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Weiße Punkte

„Guten Tag, mein Name ist Siegert von der Polizeistelle Deggendorf Ost. Ich möchte mit Frau Miriam Wieland sprechen.“

„Ja, die ist am Apparat“, sage ich, wobei mir fast das Herz stehen bleibt. Nicht schon wieder. Philip wurde erst vor zwei Monaten beim Klauen erwischt, er kann doch nicht so schnell erneut etwas ausgefressen haben.

„Ich rufe wegen ihrer Mutter an. Wir mussten sie mit aufs Revier nehmen. Können sie vorbei kommen?“

„Was? Aber wieso? Geht’s ihr gut?“ Nebenbei stürme ich schon mit großen Schritten in den Flur, schnappe mir Tasche, Schlüssel und Stiefel.

„Ja, es geht ihr gut. Alles Weitere erfahren sie, wenn sie hier sind.“

„In Ordnung, ich mache mich sofort auf den Weg.“

Ich verabschiede mich mit der gebotenen Höflichkeit, obwohl mir eher nach weiteren Fragen zumute ist. Bevor ich aus dem Haus renne, brülle ich nach oben, dass Philip auf die Kleine aufpassen soll und dass er mich übers Handy erreichen kann, wenn was sein sollte, dann sitze ich auch schon im Wagen.

Die Fahrt dauert fast eine Stunde und von unterwegs versuche ich immer wieder, meinen anscheinend absolut unzuverlässigen Bruder zu erreichen. Auch jetzt zeigt er sich unauffindbar, dabei haben wir vor zwei Jahren abgemacht, dass er sich um unsere Mutter kümmert und dafür später ihr Haus bekommt. Damals zogen mein Mann, ich und unsere zwei Kinder in unser jetziges Haus, wegen seiner Arbeit. Der Weg ist viel zu weit, um jederzeit für Mama parat zu stehen.

Bisher hat diese Übereinkunft gut geklappt. Keine Probleme.

Mit dem Kopf schon bei dem bevorstehenden Treffen erreiche ich mit weit überhöhter Geschwindigkeit die Stadt, aber die nervigen Ampeln bremsen mich aus. Daher vergeht noch einiges an Zeit, bis ich das Polizeirevier erreiche.

Kaum habe ich mich am Eingang vorgestellt und den Metalldetektor passiert, kommt schon ein Polizist mittleren Alters und mit den rot geäderten Wangen eines Alkis auf mich zu und führt mich in ein Büro. Im tiefen Brustton eines Platzhirsches bietet er mir den Stuhl auf der anderen Seite des altertümlichen Schreibtisches an. Er muss irgendwann in den 70ern entstanden sein.

 

„Wo ist meine Mutter?“ frage ich unumwunden.

„Sie wartet neben an. Ich möchte erst allein mit ihnen sprechen.“

„Wie bitte? Aber es geht ihr doch immer noch gut, oder?“

„Den Umständen entsprechend, ja. Frau Wieland, wir haben ihr Mutter mitgenommen, weil sie mit dem Auto durch die Fußgängerzone gefahren ist und augenscheinlich verwirrt war, als wir sie angehalten haben.“

Überrascht blicke ich in die wässrigen Augen des untersetzten Mannes.

„Wie meinen sie das? Verwirrt?“

„Sie sagte, sie habe sich verfahren und auf Nachfrage wusste sie weder, in welcher Stadt sie sich befand, noch wo ihr zu Hause ist.“ Er wirkt vorwurfsvoll, als ob ich in dem Wagen gesessen hätte. Oder verantwortlich für meine Mutter sei.

„Das muss ein Missverständnis sein. Sie ist gerade erst 60 geworden und kann noch sehr gut Autofahren.“

Während ich meine Mutter in Schutz nehme, setzt der Beamte eine bedauernde Miene auf, schiebt ein paar Sachen auf dem Tisch umher, bis er sich endlich einen Ruck gibt und zum Punkt kommt.

„Vielleicht sollten sie mal mit ihr zum Arzt gehen“, schlägt er vor. „Sie war eindeutig nicht ganz bei sich und der Drogentest war negativ.“

Mein Gott, meine Mutter und Drogen? Beinahe lache ich bei der Vorstellung, aber der Rest seiner Worte ist zu verstörend.

