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Lucie



- Lucie.... komm runter... wir wollen essen
- Maman.. lass mich in Ruhe, ich will nicht mit euch essen, ich habe keinen Hunger!


Wie jeden Abend, sitze ich in meinem Zimmer, mein Magen schmerzt und mir ist schlecht. Ich will nicht runter, zu meiner "Familie". Da ist meine Mutter, sie arbeitet im örtlichen Krankenhaus, ist Krankenschwester und für mich das krankhafteste Wesen überhaupt. Sie lebt nicht mehr seit vielen Jahren. Sie hat, glaube ich, nie so richtig gelebt, außer als Papa noch da war, da hat sie manchmal sogar gelacht. Wenn sie nach Hause kommt riecht sie nach Äther und Alkohol, ihre Augen sind immer weit offen, als ob sie auf der Lauer nach irgendwelchen Monstern wäre. Vielleicht flüchtet sie ja vor ihrem eigenen Schatten! Wer weiß das schon, oder besser gesagt, wer will das denn schon wissen.

Und dann ist da auch noch Paul, Mamans leibeigener Schmarotzer. Er war einfach irgendwann da! Woher er kam weiß keiner, wohin er will leider auch nicht. Er lebt bei uns, sitzt den ganzen Tag vor dem Fernseher, trinkt gerne Bier, isst gerne Pizza und Steaks. Er ist glaube ich so um die 40 Jahre alt und Arbeit findet er blöd. Er ist sehr intelligent, denn immerhin schafft er es schon seit einem Jahr bei uns zu leben, von uns, aber nicht mit uns! Er verdient kein Geld, hat überhaupt kein Einkommen, lebt deswegen aber nicht schlechter! Das ist doch echt eine Gabe finde ich.

Jeden Abend, wenn Maman aus dem Krankenhaus kommt, macht er ihr ein Cocktail aus Schnaps und Bier damit sie sich erst mal entspannen kann. So ist sie erst mal ruhig gestellt. Später sagt er ihr wie hübsch sie ist, wie jung sie aussieht, wie sehr er sie liebt, und wie gerne er mit ihr schlafen würde. Einfach nur wiederlisch. Dann kommt immer dasselbe, Maman geht duschen, nimmt brav ihre Pillen, die Sie übrigens von "Mister Lover" kriegt, das einzige was er in diesem Haus abgibt, und legt sich ins Bett und wartet auf ihn. Manchmal geht er dann auch zu ihr, dann muss ich mir dieses ekelhafte Stöhnen anhören, zum Glück aber immer nur ein paar Minuten, dann ist wieder Ruhe. Dann geht er duschen und verschwindet, aber nicht bevor er an ihre Handtasche war um wieder mal Geld zu nehmen um seinen Abend außer Hause zu finanzieren. Und manchmal geht er direkt an ihre Handtasche und verschwindet einfach. Dann kann ich Maman weinen hören, das dauert aber länger als das stöhnen.

Also wieso soll ich denn runter gehen? ich bleibe dann doch lieber hier und schaue an meine Decke. Genau hier, unter dem Dach unseres kleinen Häuschens, in einer miesen Straße, in einer miesen Stadt, in einer miesen Zeit, ist alles in Ordnung. Ich habe meinen Frieden. Ein großes schloss an der Türe schützt mich vor dieser ekelhaft riechenden Welt da draußen. In meinem Zimmer riecht es einfach nur nach mir, nach der Schmutzwäsche die ich wieder mal schon seit Wochen vergessen habe runter zu bringen und zu waschen. Es riecht nach Schweiß, aber nach meinem eigenen Schweiß.

Manchmal denke ich das ich vielleicht doch besser lüften sollte, vielleicht würden dann die Zicken in der Schule nicht mehr so die Nase zukneifen wenn ich vorbei laufe, vielleicht könnten wir dann auch Freundinnen werden und zusammen über den Schulplatz schreiten, Jungs den Kopf verdrehen, Mädels die zu schön sind beleidigen und über Mode und Frisur Tipps ernsthafte Themen machen! nööööö das will ich nicht.

Ich bin und bleibe Lucie, zu klein, zu dick, zu stinkend, aber alleine. Keiner kommt mir zu nah und will was von mir wissen.

Als Papa damals weg gefahren ist, hatte er mir versprochen wieder zu kommen, ich sollte hier warten, hatte er gesagt, hier in meinem Zimmer, und da warte ich immer noch. Er wird wieder kommen, er hat es doch versprochen! Er wurde nur irgendwo aufgehalten, seit 4 Jahren probiert er immer wieder zu uns zurück zu kommen, aber es klappt einfach nicht. Natürlich weiß ich dass es nur einen Wunschtraum von mir ist, aber es ist mein Traum und das wird es bleiben. Ich will daran glauben, und solange ich daran denke, muss ich keinen anderen Gedanken in meinem Kopf zulassen.

Es ist also wieder so einen Abend wie immer, zu warm unter dem Dach, aber immer noch besser als unten. Auch wenn es dort kühler ist, scheint die Luft dort viel stickiger zu sein. Ich habe ja hier alles was ich brauche! 2 Liter Cola, Chips, Schokoladenriegel, und sogar eine Packung fett reduzierte Cracker, ist ja nicht so dass ich mich ungesund ernähren würde! Aber eigentlich ist es ja egal ob ich fettfrei oder vollfett esse, das fett sein liegt ja in meinen Genen. Meine Oma war fett, habe ich mal gehört. Maman ist dünn, zu dünn. so möchte ich gar nicht aussehen! wenn ich dünn wäre, würde ich ihr ähneln, vielleicht hätten wir sogar gleiche Gesichtszüge, oh mein Gott, nein, das kann ich nicht zulassen, ihr Gesicht jeden Morgen in meinem Spiegel zu sehen! Ein kalter Schauer lief mir den Rücken runter. Wie konnte ich bloß meine Mutter so sehr hassen? ach ja, egal, sie hat es verdient nehme ich mal an, und würde ich sie lieben, würde sie es sowieso nicht merken! Am Fernseher zeigen sie wieder mal so eine Psycho- Serie, über gewalttätige Kinder die in einem Camp nach Australien sollen, und dort in der Wüste lernen müssen ihre Gefühle und Gedanken zu ordnen. Da würde ich gerne sein, alleine in der Wüste, ohne Maman, ohne Paul und vor allem ohne Mario.

-Lucie.... Lucie... komm schon, steh auf, du weißt doch das du heute pünktlich sein musst.

Meine Augen sind noch geschlossen, und das sollen sie auch bleiben.

-Oh Mann, Maman, lass mich in Ruhe!

ich habe das Gefühl das ist alles was ich meiner Mutter überhaupt noch sage, ist das möglich? wann habe ich das letzte Mal einfach nur eine Frage gestellt, oder eine richtige Antwort gegeben?

-bin in 2 Minuten da, ich komme gleich runter.

Geht doch, war auch ganz einfach!

Ich höre wie meine Mutter die Treppe runter geht, warte noch genau 15 Sekunden und stehe dann auf. Ich verstecke erst einmal die ganzen leeren Tüten und Verpackungen unter meinem Bett. Soll ja keiner sehen das ich Fettarme Cracker esse, na gut, das andere Zeug auch nicht. Die sollen doch alle denken dass ich überhaupt nichts esse... lach... Ich suche im Haufen nach Einigermaassen saubere Kleidung und packe sie unter dem Arm. Ich schleiche mich aus dem Zimmer raus, gehe langsam die Treppe runter und husche ganz schnell ins Badezimmer damit mich keiner sehen kann, und dann auch noch ansprechen würde.. mien danke, das brauche ich heute morgen echt nicht. Duschen, ja, das wird mir gut tun, und außerdem verschafft mir das noch ein paar Minuten in meine einsame Welt. Ich kann die Ruhe in der Küche hören, keinen Ton, das ganze Haus scheint leer zu sein.

Unter dem Wasserstrahl denk ich dass ich so was eigentlich jeden Tag machen könnte, so übel ist das doch gar nicht! aber dann muss ich ja jeden Tag so früh aufstehen! Das möchte ich doch nicht. Als ich nach dem Duschen den Dampf vom Spiegel wische, kann ich mein rundes Gesicht sehen. Wie lange ist den dieses Doppelkinn schon da? und meine Augen scheinen ja ganz geschwollen zu sein, meine Wangen Knochen sind weg, und meine Haut ist so blass!! bin ich den krank? ich sehe aus wie ein Schwein, noch einen Apfel in den Mund stecken und ich bin für ein Grillfest bereit! Und da sind sie wieder, die negative Gedanken. ich bin zu klein, zu fett, aber jetzt stinke ich nicht mehr!


Mein Name ist Lucie, ich bin 12 Jahre alt und hässlich. Habe lange schwarze Haare, kleine braune Augen und wohne in einer kleinen Stadt in Frankreich, mitten im nirgendwo.

Marie



Heute ist der erste Tag in meiner neuen Schule. Ich muss die Schule wechseln, da meine Lehrer der Ansicht waren das es für uns alle besser ist. Ist mir egal, ich hatte dort keine Freunde und keiner wollte mich verstehen, also werde ich in der neuer Schule auch nichts vermissen.
Langsam betrete ich den neuen Schulhof. Den Geruch des nassen Asphalts nach dem Regen letzter Nacht find ich sehr angenehm, so rein und so frisch.

Die neue Schule ist nicht so groß wie die alte. Am Eingang ist ein großer Fahrrad Hof und ein Unterstand mit offenem Fächer für die Schultaschen. Auf der linken Seite befindet sich ein groß asphaltierter Hof, dahinter eine Wiese. Ein paar Schilder verraten mir dass die Kantine und die Bibliothek hinter dem kleinen Kiosk versteckt sind. Rechts ist der Eingang zu den Schulräumen. Alles in dezenten Betongrau gehalten. Ich glaube ich werde mich hier wohl fühlen. Keine übertriebene Heiterkeit, keine gepinselten Regenbögen, und die anderen Kinder scheinen mich noch nicht bemerkt zu haben. Ich schau auf meine Anmeldung, ich soll mich im Sekretariat bei Frau Goya melden. "ist das auch ihr richtiger Name?" frage ich mich mit einem Lächeln auf den Lippen. "oder ist sie auf der Flucht? vielleicht ein Zeugenschutzprogramm? oder hat sie vielleicht was schlimmes gesehen? haben die bösen Jungs der Nesquik Bande sich von ihr beim Kakao verticken auf dem Schulhof erwischen lassen? und jetzt wird sie bedroht und musste die Schule wechseln und ein neues Leben mit einem neuen bescheuerten Namen anfangen?" der Gedanke gefällt mir.
Auf der linken Seite des Gebäudes sind die Büroräume, also da muss ich dann immer hin wenn wieder mal geredet werden muss. Meine Lehrer wollen immer wieder mit mir sprechen, sie denken es würde mir helfen. Die haben ja keine Ahnung! wenn ich mal alles erzählen würde was mir auf der Seele brennt, müsste ich danach bestimmt auch so einen bescheuerter Namen wie Goya tragen und ein neues Leben wo anders anfangen, immer mit der Angst entdeckt zu werden. Na ja, wieso auch nicht? so habe ich doch auch immer Angst erwischt zu werden, habe aber mein altes leben, und jetzt auch noch in eine neue Schule.

Während ich im Vorraum warte bis die geheimnisvolle Frau Goya mich "empfangen" kann, schaue ich mir die Bilder an der Wand an. Alles so Bund mit Blumen, Vögel, Häuser mit schöne Gärten, Bilder mit Mutter-Vater-Kind die fröhlich unter der Sonne spazieren gehen. Bäh, so ein Blödsinn.

"Hallo Lucie“, sagt eine freundliche Stimme plötzlich "oh, entschuldige bitte, ich wollte dich nicht erschrecken!"

Ich schaue hoch, da steht das schönste Wesen auf der Erde. Sie ist groß, sehr groß, und total schlank und schick. Wow.. so möchte ich auch aussehen. Ihre langen braunen Haare fließen glänzend über ihre Schultern bis zu ihren Hüften. Ihr Gesicht ist einfach nur wunderschön. Große freundliche Augen, eine perfekte kleine Stupsnase und einen vollen Mund. Ihr Hals ist lang und schmal, ihre Figur traumhaft, mein Blick endet an ihren langen schlanken Beinen die in eine lockere sportliche Hose stecken. Ist das Frau Goya, oder hat mich ein Amokläufer eben erschossen und ich bin im Himmel angekommen?

"Lucie? alles klar mit dir? du musst keine Angst haben, du wirst dich hier wohl füllen, ich würde dich aber gerne erst noch ein bisschen kennenlernen, wäre das okay für dich?"

Sie schaut mich immer noch so freundlich an, mit einem Lächeln, so wunderschön.

"Ja-ja, ist okay“ stottere ich mit heiserer Stimme. Ihre Schönheit hat mir den Atem geraubt. Das muss ein Engel sein.

Mit weichen Knien folge ich den Engel den Flur entlang in einem kleinen stickigen Raum. Darin befindet sich einer großen, alten Schreibtisch, bestimmt noch aus den 60er, zwei mit Stoff bezogenen Stühle davor und einen modernen Bürostuhl dahinter.

"setzt dich Lucie, ich bin Frau Goya, ich bin die Schulpsychologin, und möchte dich herzlich willkommen bei uns in der Robert Schumann Schule heißen"

Wie bitte? das ist kein Engel? eine Schulpsychotante ist das??? Ich schaue erschreckt hoch, kein Engel, nein, es ist wohl eher der Teufel! Oh mein Gott was mache ich jetzt? Was wenn sie alles über mich rausfindet und zu meiner Mutter geht? Mir wird ein bisschen schwindlig.

"ich habe gesehen dass du viele Probleme in deiner alten Schule hattest, das ist schade,..."

sie spricht weiter, meine Gedanken aber machen zur Ablenkung einen kleinen Ausflug durch den Raum.

Am Boden liegt ein alter Teppich, nicht mehr sehr schön, bestimmt auch aus den 60er Jahren. Wie viele Kinder haben hier schon Tränen fallen lassen, und wie viele Kaugummis kleben wohl unter den Stuhl auf dem ich sitze? An der Wand hängt ein Poster, scheint auch schon alt zu sein. "keine Macht der Drogen" steht ganz groß drauf. Darunter das Bild eines Mädchens das mit einer Zigarette und einer Flasche Bier auf einer Parkbank sitzt und offensichtlich Spaß hat. Sie lacht und schaut glücklich aus. Wieso sollte sie das ändern? sie scheint ja gesund zu sein, schlank und bestimmt auch sehr beliebt!

" Lucie? ist dienstags für dich okay? Ich denke das du heute noch genug aufregendes erleben wirst, ich lass dich dich heute erst mal in Ruhe, ja?

Sie schaut mich belustigt an, es scheint sie nicht zu stören das ich überhaupt nicht zugehört habe. Das alleine macht sie schon sympathisch.

"Wie.. öhm. ja, klar" Ich halte ein Prospekt in der Hand mit der Aufschrift: -Pubertät muss kein Problem sein-. Was war das? habe ich eben einen Date mit Frau Goya? Dienstag nach dem Unterricht? „Diesen Dienstag? " frage ich mit leiser Stimme.

"Jeden Dienstag Lucie, wir treffen uns jeden Dienstag, so gegen 15:30."

"super, ja, ok, na dann bis Dienstag" sag ich und springe vom Stuhl hoch. Meine Knie sind weich, mein Herz droht jederzeit aus meiner Brust zu springen, ich kann fühlen wie der Schweiß in meinem Kopf aus meiner Stirn will und mein Gesicht glüht richtig. Meine Hände sind feucht. Ich stürze aus dem Raum und aus dem Gebäude. Als ich endlich wieder an der frischen Luft bin, kann ich wieder langsam atmen. Was war das denn? habe ich eben mit einer Psychologin gesprochen? und ich kann mich an nichts erinnern, ich hatte meine ganze Aufmerksamkeit dem Poster geschenkt, und an Kathy (so habe ich das Mädchen darauf getauft). Wie lange war ich denn da drin? Ich schaue auf meiner Uhr, "8:50, oh, ich war ja grad mal 10 Minuten drin! da hatte sie bestimmt keine Zeit gehabt mich zu hypnotisieren und mir meine Geheimnisse zu klauen" Bei dem Gedanken werde ich wieder ein bisschen ruhiger.

"Lucie? ist mit dir alles in Ordnung?"

Aus dem Gebäude hinter mir steckt Frau Goya den Kopf aus dem Fenster und schaut mich besorgt an.

"ja, danke, alles okay" wie peinlich mich so zu zeigen!
"okay, dann bis Dienstag" antwortet sie mit einem unglaublich zauberhaften Lächeln.

Sie winkt noch kurz und macht dann das Fenster wieder zu. Ich kann sehen dass sie noch eine Weile hinter dem Fenster steht und mich beobachtet. Was denkt sie wohl von mir? Oh Mann, und ich stehe da, wie abgestellt und nicht abgeholt. Mit meiner "ist mir alles egal“ Haltung. Das erste Mal seit sehr langer Zeit, schäme ich mich nicht besser auf mein Aussehen geachtet zu haben. Wie sehe ich denn auch aus? Da muss ich dringend was gegen tun, sonst will Frau Goya bestimmt nicht lange mit mir was zu tun haben.

Ich würde am liebsten direkt nach Hause rennen und mich umziehen, meine Haare vielleicht ein bisschen entknoten. Soweit es noch möglich ist könnte ich auch mal eine normal Frisur basteln, und vielleicht mal eine von Mamans Gesichtscremes benutzen, aber ich soll ja in den Unterricht, Klasse 7a, war im Moment, laut Plan in meiner noch zitternden Hand, im 2. Stock in Raum 22. Also gehe ich so langsam es nur möglich ist die Treppe hoch. Vor Raum 22 angekommen überlege ich mir noch mal kurz ob es nicht doch besser ist einfach kehrt zu machen und doch noch erst nach Hause zu rennen. Wie sehe ich den auch aus? Ich bin total verschwitzt, mein Kopf brennt immer noch, und der Gedanke da rein zu gehen macht es nicht besser.

