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1.

Beige? Warum nicht grün oder blau? Gras und Himmel.

-Was war deinen ersten Gedank, als du Miles sah? – fragt Doktor Jackson. Sie hat melodische Stimme, sanften Blick und mitfühlendes Lächeln. Doktor Jackson gefällt mir gar nicht.

-Ich will ihm Hilfe erweisen. – sage ich leise. Das Kabinett ist ein großes Klischee. Beige Tapeten, beige Schreibtisch und beige Teppich. Der Psychologe ist beige auch – sie trägt dies monotone Kostüm. Die nächste Frage erregt Hass in meinem Innere.

-Glaubtest du wirklich, dass es möglich war, ihn zu retten?

Am Anfang schweige ich. Vielleicht denkt Doktor J, dass mein Kopf leer ist. Errege ich Mitleid, zum Teufel!

Das Schweigen dauert zu lange und der Psychologe trifft die Entscheidung das Wort zu ergreifen.

-Ich weiß, dass du einen großen Verlust erleidete, aber ich will dir Unterstützung erweisen.

Und ich will meine Wut an Ihnen, sehr geehrte Dok, auslassen. Ich will schreien. Ich will meinem Bruder sagen, dass ich auf ihn böse bin. Böse, weil wegen ihm setze ich jetzt hier, in diesem Zimmer, das einem alten Kontor ähnelt, führe ein sinnloses Gespräch und warte auf das Ende des Albtraums.

Wenn ich aufwache, werde ich alle Kleider aus meinem Schrank wegwerfen, die beige sind.

 

6 Tage früher

 

Ich kann nicht einschlafen. Mein ganzer Körper ist gespannt, als ob ich würde überfallen werden. Ich lausche mich auf Schritte, aber diese fehlen. Falls ich die Uhr schaue, werde ich mich mehr beunruhigen.

Wäre Miles doch nicht so spät hinausgehen!

Manchmal sagt er mir, dass ich recht ängstlich bin. “Paranoiker” scherzt sich Miles. Trotz der Scherzen weiß ich aber, dass mein Bruder der Grund für mein Verhalten verstehet. Wenigstens nach dem Unfall.

Endlich höre ich Geräusch. Ich seufze auf und schließe meine Augen erleichtert. Er ist da.

 

Mit Mühe beherrsche ich mich meine Augen nicht zu verdrehen, wenn Doktor J macht ihren nächsten Vorschlag. Diese Geste ist aber nicht Zeichen einer Gereiztheit, sondern der Kraftlosigkeit.

-Es ist eine gute Idee, denke ich, die ganze Geschichte von Anfang zu erzählen. – mit Nicken versucht der Psychologe mich zu ermutigen, diese “tolle” Erzählung zu beginnen. Erfolglos. Ich will nicht erzählen, weil ich keinen Mut habe. Obwohl ich und Miles Zwillinge sind…waren…, bin ich nicht mutig wie er.

Doktor Jackson kommt zu Wort, weil es klar war, dass das Schweigen noch eine Weile dauern wird.

-In der Nacht wartetest du auf ihn. Du hast nie erwartet, dass er zuhause betrunken kommen würde. Als du Miles in diesem Zustand sah, warst du schokiert?

Etwas sagt mir vor, dass diesmal sie auf Antwort beharren wird. Immerhin ist ihre Aufgabe mir zu helfen, sonst sagt sie meiner Tante über meine Absage zu mitteilen. Ich will nicht riskieren. Ihre ständige Vorhaltungen, dass ich und mein Bruder ihr Leben schwerer machen (nach dieser Woche – geradezu unerträglich) sind richtige Plage!

-Ja, ich war…schokiert. – antworte ich mit heiserer Stimme. Der Psychologe schreibt etwas in ihrem Heft und stellt die nächste Frage. Leichtes Lächeln überfliegt ihr Gesicht – offensichtlich ist Doktor J zufrieden, dass ich spreche. Das Gespräch dauert schon eine halbe Stunde und bis jetzt hatte ich zwei Antworte gegeben – eine auf die Frage „Wie geht es dir“ und die letzte, die ich sagte vor eine Minute. Na ja…wenigstens die zweite nähert sich der Wahrheit.

 

Die Spannung wird von Müdigkeit ersetzt. Miles ist wieder bei mir, unter denselben Dach und jetzt kann ich schlafen. Die Unruhe, dass mein Bruder in der schwarzen Nacht an Prügel teilnehmen wird und das Schlimmste geschehen wird, ist weg. Ich drehe mich um, hülle mich in meiner Bettlacken ein und warte auf den Schlaf. Falls ich Glück habe, träume ich nicht.

