine von neunundneunzig großen Recken, die er in dieser Disziplin bezwungen hat? Aufgeblasen über alle Maßen ist er in seinem Eigendünkel, und man sagt, es sei ihm ein Dorn im Auge, dass sich keiner mehr fände, der bereit wäre, gegen ihn im Ringkampf anzutreten, und wie sehr sehne er sich nach seinem hundertsten Schädel! Mit mir mag er drum in den Ring steigen!«
Dies erschien allen wohl gesprochen. Nachdem sie eine Weile darüber beraten hatten und feststand, was sie tun würden, kehrten die Fürsten von Dämonenland frohen Herzens in den hohen Audienzsaal zurück. Und dort hub Fürst Juss an und sprach: »Dämonen, ihr habt die Worte gehört, die der König von Hexenland in dem maßlosen Stolz seines Herzens durch den Mund dies Gesandten zu uns gesprochen hat. Nun, das ist unsre Antwort, die mein Bruder, der Fürst Goldry Bluszco, geben wird; und wir tragen dir, o Gesandter, auf, deinem König unsre Erwiderung kundzutun, ohne ein Wort hinzuzufügen oder wegzulassen.«
Und der Fürst Goldry sprach: »Wir, die Fürsten von Dämonenland, verachten dich, Gorice XI., als elendigen Feigling, da du uns in der Seeschlacht gegen die Ghulen schmählich im Stich gelassen, obwohl du den heiligen Schwur eines Bündnisses eingegangen bist. Unsre Schwerter, die in jener Schlacht der großen Plage und Gefahr für die ganze Welt ein Ende setzten, sind weder stumpf noch gebrochen. Sie sollen in den Eingeweiden deiner selbst und deiner Lakaien wüten, als da wären: Corsus, Corund und deren Söhne sowie Corinius und all die andren Übeltäter, die das wässrige Hexenland birgt, ehr auch nur die kleinste Strandnelke an unsren Klippen sich dir beugt. Damit du aber, so du gewillt bist, unsre Macht spüren magst, trage ich, Fürst Goldry Bluszco, dir folgendes an: dass wir beide, du und ich, uns im Ringkampf messen, und zwar um drei Niederwürfe, am Hofe des Roten Foliots, der in dieser Fehde weder unsrer noch deiner Seite zuneigt. Und wir werden uns durch einen heiligen Eid an folgende Abmachung binden: Wenn ich dich bezwinge, werden die Dämonen euch von Hexenland in Frieden lassen und ihr uns, und die Hexen sollen auf immerdar ihrem ungerechtfertigten Anspruch auf Dämonenland entsagen. Falls aber du, Gorice, den Sieg davontragen solltest, gebührt dir zudem das Recht, deinen Anspruch gegen uns mit dem Schwert zu erkämpfen.«
Also sprach der Fürst Goldry Bluszco, wie er stolz und in seiner ganzen Pracht unter dem Sternenbaldachin stand, und so finster blickte er auf den Gesandten von Hexenland herab, dass dieser die Fassung verlor und ihm die Knie zitterten. Und Goldry Bluszco rief nach seinem Schreiber und ließ seine Worte in großen Buchstaben auf eine Pergamentrolle setzen, und die Fürsten von Dämonenland prägten dem Schriftstück ihre Siegel auf und überreichten es dem Gesandten.
Der Gesandte nahm es und eilte von dannen; doch als er an das große Portal des Audienzsaales gekommen war und wieder von seinem Gefolge umringt und nicht mehr so nahe bei den Herren von Dämonenland, nahm er sich ein Herz, drehte sich um und sprach: »Vorschnell und zu deinem sicheren Verderben, o Goldry Bluszco, hast du unsren Herrn und König herausgefordert, sich mit dir im Ringkampf zu messen. Magst du auch noch so mächtig sein an Leibeskraft, so hat der König schon gleich Mächtige besiegt. Und er ringt nicht zum Sport, sondern wird dich gewisslich zerschmettern und deine Gebeine zu denen der neunundneunzig Recken hängen, die er bereits in die Knie gezwungen hat.«
Damit, weil Goldry und die andren Fürsten gar schrecklich dreinblickten und die Gäste bei der Tür die Hexen schmähten und mit Pfuirufen bedachten, lief er schnell und schneller die glatten Stufen hinab und über den Schlosshof zum Tor, wie einer, der in einer dunklen und stürmischen Nacht einen Weg entlanghetzt und sich nicht umzusehen wagt, aus Angst, ein schreckliches Unheil könnte seine Klauen nach ihm ausstrecken. So schnell lief er, dass er seinen kostbaren Samtmantel mit den Krabben und andrem Kriechgetier unter die Achseln raffen musste, um nicht zu stolpern, und unter dem gemeinen Volk erhob sich großes Gelächter und Gespött, als die Leute seines langen, knöchernen Schwanzes gewahr wurden, der also ihren unliebsamen Blicken preisgegeben ward. Alle stimmten in einen Chor ein: »Garstig ist sein Gesicht, doch hat er einen schönen Schwanz! Habt ihr seinen Schwanz gesehen? Ei der Daus, Gorice hat uns einen Affen als Boten gesandt!«
Und so begleitete den Gesandten und sein Gefolge den ganzen Weg hinab vom Schloss zu Stormhöh bis zu den Kaimauern großes Gespött. Es war fast wie eine Heimkehr für ihn, endlich den Fuß auf die Planken seines wohlgebauten Schiffes zu setzen, und er ließ alsgleich den Anker lichten und es aus dem Hafenbecken aufs offene Meer hinausrudern. Und als sie das Kap von Sichthaven umrundet hatten, setzten sie die Segel, und ein günstiger Wind trieb sie ostwärts über die weindunkle Tiefe gen Hexenland.
Kapitel II: Das Ringen um Dämonenland
Von den Omina, welchselbige den Fürsten Gro schreckten, die Begegnung zwischen dem Könige von Hexenland und dem Fürsten Goldry Bluszco betreffend; und wie nämliche sich zutrug und von derselben Ergebnis.
»Wie konnte ich nur eingeschlafen sein? Wo ist das Schloss der Dämonen, und wie haben wir den großen Audienzsaal verlassen, wo sie den Gesandten empfingen?« Er stand nämlich in einem gewellten, baumlosen Hochland, das sich zum Meer hin neigte und sich ins Landesinnere erstreckte, soweit das Auge reichte. An drei Seiten aber schimmerte das Meer, von der Sonne geküsst und vom frischen Salzwind gekämmt, der über die grasbedeckten Hügel strich und in den grenzenlosen Höhen des Himmels Wolken ohne Zahl vor sich hertrieb.
Die kleine schwarze Merlette gab zur Antwort: »Mein Hippogryph durcheilt die Zeit ebenso wie den Raum. So geschwind haben wir Tage und Wochen hinter uns gelassen, dass es dir nur wie ein Augenblick erscheint, und du stehest nun auf den Foliotinseln, einem glücklichen Land unter der milden Herrschaft eines friedsamen Fürsten, und es ist der Tag, den König Gorice für den Ringkampf mit Fürst Goldry Bluszco ausersehen hat. Schrecklich muss das Ringen zwischen zwei so gewaltigen Recken sein und ungewiss sein Ausgang. Und mein Herz bangt um Goldry Bluszco: Zwar ist er groß und stark und unbesiegt im Felde, doch ist zuzeiten kein gefürchteterer Ringer erstanden als dieser Gorice, und stark ist er und unnachgiebig und ausdauernd und geschickt in jedweder Kunst des Angriffs und der Verteidigung und verschlagen obdrein und grausam und tückisch wie eine Schlange!«
Wo sie standen, schnitt ein zum Meer abfallendes Trogtal tief in die Hügellandschaft ein, und über dem Tal lag der Palast des Roten Foliot, ein weitläufiges niederes Bauwerk mit vielen Türmchen und Erkern, errichtet aus Steinen, die aus den Seitenwänden des Tales gebrochen waren, sodass es sich aus der Entfernung kaum ausmachen ließ, was Palast war und was gewachsener Fels. Hinter dem Palast erstreckte sich eine Wiese, eben und glatt, bedeckt mit der dichten zähen Grasnarbe des Hochlands. Zu beiden Seiten der Wiese waren Hütten aufgestellt, im Norden die Hütten derer von Hexenland und im Süden die Hütten der Dämonen. In der Mitte der Wiese war mit Ruten ein Kampfplatz abgesteckt, von jeweils sechzig Schritten im Geviert.
Außer den Vögeln des Himmels und dem Seewind regte sich nichts, bis auf jene, die in voller Wehr vor den Hütten der Hexen auf- und abschritten. Es waren ihrer sechs, gekleidet für die Schlacht, in Brünnen aus schimmernder Bronze, mit bronzenen Beinschienen und Schilden, die in der Sonne glänzten. Fünf waren ranke, schlanke Jünglinge, schwarzhaarig und mit kräftigem Kinn; dem Ältesten spross gerade der erste Bartflaum. Der sechste besaß einen Leib wie ein Hornvieh und war um einen halben Kopf größer; sein Bart war schon angegraut und hing buschig über die breite Brust bis zum Gürtel hinab, welcher mit Eisennieten beschlagen war; doch die Kraft der Jugend war in seinem Blick und in seiner Stimme, in seinem Schritt und in der Hand, welche den mächtgen Speer hielt wie ein Spielzeug.
