Der Schlüssel zu meinem Herzen
Inhalt
Danksagungen
1.) Der Umzug
2.) Der geheimnisvolle Karton
3.) Der Eindringling
4.) Die Entscheidung
5.) Nächtliche Störung
6.) Träumereien
7.) (Un)dankbar?
8.) Jonas‘ Geschichte Part 1
9.) Ausgesperrt
10.) Krankenpflege
11.) Diskussionen
12.) Versöhnliches Angebot
13.) Der Auszug
14.) Husten und andere Probleme
15.) Verspätung
16.) Jonas‘ Geschichte Part 2
17.) Wochenende
18.) Advent
19.) Bahnhof
20.) Dekowahn
21.) Jonas‘ Geschichte Part 3
22.) Verletzt
23.) Weihnachtsmarkt
24.) Erpressung
25.) Verschwunden
26.) Erklärungen
27.) Angekommen
28.) Epilog
Impressum
Ich möchte mich ganz herzlich bedanken bei:
DANKE!
1.) Der Umzug
„Puh, geschafft“, nachdem mich die letzten Helfer verlassen haben, lasse ich mich müde auf mein Sofa fallen. Ich bin wirklich froh über die Hilfe und Unterstützung, die mir meine Freunde und Familie zuteilwerden ließen. Ohne sie hätte ich diesen Umzug nicht so schnell und problemlos bewältigen können. Ein wenig Wehmut überfällt mich, wenn ich an sie denke, doch heißt es jetzt selbstbewusst in die Zukunft zu blicken.
Es war wirklich ein sehr emotionaler Abschied, dennoch bin ich irgendwie froh, nun meine Ruhe zu haben. Ich bin ja nicht aus der Welt, bereits zu Weihnachten werde ich meiner Familie und den Freunden einen Besuch abstatten.
Zu meinem 18.ten Geburtstag haben mir meine Eltern den Dachboden ausgebaut. Ich hatte mein eigenes Reich, mit einer kleinen Küchenzeile und eigenem Bad. Doch ist es immer noch etwas anderes, mit den Eltern unter einem Dach zu wohnen. Die Annehmlichkeiten wie das Wäschewaschen oder das gemeinsame Mittagessen mit meinen Eltern waren natürlich auch nicht zu verachten. Meine Mutter ist eine ausgezeichnete Köchin und ihr Essen wird mir echt fehlen.
Meine Eltern haben mich immer unterstützt, auch als ich mich bei ihnen geoutet habe, standen sie zu mir. In der kleinen Stadt, aus der ich komme, war dies gar nicht so einfach für sie, doch haben sie jedem zu verstehen gegeben, wie stolz sie auf mich waren.
Die erste eigene Wohnung. Es wurde wirklich Zeit, dass ich mein Elternhaus verlasse. In meinem Elternhaus hatte ich zwar eine eigene Etage für mich alleine, jedoch keinen eigenen Eingang. Jeder meiner Besucher musste bei meinen Eltern vorbei. Mit meinen Eltern habe ich mich immer toll verstanden, doch die mangelnde Privatsphäre ließ mich schon seit Längerem an eine eigene Wohnung denken. Vor ein paar Monaten bekam ich dann ein tolles Jobangebot aus der Großstadt. Auch wenn mir meine Freunde und Familie wirklich fehlen würden, sah ich es als meine Chance, endlich auf eigenen Beinen zu stehen.
Obwohl ich mein Abitur bestanden und mein Studium erfolgreich beendet habe, habe ich leider keine wirklich gute Stelle bekommen. Ich habe zwar viele Bewerbungen geschrieben, doch in der näheren Umgebung keinen Erfolg gehabt. Umso erfreuter war ich, als mich aus heiterem Himmel das Jobangebot einer großen Firma erreichte. Eine der Firmen, bei denen ich mich beworben habe, hatte die ausgeschriebene Stelle zwar anderweitig besetzt, doch schien meine Bewerbung zu gefallen, sodass diese weitergeleitet wurde. Vom ersten Vorstellungsgespräch bis zur Unterschrift des Vertrages ging alles sehr schnell.
Nun fehlte nur noch die geeignete Wohnung, denn jeden Tag über 100 km zu pendeln, kam für mich nicht infrage. Die neue Firma empfahl mir eine Maklerin , die ich auch sofort anrief. Glücklicherweise war sie spontan bereit, sich etwas Zeit für mich zu nehmen und hatte einige Wohnungen im Angebot, die sie mir zeigen wollte.
