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Wettbewerbsbeitrag Sun2020

Die Parkbank

 

„Paris ist auch nicht mehr das, was es einmal war“, murmelte sie verächtlich und setzte sich mit einem großen Seufzer auf die Parkbank. Erneut hatte sie sie gesehen. Es war mittlerweile unmöglich, einen Schritt aus dem Haus zu machen, ohne ihnen zu begegnen. Sie waren überall, als ob sie einem absichtlich auflauern würden und es gab sie in allen möglichen Größen und Farben, sogar in rosa. Die Welle war aus Japan herübergeschwappt und flutete nun die ganze Welt.

Müde blickte sie sich um, es war ruhig heute Morgen. Die Stadt der Liebe war für ihre vielen Gärten und Parkanlagen bekannt, welche stets voller Leben und Menschen gewesen waren. Früher.

„Was ist heute eigentlich für ein Tag“, sinnierte sie vor sich hin. „Hm, das Jahr, das ist ja noch einfach, 2020. Das kann ich mir sogar merken. Der Monat, Oktober, und wenn die Meteorologen recht behalten, wird es ein goldener Herbst werden, aber der Tag, tja, ist nun Dienstag oder nicht? Irgendetwas sollte doch an diesem Dienstag, dem 20. Oktober stattfinden, die Zeitungen waren schließlich voll davon gewesen. Ist das nun heute?“, grübelte sie leise vor sich hin brabbelnd. Ihr Gedächtnis spielte ihr mal wieder einen Streich. Obschon sie sich auch in jüngeren Jahren nie irgendwelche Zahlen hatte merken können.

Die Sonnenstrahlen streichelten sie zaghaft und sie sah wehmütig auf ihre faltigen Hände herab. Eine Bewegung ließ sie aufschrecken. Da näherte sich ihr jemand mit schnellen Schritten. Es war ein junger Mann, welcher ernst und stur geradeaus blickte.

„Bon…“, setzte sie zum Gruß an, aber das „jour“ blieb ihr im Halse stecken. Er beachtete sie gar nicht erst, als ob sie unsichtbar wäre, und preschte an ihr vorbei.

„Unerzogen!“, sagte sie empört, wollte sich aber nicht davon den Morgen verderben lassen. Wehmütig schaute sie sich um. Kein Vogelgezwitscher, keine Tauben, welche sie hätte füttern können. Das war alles nur die Schuld dieser … oh, wie sie sie doch hasste, diese diese … littering experts. Natürlich musste es ein englisches Wort sein, inmitten ihrer französischen Sprache. Genauso störend wie die Dinger selbst.

Angefangen hatte alles ganz harmlos. Die enormen Kosten, welche durch die Entsorgung des achtlos dahingepfefferten Mülls auf den Strassen entstanden, beunruhigten zunehmend das Budget der Stadtverwaltung. Die littering experts präsentierten sich damals wie Phönix aus der Asche. Zunächst waren es bloß kleine Roboter, welche Jagd auf Kaugummis, Zigarettenstummel und Hundehaufen machten. Mit der Zeit wurde die Technik aber immer ausgereifter, perfekter und sie sorgten für reine, geradezu sterile Bürgersteige. Zusätzlich gab es viele Verordnungen, die das Leben außerhalb der eigenen vier Wände stark einschränkten. Kaugummis wurden nur noch auf Rezept in der Apotheke verkauft. Den Anfang hatte damals Singapur gemacht und die Städte nahmen es sich zu Herzen und zum Vorbild.

„Kaugummis aus der Apotheke“, sagte sie kopfschüttelnd. „Wo führt das nur hin?“

Zugegeben, die Stadt war jetzt sauberer, dafür traten aber andere Probleme im Zusammenhang mit den fleißigen Robotern auf: Mittlerweile bewerteten diese alles auf der Straße als Abfall. Sie unterschieden nicht mehr zwischen Plastik und Tieren, in der Folge entsorgten sie pickende Spatzen gleich mit. Auch so mancher Hund war bereits Opfer ihrer Putzattacken geworden. Doch der Bürgermeister verteidigte seine experts vehement und war insgeheim froh, der Taubenplage elegant Herr geworden zu sein.

„Wenn ich doch nur wüsste, ob heute Dienstag ist und was es damit auf sich hat…“, es ließ ihr einfach keine Ruhe und sie ärgerte sich über sich selbst.

Ja, es war Herbst, aber die Blätter an den Bäumen waren noch saftig und grün. Sie würden sich weder verfärben noch abfallen, denn sie waren künstlich. Als der erste Herbst damals in die Stadt einzog, drehten so manche littering experts durch: Das viele Laub auf dem Boden hatte für reichlich Verwirrung in ihren Schaltkreisen gesorgt. Da die Anschaffung der Roboter teuer gewesen war, beschloss man, sie nicht weiter unnötigen Aufregungen auszusetzen und ersetzte kurzerhand alle Bäume durch präzise Attrappen. Dass man die Jahreszeiten aus dem Stadtbild verdrängt hatte … wem fiel das auf? Den Kindern? Die sich nicht mehr auf den Rasen trauten, um Ball zu spielen. Zu viele Mütter hatten ihre Kinder bereits trösten müssen, als die experts forsch ihre Bälle einkassierten, sie durchstachen und mit dem letzten zischenden „Sch“ verschlangen. Ja, es war sauberer geworden in der Stadt. Sauber, still und … still? Ein merkwürdiges Geräusch war gerade zu vernehmen. Da näherten sich mit einem Mal zwei von der größeren Sorte, gut einmeterdreißig hoch. Ihr wurde es mulmig zumute. Einmal war ihre Handtasche zu Boden gefallen und sie hatte sich regelrecht einen Kampf mit einem expert geliefert, bis er sie wieder rausgerückt hatte. Rasch kamen sie immer näher, bis sie sich rechts und links der Parkbank postierten und begannen an derselben herumzuschrauben.

„Was soll denn das! Verschwindet!“, echauffierte sie sich. Die experts setzten ihre Arbeit unbeirrt fort.

„Na, wartet!“, rief sie und wollte gerade aufstehen, als sie bemerkte, dass sie die Bank mit ihr in die Höhe hievten. Ein kleiner Wagen kam angefahren und sie wurde darauf abgeladen.

„Merde!“ Jetzt wusste sie es wieder: Dienstag würden sämtliche Parkbänke entsorgt werden. Die Menschen wurden angehalten, nicht mehr unnötig irgendwo zu verweilen, sondern stets in Bewegung zu bleiben.

„Lasst mich sofort runter!“, brüllte sie. Aber die experts hörten nicht auf sie. Sie folgten einfach nur ihrem Programm „Abfallbeseitigung“ …

Impressum

Texte: Jane Montgomery
Tag der Veröffentlichung: 30.08.2013

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