"Wenn die Welt im Chaos versinkt, werdet ihr euch wünschen, ihr hättet die Hoffnung nicht aufgegeben."
Damals hielten sie mich alle für verrückt oder geistig zurückgeblieben. Sie redeten über mich im selben Raum und dachten das ich sie nicht hören würde. Doch das tat ich. Ich tat es immer. Ich wusste immer was sie sagten auch wenn ich nicht im selben Raum war, denn Sie sagten es mir. Sie hören und sehen alles. Und dennoch weiß nur ich über Sie bescheid. Matt war früher immer bei mir. Wir waren gemeinsam in der Schule, gingen zusammen auf den Spielplatz und tranken gemeinsam Tee. Doch dann sagte meine Mom zu mir ich solle aufhören mit Matt zu spielen. Aber das konnte ich nicht er war doch mein bester Freund. Und er wusste Sachen die sonst niemand wusste. Zum Beispiel was es in der Kantine zu Mittag gab oder die Mathenote der gerade geschrieben Arbeit. Meine Mom sagte damals auch ich solle doch lieber mit Sally oder Annabeth spielen und nich mit meinem imaginären Freund. Ich verstand einfach nich wieso ihn niemand bemerkte. Er war doch immer da. Als ich dann sieben wurde und immernoch mit Matt spielte ging meine Mom mit mir zu einer Psychologin. Frau Mertens war nett doch auch sie konnte sich mein verhalten nicht erklären. Jede Woche wurde ich zu Ärzten, Therapeuten und weitenen Psychologen geschleppt. Doch keiner wurde aus meinem Verhalten schlau. Doch irgenwann verschwand Matt. Er meinte nich es wäre nun Zeit und dann war er weg. Er kam nie wieder. Dafür andere. Am Anfang war es noch ganz witzig doch dann wollten sie plötzlich das ich ihnen helfe. Ich wusste nicht wobei oder gar wie ich ihnen helfen sollte. Aber sie verstanden es nich und dann begann die schlimmste Zeit in meinem Leben.
Meine Mutter wurde als ich acht war bei einem Raubüberfall in einer Bank erschossen.
Mein Vater starb zwei Jahre darauf an Krebs.
Doch das war nicht das schlimmste, denn davon bekam ich kaum etwas mit. Denn meine Gedanken gehörten nicht mehr mir allein. Tausender fremder Gedanken kreisten sekündlich in meinem Kopf herum. Klare Gedanken waren für mich ein Fremdwort. Ich konnte meine Gedanken nich mehr von den anderen unterscheiden und redete daher oft sinnloses und vorallem zusammenhangloses Zeug. Mitten im Satz brach ich ab und fing über etwas ganz anderes an zu reden.
Das war auch der Grund weshalb ich von einer Pflegefamilie in die nächste abgeschoben wurde.
Und dann vor etwas mehr als einem Jahr fand ich das womit ich mein Leben für immer verändern sollte. Endlich konnte ich die Gedanken der anderen ausschließen. Und dann... ja dann war Ruhe.
