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Prolog

„Es ist alles deine Schuld!“.

Tamika rammte mir immer wieder ihre Fäuste in die Seite, während ihr Tränen über die Wangen strömten.

„Nur wegen dir, ist das alles so gekommen! Nur wegen dir haben wir bereits Addi und Mo verloren. Und nun auch noch Sonia und meinen Bruder. Ich hasse dich!“.

„Ich weiß“, sagte ich leise, aber bestimmt und schirmte mein Gesicht mit den Händen ab, „Ich weiß, Tam. Es tut mir leid!“.

Tamika verpasste mir einen besonders heftigen Schlag in die Magengrube und ich sackte vor Luft japsend auf die Knie.

„Es tut dir Leid?“, schrie sie und rammte mir ihr Knie gegens Kinn, was mich zu Boden gehen ließ. Ja, ja, wollte ich zurückschreien, aber sobald ich meinen Kiefer auch nur leicht berührte, durchzuckten Schmerzen meinen Körper und meine Finger waren voller Blut. Also blieb ich still liegen, während Tamika weiter auf mich eintrat und mir Beschimpfungen und Vorwürfe an den Kopf warf. Irgendwann, nach einer halben Ewigkeit, ließ meine ehemalige beste Freundin von mir ab. Ich hörte ihre Schritte, die sich langsam entfernten. Dann nichts mehr. Ich drehte mich benommen auf die Seite. Meine Hand tastete sich über den kalten Steinboden bis sie den Brief mit dem königlichen Wachssiegel erfasste. Mit zwei spitzen Fingern hielt ich mir das Papier vor Augen..

Es war die offizielle Liste der zum Tode verurteilten „Widerstandskämpfer“.

Die beiden untersten Namen wurden extra unterstrichen, damit ich sie auch ganz sicher nicht überlesen würde.

 

Sonia Garcia   

Brandon Wyler

 

Daneben, an den Rand, hatte jemand etwas in feinsäuberlichen Buchstaben notiert. Ich erkannte die Handschrift auf den ersten Blick.

 

Komm endlich nach Hause und heirate mich.

Du hast drei Tage. Ich überlasse dir die Entscheidung.

 

K.

 

Mein Gesicht verzerrte sich vor Wut, als ich die drei Sätze immer und immer wieder überflog, obwohl ich am liebsten wegschauen und alles vergessen wollte. Das war sein Rachefeldzug, der entscheidende Schlag und er hatte mich mit voller Kraft zu Boden gehen lassen. Endlich bekam er, was er wollte.

K.

Endlich hatte er mich gebrochen. Und das wusste er.

Ich presste mir die Handflächen auf die Augen, bis ich bunte Sternchen sah.

 

Denk nach, Em, denk nach. Tu irgendwas. Triff eine Entscheidung.      

 

Dabei hatte ich meine Entscheidung bereits getroffen.   

Kapitel 1

Meine Welt ist grau. Das war sie schon immer.

Grau in Grau in Grau.

Kein grün, kein rot, kein gelb.

Nur eine Farbe, die mich umgibt wo immer ich hingehe, eine einzige Farbe, die mein komplettes Denken, mein Gefühlsleben ausfüllt.

 

Grau.

 

Viele Jahre lang bekam ich Medikamente dagegen. Eigentlich mein ganzes Leben lang. Kleine Pillen, die mir täglich auf einem goldenen Tablett mit einem Glas Wasser gereicht wurden. Sie machten meine Welt nicht bunter. Sie halfen mir nur, sie besser zu ertragen.

 

Seit einiger Zeit weigere ich mich jedoch, diese Wunderpillen einzunehmen. Seit einiger Zeit ist meine Welt nicht nur grau, sondern auch stumm.

Ich bin darin gefangen. Völlig allein.

 

Es klopft. Eine vertraute Stimme ruft meinen Namen, dann öffnet sich vorsichtig die Tür und Asha, mein Kindermädchen, tritt ein. Sie hat ihr krauses Haar wie immer zu einem Zopf geflochten, der ihr locker über die Schulter fällt. Über ihrer Brust prangt eine verzierte Brosche mit dem Zeichen der Regierung, die alle Bediensteten am Hofe tragen müssen.

 

Ich trage dieses Zeichen seit meinem dritten Lebensjahr auf der Haut, an beiden Handgelenken, als man mich gebrandmarkt und mir somit jegliches Recht auf ein normales Leben verwehrt hatte. Nur einer der Gründe, weshalb meine Welt ergraute.

 

"Wisst Ihr, was für ein besonderer Tag heute ist, Miss Emily?".

 

Sie bleibt vor meinem Bett stehen und sieht lächelnd auf mich herunter. Ich blicke sie aus meinen stumpfen Augen an, aus denen schon lange jegliches Leben gewichen ist und nicke mit völlig erstarrter Miene.

 

"Nun gut", fährt Asha fort, sie stemmt die Hände in die Hüften und sieht auf einmal sehr energisch aus, "Dann wollen wir Euch mal hübsch machen".

 

Mechanisch erhebe ich mich vom Bett, schlüpfe in meinen Morgenmantel und begebe mich, gefolgt von meinem Kindermädchen ins angrenzende Badezimmer. Mitten im Raum, wo einst eine wunderschöne Badewanne stand, befindet sich heute eine Dusche. Sie wurde dort nach meinem erfolglosen Versuch mich zu ertränken eingebaut. Es war nur einer von vielen Auswegen, die ich vergeblich aus dieser Welt ersuchte.

 

Das Wasser beginnt automatisch zu fließen, als ich mich unter den Duschkopf stelle, die Temperatur passt sich meiner Körperwärme an und ist nicht manuell regulierbar. Eine der vielen Sicherheitsmaßnahmen, die um mich herum erlassen wurden, nachdem ich ein paar Mal zu oft viel zu heiß geduscht hatte.

 

Asha steht die ganze Zeit regungslos daneben, während ich mich einseife, abdusche und abtrockne. Sie sieht mir dabei zu, wie ich mir meine Zähne putze und meine Haare föhne. Meine Welt ist nicht nur grau und stumm - Sie ist auch transparent, durchsichtig. Ich bin nie mit mir alleine, selbst in der Nacht wacht eine der Bediensteten über meinen sicheren Schlaf.

 

Privatsphäre Fehlanzeige. Zu hoch ist die Wahrscheinlichkeit, ich könne mir noch etwas antun. Außenstehende mögen denken, dass die Regierung sich so um mich bemüht, weil ihnen wirklich etwas an mir liegt, weil sie sich Sorgen um meine Person machen, aber das stimmt nicht. Die Wahrheit dahinter ist, dass sich eine suizidgefährdete Prinzessin nicht gut in einem sowieso schon brüchigen, völlig korrupten System macht.

 

Im Grunde bin ich tatsächlich nichts anderes, als ein dressiertes Tier im goldenen Käfig. Das Aushängeschild für die Menschen hinter den Masken, die die Strippen ziehen. Ich habe nichts zu sagen in diesem Land, keinerlei Mitbestimmungsrecht, selbst was ich trage wird von anderen entschieden.

 

Die Lust am Leben ist mir schon lange vergangen.

 

Meine Welt ergraute. Und ich mit ihr.

Kapitel 2

 

 

 

Impressum

Texte: L.L.
Tag der Veröffentlichung: 23.09.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme diese Geschichte meiner Selbst, in der Hoffnung, dass ich endlich mal die Willenstärke besitze eine Geschichte zum Ende zu bringen.

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