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Leseprobe

 

 

 

 

ERROL LECALE

 

 

ZOMBIE

- 13 SHADOWS, Band 6 -

 

 

 

Horror-Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

ZOMBIE 

 

Das Buch

Lähmende Angst liegt über Haiti: Als der drohende Klang der Voodoo-Trommeln die Nacht erfüllt, steigen die Zombies aus ihren Gräbern. Und mit ihren seelenlosen Körpern verbreiten sich der Pesthauch des Todes und ein uralter, grauenhafter Kult...

Ein verzweifelter Hilferuf aus Haiti erreicht den Okkult-Spezialisten Eli Podgram. Und er weiß, dass er helfen muss. Überdies weiß er, dass er dafür eine Welt des Schreckens betreten muss. Doch das Ausmaß des Grauens, welches nun vor ihm liegt, übersteigt selbst sein geschultes Vorstellungsvermögen...

 

ZOMBIE von ERROL LECALE erscheint als sechster Band der Horror-Reihe 13 SHADOWS aus dem Apex-Verlag, die ganz in der Tradition legendärer Heftroman-Reihen wie GESPENSTERKRIMI und VAMPIR-HORROR-ROMAN steht. 

ZOMBIE

 

 

  

  1. 

 

 

  Die sanfte Drohung der Trommeln dunkler Götter pulsierte durch Haiti. Herab von den unfruchtbaren Bergen, wo die üppigen Wälder vergangener Zeiten den Äxten der ärmsten Bauern der Welt zum Opfer gefallen waren, um ihnen als Brennholz zu dienen, bis zum rissigen Pflaster von Port-au-Prince, der langsam verfallenden Hauptstadt, erklang ihr Befehl.

  »Dambalawedo ruft! - Gehorcht dem Herrn des Lebens!«

  Bumm - bumm - bumm... 

  Die Angst war zum Greifen in dieser stickigen Nacht. Doch es war weit mehr als nur Angst. In den armseligen Hütten, wo magere Schweine neben noch magereren Menschen schliefen, in früher einmal prunkvollen Villen, wo jetzt die zerschlissene Seide von den Wänden hing - überall atmeten jene, die gerufenen wurden, schneller. Ein unnatürliches Glänzen trat in ihre Augen, eine hektische Geschäftigkeit setzte ein.

  Es war die Nacht der Vermählung.

  Große Wunder sollten geschehen.

  Schweigend machten sie sich auf den Weg durch die Stille der Nacht und schlossen sich einem schier endlosen Fackelzug an. Die nach der Armut ihrer Hütten stinkenden Männer und Frauen und Kinder neben den parfümierten Reichen, die Dunkelhäutigen neben jenen mit heller Haut, die in Lumpen gehüllten neben den kostbar Gekleideten.

  Sie bewegten sich nur langsam voran, ihre Füße folgten dem Takt der Voodoo-Trommeln.

  Niemand kam mit leeren Händen.

  Die Ärmsten trugen Früchte oder Blumen. Die Wohlhabenderen hielten Hühner an den Beinen, oder drückten kleine lebende Ferkel an sich. Die Reichsten, auffallend in ihrer Abendgarderobe zwischen den bunten Fetzen der anderen, hatten kleine Beutel bei sich, in denen die Goldmünzen klimperten.

  Keiner sprach, und das war das erstaunlichste an dieser Prozession, denn die Menschen hier waren von Natur aus laut und fröhlich und hätten sich zu jeder anderen Zeit vergnügt unterhalten, Scherze gemacht und gesungen.

  Aber heute... war die Nacht der Vermählung.

  Lichter brannten in der großen Kirche, die die Franzosen vor zweihundert Jahren erbaut hatten, als sie noch die Herren im Lande gewesen waren - ehe die Sklaven unter Toussaint Louverture sich einten und die Franzosen bald darauf die Insel räumen mussten.

  Die Lichter erloschen, als der Fackelzug sich näherte, und in der Dunkelheit liefen die christlichen Gläubigen aus dem Gotteshaus und mischten sich unter die heidnische Menge. Es mochte sein, dass sich unter den Neuhinzugekommenen sogar Kirchendiener und Priester befanden.