Der Klang des zerbrochenen Glas vertreibt die Müdigkeit.

Ich stelle mich hin, meine Füße berühren den weichen Teppich. Die Spannung ist wieder da und ich bin auf der Hut. Es ist still. Tante Maria hat den Geräusch unten nicht gehören. Sie schläft wie Tote.

Ich lausche mich auf irgendetwas und hoffe, dass wegen der Dunkelheit mein Bruder ein Glas umgestossen hat. Aber am Ende kann ich mich nicht zurückhalten und komme schnell herunter. Ich bekomme Gänsehaut noch bevor ich gesehen habe, was die Situation ist.

Meine Mutter hat mir immer gesagt, dass ich einen guten sechsten Sinn habe.

Der Korridor ist dunkel, man kann fast nichts sehen. Ich höre, dass sich Miles bewegt.

-Leah…

 

Die Erinnerungen sind so seltsam. Wie Miles meinen Namen sagte – flehend und mit erschrockenem Unterton – prägt sich meinem Gedächtnis ein. Nicht sein Wackeln, seine verdrehten Augen oder die Stöhnen.

Nur mein Name.

Ich schweige. Endlich verstehet Doktor J, dass ich nicht im Stande bin, die ganze Geschichte zu erzählen. Aber vielleicht muss ich mitteilen. Sie könnte mir Rat geben, weil ich wie Nebel seit einer Woche schwebe. Aber ich log schon die Polizei, verschwieg die letzten Wörter von Miles. Ich machte falsche Aussagen und der Grund dafür ist, dass ich eigentlich das seltsame Verhalten meines Bruders nicht verstand. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass die Ursache für Miles’ Selbstmord nicht der Tod unseren Eltern ist. Nennen Sie das eine innige Beziehung zwischen Zwillingen.

 

Ich bin erstaunt. Bis jeztz habe ich meinen Bruder betrunken nicht gesehen. Ja, natürlich weiß ich, dass er manchmal (und immer häufiger nach dem Unfall mit unseren Eltern) zum Alkohol greift, aber nie in meiner Anwesenheit. Das Umsiedeln war schwer, aber Miles fand neue Clique, mit der er seine Freizeit verbringen kann. Zum ersten Mal kehrt er sich in solchem Zustand heim.

-Miles – flüstere ich. Mein Bruder heftet seine blauen Augen auf mich. Ich habe das Gefühl, dass sie glänzen trotz der Dunkelheit. Ich habe Angst das Licht anzumachen und sein Gesicht klar zu sehen. Der Mond beleuchtet die Wohnung genug.

-Leah, ich bin schuldig daran. – seine Stimme klingt verzweifelt. –Verzeihe mir!

Ich kann die Wörter kaum hören, aber leider begreife ich den Sinn nicht.

Miles schwankt sich und stößt sich auf den Tisch. Ich vertreibe meine Erstarrung und ergreife seine Hand, bevor er sich gefallen ist.

-Komm, du sollst schlafen. – sage ich und wir gehen gemeinsam nach seinem Zimmer in der oberen Etage.

-Verzeihe mir! Ich konnte dich nicht verteidigen, Leah…

Das Plappern berücksichtige ich nicht. Der Ziel ist nur mein Bruder zu Bett zu bringen, ohne meine Tante über den Zwischenfall zu erfahren.

-Es ist gefährlich…hier ist gefährlich.

Ich beherrsche kaum mein Lachen. Na ja, hier, bei unserer Tante ist wirklich gefährlich. Sie ist wie die Stiefmutter in “Schneewittschen”. Manchmal wundere ich mich, ob sie uns so sehr hasst wie es scheint.

-Sei ruhig, Tante Maria wird uns bis unserem achtzehnten Geburtstag nicht vergiften. Sonst bleiben das Geld auf der Bank.

Schwarzer Humor ist in diesem Moment vielleicht nicht sehr passend, aber der Gedanke, dass mein Bruder um unsere Eltern trauert und die Trauer mit Alkohol heilt, ist unerträglich.

Endlich sind wir in seinem Zimmer und richten uns auf das Bett aus.

-Geh dort nicht! Er ist da, Leah. Er warte…

Ehrlich gesagt dachte ich, dass als sein Kopf das Kissen berührt, wird er momentan einschlafen. Leider redet er missmutig weiter.

Nach zehn Minuten überwältigt der Schlaf Miles. Ich lasse Tablette gegen Migräne auf dem Nachtschrank und küsse meinen Bruder auf den Stirn.

Zum letzten Mal.

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.04.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:

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