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Dubai Aupair

Dies ist kein Märchen, aber ein bisschen war es wie bei Aschenputtel. Ich habe auf Knien die Böden geschrubbt, mich um Baby Achmed gekümmert, wenn er schrie und mich ausschimpfen lassen müssen in einer Sprache, die ich nicht verstand. Ich weiß eigentlich nicht, warum ich das vier Monate lang mitgemacht habe. Ich dachte einfach, es wäre normal, dass man als Aupair-Mädchen so behandelt wurde. Erstrecht in einem Land wie Arabien. Ich bin über die Aupair-Agentur zur Familie Al Sadic vermittelt worden. Bei meiner Ankunft konnte ich einen Blick auf die glitzernde Stadt Dubai erhaschen, aber seitdem bekam ich nichts mehr von der Außenwelt mit. Stattdessen musste ich Kopftuch tragen und einen schwarzen Umhang, den sie Abaya nannten. Es gab keinerlei feste Arbeitszeiten für mich und ich bekam auch keine festen Mahlzeiten. Wenn man aus dem Anwesen hinaus wollte, hätte man sich in eins der Autos setzen müssen, die einer der Chauffeure aus dem großen Tor fuhr, das sich dann wie von Geisterhand wieder schloss. Erst bemerkte ich nicht, dass dieses Anwesen, wie ein Gefängnis für mich war. Es war sehr weitläufig und ich war damit beschäftigt mir über die Aufgaben eines Aupair-Mädchens klar zu werden. Ich hatte ganz andere Vorstellungen gehabt und nicht die geringste Ahnung von Babies. Ich habe zwar zwei kleinere Brüder, aber ich musste die nie wickeln oder füttern. Achmed war gerade erst 3 Monate alt und wurde eben erst von der Muttermilch entwöhnt. Ich glaube, ich habe alles falsch gemacht, was man falsch machen kann und stellte mich sehr ungeschickt an mit Baby Achmed. Zumindest gab mir die Hausherrin das Gefühl. Sie schimpfte mit mir lauthals in einer Sprache, die ich noch nicht gut konnte und dabei kamen nicht nur mir die Tränen. Baby Achmed musste weinen, was mir furchtbar leid tat. Er konnte ja nichts dafür, dass ich mich so dumm anstellte. Seiner Mutter schien das egal zu sein. Ich presste Achmed an mich und hielt ihm die Ohren zu. Ich war nur froh, dass Frau al Sadic mich nicht schlug, so wie sie es mit den beiden Mädchen aus Eritrea machte, die für den Haushalt zuständig waren. Sie hausten in einer engen Kammer mit zwei Pritschen darin. Wohingegen ich ein großes Zimmer hatte mit hübschem Mobiliar, einem bequemen Bett und einem Fernseher, der kaputt war. Ich war dankbar dafür und wenn ich mit meiner Mutter in Deutschland telefonierte, dann erzählte ich ihr nichts davon, wie ich behandelt wurde. Stattdessen fragte ich sie über Baby-pflege und ernährung aus. Sie schickte mir regelmäßig Päckchen, in dem etwas für Baby Achmed drin war. Es gab im Hause Al Sadic nicht viel Spielzeug. Somit hatte ich irgendwann auch den Bogen raus, wie man ein schreiendes Baby beruhigt oder ihn dazu bringt einzuschlafen. Dann konnte ich auch der tobsüchtigen Hausherrin weitestgehend aus dem Wege gehen. Aber das gelang mir nicht immer. Als Achmed einmal sehr hoch Fieber bekam, musste ich ihr ja bescheid sagen. Der Kinderarzt war sehr freundlich zu mir und beruhigte mich in meiner Sorge um das Baby. Er sprach Englisch und fragte mich zum Abschied, ob mir Arabien gefallen würde. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich noch nicht viel davon gesehen hätte. Frau Al Sadic zerrte mich zu ihrem Ehemann, den ich nur kurz bei meiner Ankunft kennen gelernt hatte. Ich stellte an diesem Tag fest, dass er Englisch sprechen konnte. Er warf mir vor, dass ich das Baby zu lange draußen in der Sonne gelassen hätte und es deswegen Fieber bekommen hat, obwohl der Arzt etwas anderes gesagt hatte. Mein größtes Vergehen wäre aber gewesen, dass ich die Familie Al Sadic vor dem Arzt in Verruch gebracht habe. Weil ich überhaupt nicht verstehen konnte, was er meinte und es für ein unglückliches Missverständnis hielt, bekam ich eine Ohrfeige von ihm. Der Schlag war nicht kräftig, aber es klatschte ganz schön. Ich war sehr schockiert und eingeschüchtert, weil ich noch nie in meinem Leben geschlagen wurde, nicht von meinen Eltern, oder einem Lehrer, nichtmal in Prügeleien unter Kindern war ich verwickelt. Ich war behütet aufgewachsen und war bis zu diesem Zeitpunkt immer aufrecht und selbstbewusst durch das Leben gegangen. Anstatt mit Deutschland zu telefonieren, rief ich bei der Agentur an, denn meine Mutter hätte sofort bemerkt, dass etwas mit mir nicht stimmte. Ich sagte nur, dass es ein Missverständnis zwischen mir und der Familie gegeben hätte und ob sie jemanden schicken könnten, der zwischen uns vermittelt. Zwei Wochen lang geschah nichts, aber dann tauchte plötzlich jemand auf und stellte unangenehme Fragen. Diesmal bekam ich nicht nur eine heftige Ohrfeige, sondern wurde auch noch geschubst so, dass ich mir das Handgelenk verstaucht und eine Platzwunde am Kopf hatte. Ich habe mich noch nie so ohnmächtig gefühlt, wie in diesem Moment. Ich empfand es wie ein Erwachen aus einem schönen Traum, es gibt tatsächlich böse Menschen und die Realität war viel härter als ich je dachte. Plötzlich stand meine heile Welt auf dem Kopf. 

Die Familie veranstaltete ein Fest, bei dem ich Baby Achmed allen Gästen zeigen sollte. Seine Mutter nahm ihn nie auf den Arm, sondern winkte mich zu sich, wenn sie jemanden ihren Wonneproppen präsentieren wollte. Achmed war wirklich gut drauf und quiekte vergnügt. Ich trug ihn den ganzen Abend umher und schließlich schlief er dort auch ein. Aber mir wurde nicht erlaubt ihn ins Bett zu legen. Ich sollte bis zum bitteren Ende bleiben, obwohl ich schon total erschöpft war. Ich erlaubte mir irgendwann mich mit ihm auf einen Sessel zu setzen, der endlich frei geworden war. Ich war gerade dabei einzuschlafen als mich Mohammed Al Sadic ansprach. Er ist der Bruder von Achmeds Vater. Irgendwas mit, dass ich ein sehr hübsches Mädchen sei und was ich denn vorhätte, wenn die Nanny für Achmed nächste Woche aus England eintrifft. Ich verstand gar nicht, was er von mir wollte. Nachdem er etwas kryptisch um den heißen Brei herum redete, begriff ich langsam, dass man mich nicht länger in diesem Haus haben wollte. Ich war fassungslos, eigentlich sollte ich ein halbes Jahr den Aupair machen. In diesem Augenblick machte mir Mohammed dieses unmoralische Angebot. Es ginge um Sex, ob ich dazu bereit wäre, es würde sehr gut bezahlt werden. Ich dachte nur, schlimmer kann es in dieser Welt nicht kommen. Jetzt wurde ich schon von Zuhältern angesprochen. Was war Arabien nur für ein furchtbares Land?

 

Ohne Moral

 

Ich hielt es keine Minute länger im Hause der Al Sadics mehr aus. Ich hätte am liebsten Baby Achmed mitgenommen. Ich legte ihn in sein Bettchen und gab ihm einen Abschiedskuss. Dann packte ich meine Koffer und bestellte mir ein Taxi. Bei dem ganzen Trubel wegen der Party wurde mein Verschwinden nicht bemerkt und man hielt mich nicht auf. Das Taxi setzte mich vor der Aupair-Agentur in Dubai ab. Ich hockte dort am Morgen immer noch vor der Tür mit meinen Koffern. Sie behaupteten, dass sie versucht hätten mich von den Al Sadics wegzuholen, aber sie seien am Tor zurück gewiesen worden. Man habe ihnen zugesichert, dass es mir gut ginge. Wenn ich nicht so fertig gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich darüber gelacht. Man wüsste auch nichts davon, dass mich die Familie bald nicht mehr gebraucht hätte. Man brachte mich zu einer schäbigen Pension, die ich selbst bezahlen musste und sagte mir, dass man sich um eine neue Aupair-Familie für mich kümmern würde. Ich sagte meiner Familie in Deutschland nichts, um sie nicht zu beunruhigen. Für mich kam irgendwie nicht infrage nach Hause zu fliegen. Ich glaubte doch tatsächlich, dass ich noch eine Chance hätte eine bessere Familie zu bekommen. Es war auch ein bisschen meine Erziehung: Nicht aufgeben, durchhalten und nicht beklagen. Ich wollte das unbedingt mit diesem Aupair-Jahr machen. Ich behauptete einfach, dass die Familie Al Sadic umziehen würde und dass mir Mama im Augenblick keine Pakete schicken kann, weil ich die neue Adresse noch nicht kenne. Es war schrecklich sie anzulügen, aber meine Eltern merkten nicht, das etwas nicht stimmt, denn ich hatte schon vorher am Telefon so geklungen, als wäre ich sehr übermüdet und überfordert. Meine Eltern meinten, es täte mir mal gut so an meine Grenzen gebracht zu werden, denn mein Leben war bisher immer nur wohlbehütet und ohne große Probleme verlaufen. Nach drei Woche war mein Erspartes ziemlich aufgebraucht, denn ich erkundete Dubai auf touristische Weise, machte Stadtführungen mit, fuhr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln umher und zahlte Eintritt für Sehenswürdigkeiten. Mein Vertrauen in die Aupair-Agentur war erschüttert, da sie sich überhaupt nicht mehr bei mir meldeten und auf Nachfragen bekam ich nur Ausflüchte. Die Al Sadics haben ihnen erzählt, dass ich unfähig sei und Baby Achmed irgendwie geschadet hätte. Zumindest war auch meine Bezahlung ausgeblieben, was die Agentur sehr verärgerte. Letztendlich sah ich keine andere Möglichkeit aus diesem Schlamassel wieder herauszukommen als, ich entschied, diesen Mohammed anzurufen.

"Wo bist du?" war seine erste Frage, die ich nicht beantwortete. "Geht es Ahmed gut?" war dann meine erste Frage, denn ich machte mir Sorgen. "Ja, es geht ihm gut. Die Nanny ist bereits zwei Tage nach der Feier eingetroffen." Ich war erleichtert und ärgerte mich ein wenig, denn ich hätte nur zwei Tage aushalten müssen, dann hätte ich jetzt kein schlechtes Gewissen gegenüber Achmed und die Al Sadics hätten mich selbst bei der Agentur abliefern und erklären müssen, warum sie mich nicht mehr wollten. "Wo bist du? Ich lasse dich abholen..." bot mir Mohammed an "Nein, ich möchte nicht, dass die Al Sadics wissen, wo ich bin." sagte ich abwehrend. Ich hatte Angst ihnen zu begegnen und fürchtete ihren Zorn. "Hast du über meine Angebot nachgedacht?" unterbrach der Onkel mein weiteres Schweigen. "Ja!" Das muss entschlossen genug geklungen haben, denn er nannte mir eine Adresse, zu der ich kommen sollte. Schließlich saß ich in seinem Büro. Ich war sehr überrascht, dass ein Zuhälter der Geschäftsführer einer arabischen Reisegesellschaft war und der Ausblick aus seinem Büro war atemberaubend, direkt auf das Meer und die Palm Jebel Ali. Er hatte Vorzimmerdamen, die keine Kopftücher trugen. Ich hingegen war in Abaya und Kopftuch gehüllt, so wie es die Al Sadics wollten. "Hat dich mein Bruder angefasst?" fragte Mohammed gerade heraus. Natürlich hatte er mich angefasst und das ziemlich grob, aber er meinte es ja eher in sexueller Hinsicht, also druckste ich herum: "Ich möchte die Familie Al Sadic nicht in Verruch bringen." Der Mann vor mir schüttelte tadelnd den Kopf. "Bogdan ist ein Hurensohn. Er macht schmutzige Geschäfte und behandelt seine Mitmenschen schlecht. Da gibt es nichts mehr in Verruch zu bringen." "Sind sie denn besser?" fragte ich spontan und hielt mir vor Schreck die Hand vor den Mund, weil das bestimmt beleidigend war. Aber Mohammed lächelte. "Mir sind Loyalität und Integrität sehr wichtig. Aber ich verstehe, dass du das bezweifelst, bei dem Angebot, das ich dir gemacht habe. Ich habe bemerkt, dass es dich schockiert hat. Möge Allah mir verzeihen." Ich sagte dazu lieber nichts. "Der Sohn eines Freundes scheint Probleme mit Frauen zu haben. Er soll eigentlich heiraten, aber er will nicht. Es scheint, dass er zu unerfahren ist. Als ich dich bei der Party der Al Sadics sah, dachte ich, dass du vielleicht die Richtige für ihn bist." Ich soll mit einem Jungen schlafen, damit er Erfahrung vor der Ehe bekommt, so ungefähr verstand ich das. Also von einer Aupair zu einer Prostituierten? Ob das die Lösung für meine Probleme sein würde, wusste ich nicht so recht. Doch Mohammed sagte dann "Wir fahren gleich zur Familie Hamad und reden mit ihnen. Wenn es dir dort nicht gefällt, sorge ich für einen Rückflug nach Deutschland." Was dann den Ausschlag dafür gab, dass ich mit einem Kopfnicken mitten in diesem Arangement steckte. Wir fuhren zu dem Anwesen der Hamads, das noch imposanter war und ist, als das von den Al Sadics. Mohammed ließ mich in der Eingangshalle warten und verschwand. Da kam der neugierige Joel zu mir gelaufen und sagte irgendwas von "Willst du mit mir malen?" Da ich nicht sehr gut arabisch konnte, verstand ich nicht: "Malen?" Er machte es in der Luft vor, denn es gab weder Tisch noch Papier oder Stifte dort wo wir waren. So schüttelte ich den Kopf. Er war so alt, wie einer meiner Brüder, daher wusste ich was Jungs in diesem Alter mochten. "Fussball?" fragte ich auf Englisch und machte die typische Schussbewegung. Joel grinste mich breit an und nickte eifrig. In diesem Augenblick kam Mohammed mit einem Mann herein, der sofort den Jungen anbrüllte: "Was ist hier los?" Der kleine Junge wurde ausgeschimpft, weil er nicht die Gäste des Hauses belästigen soll. Ich stellte mich sofort hinter Joel und legte beschützend meine Hände auf seine Schultern als sei er mein Bruder. Diese Geste ließ den Vater abrupt verstummen und lächeln. Dann sah er mich an. "Salemaleikum, Miss Krüger. Das ist mein Sohn Joel" Dass man sich hier in Arabien nicht die Hände schüttelte, wusste ich ja schon. Also beugte ich mich leicht vor und erwiderte seine Begrüßung höflich. Dann wendete ich mich an den kleinen Jungen und sagte zu ihm "Joel, ich heiße Sarah" Er sagte irgendwas arabisch Höfliches in der Art Möge die Macht mit dir sein zu mir und dann bat mich Herr Hamad ins Büro. Dabei wuschelte er seinem Sohn liebevoll die Haare bevor er ihn wegschickte.

