Kennt ihr das?
Wenn ihr genau wisst, dass etwas richtig kacke läuft und egal was ihr tut, es wird nur noch schlimmer?
Genau dieses Scheiß-Gefühl packte mich, als ich neulich mit meinem Freund Tobias zum ersten Mal bei seinen Eltern am Mittagstisch saß.
Ich war schon immer eine riesen Talent darin, mich in die Nesseln zu setzen, aber an diesem Sonntag übertraf ich mich selbst.
Dabei hatte ich vorher angenommen, dass das im selben Wahrscheinlichkeitsbereich lag, wie dass ich eines Morgens als Claudia Schiffer aufwachte.
Und Gott wusste, ich hatte wirklich alles versucht – es war schlicht unmöglich.
Nicht an diesem Tag.
Hätte das doch bloß für meine obsessive Claudia-Schiffer-Fantasie gegolten!
Aber nein, wenn schon das achte Weltwunder geschehen musste, dann natürlich in der Form, dass ich einen neuen Rekord im Fettnäpfchen-Weitsprung aufstellte.
Ich saß also neben meinem Freund am Tisch und wir hatten es vom Kinderkriegen und wie man die Racker dann nennen soll. Jedenfalls versuchte ich brav, mich am Gespräch zu beteiligen und überlegte lang und gründlich, welche Namen mir gefielen oder eben auch nicht. Endlich fand ich den Mut, meine Meinung Kund zu tun.
„Also ich persönlich finde die Mädchennamen doof, die von Männernamen abgeleitet werden. Wie Michaela. Oder Daniela, oder…“
Acht Leute am Tisch wurden mucksmäuschenstill. Vorher hätte man noch nicht mal ein Flugzeug mitten auf der reich gedeckten Sonntagstafel starten hören können, jetzt wäre mir wahrscheinlich ein Flüstern wie eine Sirene vorgekommen.
Mitten in das ohrenbetäubende Schweigen fiel ein Rumsen, das den Tisch zum Wackeln brachte, und mein darauffolgendes Aufstöhnen. Beides durch den freundlichen Tritt von meinem Liebsten verursacht.
Hätte ihm das nicht zehn Sekunden früher einfallen können?
Und als wär‘s nicht schon peinlich genug gewesen, raunte er auch noch in Zimmerlautstärke: „Meine Mama heißt Daniela.“
Ich lief knallrot an.
Die Sahara und die Sauna und der Erdkern zusammen konnten nicht schlimmer sein, als die Hitze, die in mir aufstieg. Da musste doch irgendwo ein Feuer sein…
Glücklicherweise fing jemand zu lachen an. Darauf noch einer und schon bald war es wieder so laut wie zuvor.
Ich nahm an, ich hätte es überstanden.
Aber weit gefehlt.
Ich war noch lange nicht fertig. Denn wenn ich was versemmle, dann mit Glanz und Glorie. Mit wehenden Fahnen untergehen, nennt man das. Ich muss das mit der Muttermilch ausgesogen haben. Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, was nach diesem fulminanten Start geschah.
Das Essen überstand ich ohne weitere Zwischenfälle. Gut, keine tragischen Zwischenfälle. Da war nur eine Kleinigkeit mit einem Säugling und einer überhaupt nicht spitzen Gabel, die ich ihm zum Spielen geben wollte, während es auf meinem Schoß saß. Die Mutter – Tobias‘ Schwester - warf mir einen Blick zu, der mir beinahe ein Loch zwischen die Augen gebrutzelt hätte.
Ich entriss dem Baby das Mordwerkzeug, bevor es alle am Tisch, einschließlich sich selbst abstechen konnte – mal ehrlich, wer hätte das schon vorhersehen können? – und zog von da an nur noch den Kopf ein, bis abgeräumt wurde.
Ok, das war blöd gelaufen, schon klar, aber wenigstens gab es nicht wieder diese Jetzt-auf-gleich-Schweigegelübde durch das achtköpfige Triumvirat der Verdammnis.
Verurteilt mich nicht! Ich habe keine Geschwister und auf so einem gedeckten Tisch liegt nicht so viel, mit dem ein Kind gefahrlos spielen kann. Was hättet ihr ihm denn gegeben?