„was würde wohl Frau Goya machen?“

Erschrocken drehe ich mich um, der lange weiße Flur ist aber leer, kein Mensch da.

„na Lucie? Was würde sie tun?“
„Wer ist da?“ fragte ich ängstlich während ich mich um die eigene Achse drehe und die andere Seite des Flurs mit weit aufgerissenen Augen mustere.

Das sich Jemand hier verstecken kann ist ziemlich unmöglich, der Flur ist total leer. Kein Schrank oder Kopierer um sich dahinter zu verstecken. Keiner antwortet.
Ich drehe mich wieder um, und während ich die Türe anschaue überlege ich mir was Frau Goya wohl machen würde wenn sie ich wäre, und bin davon überzeugt dass sie einfach anklopfen und in den Raum eintreten würde. Sie würde ihr zauberhaftes lächeln aufsetzen und würde einfach sagen „Hallo zusammen, ich bin Lucie, die neue“.
Ich bin aber „Lucie die hässliche“, und habe noch lange nicht so ein Selbstvertrauen. Meine immer noch zitternde Hand hebt sich langsam zur Tür und ich klopfe ganz leise an. Ich kann mein Blut hören, wie es laut in mir zischt, mir ist schwindelig, vielleicht sollte ich doch nach Hause? Ich könnte ja krank sein und dann alle anstecken, das will doch bestimmt keiner! Im Inneren des Raumes kann man hören wie alles leise wird. Ein freundliches „ja?“ war zu hören und ich mache langsam die Türe auf. Mit gesenkten blick und roten Kopf bewege ich mich langsam zum Pult und übereiche das Anmeldeformular der etwas ältere Damen die dort steht.

„Hallo Lucie, willkommen in der Klasse 7a. Ich bin Frau Rochett, deine Geschichtslehrerin“ sie dreht sich zu der Klasse
„Das ist Lucie, sie ist ab heute auch in eurer Klasse. Lucie kommt aus der Ecole Romaine und wird sich bestimmt freuen euch alle kennen zu lernen“

Wie bitte? Ich will doch hier keinen kennen lernen! Wieso denken die Leute bloß immer dass ich Freunde brauche? Ich merke wie ich meine Hände fest zu Fäusten balle, wie meine schlecht geschnittenen Nägel in meiner Haut bohren. Der Schmerz ist gar nicht so schlecht!

„da hinten ist neben Marie noch einen Platz frei, du kannst dort erst mal Platz nehmen.“

Immer noch den Blick auf den Boden gerichtet bewege ich mich zu dem leeren Tisch, ganz hinten, links, direkt neben der Mauer. „Das ist ein guten Platz„, finde ich, „Hier kann ich einfach mit der Wand verschmelzen und unauffällig und leise meine öden Tage verbringen„.

„Hallo Lucie, schön das du jetzt auch da bist“

Und da war sie, Marie, meine fast-Nachbarin.

Ausgerechnet in Maries Klasse muss ich landen, und dann auch noch neben ihr sitzen, das fängt ja alles gut an, dachte ich mit zusammengekniffenen Lippen. Oh nein, ich werde nicht antworten, ich will nicht mit ihr sprechen.

Marie wohnt in derselben Straße wie ich, ein paar Häuser weiter. Sie wohnt aber in einem schönen Haus, hat tolle Eltern und ist wunderschön. Früher, als Papa noch da war, hatten wir uns oft getroffen um zu spielen. Früher, als Papa noch bei uns lebte und alles in Ordnung war, haben wir oft vor unserem Haus auf den Rasen gespielt, im Waschhaus am Fluss, auf der Brücke oder im Wald gespielt. Ihre großen grünen Augen, ihr rotes Haar, ihre mackenlose weiße Porzellanhaut hat mich schon immer fasziniert. Ihre Sommersprossen geben ihr so einen sanften Gesichtsausdruck. Marie war die Schwester die ich so gerne gehabt hätte und niemals gekriegt habe. Ihr konnte ich früher alles anvertrauen, sie war immer für mich da und wir haben oft gelacht, das war eine schöne Zeit. Nach Papas abreise hatte ich keine Lust mehr auf Spiele, ich sollte doch ein großes Mädchen werden, und große Mädchen spielen nicht am Boden, sagt Maman. Und so hatten wir uns irgendwie aus den Augen verloren.

Den Tag in der Schule ging relativ schnell vorbei, und war nicht so schlimm wie ich mir das vorgestellt hatte. Keiner hat mich angesprochen, außer Marie natürlich, die die Gelegenheit direkt nützte um mich zu fragen ob wir zusammen nach Hause wollen. Ich habe zugestimmt, aber nur damit sie nicht zu lange auf mich zuredet und noch anderes von mir wissen will. Da ich sonst kein Wort mit ihr gesprochen habe, wird sie sowieso nicht auf mich warten, und das ist gut so.
Ich bin aber ziemlich überrascht als ich aus der Schule komme und sie schon auf mich wartete, sie steht da, neben ihrem Fahrrad. Ich habe natürlich kein Fahrrad, und jetzt habe ich die Hoffnung doch noch alleine laufen zu dürfen

„Lucie, hier bin ich!“ ruft sie laut über den ganzen Vorhof und winkte freundlich zu mir rüber.
„Fahr nur, ich habe kein Fahrrad, ich laufe nach Hause“
„oh! Kein Problem, ich schiebe das Teil einfach“
„ist schon ok Marie, fahr du nur“
„Lucie, es macht mir nichts aus mit dir zu laufen, es ist kein Problem. Lass uns doch ein bisschen reden, du warst so still Heute.“

Sie lächelte freundlich, und ich habe das Gefühl das sie wirklich gerne das Fahrrad schiebt, wieso das denn? Wieso will sie den laufen wenn sie fahren könnte? Die ersten paar Minuten laufen wir einfach nebeneinander ohne zu sprechen. „jetzt ist ihr bestimmt langweilig, morgen wird sie nicht wieder auf mich warten“ dachte ich.
Als wir in der Rue du prés laufen fängt sie an zu kichern. Ich schaue sie misstrauisch an.

„Lucie, weiß du noch? Von ein paar Jahren, dort, unter der Brücke? Ich hatte meiner Mutter eine Zigarette geklaut und wir wollten sie zusammen rauchen. Oh wie war uns dabei übel geworden“ ihr Lachen klang sehr fröhlich, und ich musste dabei selbst lächeln und kichern.
„Ja, das weiß ich noch! Wir hatte Streichhölzer mitgenommen die fast alle abgebrochen sind bei dem Versuch sie anzumachen“
„und es regnete an diesem Tag“
Stimmt, jetzt wo sie es erzählt kann ich es wieder vor mir sehen. Wir waren total durchnässt, und die Packung Streichhölzer war feucht geworden. Ich hatte danach so eine angst nach Hause zu gehen, weil ich dachte dass ich diesen fiesen Geschmack in meinem Mund nach dem ersten Zug an der Zigarette nie wieder weg kriegen würde. Maman würde es merken und wieder mit mir schimpfen.
Ich schaue zu Marie und fühle mich wieder wie damals, einfach gut. Sogar der Himmel scheint blauer zu sein, es ist so als ob einen Schleier vor meinen Augen so eben gefallen ist. Die Luft ist so rein, und das alles wegen Marie! Die gute Marie.

Ich schaue auf den staubigen boden wären ich laufe, meine Schuhe sind auch nicht sooo der Bringer, stelle ich bei dieser Gelegenheit fest, und kaput sind sie auch.

„Es war eine schöne Zeit, als wir noch jung waren, nicht wahr Marie?“
„Ja, wir hatte oft viel Spaß“

Sie wirkt nachdenklich, habe ich was Falsches gesagt?
Marie schaut mich an und will was sagen, aber sie läuft doch weiter. Nach ein paar Minuten stilles und verlegenes nebeneinander laufen, bleibt sie doch stehen, schaut mich an und ihre Hand legt sich sanft auf meinem Arm.

„Was ist passiert Lucie? Wieso hast du dich nicht mehr gemeldet? Ich habe dich vermisst“

Sie hat mich vermisst? Wieso hat sie mich den vermisst?

„na ja, ich bin groß geworden, ich spiele nicht mehr und verstecke mich nicht mehr um zu rauchen“

Ihre großen Augen schauen mich erschrocken an

„DU bist groß geworden? Und ICH nicht? Das ist unfair, ich bin also ein kleines Mädchen geblieben das seine Freundin verloren hatte“ sie spitzt ihren Mund ein bisschen und machte so eine schmoll Schnute. Ihre Augen aber schauten belustigt zu mir.
„komm großes Mädchen“ sagt sie plötzlich lachend „Lass uns zum Waschhaus gehen, wir könnten ja dort ein bisschen reden, Steinen in den Fluss schmeißen und so, ich habe gesehen das dort alles neu gemacht wurde, sieht super schön aus und du kannst mir dann sagen wie es ist, ein großes Mädchen zu sein“

Sie hüpft von einem Bein auf das andere und lacht mich fröhlich an.
Maries ehrliche Drolligkeit macht mir Angst, aber es fühlte sich gut an!

„Ich weiß nicht, eigentlich sollte ich ja nach Hause gehen und meine Hausaufgaben machen“
„Deine Hausaufgaben machen? Lucie! Du hast noch nie deine Hausaufgaben gemacht“ Ihr lachen hallte durch die Straße „wir könnten sie aber zusammen machen wenn du Lust hast“

Sie schaute mich erwartungsvoll an. Ich bin es nicht gewohnt so angeschaut zu werden. Normalerweise sind alle froh wenn ich sagen dass ich nach Hause gehe.

„lass uns erst nach Hause gehen, ich muss Maman Bescheid sagen, und du doch bestimmt auch. Wir treffen uns dann in 15 Minuten wieder“ sagte ich
„kein Problem, ich freue mich Lucie“

Sie freut sich mit mir Hausaufgaben im neu renovierten Waschhaus zu machen? Komisch…

Zu Hause angekommen, lauf ich erst in mein Zimmer und nehme gierig meine Zigaretten aus der Schublade.

„Erst mal in Ruhe eine rauchen“.

Ich setze mich auf die Fensterbank und ziehe gierig an der Kippe als ob es die letzte in meinem Leben wäre. Was für ein Tag! Erst Madame Goya, so eine schöne Frau hatte ich noch nie gesehen, und dann Maries Ausstrahlung die mich mit voller Wucht getroffen hat, und dieses Gefühl als sie von der erste Zigarette unter der Brücke erzählt hat! Es war schön sich an der Zeit zu erinnern wo alles noch in Ordnung war. Als Papa noch da war, Maman in der Küche tanzte während dem kochen, und ich und Marie fast täglich uns getroffen haben. Noch einen Zug.
Ich kann fühlen wie der Rauch sich in meiner Lunge verteilt und wie ich langsam entspannter werde. Noch einen Zug.. das ist so gut, wieso soll rauchen den schädlich sein? Ich stelle mir vor wie tausende von Menschen an einem Stand liegen und alle am rauchen sind. Alle liegen total entspannt auf Decken, Matten und Liegestühle und saugen an ihre Zigaretten. Bei jedem ausstoßen des Qualmes stöhnen sie genüsslich. Es ist wie ein Chor das den Geräusch den Wellen Konkurrenz macht. Noch einen Zug.. ahhhh… schöööööönnnnn.

Ich drücke die Zigarette aus und lehne mich an das offene Fenster. Immer noch kann ich das stöhnen der Raucher und das rauschen der Wellen hören.

„Lucie, hey Lucie, wach auf“
„wie, was? Ahhhh..oh! Marie, entschuldige bitte, ich bin gleich unten“ Mist, ich bin eingeschlafen und Marie hat bestimmt auf mich gewartet. So schnell es geht, lauf ich die Treppe runter und stürzte mich aus dem Haus.
„Lucie, ich habe so lange auf dich gewartet, wieso bist du nicht gekommen?“ Sie schaut mich enttäuscht an.
Ein Blick auf meine billige Quarz Uhr lässt mich zucken, ich kann es kaum glauben, das schon fast 19 Uhr war.

„es tut mir leid Marie, ich bin da oben eingeschlafen“
„wollen wir noch die Hausaufgaben machen? Fragt sie etwas genervt.
„nee, lass gut sein, ich werde sie wie immer nicht machen. Tut mir leid Marie, es war nicht meine Absicht dich zu versetzen“
„na gut, wir sehen uns morgen in der Schule, ja?“
„ja klar, bis morgen“

Mist, es ist wieder so typisch für mich, kaum interessiert sich jemand für mich muss ich sie wieder mit meiner Dummheit und meine Faulheit vergraulen.
Ich lauf wieder in das Haus, in der Küche sitzt Maman am Küchentisch und schaute in ihrer Kaffetasse.

„hallo Maman“
„hallo“ antwortete sie apathisch. Ich wusste natürlich sofort was das wieder bedeutete. Sie war wieder betrunken, oder hatte Pillen gegessen, oder vielleicht auch beide! Ach ja, Egal.

Ich gehe wieder die Treppe hoch und lege mich auf mein Bett. Ich muss an Marie denken, sie war ja ganz lieb mit mir, wieso denn das? Könnte es sein das wie doch wieder Freundin werden, so wie früher? Und dann muss ich natürlich das ganze wieder Kaput machen, so typisch für mich. Ich war traurig darüber, aber es war nun mal nicht mehr zu ändern, ich habe wieder mal eine Chance verpennt. Ach was soll´s, hätte sowieso nicht lange gedauert bis Marie gemerkt hätte dass ich nicht normal bin und es nicht gut ist mit mir befreundet zu sein.
Wie jeden Abend, mache ich mein Anlage an, und schöne Musik von früher entführe mich in eine andere Welt, eine vergangene Welt, in der ich gerne gelebt hätte. Ich mag die Musik der 80er, sie sind so hoffnungsvoll und ehrlich. Nicht wie die Musik von heute, wo es nur um Sex, Macht, Prügeleien und so zu sagen „Schönheiten“ geht. Alle hüpfen halb nackt rum und balzen um das andere Geschlecht. Nichts für mich.

Diese Nacht träume ich von Marie und Papa. Ich sah uns zu wie wir im alten Waschhaus in unsere schönen Sonntagskleider sitzen und Scoubidous knüpfen. Wir sind in meinem Traum noch sehr klein, so um die 7 Jahren alt. Diesen Geruch von altem Haus, von Moos auf den Dachpfannen und von dem Wasser das klar unter uns fliest. Herrlich, ich fühle mich sehr wohl und wir lachen über einer Fliege die verzweifelt probiert sich aus einer Spinnwebe zu befreien. Sie drehte und drehte sich und machte das ganz nur noch schlimmer. Papa kommt zu uns und schaut mich liebevoll an. Er reicht mir einen Strauß Wiesenblumen die er unterwegs für mich gepflückt hatte. Ich stand auf um zu ihm zu rennen und merke dabei dass ich plötzlich doch viel größer bin und mich im Waschhaus bücken muss um meinen Kopf nicht an den maroden Holzbalken anzuschlagen. Auf alle vieren krieche ich aus dem Haus raus und schaue zu Papa der immer noch lächelnd vor mir stand. „du bist aber ein großes Mädchen Lucie, das ist schön zu sehen“ Ich wollte zu ihm laufen aber so sehr ich mich bemühte wollten sich meine Beine nicht bewegen. Ich streckte meine Arme nach ihm, er aber schaute dann nur zu und lachte „komm schon Lucie, ich warte auf dich“ tränen in meine Augen ließen ihn nur noch verschwommen erscheinen. Ich rieb meine Augen und dann war er weg! Wo ist er den geblieben? Ich schaute mich panisch um aber außer Marie die immer noch da saß und die bunte Bänder ineinander knotete war keiner zu sehen. Sogar die viele Vögel in den Bäumen waren nicht mehr zu sehen oder zu hören. „Papa“ schrie ich „wo bist du, kommt zurück“

Ich sitze in meinem Bett, meine Lungen ringen nach Luft und ich habe das Gefühl schreien zu müssen um nicht zu platzen. Wieder eine Nacht ohne Erholung, ich werde wieder mal der Rest der Nacht wach in meinem Bett sitzen und mir ganz fest wünschen endlich alt genug zu sein um Weg zu gehen um mein Vater suchen. Und wie immer werde ich irgendwann kurz vor Sonnenaufgang einschlafen und total müde ein paar Stunden danach aufwachen weil diesen verdammten Wecker es so will.
Ich stehe auf und suche in dem Chaos neben meinem Bett, zwischen leere Chips tüten und Cola Dosen nach meine Hausschuhe. Ach was, keine Lust lange noch die Dinger zu suchen. Ich stehe auf um nach unten zu laufen und ein Glas Wasser zu trinken.
Bäh. ekelhaft, in der Küche riecht es wie so oft nach Bier und kalten Zigarettenrauch. Maman war also noch lange wach. Ich kippe das Fenster auf um die frische Landluft rein zu lassen, spüle ein Glas und trinke schnell klares Wasser, das noch nicht mal kalt war.

Als ich wieder zurück in mein Zimmer will, höre ich die Hintertür in der Küche aufgehen. Das ist Paul, er kommt also wieder zurück, schon wieder wurden meine Gebete nicht erhört. Jeden Abend wünsche ich mir dass er einfach wie er gekommen ist, verschwindet. Lautlos und für immer.
Ich stehe oben auf der Treppe als er seine Jacke auf der Bank im Flur wirft. Er schaut hoch und seine Augen sehen seltsam aus. Wie bei Wölfe, angriffsbereit.