„Miss Foster, würden sie uns heute noch die Ehre erweisen und ihre Gedanken auf meinen Unterricht richten? Sie sind nicht gerade eine der besten Schülerinnen in diesem Fach.“ Langsam wandte ich meinen Blick vom Fenster hab und schaute meinen Lehrer Herr Miller an. Er war um die Mitte bis Ende Dreißig und hatte dunkelbraune Haare und einen Bart. Kurz blickte ich auf die Tafel hinter ihm und erblickte irgendwelche chemischen Gleichungen, dann nickte ich kurz und starrte in mein Heft. Es war ein ganz normales Schulheft, für mich zumindest. Die anderen würden sich fragend ansehen und mir ihre Hefte anbieten. Ja mein Heft war leer, und das nicht nur weil ich gerade ein neues angefangen hatte sondern weil es meine ganze Schulzeit lang leer war, ist und bleiben wird. Aber das war nicht nur in diesem Fach so, sondern in alle. Auch in Sport oder Kunst. Für Sport hatte ich jedes Jahr eine Entschuldigung weshalb ich das gesamte Jahr nicht mitmachen konnte und in Kunst malte ich so, dass es für eine vier im Zeugnis reichte. Das war zwar nicht sonderlich klug von mir aber weshalb sollte ich mich für etwas bemühen, wenn man es bereits konnte oder wusste. Weil ich mir bewusst war das Herr Miller mich noch die ganze restliche Stunde im Auge behalten würde tat ich so als ob mir sein Unterricht nicht vollkommen egal wäre und ich mich wenigstens etwas für Chemie interessieren würde. „Hey dir ist klar das dem auffällt das du nichts aufschreibst oder?“, gedämpft hörte ich das die Kapuze meines Pullovers. Die Stimme an meinem Ohr lies mich erstarren. Erschrocken drehte ich den Kopf in die Richtung des störenden Geräusches. Ich blickte ihm in die dunkelblauen Augen und nickte bedächtig. Wer war das? Ich hatte ihn ehrlich noch nie gesehen und er war ganz bestimmt kein Produkt meiner Fantasie. „Wie heißt du? Außer Foster zum Nachnamen.“ Schon wieder redete er mit mir. Wieso wollte er meinen Namen wissen? Ich wusste doch nicht mal den seinen. Leicht runzelte ich die Stirn und schaute wieder vor zur Tafel. In den Augenwinkeln sah ich seine Hand und kurze Zeit später einen Finger auf meiner Stirn und wieder seine Stimme an meinem Ohr die mir zuflüsterte: „Nicht runzeln, davon bekommt man früher Falten.“ Genervt schnipste ich seinen Finger weg und sah ihn fragend an. Man sah ihm deutlich an das sich ein großes Rotes Fragezeichen in seinem Kopf bildete und er legte leicht den Kopf schief. Die blonden Haare fielen ihm leicht ins Gesicht und ich musste leider zugeben dass er gut aus sah. Vielleicht etwas besser als gut aber er war trotzdem seltsam. Leicht verdrehte ich die Augen, atmete tief ein und fragte dann: „Wie heißt du?“ Erstaunt riss er die Augen auf und antwortete mir dann: „Ich hätte nicht gedacht das du mir überhaupt antwortest. Die ganze restliche Woche die ich nun schon neben dir sitze hast du nie auch nur ein Wort gesagt. Aber okay ich bin Noah.“ Langsam nickte ich und schaute wieder aus dem Fenster. Dicke Regentropfen suchten sich ihren weg am Fenster hinunter. Es war untypisch für Laguna Beach das es regnete und dennoch war es mal was anderes als nur dieser langweilige Sonnenschein. Irgendjemand, vermutlich Noah, rammte seinen Ellenbogen gegen meinen und zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Doch als ich ihm ins Gesicht schaute, starrte er stur nach vorne. Verwundert schaute ich ebenfalls nach vorne und erschrak als Herr Miller direkt vor meinem Tisch stand und mich böse anschaute. „Ich würde mir gerne ihren Aufschrieb ansehen, Miss Foster. Sie haben doch sicherlich nichts dagegen, oder?“ Verwirrt schüttelte ich den Kopf und schaute auf mein Heft das aufgeschlagen vor mir lag. Ich hatte eindeutig ein Problem. Mein Lehrer wollte sich gerade mein Heft nehmen als Noah auf einmal sagte: „Nein das hier ist ihr Heft. Sie hat es mir ausgeliehen weil ich meins daheim vergessen hatte und ich mich schneller zurecht finden wollte.“ Herr Miller hob verwundert eine Augenbraue und schaute von mir zu Noah und wieder zurück. Er nickte kurz und wandte sich wieder zum gehen um. Noah tätschelte mir den Kopf und dabei rutschte mir die Kapuze vom Kopf. Sichtbar wurden die zwei kleinen blauen Kopfhörer in meinen Ohren und auch der Chemielehrer musste das bemerkt haben. Denn schon stand er wieder vor meinem Tisch und riss mir wutentbrannt einen davon raus. „Was glauben sie eigentlich wo sie sind? Wir sind hier an einer Schule und ich kann es nicht dulden wenn eine Schülerin sich während meinem Unterricht irgendwelche kranke Musik reinzieht.“ Ich schüttelte den Kopf und lachte dann leise vor mich hin. „Was ist daran den nun bitte so lustig?“, wütend schaute er mich an. „Naja ich mein, da läuft doch gar keine Musik.“ Verwundert über meine Aussage hob er sich meinen Kopfhörer ans Ohr und lauschte kurz. Doch nicht mal eine Sekunde später wurde sein Gesicht dunkelrot und er schlug mit seiner Hand auf den Tisch. Ich zuckte zusammen und schaute ihn fragend an. „Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung ob sie taub sind Miss Foster aber da hört doch jeder das da lautstark Musik läuft. Ich würde ihnen raten einmal einen Arzt aufzusuchen.“ Mit diesen Worten drehte es sich herum und ging wieder nach vorne. Die ganze Klasse hatte unser Gespräch mitbekommen und zerriss sich jetzt natürlich das Maul darüber, aber mir war das egal. Sollten sie doch. „Ich war schon bei vielen Ärzten und keiner konnte mir helfen.“, murmelte ich vor mich hin und achtete nicht darauf ob es jemand mitbekam. Wer sollte sich auch schon für mein Gerede interessieren?