  In dieser Nacht kannte niemand den anderen, noch würden sie sich am Morgen an das Geschehene erinnern oder sich auch nur erinnern wollen.

  Weiter bewegte die Prozession sich durch die von Düften beladene Nacht, und der Schlag der Trommeln wurde immer eindringlicher. Sie hatten die Stadt nun hinter sich gelassen, und als sie sich einem kleinen Dorf mit armseligen Hütten näherten, hielt sie an.

  Da trat aus einem neben den Hütten geradezu beeindruckend wirkenden Häuschen mit Wellblechdach, das seine Bewohner als etwas Höherstehendes in diesem Dorf auswies, eine kleine Gruppe. Ihre Hauptfigur war ein hellhäutiges Mädchen ganz in Weiß gehüllt - ein weißes Kleid, das bis zu den Knöcheln reichte, und ein weißes Häubchen auf dem langen schwarzen Haar. Es war ein Brautgewand, und das Mädchen war auch eine Braut - aber eine Braut, die man nur beweinen konnte. Ihre Augen starrten blicklos vor sich hin. Ihre Füße, erstaunlicherweise bloß unter dem festlichen Gewand, bewegten sich unsicher.

  Ein Mann in grellfarbigem Mantel mit Zylinderhut, ebenfalls mit nackten Füßen, nahm ihren Arm. Seine Hautfarbe verriet, dass er ein Mulatte war, und die Ähnlichkeit seiner Züge mit denen des Mädchens, dass er ihr Vater war.

  Für den tranceähnlichen Zustand der Braut mochten Drogen verantwortlich sein, oder aber auch Hypnose. Sie schien sich ihrer Umgebung nicht bewusst zu sein, als sie über den holprigen Weg an die Spitze der Prozession geführt wurde, durch die bei ihrem Anblick ein aufgeregtes Raunen ginge Aber es erstarb beim Anblick der dritten Gestalt sofort wieder. Es war eine große dunkelhäutige Frau in einer langen purpurnen Robe mit grüner Schärpe. Dazu trug sie einen grünen Turban mit Straußenfedern.

  Die Trommeln, die geschwiegen hatten, bis das Trio seinen Platz an der Spitze des Fackelzugs einnahm, begannen nun erneut mit ihrem aufwühlenden Rhythmus.

  Bumm - bumm - bumm... 

  Mit leerem Gesicht, wie eine aufgezogene Puppe, trippelte das Mädchen im Brautkleid an der Seite ihres Vaters, der eine Mischung aus Gram und Stolz an den

Tag zu legen schien. Schließlich wurde man nicht jeden Tag der Schwiegervater eines Gottes.

  

  Das Hounfort war umgeben von einem dichten Palmenwäldchen, das offensichtlich als heiliger Ort galt, sonst wäre es längst für Brennholz gefällt worden.

  Innerhalb der Bäume befand sich ein großer runder Platz, in dessen Mitte eine geräumige Hütte stand. Es gab nur einen Eingang zum Hounfort, ein breites Tor aus gebogenen Palmstämmen. Die Prozession hielt davor an, und die hochgewachsene Frau trat vor. Jemand reichte ihr ein flatterndes Huhn.

  »Vater Legba, erlaube uns, durch das Tor zu schreiten«, rief sie laut. Und mit einer flinken Drehung ihrer Hand riss sie den Kopf des Huhns ab. Den zuckenden Körper warf sie hoch in die Luft.

  Erstaunlicherweise fiel er nicht mehr herab.

  »Der Hüter des Tors hat unser Opfer angenommen«, erklärte sie mit ihrer tiefen Stimme, die schon fast wie ein Bass klang. »Wir dürfen eintreten.«

  Das Mädchen und ihr Vater schritten durch den Torbogen voran. Und als sie ihn passierten, fielen Tropfen von Hühnerblut auf das weiße Brautkleid.

  Das Trommeln wurde stärker und klang nun wie ein Frohlocken, als die Prozession sich in das Hounfort drängte.