 

Ein Augenblick

 

Ich weiß noch, wie mir das Herz bis zum Hals schlug als ich in diesem Büro saß. Herr Hamad erklärte mir nochmal, dass er sich Sorgen um seinen Sohn macht, weil er sich nicht für Frauen interessiert. Ich sagte: "Er ist doch noch klein." als die Männer in schallendes Gelächter ausbrachen. Ich war noch eingeschüchteter als vorher, bis er mir endlich erklärte, dass sein Sohn Tabil schon 20 Jahre alt wäre. Mir war das furchtbar peinlich. Mir wurde dann erklärt, dass ich vor den anderen Kindern der Familie als Kindermädchen deklariert werde, damit man ihnen nicht so viel erklären muss. "Deshalb ist Joel auch gleich hergekommen und wollte dich kennen lernen. Eigentlich brauchen wir kein Kindermädchen, weil meine Frau sich gerne um die Kinder kümmert und nur selten einen Babysitter benötigt." Das fand ich sehr sympathisch, aber dann fiel mir ein: "Mohammed sagte mir, dass bereits mehrere Mädchen hier gewesen wären." Die beiden Männer hatten sich fest vorgenommen, Tabil von seinem Desinteresse an Frauen zu heilen. "Haben sie alle Mädchen den Kindern als ihr Kindermädchen vorgestellt?" Herr Hamad nickte und wusste wohl schon, worauf ich hinaus wollte, denn er sah etwas schuldbewusst drein. "Ich glaube nicht, dass es gut für sie ist, ständig neue Kindermädchen zu haben." Mohammed und Herr Hamad tauschten Blicke aus und ich hatte das Gefühl, dass ich irgendetwas nicht mitgekriegt habe. Dann sagte Herr Hamad plötzlich: "Wärst du an einem Praktikum bei der Hamad Oil Company interessiert?" "Hamad Oil Company? Ist das ihre Ölgesellschaft?" Er nickte. "In echt oder zum Alibi?" "In echt!" Ich glaube mir stand etwas der Mund offen. "Mohammed sagte, dass du eine kaufmännische Lehre machen möchtest, wenn du wieder in Deutschland bist." Wenn ich nervös bin, rede ich immer zu viel. "Da ist so ein Praktikum sicher nützlich." "Ja, aber..." "Ich zeige dir erstmal meine Firma und dann kannst du immer noch entscheiden." "Und ich würde dann hier bei ihrer Familie wohnen, damit..." Mohammed war diesmal derjenige, der mich unterbrach: "Ich kann dich wieder in deine Unterkunft bringen, aber du kannst auch ein Hotelzimmer von meiner Reisegesellschaft zur Verfügung gestellt bekommen oder eben hier bleiben." "Sei bitte unser Gast heute abend. Es wird gleich Essen geben. Da ist immer die gesamte Familie Hamad versammelt." Wo ist der Haken an der Sache? fragte ich mich.

Dann saß ich mit den Hamads an einem Tisch. Mir gegenüber Joel, der seiner kleinen Schwester Layla, die neben ihm saß immer etwas zuflüsterte, so dass sie kichern musste. Dann Mohammed an einem Kopfende und Efrim, wie ich Herrn Hamad nun nennen sollte, am anderen Ende. Ich neben Frau Hamad, die ich auch sofort mit ihrem Vornamen Aleya ansprechen sollte. Tabil glänzte durch Abwesenheit. Ich war noch sehr zurückhaltend und skeptisch, ob all die Freundlichkeit echt war. Doch ich hatte Hunger und haute richtig rein, was natürlich auffiel. So fragte Aleya belustigt: "Hast du bei den Al Sadic nichts zu essen bekommen?" Ich erstarrte in der Bewegung.  Mein arabisch war gut genug, um die Frage verstehen zu können. Es wurde still am Tisch. Alle sahen mich erwartungsvoll an. Was sollte ich denn sagen? Dass ich die letzten vier Monate keine vernünftige Mahlzeit mehr bekommen habe. Bei den Al Sadics kam erst die Familie dran und dann bekamen die Angestellten die Reste. Ich fand, dass die beiden Eriträerinnen es viel nötiger hatten als ich und so begnügte ich mich mit Fladenbrot und Joghurt. Gelegentlich aß ich den Babybrei von Ahmed und Obst mit braunen Stellen.
Tabil rettete mich mit seinem Erscheinen vor der Antwort. Er begrüßte höflich Mohammed und wurde dann von seiner Mutter getadelt wegen seiner Klamotten. Er trug eine Art Hausanzug, der war gleichbedeutend mit der europäischen 'Jogginghose mit T-Shirt'. Ich sah das aber erst später, denn ich starrte meinen Teller an ohne aufzusehen. Mein Innerstes war in totalem Aufruhr. Das ist der Junge, mit dem ich schlafen soll! Tabil hob, bevor er sich setzte, einen Deckel von einer der dampfenden Schüsseln auf dem Tisch hoch und kommentiere es abfällig. Zumindest konnte ich unterscheiden, dass er nicht "Mh, lecker!" sondern "Igitt!"  gesagt hatte. Da riskierte ich dann doch einen Blick, sah aber nur seine Haarfransen, die die Augen verdeckten. Er trug einen 3-Tage-Bart und sah aus, als käme er gerade aus dem Bett. "Das ist Sarah Krüger aus Deutschland." machte Mohammed ihn auf mich aufmerksam. "Sie wird ein Praktikum bei mir im Büro machen." erklärte ihm sein Vater. Ich sah wie Joel enttäuscht die Schultern hängen ließ und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Tabil schien das nicht zu interessieren: "Mhm!" Dann die dritte Salve von Aleya: "Tabil, ich habe gedacht, Sarah könnte doch bei uns wohnen, solange sie das Praktikum macht. Ich würde sie dann bei dir im Haus einquartieren." Tabil hat tatsächlich sein eigenes Haus auf dem Anwesen. "Ist das in Ordnung?" trällerte seine Mutter fröhlich und er knurrte. "Wenn sie die laute Musik nicht stört!" Laute Musik? Cool! "Wenn es gute Musik ist." sagte ich in meinem gebrochenen Arabisch und erinnerte die Anwesenden, dass ich schon etwas von der Landessprache verstand und durchaus dem Gespräch folgen konnte, in dem eben von mir in der dritten Person gesprochen wurde. Also richteten sich wieder alle Augen auf mich. Insbesondere ein kastanienbraunes Augenpaare, das erst jetzt in meine Richtung fokussiert wurde. Ein Augenblick ein Augenblick. Mein Herz stockte kurz. Dann zuckte Tabil lässig mit den Schultern und aß sein Abendessen.

 