»Siehe, staune und wehklage«, sprach die Merlette, »dass das unschuldige Auge des Tages auf diese Kinder der ewigen Nacht herabblicken muss: Corund aus Hexenland und seine verwünschten Söhne!«
Lessingham dachte bei sich: »Recht einseitig sieht meine kleine Merlette die Dinge; für sie gibt es nur Engel und Teufel und nichts dazwischen. Doch werde ich nicht nach irgend jemandes Melodie tanzen, sondern zuwarten und schauen, was geschieht.«
So schritten diese sechs wie Löwen im Käfig vor den Hütten der Hexen hin und her, bis Corund innehielt, sich auf seinen Speer stützte und zu einem seiner Söhne sprach: »Geh hinein und hole mir Gro; ich will mit ihm reden.« Und der Sohn Corunds ging und kehrte alsbald mit Fürst Gro an seiner Seite zurück. Dieser kam verstohlenen Schrittes, doch war sein Äußeres keinesfalls unangenehm. Seine Nase war gebogen wie eine Sichel; seine Augen waren groß und dunkel wie die Augen eines Ochsen, und ebenso unergründlich war sein Blick. Hager und schmächtig war er von Gestalt. Blass war sein Gesicht und blass seine feingliedrigen Hände, und sein schwarzer Bart kräuselte sich in dichten Locken und glänzte wie das Fell eines schwarzen Apportierhundes.
Corund fragte: »Wie steht es um den König?«
Gro antwortete ihm: »Er ist ungeduldig; und um die Zeit zu vertreiben, macht er mit Corinius ein Würfelspiel, und das Glück stehet gegen den König.«
»Welchen Schluss ziehst du daraus?«, fragte Corund weiter.
Und Gro antwortete: »Glück im Spiel und Glück auf dem Felde sind zwei Paar Stiefel.«
Corund grunzte in seinen Bart und legte seine große Hand auf des Fürsten Gro Schulter. »Komm mit auf die Seite«, sagte er dann, und als sie außer Hörweite waren: »Verschweige nicht mir und meinen Söhnen, was du weißt. War ich in den letzten vier Jahren nicht wie ein Bruder zu dir? Willst du mir noch immer nichts offenbaren?«
Gro aber lächelte traurig und sprach: »Warum durch unheilvolle Worte einen weiteren Axthieb tun, wenn der Baum schon schwankt?«
Corund stöhnte. »Zeichen des Unheils«, sagte er, »mehren sich seit der Stunde, da der König diese Herausforderung angenommen hat, gegen deinen und meinen Rat und gegen den Rat aller Großen des Landes. Gewiss haben die Götter sein Ende verfügt und ihn dem Tode geweiht und wollen uns vor diesen Dämonen den Nacken beugen. Ein schlechtes Vorzeichen jagt das andre, o Gro: Zuerst jener nächtliche Rabe, der wider den Sonnenlauf um unser Schloss kreiste, in eben jener Nacht, da der König die Herausforderung annahm und wir nach einem großen Festgelage alle trunken zu Tische saßen. Sodann das Straucheln des Königs, als er auf das Deck des Langschiffes trat, das uns zur Kampfesstätte brachte. Dann der schielende Mundschenk, der uns gestern Abend Wein in die Becher goss. Und die ganze Zeit über der teuflische Stolz und die hochmögende Stimmung des Königs. Genug: Er ist dem Tod geweiht. Und die Würfel fallen gegen ihn.«
Gro hub an und sprach: »O Corund, ich will dir nicht verhehlen, dass mein Herz schwer wie das deine unter dem Schatten nahenden Unheils liegt. Denn als ich den tiefsten Stunden der Nacht schlafend lag, da trat ein Traum an mein Bett und sah mich an mit einem so grimmen Blick, dass ich am ganzen Leibe zitterte und bebte. Und der Traum, so schien es mir, schlug gegen das Dach über meinem Bette, und das Dach tat sich auf, und darüber klaffte der dunkle Himmel, und durch die Dunkelheit zog ein geschweifter Stern, und die Nacht ward erfüllt von feurigen Zeichen. Und Blut war auf dem Dach, und es waren große Flecken von Blut an den Wänden und auf dem Kopfstück meines Bettes. Und der Traum schrie wie eine Nachteule und rief: Hexenland aus deiner Hand, o König! Und mich deuchte, die ganze Welt ginge in einer grellen Lohe unter, und mit einem lauten Aufschrei erwachte ich aus meinem Traum.«
»Du bist weise«, sprach Corund, »und der Traum war gewiss ein Wahrtraum, der durch das hörnerne Tor zu dir kam, und gewiss deutet er große und schreckliche Ereignisse für den König und unser Land voraus.«
Gro sprach: »Kein Wort davon zu den andren; denn niemand kann mit dem Schicksal ringen und dabei Sieger bleiben, und es würde nur ihre Herzen bedrücken. Wir jedoch müssen uns auf Unheilvolles gefasst machen. Falls (was die Götter verhüten mögen) dieser Ringkampf ein schlimmes Ende nimmt, so versäumet nicht, mich um meinen Rat zu fragen, bevor ihr etwas unternehmt. ›Bloß ist der Rücken, der des Bruders entbehrt.‹ Gemeinsam müssen wir tun, was zu tun bleibt.«
»Du hast mein Wort darauf«, sprach Corund.
Jetzt kam eine große Gesellschaft aus dem Palast und nahm auf beiden Seiten des Platzes Aufstellung. Der Rote Foliot saß in einer Kutsche aus glänzendem Ebenholz, gezogen von sechs schwarzen Pferden mit wallenden Mähnen und Schweifen; vor ihm gingen seine Musikanten, Pfeifer und Spielleute einher, die ihre Weisen erklingen ließen, und hinter ihm kamen fünfzig Speerträger, schwer gepanzert und mit großen Langschilden, die sie vom Kinn bis zu den Zehen deckten. Ihre Waffen waren in Krapplack getaucht, dass es aussah, als wären sie in Blut gebadet. Doch freundlich anzuschaun war der Rote Foliot, und dennoch königlich. Seine Haut war scharlachrot wie der Kopf des grünen Waldspechts. Er trug ein Diadem aus Silber und eine scharlachrote Robe mit schwarzem Pelzbesatz.
Als die Foliots Aufstellung genommen hatten, trat auf Befehl des Roten Foliots einer mit einem Horn vor und stieß dreimal hinein. Alsgleich traten die Fürsten von Dämonenland samt Gefolge aus ihren Hütten: Juss, Goldry, Spitfyr und Brandoch Daha. Bis auf Goldry waren sie alle gewappnet; dieser trug einen Umhang aus Goldbrokat mit eingestickten Herzen aus roter Seide. Gleichzeitig traten auch die Fürsten von Hexenland aus ihren Hütten, ebenfalls in Wehr und Waffen, mit ihren Mannen, und wenig Liebe war in den Blicken, die sie mit den Dämonen wechselten. In ihrer Mitten schritt der König, gleich Goldry in einen Mantel gehüllt; und aus schwarzer Seide war dieser, mit schwarzem Bärenfell gesäumt und verziert mit Krebsen aus aufgesetzten Diamanten. Die Krone von Hexenland, die einem grässlichen Krebs nachgebildet und so verschwenderisch mit Juwelen besetzt war, dass man das Eisen nicht zu erkennen vermochte, aus dem sie geschmiedet war, ruhte schwer auf seiner Stirn über den buschigen Brauen. Sein Bart war schwarz und zottelig, spatenförmig und dicht gewachsen, sein Haar kurz geschoren. Die Oberlippe war glattrasiert, sodass sein höhnischer Mund gut sichtbar war, und aus den dunklen Höhlen unter den Brauen blickten zwei Augen hervor, in denen ein grünes Leuchten glomm wie bei einem Wolf. Corund ging zu des Königs Linken, und seine hünenhafte Gestalt war nur einen Zoll kleiner als die seines Herrn. Zur Rechten ging Corinius, mit einem prunkvollen Mantel aus himmelblauem Tuch über einer glänzenden Rüstung. Groß und soldatisch war Corinius und jung und mannhaft anzuschaun, mit federndem Schritt und hochgemutem Blick, fleischigen Lippen und ein wenig groben Gesichtszügen, und die Sonne schien hell auf seine glattrasierten Wangen.