„Was wollen sie damit sagen?“

„Das kommt bei älteren Menschen häufiger vor. Das kann verschiedene Ursachen haben.“ antwortet der Polizist ausweichend, dann schiebt er mir einen Haufen Unterlagen rüber. „Ihre Mutter hat vorerst keinen Führerschein mehr. In dieser Sache wird sie bald Post bekommen. Das hier ist der Bußgeldbescheid und damit bekommen sie ihr Auto bei dieser Adresse wieder.“ Dabei reicht er mir ein Schriftstück nach dem anderen.

Jetzt bin ich verwirrt.

„Warum geben sie das nicht meiner Mutter, damit sie sich darum kümmern kann?“

Seufzend wuchtet er seinen enormen Bauch in die Höhe und watschelt um den Schreibtisch herum zur Tür. „Kommen sie, sie sollten selbst mir ihr sprechen.“

 

Einen Raum weiter erwartet mich wie versprochen meine Mutter. Mit ihrem roten Kostüm mit den weißen Punkten und dem kleinen weißen Hut sieht sie auf den ersten Blick aus wie immer. Gepflegt und verliebt in hübsche Kleidung.

Aber dann fällt mir auf, dass sie weiße Socken, statt der sonst durchsichtigen Strümpfe trägt und darüber zwei verschiedene Schuhe, einen schwarzen und einen violetten. Bei genauerem Hinsehen wirkt der edle Tweed Stoff schmuddelig, Flecken in den unterschiedlichsten Farben sind überall darauf verteilt und ein Knopf fehlt, genau über dem üppigen Busen. Der Blazer steht an der Stelle auf. Das passt überhaupt nicht zu ihr.

Erstaunt gehe ich auf sie zu, mittlerweile auch ein bisschen verärgert über die Situation.

„Was ist denn passiert, Mama? Und wieso siehst du so aus?“

Als sie den Blick hebt, sieht sie mich zuerst nicht, sie scheint irgendwie weggetreten, aber dann fokussieren mich ihre Augen. Ein erleichterter Ausdruck tritt auf ihr Gesicht.

„Elisabeth, da bist du ja endlich. Diese Herren wollen mir nicht glauben, dass ich mich einfach verfahren habe!“

Ich stutze, denn Elisabeth ist der Name meiner verstorbenen Tante. Die Stimme meiner Mutter klingt wie immer und sie hat diesen tadelnden Ton drauf, den ich schon seit meiner Kindheit in den Ohren habe, wenn ich etwas Fragwürdiges tue.

Ich gehe vor ihr in die Hocke. „Ich bin Miriam, Mama.“ So langsam bin ich ernsthaft besorgt, vor allem, als ich entdecke, dass der rote Lippenstift weit über den Rand ihres Mundes geht und das Makeup unordentlich aussieht.

Sie kriegt ganz große Augen und sagt nichts mehr. Verstört schaut sie mich nur an, das Kinn beginnt zu beben. Sie erinnert mich stark an meine Kleine, wenn sie mal wieder auf die Nase gefallen ist. Also folge ich diesem Impuls und behandle sie auch so. Meine Hand legt sich tröstend auf ihre und ich streichle mit dem Daumen die weiche runzlige Haut. Sie fühlt sich altvertraut an.

„Ist schon gut, Mama. Es wird alles in Ordnung kommen. Wir fahren jetzt erst mal nach Hause, hm?“

 

Der Polizist bringt uns freundlicherweise zu meinem Auto und nachdem ich meine Mutter auf dem Beifahrersitz verstaut habe, nimmt er mich zur Seite.

„Sie sollten wirklich darauf achten, dass ihre Mutter nicht mehr Auto fährt. Sie hatte Glück, dass heute niemand verletzt wurde.“

„Sie hat doch sowieso keinen Führerschein mehr“, entgegne ich, aber er schüttelt den Kopf.

„Das wird sie nicht davon abhalten, glauben sie mir.“ Damit lässt er mich stehen und schlurpt in diesem merkwürdigen Gang zurück ins Revier. Nachdenklich betrachte ich meine Mutter durch die Windschutzscheibe. Sie ist schon wieder abwesend, schaut zum Seitenfenster raus und knetet nervös die Henkel ihrer Tasche.

Auf dem Weg zu ihrem Haus versuche ich wieder meinen nichtsnutzigen Bruder zu erreichen, natürlich ohne Erfolg. Ich ärgere mich maßlos über seine Unzuverlässigkeit, vor allem in dieser Situation, mit einer völlig neben sich stehenden Mutter neben mir. Doch als ich die große Eingangstür aufschiebe, durch die ich geschätzte Millionen Mal in den verschiedensten Altersstufen das Haus betreten habe, und das Licht anmache, ist der Gedanke sofort vergessen.