  Vater und Tochter, begleitet von der großen Frau in der Purpurrobe, die eine Mambo, eine Voodoo-Priesterin war, begaben sich in die Hütte, das Sanktuarium in der Mitte des Hounforts, während die anderen es sich im Freien auf dem Boden bequem machten und aus den mitgebrachten Rumflaschen zu trinken anfingen.

  Bald begann sich fröhliche Stimmung auszubreiten. Die Wartenden bildeten kleinere Gruppen, die sich lachend unterhielten oder sangen. Im flackernden Fackellicht wirkte das Ganze wie ein vergnügtes Volksfest bei Mondschein.

  Und doch lag mehr hinter der alkoholseligen Fröhlichkeit - etwas Uraltes und Dunkles, ja vielleicht sogar Böses, etwas, das seinen Ursprung in einem anderen Land und einer anderen Zeit hatte.

  Am Eingang zum Sanktuarium flammte plötzlich ein grelles Licht auf, als Magnesium oder ein anderes Pulver auf eine Feuerschale geworfen wurde. Sofort setzte Stille ein, die nur von einem Seufzen der Ehrfurcht - oder war es Furcht? - unterbrochen wurde. Und doch schien die Gestalt, die nun sichtbar wurde, gar nicht furchterregend, sondern eher lächerlich zu sein. Zudem konnte sie auch kaum als Gestalt bezeichnen. Das... Ding bestand aus einem klobigen Holzkreuz über dessen Querbalken eine alte Frackjacke hing, wie man sie vielleicht einer Vogelscheuche anziehen mochte. Und auf den vertikalen Balken war ein noch älterer Zylinderhut gestülpt, etwas schief, so dass er einen verwegenen Eindruck erweckte. Das Ganze hätte sich tatsächlich recht gut als Vogelscheuche auf einem Feld gemacht. Aber diese Gestalt war die Verkörperung der gefürchtetsten aller haitianischen Gottheiten: Diese Travestie eines Mannes war Baron Samedi, Herr der Gräber, Gott des Todes.

  Die gewaltige Menschenmenge drückte die Stirn auf den Boden und rief voll Demut und Furcht: »Baron Samedi - Baron Samedi...«

  Dann erstarb das Licht in der Feuerschale, und als die Augen sich wieder an die Düsternis gewöhnt hatten, stand keine Grabesfigur mehr am Eingang. Vielleicht hatte es auch nie eine gegeben.

  Nun wurden Lampen aus der Hütte getragen - Sturmlaternen, die rings um das Dach aufgehängt wurden und das ganze Hounfort beleuchteten. Als nächstes stellte man Altäre auf, ein Dutzend oder mehr, für alle, auch die unbedeutenderen Gottheiten des Voodoo-Pantheons. Jeder hatte sein eigenes schützendes Laubdach, und auf jedem häuften sich die Opfergaben, angefangen mit Schüsselchen gefüllt mit Reis, Früchten, zerknitterten katholischen Heiligenbildern und Gipsstatuen, bis zu vollen Rumflaschen und lebenden Hühnern, denen die Flügel und Beine gebrochen waren, damit sie nicht davonflattern konnten.

  Das ganze merkwürdige Konglomerat aus christlichem Glauben und afrikanischem Heidentum, aus dem Voodoo besteht, war zur Schau gestellt. Vermutlich gab es hier keinen einzigen Gläubigen, der am Sonntag nicht die Heilige Messe besuchte. Aber ebenso wenig wäre es ihnen in den Sinn gekommen, sich von den Voodoo-Feierlichkeiten fernzuhalten.

  Nur ein einziger Altar blieb leer. Er war der größte von allen und stand in der Mitte. Im Grunde genommen war er allerdings nur ein großer schwerer Holztisch, über den ein weißes, bis zum Boden reichendes Tuch gebreitet war.

  Auf dieses Leinentuch war mit leuchtend grünen Seidengarn eine Schlange gestickt - eine Schlange mit halbmenschlichem Kopf, deren Augen aus eingelegten

Edelsteinen bestanden, vielleicht aber auch nur aus Glasscherben.