Kleine Maus

 Mein Zimmer war riesig mit Sitzecke, Schreibtisch und sogar einem Schminktisch. Ich hatte ein Balkon und ein eigenes Bad mit Badewanne und Dusche. In diesem Haus, in dem Tabil wohnte, gab es noch eine Küche, ein Aufenthaltsraum und ein Fitnessbereich. Es gab sogar eine Bedienstete, die nur für dieses Haus zuständig war. Ich glaube, sie war ganz froh, wenn mal Besuch da war, denn alles sah so aus, als würde es kaum benutzt. Es war auch sehr sauber und reinlich, deswegen wunderte ich mich, dass in meinem Bad ein paar Kakerlaken herum krabbelten. Mich erschreckte das nicht so, denn im Hause der Al Sadics gab es auch so manches Krabbbelvieh, aber dort war es auch nicht sauber, insbesondere in der Küche nicht. Was auch ein Grund mit war, dass ich in letzter Zeit wenig gegessen hatte. Aber eigentlich suchten Kakerlaken nach was Essbaren und das war in einem geputzten Bad schwer zu finden. So verschwanden sie auch schnell wieder. In den ersten Tagen sah ich Tabil nur zu den Mahlzeiten, aber er beachtete mich nicht. Ich hörte nur immer die Musik nebenan dröhnen. Ich hatte kein Problem damit, aber ich hätte sie gerne richtig gehört, denn sie war ganz nach meinem Geschmack. Mir taten meine Vorgängerinnen wirklich leid, die sich allesamt die Zähne an ihm ausgebissen hatten. Ich wollte ihm lieber nicht auf die Pelle rücken, denn es war ja eindeutig, dass er seine Ruhe und nichts mit mir zu tun haben wollte. Ich muss zugeben, dass ich ein wenig beleidigt war deswegen. Stattdessen spielte ich Fussball mit Joel. Naja, ich spielte nicht direkt mit ihm, sondern musste im Tor stehen, weil ja Mädchen nicht Fussball spielen können. Layla musste dem entsprechend als Zuschauer fungieren. Sie jubelte immer besonders laut, wenn ich mal den Ball hielt und Joel machte dann immer ein auf beleidigte Leberwurst. Ich hatte wirklich Spaß mit den beiden. Ich konnte auch endlich wieder meine Jeans und Blusen tragen, was erheblich zu meinem Wohlbefinden beitrug. Das Kopftuch behielt ich weiterhin auf, einfach weil es Aleya auch tat. Ich band es nur im Nacken zusammen und nicht am Kinn. Das war bequemer, insbesondere beim Fußballspielen. Layla trug kein Kopftuch. Sie hatte schönes Haar und ich flechtete ihr Zöpfe während wir zusahen wie Joel den Ball mit dem Kopf jonglierte. Layla bevorzugte das Spiel mit Barbiepuppen. Ich hatte als junges Mädchen auch sehr viel von Barbie gehabt, aber was Layla da in ihrem Kinderzimmer hortete war der Wahnsinn, dabei kam sogar ich noch ins schwärmen. Beim Spiel mit den Barbies bekam ich auch gleich perfekten Arabischunterricht. Layla hielt mir Ken hin und behauptete, das wäre Tabil, aber er hatte braunes Haar und blaue Augen. Ich setzte ihm Kopfhörer auf den Kopf, damit er Musik hören kann. Das fand meine Spielkameradin lustig. "Falsche Kleidung!" sagte ich, weil er einen schwarzen Anzug trug und wühlte schon in Kens Outfits. "Nein Sarah, auf seiner Hochzeit sieht er so aus." Sie holte Barbie heraus, die ein weißes Brautkleid trug und setzte beide in eine Hochzeitskutsche. Sie spielte Hochzeit. "Tabil heiratet Barbie?" "Nein, das ist Jesemaya!" So erfuhr ich mal eben den Namen seiner Verlobten. Das war ein komisches Gefühl. "Hat Jesemaya blondes Haar?" Layla schüttelte den Kopf und wir stellten fest, dass sie keine schwarzhaarige Barbie hatte. "Ich habe blondes Haar." verriet ich ihr und nahm mein Kopftuch kurz ab, um es ihr zu zeigen. Layla war total geflashed. "Du siehst aus wie Barbie" "Dann muss ich wohl Tabil heiraten" witzelte ich "Das geht nicht" "Warum nicht?" wollte ich rein hypothetisch wissen "Er heiratet doch Jesemaya" "Ich habe gehört, er will nicht" Layla mit ihren sieben Jahren zuckte mit den Schultern und sagte: "Das hat er nicht zu entscheiden, sondern Papa." Was ich spürte, konnte man wohl den kulturellen Schock nennen. Für Layla war das ganz verständlich und ich konnte es nicht begreifen. Die Kutsche war beim Barbieshaus angekommen.  Jetzt kam der Teil, den Layla gerne von mir gewusst hätte: "Was machen Tabil und Jesemaya nachdem sie geheiratet haben?" Da saß ich nun auf dem Teppich in diesem Traum von einem Kinderzimmer, vor Barbies Villa und sollte erklären, was geht. Ich tat erst so als verstünde ich es nicht, aber damit ließ mich Layla nicht durchkommen. Schließlich übersprangen wir das und einigten uns darauf: "Dann kommt das Baby zu ihnen!" Layla holte begeistert eine Babypuppe raus, dazu einen Kinderwagen, einen Wickeltisch und eine Wiege. Super Ausstattung! "Babys sind süß!" waren dann meine neuen Vokabeln. Ich erzählte ein bisschen von Baby Ahmed, was ihn zum Lächeln gebracht hatte und was alles schief lief, als ich ihn das erste Mal gebadet hatte. Layla lachte so laut, als ich an der Stelle ankam, wo das Gestell mit der gefüllten Wanne umfiel, dass Aleya im Kinderzimmer nach dem Rechten sah und auch die Geschichte hören wollte. Sie hatte dann auch ein paar Anekdoten.
Ich hatte ganz am Anfang etwas Angst vor Aleya gehabt, nach meinen Erfahrungen mit Frau Al Sadic. Aleya fasste mir einmal auf die Schulter und ich zuckte erschrocken zusammen. Mit dem Verdacht, dass ich von Herrn Al Sadic möglicherwiese genötigt wurde und dass ich Hunger leiden musste, hatte sie das große Bedürfnis mir viel Aufmerksamkeit zu schenken. Ich bekam das volle Verwöhnprogramm von ihr. Sie behandelte mich so, als wäre ich ihre eigene Tochter, passte auf, dass ich genügend Sonnencreme auftrug, gab mir Schminktipps, brachte Badelotionen und hübsche Kopftücher von ihren Shopingtouren für mich mit, ließ mich besonderes arabisches Naschwerk probieren, wie glasierte Datteln, was noch heute eins meiner Lieblingsspeisen ist. Aleya brachte mir einmal Blumen aufs Zimmer, um mir eine Freude zu machen. Ich hatte mich mittags etwas hingelegt, denn ich war in diesen Tagen ständig müde und schlapp. Sie kam herein und kreischte plötzlich wie am Spieß, dann lag der Blumenstrauß samt Vase quer im Zimmer und sie war hinaus gestürmt. Ich hörte sie im Nachbarzimmer keifen. Tabil hatte zumindest so viel Respekt die Musik auszumachen. Als ich die Vorhänge aufzog sah ich erst, worum es ging. Eine weiße kleine Maus saß zitternd mitten in den Scherben und den Blumen. Ich rettete sie und weil sie so handzarm war, fütterte ich sie mit ein paar kleinen Kräckern. Als Aleya wieder kam hatte sie einen hochroten Kopf. Sie zerrte Tabil am langen Arm hinter sich her, der einen Kleintierkäfig trug. Er unterdrückte ein Grinsen als er die Blumen auf dem Boden liegen sah. Als Aleya sah wie ich die Maus in der Hand hielt wäre sie fast in Ohnmacht gefallen. Sie tat mir so leid. Ich setzte schnell die Maus in den Käfig, den mir Tabil hinhielt und umarmte sie. Sie brach in Tränen aus und weinte bitterlich. Ich sah das schockierte Gesicht ihres Sohnes, der sich ganz schnell verpisste und auch nicht zum Abendessen erschien. Efrim lachte darüber nur, als Aleya es ihm erzählte. Er schlug stattdessen einen Familienausflug zu den Bohrtürmen der Hamad Oil Company in der Wüste vor. 

Tarantula

 

Efrim hatte mich die Tage bereits durch drei Gebäudekomplexe mit Büros, Chemielaboren und Tanklager geführt. Der Ausflug in die Wüste war dann das Highlight und es war gleichzeitig furchtbar. Es war so heiß und trocken in der Wüste. In der Anlage stank es bestialisch und man musste so ein blöden Sicherheitshelm tragen. Alles war schmierig und ölig. Das einzig Gute war der Anblick von Tabil, der ebenso wie sein Vater in weißer Tawbe und der rot-weiß-karrieren Kopfbedeckung gekleidet war. Er begrüßte die Mitarbeiter der Anlage genauso wie sein Vater mit Schulterklopfen und einer angedeuteten Umarmung. Er trat selbstbewusst auf und es war nichts zu sehen von dem muffeligen, rotzigen und flechmatischen Kerl, den er zuhause miemte. Ich war fasziniert. Er hatte irgendwann gemerkt, dass ich seinem Tun mehr Aufmerksamkeit widmete als der Führung und beobachtete mich, so dass ich nicht mehr wagte ihn anzusehen. Als wir endlich wieder im klimatisierten Jeep saßen, war ich sehr erschöpft und schlief sofort ein. Tabil machte heimlich ein Foto von mir, wie ich da gegen die Scheibe gelehnt schlummerte. Das ist ein sehr schönes Bild geworden. Es hatte etwas friedliches. Doch meine Müdigkeit machte mittlerweile Aleya Sorgen und so wurde ich am nächsten Tag von ihr zu einem Arzt gebracht, der dann irgendeine Mangelerscheinung feststellte, die ich durch die Strapazen bei den Al Sadics bekommen hatte. Mit den verschriebenen Medikamenten ging es dann auch wieder besser. Tabil hatte mich ein paar Tage verschont, aber  jetzt war ich fällig für die Feuerprobe. Ich sollte nun sein wertvollstes Tier kennen lernen. Nachdem Ameisen, Kakerlaken, Eidechsen, Frösche und weiße Mäuse nicht den gewünschten Effekt erzielt hatten. Einige der Tiere hatte ich gar nicht bemerkt. Sie haben sich irgendwo verkrochen. Tabil hatte die ganzen Mädchen satt, die ihm schöne Augen machten und ich hatte wohl ebenso den Fehler auf dem Ausflug gemacht. Er hatte genug Mädchen ausprobiert als er in Frankreich zur Schule ging und er brauchte keinerlei Ablenkungen dieser Art. Er würde irgendwann Jesemaya heiraten. Das stand nun mal fest und konnte nicht geändert werden. Tabils einzige Chance auf ein wenig Freiheit war es hinauszuzögern. Er hatte bis dahin seinen Spaß, die lästigen Mädels kreischen zu hören, wenn sie eins der Tiere erblickten. Da war er aber bei mir an der falschen Adresse. Ich kam gerade vom Fussballspielen rein und wollte duschen gehen, da saß sie dann auf meinem Bett. Eine fette schwarze Spinne. Da mein Vater schon immer Vogelspinnen gehalten hat, war ich damit aufgewachsen. Diese Spinnen sind zwar gefährlich und ein Biss konnte tödlich enden, wenn man nicht ärztlich versorgt wird, aber ich sah gleich, dass die Spinne etwas langsam unterwegs war. Es war heiß hier und vor allem trocken. Solche Tiere sind sonst in den Tropen zuhause. Also nahm ich sie vorsichtig auf meine Hand. Normalerweise kletterten die Tiere meines Vater dann flink die Arme rauf und man musste sie immer aufhalten bevor sie einem im Gesicht landeten. Das war einfach ein Reflex der Tiere, immer den Baum raufzuklettern, um in Sicherheit zu sein, aber dieses Tier hatte nicht mehr die Kraft dazu. Ich machte eine kleine Pfütze ins Waschbecken und setzte das vertrocknete Tier hinein. Sie ging sofort baden und saß noch da als ich aus der Dusche kam und mich anzog. Sie wirkte schon viel lebendiger als ich sie auf meine Hand krabbeln ließ. Ich brachte sie dann herüber zu Tabil, der diesmal keine Musik an hatte und auf meinen gellenden Schrei wartete. Ich schrie zwar, aber nicht vor Schreck: "Sag mal, spinnst du? Du kannst diese arme Spinne doch nicht so quälen. Sie ist ja ganz vertrocknet. Das arme Tier. Wo ist ihr Terrarium? Hast du da kein Wasser für sie drin?" Tabil sah mich überrascht an. Es war ganz unerwartet aufgeräumt und sauber in diesem Zimmer. Das hatte ich nicht erwartet und ich stand deshalb auch etwas perplex da. Die Spinne machte sich auf den Weg mein Arm hoch. Ich hatte deutsch gesprochen und er hatte nichts verstanden. Aber irgendwie verstand er die Welt sowieso nicht mehr. "Terrarium?" fragte ich und versuchte es Englisch auszusprechen, in der Hoffnung, dass es dieses Wort im Englischen gibt. Jetzt reagierte er und zeigte auf eine Tür. Ich holte die Spinne von meinem Arm und stapfte auf die Tür zu. Tabil hechtete an mir vorbei, um die Tür für mich zu öffnen, denn solche Höflichkeiten hatte man ihm beigebracht. Im Raum dahinter wimmelte es nur so von Tieren. Eine Sammlung exotischer Tiere. Die arme Spinne wurde in eine Holzkiste gesetzt. "Eine Vogelspinne braucht Wasser. Du musst eine Schale hinein stellen." erklärte ich ihm in Englisch und wenig später hatte er Abhilfe geschaffen. In der Zwischenzeit bestaunte ich das Inventar. Das war ein halber Zoo. "Warum kennst du dich mit Spinnen aus?" fragte er mich als ich die Käfer, Heuschrecken und Eidechsen durch eine Glasscheibe beobachtete. "Mein Vater hat Spinnen. Er züchtet sie sogar." Ich sah mich weiter um, sah die kleine weiße Maus, deren Bekanntschaft ich schon gemacht hatte und steckte den Finger durch die Stäbe. Da holte Tabil eine gestreifte Schlange aus dem Nebenkasten und ließ sie durch seine Hände schlängeln, um sie mir zu präsentieren. "Das ist eine Regenbogennatter." Ich wich erschrocken zurück. Schlangen waren nicht mein Ding. Ich mochte nicht einmal Regenwürmer. Tabil lachte ausgelassen. "Du hast Angst vor Schlangen?" Ich nickte und sah das Ding in seiner Hand skeptisch an. "Ich hätte dir nur die Schlange ins Bett legen müssen, um dich zu erschrecken?" Ich war wirklich froh, dass er das nicht getan hatte. Tabil lachte immer noch als wir das Zoozimmer verließen. Ich ging vor seinem CD-Regal in Stellung: "Gestern hast du eine CD gespielt. Das klang wie Bébob, aber das müssen neue Songs gewesen sein." Bébob ist eine französische Band, die Popmusik mit politischen Texten macht. Das war meine Lieblingsband. "Die CD ist aber schon seit einem Vierteljahr auf dem Markt." sagte er und zog sie aus dem Regal "Ich war vier Monate eine Gefangene, da bin ich nicht mehr auf dem neusten Stand." "Eine Gefangene?" "Naja, kein Radio, kein Fernsehen, sondern nur Babygeschrei." "Meine Schwester findet Babys süß" fiel ihm ein. "Ja, ich weiß. Das Problem sind ja auch nicht die Babies, sondern die Eltern." Tabil nickte, drückte mir die CD-Hülle in die Hand und legte die Musik auf. "Sprichst du französisch?" fragte er, also parle tu francais? "Qui, ich wohne in Deutschland an der französischen Grenze und bin auf eine zweisprachige Schule gegangen." Von nun an sprachen wir Französisch. Das änderte irgendwie alles. Es machte alles lockerer und Tabil wirkte auf einmal irgendwie anders auf mich. Vertrauter und angenehmer. "Mein Freund Jean aus Frankreich schickt mir immer die Neuerscheinungen, wenn ich sie hier in Dubai nicht bekomme." plauderte er. "Wow, coole Anlage" stellte ich fest und sah mich nach dem Platz um, auf den die Boxen ausgerichtet waren. Das war natürlich das Bett. Es war ordentlich gemacht mit einer Tagesdecke darüber und Sitzkissen drauf. Aber da wollte ich mich nicht drauf niederlassen, also setzte ich mich einfach vor das Bett auf den Boden und inspizierte das Booklet der CD. Tabil verschwand in einem anderen Nebenzimmer, indem ein Büro zu sein schien. Ich konnte einen Schreibtisch voll mit Papieren sehen und da stand eine Art Stellwand, an der irgendein Bauplan hing. Es sah nach Arbeit aus und ich bekam ein schlechtes Gewissen, weil ich die ganze Zeit dachte, er würde hier den ganzen Tag nur herumgammeln und Musik hören. Er kam mit einem Laptop wieder und setzte sich damit im Schneidersitz auf das Bett und klappte ihn auf. Heute trug er nicht den Hausanzug, sondern Jeans und Hemd. Ich bemerkte den Geruch irgendeines herben Herrendufts, ein Aftershave konnte es nicht sein, denn er hatte doch Vollbart, meinte ich, aber ich hatte ja keine Ahnung von Bartpflege. Ich beschäftige mich weiter mit den Liedertexten von Bébob. Für eine Unterhaltung war es zu laut. Irgendwann schob er den Laptop herüber und zeigte mir auf dem Bildschirm ein paar Terrarien, die zur Auswahl standen. Leider war alles in Arabisch beschriftet, sodass ich nichts erkennen konnte, Also tippte ich die Webseite der Spinnefreunde ein, die mein Vater betreibt und die auch in Englisch verfügbar ist. Dort sind tolle Tipps, was man so braucht, wenn man sich eine bestimmte Spinne zulegen will. Ich suchte die richtige Seite raus und gab den Laptop zurück zu Tabil. "Sowas brauchst du für Tarantula!" "Tarantula?"