Das Glas? Den Teller? Das Messer? Die Kerzen mit dem heißen Wachs?
Ja, ich seh‘ schon, ihr wärt schnell auf die kuschelweiche Stoffserviette gekommen.
Ich nicht. Pfff, Offensichtliches kann jeder.
Doch wie bereits erwähnt, wirklich tragisch wurde es erst hinterher.
Wie eine vorbildliche Schwiegertochter half ich beim Abwasch, machte mich in der Küche nützlich, wo alle Frauen der Familie versammelt waren und tratschten.
Anika, die Freundin von Tobias‘ Bruder Max beschwerte sich traurig darüber, dass er ihr ständig sagte, sie sähe zu dick in eng anliegender Kleidung aus. Alle überschlugen sich mit Trost und ich wollte dem natürlich in nichts nachstehen…
Durch die Durchreiche ins Wohnzimmer erblickte ich Max neben Tobias am Klavier. Er trug ein schwarzes T-Shirt mit Aufdruck. Die hässlichste aller Bulldoggen vor einer Englandfahne. Ehrlich, diese Hunderasse hat generell schon nicht im Gen-Lotto gewonnen, aber dieses spezielle Exemplar sah aus wie das Produkt eines Geschlechtsakts zwischen Shrecks und Grinchs runzligen Hoden.
Ich sagte also mit all meinem Mitgefühl und ich betone noch mal, ich habe es nur gut gemeint: „Und sein T-Shirt ist besser, oder wie?“
Sie schaute mich mit großen Augen an und ich fragte mich schon, weshalb die Meute nicht wieder das Kollektiv-Nicken drauf hatte, wie das bei den anderen Kommentaren der Fall gewesen war. Sekunden später kam die Erklärung.
„Das ist eigentlich meins. Max trägt es nur so gern.“
…
Ja.
Was soll man dazu noch sagen?
Leider gab es keine Gnade. Die Erde tat sich nicht auf, um die Güte zu haben und mich endlich zu verschlucken. Und es kam auch kein Wirbelsturm, der die verhängnisvolle Unterhaltung unterbrach. Ich saß einfach tief in der Scheiße, die ich verzapft hatte und konnte nicht entkommen.
Schließlich stand der Kaffee ja noch an.
Und wenn ihr denkt, das wäre jetzt der Höhepunkt gewesen, dann habt ihr euch gewaltig geschnitten.
Ich kann noch einen drauf setzen. Bei Zugaben dieser Art bin ich sehr großzügig. Immer raus mit dem Nachschlag.
Beschämt flüchtete ich aus der Küche und verschanzte mich im Klo. Vielleicht konnte ich durch das kleine Fenster dort in die Freiheit entfliehen. Zu meiner Enttäuschung war das Ding jedoch nur zum Kippen, ich saß in der Falle.
Ich überlegte schon, mich in der Toilette runterzuspülen und ein Leben in der Kanalisation zu fristen,… einfach das Beste hoffen,… Aber mit Sicherheit hätte ich damit nur die nächste Katastrophe ausgelöst. Bei meinem Glück wäre ich stecken geblieben, das ganze Haus wäre von der Suppe überschwemmt worden und wahrscheinlich hätte jemand dabei auch noch einen Herzinfarkt erlitten, weil die unwiederbringlichen alten Familienfotos auf der braunen Flutwelle nach Timbuktu getrieben worden wären. Tobias‘ Omi wirkte recht tattrig und hatte mit Sicherheit Bluthochdruck, da war man doch anfällig für so was, oder?
Letztlich wurde mir klar, dass ein halbstündiger Aufenthalt im Bad den Eindruck, den ich hinterließ, auch nicht verbesserte und zwang mich der lauernden Horde entgegen zu treten.
Ich machte einen Schritt aus dem Bad und…
Trat in einen riesigen Haufen Katzen-Kotze.
Fabelhaft! Als hätte dieser Tag nicht noch furchtbarer werden können. Jetzt hatte ich zu allem Überfluss auch noch mit Erbrochenem vollgesogene Socken an, Feuchtigkeit und kleine Bröckchen quetschten sich zwischen meine Zehen. Ob das Mäusehirne waren oder einfach nur Whiskas-Gourmet?