  Das war der Altar Dambalawedos, des Gottes der Götter, des Herrn der Weisheit und des Lebens. Hinter diesen Altar stellte sich der  Houngaan, ein hochgewachsener dünner Mann mittleren Alters mit milden Gesicht, dessen Drahtbrille gar nicht zu dem barbarischen Kopfschmuck aus Antilopenhörnern passen wollte. Tagsüber war er Lehrer in einer kleinen Schule, doch jetzt diente er Dambalawedo als Priester, und in seiner Hand hielt er den Ascon, das Zeichen seiner Würde - ein mit den Rückenwirbeln kleiner Schlangen gefüllter Kürbis, der in primitiven Mustern bemalt und mit Seidenquasten verziert war. Schüttelte man den Ascon, erklang ein eigenartiges Zischen, das die Stimme Dambalawedos darstellte.

  Links und rechts vom Houngaan hielten Männer bunte Fähnchen in die Höhe, und hinter dem Voodoo-Priester stand ein riesiger Schwarzer mit einem gewaltigen Säbel.

  Nun begann der Houngaan mit dem Opferritual. Er schritt von Altar zu Altar und nahm im Namen der verschiedenen Gottheiten die Opfergaben an. Dabei schüttelte er seinen Ascon, je nach Größe und Menge der Gaben, mehr oder weniger heftig.

  Plötzlich begannen die Trommeln in einem neuen aufpeitschenden Rhythmus zu dröhnen.

  Zwei Reihen von Männern tanzten aus dem Sanktuarium. Sie waren die Hounci, die die ersten Initiationsriten hinter sich hatten, und die Canzos, die Initianden zweiten Grades. Ihre Kleidung war bunt gemischt, zum größten Teil sehr farbenfroh, einige trugen jedoch auch Anzüge europäischen Stils. Andere wieder waren bis zur Mitte nackt, und ihre Oberkörper waren mit phantastischen Mustern in Gelb und Rot bemalt. Manche trugen Grasröcke, andere Lendentücher.

  Der Tanz war wild und improvisiert, folgte jedoch exakt dem Rhythmus der Trommeln. Keine zwei Initianden tanzten im gleichen Schritt, und keiner schien nüchtern zu sein. Einige trugen sogar Rumflaschen bei sich, aus denen sie hin und wieder während des Tanzens einen tiefen Schluck nahmen. Frauen rannten aus der Menge und hüpften und wiegten sich ebenfalls im Tanz. Es war etwas so Primitives, Erdhaftes an diesem Tanz, so voll fleischlicher Lust, dass nur der Geschlechtsakt selbst eindeutiger hätte sein können.

  Doch auch das würde noch kommen - später.

  Alle Anwesenden schienen nun dem Rhythmus der Trommeln verfallen zu sein. Sie klatschten in die Hände und stampften mit den Füßen auf den harten Lehmboden. Der Geruch von Rum, Schweiß und Lust hing in der Luft.

  Aber die Lust musste noch warten.

  Ein tiefer Gong dröhnte, und abrupt schwiegen die Trommeln. Die Tanzenden hielten lachend und atemlos inne.

  Der  Houngaan kam hinter Dambalawedos Altar hervor. Unter jedem Arm hielt er liebevoll einen weißen Hahn an sich gedrückt. Er kniete nieder und verbeugte sich, bis seine Stirn den Boden berührte. Zwei  Canzos rannten herbei und stellten Schalen aus silbrigem Metall auf den Boden. Ein dritter reichte dem Houngaan ein kleines sichelförmiges Messer.

  Der Priester erhob sich und gab einem Neophyten einen der beiden Vögel. Über dem anderen begann er in einer Sprache, die an Afrika erinnerte, der Urheimat dieser Menschen, offenbar einen Segen auszusprechen. Vermutlich verstand nicht einmal er selbst die genaue Bedeutung der Worte, die er im Singsang herunterleierte. Aber es war offensichtlich, dass er den Vogel Dambalawedo weihte.