„hey, kleine, du sieht ja heute hübsch aus“ sein grinsen machte mir angst, das kenne ich, Mario hat genau dasselbe grinsen wenn ich wieder bei ihm die „Werkstatt putzen“ soll. Nichts wie weg hier!
Voller Panik renne ich in mein Zimmer und schließe die Tür zu. Ich höre Paul lachen, es macht im spaß mir Angst zu machen. So ein Mistkerl. Ich hasse ihn. Vielleicht sollte ich ein Auftragskiller suchen der für wenig Geld Paul in den Allerwerteste schießt!
Zitternd und verheult lege ich mich zusammengerollt in mein Bett und ziehe die Decke über den Kopf. Es kann nicht so weiter gehen, immer diese Angst, und diese Schmerzen. Ich beiße mich auf der Unterlippe bis ich den Geschmack meines Blutes schmecken kann, das hilft immer um den anderen schmerz zu vergessen.

Und schon wieder geht mein Wecker los. Ich bin doch erst grad eingeschlafen, und schon wieder muss ich aufstehen. Na gut, die Nacht war sowieso schrecklich. Ich habe wieder diese Träume gehabt. Ich stehe alleine im Wald, und Wölfe stehen an meiner Seite. Obwohl ich immer Angst von ihnen habe, tun sie mir nichts. Sie schauen mich nur an und heulen ab und zu. Ich habe Angst von ihnen, traue mich aber nicht weg zu laufen.
Ich strecke mich und stehe dann auf. Mist, diese Chips am Boden, jetzt sind die krümel überall. Ich reibe mein Fuß auf den Teppich. So, wieder sauber. Verschlafen aber trotzdem vorsichtig gehe ich die Treppe runter und schaue um die Ecke, zur Couch, wo Paul normalerweise schläft wenn er erst morgens nach Hause kommt. Heute aber nicht, er ist nicht da. Ok, dann ist er wohl bei Maman im Bett. Das ist gut, so kann ich ungestört ins Badezimmer ohne Angst zu haben das er wieder mal, wie es so schön sagt, „pinkeln“ muss wären ich mich im Badezimmer anziehen will.
Als ich nackt im Badezimmer steh schaue ich mich genauer an. Das habe ich schon lange nicht mehr gemacht da ich mich sowieso abstoßend finde. Meine Beine gleichen dem vom Yeti. Lange dunkle Haare überall, von den Zehen bis auf den Oberschenkel. Meine Brüste sind immer noch nicht gewachsen, oder sie versteckt sich unter dem Fett. In meiner Achsel befindet sich der Regenwald Süd Amerikas, und meine Haare sehen aus wie sepia Spagetti, schwarz, lang, keine einzige welle drin, alles hängt auf meinem Kopf. Nicht mal die haben Lust aufzustehen! Eigentlich würde ich mich einfach nur anziehen, die Zähne putzen, die Haare zusammenbinden, und dann wäre ich schon fertig. Heute aber habe ich irgendwie Lust zu duschen, vielleicht sogar meine Haare föhnen, und mein Winterfell rasieren. Hm.. ich habe aber kein Rasierer, und den von Paul, würg, nein, den will ich nicht anfassen.
Ich springe unter der Dusche und genieße das kühle Wasser auf meine verschwitzte Haut. Es ist schön das Wasser aus meinen Haaren zu pressen. Und der Duft der Seife wirkt sogar belebend. Was ist denn mit mir los? Wieso mag ich den plötzlich dieses Gefühl? Ich habe mich Jahren lang so lange es nur möglich war von Körperliche Pflege ferngehalten. Ich schließe meine Augen und sehe vor mir Frau Goya, ihr lächeln, ihre Augen, und ihre Haaren. So will ich auch aussehen, irgendwann, wenn ich eine Frau bin.
Das Handtuch fühlt sich rau an, Maman spart wohl wieder am Weichspüler oder die Wäsche hing wieder tagelang draußen bis sie Lust hatte sie wieder rein zu nehmen. Aber das kratzen auf meiner Haut fühlte sich nicht schlecht an, im Gegenteil. Ich hatte das erste Mal wieder mal das Gefühl richtig sauber zu sein. Toll! Ich kämme meine Haare, föhne sie und gebe ihnen ein paar Wellen, ziemlich unbeholfen, aber irgendwie hat es geklappt. Als ich mich in den Spiegel anschaue, wie die Haare mit einer Welle mein rechtes Auge verdeckt, finde ich es ziemlich cool. Genau das ist mein neuer Look, so will ich ab jetzt immer rumlaufen.
Meine Augen schweifen über das ganze Badezimmer, oh nein, ich habe vergessen frische Wäsche mitzunehmen! Soll ich jetzt nur mit einem Handtuch das sowieso nicht groß genug ist um mein ganzen Körper zu decken, nach oben rennen? Oder den, zugegeben, ziemlich übel riechenden Schlafanzug wieder anziehen. Paul schläft doch bestimmt noch. Ich wickel mich so gut es geht in 2 Handtücher und strecke vorsichtig den Kopf aus dem Badezimmer. Keiner in Sicht, jetzt aber schnell nach oben, schnell. Meine Beine bewegten sich viel schneller als sonst. Die Angst von Paul so erwischt zu werden war recht groß, er würde wieder solche blöde Sprüche machen und ich wäre wieder für den ganzen Tag damit beschäftigt Angst zu haben nach Hause zu gehen.

In meinem Zimmer angekommen werfe ich die Handtücher auf mein Bett und öffne die Türen meines Schrankes. Na toll, da ist ja kaum was drin! Das habe ich davon, wenn ich statt meine Wäsche endlich mal zu waschen immer nur im Bett liege. Im Schrank hängt nur noch die Bluse das ich von Oma bei ihrem Besuch letzten Monat bekommen habe. Es ist aber Lila, und ich hatte mir geschworen niemals dieses Ding anzuziehen. Ich besitze sonst überhaupt keine farbige Klamotten, nur Schwarz, ausgewaschen Schwarz, und sehr ausgewaschen Schwarz. Soll ja schlank machen, habe ich mal irgendwo gelesen. Aber Lila? Soll ich es wagen? In dieser Schule kennt mich ja sowieso keiner, es wird also auch keinem auffallen wenn ich einmal mit einer Lila Bluse und schwarze Jeans ankommen würde. Aber sobald ich heute nach Hause komme, werde ich erst mal waschen, kann ja nicht so schwer sein wenn Maman es sogar mit besoffenem Kopf machen kann!
Ich ziehe die Hose hoch, die übrigens irgendwie lockerer sitzt als sonst, und die Bluse dazu, die passt auch recht gut. Nicht schlecht, denke ich während ich mich von allen Seiten im Spiegel beobachten. Dieses Lila Ding ist schön lang und deckt meinen gigantischen Po.

„das würde Frau Goya gefallen“
„wie.. wer ist da?“ es ist schon wieder diese Stimme, die aus der Schule, aber was macht die den jetzt in meinem Schlafzimmer? Es ist aber keiner da, werde ich jetzt verrückt? Ich setze mich erst mal auf das Bett und denke nach. Ich habe mal gehört dass es sowas gibt wie Stimme im Kopf, soll aber eine ernste Krankheit sein, und krank bin ich doch nicht. Ich habe kein Fieber, ich fühle mich heute sogar sehr gut! Woher kommt den diese Stimme. Sie ist zwar angenehm sanft, aber trotzdem unheimlich. Es stimmt aber, Frau Goya würde es bestimmt gefallen wenn ich wie ein normales Mädchen aussehen würde.

Also gut, stimme hin oder stimme her, sie hat nun mal recht. Ich schaue mich nochmal im Spiegel an. Eigentlich sehe ich darin gar nicht so schlecht aus. Es ist komisch, gestern noch fühlte ich mich wie ein Mastschwein, heute aber wie ein Mädchen. Diese Hormone sind schuld daran, das hatte mir Maman mal erklärt, in einem der seltene Momente wo kein Alkohol und keine Pillen ihren Verstand vernebelt hatten. Ich werde also heute frisch geduscht, sowas von sauber, mit farbige Kleidung und eine Welle vor meinem rechte Augen aus dem Haus um in die Schule zu gehen. Und da stand sie wieder, Marie, meine gute Marie. Sie schaut mich an und ihre Augen leuchten als sie mich so gestylt sieht.

„Lucie, wie hübsch du bist, das ist ja toll dich so zu sehen“
„hatte keine andere Klamotten mehr“ antworte ich abwertend
„hoffentlich passiert das öfter, du sieht echt toll aus“ Ihre Hände berühren sanft meine Armen und sie schaue mich fast liebevoll an.
„danke“ sag ich schüchtern, ich bin es nicht gewohnt Komplimente zu bekommen.
„Komm, lass uns in die Schule gehen und den Jungs zeigen wie hübsch meine Freundin ist“ ihr kichern bringt mich genau wie gestern zum lächeln, aber das mit den Jungs muss eigentlich nicht sein, ich finde Jungs schon lange total dämlich. Ich brauche keinen Paul in meinem Leben, nicht jetzt und nicht später.

„tut mir leid wegen gestern, Marie, ich bin einfach eingeschlafen, ich war so müde“
„ach ja, wir können es ja Heute nachholen, was hältst du davon?“
„hm, eigentlich wollte ich heute Wäsche waschen nach der Schule, sonst habe ich morgen überhaupt nichts anzuziehen, und so ganz ohne Oberteil würde ich nur ungerne zur Schule gehen“
„Oh, ja, das wäre nicht so toll“ Maries Wangen färben sich rot, sie schaut verlegen auf den Boden „ ich kann dir ja helfen, dann machen wir unsere Hausaufgabe bei dir“
„Na ja, ich weiß nicht, Maman möchte ihre Ruhe haben wenn sie von der Arbeit nach Hause kommt“ war natürlich eine Lüge, den sie kriegt sowieso nicht mit was im Haus passiert und da ist ja noch Paul, der fauler Sack, ich kann nicht zulassen das er Marie auch noch mit seine ekelhafte Blicke belästigt.
Marie schaut immer noch auf den Boden während wir weiter laufen.
„vielleicht kannst du ja zu mir kommen?“
„nein Marie, es geht nicht, ich will doch waschen, und da muss ich zu Hause bleiben“
„ok“ sagt sie dann mit einem traurigen Ton, der Blick immer noch nach unten gerichtet.

Sie hat den ganzen Weg nichts mehr gesagt, und ich mache mir Gedanken darüber, ob sie gekränkt ist, und denkt das ich nichts mit ihr zu tun haben will, was total falsch wäre, aber die Wäsche, die muss echt gemacht werden. Und sie zu uns ins Haus lassen, nein, das geht eindeutig nicht.

Der Tag ist schnell vorbei, war gar nicht so schlimm! Als ich aus der Schule komme, steht Marie am Tor und winkt mir zu, jetzt lächelt sie wieder, das ist gut, denke ich.

„Lucie, hallo Lucie“ höre ich von der Seite rufen
„oh, Frau Goya, hallo“ sagte ich zurück als ich Sie am Fenster sah. Ich schaue noch mal kurz zur Marie die immer noch lächelnd am Tor stand und laufe zum Fenster.
„Lucie, du sieht ja heute toll aus! Und wie gefällt dir deine neue Klasse?“
„Gut, alles okay“ ich schaue zum Tor, Marie ist aber nicht mehr da
„Wir sehen uns dann am Dienstag Lucie, ich wünsche dir noch einen schönen Abend“
„Ihnen auch, na dann bis Dienstag“ Oh mein Gott, ist diese Frau schön, denke ich als sie strahlend das Fenster zu macht.

Marie war weg, ich laufe schneller und hoffe sie einholen zu können, aber dann sehe ich wie sie mit anderen Mädels davon läuft. Ich habe es wieder verbockt, wieso habe ich nicht Marie zugerufen das sie warten soll, das ich gleich bei ihr bin. Jetzt laufe ich alleine, den Kopf gesenkt, 50 Meter hinter ihr und ihre super Freundinnen. Ich kann hören wie sie lachen, aber Maries süßen quicken kann ich nicht raus hören. Ich traue mich aber nicht schneller zu gehen, ich will sie nicht aufholen, „sie kann ja stehen bleiben und warten, wenn sie Wert darauf legt mit mir zu laufen“ höre ich mich selbst sagen.

Irgendwann, kurz vor dem Waschhaus laufen wir beide alleine, aber immer noch nicht zusammen. Sie scheint langsamer zu laufen, was ich aber dann auch mache.

Zu Hause war alles wie immer. Maman sitzt in der Küche und scheint sich mit ihrer Tasse zu unterhalten, im Wohnzimmer kann ich den Fernseher hören, also liegt Paul wieder mal auf der Couch, wie immer. Ich gehe sofort hoch in mein Zimmer und setzte mich, wie jeden Tag nach der Schule, erst mal ans Fenster. Ich nehme die Zigaretten aus der Schublade und zünde sie mir an.
„genau das habe ich gebraucht“ denke ich. Ich mache die Augen zu und wieder bin ich auf diesen Stand, mit anderen Rauchern, und wir stöhnen alle zusammen bei jedem Zug mit den Wellen um die Wette.

„Lucie, das ist nicht gut für Dich“

Ich lasse die Zigarette aus dem Fenster fallen und springe auf.

„wer ist da? Das ist nicht lustig! Maman, bist du das?“

Ich renne durch das Zimmer, über leere Chips tüten und Kleidungsstücke, und reiße die Tür auf. Da ist aber keiner.

„Rauchen ist schlecht für dich, Lucie, du willst doch lange leben, wir haben doch beide noch viel vor zusammen.“

„wer ist da?“ langsam bekomme ich jetzt aber Panik, wie kann das sein? Hier ist doch keiner, und ich weiß dass ich nicht krank bin.

„wer bist du? Was willst du von mir?“
Ich schaue in meiner Zimmer rum, aber außer Müll und ein paar alte Möbelstücke kann ich nichts sehen. Da ist ganz sicher keiner, ich bin alleine in meinem Zimmer, alleine mit einer Stimme.

„wer bist du?“ wiederhole ich diesmal aber leise. „was willst du?“

„ich bin es doch, Celina, kannst du dich nicht an mich erinnern? Ich kann dir helfen, wenn du es zulässt. Wir hatten noch viel Spannendes vor, bis du es zugelassen hast dass man mich wegsperrt. Aber es war nicht deine Schuld, Er hat dich gezwungen, ich verzeihe dir. Jetzt aber kann Er uns nicht mehr im Weg stehen, wir können jetzt für immer ein Team bleiben.“

„Celina? Ich kenne keine Celina, und wo bist du? Zeig dich. Wer ist Er, und was erzählst du mir den von einsperren und Team sein? Ich verstehe kein Wort.“

Im Zimmer ist es still, das ganze Haus scheint in der Zeit stehen geblieben zu sein. Sogar draußen war alles still, keine Vögel, Katzen, nicht mal der dämlicher Hund des Nachbars war zu hören.

„Celina?“

Da war aber nichts mehr. Wenn ich nicht meine eigene Stimme hören könnte, würde ich denken dass ich taub bin. Ich steige über den Berg Wäsche und trete absichtlich auf eine halb-leere Chips Tüte. Das Rascheln beruhigt mich. Ich bin doch nicht Taub, aber wieso kann ich sonst nichts mehr hören?

„bis du noch da? Sag doch was“

Draußen kann ich jetzt wieder ein paar Vögel im Baum streiten hören. Und der Hund des Nachbars scheint auch wieder seinem Ruf gerecht zu sein. Ich schaue aus dem Fenster raus, und vergewissere mich das nichts da ist, womit jemand in mein Zimmer klettern könnte. Also wenn Celina keine 3 Meter groß ist, dann müssen ja in meinem Zimmer irgendwo Wanzen und Lautsprecher versteckt sein! Meine Augen werden immer grösser bei dem Gedanken dass vielleicht sogar eine Kamera irgendwo versteckt sein könnte! Nein, nein… bitte nicht. Ich muss sie finden.

Total hysterisch reiße ich meine Zimmertür auf, und schmeiße alle Kleidungstücke die Treppe runter. Dann schmeiße ich alle leere Tüten und Flaschen in die große Sporttasche die schon ewig unbenützt unten in meinem Schrank liegt. Nichts, ich kann nichts finden. Ich steige auf einem Stuhl und schaue auf dem Schrank, aber außer einer ganzen Kolonie Wollmäuse kann ich nichts finden. Von meinem Platz auf dem Stuhl aus, schaue ich durch das Zimmer. Da ist ja kaum was drin, eine Kamera, ein Mikrophon, Lautsprecher, das alles würde man doch sehen, oder etwa nicht? Ich muss raus hier, sofort.

Mit dem Fuß schiebe ich die Wäsche die Treppe runter und trage den riesen Berg zur Waschküche, im Keller. Ich will nichts mehr an Celina denken, ich bin bestimmt nur übermüdet. Ich mache jetzt die Wäsche, dann gehe ich schlafen, und morgen gibt es keine Stimme mehr in meinem Kopf. Das rede ich mir ein. Und sie sagt dass wir Freundinnen waren, aber ich kenne keine Celina, ich verstehe das nicht!