Ich bekam eine Gänsehaut und hätte beinahe meinen eigenen Haufen daneben gesetzt. Als Revanche sozusagen, damit dieser gemeingefährlichen Seuchenschleuder auch mal so eine Erfahrung zuteilwurde.
Da kam die Übeltäterin um die Ecke geschlichen. Ganz unschuldig glotzte sie mich mit den riesen grünen Katzen-Augen an und ich hätte schwören können dass sie irgendwas in die Richtung Geschieht dir ganz recht dachte.
Mir platzte der Kragen. Ich kann wirklich viel schlucken, aber in dem Moment war der Ofen einfach aus. Ich musste im letzten Leben einigen Mist gebaut haben, um das verdient zu haben.
„Du elendes Scheiß-Vieh! Glotz nicht so blöd! Dein Gesicht sieht aus wie dein Arsch! Und aus beidem kommt Atommüll raus! Du stammst aus Tschernobyl stimmt’s? Geh‘ doch dahin zurück und lass‘ dich verstrahlen. Ein weiterer Kopf kann dir doch nur recht sein, dann kannst du noch mehr kotzen! Kennst du diese eine Szene mit dem Kater aus „Wer früher stirbt, ist länger tot“? Genau das würde ich jetzt gerne mit dir machen!“
Vom anderen Ende des Flurs ertönte ein Räuspern und Tobias’ Vater tauchte auf.
Diesmal unterließ ich von vornherein die Stoßgebete dafür, dass er meine Schimpftirade nicht gehört hat. Denn was läuft wie ‘ne Ente und quakt wie ‘ne Ente, das ist nun mal eine beschissene Ente und selbst das virtuoseste Gebet der Welt kann sie nicht zum Esel machen.
„Nelli ist krebskrank. Wir haben sie zu uns genommen, weil sie nicht mehr lange zu leben hat und dem Tierheim die Pflege zu teuer war. Wenn wir uns nicht um sie gekümmert hätten, wäre sie eingeschläfert worden.“
Viel tiefer konnte ich nun wirklich nicht mehr sinken.
Inzwischen hatte die Absurdität derartige Dimensionen angenommen, dass die Entwürdigung in Hysterie umschlug. Vielleicht entstand auch ein Kurzschluss in meinen Kopf, im Nachhinein völlig schnuppe.
Fest steht nur, dass es diesen Punkt gibt, an dem etwas einfach zu viel wird und man daraufhin nur noch auf Durchzug schaltet.
In diesem Modus sagte ich schließlich: „Na, dann wäre Tschernobyl vielleicht doch gar nicht so schlecht. Von wegen Bestrahlung und so.“
Seine Reaktion war mir mittlerweile so egal, wie wenn in China ein Sack Reis umgefallen wäre. Was sollte denn auch noch groß passieren? Dass die Marsmenschen ankamen und uns alle abschlachteten, weil ich sie mit meiner rot leuchtenden Peinlichkeits-Birne angelockt hatte?
Ohne ein weiteres Wort nahm ich meine Jacke von der Garderobe, die Schuhe in die Hände -anziehen war absolut indiskutabel – und machte mich vom Acker.
Ich spekulierte darauf, dass meine Mutation zu Claudia Schiffer an dem Tag vielleicht doch noch anstand, anhand dessen, was für Merkwürdigkeiten mich getroffen hatten.
Während ich im Februar barfuß nach Hause stapfte, zog ich Bilanz.
Den Namen meiner angehenden Schwiegermutter in den Dreck gezogen.
Ein Baby fast ermordet… Oder das Baby uns, wer weiß das schon so genau.
Das Ego meiner Schwägerin getreten, als es bereits am Boden lag.
Einer krebskranken Katze Tod und Verderben an Hals gewünscht, es mir mit ihr für immer verscherzt und mit dem Schwiegervater in spe gleich dazu.
Alles in allem ein erfolgreiches Sonntagsessen, nicht wahr?
Ich weiß, ihr glaubt es mir nicht, aber mein Lieblingshobby ist NICHT Blinden die Gehstöcke zu klauen!
Tag der Veröffentlichung: 01.04.2016
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