  Dann endete sein Singsang, und er bog langsam den Kopf des weißen Hahns zurück und drückte die sichelförmige Klinge tief in seinen Hals.

  Ein Canzo fing mit der kleinen Schale das Blut auf, und reichte sie dem Houngaan, als dieser den zuckenden Körper auf den Boden hatte fallen lassen. Der

Priester hob die Schale vor dem Altar mit der grünen Schlangenstickerei in die Höhe. Nun trat die große Mambo aus der Dunkelheit. Ein tiefes Stöhnen wurde in der Menge laut - denn um ihren Arm hatte sich eine Schlange geringelt - eine lange,

schlanke Schlange mit Schuppen in einem grünen und kupferfarbigen Ton, die im Licht metallisch funkelte.

  Der Houngaan hielt ihr die Schale entgegen, und ein langer, atemloser Augenblick verging, während die glitzernden Augen der Schlange sie begutachteten. Dann rollte sie ihren geschmeidigen Leib aus, streckte den Schädel vor, und die gespaltene Zunge leckte am Blut.

  Ein Seufzer der Erleichterung ging durch die Menge. Die Schlange, die irdische Verkörperung Dambalawedos, hatte die Opfergabe angenommen. Die Omen waren gut.  

  Aber würden sie es auch bleiben?

  Nun zog der  Houngaan die Schale zurück und hob sie an seine Lippen. Ein wenig Blut träufelte über das Kinn des Gelehrtengesichts mit der Drahtbrille. Er trank nicht viel, sondern drehte sich um und warf die Schale so hoch, dass ihr restlicher Inhalt in alle Richtungen tropfte.

  Ein wildes Gedränge setzte ein, als jeder zumindest ein winziges bisschen des Blutes abbekommen, ja vielleicht sogar auflecken wollte - einen Tropfen des Blutes, das das Wohlwollen der Schlange gefunden hatte. Denn dieses Blut würde Glück, Gesundheit, Fruchtbarkeit, ja, was immer man sich wünschte, bringen.

  Der zweite Hahn wurde auf die gleiche Weise geopfert, und auch sein Blut fand die Zustimmung der Schlange.

  Noch wilder verlangte die Menge nach dem Rest, den der  Houngaan diesmal versprühte. Eine Frau schrie vor Begeisterung und hielt einen Fetzen empor, der rot

vom Blut des weißen Hahns war, denn ganz gewiss würde Dambalawedo ihr nun den Sohn gewähren, den sie sich schon so lange wünschte. Eine andere Frau versuchte ihr den Lumpen aus der Hand zu reißen, und gleich begann ein wütender Kampf, als die beiden sich um das kostbare Stoffstück schlugen, einander an den Haaren zerrten, und bissen und kratzten.

  Gelächter und aufmunternde Rufe aus den Zuschauerreihen spornten die eine oder andere Frau an.

  Der Houngaan runzelte die Stirn. Er sagte etwas zu dem Sabreur, seinem Beschützer, der vortrat und erbarmungslos mit der flachen Klinge auf die beiden Frauen einschlug.

  Als sie schon fast bewusstlos waren, nahm der Houngaan ihnen den Fetzen, riss ihn in zwei Teile und gab jeder der beiden Frauen eine Hälfte.

  Demütig und voll pathetischer Dankbarkeit zogen sie sich in die Menge zurück.

  Hinter dem Altar stand die große Mambo und hielt

die Schlange wieder um einen Arm gewunden, während sie mit der anderen Hand den Schlangenkopf mit eigenartig kreisenden Bewegungen streichelte. Aus der Hütte drang ein plötzlicher Trommelwirbel, dem das Dröhnen eines Gongs folgte.

Wie schon früher setzte Schweigen ein, doch ein Schweigen diesmal, wie es für Menschen unvorstellbar war, deren Leben aus Musik, Farbe und Bewegung bestand.

  Ein tiefes Stöhnen ging durch die Menge, als sich erneut die groteske Gestalt des Baron Samedi zeigte und ohne sichtbare menschliche Unterstützung auf dem Altar zu glitt. Aber die Mambo versperrte ihr den Weg. Sie streckte ihr drohend den Arm mit der Schlange entgegen.