Als ich diese Wohnung mit der Maklerin Frau Rebau zum ersten Mal betrat, wohnte hier schon niemand mehr. Angeblich musste der Vormieter schnell ausziehen, weshalb sie mir diese Wohnung ganz spontan anbieten konnte. Der Vormieter hätte nur wenige Wochen hier gewohnt und wäre dann ins Ausland gegangen. Davor wohnte hier eine kleine Familie und die Spuren derer würden noch überall in der Wohnung erkennbar sein. Ein wenig Arbeit und Renovierung würde mich hier erwarten, doch könnte man mir dafür mit der Miete entgegenkommen. Der Eingangsbereich, in dem sich 2 große Einbauschränke versteckten, die bis zur Decke reichten, war gerade groß genug, um sich die Jacke und Schuhe auszuziehen. Eine zweite Tür sah ich noch, doch ansonsten fühlte ich mich in diesem Flur recht eingeengt. Noch hatte mir die Maklerin keine Daten über diese Wohnung mitgeteilt, und ich befürchtete, dass dies ein kleines Loch ohne viel Licht und Platz sein würde. Doch belehrte mich die Maklerin schon wenige Minuten später eines Besseren. Nachdem sie die zweite Tür geöffnet hatte, führte sie mich in einen riesigen Raum, der durch einen großen Torbogen in 2 verschiedene Räume abgeteilt wurde, doch waren diese Räume wirklich lichtdurchflutet.
Diese großen und offenen Räume hatten es mir sofort angetan. Sie führte mich in den rechten Raum, der von der hier vorher wohnenden Familie als Esszimmer genutzt worden war, und steuerte direkt auf eine Balkontür zu. Als ich auf diesem stand, blieb mir fast die Luft weg. Ein riesiger Balkon, der auch als Wintergarten genutzt werden konnte, da er über große Glastüren verfügte, die um den gesamten Balkon herum gingen und sich so schließen ließen. Frau Rebau erzählte mir, dass die ehemaligen Besitzer hier eine kleine Sitzecke aufgestellt und weiter hinten einen tollen kleinen Kräutergarten angelegt hatten. Die Idee gefiel mir und ich beschloss, sollte ich das Glück haben und diese Wohnung beziehen können, würde ich diese übernehmen.
Wieder zurück im Esszimmer, richtete ich mir diesen Raum gedanklich schon als Sportzimmer ein. Ich habe mich in der letzten Zeit wirklich etwas gehen lassen und freute mich schon sehr darauf, meine Kondition von vor ein paar Monaten wiederherzustellen. An das Esszimmer schloss sich ein weiterer Raum an. Nach dem Eintreten stellte sich dieser als Küche heraus, diese war zwar nicht sonderlich groß, doch würde es reichen, mir hier eine kleine Essecke einzurichten. Außerdem verfügte auch sie über einen Zugang zum Wintergarten.
Wieder zurück im Esszimmer führte mich die Maklerin durch den Torbogen in den nächsten Raum, ein helles großes Wohnzimmer erwartete mich hier. Auch hier befand sich eine Tür, die zu einem zweiten Balkon führte, dieser war zwar recht klein verglichen mit dem großen am Esszimmer, jedoch hatte auch dieser seinen eigenen Charme, von diesem aus sah ich eine weitere Glastür, doch war die Maklerin scheinbar in Eile, sodass sie mich schon beinahe vom Balkon zog, um mich wieder ins Esszimmer zu bringen.
Das, was ich bisher gesehen hatte, überzeugte mich bereits, doch wollte ich mir auch den Rest der Wohnung nicht entgehen lassen. Schließlich hatte ich auf dem Balkon schon eine Ahnung davon bekommen, dass es noch weitere Räume gab.
Im Esszimmer stehend, erkannte ich, dass sich gegenüber der Tür vom Flur noch eine weitere Tür versteckte. Die Familie hatte diese Tür tapeziert, sodass sie mir beim ersten Rundgang gar nicht aufgefallen war. Nun steuerte die Maklerin genau diese an und wir befanden uns in einem weiteren kleinen Flur, von dem 3 Türen abgingen, eine rechts, eine links und eine direkt gerade aus.