 

Vom Boden ist kaum noch etwas zu sehen, überall stehen und liegen Gegenstände. Altpapier und Berge von Zeitungen türmen sich entlang des Flurs. Langsam und mit offenem Mund folge ich der Spur der Verwüstung weiter hinein und höre, wie meine Mutter hinter mir ihren Mantel ablegt.

Du liebe Güte, die Räume sind derartig unordentlich, fast denke ich, ich befinde mich in der Wohnung eines Messis. In der Küche stapelt sich das verschimmelte Geschirr und sogar eine Ameisenstraße zieht sich über die Anrichte.

„Das gibt’s doch nicht!“ flüstere ich unwillkürlich, während ich weiter durch die Räume streife und meine Beunruhigung mit jedem Schritt immer größer wird. Das Heim meiner Kindheit ist fast nicht wieder zu erkennen. Die sonst so penibel sauber gehaltenen Böden und Armaturen zeigen sich schmutzverkrustet und keimig. Überall ist es furchtbar unordentlich bis zugemüllt, aber schon bald drängen sich mir weitere, noch befremdlichere Eindrücke auf.

An den Bildern an der Wand im Wohnzimmer kleben gelbe Postits, auf denen in der fein säuberlichen Schrift meiner Mutter die jeweiligen Namen der abgebildeten Personen geschrieben stehen. Im Badezimmer hat sie Zettel mit Hinweisen wie ‚Haare bürsten‘ und ‚Medikamente nehmen‘ angebracht. Verwirrt öffne ich den Spiegelschrank und suche nach ihren Tabletten, da ich nichts von irgendwelchen Medikamenten weiß. Nach meinem Kenntnisstand ist meine Mutter gesund. Entgegen dieser Annahme fallen mir zwei kleine Arzneimittelkartons ins Auge, auf denen die Anleitung zur Einnahme vermerkt ist. Auf einem heißt es Donezepil auf dem anderen Memantin.

Dass hier eindeutig etwas nicht stimmt, lässt sich nicht mehr verleugnen, also laufe ich mit den kleinen Pappschachteln zum Telefon. Auch hier finden sich Notizen. Neben dem kleinen Apparat auf dem Beistelltisch im Flur liegt eine ganze Litanei an Anweisungen. Eine lange Liste, die sich als Sammlung an nichts sagenden Sätzen herausstellt, gemacht für einen X-beliebigen Smalltalk. Ganz unten steht fett und unterstrichen: ‚Peter ist dein Sohn‘ und ‚Miriam ist deine Tochter‘. Daneben die Namen meines Mannes und meiner Kinder, samt Funktion.

Meine Hände zittern, als ich den Hörer abhebe und die Nummer unseres Hausarztes im Adressbuch nachschlage. Da es erst später Nachmittag ist, hebt schon bald eine Sprechstundenhilfe ab. Nachdem ich erklärt habe wer ich bin, sagt sie etwas wie ‚Oh.‘ und stellt mich dann sofort zum Arzt durch. Solange es tutet und ich in der Leitung gehalten werde, kreisen meine Gedanken um meine Mutter und immer wieder frage ich mich, was hier eigentlich vor sich geht.

 

Endlich hebt der Arzt ab und begrüßt mich höflich. Er kennt mich schon seit meiner Kindheit und erkundigt sich sogleich nach meinem Befinden, doch mir steht ganz und gar nicht der Sinn nach freundlichem Geplänkel. Ungeduldig schneide ich ihm das Wort ab und stelle ihn wegen meiner Mutter zur Rede. Nachdem ich die Geschehnisse des Nachmittages berichtet und auch ihre jetzigen Wohnverhältnisse beschrieben habe, höre ich, wie er am anderen Ende der Leitung tief Luft holt.

„Miriam, ihre Mutter ist jetzt seit ca. einem Jahr bei mir in Behandlung. Sie hat Alzheimer.“

Ein Tosen erhebt sich zwischen meinen Ohren und ich glaube, ich habe ihn nicht richtig verstanden.

„Wie bitte? Könnten sie das wiederholen?“ Natürlich kenne ich das Wort, aber ich kann das gerade nicht gehört haben.