  Der Herr der Gräber schien einen Augenblick zu erbeben, dann jedoch fiel er vor der Schlange zu Boden.

  Aus jeder Kehle drang ein Seufzer der Erleichterung. Der Gott des Todes hatte sich dem Gott des Lebens unterworfen.

  Die Omen waren immer noch gut.

  Die Männer und Frauen lachten und klatschten in die Hände und lächelten einander begeistert zu.

  Und auf dem Boden lagen ein alter Frackrock, ein noch älterer Zylinderhut und ein einfaches Holzkreuz.

  Wieder dröhnte der Gong, und zwei heller klingende setzten ebenfalls ein.

  Sie riefen Dambalawedos Braut.

 

 

 

  

  2. 

 

 

  Der tiefe Gong schwieg, doch die beiden helleren dröhnten weiter in sanftem Klang, als das Mädchen neben ihrem Vater ins Licht trat.

  Man hatte Baron Samedi fortgezerrt; er war nun nicht mehr wichtig, man brauchte ihn hier nicht zu fürchten.

  Die Mambo war ein wenig zur Seite getreten. Immer noch streichelte sie die Schlange. Das Mädchen und ihr Vater standen direkt vor dem Altar. Der Mann hielt

seinen Hut unter dem Arm und hatte den Kopf ehrfurchtsvoll gesenkt.

  Erneut herrschte absolutes Schweigen, denn nun kam der Höhepunkt der Zeremonie. Viel würde von dem abhängen, was jetzt geschah: das allgemeine Wohlergehen und die Zukunft der Gemeinschaft. War das richtige Mädchen auserwählt worden? Wäre nicht vielleicht ein anderes besser gewesen?

  Wieder begann der Houngaan zu beten. Seine Stimme klang dieses Mal geradezu flehentlich. Die vorherigen Riten hatten einen oberflächlicheren Eindruck gemacht.

Diese waren anders. Niemand konnte gleichgültig bleiben, wenn es um die Vermählung mit dem Herrn des Lebens ging.

  Houncis und  Canzos brachten Totenschädel, die mit farbigem Pulver gefüllt waren. Während des Rituals griff der Houngaan danach und stäubte rotes Pulver und dann grünes auf das Mädchen, so dass ihr Kleid bald fleckig war.

  »Ist die Braut bereit?«, rief der  Houngaan auf Französisch.

  »Die Braut ist bereit«, erwiderte die Mambo.

  »Wer gibt Dambalawedo die Braut?«

  »Ich gebe Dambalawedo die Braut«, antwortete der Vater demütig.

  »Gibst du sie aus freiem Willen, mit dem Wissen, dass sie nicht länger deine Tochter, sondern Dambalawedos Braut für immer sein wird?«

  »Ich gebe sie aus freiem Willen«, versicherte der Mann, aber seine Stimme zitterte ein wenig, und seine Augen glänzten wie von verhaltenen Tränen.

  »Dann möge die Vermählung beginnen.«

  Das Mädchen hatte sich die ganze Zeit nicht bewegt und zu allem geschwiegen, Ihre Augen waren halb geschlossen, und die Andeutung eines Lächelns lag auf ihren Lippen.

  »Hebt sie auf ihr Hochzeitsbett.«

  Zwei Mambos in grünen Kleidern eilten herbei, und der Vater zog sich zurück. Seine Rolle in der Zeremonie war zu Ende.

  Die Mambos halfen dem Mädchen auf den Altar, legten sie flach auf den Rücken und zogen ihren Rock so weit nach unten, dass nur ihre Füße und Fußgelenke sichtbar waren.

  Der  Houngaan beugte sich nun ein wenig über das Mädchen, das zu schlafen schien, völlig in Trance versunken.

  Das kleine Messer glitzerte in seiner Hand.

  Aber es war nicht für Dambalawedos Braut bestimmt. Ein Hounci gab dem  Houngaan einen der weißen Hähne, die bereits als Opfer dargebracht worden waren. Sorgfältig trennte er nun den Kopf ganz ab, legte ihn zwischen die Brüste des Mädchens und trat zurück.