Nun ließ der Rote Foliot zum zweiten Mal das Horn ertönen, und er stellte sich in seiner Ebenholz-Kutsche auf, um die Bedingungen vorzulesen, als da waren:
»O Gorice XI., glorreicher König von Hexenland! O Fürst Goldry Bluszco, Führer der Heerscharen von Dämonenland! Ihr habt eine Abmachung getroffen und sie mit heiligen Eiden bekräftigt, für deren Einhaltung ich, der Rote Foliot, sorgen werde: dass ein Ringkampf ausgetragen werden solle um drei Niederwürfe, zu folgenden Bedingungen: dass nämlich, wenn Gorice der König gewinnt, ihm die Ehre gebührt und die Freiheit obdrein, seinen Herrschaftsanspruch über das gebirgichte Dämonenland mit dem Schwerte zu erzwingen. Doch wenn der Sieg dem Fürsten Goldry Bluszco zufällt, dann sollen die Dämonen sich friedlich mit den Hexen vergleichen und selbige mit ihnen, und die Hexen sollen für immer auf ihren Anspruch über die Dämonen verzichten. Und Ihr, o König, und Ihr, o Goldry Bluszco, seid gleichermaßen durch Euren Eid gebunden, ehrlich zu ringen und meinen Anweisungen zu folgen, die ich, der Rote Foliot, als Euer frei gewählter Schiedsrichter erteile. Und ich gelobe, gerecht zwischen Euch zu richten. Und die Regeln Eures Ringkampfes sollen sein: dass keiner den andren mit den Händen würge, noch ihn beiße, ihn kratze und sein Fleisch aufschürfe, noch mit den Nägeln in seine Augen steche oder ihm Faustschläge versetze und auch keine andren unerlaubten Mittel gegen ihn anwende, doch in jeder andren Hinsicht sei Ihr in Eurem Kampfe völlig frei. Als Niederwurf gelte, wenn einer mit Hüfte oder Schulter auf der Erde liegt.«
Der Rote Foliot sprach: »Habe ich recht gesprochen, o König, und schwört Ihr, dem Folge zu leisten?«
Der König sprach: »Ich schwöre.«
Der Rote Foliot fragte in gleicher Weise: »Schwört auch Ihr, dem Folge zu leisten, o Goldry Bluszco?«
Und Goldry antwortete ihm: »Ich schwöre.«
Ohne ein weiteres Wort trat der König auf der einen Seite in den Ring und Goldry Bluszco auf der andren, und sie warfen ihre Umhänge ab und standen einander nackt gegenüber. Und das Volk stand schweigend und voller Bewunderung angesichts der Sehnen und Muskeln der beiden Gegner und fragte sich, welcher von mächtigerer Statur sein und somit eher den Sieg davontragen mochte. Der König war um weniges größer und langarmiger als Goldry. Dieser aber hatte einen mächtigen Körperbau mit vorzüglichen Proportionen; wie bei einem Gott war jeder Teil dem andren vermählt, und wenn einer von beiden breiter in der Brust war, dann war er’s, und auch sein Nacken war kräftiger als der des Königs.
Der König nun spottete Goldrys und sprach: »Rebellischer Hund, ’s ist an der Zeit, dass ich dir und diesen Foliots und den Dämonen, die hier zugegen sind, beweise, dass ich dein Herr und König bin, nicht nur kraft dieser meiner Krone von Hexenland, die ich somit für eine Stunde ablege, sondern zudem ob meiner größeren Kraft und meiner Hände Geschick. Ich sage dir, dass ich erst von dir ablassen werde, wenn ich dir’s Leben aus dem Leib gerissen und deine winselnde Seele ins Unbekannte geschickt habe. Und dein Schädel und deine Markknochen werde ich nach Carcë verbringen, in meinen Palast, auf dass sie der ganzen Welt davon künden, dass ich beim Ringen einhundert großen Recken, darunter nicht zuletzt auch dir, zum Verhängnis geworden bin, die ich alle in Ausübung meiner Macht erschlagen habe. Und wenn wir dann gegessen und getrunken und in meinem königlichen Palast ein großes Fest gefeiert haben, werde ich mit meinen Armeen über die wimmelnde Tiefe ins gebirgichte Dämonenland segeln, und es soll mein Fußschemel sein und diese andren Dämonen meine Sklaven, fürwahr, und die Sklaven meiner Sklaven.«
Aber der Fürst Goldry Bluszco lachte unbekümmert und sprach zum Roten Foliot: »O Roter Foliot, ich kam nicht hierher, um mich mit dem König der Hexen im Redenschwingen zu üben, sondern um meine Kraft mit ihm zu messen. Arm gegen Arm.«
Jetzt waren sie bereit, und der Rote Foliot gab ein Handzeichen, und mit lautem Klang schlugen die Becken gegeneinander und eröffneten die erste Runde.
Mit dem Schlag gingen die beiden Recken aufeinander zu und umklammerten einander mit ihren starken Armen, den rechten Arm jeweils unter und den linken über der Schulter des andren. Tief bohrten sich die Finger ihrer Hände, die wie eherne Bänder waren, in des Gegners Fleisch. Sie schwankten dabei ein wenig, wie gewaltige Bäume, die sich im Sturme wiegen, und ihre Füße waren so fest in die Erde gestemmt, dass es schien, als wären sie wie Eichenstämme im Boden verwurzelt. Und weder konnte der eine den andren zurückdrängen noch einen festen Griff anbringen. So schwankten sie lange hin und her, und schwer ging ihr Atem. Schließlich sammelte Goldry alle Kraft und lüpfte den König ein Stück in die Höhe, um ihn überzuwerfen und auf die Erde zu schleudern. Doch in dem nämlichen Augenblick, da der König den Boden unter seinen Füßen nicht mehr spürte, lehnte er sich machtvoll nach vorn, schob blitzschnell seine Ferse von außen um Goldrys Bein und trat mit aller Kraft dagegen. Er traf ihn von hinten direkt über dem Knöchel auf solche Weise, dass Goldry seinen Griff um den Leib des Königs lockern musste, und alle wunderten sich darob, dass Goldry in dieser misslichen Lage sich davor bewahren konnte, auf den Rücken geworfen zu werden. So umklammerten sie sich erneut, bis rote Striemen sich auf ihren Rücken und Schultern zeigten, so stark spannten sich ihre Muskeln. Alsdann drehte der König sich ruckartig zur Seite, sodass er Goldry die rechte Körperhälfte zuwandte, und schlang eines seiner Beine von innen um Goldrys Unterschenkel, und mit einer noch festeren Umklammerung stemmte er sodann sein ganzes Eigengewicht gegen Goldry, um ihn rücklings auf die Erde zu werfen und ihn unter der Last zu zermalmen. Doch Goldry beugte sich heftig nach vorne und verstärkte seinen Griff um den Leib des Gegners, und so machtvoll drückte er mit all seiner Kraft nach vorn, dass der König von seinem Vorsatz ablassen musste, und so fielen sie eng umschlungen Seite an Seite mit einem heftigen Aufprall zu Boden und blieben für eine Zeit, in der man hätte bis zehn zählen können, benommen dort liegen.
Der Rote Foliot erklärte den Ausgang dieser Runde für unentschieden, und die beiden Kämpfer gingen zu ihren Kameraden zurück, um Atem zu schöpfen und sich eine Weile auszuruhen.
Während der Ruhepause nun kam eine Fledermaus von den Hütten der Hexen geflogen, flatterte wider den Sonnenlauf einmal um den Kampfplatz und verschwand stumm in der Richtung, aus der sie gekommen. Fürst Gro sah dies, und das Herz wurde ihm schwer in der Brust. Er sprach zu Corund und sagte: »Es tut not, dass ich selbst in dieser späten Stunde noch den Versuch wage, den König andren Sinnes zu stimmen, dass er sich nicht weiter ins Verderben stürzt.«
Corund antwortete: »Tu, was du für richtig hältst, doch es wird vergebens sein.«
Gro trat also an den König heran und sprach: »Herr, beendet diesen Ringkampf. Größer und mächtiger von Wuchs als alle andren Recken, die Ihr vordem besiegt habt, ist dieser Dämon, und dennoch habt Ihr ihn bezwungen. Denn Ihr habt ihn zu Fall gebracht, wie wir alle sahen, und der Rote Foliot hat den Ausgang fälschlicherweise als unentschieden beurteilt, weil Eure Majestät selbst mit zu Boden gefallen sind. Fordert nicht mit einer zweiten Runde das Schicksal heraus. Euer ist der Sieg in diesem Kampfe, und wir. Eure Diener, warten nur auf einen Wink von Euch, über die Dämonen herzufallen und sie zu erschlagen, was uns mit Leichtigkeit gelingen würde, da die Überraschung auf unsrer Seite ist. Und was die Foliots betrifft, so sind sie ein lammfrommes, friedliches Völkchen, das von Furcht ergriffen sein wird, sobald wir die Dämonen mit unsren Schwertern niedergemacht haben. So möget Ihr nun, o König, als Sieger und in Ehren von hinnen gehen, um hernach gen Dämonenland zu fahren und es mit Macht zu unterwerfen.«
Der König blickte Fürst Gro finster von oben herab an. »Dein Rat ist unannehmbar und unangebracht. Was steckt dahinter?«
Gro antwortete: »Schlechte Vorzeichen, o König.«
Und der König fragte: »Welche Vorzeichen?«
Gro antwortete und sprach: »Ich will es Euch nicht verhehlen, o mein Herr und König, dass in meinem Schlaf um die dunkelste Stunde der Nacht ein Traum an mein Bett trat und mich so grimmen Auges anblickte, dass die Haare auf meinem Haupte zu Berge standen und bleiches Entsetzen mich erfasste. Und mich deuchte, der Traum schlug an das Dach über meinem Bette; und das Dach tat sich auf in den nackten Mitternachtshimmel, der mit feurigen Zeichen übersät war; und ein geschweifter Stern zog durch die hauslose Finsternis. Und ich sah ein Meer von Blut am Dach und auf den Wänden. Und der Traum schrie wie die Nachteule und rief: Hexenland aus deiner Hand, o König! Und damit ging die ganze Welt in einer großen Lohe auf, und mit einem Schrei erwachte ich schweißgebadet aus dem Traum.«
Aber der König rollte die Augen im Zorn über Fürst Gro und antwortete: »Weislich wird mir von solch arglistigen Füchsen wie dir gedient. Es verträgt sich nicht mit deinen Absichten, dass ich diese Tat nur mit meinen eignen Händen vollbringe; und in der Verblendung deiner unverschämten Torheit trittst du an mich heran mit Geschichten, mit denen man Kinder ängstigt, und suchst mich zu überreden, dass ich auf meinen Ruhm verzichten sollte, damit du und deine Kameraden durch Waffentaten in den Augen der Welt zu Helden werden.«
Gro sprach: »Herr, dem ist nicht so.«
Doch der König wollte ihn nicht hören und fuhr fort: »Mich dünkt, es geziemt sich für treue Untertanen, Größe in der Größe ihres Königs zu suchen und nicht nach eignem Glanze zu trachten. Was diesen Dämonen betrifft, so ist es eine schwere und freche Lüge, wenn du sagest, ich hätte ihn besiegt. In jener Runde habe ich mich nur mit ihm gemessen. Aber dadurch weiß ich nun, dass er nicht vor mir bestehen wird, wenn ich mein ganzes Können aufbiete, und Ihr alle werdet in Kürze sehen, wie ich diesen Goldry Bluszco zerschmettere, so wie man einen Stängel Angelika zerdrückt. Und was dich betrifft, du falscher Freund, listiger Fuchs und ungetreuer Diener, so bin ich endlich dessen müde, dass du in meinem Palast umherschleichst und finstere Pläne schmiedest, von denen ich nichts weiß – du, der du nicht aus Hexenland gebürtig bist, sondern ein Fremder, ein verbannter Kobold, eine Schlange, die ich an meinem Busen nährte. Aber das wird bald ein Ende haben. Denn wenn ich erst diesen Goldry Bluszco zerschmettert habe, wird es mir ein Vergnügen sein, auch dich zu zermalmen.«
Und Gro verneigte sich mit schwerem Herzen vor dem Zorn des Königs und gab Ruhe.