„Ihre Mutter hat eine neurodegenerative Erkrankung, die sich Morbus Alzheimer nennt. Sie beginnt mit Gedächtnisstörungen und im Verlauf kommen Probleme mit dem formalen Denken, dem Bewegen und Sprechen dazu.“

„Was?... Aber… sie hat… am Telefon wirkte sie ganz normal. Ich… sie,… du lieber Gott, ich hatte ja keine Ahnung.“ Betroffen lege ich die Finger auf den Mund. Da bin ich 38 Jahre alt und doch fühle ich mich wie ein verängstigtes Kind, als ich begreife, dass meine Mutter ernsthaft krank ist.

„Sie wollte nicht, dass sie es erfahren, bis es wirklich nötig ist. Bisher waren nur milde Anzeichen zu sehen, aber anscheinend hat sich das seit unserem letzten Termin verändert. Das kann passieren. Diese Form der Demenz ist fortschreitend, doch das Gedächtnis nimmt nicht gleichmäßig ab, manchmal gibt es solche sprunghaften Verschlechterungen. Außerdem muss ich ihnen leider sagen, dass die Erkrankung ihrer Mutter tödlich ist.“

Ich habe das Gefühl mir wird der Boden unter den Füßen weggezogen. Benommen taste ich nach einem Stuhl, irgendetwas, wo ich mich hinsetzen kann, finde aber nur den Stapel mit den alten Zeitungen. Für den Moment tut der es auch.

Ich will weinen, bin jedoch zu entsetzt um auch nur eine Träne hervor zu drücken. So ganz kann ich noch nicht wahrhaben, was der Arzt da eben gesagt hat. Es dauert eine Weile, bis ich im Stande bin, weiter zu sprechen.

„Wie… lange hat sie noch?“ Meine Worte sind kaum mehr als ein Flüstern.

Der Arzt räuspert sich, bevor er mir antwortet. „Im Durchschnitt leben Menschen nach der Diagnosestellung noch acht Jahre.“

Im Durchschnitt… Meine Mutter soll vielleicht keine 70 mehr werden?

Und sofort schießt mir ein weiterer Gedanke durch den Kopf: Wie sollen die Jahre aussehen, bis es so weit ist?

Nach allem, was ich über diese Krankheit weiß, steht uns eine harte Zeit bevor. Vielleicht ist es egoistisch, aber neben der Sorge um meine Mutter erhebt sich die Angst vor dem Ungewissen. Davor, was uns erwartet, wie wir das schaffen sollen, was mit uns geschehen wird. Meine Kleine ist doch erst fünf! Wie soll ich ihr das erklären?

Nachdem ich lange nichts sage, höre ich den Arzt wieder aus dem Hörer tönen, aber es dauert einen Moment, bis ich mich auf ihn konzentrieren kann.

„…vorbei kommen. Dann besprechen wir, wie es jetzt weiter gehen soll.“

„Bitte?.. Ach so, ja. Das ist vermutlich eine gute Idee“, antworte ich komplett auf Autopilot.

„Meine Sprechstundenhilfe wird einen Termin mit ihnen vereinbaren. Sie sollten ihre Mutter jetzt lieber nicht alleine lassen und wenn etwas sein sollte, können sie mich jederzeit erreichen.“

„Hm, ok. Danke.“

Ich lege auf, ohne mich richtig zu verabschieden. Eine Weile bleibe ich wie in Trance auf den angehäuften Beweisen für die Krankheit meiner Mutter sitzen und starre vor mich hin. Als ich sie dann aber in der Küche hantieren höre, packt mich eine völlig neue Sorge. Unvermittelt tauschen wir also dir Rollen. Nachdem sie sich Jahre lang um meinen Bruder und mich gekümmert hat, soll es ab jetzt umgekehrt laufen. Nun ist es meine Aufgabe, mir Gedanken um ihr Wohlergehen machen und ohne groß nachzudenken schlüpfe ich in diese ungewohnte Rolle. Zumindest ist sie das in Bezug auf meine Mutter.

Ich finde sie am Herd, wo sie alle Platten angeschaltet hat, obwohl sie nur eine benutzt. Vorsichtig nähere ich mich von der Seite.

„Mama, das kann ich doch machen“, sage ich, da schaut sie mich an, als käme ich vom Mond.

„Miriam? Was machst du denn hier?“

„Du…“ Ich stoppe mich auf halbem Wege, denn mir wird klar, dass es keinen Sinn hat, ihr Vorwürfe zu machen. Ich schließe die Augen und besinne mich darauf, dass ich mich jetzt um sie kümmern muss. Dass sich die Frage, was ich will oder wie ich das finde nicht mehr stellt. Es geht um sie und was sie jetzt braucht.