Und wieder reißt mich diesen verfluchten Wecker aus dem Schlaf. Wie ich dieses Ding hasse. Mein erster Gedanken ist Celina. Habe ich das alles geträumt? Vorsichtig öffne ich ein Auge und schaue auf den Boden meines Zimmers. Ich kann den Teppich sehen, also habe ich wirklich mein Zimmer gestern aufgeräumt und nach Spionen Utensilien gesucht? Werde ich verrückt? Wer ist Celina? Wieso spricht sie mit mir? Gibt es sie wirklich oder lebt sie nur in meinem Kopf? Das sind zu viel fragen so früh am Morgen, Ich will nicht so viel denken, also stehe ich auf und mache mich erst mal auf den Weg ins Badezimmer. Duschen wird mir gut tun, als ob ich sie einfach aus meinem Kopf spülen kann. Im Wohnzimmer riecht es nach frisch gewaschenes, das ist ein schönes Gefühl! In der Waschküche, direkt neben der Küche hängt meine ganze Wäsche, alles sauber, ich bin stolz auf mich. Also gehe ich erst mal dahin und suche mir ein Paar saubere, wohlriechende Klamotten aus. Eine schwarze Jeans wird es heute „was denn sonst, ist ja alles schwarz hier“, ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „Böses Mädchen“, Socken, ich habe saubere Socken! Und ein Schwarzen BH. Ja, heute ist ein Schwarzen Tag. Und noch ein Luxus Artikel kommt mit mir ins Badezimmer. Ich habe ein sauberes Handtuch das sogar nach Weichspüler riecht und schön weich ist. Ich fühle mich wie eine Königin. Wenn Maman jetzt auch noch aufsteht und mir ein Frühstück vorbereitet während ich Dusche, sowie sie es früher immer gemacht hat, dann weiß ich dass ich immer noch schlafe.
Das warme Wasser tut mir gut. Ich kann hier meine Gedanken ordnen und über gestern nachdenken.
Ich bin auf den Entschluss gekommen das es Celina nicht gibt, das das Leben doch nicht so scheiße ist, das ich heute in der Schule mich bei Marie entschuldigen werden, ich werde meine Hausaufgaben machen und mir nach der Schule als aller erste einen Rasierer kaufen damit ich mal mein Yeti Fell los werde. Wie kann man mit 12 bloß schon so viele Haare auf den Körper haben? Ich habe bestimmt zu viele männliche Hormone, deshalb gefallen mir Mädchen wohl besser als Jungs! Ach ja, und Celina gibt es nicht, habe ich das schon erwähnt?
Frisch geduscht, mit geföhnte, ja, sogar glänzende Haare, glatte sanfte Haut und sauber Kleidung hüpfe ich aus dem Badezimmer raus. Ich bin Lucie, ein ganz normales 12 jähriges Mädchen, und bin auf den besten Weg auch mal schön zu werden.
Als ich in der Küche blicke fallen mir fast die Augen aus dem Kopf. Da steht Maman und macht sich ein Kaffee. Ich traue mich nicht in die Küche zu laufen, denn wenn auf dem Tisch auch noch ein Frühstück stehen würde, dann wäre diesen wunderschönen Morgen nur einen Traum und ich würde bald in meinem Bett zwischen stinkenden Müll und dreckige Wäsche aufwachen.

„Komm rein Lucie“ sagt Maman ohne den Blick von ihrer Tasse zu nehmen „möchtest du auch ein Kaffee haben?“
„Ich, ich trinke kein Kaffee, was machst du den Hier? Wieso bist du schon auf?“
„Ich wollte dich vor der Schule sehen Lucie, komm doch rein, ich beiße nicht“
„Ist alles in Ordnung mit dir Maman?“
„Ja ja, es geht schon, ich habe nur Kopfschmerzen“

Vorsichtig trete ich die Küche ein, da war aber kein Frühstück auf dem Tisch, zum Glück, aber was will meine Mutter den von mir? Der Tag hat so gut angefangen, ich habe es wohl nicht verdient mehr als eine Stunde am Tag sorglos zu sein.

„Ich habe gesehen dass du deine Wäsche gemacht hast, das ist gut, das ist sehr gut Lucie“
„ja, äh, ich hatte nichts mehr anzuziehen“

Maman schaut mich an, ich kann sehen dass sie geweint hat. Ihr ganzes Gesicht scheint geschwollen zu sein, sie sieht schlecht aus.

„Ich bin eine schlechte Mutter, nicht wahr?“
„Nein, das kann man nicht sagen, du sorgst dich doch um Mich, du gehst arbeiten damit wir im Haus bleiben können, ich habe täglich zu essen, und, und… äh. Nein Maman, du bist keine schlechte Mutter, ich meine, du schlägst mich ja nicht oder so“

Verlegen schaute ich auf meine Füße, ich traue mich nicht meine Mutter in die Augen zu schauen, sonst könnte mein Blick vielleicht doch verraten was ich denke, dass sie wirklich eine lausige Mutter ist. Sie denkt nur an sich und an ihren Paul, ist immer besoffen, denkt überhaupt nicht an Mich oder an Papa.

„Lucie, ich werde im Krankenhaus weniger arbeiten können, sie haben mir die Stunden gekürzt, ich verdiene dann viel weniger und wir müssen eine kleinere Wohnung suchen. Vielleicht in einer anderer Stadt, weg von hier. Wir machen zusammen einen Neuanfang, nur wir zwei Lucie, du und Ich. Es tut mir leid das alles so gekommen ist, es ist alles meine Schuld“
„Das geht aber nicht, wir können hier nicht weg!“ Tränen kullern über mein Gesicht „ Wir müssen hier bleiben, Papa wird wieder kommen und er wird uns nicht finden wenn wir hier weg gehen“ Ich habe das Gefühl kein Luft mehr zu kriegen, Sie kann das nicht machen, was ist bloß los, wieso macht sie immer alles Kaput sobald ich mich gut fühle?
„Ich werde nicht mitkommen, ich bleibe hier“

Ihre Augen scheinen plötzlich voller Wut zu sein. Sie schaut mich an und ihr Gesicht scheint wie versteinert zu sein, so habe ich sie noch nie gesehen!
„Dein Vater wird nicht wieder kommen Lucie, der Dreckskerl hat sich eine neue Familie gesucht und denkt keine Minute an Uns. Du musst aufhören immer an Ihn zu denken, er wird nie mehr wieder zu uns kommen, nie wieder, das kannst du mir glauben und eigentlich solltest du das besser wissen als jeder anderen in dieser verfluchte Stadt! Lucie, wach endlich auf, du bist kein Baby mehr, es ist langsam Zeit für dich zu erfahren was wirklich passiert ist. Lucie, bleib hier, geht jetzt nicht, wir müssen das ein für alle Mal klären, Lucie…“

Ohne weiter zuzuhören, laufe ich in mein Zimmer, nehme meine Schultasche und renne aus dem Haus. Ich glaube Maman war am weinen, das war mir aber egal, sie interessiert es doch auch nicht wie ich mich fühle. Die Tränen trüben meine Sicht, mein Kopf droht jeden Moment zu explodieren, mir ist schlecht, so schlecht. Statt in die Schule zu gehen, laufe ich zum Waschhaus, da habe ich Papa in meinem Traum gesehen, vielleicht kommt er Heute zurück.

Die neuen Holzdielen fühlen sich warm an. Ich setze mich darauf und denke an das was Maman mir gesagt hat. Wie können das Haus nicht mehr bezahlen weil sie weniger arbeiten kann. Also muss mehr Geld her, aber woher? Ich will nicht weg hier. Was wenn Papa kommt und wir nicht mehr hier wohnen? Ich kann ihm nicht mal eine Nachricht schicken, ich weiß ja nicht wo er ist! Und dann ist noch Marie, die einzige Person die lieb zu mir ist, und frau Goya, die neue Schule in der ich mich ehrlich gesagt wohl fühle. Ich habe mich die letze tage so sehr bemüht ein normales Mädchen zu werden, dusche Täglich, will ab heute meine Hausaufgaben machen und mein Zimmer immer schön aufräumen. Ich werde Maman auch im Haushalt helfen, und nicht mehr so viel essen damit wir da sparen können, und keine Musik mehr hören, oder Fernsehen damit wir Strom sparen können. Vielleicht kann ich ja ein paar Sachen verkaufen, aber was? Ich besitze ja nichts Wertvolles! Ich muss Geld besorgen, aber wie?
Plötzlich durchläuft mich einen schauer. Ich weiß wo ich Geld her kriege, aber ich will das eigentlich nicht machen, oh mein Gott, ist es mein Schicksal mit dem einzigen was ich besitze Geld zu verdienen? Ich habe es schon mal gemacht, aber aus Angst, und das Geld das ich dafür bekommen habe liegt immer noch in meinem Schrank weil ich es nicht ausgeben wollte. Der Gedanken alleine lässt mein Magen schon wieder rebellieren, aber jetzt müsste ich es machen um Maman zu helfen das Haus zu behalten. Wieder schießen mir Tränen in die Augen, habe ich eine Wahl? Ich bin schon seit Wochen nicht mehr in die Stadt aus Angst Mario zu treffen, und nun soll er meine Rettung sein?

„mach es nicht“
„Celina? Wo bist du?“
„ich bin hier Lucie, mach es nicht, gehe nicht zu Mario“
„wie kann ich Maman helfen? Ich will nicht weg von hier“
„mach es nicht Lucie, ich kann es nicht zulassen.“
„Celina, wer bist du?
Sie antwortet nicht.

Ich weiß dass sie recht hat, aber wie soll ich sie ernst nehmen wenn ich sie nicht sehen kann? Sie ist doch nur in meinem Kopf. Ich weiß doch selbst das es nicht gut ist, und das eigentlich niemals passieren soll, aber es ist schon oft passiert, und ich habe es doch überlegt, auch wenn die Wunden lange brauchen um zu heilen, auch wenn es weh tut, aber ich muss es machen. Vielleicht kann ich ja erst ein paar Pillen von Paul klauen damit ich danach vergessen kann. Ja, genau so könnte es Funktonnieren. Ich werde zu Mario gehen, Ihn nach Geld bitten und wenn ich das Geld habe, gehe ich nach Hause, nehme eine Pille aus Pauls Jacke, dann kann ich es ja wieder vergessen. Ich muss ein großes Mädchen werden, ich muss dafür sorgen dass wir hier bleiben können, egal was Celina sagt.

Ich bleibe noch eine ganze Weile im Waschhaus und schaue einfach nur in das klare Wasser. Es sieht so kühl aus. Was würde passieren wenn ich jetzt einfach da rein fallen würde? Ich kann schwimmen, aber würde ich das auch nützen? oder würde ich mich einfach auf den Grund sinken lassen? Wie sieht es da unten aus? Wie tief mag der Fluss an dieser Stelle wohl sein?

„Hey, kleines, müsstest du nicht in der Schule sein?“ ruft eine Frau die im Haus daneben im Garten Wäsche aufhängt.
„Nein, mein Lehrer ist krank“ sage ich ohne aufzuschauen, damit sie meine verweinten Augen nicht sehen kann.
Ich stehe auf und laufe weg, den erneut schießen mir die Tränen in die Augen, und mir ist übel, mein Bauch tut weh, ich kann das Blut in meinem Kopf rauschen hören, und schon fast hoffe ich Celina zu hören, das würde mich ablenken.

Mario



Wie ferngesteuert laufe ich in Richtung Stadt. Ich will nicht hin, aber ich habe keine andere Wahl, es muss sein.

Vor der Fahrradwerkstatt bleibe ich stehen. Der Geruch von Ketten Öl und Gummi liegt in der Luft und mein Magen dreht sich um. Mir ist so schlecht, ich bekomme keine Luft und muss mich erst mal auf der kleine Mauer setzen. Soll ich es machen? Gibt es keine andere Möglichkeit an Geld ranzukommen? Ich befürchte nicht, es muss sein, ich muss jetzt da rein. Zitternd und mit gesenktem Blick trete ich in die Werkstatt ein. Mario ist da, hinten an seinem Schreibtisch. Ein Lehrling schraubt an einem Fahrrad und schaut mich freundlich an.

„Hallo, kann ich was für dich tun?“ fragt er mich mit einem total süßen Lächeln
„Ja, oder, nein, ich muss mir Mario sprechen“ sage ich leise
„Klar, er ist da hinten, am Schreibtisch“ und zeigt mir mit einem Schraubenschlüssel die Richtung
„danke“

„Hallo Lucie, schon lange nicht mehr gesehen! Freut mich sehr das du wieder mal vorbei schaust, du bist aber gewachsen, und du bist jedes Mal hübscher“
Er grinst mich an, im Mundwinkel seine Zigarre, und seine Augen funkeln unheimlich in der dunkler Werkstatt. Er ist dabei Geld zu zählen. Ich kann nicht anders, ich muss einfach auf die Scheine schauen, denn er hat das in der Hand was wir dringend brauchen.
„Siehst du dir das Geld an Lucie? Schönes Geld, brauchst du wieder was davon? „
„ja“ sage ich leise
„dann komm nach Feierabend vorbei, du kannst die Werkstatt wischen und ein bisschen saubermachen, dann bekommst du wieder 20¤, ich würde mich sehr freuen, lange ist es her seit dem letzen Mal“
„ich brauche mehr als 20¤“ sage ich mit zittrige Stimme, den ich weiß schon wie schwer es ist das Geld zu verdienen, und wie schrecklich es sein muss noch mehr zu wollen.
„mehr als das? Na ja, wir können ja ein paar extra Aufgaben für dich aussuchen“ sagt er mit einem richtig fiesen grinsen „komm heute Abend vorbei, so gegen 18:30, dann können wir ja darüber sprechen“
„ok“
Ohne aufzuschauen laufe ich so schnell ich kann aus der Werkstatt raus und meine Schulter prallt gegen den freundlichen Lehrling. Für eine ganz kurze Zeit kreuzen sich unsere Blicke und er schaut erschrocken aber verdammt gut aus. Ich habe das Gefühl das er mir in die Seele schauen kann. Weiß er was heute Abend in dieser Werkstatt passieren wird?
Ich renne die ganze Straße lang und bleibe erst wieder stehen als ich einfach nicht mehr atmen kann.

Was habe ich gemacht? Ich bin jetzt auch noch eine Hure, ich werde mich verkaufen.

„mach es nicht Lucie, mach es nicht“
„ach, halt dein Maul Celina, was soll ich denn sonst machen? Hä? Hast du eine bessere Idee, dann her damit, ich warte“ schreie ich auf.

Eine alte Dame die mit ihrem Hund vor mir stand schaut mich erschrocken an. Sie schüttelt aber nur mit dem Kopf und murmel sowas wie „diese Jungend, immer…“ der Rest habe ich nicht verstanden, war mir auch egal.

Ich setze mich auf einer Parkbank am Ende der Straße und rauche erst mal eine Zigarette. Das Passanten mich abwertend anschauen ist mir egal, ich habe es verdient wie Dreck behandelt zu werden, ich bin eine Hure.

Plötzlich sitzt er da, neben mir, der freundlicher Lehrling aus Marios Werkstatt.

„hi, alles klar bei dir?“ fragt er
„ja, geht so“
„hast du Probleme mit Mario? Schuldest du ihm Geld?“
„nein, alles ok“
„sicher? Du schaust gequält aus, ich würde dir gerne helfen wenn ich darf“
„na ja, mein Leben ist kein Zuckerschlecken, aber ich glaube nicht das du mir da helfen kannst“
„vielleicht doch! Ich heiße Übrigends Thomas, und kann schlechte Tage einfach verschwinden lassen“

Er schaut mich belustigt an, er hat ein wunderschönes Gesicht, sehr gepflegt und freundlich, aber zaubern kann er bestimmt nicht.

„und?“ fragt er „ soll ich für dich einen Tag verschwinden lassen?“
„wie willst du das machen?“
„hier, nimm das und entspann dich“

Er reicht mir eine kleine Tüte mir 2 Pillen drin, eine pink, die andere gelb. Drogen? Sind das Drogen? Ich wollte ja sowieso Pauls Pillen nehmen, und so kann ich sie sogar vorher schon nehmen und viel mehr verdienen bei Mario. Doch senke ich den Blick und gebe Thomas die Tüte zurück.

„Ich habe kein Geld, ich kann dir nichts dafür geben“
Er nimmt meine Hand in seine, und schließt meine Finger über die Pillen. Seine Hände sind warm, sehr angenehm. Er schaut mich sanft an.
„ich will dir helfen, schöne unbekannte, ich will nichts dafür haben. Es ist ein Geschenk von mir, an einem schönen Mädchen. Diesen Augen sollen nicht weiter weinen“

Seine Wörter lassen mein Gesicht erröten, es ist ein schönes Gefühl begehrt zu werten, und das alles weil ich meine Haare geföhnt habe! Toll, so macht man das also!

„Du kannst eine sofort nehmen, und eine später. Denk an mich wenn du dich wieder wohl fühlst.“

Er küsst sanft meine Hand, schaut mir dabei tief in die Augen und verschwindet ohne sich umzudrehen. Ich sitze einfach da und kann mich nicht mehr bewegen. Ich bin verliebt, ja, das muss es sein, LIEBE. Er findet mich schön, und küsst mich sogar. Er will meine Augen nicht weinen sehen, er liebt mich also auch.

Wie Thomas es mir gesagt hat, nehme ich eine Pille sofort, und schon nach ein paar Minuten kann ich es spüren, ich fühle mich viel besser, so leicht, so frei. Es ist schön endlich unbeschwert und frei denken zu können. Sogar die Farben der Straße scheinen mir freundlicher, alle schauen mich freundlich an, sehe ich so gut aus wenn ich auf einem Trip bin? Toll, das ist wohl der Trick der Models! Also das Zeug will ich öfter nehmen! Ich stehe auf und laufe durch eine kleine Wiese auf dem Platz, es ist so angenehm dass ich die Schuhe ausziehe um das Grass zwischen meine Zehen spüren möchte. Während ich lachend und mit „Muse“ im Ohr mich immer wieder um die eigene Achse drehe falle ich auf die Wiese, und bleibe einfach da liegen. Am Himmel sehe ich Zwischen den Wolken seltsame Gebilde. Aber egal wie schrecklich sie aussehen, sie machen mich glücklich. Es sollte mir angst machen, tut es aber nicht. Ich habe Lust auf mehr, mehr von den Bildern, ich will mehr. In meinem Kopf spielen sich seltsame Szenen ab. Ich sehe Maman und Papa streiten, ich kann sehen wie er mich in die Arme nimmt, ich bin aber dann viel älter als damals, als er uns verlassen hat. Er sagt mir was von „ ich nimm dich jetzt mit, du bleibst bei mir, für immer“ und dann sehe ich nur noch rot, die Wolken färben sich rot, dann schwarz, dann fühle ich wie Regen über mich tropft. Langsam kehre ich zur Realität zurück.
Am Rand der Wiese hat sich ein Grüppchen von fremden Menschen versammelt. Ich kann hören das sie über mich sprechen, sie fragen sich ob ich Hilfe brauche, andere sagen das die Jugend, heutzutage, blablabla, eine Stimme sagt das wie die Mutter, so die Tochter… das tat erst mal weh, aber egal, mir geht es gut. Ich setzte mich auf und frage laut ob sie nichts anderes vor haben als junge Mädels zu beobachten. Wie verscheuchte Ratten ziehen sie ab.
Ich stehe auf und setzte mich wieder auf die Bank. Ich fühle mich immer noch unglaublich gut und glaube das ich auch anders Geld verdienen kann, schließlich kann ich keine Nutte werden wenn ich mit Thomas zusammen bin. Thomas, der süßen Jungen der mir diesen wunderschönen Moment geschenkt hat. Eine Pille habe ich ja noch, aber die werde ich liebe heute Abend benützen um besser einschlafen zu können, vielleicht sehe ich Papa dann wieder und kann dann in seine armen einschlafen! Meine Augenlieder werden schwer, und während ich mir vorstelle in Papas Arm zu liegen, schlafe ich zufrieden ein.