 

Mit 180 durch die Wüste

 Ich summte ein paar Texte leise mit, denn die CD lief bereits zum zweiten Mal durch. Tabil, der immer noch akriebisch nach einem geeigneten Terrarium suchte, überraschte mich aufeinmal mit seiner Stimme. Er sang auch mit. Ich sah zu ihm auf, er blickte kurz vom Laptop hoch, lächelte und tippte dann wieder irgendeinen Suchbegriff in die Tastatur. Ein kribbeliges, warmes Gefühl breitete sich in meinem Brustkorb aus und ich musste kurz an das Arrangement denken, dass ich mit Mohammed hatte. Ich sollte dringend mit ihm reden und sagen, dass ich das nicht mehr mitmachen will, auch wenn ich damit das Praktikum bei der Hamad Oil Company riskierte. Mein Vater war total begeistert, als er davon hörte, er wäre sicherlich auch enttäuscht. Er kannte die Ölgesellschaft und hatte schon irgendwie mit ihnen zu tun, denn er ist Patentanwalt. Meine Mutter hingegen war sehr irritiert als ich ihr meine neue Adresse durchgab. Sie verstand nicht, wieso ich plötzlich bei einer anderen Familie war und merkte wohl, dass ich ihr ein paar Informationen vorenthielt und was ist mit Baby Ahmed? Wie es ihm wohl ging? Ein weiterer Grund, warum ich dringend mit Mohammed reden musste.
Tabil war zwischendurch hinaus gegangen und brachte ein rundes goldenes Tablett mit Tee und Keksen mit, das er auf das Bett stellte. Echte Gastgeberqualitäten waren das, bemerkte ich so. Es war schon sehr merkwürdig womit europäische Jungs versuchten Mädchen zu beeindrucken im Gegensatz zu diesen arabischen Gewohnheiten. Ich musste zugeben, dass mich diese kleinen Gesten, wie das Türöffnen oder das Bewirten mehr beeindruckten als coole Sprüche oder sportliche Höchstleistungen. Ich nahm nachdenklich mein Glas Tee und nippte daran.
Plötzlich öffnete sich die Tür und Layla sah herein. Sie hatte zwar geklopft, aber wegen der Musik hatten wir es nicht gehört. Sie sah unsicher zu Tabil, denn der hatte ihr verboten, in sein Zimmer zu kommen, wie ich wusste. Layla hatte sich anfangs nichtmal getraut in mein Zimmer zu kommen, wenn sie mich suchte. Als sie mich da auf dem Boden sitzend sah, lächelte sie erleichtert. Eigentlich hatte ich ihr versprochen noch ein bisschen mit ihr zu spielen, aber ich hatte die Zeit vergessen hier bei der Musik von Bébob. Ich winkte sie zu mir und sie kam mit vorsichtigen Schritten näher und sah dabei immer wieder zu ihrem Bruder, aber der war noch immer mit der Recherche beschäftigt. Layla setzte sich auf meinen Schoß und ich begann ihr die Haare zu flechten. Ich machte ihr zwei Heidizöpfe und sang bei dem Song mit. Tabil stimmte beim Refrain mit ein und Layla grinste mich verwundert an. Sie schmiegte sich in meine Arme und hörte uns zu. Irgendwann musste sie eingeschlafen sein. Tabil bemerkte es zuerst, machte die Musik aus und Layla brabbelte auf meinem Arm "Singt weiter!" und schlief wieder ein. Tabil nahm mir vorsichtig seine Schwester ab und trug sie zu ihrem Zimmer im Hauptgebäude des Anwesens. Diesmal war ich es, die ihm die Türen öffnen musste. Dort legte er Layla vorsichtig in ihr Bett. Aleya hatte sie bereits vermisst und kam besorgt herein. Sie stutzte ungläubig als sie ihren Großen sah, wie er seine Schwester liebevoll zudeckte und sah mich fragend an. "Layla ist auf meinem Schoß eingeschlafen" erklärte ich nur. Sie runzelte leicht die Stirn und zog die Vorhänge zu. Als wir aus dem Zimmer gingen steuerte Tabil auf eine Tür zu und ich folgte ihm. Da stand ich dann in einem Jugendzimmer vollgestopft mit Autos. An der Wand klebten Poster von Lamborghini und Ferrari. Ich kannte Joels Kinderzimmer bereits und das war voll mit Raumschiffen und Fussballbildern. "Ist das dein Zimmer?" "Mhm" bestätigte er und setzte sich auf den Schreibtischstuhl. Er sah irgendwie Gedankenverloren aus, da mochte ich nichts mehr fragen und sah mich nur um. Als ich eins der Automodelle vom Regal nahm, um es näher anzusehen, sprang er auf und nahm es mir aus der Hand. Sofort stellte er es wieder ins Regal. Diese Fass das nicht an!-Reaktion brachte mich in Grübeln "Warum hast du die Autos nicht ins Haus mit herüber genommen?" "Als ich aus Frankreich wiederkam hatte ich keine Lust mehr drauf." knurrte er. "Wie lange warst du dort?" "Drei Jahre" "Das ist eine lange Zeit" sagte ich mitfühlend, denn ich spürte irgendwie, dass es hier um verletzte Gefühle ging. "Wie alt warst du, als du nach Frankreich geschickt wurdest?" "Fünfzehn" Geradmal zwei Jahre älter als Joel jetzt, dachte ich so und überlegte wo ich mit fünfzehn war. Ich wäre niemals reif genug gewesen, um mich irgendwo im Ausland weit weg von meiner Familie zurecht zu finden. "Ich habe jetzt so einen in echt!" sagte Tabil und zeigte auf eins der Modelle. "Einen Jaguar?" "Willst du mal sehen?" "Natürlich!" Er war auf einmal ganz ausgelassener Stimmung. Die Garage mit dem Fuhrpark der Hamads war ein Extragebäude, indem auch zwei Chauffeure wohnten. Einer von ihnen polierte gerade eine der Limousinen als wir um die Ecke kamen. Tabil begrüßte ihn höflich und ging ins Gebäude. Der Mann folgte uns und ging schnell in ein an die Fahrzeughalle angrenzendes Zimmer, in dem der andere Angestellte saß und Tee trank. Dort holte er Tabils Autoschlüssel. Neugierig kam der andere Chauffeur zur Tür und beäugte mich. "Der Tank ist voll und die Bremsen frisch gewartet" erfuhr der Sohn des Hauses bei der Schlüsselübergabe. Ich ließ den Blick über die Jeeps, Luxusschlitten und Kleinwagen schweifen. Der schwarze Jaguar sah noch nigelnagelneu aus und stach mit seinem glänzenden S hervor. Tabil öffnete mir gerade die Beifahrertür als ein Rolltor sich wie von Geisterhand vor uns öffnete. Als ich ihn da so am Steuer seines Wagens sitzen sah, so selbstzufrieden und glücklich musste ich lachen. Er ließ den Motor an und sagte: "Sarah, du solltest öfter lachen!" Dann gab er Vollgas und wir zischten aus der Garage und der Wagen schlitterte über den Kies der Auffahrt. Er nahm den direkten Kurs aus der Stadt in die Wüste und gab auf der Piste Vollgas. Ich sah die Tachonadel bis 240km/h ausschlagen und lachte vergnügt. Das ist ein Wahnsinnsgefühl! Dieser Jaguar war und ist der Hammer. "Lässt du mich auch mal fahren?" fragte ich spaßeshalber und er warf mir einen skeptischen Seitenblick zu. "Ich habe gerade den Führerschein gemacht bevor ich nach Dubai flog." "Das ist ein Schaltwagen." blockte Tabil ab. "Ich weiß!" Er schwieg eine Weile, aber dann fuhr er den Wagen an den Straßenrand. Ich sah ihn erstaunt an. "Willst du nicht mehr?" fragte er und grinste. "Doch!" Mein Herz schlug vor Aufregung und ich zitterte vor Nervosität. Doch mit der Zeit wagte ich auch mal schneller zu fahren. Bei 180km/h war dann meine Obergrenze erreicht, auch wenn Tabil mich antrieb ruhig mehr Gas zu geben. Ich parkte den Wagen zufrieden am Straßenrand und sagte "Merci!" "Mieux?" "Beaucoup mieux!"

Unter Druck

 

"Sarah ist heute mit dem Jaguar gefahren!" sagte Tabil beim Abendbrot und alle hörten auf zu essen. "Echt?" quiekte Joel ungläubig. Efrim schien überhaupt nicht begeistert zu sein. "Wenn man in Dubai ohne Lizenz beim Autofahren erwischt wird, kommt man ins Gefängnis." erklärte er mir streng in Englisch. "Ich habe einen Führerschein." sagte ich kleinlaut. "Sarah fährt sehr gut." lobte Tabil mich. "Mhm!" sagte Efrim. "Ich habe kein Führerschein" sagte Aleya. "Du könntest mich ja mal fahren." schlug sie fröhlich vor. "Dafür haben wir Chauffeure." knurrte ihr Ehemann. "Da fällt mir ein. Wir brauchen noch deine Arbeitserlaubnis für das Praktikum. Deine Papiere sind noch bei der Aupair-Agentur. Leider musst du die persönlich abholen, Sarah. Die wollen noch irgendeine Unterschrift von dir." Ich verzog das Gesicht vor lauter Widerwillen. "Ich weiß, Sarah. Tabil kann dich begleiten, falls es irgendwelche Probleme gibt?" Ich sah zu ihm und er nickte bestätigend. "Ich müsste nochmal mit Mohammed sprechen." fiel mir ein. Efrim sah mich verwundert an. "Gibt es irgendwelche Probleme?" "Nein, ich..." Ich suchte nach einem Grund. Ich konnte doch nicht sagen: Ich will ihm sagen, dass ich mich nicht mit Tabil einlassen werde. "Ich wollte wissen, wie es Ahmed Al Sadic geht." "Dem Baby?" erinnerte sich Layla. "Ja!" Efrim nickte. "Ich werde ein Treffen mit ihm arrangieren." Er fing mich dann nach dem Abendessen nochmal ab und zog mich in sein Büro. "Willst du weg?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich bin sehr gerne hier." "Den Eindruck hatte ich auch, aber was willst du dann mit Mohammed besprechen?" "Ich..." Mir war das unangenehm. "Ich will das nicht mehr... mit Tabil... Ich kann das nicht." Efrim verschränkte die Arme vor der Brust und das wirkte einschüchternd auf mich "Du hast ein völlig falschen Eindruck von meinem Sohn bekommen..." "Ich weiß, dass du möchtest, dass er der Heirat mit Jesemaya zustimmt, aber ich..." "Mohammed und ich haben wirklich geglaubt, dass du das machst. Wenn Tabil weiß, was auf ihn zukommt, dann hat er nicht mehr so viel Angst davor." Vielmehr war ich diejenige, die Angst davor hatte. "Ich kann nicht..." "Ich weiß, dass er immer diese Späße mit seinen Krabbeltieren macht. Das meint er nicht so..." "Ich habe kein Problem damit." "Was ist dann das Problem?" "Ich fühle mich nicht wohl dabei." "Unter diesen Umständen wird es dann auch nichts mit dem Praktikum!" sagte er pragmatisch. Ich nickte und wand mich zum Gehen. "Wir werden morgen zu Mohammed fahren und mit ihm reden. Bis dahin kannst du es dir noch überlegen." "Okay" "Ich verstehe das nicht. Du hast doch schon so viele Fortschritte gemacht." Eben.
Diesen Abend verkrümelte ich mich auf mein Zimmer. Es klopfte einmal an der Tür, aber ich stellte mich schlafend. Daraufhin wurde nebenan die Musik leiser gedreht. Wie aufmerksam.