„Ich wollte dich besuchen“, antworte ich also statt all der Dinge die ich eigentlich los werden will, die meinen Kopf fast zum Platzen bringen. Sie freut sich und benimmt sich plötzlich wieder ganz normal, außer dass sie das Chaos um sie herum nicht zu bemerken scheint. Während ich versuche, in dem Dreck eine halbwegs anständige Mahlzeit zuzubereiten, setzt sie sich vor den Fernseher und nachdem wir gegessen haben verabschiedet sie sich völlig untypisch schon vor acht, um zu Bett zu gehen.

 

Ich wandere wieder zum Telefon, stolpere dabei über einen riesigen Haufen einzelner Schuhe, die ich bei meiner Mutter noch nie gesehen habe. An einigen kann ich an der Sohle sogar noch das Preisschild erkennen. Sofort muss ich an das Bild denken, wie sie im Polizeirevier sitzt, mit ihrem nicht zusammen passenden Schuhwerk.

Ich krame nach den passenden Zwillingen, kann aber in der näheren Umgebung nichts finden und plötzlich drängt sich mir ein verrückter Gedanke auf.

Sind das Ausstellungsstücke aus einem Laden?

Da steht doch immer nur einer im Regal, den anderen bringt die Verkäuferin dann auf Nachfrage.

Ich kann nur den Kopf schütteln und habe mit einem Mal wenig Zweifel an meiner Interpretation der Sachlage. Aber angesichts der Geschehnisse dieses Nachmittags schockt mich das nicht annähernd so sehr wie erwartet. Ich muss sogar fast lachen, als mir die Parallelen zu Philip auffallen.

Schließlich rufe ich meinen Mann an und erzähle ihm alles. Wie immer bildet er meinen ruhigen Pol, gibt mir Zuspruch und das Gefühl, dass ich damit nicht alleine bin. In solchen Augenblicken ist er immer der Besonnene und denkt an Dinge, die ich noch gar nicht auf dem Schirm habe. Wir sprechen darüber, wie die nächsten Tage aussehen und er erinnert mich daran, dass ich mich auch um die administrativen und juristischen Angelegenheiten meiner Mutter kümmern muss. Er hat natürlich recht, aber eigentlich will ich mich im Moment gar nicht mit so etwas befassen.

Nach einer liebevollen Verabschiedung legen wir auf und wie so oft beherzige ich doch den Ratschlag meines Mannes. Zum Glück finde ich den antiken Sekretär, in dem meine Eltern immer den Papierkram aufbewahrt haben, im Wohnzimmer neben dem Bücherregal.

Kaum habe ich das große Fach unter der Tischplatte aufgezogen, entdecke ich einen dicken, ledernen Ordner. Schnell lege ich ihn auf die überfüllte Arbeitsfläche und schlage ihn auf. Zwei schwere Briefumschläge fallen mir in die Hände. Einer ist mit dem Namen meines Bruders versehen, der andere mit meinem und als ich verstehe, was ich da gefunden habe, blättere ich schnell weiter durch die Schriftstücke. Sie scheinen alles Notwendige zu enthalten, amtliche Dokumente, Bankunterlagen,… ein Testament.

Erschöpft lasse ich mich auf den Schreibtischstuhl fallen. Ich lande auf einem Kleiderhaufen und etwas darunter piekst mich in den Hintern. Egal. Mein Verstand kann mit all dem nicht Schritt halten und wie betäubt sehe ich auf die beiden Briefumschläge hinunter, voller Beklommenheit darüber, was meine Mutter uns geschrieben hat.

Da fällt mein Blick auf ein weiteres Postit, das auf der Innenseite des vorderen Deckels des Ordners klebt. Sofort erkenne ich die zierlichen Lettern, die die Finger meiner Mutter geformt haben.

 

Meine lieben Kinder, Miriam und Peter.

Ich wollte euch keine Umstände machen. Ich habe das hier für euch vorbereitet und es tut mir Leid, dass ihr euch jetzt damit befassen müsst.

Vergesst niemals, wie sehr ich euch liebe, auch wenn ich mich irgendwann nicht mehr daran erinnern kann.

In ewiger Liebe,

eure Mama

Impressum

Texte: Aven Miles
Bildmaterialien: http://bilder.4ever.eu/zeichentrick/gezeichnete-frau-184908
Tag der Veröffentlichung: 12.02.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle Betroffenen.

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