„Hallo, Junges Fräulein, aufwachen“
Ich öffne meine Augen und vor mir steht einen freundlichen alten Mann.
„ist bei dir alles in Ordnung?“
„Ähm.. ja.. ja klar, alles in Ordnung, danke“ Der alte Mann sieht gut aus. Sein Lächeln und seine Augen strahlen so eine Zufriedenheit aus. Seine Haut so dünn wie Seitenpapier und auch so zerknittert, aber wunderschön. So einen Opa möchte ich haben. Ein Opa der mich verwöhnt und einfach nur lieb hat.
„Du bist ja ganz nass, du Arme. Geh doch nach Hause und trockne dich gut ab, sonst wirst du ja noch krank.“ Sagt er sanft.
„Ja, danke, genau das werde ich machen, danke“
Er lächelt mich noch an, und geht langsam und wackelig weiter seinen Weg. Bestimmt geht er jetzt nach Hause, zu seiner alten Frau, und sie werden zusammen Tee trinken und Kekse essen. In der Küche riecht es nach den Apfelkuchen, den sie mit viel Liebe für die Enkelkinder gemacht hat. Immer wenn sie die Oma besuchen gibt es Apfelkuchen und Kakao.
Ich kann es riechen, ich habe Hunger, aber ich werde nichts davon bekommen.

Ich glaube ich gehe einfach wieder nach Hause, und Mario kann selbst „putzen“. Ja, das mache ich. Ich kann es aber nicht lassen noch mal an der Werkstatt vorbei zu laufen. Ich will ihn nur noch einmal sehen. Thomas, was für einen schönen Namen. Wie alt mag er wohl sein? 16, 17? Egal, wenn man liebt spiel das alter keine Rolle, hat ich mal gehört. Als ich davor stehe und reinschaue kommt Mario raus.

„na kleine, kannst du es nicht abwarten? Ich habe auch jetzt Zeit wenn du willst, ich freue mich schon auf Dich“
„öhm. nein, ich muss noch was erledigen, aber eigentlich, ich weiß nicht, vielleicht lassen wir es doch sein“ mit gesenktem Blick warte ich auf seine Antwort, auch wenn ich sie ja schon kenne. Jetzt muss ich hart bleiben, ich muss einfach nur Nein sagen und gehen, aber ich weiß nicht, ich möchte ihn nicht verärgern. Aber ich muss doch nur Nein sagen.
„glaubst du wirklich, kleines Fräulein, das du jetzt noch einen Rückzieher machen kannst? Oh nein Lucie, du wirst zu mir kommen, du wolltest es, du bist zu mir gekommen! Oder soll ich doch zu deiner Mutter gehen und Ihr erzählen dass du dich für Geld verkaufen wolltest? Du weißt doch ganz genau wer man glauben wird. Dir nicht!

Mein ganzer Körper zittert, mein Magen krampft sich zusammen, er hat recht, niemand wird mir glauben.

„lauf Lucie, lauf, er wird es nicht riskieren.

Oh Celina, wenn ich nur auf dich gehört hätte, jetzt stehe ich wie angewurzelt vor Mario und kann nicht weg, ich muss jetzt da durch, ich habe keine Wahl. Nachdem er links und rechts geschaut hat und sich versichert hat dass keiner in der Straße ist um zu sehen dass ich zitternd vor ihm stehe, führt er mich in die Werkstatt. Verzweifelt mustere ich der Raum ab, wo ist Thomas? Er ist nicht da, sein Arbeitsplatz ist leer, und ich bin es jetzt auch.

„ich muss auf die Toilette“ wimmer ich leise vor mich hin
„du weißt ja wo es ist, ich mache hier erst mal alles zu, lass mich aber nicht zu lange warten“
„ja“

In dem Waschraum ist es dunkel, und es riecht nach Schimmel und Zigarre, einfach nur widerlich. Ich kenne dieser Geruch nur zu gut. Während ich mich im dreckigen Spiegel in die Augen schaue, kann ich hören wie er da draußen die Türen mit großen Krach schließt und die Rollos runterlässt.

„brauchst du noch lange?“ ruft er barsch
„nur noch 1 Minute“ antworte ich gespielt fröhlich

Ok, jetzt muss ich was machen. Ich nehme einfach die zweite Pille. Wieso nicht, so kann ich entspannt mir die ganzen schönen Bilder anschauen und werde nicht merken was das Schwein mit mir macht!

Als ich die Türe öffne, steht Mario vor mir, sein Atem riecht nach Alkohol und kalten Rauch, aber irgendwie stört mich das nicht so wie sonst. Na dann, los geht’s, Geld verdienen damit wir nicht weg müssen. Ich kann jetzt sowieso nicht aus der Stadt, was würde ich ohne Thomas machen? Langsam scheint der Raum sein unheimliches Licht zu verlieren, ich fühle mich fast wohl hier, komisch. Die Pillen, ja, sie helfen mir.
„und, wie viel willst du haben?“
„so viel wie möglich“ antworte ich frech
„oh oh, das ist gut! Mach einfach was ich sage, und sei lieb zu Papa Mario, dann wirst du nicht enttäuscht sein. Heute muss mein Glückstag sein!“

Das Kornfeld



Es ist 7 Uhr, ich muss aufstehen, der Wecker hat schon geklingelt und draußen scheint die Sonne schon. Ich habe Kopfschmerzen und kann mich kaum bewegen. Mein ganzen Körper Schmerz, was habe ich getan? Oh mein Gott, ich kann mich überhaupt nicht mehr an Gestern erinnern! Was ist bei Mario passiert? Habe ich Geld bekommen? Wie viel? Was musste ich machen? Bin ich verletzt? So viele Fragen, aber ich habe Angst von den Antworten. Ich traue mich nicht die Decke zur Seite zu schieben um nachzusehen ob ich wieder blaue Flecken an den Beinen habe, so war es ja das letzte Mal.

„Lucie, komm schnell runter, komm schnell Lucie… Lucie…“
„oh mein Gott, Maman, was schreist du denn so?“

Oh! Oh! Wieso schreit sie denn so? bitte lieber Gott, lass sie nicht erfahren was ich gestern getan habe, bitte, ich würde das nicht überleben! Tränen fließen über mein Gesicht, ich fühle mich dreckig und stinkend. Ich kann Marios Geruch an mir riechen, mein ganzer Körper riecht nach Motorenöl. Ich rolle mich zusammen und hoffe einfach wieder schlafen zu können. Da sehe ich sein Gesicht, so schön und sanft. Thomas, ja, er kann mir helfen. Jetzt muss ich aber erst unter die Dusche.

Langsam stehe ich auf, mein Bauch schmerzt, meine Beine fühlen sich so betäubt an, mein Mund ist trocken und ich habe Kopfschmerzen. Das wird ja wieder mal einen schönen Tag.

Ich kann hören wie Maman unten hin und her läuft, sie scheint ja total aus dem Häuschen zu sein, aber irgendwie fröhlich, den sonst wäre sie schon längst vor meiner Tür stehen und an der Türe hämmern. Sie kann also nicht wissen was ich getan habe, schließlich weiß ich es ja selbst noch nicht mal wirklich!

Vorsichtig mache ich die Türe auf und schaue die Treppe runter, sie läuft aufgeregt von dem Wohnzimmer in die Küche und wieder zurück.

„Ah, Lucie, komm schnell, ich muss dir was zeigen, du wirst es nicht glaube!

Als ich die Stufen runter laufe, sehe ich dass meine Beine und meine Arme voll mit blauen Flecken sind, so darf sie mich nicht sehen, aber schon steht sie vor mir. Ihre Augen strahlen förmlich, sie sieht absolut glücklich aus, was ist bloß passiert? Ist vielleicht Papa wieder da?

„Lucie, schau mal was ich auf dem Küchentisch gefunden habe, das muss von Paul sein, ich wusste doch das er bald einsehen wird das er uns helfen muss, schau mal, Geld! Hier, 150¤ und ein Zettel mit einem Herz drauf, er liebt mich, Lucie, er liebt mich und wird uns jetzt helfen, alles wird gut meine Süße, er wird uns beiden helfen, alles wird wieder gut, wir werden wieder eine richtige Familie, oh Lucie, alles wird gut“ und sie nimmt mich in die Arme.

Ich schaue mir den Zettel an und erkenne dieses Herz, mit der geschwungene spitze, das habe ich gemacht, der Zettel kommt aus meinem Schreibheft, ich habe den Zettel hin gelegt, und das Geld, das muss mein Geld sein, von Mario, aber so viel? Wie kann sie bloß glauben dass diesen Bastard namens Paul ihr Geld gegeben hat?

„Maman, das ist nicht von Paul, das … äh ... das Geld ist von … hm … „ ich kann ihr nicht sagen das es von mir ist, sie würde fragen woher ich es habe und was soll ich dann sagen? „ das kommt sicher von Papa, er war bestimmt diese Nacht da und hat uns Geld da gelassen.

„Lucie, wie kannst du das sagen? Wieso willst du nicht das ich glücklich werden? Paul liebt mich und ich liebe Paul, ich will nie wieder, hörst du mich?“ sie nimmt mein Kinn in ihre Hand und zwinge mich sie anzuschauen. „Nie wieder will ich dass du deinen Erzeuger hier erwähnst, er wird nicht kommen, er wird uns nicht helfen, nie, nie, nie wieder, verstehe das endlich Lucie. Oh mein Gott, wieso hasst du mich so sehr? Wieso willst du nicht einsehen das ich nicht alleine sein will, ich will auch einen Mann an meiner Seite haben, und das ist Paul.“

Ihr fröhliches lächeln ist weg, ihre Augen füllen sich mit Tränen, ihr ganzer Körper zittert, sie schaut so unglücklich aus, und wieder bin ich schuld daran. Ich will sie in meinen Arm nehmen, aber sie dreht sich einfach um und geht in die Küche. Was bin ich den für eine schlechte Tochter. Sie hat Recht, sie soll glücklich mit einem Mann sein, und wenn es Paul sein soll, dann muss es so sein. Ich bekomme immer mehr das Gefühl das meinen Platz nicht mehr hier ist. Sie sagt es ja selbst, sie will nicht alleine sein, also bin ich für sie ja nicht mehr anwesend. Ich zähle nicht mehr in ihrem Leben. Vielleicht sollte ich einfach verschwinden.

Ich stehe unter der Dusche und überlege mir wie ich das machen soll. Ich muss gehen, hier ist kein Platz mehr für mich.

Ich könnte ja bei Mario noch mehr Geld verdienen wenn er so viel bezahlt! und es selbst behalten. Damit könnte ich einen Ticket kaufen und in irgendeinem Zug steigen und Papa suchen. Ich bin sicher das ich ihn finden könnte, ich weiß ja das er in einer großer Stadt lebt, er hat eine neue Familie, also könnte ich erst mal in Telefonbücher nach dem Namen suchen, in allen große Städte Frankreichs suchen. Genau, und wenn ich weiß wo er ist, dann gehe ich einfach zu ihm, er wird sich freuen mich zu sehen und ich könnte bei ihm leben, mit seiner Familie. Da hätte ich einen neue Mutter, und sogar Geschwister. Einen Neuanfang mit Papa. Bei diesem Gedanken fühle ich mich unglaublich leicht, es wird wunderschön werden. Maman könnte dann mit Paul glücklich werden, und ich müsste nie wieder zu Mario. Aber was ist mit Thomas? Ich muss im sagen was ich vorhabe, dann kann er mir helfen in dem er mir mehr Pillen gibt damit ich bei Mario viel Geld verdienen kann um alles für die Reise vorbereiten kann.

Als ich aus dem Badezimmer komme, sehe ich wie Maman am Küchentisch sitzt und wieder in ihrem Kaffee schaut. Es ist wieder soweit, sie hat wieder Kaffee mit Schuss getrunken, sie wird nichts von meinen Plänen mitkriegen.

Es klingelt an der Türe, Marie ist da und will mich für die Schule abholen. Na gut, nur noch ein paar Tage, dann bin ich ja hier eh weg. Aber nach der Schule muss ich zu Thomas, ich will sein Gesicht sehen, und freue mich schon auf ihn.

„Hallo Marie, ich bin gleich soweit, 5 Minuten noch“
„ok, ich warte aber lieber draußen, ich will deine Mutter nicht stören“ Sie schaut in die Küche und ich kann sehen was sie denkt, wie peinlich!

Ich renne hoch in mein Zimmer, schnappe meine Schultasche und ziehe meine Turnschuhe an. Ich muss noch eine Jacke anziehen, keiner soll die Flecken an meine Handgelenke sehen.

Auf dem Weg zur Schule redet Marie ununterbrochen. Sie war gestern Abend mit ihre Eltern im Kino, haben danach Eis gegessen und sind dann noch spazieren gegangen. Ich beneide sie, sie hat so ein Glück solche tolle Eltern zu haben. Ihr Vater ist groß, sieht toll aus und arbeitet in einer Webeagentur. Er verdient bestimmt viel Geld. Ihre Mutter ist den ganzen Tag zuhause, ich habe gehört dass sie Krank ist, habe mich aber nie getraut Marie zu fragen ob es stimmt. Sie soll Depressionen haben, aber wie kann man so oft traurig sein wenn man alles hat? Einen gut aussehenden Mann der viel Geld verdient, eine absolut klasse Tochter, die hübsch und klug ist, ein Traumhaus mit jedem Luxus den man sich wünsche kann. Sie haben sogar eine Putzhilfe, Nadine, sie war früher das Kindermädchen und jetzt macht sie den Haushalt.

„… und was hast du gestern gemacht?“
„och, nicht viel, ich habe zuhause Musik gehört und bin früh schlafen gegangen“
„ ach so, ich dachte du bist krank, du warst nicht in der Schule und Frau Goya hat dich gesucht“

Frau Goya! Mist, gestern war wohl Dienstag, ich habe es ganz vergessen, ich hatte doch ein Termin bei ihr. Ich muss mich dann wohl heute bei ihr melden. Ich hoffe sie bemerkt nicht was ich gestern gemacht habe.

An der Schule angekommen, sehe ich sie schon. Sie steht vor dem Verwaltungsgebäude und scheint auf jemanden zu warten. Sie schaut ungeduldig auf die Uhr. Als sie mich sieht, winkt sie mir freundlich zu.

„Hallo Lucie, ich habe dich gestern vermisst, warst du Krank?“
„Ja“ lüge ich „ich hatte Kopfschmerzen und mir war den ganzen Tag übel“ ich schaue dabei die ganze Zeit auf den Boden, ich schäme mich so. Ich ziehe die Ärmel meine Jacke über meine Hände, sie soll meine Gelenke nicht sehen.
„Ich hoffe dir geht es heute besser, komm bitte vorbei nach dem Unterricht, ja! Ich rufe deine Mutter an und sag ihr Bescheid das du heute eine Stunde später nach Hause kommst“
„ok“
„Ach ja, es stört dich doch nicht wenn ich einen Kollege bei unserem Gespräch dabei habe, er ist sehr nett, und wenn du ihn nicht magst, können wir ihn immer noch aus dem Raum bitten“ Sie lächelt mich an. Sie ist so unglaublich hübsch, ob sie wohl verheiratet ist oder in feste Hände? Bestimmt. Wenn ich ein Mann wäre, ich würde alles für diese Frau machen. Es muss wunderschön sein am Morgen so ein freundliches Gesicht zu sehen. Wenn nur Maman ein bisschen was von Frau Goya hätte. Ich fühle mich jetzt wieder viel besser, ich bin mir sicher, ich brauche andere Leute in meinem Leben. Ich kann nicht bei Maman bleiben, ich will es auch nicht. Ihre Sauferei und ihre miese Launen will ich nicht mehr ertragen. Ich werde gehen, das ist sicher. Nur Marie und Frau Goya werde ich vermissen, und natürlich Thomas, aber vielleicht kommt er ja sogar mit mir! Er liebt mich doch, und er will mich nicht weinen sehen, also wird er mich nicht alleine gehen lassen. Bei dem Gedanken kann ich nicht anders als lächeln.

„Na, einen schönen Gedanken so früh am Morgen? Du siehst hübsch aus wenn du lächelst. Also bis später Lucie“

Und schon verschwindet sie hinter der Glas Türe. Ihre langen Haare scheinen im Durchzug zu schweben. Sie sieht schon fast unrealistisch aus. Vielleicht gibt es sie auch gar nicht und ich träume nur die ganze Zeit von ihr! Ich habe mal so einen Film gesehen, da hatte so einen Kerl einen besten Freund, Jahren lang. Und am Schluss kam raus dass er nur eine Phantasie war. Es gab ihn gar nicht, und der Kerl war schwer krank, psychisch krank weil er immer einsam war. Vielleicht passiert mir das auch mal.

„Lucie, träumst du wieder? Es hat schon geklingelt, wir müssen rein!“ Marie zieht an meinem arm und der Ärmel rutscht nach oben.
„was ist das? Was ist den passiert?“
„och das? Ich bin gestolpert als ich von der Terrasse in den Garten wollte, nichts schlimmes, tut auch nicht weh“ ich ziehe der Ärmel nervös wieder runter und laufe ins Gebäude.
„Komm schon, wir sind schon zu spät“ rufe ich Marie zu ohne mich umzudrehen.