Jetzt hub das Horn zur zweiten Runde an, und die Ringer betraten den Kampfplatz. Beim Klang der Becken sprang der König auf Goldry Bluszco zu wie ein Panther und drängte ihn durch die Wucht des Aufpralls zurück bis an das Ende des Ringes. Doch als der Stoß sie fast bis unter die Dämonen getragen hatte, die den Kampf beobachteten, drehte Goldry sich plötzlich nach links und wollte den König wie zuvor von den Füßen heben. Aber der König vereitelte diesen Versuch und beugte sich mit seinem ganzen Gewicht nach vorne, sodass Goldrys Rückgrat unter dem gewaltigen Druck der Arme seines Gegners beinahe gebrochen wäre. Da zeigte Fürst Goldry Bluszco sein großes Können als Ringer; denn selbst unter der mörderischen Umarmung des Königs brachten die Muskeln seines mächtigen Brustkastens die Kraft auf, den König zuerst nach links und dann nach rechts zu reißen, und der König musste seinen Griff lockern und entkam nur unter Aufwand all seines Geschicks einem folgenschweren Sturz. Doch Goldry zögerte und überlegte nicht lange, wie er den König als nächstes anzugehen habe, sondern schnell wie der Blitz duckte er sich im Drehen, und mit dem Rücken unter des Königs Bauch stemmte er diesen empor. Die Umstehenden hielten den Atem an und sahen den König schon über Goldrys Kopf fliegen. Aber so sehr Goldry sich auch mühte, so gelang es ihm doch nicht, den König hoch genug zu heben. Ein zweites und ein drittes Mal versuchte er ihn hochzustemmen, doch jedes Mal war er seinem Ziel weiter entfernt. Derweil hatte der König den Körper leicht zur Seite gewunden. Und beim vierten Versuch Goldrys, seinen Gegner über den Kopf zu heben und zu Boden zu schleudern, wuchtete der König seinen mächtigen Rumpf vor, sodass Goldry auf Arme und Knie niederfiel, und der König warf sich auf ihn und umklammerte ihn von hinten, wobei er seine Arme unter den Achseln hindurch an den Nacken Goldrys führte.
Da sprach Corund: »Der Dämon ist verloren. Dieser Griff des Königs ist schon mehr als sechzig berühmten Recken zum Verhängnis geworden. Er wartet nur, bis seine Finger hinter dem Genick des verdammten Dämonen verschränkt sind, um ihm den Kopf nach unten zu pressen, bis das Genick oder das Brustbein zerbirst.«
»Er wartet zu lange für meinen Geschmack«, meinte Gro.
Des Königs Atem kam grunzend und in langen Stößen, als er sich mühte, die Finger hinter Goldrys Nacken zusammenzubringen. Nur der Größe Seines Stiernackens und seines mächtigen Brustkorbs hatte es Goldry zu danken, dass diese Stunde nicht seine letzte wurde. Auf Händen und Knien hatte Goldry keine Möglichkeit, den Griff des Königs abzuschütteln oder selbst einen Griff an seinem Gegner anzubringen, wogegen es dem König ob Goldrys mächtigem Körperbaus ebenfalls nicht gelang, einen wirkungsvollen Griff anzusetzen, wie sehr er sich auch mühte.
Als der König erkannte, dass dem so war und dass er nur seine Kraft verschwendete, sprach er: »Ich werde dich loslassen, und wir werden aufstehen und unsren Kampf Mann gegen Mann fortsetzen. Denn mich dünkt es unwürdig, gleich Hunden auf der Erde zu kriechen.«
So standen sie also auf und rangen eine Weile schweigend weiter. Bald versuchte der König wieder, Goldry auf dieselbe Art wie bei der ersten Runde niederzuwerfen: er drehte sich zur Seite, stellte Goldry ein Bein und drängte heftig gegen ihn. Und als, wie zuvor, Goldry sich mit großer Gewalt nach vorne stemmte und seinen Griff verstärkte, geriet der König ins Taumeln, und in seinem Zorn darüber, dass sein bisher unfehlbarer Griff versagt hatte, rammte er seine Finger in Goldrys Nase und kratzte und stocherte in Goldrys empfindlichen Nüstern, dass dieser notgedrungen den Kopf zurückriss. Der König nutzte den Augenblick der Schwäche und drückte ruckartig noch heftiger gegen Goldry und brachte ihn auf diese Weise schwer zu Fall; und er selbst stürzte auf Goldry und quetschte ihn ins Gras.
Und der Rote Foliot erklärte Gorice zum Sieger dieser Runde.
Der König ging zu den Hexen, die ihn laut ob seines Erfolgs über Goldry priesen. Er sprach zu Fürst Gro: »Es geschieht so, wie ich gesagt: zuerst die Prüfung, dann die Schrammen und in der dritten Runde das Zermalmen!« Und der König sah Fürst Gro mit bösen Augen an. Gro antwortete mit keinem Wort, denn sein Herz war voller Gram über das Blut an den Nägeln und Fingern der linken Hand des Königs, und er sagte bei sich, dass der König in dem Zweikampfe arg in Bedrängnis gewesen sein musste, dass er ein solch übles Mittel hatte einsetzen müssen oder er wäre der Kraft seines Gegners nicht gewachsen gewesen.
Aber als der Fürst Goldry Bluszco wieder bei Sinnen war und sich von dem schweren Fall erholt hatte, sprach er zum Roten Foliot in männigem Grimm: »Dieser verschlagene Teufel hat mich durch eine List besiegt und etwas Verabscheuungswürdiges getan, indem er seine Krallen in meine Nase schlug.«
Die Söhne Corunds brachen bei Goldrys Worten in einen Tumult aus und beschimpften ihn lauthals als größten Lügner und Feigling aller Zeiten; und alle Hexen zeterten und fluchten in gleicher Weise. Goldry aber schrie mit einer Stimme, die laut wie eine Trompete schallte und das Geschrei der Hexen übertönte: »O Roter Foliot, fälle ein gerechtes Urteil zwischen Gorice und mir, wie du gelobt hast! Soll er seine Fingernägel vorzeigen, ob nicht Blut daran ist. Dieser Niederwurf ist ungültig, und ich fordere, dass wir die zweite Runde erneut austragen.« Und die Fürsten von Dämonenland riefen in gleicher Weise, dass über den zweiten Niederwurf erneut entschieden werden müsse.