Wir fuhren direkt nach dem Frühstück zur Aupair-Agentur. Tabil hatte sich arabisch traditionell gekleidet und ich hatte mich für die schwarze Abaya und das Kopftuch entschieden. Mir war kotzübel und auch wenn mein Begleiter mir ab und an ein Lächeln schenkte, bekam ich keins zustande. Mein Herz schlug schon wie wild als wir nur in den Stadtteil kamen und das lag nicht an den schönen Augen, die mich musterten. Ich seufzte. "Es wird schon werden" bzw. wie man so schön auf Französisch sagt: "Tout ira bien!"
Ich schüttelte den Kopf "Die letzten Male, als ich dort war, waren sie nicht sehr freundlich zu mir." "Hast du deswegen die Abaya angezogen?" "Glaub mir, es ist besser so." "Du meinst es ist besser, deine körperlichen Vorzüge zu verdecken?" Ich sah ihn von der Seite an. Wenn das jetzt eine Art Kompliment werden sollte, war das der falsche Zeitpunkt dafür. Ich nickte nur. "Du bist gestern sehr früh schlafen gegangen. Ich dachte, es würde dir besser gehen und du wärst nicht mehr so müde." "Ich wollte allein sein." gab ich zu. Ich sah ihm an, dass er gerne den Grund erfahren hätte, aber wir waren am Ziel angekommen. "Ich warte hier draußen auf dich." sagte er und ich überquerte die Straße. Schon von Weitem hatte ich die beiden Frauen gesehen, die sich vor der Eingangstür der Agentur unterhielten. Sie waren ebenso wie ich ganz in schwarz gekleidet und ich kannte eine der Beiden. Auch sie hatte ein paar Probleme gehabt und mussten die Familie wechseln. "Sarah, schön dich zu sehen. Wie geht es dir?" sagte meine schwedische Leidensgenossin. Wir umarmten uns und sie stellte mir ihre Kollegin vor, die aus Norwegen kam. "Ich habe Jette ein wenig bei ihren Problemen geholfen." erklärte sie mir. "Was ist mit dir? Neue Familie, wie ich sehe." Sie sah zu Tabil, der sich auf der anderen Straßenseite lässig gegen seinen Jaguar lehnte. "Ja, aber nicht als Aupair. Ich will ein Praktikum in der Firma seines Vaters machen." "Also keine Babies mehr. Da hast du Glück. Ich bin jetzt bei einer Familie mit Zwillingen." "Wie ein Baby sieht der nicht aus." kommentierte die Norwegerin mit schmachtenden Blick über die Straße. Mich störte das ein bisschen. "Ich muss rein." verabschiedete ich mich und drückte die Tür auf. Eine Glocke schepperte und kündigte mich an. Die Empfangsdame an dem Tresen reckte den Hals um einen Blick auf meinen Fahrer zu erhaschen. Durch das Treffen mit den Mädchen hatte sich meine Nervosität etwas gelegt und ich sagte ganz lässig "Ich wollte meine Papiere abholen. Sarah Krüger mein Name" Es dauerte etwas bis sie wusste, worum es ging, denn hier gab es keine Computer. "Wir können ihnen die Papiere nicht geben, denn wir haben noch keine Zahlung erhalten." "Das ist nicht mein Problem. Ich möchte ein Praktikum machen und brauche die Arbeitserlaubnis." "Dann wollen sie also aus dem Aupairvertrag aussteigen?" "Ja!" "Das geht nur, wenn sie uns die Kosten erstatten." "Welche Kosten?" "Wir haben sie an die Familie Al Sadic vermittelt. Dort haben sie keine gute Arbeit geleistet und die Familie weigert sich sie zu bezahlen. Wir haben dadurch erhebliche finanzielle Einbußen erlitten. Bis vor kurzem haben wir noch versucht eine neue Familie für sie zu finden, aber dann sind sie spurlos verschwunden. Meinen sie, das ist umsonst?" "Diese Agentur hat überhaupt nichts für mich getan. Sie wussten ganz genau, dass ich keinerlei Erfahrung mit Säuglingen hatte und haben mich trotzdem an diese Familie vermittelt. Es ist vertraglich geregelt, dass sie das mit der Bezahlung regeln. Ich bekomme also noch Geld von ihnen und nicht sie von mir!" stellte ich klar und dachte so: Gut gemacht! Doch dann tauchte ein Mann hinter der Dame am Tresen auf. "Wenn sie hier Ärger machen, rufe ich die Polizei." "Ich möchte nur meine Papiere haben und dann bin ich weg!" "Erst wenn sie mir unterschreiben, dass sie aus dem Aupairvertrag aussteigen und unsere Kosten für das ganze Jahr übernehmen." "Ich wüsste nicht, warum ich das tun sollte." "Dann bitte ich sie jetzt, zu gehen." "Aber ich brauche meine Papiere. Sie haben noch meinen Reisepass und die Arbeitserlaubnis. Ich brauche..."

Heldenhaft

 

Die Glocke der Tür läutete und Tabil stand mitten im Geschehen. "Gibt es Probleme?" fragte er mich auf Französisch. "Sie geben mir die Papiere nicht. Ich soll die Vermittlungsgebühr für ein ganzes Jahr zahlen, denn die Al Sadics haben mir keinen Lohn gezahlt." "Warum nicht?" fragte er ungeduldig. "Weil ich schlechte Arbeit geleistet habe und fortgelaufen bin." sagte ich leise. Er sah mich an und nickte kühl. Tabil sprach den Mann an, der zunächst ganz selbstbewusst antwortete. Er war ein Palästinenser, was ich nicht wusste, aber irgendwie hatte das etwas zu bedeuten, dass er kein Landsmann war. Tabil bekam erklärt, wie die Dinge standen. Einiges verstand ich davon, aber als es hitziger wurde nicht mehr. Ich sah wie die Sekretärin auf ihren Stuhl sank und den Kopf einzog. Tabils Stimme bekam einen bedrohlichen Ton und der Agenturchef klang immer kleinlauter. Schließlich drückte mir die Frau die Papiere in die Hand und ich musste nichts unterschreiben. Ich presste sie an meine Brust und stürmte ohne ein Wort des Abschieds zur Tür raus über die Straße zum Jaguar. Tabil schaffte es mich einzuholen und mir die Tür zu öffnen. Er schnaufte immer noch aufgebracht als er am Steuer saß und wollte irgendwas zu mir sagen. "Fahr bitte los. Bitte schnell!" sagte ich kurz vor den Tränen. Er fuhr mit quietschenden Reifen los und hielt weit genug entfernt von dieser Agentur wieder an. "Wie hast du das gemacht?" fragte ich "Ich habe ihm gedroht, dass ich ihm den Laden schließe." "Könntest du das denn?" "Ich müsste ihm nur nachweisen, dass er sich nicht korrekt verhält." "Aber ich habe doch den Mist gebaut und nicht er." "Du hast also ein Säugling fast zu Tode gequält und bist dann einfach so weggegangen?" "Hat er das behauptet?" fragte ich entsetzt. "Er sagte, du hättest Glück, dass die Familie Al Sadic dich nicht wegen Kindesmisshandlung angezeigt hat und du jetzt nicht im Gefängnis sitzt." "Mon dieu!" Ich schnappte nach Luft. "Ich weiß, dass du Baby Achmed immer gut behandelt hast." "Er hatte immerzu geweint. Ich wusste nicht, was ich machen sollte und dann bekam er Fieber." Mir kamen die Tränen. "Das war nicht deine Schuld." versuchte er mich zu trösten, aber ich schüttelte den Kopf. "Ich habe ihn im Stich gelassen. Ich hätte nur zwei Tage länger aushalten müssen, dann hätte mich die Nanny abgelöst." "Warum bist du weggelaufen?" "Ich habe so viel falsch gemacht und Bogdan Al Sadic hat mich geschlagen. Dann hat Mohammed mir erzählt, dass sie mich nicht mehr wollen..." "Mohammed Al Sadic?" "Ja!" "Er hat sich dann um dich gekümmert und zu uns gebracht?" "Nein, ich bin hier zur Agentur gegangen und die haben mich zu einer Pension gefahren, wo ich wohnen sollte bis sie mir eine neue Familie vermittelt haben." "Und haben sie dir eine neue Familie angeboten." "Nein, sie waren nicht sehr kooperativ, schon wegen der ausbleibenden Bezahlung." "Die Al Sadics haben dir von Anfang an kein Lohn gezahlt?" "Nein, ich musste auch die Pension selber bezahlen. Da fällt mir ein, dass mein Koffer noch dort ist." Ich sagte ihm die Adresse und wir fuhren hin. Es war gleich um die Ecke. Wie schäbig und heruntergekommen es war fiel extrem auf, wenn man dort mit einem Jaguar vorfuhr. Ich konnte froh sein, dass ich Tabil dabei hatte, denn auch hier gab es Probleme. Der schmierige Typ sah mich anzüglich an. "Zimmer für ein paar Stunden?" fragte er Tabil, der sofort empört schnaubte. "Nein, sie haben meinen Koffer eingelagert als ich ausgezogen bin." sagte ich. Mohammed hatte jemanden hierher geschickt, der das erledigt hatte. Ich wusste damals ja noch nicht, dass ich bei den Hamads solange bleiben würde. Ich sollte ja nur mit Tabil schlafen und hätte dann die Bezahlung erhalten und wäre nach Hause geflogen. Efrim wollte das mit der Agentur klären. Das war alles bevor ich Tabil wirklich kennen gelernt hatte. "Ja, Frau Krüger ihr Koffer ist noch hier. Das macht bei 20 Tagen Einlagerung 150. Zahlen sie bar oder mit Kreditkarte?" "Ich wusste nicht, dass es etwas kostet. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich schon viel früher gekommen..." Ich sah hilfesuchend zu Tabil, der sofort in die Bresche sprang. Rücken sie den Koffer raus, sofort! Oder ich... und schon hielt ich meinen Koffer in den Händen. Diesen stopften wir dann in den viel zu kleinen Kofferraum und fuhren los. Mir rollten die Tränen nur so herunter und ich schniefte. Es war keine Trauer, sondern die reine Erleichterung. Tabil reichte mir sein Taschentuch. Ein seidenes Tuch mit eingestickten Initialen. Es roch nach ihm und schenke mir damit doppelt so viel Trost. Irgendwie fuhr er gar nicht nach Hause sondern in die Wüste. Ich dachte er wollte wieder wie am Tag zuvor den Wagen ausfahren. In Gedanken an den gestrigen Tag spielten meine Gefühle völlig verrückt. Er war so beeindruckend dieser Mann da neben mir und wie er mir heute durch diese Schwierigkeiten geholfen hat. Es war so heldenhaft gewesen. Er war mein Retter in der Not. Diese Jesemaya hatte ja so ein Glück diesen wundervollen Traumprinzen heiraten zu dürfen. Verdammt, warum hatte ich nicht so ein Glück. Das geht nicht! erinnerte ich mich an Laylas Worte. Ich hatte während dieser Gedanken Tabil angestarrt: "Was ist los?" "Du musst Jesemaya endlich heiraten!" Die Reifen quietschen und das Auto kam schlitternd zum Stehen. "Was hast du gesagt?" fragte er in einem giftigen Ton. "Du musst das endlich machen. Deine ganze Familie leidet unter der Situation." "Meine Familie ist mir scheißegal. Sie interessieren sich ja auch nicht für mich!" brüllte er mich an. "Aber ihr seid doch schon so lange verlobt. Warum...?" "Weil wir nicht wollen. Jesemaya will das nicht und ich will das nicht. Wir werden nicht heiraten, wenn wir das verhindern können." "Hast du deinem Vater das schon gesagt? Er meint nämlich, du hättest Angst vor dem heiraten und willst deshalb..." "So, meint er das? Und jetzt hat er dich gebeten mir diese Angst zu nehmen?" "Ähm..." Ich hoffte sehr, dass er nicht wusste, was von mir verlangt wurde. "Ich glaube, er dachte... wenn du mich dein Auto fahren lässt, hätte ich ein bisschen Einfluss auf dich..." fiel mir ein, auch wenn es nur die Halbwahrheit war. Plötzlich lag seine Hand auf meiner Schulter. Sie war warm und fühlte sich gut an. Mein Herz flatterte. "Sarah, lass dich da nicht mit reinziehen. Das ist eine Sache zwischen mir und meinem Vater." Dann fuhr er weiter.