Als ich an der Türe zum Klassenraum klopfen will, merke ich dass sie nicht da ist. Sie ist nicht nachgekommen, wo bleibt sie den nur? Ich schaue mich im Flur um dann kommt sie endlich, sichtlich geschockt und schaut mich mit ihre große Augen an.

„ich muss mit dir reden Lucie, in der Pause, ok?
„ja, klar, komm jetzt, wir kriegen sonst ärger“

In der Pause setzen wir uns auf einer Bank, ganz hinten im Hof, wo sonst keiner kommt. Ich habe Angst von dem was auf mich zukommen wird. Sie wird bestimmt fragen was passiert ist, meine Geschichte war ja nicht wirklich glaubhaft. Wir sitzen erst eine ganze Weile einfach nur rum bis sie mir plötzlich die Hand nimmt.

„Lucie, Nadine hat mir was erzählt und ich möchte wissen ob das stimmt“
„Ach ja, was den?“ Mist, weiß denn schon jeder was ich getan habe?
„Sie hat mir erzählt das eine Frau im Einkaufszentrum erzählt hat das deine Mutter schlecht zu dir ist. Hat sie dir das angetan?“
Ich schaue sie an, sie schaut nur auf Ihre Schuhe. Ich kann spüren wie richtige Wut in mir aufkommt, ich bohre meine Nägel wieder fest in meine Hand, es soll weh tun, es soll doch endlich weh tun! Dann kann ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich springe auf und stelle mich vor Marie, die erschrocken und mit verängstigten Augen zu mir aufschaut.
„Wie kannst du sowas sagen? Du kennst meine Mutter überhaupt nicht, sie geht jeden Tag arbeiten um alles bezahlen zu können. Sie hat mich nie geschlagen, und sie würde mir nie weh tun. Ihr super schlaue reiche Leute denkt doch immer das wie „arme Leute“ nur Gewalt und Alkohol kennen. Ja klar, wir saufen jeden Abend uns die Birne zu, dann rauchen wir noch ein paar Joints und schlagen uns die Köpfe ein.“ Ich laufen hin und her, ich spüre das erste Mal richtig das Bedürfnis auf irgendwas einzuschlagen und ich glaube Marie hat das gemerkt, sie sitzt immer noch zitternd auf der Bank. „Maman hat damit nichts zu tun, sie weiß es nicht und darf es auch nicht erfahren. Solltest du ein Wort darüber verlieren, wirst du mich kennen lernen. Ich warne dich, keiner soll erfahren das ich blaue Flecken habe, sonst… sonst… ähm. ach egal“
Ich drehe mich um und laufe einfach weg ohne Marie noch mal anzuschauen. Ich habe selbst Angst von mir. Ohne nachzudenken zünde ich während ich den Schulhof durchquere eine Zigarette an. Am Tor angekommen höre ich wie Marie nach mir ruft.

„Lucie, Lucie, lauf nicht weg“

Ich drehe mich nicht um und verlasse das Schulgelände.

Zu Hause angekommen gehe ich in mein Zimmer und lege mich einfach ins Bett.

Ich will einfach nur schlafen. Ich bin müde und will heute niemanden sehen. Zum Glück ist Maman noch nicht da, sie wird gar nicht merken dass ich schon so früh nach Hause gekommen bin.

„Lucie, bist du da oben?“
Oh nein, sie ist schon da! Ein Blick auf meinem Wecker sagt mir dass schon 18 Uhr ist.
„Lucie, komm runter, es ist was Schlimmes Passiert
Was Schlimmes? Was könnte das schon sein? Ist das Bier alle?
Ich höre wie meine Mutter die Treppe hoch kommt und schon steht sie in meinem Zimmer
„Maman, du kannst nicht einfach so rein kommen, das ist mein Zimmer.“
„Marie ist unten, ihr Vater hatte einen Unfall, sie braucht dich“
Maman erzählt mir das Maries Vater bei einem Autounfall auf den Weg zur Arbeit heute Morgen gestorben ist und ihre Mutter im Krankenhaus liegt.
„Oh Mann, ich möchte einfach nur in Ruhe ein bisschen schlafen!“ sage ich ohne nachzudenken.
„Wie kannst du sowas sagen?“ Maman schaut mich entsetzt an und geht aus meinem Zimmer.

Wie konnte ich so kalt sein? Marie brauchte ganz dringend jemanden, sie hatte ihren Vater verloren und ihre Mutter ist im Krankenhaus, und ich will ein bisschen schlafen?? kein Wunder das keiner mit mir was zu tun haben will, würde ich auch nicht wenn ich nicht in diesem ekelhaften Körper stecken würde! oh man, Okay, ich stehe schon auf.

Hilft nichts, ich muss jetzt da raus und Marie entgegen treten. Was soll ich denn machen? Vor ein paar Stunden noch habe ich sie bedroht und jetzt ist sie trotzdem bei mir um Trost zu suchen. Ich kann sie nicht in die Arme nehmen, so was habe ich seit 4 Jahren nicht mehr gemacht. Ich betrete also in die Küche, Marie sitzt gedankenverloren an dem Tisch und schaute in einer Tasse dampfenden Kakao.
„Maman, mir machst du nie ein Kakao zum Frühstück!“ wollte ich aufschreien, aber okay, ist nicht der Moment, es geht jetzt nicht um mich, wie immer übrigens!

Ich setze mich neben Marie und schaue in ihr immer noch makelloses Gesicht. Sogar wenn sie traurig ist sieht sie aus wie eine Puppe.

„ das mit deinem Dad tut mir Leid, wollen wir uns ein bisschen auf die Veranda setzen?“

Marie sagt keinen Ton. Ihr Kinn fängt an zu beben und ich weiß nicht was ich machen soll. Einen Blick auf meine Finger bestätigt mir dass ich saubere Hände habe, ich berühre leicht ihren Unterarm. Sie war so kalt, unglaublich kalt und starr. Ich stehe auf und laufe so leise ich kann zur Couch und nehme dort die Decke um sie Marie auf die Schultern zu legen. Sie schaut hoch und in ihre Augen sehe ich die ganze Verzweiflung und Angst in ihr. Jetzt kullern auch noch dicke Tränen aus ihren hübschen Augen. Unbeholfen umarme ich sie, damit sie nicht mehr frieren muss. Arme Marie, ich habe sie noch nie so gesehen. So bleiben wir lange sitzen, ohne ein Wort zusagen. In meinem Kopf sehe ich die ganze schöne Bilder unsere Kindheit, die gar nicht so lange her ist. Herr Tanner ist oft mit uns in den Wald gefahren, Pilze sammeln, Schmetterlinge beobachten, oder einfach auf eine Wiese liegen und in der Sonne haben wir uns Geschichten ausgedacht von Elfen und Zwerge die in der Lichtung leben. Er war ein wunderbarer Vater.

„Komm Marie, lass uns ein bisschen nach draußen“

Wie ferngesteuert steht sie auf und lässt sich von mir zur Veranda führen. Ich nehme ihre Hand und halte sie einfach fest. Ihre Haut wird wärmer, ich glaube ihr gefällt es hier draußen mit mir alleine zu sein.

„danke“ flüstert sie mit zittriger Stimme.
„ist schon okay, ich habe sowieso nichts vor heute, lass uns einfach da sitzen und wenn du was brauchst sag es mir einfach, okay?
„Das heute Morgen tut mir leid, sagt sie leise, den Blick immer noch nach unten gerichtet. Ich habe Angst Lucie, was wird jetzt mit mir passieren? Papa wird nie mehr nach Hause kommen, Maman geht es schlecht, was sollen wir jetzt machen?“

So war Marie, viel zu reif für ihre 12 Jahre, sie macht sich jetzt schon Gedanken um die Zukunft mit ihrer Mutter. Miss Tanner war noch nie sehr.. öhm… wie soll ich das sagen? Stabil, ja, das wäre das richtige Wort. Seit Maries Geburt leidet sie an Depressionen, Maries Dad hat sich immer um alles gekümmert. Jetzt ist er weg, Marie ist alleine mit ihrer kranke Mutter. Vielleicht sollte man unsere beide Mütter mal zusammen in den Urlaub schicken, eine depressiv und ohne antrieb, die andere hyperaktiv und einfach nur nervig.

„Lucie!!! lass das! Es ist nicht den Moment an so was zu denken. Konzentriere dich mal auf Marie“ höre in mich selbst sagen.
„Was?“
„Nein, nicht du Marie, ich spreche mit mir selbst“

Wie peinlich! Ich bin es nicht gewohnt jemanden neben mir zu haben, ich spreche ja öfter mit mir selbst und das stört hier keiner, da es ja auch keiner interessiert was ich zu sagen habe.

„Ist dir immer noch kalt? Möchtest du noch was trinken?“
„Nein, ich bin zu müde um zu frieren, zu müde um zu essen, vielleicht bin ich ja noch am schlafen, und wenn ich wieder aufwache ist Papa wieder hier! Was meinst du Lucie?“
Ihre Augen waren plötzlich so voll Hoffnung dass ich Angst bekam.

„Alles ist heute so seltsam. Papa soll tot sein, Maman liegt im Krankenhaus, wir zwei sitzen auf deine Veranda. Ich will mich nur hinlegen und aufwachen.“
Sie steht plötzlich auf und schaut sich um.
“ Ich muss nach Hause, zurück in mein Bett, dann wird alles wieder gut, ganz sicher!“
Sie zitterte am ganzen Körper und warf die Decke auf den Boden.
„Marie! Bleib hier, du kannst nicht nach Hause, bleib bei uns Marie“
„Ich muss aber schlafen gehen! Ich muss nach Hause“

Ihre Augen waren wieder voller Tränen, ihre Knie zitterten, sie tat mir so leid.

„Komm in mein Zimmer, da kannst du dich auf mein Bett legen und wieder aufwachen!“
Wieso habe ich so was gesagt? Ich weiß doch genau dass es nichts nützen wird! Oh Mann, ich bin ja echt zu blöd.
Leichtfüßig sprang sie die Treppe hoch, reißt die Türe auf und legt sich ohne sich um zuschauen auf mein Bett. Sie schließt sofort die Augen und ihre Atmung wurde wieder ruhiger. Sie streckt ihre Hand nach mir.
„lass mich nicht alleine Lucie.“

Als ich sicher war das sie schläft, bin ich wieder runter, in die Küche. Maman war grad dabei das Geschirr von den letzten 2 Tagen zu spülen. Auch der starke Zitronen Duft des Spülmittels konnte nicht der Alkohol Geruch aus ihrem Mund verdecken. Sie hatte wieder gesoffen. Ich hasse es wenn sie nach Alkohol riecht.

Einen Blick in den Kühlschrank verriet mir was ich schon gedacht habe. Nichts da. Wie so oft. Ich konnte jetzt auch nicht meine Reserve unter dem Bett zugreifen, da Marie darauf schlief.
„Maman, kannst du mir etwas Geld, ich will was zum trinken für Marie kaufen.“

Da klingelt es. Vor der Tür stehen 2 Frauen und einen Mann, ich kenne sie nicht, und bin mir sicher sie auch nicht kennenlernen zu wollen.
„Maman ist nicht da, kommen sie doch morgen wieder.“ rufe ich durch die Tür.
„Lucie? Du bist doch Lucie, oder? „
„j-j-ja“
„ Ist Marie bei dir?“
Vorsichtig mach ich die Tür auf.
„Hallo Lucie, wie kommen vom Jugendamt und wollen Marie abholen“
„a-a-aber, wieso?“ stottere ich als sie bereits schon in der Diele standen „ sie kann doch auch hier bleiben“ mein Kinn zittert und ich kämpfte gegen den Tränen.

Der Mann, groß, alt und mit besorgtem Blick kommt einfach rein. Er schaut sich in unser Wohnzimmer um, die Scherben in der Küche, und ich kann sehen wie seine Nase den ekelhaften Alkohol Geruch der aus der Küche kam ganz tief einatmet.

„Hier ist wohl nicht die richtige Umgebung um eine kleine Lady Groß zu ziehen, Marie wird in Lyon, bei ihrer Tante wohnen bis ihre Mutter wieder nach Hause kann. Oh, Hallo, sie sind bestimmt Frau Dupres.“ Sagt er während er mit große Schritte auf meine Mutter zugeht. Die Frau die ihn begleitet steht einfach in der Tür, einen Aktenkoffer fest in ihre Hände klammernd. Sie schaut sich um und man sieht dass ihr nicht gefällt was sie so alles entdeckt.

„Frau Tanner ist bald wieder zu Hause, es war immer so, in 2 Tage ist sie wieder da, solange kann Marie doch bei uns bleiben, ich räume auch auf, versprochen“ plappere ich hastig vor mir hin.
„Lucie, sagte die Frau, diesmal wird Maries Mutter nicht so schnell wieder kommen, diesmal nicht.“ Ihr Blick und ihren Ton lässt mich frösteln. Es scheint ernst zu sein. Arme Marie, meine arme liebe Marie.

Ich renne so schnell ich kann die Treppe hoch, „Marie, Marie, komm schon, wach auf! Wir müssen verschwinden“ Marie schaut mich erschrocken an, sie weiss wohl nicht so recht ob sie wach ist oder immer noch träumt „komm schon Marie, steh auf, sie wollen dich mitnehmen“ schrie ich während ich ein paar Klamotten wahllos in einer Tüte schmeiße um sie auf unsere flucht mit zu nehmen. Ich drehe mich zu ihr, da war sie schon aus dem Zimmer raus.
„Nein, Marie, bleib hier“
Tränen laufen mir die Wangen runter, es kann doch nicht wahr sein,
Marie, meine liebe Marie, der einziger Mensch der auch mal was Nettes
zu mir sagt soll nach Lyon. Meine Knie werden ganz weich, mein Herz schlägt
so schnell, als ob es aus der Brust raus springen wollte um Marie zu folgen. Mir ist übel und ich kann mich grad noch oben an der Treppe festhalten bevor ich nur noch schwarz sehe.

Sie war weg. Endgültig weg, Dad ist weg, Marie ist weg, was mache ich noch hier?

Mit tränen im Gesicht laufe ich einfach die Straße lang. Ich bekomme keine Luft mehr, es ist alles zu viel, ich kann nicht mehr. Ich verlasse die Straße und laufe zu den Kornfeldern und lasse mich einfach mitten drin auf den Boden fallen. Ich will sterben, ich will nicht mehr leben, alles ist so schwer. Papa wird nicht wieder kommen, Maman wird nicht aufhören zu trinken und mich lieben können, Marie werde ich nie wieder sehen und Thomas, ja Thomas, was ist mit ihm? Ich habe mir bestimmt nur eingeredet dass er mich mag. Wie soll denn ein so süßer junger so eine hässliche, dicke, missratene Hure lieben. Ich bleibe einfach da liegen bis mich der Tot abholt. Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, und es wird mich sowieso niemand vermissen, sie sind ohne mich alle viel besser dran. Erschöpft schließe ich meine Augen und warte auf meinen Tot.
Als ich meine Augen wieder öffne ist es dunkel, und ich friere. Ich habe Kopfschmerzen und in meinem Mund kann ich den eisernen Geschmack von Blut schmecken. Wieso habe ich Blut in meinem Mund? Vielleicht sollte ich doch nach Hause, zu meinem Maman, sie würde sich bestimmt um mich kümmer, wenn sie nicht besoffen wäre! Ach, verlorene Zeit, und eigentlich will ich ja nicht nach Hause. Ich bleibe hier.

„Lucie …. Lucie … „
„Hier, hier ist ihre Jacke“
„Ich habe sie gefunden, schnell, hier liegt sie“
„oh mein Gott, ist sie …“
„nein, sie ist aber eiskalt, armes Mädchen, kommt schnell hier her, sie ist hier“

Ich kann alles hören, aber ich will nicht aufwachen, ich will hier sterben, ich will nicht aufwachen. Irgendjemand packt mich in eine Decke oder sowas ein und hebt mich hoch. Ich lasse mich einfach weg tragen, mir ist alles egal, aber die Augen will ich nicht öffnen, ich will nichts mehr sehen, und ich friere nicht mehr, wieso lassen sie mich nicht einfach da liegen?

„Hier kommt der Krankenwagen, schnell, sie braucht Decken, sie ist eiskalt und durchnässt“
Ich höre wie die Türen aufgehen und wie jemand ruft dass sie mich auf die Bare legen sollen. Die Türen gehen wieder zu und die Sirene geht an. Das holpern des Wagen sagt mir das wir aus dem Feld fahren. Mist, sie bringen mich wieder zu den Leuten in der Stadt.

„oh mein Gott, schaut dir das an! Armes Mädchen“

Mist, wieso ziehen die mich denn aus, ich will um mich schlagen, aber mein Körper hört nicht mehr auf mich, ich kann mich nicht bewegen, es geht einfach nicht. Jetzt ist sowieso alles raus, sie werden rausfinden was ich gemacht habe, und das im Krankenhaus wo meine Mutter arbeitet, na ganz toll. Jetzt bin ich auch noch schuld daran das sie ihr Job verlieren wird. Vielleicht habe ich ja noch Glück und ich sterbe doch noch auf dem Weg dahin.

„Ganz ruhig Lucie, atme tief ein, wir sind bald da, dann wird alles besser, du musst keine Angst haben, wir passen auf dich auf Lucie. Ist ihre Mutter schon da? Sie sollte sie so nicht sehen, sag bei der Zentralle Bescheid, sie soll am Empfang warten und nicht in die Notaufnahme kommen.“

Maman! Nein, sie soll mich auf keinen Fall so sehen, was habe ich getan? Was habe ich getan, lasst mich doch sterben, lasst mich sterben, nein, nein. … ich will nicht“
„Ruhig Lucie, wir sind gleich da, du musst keine Angst haben, wir sind Sanitäter und bringen dich ins Krankenhaus, es ist alles vorbei Lucie“
„Nein, nein“ schrie ich plötzlich, ich kann wieder sprechen „Nein, ich will nicht, lass mich in Ruhe“ ich will um mich schlagen aber meine Armen hören immer noch nicht auf mich.
„keine Angst kleine, wir wollen dir nicht tun, wir wollen dir nur helfen, wir sind gleich da“
„armes Ding“ sagt eine andere Stimme leise

„Lucie, du musst leben, lass mich nicht alleine“
Celina? Du bist wieder da, oh Celina, hätte ich nur auf dich gehört, ich war so dumm.
„alles wird gut Lucie, aber du musst leben, bleib bei mir, gehe noch nicht“
„Celina, es tut mir leid“ höre ich mich laut sagen

Dann höre ich nur noch wie die Türen aufgerissen werden und spüre wie die trage mit einem Ruck rausgezogen wird.