Der Rote Foliot hatte wohl gesehen, was geschehen war, und er war geneigt, die Runde für ungültig zu erklären. Dennoch verkniff er sich dies aus Furcht vor Gorice, welcher ihn mit dem Auge eines Basilisken angestarrt hatte, dass ihn Angst ankam. Und während der Rote Foliot noch unentschlossen zauderte, ob er die erzürnten Rufe der Hexen oder der Dämonen erhören sollte und ob es besser wäre, seine Ehre zu bewahren oder vor König Gorice zu Kreuze zu kriechen, sprach der König etwas zu Corinius, und dieser ging sofort zum Roten Foliot und flüsterte ihm ins Ohr. Und Corinius drohte dem Roten Foliot und sprach: »Sieh dich vor und lasse dich nicht von den Dämonen ins Bockshorn jagen. Zu Recht hast du unsren König zum Sieger dieser Runde erklärt, und dies Gerede vom Finger in der Nase ist ein nur Vorwand und entspringt der Einbildung dieses ruchlosen Goldry Bluszco, der vor deinen und unser aller Augen vorschriftsmäßig niedergeworfen wurde. Dieser Feigling ahnt, dass er vor dem König nicht bestehen kann, und er versucht, durch Großtuerei davonzukommen und glaubt, durch Gerissenheit und Tücke der unausweichlichen Niederlage entgehen zu können. Wenn du wider dein besseres Wissen und unser Zeugnis und das Ehrenwort des Königs so dreist sein und den Klagen der Dämonen stattgeben willst, dann bedenke, dass der König neunundneunzig große Recken in dieser Disziplin besiegt hat und dies der hundertste sein wird; und bedenke auch, dass unser Hexenland um viele Schiffstage näher an deinen Inseln liegt als Dämonenland. Hart sollst du und dein Volk das Schwert von Hexenland spüren, wenn du deinem heiligen Schwur als Schiedsrichter zum Trotz seine Feinde fälschlich bevorteilst.«
Also sprach Corinius; und der Rote Foliot ward eingeschüchtert. Obwohl er im Herzen davon überzeugt war, dass der König getan hatte, wessen Goldry ihn zieh, wagte er aus Furcht vor Gorice und Corinius, welcher immer noch neben ihm stand und ihm drohte, seinen Gedanken nicht auszusprechen. Und so ließ er in seiner Hilflosigkeit mit dem Horn die dritte Runde einleiten.
Und es begab sich, dass beim Ertönen des Signals erneut die Fledermaus von den Hütten der Hexen geflogen kam, wider den Sonnenlauf einmal um den Kampfplatz flatterte und stumm in der Richtung verschwand, aus der sie gekommen war.
Als Fürst Goldry Bluszco merkte, dass der Rote Foliot seinen Einwand in den Wind schlug, wurde er rot wie Blut. Es war gar schrecklich anzuschaun, wie er in seinem Zorne anschwoll und seine Augen blitzten gleich zwei unheilvollen Sternen um Mitternacht und wie er mit den Zähnen knirschte, bis Schaum vor seinen Mund trat und ihm über das Kinn rann. Nun läuteten die Becken den Beginn der dritten Runde ein. Wie von Sinnen stürzte Goldry mit Wutgebrüll in einem mächtigen Satz auf den König zu und packte ihn mit beiden Händen am rechten Arm: einmal am Handgelenk und einmal unterhalb der Schulter. Und so geschah es, dass, noch ehr sein Gegner sich rühren konnte, Goldry dem König den Rücken zukehrte, und mit seiner ganzen Kraft und der Kraft des Zorns in ihm stemmte er den König über seinen Kopf und schleuderte ihn, wie man einen mächtigen Wurfspieß schleudert, dass dieser mit der Spitze in die Erde fährt. Und der König schlug mit dem Kopf auf den Boden, dass ihm die Wirbelsäule in den Schädel gerammt wurde und ihm die Knochen barsten, und Blut schoss ihm aus Nase und Ohren. Goldrys Zorn war durch diese übermächtige Anstrengung von ihm gewichen, und er taumelte, völlig entkräftet, als er den Kampfplatz verließ. Seine Brüder Juss und Spitfyr stützten ihn und hüllten seinen Mantel aus goldnem Tuch mit den eingestickten roten Herzen um seinen mächtigen Leib.
In den Gesichtern der Hexen stand blankes Entsetzen geschrieben beim Anblick ihres Königs, der so plötzlich überwältigt und zu Boden geschmettert ward, wo er jetzt dalag wie der zertretene Halm einer Schierlingspflanze, den man zerstampft und zermalmt hat. Der Rote Foliot stieg in größter Erregung aus seiner Ebenholz-Kutsche und eilte dorthin, wo der König in seinem Blut lag; und die Fürsten von Hexenland kamen ebenfalls näher, mit Gesichtern weiß wie Kalk, und Corund beugte sich hinab und hob den König in seine bärenstarken Arme. Aber der König war tot wie ein Stein. Alsdann fertigten die Söhne Corunds aus ihren Speeren eine Bahre und legten den König darauf und breiteten seinen königlichen Mantel aus schwarzer Seide und Bärenfell über ihn und setzten die Krone von Hexenland auf sein Haupt, und ohne ein Wort zu sagen, trugen sie ihn fort zu den Hütten der Hexen. Und die übrigen Fürsten von Hexenland folgten schweigend dem traurigen Zuge.
Kapitel III: Der Rote Foliot
Von der Lustbarkeit der Hexen im Palaste des Roten Foliot; und von den Listen und Heimlichkeiten des Fürsten Gro; und wie die Hexen bei Nacht den Foliotinseln den Rücken gekehret.
Der Rote Foliot begab sich zurück in seinen Palast, woselbst er seinen Thron bestieg. Und er schickte nach den Fürsten von Hexenland und von Dämonenland, dass diese sich vor ihm einfänden. Und selbige säumten nicht, sondern fanden sich alsbald ein und ließen sich auf den langen Bänken nieder, die Hexen auf der östlichen Seite des Saales und die Dämonen auf der westlichen, und ihre Krieger nahmen zu beiden Seiten hinter ihnen Aufstellung. Also saßen sie in der schattendunklen Halle, und die Sonne, welche sich dem westlichen Meer zuneigte, schien durch die hohen Fenster des Saales auf die glänzende Wehr und Waffen der Hexen.
Der Rote Foliot richtete das Wort an sie und sprach: »Ein großer Recke ist heute in einem ehrlichen Kampfe gefallen. Und gemäß den heiligen Eiden, durch die Ihr gebunden seid und deren Obwalter ich bin, ist damit allem Unfrieden zwischen Hexenland und Dämonenland ein Ende gesetzt, und Ihr von Hexenland sollt auf immer Eurem Herrschaftsanspruch über die Dämonen entsagen. Um dies feierliche Bündnis zwischen Euch zu besiegeln und zu beschließen, ist es nur recht und billig, dass Ihr Euch an diesem Tag in Freundschaft und Brüderlichkeit zu mir gesellet, zum Salamander für König Gorice XI., welcher mächtig und ruhmreich regierte wie kein andrer in der ganzen Welt, und hernach in Frieden in Eure Heimat zurückkehret.«
Also sprach der Rote Foliot, und die Fürsten von Hexenland pflichteten ihm bei.
Aber Fürst Juss antwortete und sprach: »O Roter Foliot, was die Eide zwischen uns und dem König von Hexenland angeht, so habt Ihr recht gesprochen; und wir werden um kein Jota von dem Wortlaut unsres Eides abweichen, und die Hexen mögen für immer in Frieden mit uns leben, so sie, gleichwohl es wider ihren Nutz und ihre Natur ist, davon ablassen, Unheil über uns zu bringen. Denn die Natur Hexenlands war immer gleich dem Floh, der einen Mann in der Dunkelheit anspringt. Aber wir werden weder essen noch trinken mit den Fürsten des Hexenlandes, welche uns, ihre geschworenen Bundesgenossen, in der Seeschlacht gegen die Ghulen schmählich verrieten und im Stich ließen. Wir werden auch nicht unser Gemäß erheben zum Gedenken an König Gorice XI., welcher heute auf schändliche und regelwidrige Weise meinem Bruder zugesetzt, als sie miteinander rangen.«
Also sprach Fürst Juss, und Corund flüsterte Gro ins Ohr und sagte: »Wäre da nicht der schwerwiegende Anlass dieser Zusammenkunft, wär’ jetzt die Zeit, gegen sie anzugehen.« Doch Gro sprach: »Ich bitt’ dich, fasse dich in Geduld. Das wäre allzu gewagt, denn das Glück stehet gegen Hexenland. Besser, wir überfallen sie heut Nacht in ihren Betten.«
Gern hätte der Rote Foliot die Dämonen von ihrem Entschlusse abgebracht, allein, es gelang ihm nicht; sie dankten ihm höflich für seine Gastfreundschaft, derer sie sich, wie sie sagten, in ihren Hütten erfreuen wollten, da sie gedächten, zeitig am Morgen mit ihren scharfbugigen Schiffen aufzubrechen und über die ungepflügte See gen Dämonenland zu segeln.
Und damit erhob sich Fürst Juss; und mit ihm der Fürst Goldry Bluszco, der in voller Wehr ging, mit einem gehörnten Helm aus Gold und einer goldnen Brünne, mit Herzen aus Rubinen besetzt, und sein zweihändiges, von Elfen geschmiedetes Schwert bei sich führte, womit er einstens das Seeungeheuer erschlagen; und Fürst Spitfyr, der die Herren von Hexenland ansah, wie ein hungriger Falke nach Beute späht; und der Fürst Brandoch Daha, der selbige Herren, insbesondere Corinius, mit Blicken belustigter Geringschätzung bedachte, wobei er müßig mit dem juwelenbesetzten Heft seines Schwertes spielte, bis Corinius seinen Blicken nicht mehr standhalten konnte und auf seinem Platz hin und her rutschte und eine finstere Miene aufsetzte. Denn trotz Corinius’ prunkvoller Rüstung, seines hohen Wuchses und seines mannhaften Antlitzes erschien er neben dem Fürsten Brandoch Daha nur als ein Bauer, und die beiden hassten einander von Herzen. Also schritten die Fürsten von Dämonenland und ihre Kämpen hinaus aus dem Saal.