 

Das Projekt

Ich hatte keine Ahnung wohin Tabil wollte bis wir mitten in der Wüste durch ein provisorisches Tor in einen eingezäunten Bereich fuhren. Es sah so aus, als würde hier etwas gebaut werden. Ich konnte nur erkennen, dass es kein Haus war. Ein paar Betonsockel waren in Reih und Glied in den Sand gebaut worden. Ich sah einen Radlader, ein Bagger und einen Betonmischer. "Das ist mein Projekt" erklärte er stolz. Als wir weiterfuhren sah ich einige Kollektoren. "Eine Solaranlage?" "Photovoltaik" verbesserte er mich. Er hielt vor zwei Beduinenzelten am Ende des Weges an. "Willst du im Auto warten? Könnte einen Augenblick dauern." "Ich komme mit" Diese Entscheidung bereute ich gleich wieder. Es war heiß, staubtrocken und die Sandkörner piekten im Gesicht. Im Gegensatz zum letzten Mal als ich in der Wüste war, bemerkte ich aber, dass dieser schwarze Umhang und das vorne geschlossene Kopftuch ideal waren. Das letzte Mal hatte ich den Sand sogar in der Unterhose. Wir mussten durch tiefen Sand zu diesen Zelten stapfen. Das war etwas mühselig. Ich sah, dass Tabil Sandalen trug, er hatte weniger Probleme als ich mit meinen Turnschuhen, in denen sich schnell der Sand türmte. "Um die Mittagszeit machen die Arbeiter Pause, denn es ist zu heiß zum Arbeiten. Ich muss mal eben nachsehen, ob wir ungelegen kommen." Er verschwand in einem Zelt und ließ mich stehen. Ich befreite mich erstmal von dem Sand in meinen Schuhen und hatte das Gefühl ewig warten zu müssen. Mir war das unangenehm, wie der Schweiß über meinen Körper rann. Es war wirklich zu heiß, um hier draußen zu sein. Als ich mich gerade beschweren wollte, kamen plötzlich Männer aus dem Zelt, in das Tabil verschwunden war. Sie grüßten mich freundlich und gingen in das andere Zelt. Dann rief mich Tabil herein. Drinnen musste ich mich erstmal an die Dunkelheit gewöhnen. Es waren Öllämpchen angezündet und es roch exotisch. "Komm setz dich!" bat mich Tabil, der zu einer Sitzecke vorging. Ich sah niemanden sonst. Das Zelt war mit Teppichen ausgelegt und zum Sitzen gab es nur niedrige Matratzen. Alles mit hübsch gemusterten Stoffen bezogen. Ich musste mich regelrecht hinknien um mich nieder lassen zu können. Mein Begleiter saß bereits im Schneidersitz da. Man sah seine nackten Schienbeine. Ich fragte mich kurz, was er wohl unter seiner weißen Robe trug. Vorsichtig streckte ich die Beine unter den kleinen Tisch zwischen uns und er lächelte als ich mich neugierig umsah. "So leben die Beduinen in der Wüste..." Ein Mann tauchte auf und stellte ein Tablett mit einer Teekanne und drei Gläsern auf den kleinen Tisch vor uns. Er war sommerlich gekleidet, braun gebrannt und sah nicht aus wie ein Araber. "Salemaleikum, Mademoiselle Krüger. Nett sie kennen zu lernen. Ich bin Babtiste Lacroix" sagte er auf Französisch und reichte mir freundlich die Hand. Ein Franzose mitten in der Wüste, nicht viel älter als wir. Ich wunderte mich etwas. "Ich bin Tabils Bauleiter hier. Wir haben uns in Paris auf der Schule kennen gelernt." "In Paris ist es sicherlich nicht so heiß wie hier." stöhnte ich. Babtiste lachte. "Man gewöhnt sich daran. Aber in Europa gibt es nicht so hübsche Bauwagen, wie hier." "Ja, sehr nett, aber für meinen Geschmack immer noch zu warm." äußerte ich mein Unbehagen, aber es wurde ignoriert. Unser Gastgeber schenke Tee in die Gläser. Ich wollte aber nicht. Die Vorstellung bei dieser Hitze etwas Warmes zu trinken gefiel mir gar nicht. "Tabil hat mir gesagt, sie wollen ein Praktikum bei der Hamad Oil Company machen. Wissen sie schon in welcher Abteilung?" Ich hörte Efrims Stimme Unter diesen Umständen wird es dann auch nichts mit dem Praktikum! sagte aber trotzdem: "Ich glaube in der Public Relations..." Ich sah fragend zu Tabil, der zuckte mit den Schultern: "Das würde sehr gut zu dir passen." Wie kommt er da drauf? "Vielleicht könnten sie bei Herrn Hamad ein gutes Wort für unser Projekt einlegen. Noch will er uns nicht unterstützen." "Eine Photovoltaikanlage in der Wüste? Was hat dein Vater dagegen? Das ist doch genial!" sagte ich euphorisch. Babtiste lächelte hoffnungsvoll, aber Tabil sah finster drein. "Mach dir keine Hoffnungen, Babtiste. Mein Vater ist ein harter Knochen, da kann auch ein hübsches Mädchen nichts machen. Ihn kann man nicht so leicht überzeugen wie Sarah." "Ich bin nicht überzeugt!" betonte ich. Die beiden Männer grinsten und tauschten merkwürdige Blicke aus. Ich war wirklich skeptisch, denn die beiden Männer waren sehr jung. Vielleicht hatten sie für dieses Projekt nicht genügend finanzielle Mittel oder sich zu viel vorgenommen: "Gibt es Probleme?" fragte ich also und Tabil sah mich erstaunt an. "Ja, wir haben Probleme mit dem Material." "Die meisten Hersteller von Kollektoren sind europäisch und das Material ist für die Wüste nicht geeignet." erklärte Babtiste weiter. "Gibt es eine Lösung?" Beide schüttelten den Kopf. "Nun dann kann ich Efrim verstehen." Das hätte ich nicht sagen sollen, denn ab da wurde ich ignoriert und nicht mehr in ihre Gespräche mit einbezogen. Sie holten Pläne heraus und besprachen die Möglichkeiten irgendeines Schutzwalls für die Kollektoren, soweit ich das verstand. Aus lauter Langeweile nippte ich an dem Teeglas vor mir und war überrascht wie erfrischend es war. Ich nutzte die Zeit um mir die Beiden genauer anzusehen. Ich stellte sie mir zusammen in Paris vor, wie sie gemeinsam die Mädchenherzen eroberten. Sie waren ein gutes Team. Doch mein Favorit stand fest. Mit diesen Augen konnte er alles von mir bekommen und wenn er mit mir schlafen wollte, würde ich mich nicht zieren. Das Gerede dauerte sehr lange und ich fühlte mich zunehmend unwohler, weil ich so schwitze. Es war auch Recht unbequem, daher wechselte ich ab und zu die Sitzposition, dann sahen sie zu mir herüber und verkniffen sich ein Grinsen. Sie warteten wohl darauf, dass ich anfing herumzunörgeln und zu stöhnen, dachte ich so und genau aus dem Grund tat ich es nicht. Zu allem Überfluss gingen sie auch noch nach draußen und sahen sich eine halbe Stunde die beschädigten Kollektoren an. "Wir haben jetzt die Geduld von Sarah lange genug auf die Probe gestellt. Wenn wir jetzt nicht aufbrechen, kommen wir zu spät zum Abendessen." Abendessen? So spät war es schon. Babtiste verabschiedete sich ganz Französisch mit Küsschen links und rechts als wir am Wagen ankamen. Tabil drückte mir die Autoschlüssel in die Hand: "Du fährst!" Ich sah wie Babtiste ungläubig den Kopf schüttelte. Auch ich war ziemlich perplex. "Ich finde du hast dir eine Belohnung verdient. Nicht jede Frau macht so etwas so geduldig mit." sagte er und schwang sich auf den Beifahrersitz. Ich stieg nicht gleich ein, sondern leerte erstmal meine Schuhe. Als ich mich anschnallte, stellte ich klar: "Ich finde, du hast dir die Belohnung verdient, dass ich so etwas geduldig mitgemacht, nachdem was du für mich heute morgen getan hast. Aber noch einmal mache ich das nicht mit. Ich hasse die Wüste!" Er lachte, aber mir war nicht nach lachen zumute, das ließ ihn verstummen: "Excusez moi, Sarah!" sagte er ganz lieb. Ich ließ den Motor an: "Okay!" Dann gab ich Vollgas, so dass die Räder durchdrehten und der Wagen schlitternd in Fahrt kam. Tabil krallte sich den Festhaltegriff: "Sarah!"ermahnte er mich. Wir sausten aus dem Tor auf die asphaltierte Piste, wo ich schwungvoll abbog. Ich schrie fröhlich: "Juhu!" und beschleunigte. Mein Beifahrer saß kopfschüttelnd da und bekam doch etwas Angst um seinen schönen Wagen. Aber jetzt auf gerader Strecke konnte ja nichts mehr passieren. Doch nach etwa einer halben Stunde Fahrt, fluchte Tabil plötzlich. Aus dem Augenwinkel sah ich ein Auto, das uns folgte. "Fahr an den Straßenrand!" bat mich Tabil gerade als ich ebenfalls erkannte, dass es ein Polizeiauto war. Ich hatte keine Bedenken, da ich ja alle meine Papiere, inklusive Arbeitserlaubnis bei mir hatte. Aber Tabil wurde sehr nervös, was so gar nicht zu ihm passte. Hatte er noch heute morgen dem Besitzer der Aupair-Agentur mit einer Schließung gedroht und wenig später einen Hotelbesitzer kalt gestellt.

 

Zu spät

 

"Bin ich zu schnell gefahren?" Tabil schüttelte den Kopf. "Die Polizei in Dubai ist korrupt." Wir mussten aussteigen und Tabil wurde sofort mit einem Maschinengewehr bedroht. Ich versuchte ruhig zu bleiben als der andere Uniformierte mich bedrängte. "Frauen sollten kein Auto fahren!" stellte er klar und kam so nah, dass ich seinen Mundgeruch roch. "Ich wollte ein kleines Stück fahren... hier in der Wüste... den Wagen ausprobieren..." stammelte ich arabisch. Der Mann vor mir stutzte und wich zurück. "Aus welchem Land kommen sie?" "Deutschland!" "Ich möchte ihre Papiere sehen." Ich sah zu Tabil, der immer noch den Lauf der Waffe auf der Brust hatte und zitterte wie Espenlaub. Der Kollege, der bei mir stand, sagte etwas zu dem Bewaffneten und er nahm etwas Abstand von ihm. "Ich habe die Papiere im Auto!" erklärte ich und er trat beiseite, damit ich sie holen konnte. Als er meine Papiere in der Hand hielt, lächelte er freundlich und sprach Englisch mit mir: "Sie sprechen sehr gut arabisch. Wie lange sind sie schon in diesem Land?" "Seit einem halben Jahr." "Ist das ihre Fahrerlaubnis?" fragte er und wies auf die Mappe. "Ähm... Nein, die ist hier..." Ich fingerte unter die Abaya und fischte mein Portemonnaie aus der Hosentasche meiner Stoffhose, die ich drunter trug. Der Polizist versuchte einen Blick drunter zu erhaschen, bekam aber nichts zu sehen außer Stoff. "Warum tragen sie traditionelle Kleidung?" "Mein Arbeitgeber möchte das." erklärte ich kurz. "Wer ist ihr Arbeitgeber?" Die Polizei in Dubai ist korrupt. Da werden bestimmt diese Name helfen: "Bogdan Al Sadic! Aber jetzt fange ich bei der Hamad Oil Company an. Herr Hamads Sohn hat mir eben die Photovoltaikanlage..." Die Polizisten zogen sich während ich sprach bereits zu ihrem Wagen zurück, um sich abzusprechen. Scheinbar hat der Name Al Sadic geholfen. Ich hörte, wie Tabil erleichtert aufatmete als das Maschinengewehr ihn nicht mehr bedrohte. Doch jetzt war ich etwas angespannt, da die Herren ja noch meine Papiere hatten. Der Mann mit dem Maschinengewehr stieg in den Polizeiwagen und telefonierte eine Weile. Dann stieg er aus, gab mir die Papiere und sagte dann höflich in Arabisch: "Verzeihen sie die Unannehmlichkeiten." "Lassen sie lieber Herrn Hamad fahren, Miss Krüger!" warnte der Andere in Englisch. Dann stiegen sie ein und fuhren davon. Tabil lehnte gegen die Beifahrertür des Jaguars, verbarg seinen Kopf in den Armen und rührte sich nicht. Da mir heiß war und ich wieder zurück in das klimatisierte Auto wollte, berührte ich seinen Arm. "Sie sind weg." Tabil drehte sich zu mir und eh ich mich versah umarmte er mich fest. Uh, ich war doch so durchgeschwitzt und mein Deo hatte schon lange versagt. Er murmelte etwas von 'Nerven wie Stahlseile' und ließ mich langsam wieder los. Ich vermied es ihm in die Augen zu sehen, da er mir so nah war. Aber trotzdem wurden meine Knie ziemlich weich und mein Herzschlag verdoppelte den Schlag. Er roch verdammt gut, so männlich und exotisch. Mir wurde schwindelig als er mich losließ, um mir die Autotür zu öffnen. Wir sprachen kein Wort auf der restlichen Heimfahrt und ich bemerkte an seinen Armen und Händen, dass er immer noch zitterte. Er muss Todesängste durchgestanden haben. Wie konnte das sein? Ich versuchte mir auszumalen was alles hätte passieren können, wenn ich Arabisch gewesen wäre, unverheiratet und ohne Fahrerlaubnis. Wenn man in Dubai ohne Lizenz beim Autofahren erwischt wird, kommt man ins Gefängnis. hatte Efrim gesagt. Wären die Polizisten vielleicht so weit gegangen und hätten uns auf offener Straße mitten in der Wüste erschosssen? Gab es tatsächlich noch Folter in den Gefängnissen von Dubai? Also kamen wir beide ziemlich aufgelöst auf dem Anwesen der Hamads an und auch noch viel zu spät zum Abendessen. Tabil fuhr direkt zu unser Haus, um meinen Koffer auszuladen. Die Bedienstete kam heraus und besprach etwas mit Tabil als Efrim angestürmt kam. Er hatte einen hochroten Kopf und brüllte gleich los: "Mein liebes Fräulein Krüger. Was fällt dir ein, erst jetzt hier aufzutauchen? Ich habe dir doch gesagt, dass wir zu Mohammed fahren." Mir kamen sofort die Tränen und mir war auch so als ob er mich ohrfeigen wollte. "Vater, ich habe Sarah mit zur Photovoltaikanlage genommen, um..." "Warum kommt ihr dann jetzt erst? Du weißt ganz genau, dass deine Mutter Wert auf Pünktlichkeit legt. Wir haben uns Sorgen gemacht." brüllte er seinen Sohn an und ich ging schnell ins Haus, weil ich nicht wollte, dass jemand meine Tränen sah. "Warte Sarah!" bat mich Tabil. "Wir reden später, Vater!" sagte er eindringlich und rannte hinter mir her. Gerade als ich meine Zimmertür öffnen wollte, hatte er mich eingeholt. "Sarah, so warte doch." Ich huelt meine Tränen noch zurück. " Ich will dir etwas zeigen. Augen zu!" Ich gehorchte und er schob mich ins Zimmer und knipste das Licht an. Da stand dann ein riesiges Terrarium mit UV-Lampe und einem automatischen Luftbefeuchter ausgestattet. Ich starrte auf den Koloss, der meinen Vater vor Neid erblassen lassen hätte. Ein Traum für einen Arachnologen. "Das ist ja Wahnsinn!" kommentierte ich es und mein Gönner lief schnell aus dem Zimmer. "Ich hole Tarantula, dann können wir sie gemeinsam einziehen lassen." Ich hatte ganz andere Probleme in diesem Augenblick und als Tabil wieder kam, drehte ich ihm den Rücken zu, damit er meinen emotionalen Zustand nicht sah. "Sarah?" Ich wollte nicht undankbar erscheinen, deswegen sagte ich mit zitternder Stimme: "Entschuldige, Tabil. Ich fühle mich nicht gut." Es klapperte hinter mir, als er die Spinne ins Terrarium setzte. Dann kam er zu mir und legte seine Hände auf meine Schultern, aber ich wehrte ihn sofort ab. "Sei bitte nicht nett zu mir!" gifte ich ihn an und rannte ins Bad. Dort ließ ich meinen Tränen freien Lauf und damit er das nicht mitbekam, drehte ich die Dusche auf. Ich hoffte sehr, dass ich Tabil mit meiner Reaktion nicht zu sehr verletzt hatte. Aber was sollte auch das Terrarium hier in diesem Zimmer stehen, wenn ich aus dem Arrangement ausstieg, das Praktikum nicht bekam und in wenigen Tagen abreiste. Tabil stürmte zu seinem Vater ins Arbeitszimmer und faltete ihn zusammen, weil er mich so ungerecht behandelt hatte, obwohl ich ja gar nichts dafür konnte, dass wir in eine Polizeikontrolle geraten waren. Er berichtete ihm von der Willkür, die mir bei der Aupair-Agentur und in der Pension entgegen gebracht wurde. Dann warf er ihm vor, dass er mich gebeten hat ihn von der Hochzeit zu überzeugen und schon war der allgegenwärtige Konflikt wieder da. Aleya mischte sich diesmal ein, was ihr Tabil sehr hoch anrechnete, denn bisher hatte sie sich nicht dazu geäußert. Es wurde endlich mal darüber gesprochen und Tabil konnte seine Meinung äußern. Das war schon ein großer Schritt.