Ich mache langsam die Augen auf, und sehe das Zimmer. Es ist weiß, und hässlich. Mein Kopf tut weh, ich habe Durst, und das Licht blendet mich. Ich bin also im Krankenhaus. In einem Sessel neben mir schläft jemand unter einer Decke.

„Maman“ sage ich leise mit zittrige stimme
„Maman“ wiederhole ich ein bisschen lauter
„Lucie, oh, hallo“ es ist nicht meine Mutter, ich kenne diese Frau nicht, wer ist das?
„wo ist meine Mutter, wer sind sie?“ frage ich leise
„Hallo Lucie, bleibt ruhig liegen, alles ist gut, du bist in Sicherheit, hier wird dir nichts passieren“
„Maman, wo ist meine Mutter, ich will zu meine Mutter“
„Lucie, es geht im Moment nicht, aber sie wird zu dir kommen sobald sie kann. Schlaf noch ein bisschen, es wird dir gut tun“
War erzählt mir die Frau da? Wieso kann Maman jetzt nicht kommen? Ist was passiert? Oh mein Gott, Maman! Ich bin aber noch zu schwach, ich kann nicht gegen die Müdigkeit ankämpfen, meine Augen fallen einfach wieder zu, ich schlafe wieder ein.

„Ja, sie war kurz wach und hat nach ihre Mutter gefragt“
„hat sie gesagt was passiert ist? Wer ihr das angetan hat?“
„nein, sie hat nur nach ihre Mutter gefragt, ich habe ihr gesagt dass sie zu ihr kommen wird sobald sie kann“
„Ich lasse sie her kommen, damit sie mit ihr sprechen kann“
Ich kann sie hören, bewege mich aber nicht, ich will hören was sie sagen

„Hallo, Philippe hier, Ist du Mutter der Kleine aus dem Maisfeld wach? Ja …. Sie hat nach ihr gefragt, ist aber wieder eingeschlafen. … klar, kein Problem … bringt sie bitte sobald sie dazu in der Lage ist … sie soll aber ruhig bleiben, sagen sie ihr noch mal Bescheid, sie muss stark bleiben damit der Kleine keine Angst kriegt … ok. ich warte hier“

Hä ? wieso soll sie nicht in der Lage sein zu kommen, ist sie den schon wieder besoffen? Oder schämt sie sich so sehr für mich?

„schlaf noch ein bisschen Lucie, ich bleibe immer bei dir, du bist nie alleine, ich wache über dich.“



Celina, meine treue Freundin, wie schon zu wissen dass du da bist. Ich hätte auf dich hören sollen, du hattest immer wieder recht und ich wollte nie auf dich hören. Ab jetzt aber werde ich auf dich hören. Versprochen.

Ich bin so müde, und jetzt wo ich weiß das Celina bei mir ist, kann ich ruhig schlafen, sie wird auf mich aufpassen.

„Lucie, kannst du mich hören? deine Mutter wartet draußen, ist es für dich ok wenn sie reinkommt?“

Ich nicke schwach mit dem Kopf, will aber nicht sprechen, sonst denken die das ich über meine Verletzungen sprechen kann, und das ist nun echt das letzte was ich mir „Bullen“ besprechen möchte.
Ich schaue dem, zugegeben hübschen Detektiv hinterher, Philippe war sein Namen, das habe ich mir gemerkt. Ich bin selbst darüber überrascht wie oft ich in der letzte Zeit über Jungs und Mädels nachdenke. Diese verfluchte Hormonen!


„Oh meine Kleine, es tut mir so leid, es ist meine Schuld“ Maman steht jetzt neben mir auf das Bett und hält meine Hand fest. Sie sieht sehr schlecht aus, so blass und krank, ihre Augen sind vom vielen weinen rot und geschwollen.

„Maman, es tut mir leid, ich wollte dir keinen Kummer machen“ wollte ich sagen, aber konnte es nicht aussprechen, mein Hals tut so weh. Ich habe so einen Durst

„Meine Tochter möchte was trinken“ sagt meine Mutter zu Schwester die im Hintergrund Philippe anbaggert „geben sie ihr was bitte, sie hat Halsschmerzen

Oh, Maman weiß genau was ich brauche! Wie macht sie das? Ich habe doch gar nichts gesagt

„Du bekommt gleich was zu trinken meine Kleine“ Ihre Hände streicheln sanft über meinen Kopf und jetzt erst bemerke ich das ich einen verband über meinen ganzen Kopf trage, aber wieso? Ich habe mich doch nur ins Kornfeld gelegt!
Die Krankenschwester bringt mir einen Becker mit einem Strohhalm und ich will gierig daran saugen bis ich merkte dass ich wahnsinnige Schmerzen im Gesicht habe. Meine Lippen fühlen sich so geschwollen an, genau wie der Rest meines Gesichtes.

„Maman, was ist mit mir passiert?“
„ich weiß es nicht meine kleine, ich weiß es nicht, wir hoffen alle dass du uns das sagen kannst. Wir haben dich vor 3 Tage nachts in einem Kornfeld gefunden“ Ihre Stimme füllte sich von Tränen, sie spricht nicht weiter, streichelt nur sanft meine Hand und zum aller erste Mal kann ich tatsächlich fühlen das sie mich liebt.

„Lucie, ich bin Inspektor Pandiga, darf ich dir ein paar Fragen stellen?
Da stand er, Philippe Pandiga war also sein kompletter Name, einen schönen Name, ob er Italiener ist? Er schaut mich freundlich an, er hat sehr schöne Augen, er wartet aber auf eine Antwort von mir. Wenn ich ja sage muss ich auf jeden Fall gut aufpassen nicht zu viel zu sagen und wenn ich nein sage wird er jeden Tag dieselbe Frage stellen. Dann besser jetzt hinter mir bringen, außerdem, möchte ich ja auch gerne wissen was mit meinem Kopf passiert ist.

„Ja“ sage ich also leise

„sehr schön, danke Lucie, und wenn es zu viel wird, dann können wir jederzeit abbrechen oder eine kleine Pause machen, wie du das möchtest.“
„okay“
Maman streichelt mir immer noch die Hand und schaut mich liebevoll an.

„Pass bloß auf, sie dürfen nichts von mir erfahren, sonst jagen sie mich wieder von dir weg, erzähle nichts über mich! Mach dir keine Sorgen Celina, du bist bei mir sicher!

„gut, dann fangen wir an Lucie“ Er nimmt sich einen Stuhl und setzt sich neben meinem Bett, ein Notizbuch in der einer Hand, in der andere einen Stift „ kannst du dich an Mittwoch erinnern?“
„nein“
„Deine Mutter hat dich Donnerstagmorgen als vermisst gemeldet nachdem sie dich die ganze Nacht gesucht hat.
„Wo bist du hin als du von zuhause weg bist?“
„weiß ich nicht“
„warst du vielleicht in der Stadt?“
Wieso will er wissen ob ich in die Stadt war? Ahnt er schon was?
„nein, ich glaube nicht“
„Hast du Probleme mit Mitschüler gehabt? Oder kannst du dich vielleicht an was Seltsames erinnern? Vielleicht ein Auto, oder ein Motorrad?“
„nein,….Maman“ ich schaue flehend zu meiner Mutter hoch, sie soll mir helfen, ich will diese Fragen nicht beantworten.
„Ich glaube sie ist noch zu schwach, sie kann sich nicht erinnern, sie braucht Ruhe“
„aber es ist für uns wichtig…“
„das einzige was jetzt wichtig ist, ist das meine Tochter wieder gesund wird, sie wird sich irgendwann daran erinnern, was schlimm genug ist, dann wird sie euch helfen können, heute aber ist sie noch zu schwach dafür.“ Ihr Ton ist resolut, und keiner traute sich Ihr zu wiedersprechen. Philippe steht auf und bückt sich zu mir.
„erhole dich schnell Lucie, damit wir diesem Mistkerl zusammen in den Arsch treten können.“
Ich schaue erschrocken, von wem redet er den denn? Was ist denn mit mir passiert?

Endlich alleine mit Maman

Maman, was ist passiert?“
„Lucie, mein armer Schatz, wir wissen es auch nicht so genau, wir haben dich im Kornfeld schwer verletzt gefunden“ Tränen laufen über ihr Gesicht. „Du wurdest geschlagen, und…“ sie kann nicht mehr sprechen, ihre Tränen erstickt jedes Wort schon beim Gedanken daran.

Ich wurde also geschlagen und was noch? Was denn noch? Mit der rechte Hand fange ich an mich abzutasten, was habe ich den überhaupt?
Mein Kopf ist verbunden, meine Nase, meine Lippen sind geschwollen, mein Hals tut weh, meine Brüste schmerzen, mein Bauch tut weh und ich kann mein linkes Bein nicht bewegen, rechts schein ok zu sein.

„Maman, was ist mit mir passiert?“ jetzt habe auch ich große Angst. Ich kann mich an nichts erinnern.

Es klopft an der Türe

„darf ich rein?“ fragt eine vertraute Stimme, es ist Frau Goya, ihr hübsches Gesicht scheint aber heute sehr traurig zu sein
„Ja“ sage ich ohne abzuwarten was Maman dazu sagt.
„Hallo Lucie, hallo“ Sie steckt meiner Mutter die Hand entgegen, und beide begrüßen sich wie gute Bekannten „Wie geht es heute?“
„Mir geht es gut, jetzt ist erst mal Lucie wichtig“
„Okay, sie können mich aber jederzeit anrufen und ich bin für sie da, nicht vergessen“
„danke Frau Goya, vielen Dank für alles“
„So, dann wollen wir doch mal mit meine hübsche Patientin sprechen, ja?“ Sie schaut mich liebevoll an, und ich frage mich wieso ich jetzt ihre Patientin bin, ich bin doch nicht verrückt!
„Ich bin für dich zuständig, Lucie, da ich weit und breit die einzige Kinderpsychologin bin. Aber gut so, ein bisschen kennen wir uns ja schon. Ich hoffe es ist für dich ok. Du kannst mir alles sagen, ich verspreche dir das ich nur weitergeben werde was du es mir ausdrücklich erlaubst“

Sie nimmt meine Hand in die Ihre und streichelt sie sanft. „Du bist nicht alleine Lucie, wir sind alle für dich da. Ach, bevor ich es vergesse, ich soll dich ganz lieb von deiner Klasse grüßen.“

„wir sind doch in die Stadt gegangen, du wolltest doch zu Thomas, ich hatte dir gesagt das du nicht hin sollst, aber du wolltest ja wieder mal nicht auf mich hören, das hast du jetzt davon“ Celinas Stimme war zickig, und arrogant, was soll das?

„Was ist mit mir passiert? Niemand will mir sagen was mit mir passiert ist, bitte, sagen sie es mir“

Ich schaue meine Mutter an, sie sitzt regungslos auf dem Stuhl und weint. Frau Goya schaut mich traurig an, und beginnt mir zu erzählen dass ich schwer misshandelt wurde. Ich wurde regelrecht verprügelt und wahrscheinlich für tot zurückgelassen. In meinem Kopf dreht sich alles, jemand wollte mich umbringen? Ich bekomme keine Luft mehr, meine Lunge scheinen sich zu schießen und ich kann nur noch kleine Blitzlichter sehen, ich bekomme keine Luft, hilft mir doch, ich ersticke, oh mein Gott, soll es so enden? Und dann wurde es schwarz vor meinen Augen.

Ein paar Tage sind vorbei, und ich fühle mich schon viel besser, meine Kopfschmerzen sind nun erträglich geworden, ich kann meine armen wieder bewegen und mein Bein scheint langsam wieder leben zu spüren. Bei der Untersuchung heute Morgen habe ich den Kugelschreiber an meiner Fußsohle gespürt. Der Arzt sagt dass ich auf dem besten Weg bin sehr bald wieder nach Hause zu dürfen. Nach Hause, ja, da möchte ich jetzt hin, mich einfach auf mein Bett zu legen und Musik hören. Am Fenster eine Zigarette rauchen, eine riese Tüte Chips und Cola dazu, ja, das wäre jetzt perfekt.

„Guten Morgen mein Engel“
„Guten Morgen Maman, ich habe heute wieder was in meinem Bein gefühlt und der Arzt meinte das ich vielleicht sehr bald nach Hause darf! Wäre das nicht toll?“
„das ist super meine kleine, ja, das wäre wunderbar, ich werde dir ein Bett ins Wohnzimmer stellen, damit du am Anfang nicht die Treppen hoch musst“
„nein Maman, ich will mein altes Zimmer wieder haben, dann brauche ich eben ein bisschen länger bis ich oben oder wieder runter bin, aber ich brauche die Bewegung auch“
„du hast recht, dein Zimmer bleibt also oben. Schau mal, die Blumen sind von deiner Klasse.“
Maman ist nicht mehr wieder zu erkennen. Seit diese Nacht im Kornfeld ist sie ganz anders. Sie trinkt nicht, nennt mich Engel und Kleines, ist total um mich besorgt, sie ist endlich eine richtige Maman und das ist schön.

„Guten Morgen Lucie, darf ich rein?“
„Guten Morgen Philippe, antwortet meine Mutter, kommt rein“
„Danke schön, guten Morgen Lucie, na? Wie geht’s dir heute?“
„Geht so, ein wenig Kopfschmerzen und mein Bauch tut noch weh“
„was meinst du Lucie, wollen wir es heute nochmal probieren? Denkst du das du heute mit uns über den Abend im Kornfeld sprechen kannst?“
„Ich weiß aber überhaupt nichts mehr was dort passiert ist.“

Ich weiß nicht was passiert ist und glaube auch nicht an all dem was alle so sagen.
Von wegen vergewaltigt, ich weiß ja das ich am Abend davor bei Mario in der Werkstatt war, aber wie kann ich das sagen? Am besten sage ich nichts darüber, ich brauche ihn ja noch um Geld für die Reise zu Papa zu bekommen.
„Ich weiß aber überhaupt nichts mehr aus diesem Abend“
„Erzähl einfach woran du dich noch erinnern kannst.“
Er setzt sich auf den Stuhl neben meinem Bett und lächelt Maman an. Was ist denn das? Sind die Zwei am flirten? Jetzt wo ich sie so ansehe fällt mir auf das sie irgendwie anders aussieht, sie sieht ja schon fast gut aus! Ihre Augen sind nicht mehr so leer, und sie war wohl auch beim Frisör. Sie trägt ein sehr hübsches neues Kleid und darin kann man sehen dass sie für ihr alter eine ganz gute Figur hat. Komisch, es ist mir all die tagen nicht aufgefallen, aber Maman hat sich sehr verändert.

„Lucie, wollen wir anfangen“
„ähm, ja, klar, aber ich kann mich echt an nichts mehr erinnern. Ich weiß nur das ich von zuhause weg gelaufen bin, weil Marie einfach weg ist.“ Der Gedanken alleine bringt mich wieder zum weinen. Meine treue Marie, für immer weg.
„Du bist also direkt zum Kornfeld?“
„Ja, ich denke schon“ So sicher war ich aber nicht „Maman“ rufe ich mit verzweifelte Mine „ich bin so müde“
„Och meine kleine, wenn du nicht mehr reden kannst, dann probieren wir es später. Aber jeden Tag den wir warten gibt dem Misstkerl die Chance ein anderes Mädchen das selben anzutun. „ Maman nimmt mich in die Arme und streichelt sanft über meinen Kopf.
„Philippe, können wir es nicht verschieben, du siehst ja wie schwach sie noch ist“
„es tut mir leid Laura, aber wir brauchen Informationen um ihn zu schnappen, es wäre schon gut wenn Lucie uns mehr über den Abend erzählen könnte“

Hat er Maman eben Laura genannt? Ich habe diesen Namen schon ewig nicht mehr gehört! Niemand nennt meine Mutter Laura, wieso Er? Ich schaue zu Philippe, dann zu Maman, und wieder zurück zu ihm.

„Was ist los Maman?“
„nichts mein Engel, alles ist in beste Ordnung, mach dir keine Gedanken. Du musst schnell wieder gesund werden, dann können wir wieder nach Hause gehen. Du wirst sehen, alles wird jetzt anders werden“
„aber, was ist mit Paul?“
„Paul ist weg, ich habe ihn rausgeschmissen. Du hättest sehen müssen wie blöde er aus der Wäsche geschaut hat als ich ihm den Schlüssel abgenommen habe!“ und sie lacht… sie lacht!!!
„deine Mutter war die letzte Zeit sehr tapfer Lucie und...“

Es klopf an der Türe

„Entschuldigung“ sagt eine junge Schwester „die Visite beginnt in ein paar Minuten, können sie vielleicht einen Moment draußen warten?“
„ja, klar“ Maman küsst mich auf der Stirn „ich bin vor der Türe, wenn du was brauchst, ruf einfach. Bis gleich meine Kleine“
„ok“
„Bis später Lucie“ ruft Philippe noch hinterher.
„Bis später“ antworte ich aus Freundlichkeit.