Der Rote Foliot schickte ihnen seine Diener nach und ließ sie in ihren eignen Hütten mit großen Mengen Weins und guten und köstlichen Speisen bewirten und schickte ihnen Musikanten und einen Sänger, sie mit Liedern und Geschichten der alten Zeit zu unterhalten, sodass es ihnen an nichts fehlen möge. Seinen andren Gästen indes ließ er die großen Kelche aus Silber hereintragen und die großen Henkelkrüge, die jeweils einen Lögel Wein fassten, und er ließ den Hexen und den Foliots einschenken, und sie rieben den Salamander zum Gedenken an König Gorice XL, der an jenem Tag durch die Hand Goldry Bluszcos gefallen war. Danach, als ihre Kelche erneut mit schäumendem Wein gefüllt waren, hub der Rote Foliot an und sprach: »O Ihr Fürsten von Hexenland, wollt Ihr, dass ich zu Ehren des Königs Gorice, den der dunkle Schnitter heute geerntet hat, ein Klagelied vortrage?« Und als sie Ja dazu sagten, rief er zu sich seinen Theorbenspieler und seinen Hoboenbläser und gebot ihnen und sprach: »Spielt mir eine ernste Weise!« Und sie spielten leise in der äolischen Tonart eine Weise, die wie das Heulen des Windes durch kahle Äste in einer mondlosen Nacht war, und der Rote Foliot beugte sich vor von seinem hohen Sitz und hub folgende Klage an:
»Die Herrlikeit der Erden
Mus Rauch vndt Aschen werden /
Kein Fels / kein Ärtz kann stehn.
Dis was vns kann ergetzen /
Was wir für ewig schätzen /
Wirdt als ein leichter Traum vergehn.
Vanitas! Vanitatum vanitas!
Was sindt doch alle Sachen /
Die vns ein Hertze machen /
Als schlechte Nichtikeit?
Waß ist deß Menschen Leben /
Der immer umb mus schweben /
Als eine Phantasie der Zeit.
Vanitas! Vanitatum vanitas!
Der Ruhm / nach dem wir trachten /
Den wir vnsterblich achten /
Ist nur ein falscher Wahn.
So baldt der Geist gewichen:
Vnd dieser Mundt erblichen:
Fragt keiner / was man hier gethan.
Vanitas! Vanitatum vanitas!
Es hilfft kein weises Wissen /
Wir werden hingerissen /
Ohn einen Vnterscheidt /
Was nützt der Schlösser Menge /
Dem hie die Welt zu enge /
Dem wird ein enges Grab zu weitt.
Vanitas! Vanitatum vanitas!
Dis alles wirdt zerrinnen /
Was Müh’ vnd Fleis gewinnen
Vndt sawrer Schweis erwirbt:
Was Menschen hier besitzen /
Kann für den Todt nicht nützen /
Dis alles stirbt vns / wen man stirbt.
Vanitas! Vanitatum vanitas!
Ist eine Lust / ein Schertzen
Das nicht ein heimlich Schmertzen
Mit Hertzens-Angst vergällt!
Was ists womit wir prangen?
Wo wirst du Ehr’ erlangen /
Die nicht in Hohn und Schmach verfält?
Vanitas! Vanitatum vanitas!
Was pocht man auff die Throne?
Da keine Macht noch Krone
Kann unvergänglich sein.
Es mag vom Todten Reyen /
Kein Scepter dich befreyen.
Kein Purpur / Gold / noch edler Stein.
Vanitas! Vanitatum vanitas!
Wir rechnen Jahr auff Jahre /
In dessen wird die Bahre
Vns für die Thür gebracht:
Drauff müssen wir von hinnen /
Und eh wir vns besinnen
Der Erden sagen gutte Nacht.
Vanitas! Vanitatum vanitas!«
Als der Rote Foliot sein Klagelied so weit vorgetragen, ward er durch einen unziemlichen Streit zwischen Corinius und einem von Corunds Söhnen unterbrochen. Denn Corinius, der keinen Deut um Musik und Gesänge gab, sondern lieber dem Karten- und Würfelspiel frönte, hatte seine Würfel hervorgezogen und mit dem Sohne Corunds ein Spiel begonnen. Sie spielten eine Weile zu Corinius’ großer Zufriedenheit; denn bei jedem Wurfe gewann er, und die gefüllte Börse des andren wurde leicht. Bei dieser achten Strophe indes rief der Sohn Corunds aus, dass Corinius’ Würfel falsch seien. Und er schlug Corinius mit der Würfeldose an das glattrasierte Kinn und hieß ihn einen Betrüger und einen räudigen Schuft, worauf Corinius einen Balloch hervorzog, um ihn damit in den Nacken zu stechen; doch andre traten dazwischen, und mit viel Aufhebens und unter viel Gestreite und Gefluche wurden sie getrennt, und da sich’s erwies, dass die Würfel nicht gewichtet waren, sah sich der Sohn Corunds genötigt, dem Corinius Abbitte zu tun, und also setzten sie sich wieder.
Nun wurde den Fürsten von Hexenland wiederum Wein eingeschenkt, und der Rote Foliot tat einen Hochachtungstrunk auf das Wohl jenes Landes und seiner Herrscher. Und dann befahl er und sprach: »Meine Kagu soll kommen und vor uns tanzen und danach meine andren Tänzer. Denn es gibt keine Kunst, der wir Foliots mehr von Herzen zugetan sind als die Kunst des Tanzes, sei es die würdevolle Pracht der Pavane, die erhaben einherzieht gleich großen Wolken, welche in heiterer Ruhe vor dem Sonnenuntergang treiben; oder die grazile Allemande; oder der Fandango, welcher sich von schmachtender Schönheit zur Sinnlichkeit und Leidenschaft von Bacchantinnen steigert, die unter einem Sommermond, der in den Fichten hängt, über die Bergwiesen tanzen; oder der verschlungene Reigen der Galliarde; oder die Gigue, die uns Foliots besonders lieb ist. Drum zögern wir nicht länger, sondern lasst die Kagu kommen, auf dass sie vor uns tanze.«
Alsgleich eilte die Kagu in den schattigen Saal, mit leichtem und etwas schwankendem Schritt und vorgestreckten Kopf; und ein wenig hektisch war sie in ihrem Auftreten, wie sie auch den Blick ihrer schönen großen Augen, sanft und furchtsam, hierhin und dorthin huschen ließ, welche aussahen wie flüssiges Gold, zur Rotglut erhitzt. Die Kagu ähnelte ein wenig einem Reiher, doch war sie kräftiger von Gestalt und kurzbeiniger, und auch der Schnabel war kürzer und stärker als der des Reihers; und so lang und zart war ihr blassgraues Gefieder, dass man nicht zu unterscheiden vermochte, ob es Haare oder Federn waren. So spielten die Blasinstrumente, Lauten und Cimbeln eine Courante, und die Kagu bewegte sich mit kleinen Sprüngen und leichten Verbeugungen zwischen den Bankreihen durch den Saal, exakt im Takte der Musik; und als sie in die Nähe der Estrade kam, wo der Rote Foliot saß und verzückt ihren Tanz bestaunte, verlängerte die Kagu ihre Schritte und glitt geschmeidig und langsam auf den Roten Foliot zu; und im Gleiten richtete sie sich zu würdevoller Größe auf, öffnete den Schnabel, zog den Kopf ein, bis ihr Schnabel fest gegen ihre Brust lag, spreizte ihr Federkleid, sodass es aussah wie ein weitgeschnittenes Kleid über einem Reifrock, und der Federbusch auf ihrem Kopf stellte sich auf und überragte ihre anmutige Gestalt um halbe Körperlänge, und in dieser majestätischen Haltung schwebte sie auf den Roten Foliot zu. Dies wiederholte die Kagu bei jeder Runde der Courante, wenn sie den Saal der Foliots hin und wieder zurück durchschritten hatte. Und alle lachten fröhlich dabei und ergötzten sich an der Darbietung. Als der Tanz beendet war, rief der Rote Foliot die Kagu zu sich und ließ sie auf der Bank neben sich Platz nehmen und streichelte über ihr blassgraues Federkleid und lobte sie. Ganz scheu saß sie neben dem Roten Foliot und blickte mit ihren rubinroten Augen voll Staunen auf die Hexen und deren Gefolge.
Daraufhin rief der Rote Foliot nach seinen Katzenbären, die alsbald vor ihm Aufstellung nahmen, mit fuchsrotem Rücken, doch schwarzen Bäuchen, runden, pelzigen Gesichtern und unschuldigen bernsteinfarbenen Augen und großen weichen Pfoten, und Schwänzen, welche wechselweise mit fuchsroten und cremeweißen Ringen gestreift waren; und er sagte: »O Katzenbären, tanzt vor uns, denn euer Tanz ist uns eine Augenweide.«
Sie fragten: »O Herr, wollt Ihr, dass wir die Gigue darbringen?«
Und er antwortete ihnen: »Die Gigue, so ihr mich liebet.«
Also spielten die Streicher einen schnellen Lauf, und die Tamburine und Triangeln nahmen den Takt auf, und flink tänzelten die Füße der Katzenbären in dem fröhlichen Reigen. Munter floss die Musik dahin, und die Tänzer bewegten sich behände, bis der ganze Saal in ihrem Rhythmus mitschwang, und die Hexen klatschten begeistert Beifall. Plötzlich verklang die Musik, und die Tänzer verharrten, und Seite an Seite stehend, Pfote in pelziger Pfote, verneigten sie sich vor den Anwesenden, und der Rote Foliot rief sie zu sich und küsste sie auf den Mund und schickte sie auf ihre Plätze, dass sie sich ausruhen und den nachfolgenden Tänzen zuschauen konnten.