 

Alles zum Guten

 

Als ich aus der Dusche kam musste ich erstmal eine Kopfschmerztablette nehmen. Ich hatte viel zu viel Sonne abbekommen und mein Gesicht brannte und da wo das Kopftuch lag, war ein Abdruck zu sehen. Ich schmierte mich dick mit Aftersun ein und zog mir einen Jogginganzug an, den ich aus meinem Koffer fischte, den wir heute aus der Pension geholt hatten. Ich sah gerade Tarantula zu, wie sie ihr neues Heim eroberte als es an meiner Tür klopfte. "Ich möchte bitte allein sein." sagte ich in Französisch, weil ich dachte es wäre Tabil. Doch dann sagte die Stimme der Dienerin auf Arabisch:  "Fräulein Krüger. Herr Al Sadic möchte sie sprechen." "Sarah, ich bin das. Mohammed!" sagte er auf Englisch, weil er wohl wusste, dass ich mit Herrn Al Sadic jemand anderen erwartete. "Einen Moment, bitte!" Ich schnappte mir schnell eins der Tücher, die mir Aleya geschenkt hatte und bedeckte mein Haar, dann öffnete ich die Tür. Die Dienerin brachte ein Tablett mit dem aufgewärmten Abendessen, einer Schale kandierter Datteln - meiner Lieblingssüßigkeit (wohl ein Trostspender von Aleya), einer Kanne Tee mit zwei Gläsern herein. "Danke, Esra!" "Salemaleikum" sagte Mohammed und sah sich interessiert um. Sein Blick blieb am Terrarium hängen, aber als er erkannte, was für ein niedliches Haustier ich da hatte, war er nicht so begeistert. "So nah bist du ihm also schon gekommen!" stellte er anerkennend fest. "Das ist schon mehr als irgendein anderes der Mädchen je geschafft hat." "Es wird aber nichts nützen. Egal wie nah ich Tabil noch kommen werde, er wird Jesemaya trotzdem nicht heiraten wollen." "Sowas habe ich schon befürchtet." sagte Mohammed und nahm sich den Stuhl, der vor dem Schminktisch stand und setzte sich. "Was ist mit deinem Gesicht passiert?" fragte er besorgt. "Zuviel Sonne. Tabil hat mir heute sein Projekt gezeigt." "Habe schon davon gehört. Daran haben sich schon Andre versucht. Die Wüste ist kein Ort für Technik." "Babtiste und Tabil werden sicher eine Lösung finden. Weißt du, warum Efrim es nicht unterstützt" "Er benutzt es als Druckmittel. Wenn Tabil heiratet, wird er Unterstützung bekommen." "Tabil wird aber der Hochzeit nicht zustimmen." "Aber Efrim hat Jesemayas Familie ein Versprechen gegeben." "Tabil meinte, dass auch Jesemaya nicht will." "Das hat nichts zu bedeuten. Sie ist noch sehr jung und verunsichert." Ich setzte mich auf das Bett und nahm mir eine kandierter Dattel. "Kann Efrim nicht irgendetwas machen, damit..." "Nein, Tabil wird Jesemaya heiraten." Wow! "Wenn Efrim seinen Sohn weiter so unter Druck setzt, wird er ihn verlieren." Ich schluckte und meine Augen wurden feucht. "Weißt du Mohammed, mein Vater wollte unbedingt, dass ich eine Ausbildung bei ihm in der Kanzlei mache, aber ich habe mir eine Lehrstelle bei einem Baustoffhandel besorgt. Ich möchte gerne etwas Kaufmännisches machen. Aber mein Vater war das egal. Er hat so viel Druck gemacht, dass ich nur noch weg wollte. Ich dachte, dass ein Aupair-Jahr im Ausland eine gute Idee sei. Und Dubai war so weit weg. Ich dachte, hier sind alle so reich und..." "Dann bist du bei meinem Bruder gelandet. Das tut mir leid!" "Mein Vater war so begeistert, als ich ihm erzählt habe, dass ich ein Praktikum bei der Hamad Oil Company bekomme. Wie enttäuscht er wohl sein wird, wenn er die ganze Wahrheit erfährt..." "Du bist ein gutes Mädchen. Ich hätte gerne eine Tochter, wie dich." sagte Mohammed nachdenklich. "Hast du Kinder?" "Nein, meine Frau starb als sie schwanger war." "Das tut mir leid." "Es ist schon 30 Jahre her." sagte er tapfer. "Da fällt mir etwas ein." Er zog etwas aus seiner Anzugjacke. Ein Foto von Ahmed, wie er strahlte. "Efrim sagte, du wolltest wissen, wie es Ahmed geht. Ich habe mit seiner Nanny gesprochen. Sie meinte, du hättest ihn sehr gut versorgt und es sei dein Verdienst, dass er sich so prächtig entwickelt hat. Sie hat schon mitbekommen, wie die Dinge laufen. Sie möchte dich gerne mal kennenlernen und sich mit dir austauschen. Ihr könntet euch ja mal treffen und sie bringt Ahmed dann mit." "Das wäre sehr schön." sagte ich und betrachtete das Foto. "Ahmed ist der einzige Nachwuchs der Familie Al Sadic, nicht wahr? Er wird sich eines Tages wie Tabil gegen seinen Vater stellen müssen." "Da könntest du recht haben." "Umso wichtiger ist es, dass sein Onkel ihn unterstützt." "Natürlich unterstütze ich ihn, wo ich kann." Da war ich mir sicher. "Kannst du nicht auch Tabil ein wenig unterstützen. Sprich noch einmal mit Efrim. Ich mag diese Familie." "Es wird nichts nützen, aber ich versuche es." "Danke, Mohammed! Und Leg bitte ein gutes Wort für mich ein. Ich möchte dieses Praktikum wirklich machen, aber wenn..." "Mach dir keine Gedanken. Efrim wollte dich nur unter Druck setzen. Das Praktikum ist dir sicher. Du hast deine Aufgabe bereits erledigt. Wir wissen dank dir ja jetzt, dass es nicht die mangelnde Erfahrung ist, die Tabil zu seiner Weigerung treibt." Ich war sehr erleichtert.
Am nächsten Morgen wachte ich mit hämmernden Kopfschmerzen auf. Mein Gesicht glühte und im Spiegel sah ich schrecklich aus. Ich hatte Pusteln und verquollende Augen. Als ich Tabil hörte, ging ich zur Tür. Ich versuchte mein Gesicht etwas zu verstecken. "Guten Morgen!" "Mh?" Er war sauer. "Kannst du mich bitte beim Frühstück entschuldigen. Ich habe Kopfschmerzen und..." Er sah mich entsetzt an: "Merde, das ist meine Schuld!" Ich schüttelte den Kopf "Ach Tabil, du konntest doch nicht wissen..." "Ging es dir gestern Abend deswegen nicht gut?" "Ja, auch und dann hat Efrim mich so angebrüllt. Ich dachte, er würde mich schlagen. Ich wollte nicht, dass du siehst, wie ich..." "Ich will nicht, das du dich vor mir versteckst. Ich will wissen, wenn es dir nicht gut geht." "Ich habe mich wirklich über das Terrarium gefreut, aber ich weiß nicht, wie lange ich noch hier bleiben darf, wenn dein Vater nicht mehr will, dass ich das Praktikum mache..." "War deswegen Mohammed gestern Abend da?" "Ja, auch und er kann ein Treffen zwischen mir und Ahmeds Nanny organisieren. Ich sehe den Kleinen bald wieder, ist das nicht toll?" lenkte ich schnell ab. "Das freut mich für dich." "Er hat mir gestern ein Foto mitgebracht." Ich ging ins Zimmer und er folgte mir. Ich hielt ihm das Bild hin, aber er war schon zum Terrarium gegangen. "Wo ist denn unsere Tarantula?" "Sie sitzt da oben zwischen den Blättern der Palme. Scheint ihr Lieblingsplatz zu sein." Dann erst sah er auf das Foto in meiner Hand. "Der ist ja niedlich." Ich setzte mich erschöpft auf das Bett und rieb mir das Gesicht. "Brauchst du einen Arzt?" fragte er besorgt. "Ich glaube nicht, ich habe eben eine Schmerztablette genommen. Es geht mir bestimmt gleich besser." "Ich kümmer mich um dich." versprach er.

 

Fatale Gefühle

 

Ja, Tabil kümmerte sich um mich!
Und wenn ich nicht schon verliebt gewesen wäre, dann hätte ich mich aufjedenfall an diesem Tag in ihn verliebt. Die Dienerin Esra brachte mir das Frühstück. Ihr folgten Aleya und Tabil. Mütterlich hielt Aleya ihre Hand auf meine Stirn und diagnostizierte: "Du hast Fieber!" Tabil sog scharf die Luft ein und auch der Blick, den seine Mutter ihm schenkte, trug nicht zu einem geringeren schlechten Gewissen seinerseits bei. Aleya ließ uns schließlich allein und Esra entdeckte den neuen Koffer, der noch aufgeklappt auf dem Boden lag. "Soll ich die Sachen in den Schrank einräumen?" Tabil musste mir dolmetschen. Ich zögerte etwas bevor ich antwortete, denn ich wollte dem Personal nicht unnötig Arbeit machen. "Ich muss die Sachen alle waschen, denn sie stinken nach den Al Sadics." Natürlich übersetzte Tabil es so, dass Esra sofort begann alles aus dem Koffer zu nehmen und in den Wäschekorb zu werfen. Da half kein Murren.