Jetzt bin ich alleine, und verstehe nichts mehr. Ich bin jetzt seit 15 Tage hier, meine Mutter scheint auch so lange schon nüchtern zu sein, sieht gut aus, ist zächtlich und kümmert sich fantastisch um mich. Was ist denn alles passiert? Und was hat diesen Polizist damit zu tun? Ok, er sieht ja echt gut aus, aber bestimmt ist er verheiratet. Aber wieso ist er so nett zu uns? Und Paul ist weg, sie hat ihn rausgeschmissen… oh wie gerne hätte ich das gesehen! Also scheint ja doch alles noch gut zu werden. Zufrieden und mit einem Lächeln liege ich in meinem Bett und vergesse die Schmerzen. Die Bösen Gedanken sind weg, alles wird gut, ich will jetzt gesund werden und mit Maman ganz neu anfangen. Wenn Papa sie nur sehen könnte, er wäre bestimmt entzückt und würde sich neu verlieben.

„Hallo Lucie“
„Hallo Doc“
„Na, wie geht es heute meiner Lieblingspatientin?“
„sehr gut“ antworte ich sehr schnell „und sie will so schnell wie möglich gesund werden“
„das hört sich ja gut an, dann lass uns mal sehen was wir dafür machen können. Heute nehmen wir den Verband an deinem Kopf weg.“
„ok“

Eine Schwester beginnt die Mullbinde langsam aufzumachen. Es fällt mir schwer den Kopf still zu halten, denn es klebt doch ein bisschen und zieht, aber egal, Hauptsache weg, damit ich mich auch wieder hübsch machen kann. Ich freue mich schon aufs Haare waschen und kämmen. Vielleicht mache ich mir so eine Hochsteckfrisur! Dann sehe ich gut aus wenn Frau Goya wieder kommt, und Marie.

„Das sieht doch schon ganz gut aus. Die Narben heilen sehr gut, toll, du hast großes Glück gehabt Lucie, pass also in Zukunft gut auf deinen schönen Kopf auf“
„Mach ich“ während sie mir den Kopf mit einem Feuchten Lappen tupfen merke ich dass irgendwas nicht stimmt
Ich will meinen Kopf anfassen, aber der Doc hält meine Hand fest.
„du darfst es noch nicht anfassen Lucie, es ist noch sehr empfindlich. Sei vorsichtig den die Fäden sind ja noch drin“
„Oh, ok, aber wie kann ich dann meine Haare kämmen?“
Der Doc und die Schwester tauschen blicke und dann setzt er sich auf mein Bett. Das sieht nicht gut aus, was will er mir jetzt sagen?
„Lucie, dein Kopf war schwer verletzt, die Schädeldecke was mehrfach gebrochen und du hast viel Kopfhaut verloren. Weiß du was das heißt?“
„Ja, das weiß ich doch, das hat Maman mir schon erklärt. Ich habe Haut von meinem Oberschenkel auf den Kopf gekriegt, aber sie sagte das es gut funktioniert hat!“
„Lucie, auf der Haut wachsen leider keine Haare, es tut mir leid“
„keine Haare? Wie denn? Heißt das ich habe jetzt eine Glatze?“
„Mach dir keine Sorgen, es gibt viele Möglichkeiten das zu ändern, es braucht aber seine Zeit“
„keine Haare mehr? Narben? Möglichkeiten? Was den für Möglichkeiten? Meinen sie ich muss jetzt mit einem Tuch auf dem Kopf rumlaufen, oder eine Perücke? Na Toll“

„Hey, sieh es doch so: Du kannst jeden Tag eine andere Farbe und Frisur tragen, ist doch ganz praktisch!“
Celina, endlich, ich habe dich vermisst

„Na ja, ich kann es ja so sehen, ich kann jeden Tag einen andere Haarfarbe tragen, und andere Frisuren, ist doch ganz praktisch!“
„Genau, da hast du recht!“ sagt der Doc mit einem Lächeln

Er bindet wieder mein Kopf zu und macht sich am Rest von mir zu schaffen
„du scheinst wieder mehr Muskeln aufzubauen, das ist gut und deine Beine reagieren wieder recht gut. Was hältst du davon einen kleinen Spaziergang im Park zu machen? Mal raus aus diesem Zimmer, das wird dir gut tun“
„Oh ja, das wäre toll! Kann ich mit Maman raus?“
„ja Klar, du bekommst auch den schönsten und schnellsten Rollstuhl von der Station“
„Cool“

Er schaut noch auf meinem Blatt unten am Bett, und wünscht mir eine gute Fahrt.

Celina, du bist wieder da
„ja, Krankenhäuser mag ich nicht, die haben hier Pillen die mich einfach verschwinden lassen, sie haben das schon mal hinter mir, also halte ich mich lieber ganz still“
Verstehe ich nicht
„Du wirst es eines Tages verstehen. Sobald wir hier draußen sind erzähle ich dir eine Geschichte“
Wieso nicht jetzt?

„Alles klar meine Hübsche?“
Maman kommt zurück ins Zimmer, ich hätte doch so gerne noch Celina gefragt was sie damit meint.
„Ja, ich darf in den Park, mit dir und mit dem schönsten und schnellsten Rollstuhl von der Station, ist das nicht Toll?“
„Ja, das ist super. Ich ziehe dir was hübschen an und dann geht es los“
„super“

Ich freue mich so endlich wieder raus zu können. Raus aus diesem Weißen Zimmer… ich will Bäume sehen, und Blumen, und den Himmel. Ich will Vögel hören, und Graß riechen. Und das alles alleine mit meiner neue schöne Maman.


Endlich frische Luft! Ich fühle mich sofort viel besser, viel wacher und viel gesünder. Maman schiebt mich liebevoll über den breiten weg, und um uns ist es so friedlich!

„Maman, ich glaube das ich einen Schutzengel habe“
„Ja, den hattest du mein Schatz“
„Ich habe ihn immer noch, er ist immer bei mir“
„Ja, jeder von uns hat einen, für das ganze Leben, und deiner hat sein Job richtig gut gemacht“
„meiner ist eine Sie. Sie hat ihr Job gut gemacht“
„ok, und hat sie auch einen Namen?“ sagt sie mit einem Lächeln im Gesicht „meiner heißt Julius, ich habe ihn so genannt als ich klein war. Ich hatte ihn schon fast vergessen!“
„meine heißt…
NEIN SAG IHR NICHT MEINEN NAMEN
„ähm, ich glaube sie heißt. ähh… Susanne, wie Oma“
„Ja, da ist einen guten Namen für einen Engel“

Wieso will Celina nicht das ich ihr Namen verrate? Sie hat mir doch so geholfen und ist immer gut zu mir!

„Maman, ich wollte mich noch bei dir entschuldigen, es war nicht fair von mir dich so wegen Papa anzuschreien“
„Schon gut mein Kind, schon vergessen“

„Maman, nächste Woche werde ich 13, darf ich dann nach Hause? Ich würde so gerne wieder nach Hause“
„Mal sehen was Dr. Röhl dazu sagt. Vielleicht darfst du ja für einen Tag raus hier, ich werde mit ihm reden. Aber Lucie, ich muss dir noch was fragen“
Sie stellt meinen Rollstuhl neben einer Bank, wo sie sich hin setzt. Sie schaut mich ernst an und nimmt meine Hände zwischen die ihren.
„Lucie, die Polizei hat immer noch keinen Anhaltspunkt über die Nacht in der du … „
Tränen füllen ihre Augen, sie schaut auf den Boden.
„Auch wenn du nicht gerne daran zurückdenkst, mein Schatz, aber wenn du dich an irgendwas erinnern kannst, muss du es sagen. Nur so können sie den Täter finden“
„Ich weiß Maman, aber ich kann mich an nichts erinnern.“ Und das stimmt sogar!
„Wenn du dich an was erinnerst dann verspreche mir es direkt jemanden zu sagen.“
„Klar, mache ich“
„Und da wäre noch was“ sie schaut schon wieder verlegen auf ihre Hände „Bei der Untersuchungen, haben die Ärzte festgestellt das du nicht mehr, na ja… du weißt bestimmt was ich meine. Du hattest vor den Überfall Kontakt mit einem Junge.“
Oh Gott, jetzt kommt alles raus, was soll ich sagen? Ich schaue auf meine Beine und weine
Maman nimmt mich in ihre Arme und hält mich fest.
„Hat dir jemand weh getan Lucie?“ Ihre Stimme bebt, ich kann ihre feuchten Wangen an meine fühlen, sie denkt dass ich vergewaltigt wurde.
„Nein, Maman, ich wurde zu nichts gezwungen“

„Sag ihr nicht was Mario gemacht hat, lass es unser Geheimnis bleiben“
Ok, ich hatte sowieso nicht vor ihr das zu erzählen

„Da ist so ein Junger in meiner neuer Schule, wir waren ein paar Mal spazieren, und ich war nach der Schule oft bei ihm als du bei der Arbeit war. Und vor ein paar Tage da haben wir“ Ich schaue sie an und denke an den Kater bei Schreck. Genau diesen Blick muss ich drauf haben. Und es scheint zu klappen.

„Oh meine süße, ich habe dich so lange alleine gelassen, es tut mir so leid. Es ist zwar ein bisschen früh dafür, aber ok, Hauptsache er hat dir nicht weh getan“
„Nein Maman, er ist sehr lieb zu mir“ Ich lächle sie verlegen an und sie kauft es mir ab.
„Ich bin müde Maman, ich möchte zurück in mein Zimmer“
„kein Problem, Taxi ist da“
Wir lachen beide, aber jede von uns Weiß das das Lachen nur Fassade ist. Keiner von uns ist es zu Lachen zumute.

Wie konnte ich Maman nur so anlügen, ich bin selbst erschrocken über diese „Gabe“.

„kein Problem Lucie, ich helfe gerne“
Celina, du hilfst mir glaubhaft zu Lügen? Du bist echt meine beste Freundin, zusammen könnten wir vieles Erreichen!
Ich lächle vor mir hin und stelle mir vor wie ich dann auch andere Sachen erreichen könnte mit genug Schauspieler Talent.

Zurück in meinem Zimmer sag ich meiner Mutter das ich müde bin und schlafen möchte. Sie küsst mir zächtlich die Stirn.
„Dann gehe ich mal, ich bin Morgen früh wieder bei Dir. Schlaff schön mein Engel“
„Ach, noch was meine Kleine, Philippe hat mich gebeten dich zu fragen ob du einen Thomas kennst, einen Junger der in der Fahrradwerkstatt arbeitet“
„Thomas?“ oh mein Gott!! „nein, kenne ich nicht, der Namen sagt mir nichts, wieso?“
„Ach nur so, er wird wohl vermisst, aber sein Chef ist auch einfach weg, sie sind bestimmt auf eine Geschäftsreise oder so. Der Junge wohnt bei einer Pflegefamilie und hat es dort wohl nicht so einfach gehabt. Er hat ihnen bestimmt nur nicht erzählt dass er mit seinem Chef weg fährt. Also bis morgen, schlaf schön.“

Die Tür ist zu, ich leg mich hin, ziehe die Decke hoch.

„Thomas und Mario sind weg? Aber auch gut so, dann muss ich schon mal davon keine Angst haben. Celina… bist du da?

Nichts, keine Antwort, keine Stimme.

„Celina? Bist du da?“

Nichts. Dabei wollte ich endlich erfahren warum ich sie nicht erwähnen darf, warum sie mir so nah ist, wieso ich sie so sehr mag ohne sie überhaupt gesehen zu haben und vor allem ohne überhaupt zu wissen ob es sie wirklich gibt!

„Sprich doch mit mir, sag was. Bis du sauer auf mich? Habe ich was falsch gemacht oder schläfst du? Wo bist du?“

Und was wenn sie nie mehr wieder kommt? Nein, sie kommt immer wieder, das hat sie mir doch versprochen, sie wird immer bei mir sein, in mir. Meine Augen werden schwer, ich kann fühlen wie mein Körper langsam in den Schlaf gleitet während ich probiere Celina ein Gesicht zu geben. Ich glaube sie ist blond, sehr hübsch, etwas älter als ich.

Heute werde ich 13, und ich hätte nicht gedacht dass ich mich so freuen kann nach Hause zu gehen! Die letzten Jahre waren Geburtstage ein notwendiges Übel. Maman hat es sogar schon mal vergessen! Aber heute nicht, heute hat sie daran gedacht. Sie ist zu mir gekommen mit 13 Luftballons und ein Tolles Kleid für mich. Auch Blumen waren dabei, die sind aber von dem Inspektor, von Philippe. Sie ist eben raus um eine Vase zu besorgen und meine Medikamente für Heute und Morgen. Ja! Ich darf tatsächlich für 2 Tage nach Hause, danach muss ich aber wieder zurück in dieses triste Zimmer. Aber egal, heute kann mir nichts die Laune verderben.

„Taxi express!“ ruft Maman als sie mit meinem Rennstuhl in dem ich Täglich in ihrer Begleitung in den Park darf.
„Ab nach Hause“ rufe ich aufgeregt

Noch ein paar geübte Handgriffe meiner Maman, und schon bin ich reisefertig.
Vor dem Krankenhaus wartet auch schon ein Taxi auf uns. Toll
Die ganze fahrt frage ich mich wie es zu Hause wohl aussieht. Hat sich das Haus auch so positiv verändert wie meine Mutter? Ich hoffe es, und ich glaube es auch.
An der Haustür hängt ein Schild
„Willkommen zu Hause Lucie“
Da kann ich meine Tränen nicht mehr halten, ich bin so froh hier zu sein, und Maman hat alles so schön gemacht. Jetzt will ich rein, und erst mal mich auf der Couch legen, da sie endlich wieder frei ist.
Wir stehen vor dem Haus, und ich frage mich wieso wir hier stehen bleiben als die Türe aufgeht und was für eine Überraschung als Marie da steht. Sie stürmt zu mir und singt „Happy Birthday“. Sie umarmt mich und über Ihre Schultern kann ich Frau Goya sehen, wie auch sie aus dem Haus kommt. Sie trägt ein wunderschönes Sommerkleid und ihre Haare hat sie zu einem langen Zopf geflochten. Sie lacht und kommt auf mich zu. Auch sie umarmt mich und küsst mich auf der Wange. Alle scheinen so fröhlich zu sein. Und das alles nur für Mich? Toll!

Im Haus ist alles ganz anders. Es ist so hell und frisch und aufgeräumt. Die Wände sind neu gestrichen und wir haben eine neue Couch. Maman hilft mir von den Stuhl auf den super bequeme Couch aus weichem Stoff. Jetzt erst sehe ich alle Geschenke und Karten auf dem neuen Wohnzimmertisch. Erneut muss ich weinen. Das erst mal das ich in diesem Haus Freudentränen vergieße. Ein schönes Gefühl.

Niemand erwähnt das Kornfeld, was mich sehr freut, ich hatte schon Angst unangenehme Fragen beantworten zu müssen.

„Dein Kopftuch gefällt mir“ Sagt Marie „Sowas würde ich auch gerne tragen“
„Na ja, ich wäre froh ohne rumlaufen zu können, aber wenn ich es nicht mehr brauche kannst du es gerne haben“ antworte ich lachend.“Du musst mir deine neue Adresse geben, und mir erzählen wie es dort ist“ Ich frage nicht nach ihre Mutter, ich will die gute Stimmung nicht verderben.

Es ist Zeit die Geschenke zu öffnen. Meine Hände zittern vor Aufregung und ich kann diese schöne Schleife nicht öffnen. Ach, egal, ich reiße das ganze einfach auf!

Das Erste Geschenk ist ein Tagebuch mit Schloss dran, kann ich gut gebrauchen. Dann ein Buch, eine Halskette, ein Bild von Delfine zum selbst ausmalen, ein T-Shirt mit der Aufschrift „Achtung Teenie“ und einen viele Umschläge mit Grüße von viele Leute die ich überhaupt nicht kenne. Auch von meiner Schulklasse ist eine Karte da mit“ beste Grüße“ und „komm bald wieder“ und alle Unterschriften. Komisch, wäre nichts passiert, würde alle diese Leute nicht wissen dass ich heute 13 werde. Maman lächelt mich an.
„mein Geschenk ist oben, in deinem Zimmer“
„kommt Größe, ich trage dich nach oben, die Treppe ist doch noch ein bisschen zu viel für Heute“ Sagt Philippe und schon liege ich in seine Arme. Mann ist der stark! Aber ganz schön angenehm so auf den Arm genommen zu werden.

Als Marie voller Vorfreude meine Zimmertür öffnet trifft mich fast der Schlag. Nichts ist hier wie es war! Alles ist neu und riecht auch so. Ich habe ein tolles Metalbett, so eins wollte ich schon immer haben, und einen großen Schrank mit einem riesen Spiegel dran, und die Wände haben tolle Farben und Muster. Meine alte Spotlampe wurde durch einen kleinen Kronleuchter ersetzt und an der Decke funkelt es wie Sternen. Am Boden liegt einen großen Dicken Teppich.

„Lass mich runter“
Als meine Füße den Boden berühren fange ich an zu weinen. Es ist als ob ich auf Wolken stehe, es kann nicht wahr sein, es ist bestimmt nur einen schönen Traum. Ich schleppe mich zu meinem neuen Bett und setzte mich vorsichtig drauf. Die Bettwäsche riecht nach Lavendel und ist so weich. Herrlich, hier will ich bleiben.

„Schau mal Lucie, das ist von Philippe“
Sie öffnen eine Schranktüre und darin befindet sich einen neuen Fernseher, mit Fernbedienung! Sowas habe ich mir oft gewünscht, aber wir hatten ja nie das Geld dafür.

Alle stehen da und Strahlen um die Wette. Ich schaue sie mir alle an, einer nach dem Anderen, und auch wenn meine Sicht von den Freudentränen betrübt ist, kann ich sehen wie schön alle sind, vor allem meine Mutter. Hinter ihr steht Philippe und ich sehe die beide an und verstehe nun alles. Sie sind ein Paar, und ein sehr schönes dazu. Jetzt weiß ich es ganz genau, alles wird gut. Nur eine Freundin hat sich heute noch nicht gemeldet, Celina.

Ich bin Lucie, und an meinem 13. Geburtstag bin ich richtig glücklich.

Impressum

Texte: Copyright by P.Michelle Klingele
Bildmaterialien: Copyright by P.Michelle Klingele
Tag der Veröffentlichung: 18.07.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
"Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten" (Aldous Huxley)

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