Als nächstes rief der Rote Foliot nach seinen weißen Pfauen, bleich wie Mondlicht, dass sie vor den Herren von Hexenland die Pavane anführten. In herrlicher Manier schlugen sie ihre Pfauenräder für den feierlichen Tanz und ein schöner und liebreizender Anblick war es, ihre Anmut und die Erhabenheit ihrer Haltung zu schauen, wie sie sich zur keuschen und edlen Musik bewegten. Zu ihnen gesellten sich die Goldfasane, die ihre goldnen Kragen spreizten, und die Silberfasane, die Spiegelpfauen, die Strauße und die Trappen, die würdevoll einherschritten und die Zehen spreizten und zum Gleichmaß der ernsten Weisen der Pavane sich verneigten und zurücktraten. Jedes Instrument nahm teil an der feierlichen Pavane: die Lauten und die Cimbeln, die Theorben und die Posaunen und die Hoboen, die Flöten mit ihrem hellen Klang wie Vogelstimmen und die Silbertrompeten und die Hörner, die schwere, geheimnisvoll zärtliche Klänge verströmten, welche das Herz rührten; und die Trommeln, die zur Schlacht rufet, und das wilde Wogen der Harfe; die Becken, die dröhnten wie Heere in der Schlacht. Und eine Nachtigall, die beim Roten Foliot saß, sang die Pavane in leidenschaftlichen Tönen, deren süße, traurige Schönheit die Seele dahinschmelzen ließ.
Fürst Gro bedeckte sein Gesicht mit seinem Mantel und weinte, die göttliche Pavane zu hören und zu schauen; denn Geistern gleich, die aus dem Nichts erstanden, wurde in ihm die Erinnerung an alte, halb vergessene, glückliche Tage im Koboldland wach, bevor er sich gegen König Gaslark verschworen hatte und aus seiner geliebten Heimat in die Fremde des wässrichten Hexenlandes verbannt worden war.
Hernach ließ der Rote Foliot die Galliarde aufführen. Freudig erklang von den Streichinstrumenten die heitere Weise, und zwei Springmäuse, feist wie Butter, wirbelten in den Saal. Wilder erscholl die Musik aus den Instrumenten, und immer höher hüpften die Springmäuse, bis sie vom Boden zu den Sparren des gewölbten Daches emporfederten und wieder zurück und wieder hinauf. Und die Foliots schlossen sich der Galliarde an und drehten sich und wirbelten umher, dass es eine Freude war. Und in den Saal kamen sechs Bocksfüßler gesprungen und tanzten und drehten sich leichtfüßig zur immer schneller werdenden Musik; und ein Einfüßler hüpfte wie ein Floh vom Boden empor und sprang hin und her, bis die Kehlen der Hexen heiser waren vom vielen Singen und Lachen und Geschrei. Und immer noch hüpften die Springmäuse, schneller und höher und wilder als alle andren, und so flink blitzten ihre Füßchen im rasenden Takt der Musik, dass kein Auge ihnen folgen konnte.
Wenig Freude indes hatte Fürst Gro an dem ausgelassenen Treiben. Düstere Melancholie hatte sich über ihn gesenkt, verdunkelte seine Gedanken und ließ ihm den Frohsinn verhasst werden wie der Sonnenschein den Eulen der Nacht. So sah er es also mit Erleichterung, als der Rote Foliot leise von seinem Sitz auf der Estrade stieg und in einer Tür hinter dem Wandbehang verschwand, und als der Fürst Gro dies sah, erhob auch er sich leise und verließ den Saal, wo die Galliarde nun ihrem Höhepunkt zustrebte. Fürst Gro jedoch ließ die wilden Klänge und das ausgelassene Treiben hinter sich und trat in den stillen Abend hinaus, wo über dem sanft gewellten Hochland der Wind in den unendlichen ’Himmelsräumen in den Schlaf gelullt wurde und der Westen in feuerrotem Licht flammte, das sich nach oben hin zu Purpur und unergründlichem Blau verdunkelte; und nichts war zu hören außer dem Murmeln des nimmermüden Meeres und nichts zu sehen außer einer Schar von Wildgänsen, die in den Sonnenuntergang flogen. In dieser friedlichen Stille wandte Gro seine Schritte nach Westen oberhalb des Tales, bis er an dessen Abhang kam und an der Kante einer steil ins Meer abfallenden Kreideklippe stehenblieb, und dort wurde er des Roten Foliots gewärtig, der, eine einsame Gestalt auf jenem hohen Kliff, gedankenverloren auf die verblassenden Farben im Westen starrte.
Als sie eine Weile stumm dagestanden und über das Meer geblickt hatten, hub Gro an und sprach: »Sehet, wie der Tag nun in jenen Hallen des Westens erstirbt, so ist auch der Ruhm von Hexenland gestorben.«
Doch der Rote Foliot, tief in Gedanken versunken, antwortete ihm nicht.
Da sprach Gro: »Dämonenland liegt zwar dort, wo Ihr die Sonne untergehen sähet, doch gen Osten, nach Hexenland müsst Ihr Euren Blick wenden, um ihren Morgenglanz zu schauen. Und so sicher, wie Ihr sie morgen von dort wieder werdet aufsteigen sehen, werdet Ihr in Bälde die Wiedergeburt des Glanzes und der Herrlichkeit und der Macht von Hexenland erleben, und durch sein todbringendes Schwert werden seine Feinde fallen wie Grashalme vor der Sichel.«
Der Rote Foliot sprach: »Ich liebe den Frieden und das sanfte Wirken der Abendluft. Lasst mich; oder wenn Ihr bleiben wollt, zerstöret nicht den Zauber.«
»O Roter Foliot«, sprach Gro, »liebt Ihr den Frieden in der Tat? Dann sollte der Wiederaufstieg von Hexenland eine süße Musik zu Euren Gedanken anstimmen, denn wir von Hexenland lieben den Frieden, und wir sind keine Unruhestifter, sondern allein die Dämonen. Der Krieg gegen die Ghulen, welcher die vier Enden der Welt erschütterte, wurde von den Dämonen vom Zaun gebrochen –«
»Ihr sprecht«, sagte der Rote Foliot, »ganz gegen Eure Absicht ihnen einen großen Lobpreis aus. Denn wer sah je Schlimmeres als jene menschenfressenden Ghulen, was Verderbnis der Sitten, unmenschliche Entartung und Vielzahl an Gräueln betraf? Deren schändliches Treiben seit undenklichen Zeiten in jedem fünften Jahre ihren Höhepunkt erlebte und die erst im letzten Jahr in unvorstellbarer Wildheit hervorbrachen. Doch wenn sie jetzt ausfahren, dann segeln sie auf der dunklen See und plagen keine irdischen Meere oder Ströme. Lob und Dank dem Dämonenland dafür, dass es sie für immer ausgemerzt hat.«
»Das bezweifle ich nicht«, antwortete Fürst Gro. »Doch Brackwasser löscht das heiße Feuer ebenso wie frisches. Schweren Herzens schlossen wir von Hexenland uns in jenem Kriege den Dämonen an; denn wir ahnten (was sich jetzt blutig bestätigte), dass der Ausgang nur die Selbstherrlichkeit der Dämonen bestärken würde, die nichts Anderes begehren, als Herrn und Meister der ganzen Welt zu sein.«
»Ihr«, sprach der Rote Foliot, »wart in Eurer Jugend König Gaslarks Mann: als Kobold geboren, zum Kobold erzogen: sein Milchbruder, an derselben Brust genährt. Warum sollte ich wohl auf Euch hören, auf einen offenkundigen Verräter an einem so guten König? Dessen Tücke das gemeine Volk offen anprangerte – wie ich selbst erlebte, noch im vergangenen Herbst, als ich in der Stadt Zaje Zaculo weilte anlässlich der Verlobungsfeier der leiblichen Base des Königs, Prinzessin Armelline mit dem Fürsten Goldry Bluszco –, indem sie Schandbilder von Euch durch die Straßen trugen und dazu sangen:
Anders ist er / Anders scheint er.
Anders redt er / Anders meint er.