Nach drei weiteren, sehr informativen Schulstunden durfte ich endlich gehen. Betont langsam ging ich auf die Bushaltestelle zu, an der sich schon eine quasselnde Menge von Schülern versammelt hatte. Ich stellte mich in den Schatten eines großen Ahornbaumes und wartete auf meinen Bus. Um mich wenigstens etwas zu beschäftigen schaute ich mir die Schüler an und ihre Gesten an. Als mein Bus dann um die Ecke bog und hielt stiegt ich ziemlich zum Schluss ein, da aber ziemlich wenige in meine Gegend fuhren war auch immer noch Platz. So setzte ich mich ziemlich hinten an ein Fenster, lehnte den Kopf an und schloss die Augen. Als Schritte auf mich zukamen schlug ich sie wieder auf und schaute die Person an die sich ganz frech einfach neben mich hin setzte. „Also ich weiß jetzt immer noch nicht wie du heißt.“, meinte Noah ganz gelassen und schaute mir in die Augen. Leicht hob ich kurz die Augenbrauen und wandte mich dann aber wieder dem Fenster zu. „Alexis.“, sagte ich mehr zu mir selbst als zu ihm.
„Alexis also, schöner Name.“
„Wenn du das sagst.“
Plötzlich spürte ich seine Hand an meinem Ohr und dann zog er mir einen Kopfhörer raus und steckte sich ihm selber ins Ohr. Fassungslos starrte ich ihn an. Doch dieses unbeschreibliche, menschliche Wesen lächelte nur selig vor sich hin und suchte irgendwas in seiner Schultasche. Kurz überlegte ich mir ob ich es ihm wieder abnehmen sollte, aber dann entschied ich mich dagegen. Vermutlich hätte das nicht viel daran geändert. Die restliche Fahr verbrachten wir schweigend nebeneinander, während er irgendwas suchte und ich die Landschaft beobachtete die draußen vorbeizog.
„Hey, hör mal kurz. Ich muss hier gleich aussteigen, aber falls irgendwas ist ruf an, okay?“ Er drückte mir noch einen kleinen, karierten Zettel in die Hand und stürzte zur Tür hinaus. Verwirrt blickte ich von dem Zettel in meiner Hand durch das Fenster nach draußen und konnte gerade noch sehen wie er um eine Ecke bog. Für was sollte ich seine Nummer bitte brauchen? Bereits wieder in Gedanken versunken, stopfte ich das Papierknäul in meine hintere Hosentasche.