  Nun war die Mambo, war Dambalawedo an der Reihe.

  Die drei Mambos begannen einen beschwörenden Bittgesang. Sie ersuchten den Gott des Lebens, seine neue Braut zu nehmen. Dann baten sie um eine gute Ernte, um volle Netze für die Fischer, um gesunde Kinder, um ein Ende der Krankheiten und Gebrechen, und um die Vertreibung der bösen Geister.

  Es war ein langer Gesang, und die drei Stimmen vereinten sich zu einem erstaunlich unschuldigen Klang, wenn man all das Blut bedachte, das bereits geflossen war, und das, was sie nun tun mussten.

  Wieder dröhnten die Gongs, und die beiden Mambos im grünen Gewand fassten das Mädchen an den Fußgelenken. Das lange weiße Kleid mit den grünen und roten Flecken bedeckte sie immer noch bis zu den Knöcheln, denn sie war Dambalawedos Braut und kein anderer durfte sie entblößt sehen.

  Nun trat die hochgewachsene Mambo in der Purpurrobe zwischen die beiden anderen Mambos und hob den Saum des Hochzeitskleides ein wenig.

  Nicht der geringste Laut wagte sich über die Lippen der Gläubigen. Es war, als hätten sie sogar Angst zu atmen. Denn nun kam der entscheidende Augenblick:

  Die Mambo streckte den Arm aus, um den die Schlange gewunden war. Sie schob ihn ein Stück unter dem Rock des Mädchens hoch.

  Es waren dies Augenblicke schier unerträglicher Spannung für alle.

  Dann langsam, unsagbar langsam, begann die Schlange sich vom Arm der Mambo zu lösen. Sie glitt an den Beinen des Mädchens empor.

  Alle drei Mambos traten nun einige Schritte zurück; ihre Arbeit war getan. Alles andere war Dambalawedo überlassen.

  Der weiche Stoff des Brautgewands wölbte sich über der Schlange, als sie langsam am Schenkel entlangglitt. Sie beeilte sich nicht, denn es bestand kein Grund zur Eile. Niemand würde sie aufhalten.

  Das Mädchen hatte sich noch immer nicht gerührt. Noch immer lag sie mit den Händen an ihren Seiten, während der weiche Stoff, mit der grünen Schlange darunter, sich immer mehr dem oberen Ende der Schenkel zu wölbte.

  Kein Laut drang aus der Zuschauermenge. Aus den Augen so mancher sprach Neid - Neid, die Braut des Herrn des Lebens sein zu dürfen.

  Dann endlich begann der Körper des Mädchens sich zu bewegen, fing an sich von den Hüften aufwärts zu Winden, sich gegen einen Druck zu stemmen. Ihre Bewegungen wurden schneller, drängender. Ihr Atem war jetzt in der Stille vernehmbar, ein raues, aufgeregtes Keuchen. Dann drangen schwache, wimmernde Laute über ihre Lippen. Ihre Hände wanderten über den Bauch, als wolle sie etwas Unsichtbares berühren.

  Jetzt war ihr ganzer Körper zu hektischem Leben erwacht. Ihr Rücken krümmte sich, und fast pausenlos stieß sie leise Schreie aus.

  Die Zuschauer lächelten verzückt, denn Dambalawedo schien mit seiner Braut einverstanden zu sein.

  Dann schrie das Mädchen gellend auf und krümmte sich vom Kopf bis zu den Zehen.   Einen Herzschlag später brach ihr Körper zu völliger Reglosigkeit zusammen.

  Die Mambos rannten herbei und richteten das Mädchen auf, doch es sank sofort wieder zurück. Freudenschreie erklangen: Es war vollbracht. Dambalawedo hatte seine Braut angenommen.

  Alle Omen waren gut gewesen.

  Nun legten

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Errol Lecale/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Lektorat: Zasu Menil.
Übersetzung: Peter Sladek (OT: Zombie).
Tag der Veröffentlichung: 23.08.2017
ISBN: 978-3-7438-2961-9

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