Wer sich dessen wol befleyßt /
Der mit Recht Verräther heyßt.«
Gro, den dies sichtlich anfocht, sprach: »Der Stil passt wahrlich zum Inhalt und zum Geiste jener, die es erfunden haben. Ich will nicht meinen, dass ein so edler Fürst wie Ihr seine Segel nach dem Wind der verzerrten Hass- und Neidgefühle des Pöbels dreht. Was die perfide Hinzufügung von ›Verräter‹ betrifft, so weise ich dies aufs heftigste zurück und spucke darauf. Nicht dem Gott der Narren und Frauen, der guten Meinung, folg’ ich, sondern meinem eignen Leitstern, der mein Handeln bestimmt. Wie dem auch sei, ich kam nicht zu Euch, über eine geringe Sache wie meine eigene Person mit Euch zu reden. Dies will ich Euch nahelegen, mit höchst traurigem und ernstem Behufe: Wieget Euch nicht in dem Glauben, die Dämonen würden die Welt in Frieden lassen. Nichts liegt ihnen ferner denn das. Sie wollten nicht Euren versöhnlichen Worten lauschen noch mit uns zu Tische sitzen, so verstockt sind sie in ihrem Wahn, uns als Quelle allen Übels zu betrachten. Was sagte Juss? »Denn war nicht schon immer Hexenland wie ein Floh«: Ja, ein Floh, und er brennt darauf, ihn zwischen den Fingernägeln zu zerdrücken. O, wenn Ihr den Frieden liebt, so liegt ein kurzer Weg offen zu Eurem innigsten Begehren.«
Der Rote Foliot gab keine Antwort, sondern starrte stumm auf den letzten Widerschein des Sonnenuntergangs, der sich im schwarzen Nachthimmel verlor, an den die ersten Sterne schimmerten. Gro sagte sanft, wie eine schnurrende Katze: »Wenn heilende Salben versagen, dann bringt ein scharfer Schnitt die rascheste Linderung. Willst du das nicht mir anheimstellen?«
Aber der Rote Foliot sah ihn zornig an und sprach: »Was habe ich mit Euren Feindschaften zu tun? Durch Euren Schwur seid Ihr daran gebunden, Frieden zu halten, und in meinem friedlichen Königreich werde ich keine Gewaltsamkeiten und keinen Wortbruch dulden.«
Gro antwortete: »Ein Schwur muss aus dem Herzen kommen. Und der ihn offen bricht, ist häufig, wie auch nun, kein wirklich Eidbrüchiger, denn schon ist der Eid verhöhnt und mit Füßen getreten worden durch die andere Seite.«
Doch wiederum sagte der Rote Foliot nur: »Was habe ich mit Euren Feindschaften zu schaffen, die Euch so heftig gegeneinanderhetzen? Ich muss noch lernen, dass derjenige, welcher ein reines Herze und saubere Hände hat und aufrichtig und voller Liebe ist, notgedrungen in die Streitigkeiten und Fehden wie der Euren mit den Dämonen hineingezogen wird.«
Fürst Gro kniff die Augen zusammen und entgegnete: »Glaubt Ihr denn, dass Euch der gerade Weg dessen, der keiner Seite zuneigt, noch offensteht? Wäre dies Euer Ziel gewesen, hättet Ihr Euch den Schiedsspruch nach der zweiten Runde des Ringkampfes besser überlegen sollen. Denn klar wie der lichte Tag war es uns und Eurem eignen Volk und dem Großteil der Dämonen, dass der König in jener Runde gegen die Regeln verstoßen hatte, und als Ihr ihn zum Sieger erklärtet, riefet Ihr Euch laut und deutlich zu seinem Freund und zum Feind des Dämonenlandes aus. Habt Ihr nicht gesehen, mit welch kaltem Schlangenblick Fürst Juss Euch ansah, als er und seine Gefährten den Saal verließen? Er weigerte sich nicht nur, mit uns an einem Tisch zu sitzen, sondern auch mit Euch, auf dass sein abergläubisches Gewissen keine Skrupel habe, wenn er zu Eurer Vernichtung ausholt. Denn dazu sind sie entschlossen, die Dämonen. Nichts ist mehr gewiss denn das.«
Der Rote Foliot senkte das Kinn auf die Brust und stand eine Weile stumm. Und Schatten des Todes und der Stille breiteten sich aus, wo die Feuer des Sonnenuntergangs geglüht hatten, und wie Blüten öffneten sich die großen Sterne in den grenzenlosen Gefilden der Nacht: Arkturus, Spica, Gemini und der kleine Hund und Capella und ihre Zicklein.
Der Rote Foliot sprach: »Hexenland liegt vor meinen Toren. Und Dämonenland? Wie stehe ich zu Dämonenland?«
Und Gro sprach: »Auch geht die Sonne von morgen von Hexenland auf.«
Eine Zeitlang schwiegen sie beide. Dann zog Fürst Gro eine Schriftrolle aus seinem Gewand und sprach: »Die Ernte dieser Welt fällt nur dem Entschlossenen zu; und wer von schwacher Willenskraft ist, der wird zwischen dem oberen und unteren Mühlstein zermahlen. Ihr könnt nicht umkehren: So würden sie Euch mit Hohn und Schande zurückweisen und wir Hexen gleichermaßen. Nur so mag nun dauernder Friede einkehren: Gorice von Hexenland muss auf den Thron von Dämonenland gesetzt und jenes Gezücht ein für alle Male unter der Ferse der Hexen zertreten werden.«
Der Rote Foliot sprach: »Ist nicht Gorice tot, gefällt von einem Dämonen, und rieben wir nicht zu seinem Gedenken den Salamander? Und ist er nicht der zweite in Folge aus jenem Geschlecht, der durch die Hand eines Dämonen fiel?«
»Ein zwölfter Gorice«, antwortete Gro, »sitzet jetzt als König in Carcë. O Roter Foliot, wisset, dass ich die Gestirne der Nacht und all jene verborgenen Mächte der Finsternis zu lesen vermag, welche das Netz des Schicksals weben. Somit weiß ich, dass dieser zwölfte König aus dem Hause Gorice zu Carcë ein Meister der Zauberei sein wird, voller Schläue und List, der durch die Macht seiner Egromantie und das Schwert von Hexenland alle irdischen Mächte in den Schatten stellen wird. Und unentrinnbar wie der Blitzstrahl des Himmels wird sein Zorn seine Feinde treffen.« Mit diesen Worten nahm Gro ein Glühwürmchen aus dem Grase und sprach freundlich zu ihm: »Borge uns kurz dein Licht«, und hauchte es an und hielt es an das Pergament und sprach: »Nun setzet Euren königlichen Namen unter diese Vereinbarungen, welche Euch in keinster Weise dazu verpflichten, in den Krieg zu ziehen, sondern nur – im Falle eines Krieges – Euch auf unsre Seite zu stellen und nicht auf die der Dämonen, die Euch heimlich nach dem Leben trachten.«
Aber der Rote Foliot sprach: »Wie soll ich wissen, dass Ihr nicht die Unwahrheit sagt?«
Da nahm Gro ein Schreiben aus seinem Beutel und zeigte darauf ein Siegel gleich dem Siegel des Fürsten Juss; und dort stand geschrieben: »Meynem gelibeten Frynd vndt Gesell Vollen! Verabsäume nicht, wo du gen Hexenlandt fahrest, der Schyppen iij oder iv zu den Folyott-Inseln zu entsenden vndt sie zu unterwerfen vndt dem Rothen Folyott seynen Palast über den Häupten zu entstecken. Dann wo wir jenes Gewyrm itzo nicht außmertzen, werden wir Schande ewiglich überkommen.« Und Gro fügte hinzu: »Mein Diener stahl das von ihnen, als sie heute Abend in deinem Saale zugegen waren.«
Was der Rote Foliot glaubte; und er nahm aus seinem Gürtel Tintenhorn und Feder und setzte seinen königlichen Namen unter die Klauseln des ihm angetragnen Bündnisses.
Fürst Gro steckte das Schriftstück in seine Brusttasche und sprach: »Ein rascher Eingriff. Wir müssen sie heut Nacht in ihren Betten überrumpeln; so wird der morgige Tag großen Triumph für Hexenland bringen, das nun im Finstern darniederliegt, und Frieden und Glück für den Rest der Welt.«
Doch der Rote Foliot antwortete ihm: »Mein Freund Gro, ich habe diese Klauseln unterzeichnet und mich damit bindend wider Dämonenland erklärt. Aber ich werde nicht meine Gäste verraten, die von meinem Salz gegessen haben, seien sie mir auch noch so feindlich gesonnen. So wisse, dass ich Wachen habe aufstellen lassen vor euren Hütten und vor den Hütten derer von Dämonenland, dass keine Händel zwischen euch ausgetragen werden. Dies, was ich getan habe, dazu stehe ich, und ihr werdet morgen in Frieden von hinnen gehen, so wie ihr gekommen seid. Weil ich dein Freund bin und mich auf eure Seite gestellt habe, werden meine Foliots und ich Hexenland unterstützen, sollte es zu einem Krieg zwischen euch und den Dämonen kommen. Aber ich werde keinen nächtlichen Unfrieden oder Totschlag auf meinen Inseln dulden.«
Diese Worte des Roten Foliots wirkten auf Fürst Gro, wie wenn jemand über einen blumenbesäten Pfad zu seiner Ruhestätte wandelt und sich bei den letzten Schritten plötzlich der Erdboden vor ihm auftut, und erschrocken und entgeistert blickt er auf die andere Seite der unüberbrückbaren Kluft, an deren Rand er steht. Indes ließ sich Gro in seiner Schläue nichts anmerken, sondern antwortete alsgleich: »Recht habt Ihr beschlossen und weise, o Roter Foliot, denn wahr geht das Wort:
Der ist ein rechter Mensch / den eigne Tugendt rühmet /
Den sein selbst Raht vndt That zu Ehren hoch erhebt,
und die Saat, die man in der Dunkelheit säet, muss im hellen Licht des Tages aufgehen. Ich hätte Euch auch anderweis geraten, wäre meine Angst vor den Dämonen nicht so groß, und hatte doch nur gedacht, ihren teuflischen
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: E. R. Eddison/Helmut W. Pesch/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Helmut W. Pesch/Zasu Menil.
Übersetzung: Helmut W. Pesch (OT: The Worm Ouroboros).
Satz: Apex-Verlag.
Tag der Veröffentlichung: 16.01.2018
ISBN: 978-3-7438-5088-0
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