An der nächsten Haltestelle stieg ich auch aus und lief geschlagene fünf Minuten bis zu unserem Haus. Es war ein etwas größeres Haus und im viktorianischen Stil gebaut. Dort angekommen schloss ich die Tür auf und streifte meine Schuhe ab ohne sie vorher aufzubinden. „Bin wieder da!“, rief ich in die Küche hinein und schaute schnell in den Kühlschrank. Dieser war jedoch ziemlich leer und auch der Zettel an der Tür des Kühlschranks erinnerte mich daran, dass ich eigentlich hätte einkaufen gehen sollen. Die Küchentür sprang auf und Ethan stand im Türrahmen und grinste mich spöttisch an: „Na Schwesterchen, was vergessen?“ „Ja Bruderherz, das meine Faust gleich in deinem Gesicht landet.“, meinte ich nur und wollte gehen, nahm aber noch kurzerhand das Geld vom Tresen und steckte es mir in die Hosentasche. Er war nicht wirklich mein Bruder sondern nur mein Pflegebruder. Genauso wie Tim, der kleine Hosenscheißer. Wo war der eigentlich? „Ach Mädel jetzt hab dich nicht so war doch nur Spaß.“, versuchte es sich zu entschuldigen, wobei er aber kläglich versagte. Grinsend schüttelte ich den Kopf und klopfte im während des hinaus gehen noch auf die Schulter. Schnell schlüpfte ich in ausgelatschte Sneakers, die nur noch von den Schuhbändeln zusammengehalten wurden. Bevor ich dann aber die Tür öffnete suchte ich noch kurz nach meinen Kopfhörern und steckte sie mir in die Ohren.
Nach einer viertel Stunde war ich wieder zuhause und der Kühlschrank wieder gefüllt. Tim war kurz nach mir nachhause gekommen und hat gemeint, er hätte nachsitzen müssen. Den Grund verschwieg er mir allerdings. Nun wollte er unbedingt das ich sein Lieblingsessen kochte, allerdings machte er sich nicht die Mühe in irgendeiner weise zu helfen. Und so blieb das Kochen an mir hängen, wobei ich es noch nicht mal konnte. Ich hatte mir bereits ein Kochbuch gesucht welches die Rezepte sehr, sehr genau beschrieb und wollte gerade die Zutaten herrichten als Ethan die Tür öffnete. Er hatte sein Handy am Ohr und schaute mich fragen an. Ich formte ein lautloses: „Was.“ Aber er schüttelte nur den Kopf und sagte: „Okey, alles Klar dann machen wir das so…Ja ich bestell… Ok gut hab ich mir gemerkt…Ja man wie oft den noch? ... Ja gut tschau bis nachher… Jaja die war bestimmt total heiß und jetzt tschau Alter.“ Ethan drückte noch ein paarmal auf seinem Handy herum und steckte es sich dann in die Hosentasche. „Also, nachher kommt noch ein Kumpel vorbei und wir dachten wir bestellen uns eine Pizza. Ich hab Tim schon gefragt und er wäre einverstanden. Was meinst du?“ Mir klappte die Kinnlade runter und ich muss wohl ziemlich bescheuert ausgesehen haben den Ethan schließ mir meinen Mund wieder und schaut mich fragend an. „Ja mach mal nur, “,meinte ich zu ihm war aber schon auf halbem Weg die Treppe hinauf. Diese kleine, miese Ratte. Die Mühe anzuklopfen machte ich mir nicht und platze mitten in Tims Zimmer. „Du,… mal ehrlich was soll das?“, wütend schaute ich meinen kleinen Bruder an. Dieser schaute mich jedoch nur ratlos an und schien keine Ahnung zu haben wovon ich redete. „Junge ich rede von der Pizza und deiner, wohlgemerkt deiner, Lasagne. Also wieso kannst du mir nicht sagen das du nun lieber eine Pizza willst? Dann hätte ich mir längst nicht die Mühe gemacht.“ Langsam schien ihm ein Licht aufzugehen und betreten sah er mich an. Fassungslos schüttelte ich den Kopf und als er unschuldig sagte: „Es wäre wahrscheinlich eh angebrannt.“ , drehte ich mich um und schloss geräuschvoll die Tür hinter mir. Mit lautem Gepolter stürmte ich die Treppe wieder hinunter, ging durch das Wohnzimmer und öffnete die Terrassentür. Eine frische Brise kam mir entgegen und die Sonne schien warm auf die Steinplatten. Barfuß lief ich über die lauwarmen Steine und setzte mich in den Liegestuhl der unter einem großen Birke stand. Langsam lehnte ich mich zurück und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut. Für Ende Mai war es bereits schön warm, und hoffentlich würde das Wetter so gut bleiben. Die Kopfhörer in meinen Ohren blendeten alles aus und endlich konnte ich mich mal wieder richtig entspannen.
Tag der Veröffentlichung: 02.06.2013
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