Als sie mit dem überfüllten Korb das Zimmer verlassen hatte, wedelte Tabil bedrohlich mit einer Cremetube: "Jetzt bist du dran!" Er bestand darauf, höchst persönlich die Heilsalbe auf mein Gesicht aufzutragen. Ich nutzte die Gelegenheit ihm dabei genauer in die Augen zu sehen. Das Kastanienbraun hatte schwarze Sprenkel. Diese Augen waren faszinierend. Ich versank darin. Er atmete durch die Nase und presste die Lippen konzentriert zusammen, während er vorsichtig die Creme auf mein Gesicht auftrug. Vorsichtig glitt sein Finger über mein Kiefer, umrundete meine Lippen und Augen und strich entlang meiner Nase. Ich war bemüht diese Handlung nicht als zärtliche Berührung einzustufen und musste mich zwingen nicht darauf zu reagieren. "Ich werde mich wohl niemals daran gewöhnen, dass das Personal hier die Arbeit erledigt. Zuhause muß ich immer mein Zimmer selbst aufräumen." lenkte ich plaudernd ab, aber Tabil zuckte nur mit den Schultern. "Ich hätte die Klamotten auch selbst..." "In deinem Zustand machst du heute gar nichts." unterbrach er mich herrisch. Dann war Tabil fertig und lächelte zufrieden: "Jetzt siehst du aus, wie ein weißer Engel." "Das tut gut!" sagte ich genussvoll. "So und jetzt wird gefrühstückt." "Willst du mich etwa auch noch füttern?" witzelte ich wegen seines Befehlstons. "Wenn du darauf bestehst." antwortete er ernsthaft. "Vielleicht ein anderes Mal." sagte ich keck, weil ich das romantisch fand, aber er erwiderte brummig: "Ich hoffe, es wird kein weiteres Mal geben." Was mich dann leicht schockierte. Sofort erklärte er etwas sanfter: "Ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder zu viel Sonne abbekommst." Was will er machen? Mich hier einsperren? Nachdenklich knabberte ich an meinem Frühstück. Ich hatte durch die Tablette keine Kopfschmerzen mehr und die Creme kühlte angenehm mein Gesicht. Doch großen Hunger hatte ich trotzdem nicht. Ich war einfach nur müde.

Tabil holte ein paar Unterlagen aus seinem Büro und machte es sich an meinem Schminktisch bequem. Als ich mit dem Essen fertig war, bzw. es aufgab, so zu tun als würde ich essen, drückte mir Tabil ein Heft in die Hand und stellte das Tablett beiseite. "Kannst du dir das mal anschauen? Leider ist der Prospekt auf Deutsch." Ich blätterte darin herum. Es war ein Katalog einer deutschen Firma, die Sonnenkollektoren herstellt. Ich machte es mir auf dem Bett bequem und stöberte darin herum. Nach einer Weile entschied ich: "Das ist nichts für die Wüste. Die produzieren hauptsächlich für den deutschen Markt und ausschließlich für private Kunden, keine industriellen Anlagen." "Schade!" "Hast du noch mehr Prospekte, die ich mir angucken soll?" fragte ich und gähnte. "Nein, ruh dich ein bisschen aus." Ich gehorchte und ließ mich fallen. Auf dem Bett lag eine Tagesdecke und ein paar Kissen zum Anlehnen, in die ich nun sank. Ich war durch das Fieber ziemlich schläfrig und hatte kein Problem einzuschlafen. So im Eindösen fiel mir ein: "Ihr müsstet euch mal an die Universitäten wenden, die im Solarenergiebereich forschen." Tabil drehte sich zu mir um. Ich habe keine Ahnung, was für ein Anblick ich ihm bot, aber es schien ihn ein wenig aus dem Konzept zu bringen. Er sah mich eine Weile merkwürdig an. Ich dachte schon, dass mein Kommentar vielleicht dumm war, doch dann sagte er: "Universitäten sagst du? Gute Idee!" "Mhm." bestätige ich müde und schloss die Augen. So im Halbschlaf hatte ich das Gefühl, dass Tabil zu mir auf das Bett kam und mit seinen Fingern durch meine Haare strich, aber ich schob es in die Welt der Träume, in der ich Hand in Hand mit Tabil durch die Wüste hüpfte ohne Probleme mit der Hitze, der Sonne und dem Sand zu haben.
Als ich wieder wach wurde, war Tabil nicht mehr in meinem Zimmer, aber die Tür stand offen und ich hörte leise Musik.

Die Tür zu Tabils Zimmer war ebenfalls offen, aber drinnen war niemand, nur die Stereoanlage spielte. Da auch die Bürotür offen stand, riskierte ich einen Blick hinein. Dort saß Tabil an einem sehr großen Schreibtisch, der vollgepackt war mit Papierbergen und tippte etwas am Laptop. An den Wänden hingen überall Pläne der Photovoltaikanlage. Es war sehr beeindruckend, aber bei meiner Rundschau bemerkte ich auch, dass das Fenster direkt zum Bolzplatz von Joel ging. Von hier aus hatte man einen wunderbaren Blick hinunter. Hatte er mich und seine Geschwister etwa die ganze Zeit beobachtet? Ich starrte hinaus und überlegte, ob mir das unangenehm sein musste, was ich da unten mit Joel veranstaltet hatte. Joel machte gerade einsam ein paar Schüsse auf das provisorische Tor und wirkte ziemlich verlassen. Tabil trat neben mich und folgte meinem Blick ohne etwas zu sagen. "Joel spielt sehr gut Fussball!" unterbrach ich unser Schweigen "Du auch!" entschied Tabil und grinste "Zumindest als Torwart." setzte er noch eins drauf und lachte. "Ich hoffe, du hast dich amüsiert mir dabei zuzusehen." sagte ich gespielt beleidigt. "Gehts dir besser?" lenkte er ab. "Ja, ich glaube schon." "Hast du Hunger? Du hast das Mittagessen verpasst." Er inspizierte mein Gesicht, während er mit mir sprach. "Mir geht es schon besser. Ich hoffe, deine Mutter war nicht böse, weil..." begann ich mit einem Kloß im Hals "Nein, nein, Ammi weiß doch, dass du krank bist." Das Kosewort für seine Mutter bewirkte ein warmes Gefühl in meiner Brust. Er war sonst immer so abweisend zu ihr gewesen, hatte sie häufig beleidigt und es schien ihm egal, wenn sie ihn ausschimpfte. Dieses 'Ammi' wirkte dagegen sehr liebevoll. Er war mir im Augenblick so nah, dass wir uns fast berührten. Das schien auch Tabil zu bemerken, denn auf einmal wich er vor mir zurück und drehte sich um: "Ich sage Esra, dass sie dir das Mittagessen bringen kann." Schon war er weg!

 

Aufmerksamkeit

Als er wiederkam, war ich bereits in mein Zimmer zurück gegangen. Er wirkte etwas enttäuscht, als er sah, dass ich mich diesmal selbst eingecremt hatte. Doch fürsorglich schüttelte er meine Kissen auf und sorgte dafür, dass ich es bequem hatte.
Esra kam wenig später mit voll beladenem Tablett, gefolgt von den Kindern herein. Joel wirkte ganz sorgenvoll und Layla brachte mir Ken und Barbie mit, falls ich mich langweilte. Ich aß das verspätete Mittagessen mit Appetit und genoss das Geplapper der Beiden.

Ich hielt Ken und Barbie in den Händen als Tabil und ich wieder alleine waren. "Spielst du gern mit Barbies?" machte sich Tabil über mich lustig, als mir eine witzige Idee kam. "Ja, willst du mitspielen? Hat dein Laptop eine Kamera?" Er holte seinen Laptop und ich Tarantula aus ihrem Terrarium. Dann spielten wir Barbie auf unsere Art. Wir hatten sehr viel Spaß dabei diesen Spinnenfilm zu drehen. Tabil erwies sich als talentierter Filmregisseur und ich musste die ganze Zeit lachen. Tarantula schien Ken und Barbie zum Klettern zu gefallen und machte meist genau das, was wir erwarteten. Wir lachten ausgelassen und waren uns ganz ohne Hintergedanken nah. Plötzlich stand Aleya im Zimmer und war schockiert. Erst dachte ich, es wäre, weil Tabil und ich so nah zusammen auf dem Bett saßen, aber dann sagte sie "Lasst das bloß nicht Layla sehen, sie würde ein Schock fürs Leben bekommen." Ich brachte schnell Tarantula in ihr Terrarium und versorgte sie. "Es tut mir leid, dass ich euch störe, ihr scheint ja sehr viel Spaß zu haben. Ich wollte nur sehen, wie es Sarah geht und ihr ein entspannendes Bad vorschlagen." "Oh ja!" rief ich begeistert, während Tabil irgend etwas missmutig knurrte. Ich war noch immer in ausgelassener Stimmung und tätschelte ihm die Schulter: "Was hältst du davon, Tabil, ich nehme jetzt ein Bad und wenn ich fertig bin, präsentierst du mir den fertig geschnittenen Film?" Er grinste breit und klappte den Laptop zu. "Okay, lasst euch Zeit!" Als er raus war, kommentierte seine Mutter es: "Du hast ihn gut im Griff! Ich habe ihn lange nicht mehr so Lachen gehört. Du tust ihm gut!" Er mir auch!
Aleya verstand etwas von Wellness. Sie ließ mir ein Bad ein, goß ein Badeöl hinein und streute Rosenblätter drauf. Es duftete herrlich, entspannte und erfrischte mich. Aleya half mir mütterlich beim Haare waschen und plauderte dabei: "Seit du da bist, habe ich die Hoffnung, dass mein Verhältnis zu Tabil wieder besser wird." "Warum ist er immer so gemein zu dir?" "Er kann es uns nicht verzeihen, dass wir ihn damals nach Frankreich zu seinem Onkel geschickt haben. Du hättest ihn damals erleben müssen, er hat sich mit aller Kraft gewehrt und uns verflucht. Es hat mir das Herz gebrochen, ihn so leiden zu sehen, aber Efrim kannte kein Erbarmen. Ich habe ihn angefleht dem Jungen noch etwas Zeit zu geben. Naja, letztendlich hatte er ja recht, dass es ihm gut tun würde auf eine europäische Schule zu gehen." Ich gab nur ein leises Brummen von mir. "Ihr habt in Europa so viele Möglichkeiten. Fast jeder Araber, der etwas aus sich gemacht hat, war auf einer europäischen Schule." Sie spülte mir mit der Brause den Schaum aus den Haaren und brabbelte weiter, aber ich hörte nicht hin. Ich sah den verlorenen Jungen durch Paris laufen und dachte darüber nach, wie er sich gefühlt haben muss. Als Aleya mich mit ausgebreitetem Handtuch bat aus dem Wasser zu steigen, war ich doch etwas gehemmt. "Sarah, an dir ist nichts, wofür du dich schämen musst." sagte sie lächelnd und rubbelte mich trocken. "Tabil muss blind sein." "Er soll doch Jesemaya ansehen und nicht mich..." "Jesemaya kann er noch sein Leben lang ansehen, jetzt ist er frei." "Frei?" "Ja, frei um all das zu lernen, was er für die Ehe wissen muss." "Er wird sicherlich in Frankreich schon genug Erfahrung gesammelt haben." "Wir haben ja schon befürchtet, er hätte was mit diesem Babtiste." "Mit Babtiste?" "Ja, jeden Tag trifft er ihn. Er ist nur wegen Tabil aus Frankreich hier her gekommen. Es soll ja Männer geben, die sich nur für Männer interessieren." "Du meinst, er ist schwul?" fragte ich. Sie nickte beschämt. Ich schüttelte den Kopf. "Das glaube ich nicht." Doch irgendwie dachte ich darüber nach.

Der Gedanke, dass Tabil vielleicht schwul sein könnte schwirrte mir im Kopf herum. Ich fand ihn nach der Wellnesskur in seinem Zimmer auf dem Bett wieder. Er hatte den Laptop auf dem Schoß und bastelte gerade am Abspann unseres Tarantulafilms. Mutig gesellte ich mich zu ihm auf das Bett und schmiegte mich an ihn. Er rückte nicht beiseite und schien sich nicht daran zu stören. Er ist nicht schwul! Mir schlug das Herz bis zum Hals vor Aufregung. Erstrecht als er mir plötzlich den Arm über die Schulter legte und verkündete: "Fertig! Lass es uns mal anschauen!" Er sah mich an, aber ich wagte nicht ihm in die Augen zu sehen. "Da bin ich ja mal gespannt" brachte ich mit rauer Stimme hervor und versuchte nicht meinen Blick vom Bildschirm abzuwenden. Ich merkte aber im Augenwinkel, wie er mich ständig musterte. Ich musste mich regelrecht anstrengen, langsam und ruhig zu atmen und gelassen zu wirken. Der Film war wirklich gut gemacht. Tabil hatte ihn mit Musik unterlegt und ein paar Szenen langsamer ablaufen lassen, so dass ein Spinnenphobiker sicher Freude haben wird.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.01.2017

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