Die mittlere Tür führte in ein Badezimmer, es war nichts Besonderes, doch hatte es wenigstens ein kleines Fenster und eine Badewanne, auf der eine Duschkabine angebracht war, sodass man immer die Wahl hatte. Ein Waschbecken, genügend Platz für ein Regal, eine Waschmaschine und den Trockner rundeten den Raum ab.
Vom Badezimmer aus nach links führte mich die Maklerin in ein Schlafzimmer, auch dieser Raum verfügte über große Fenster und eine Tür, die auf den Wintergarten führte. Wieder umgedreht führte mich Frau Rebau in den Raum, der dem Schlafzimmer gegenüberlag. Ich dachte an eine kleine Abstellkammer, doch stellte sich dieser Raum als Kinderzimmer heraus. Auch hier ließ ein bodentiefes Fenster viel Licht in das Zimmer und nun erkannte ich auch die Tür wieder, die mir vorhin schon auf dem Balkon aufgefallen war.
Wie bereits im Esszimmer beschloss ich, auch diesem Raum eine neue Bedeutung zu geben. Aus dem Kinderzimmer würde ich ein Arbeitszimmer machen, denn ich bin Single und Kinder stehen auf meinem Lebensplan ganz weit unten. Ich bin schwul und von daher werde ich wohl nie eigene Kinder haben. Und in einer neuen Stadt gleich den passenden Partner mit Kind zu finden, erscheint mir auch zu utopisch, sodass ein Arbeitszimmer die logische Wahl ist.
Ich bin kein Single aus Überzeugung, bis vor Kurzem hatte ich noch einen Freund, doch war dieser gegen einen Umzug und eine Fernbeziehung kam für uns nicht infrage. Mir fiel der Umzug wahrlich nicht leicht, doch musste ich auch an meine Zukunft denken. In meiner Heimatstadt fand ich keine Arbeitsstelle und immer auf Kosten meiner Eltern wohnen war nichts, was ich mir für meine Zukunft ausmalen wollte.
Diese Wohnung musste ich einfach haben.
Ein paar Tage später bekam ich dann auch den erlösenden Anruf, dass diese Wohnung in Zukunft meine wäre.
Auch wenn es schnell gehen musste, gefällt mir diese Wohnung doch sehr. Sie ist zwar etwas zu groß für mich alleine, doch der Preis passt gut in mein Budget, sodass ich mich dennoch dafür entscheiden habe.
Noch sind zwar kaum Möbel aufgebaut und überall stehen Kisten im Weg, doch habe ich noch zwei Wochen Zeit bis zum Arbeitsbeginn. In der Zeit werde ich es sicher schaffen, meine Wohnung zu einem gemütlichen Heim für mich zu machen.
2.) Der geheimnisvolle Karton
Mittlerweile wohne ich seit einer Woche hier und habe mich inzwischen recht gut eingelebt. Noch immer bin ich erstaunt, wie schnell alles ging. Vom Besichtigungstermin bis heute vergingen gerade einmal 3 Wochen. Ich vermisse meine Freunde und meine Familie sehr. Noch habe ich hier keinen Anschluss gefunden, doch hoffe ich, dass sich dieses Problem von selbst löst, wenn ich erst einmal in den Arbeitsalltag hineingefunden habe.
In den letzten Tagen habe ich weitere Kisten ausgepackt und die letzten Möbel aufgebaut. So langsam sieht es hier richtig wohnlich aus. Ich werde mir noch einiges kaufen müssen, denn in meinem Elternhaus hatte ich nur ein Schlaf- und ein Wohnzimmer zur Verfügung. Doch werde ich mir damit noch ein wenig Zeit lassen. Es ist mir momentan schon Anstrengung genug, jeden Tag mehrfach in den 4.ten Stock zu rennen. Ich bin ein Pedant, ich hasse es, wenn Unordnung herrscht. Weshalb ich leere Kartons immer gleich in den Keller runter bringe, sobald sie ausgeräumt sind und mehr als drei an der Haustür stehen.
Mit dem Keller hatte ich hier richtiges Glück, er ist nicht wie in den meisten Häusern ein kleiner Holzverschlag, sondern ein schöner kleiner und vor allem sauberer Raum. Dort unten könnte man sich auch gut einen Hobbyraum oder eine kleine Werkstatt einrichten. Doch ist es um meine handwerklichen Fähigkeiten nicht gerade rosig bestellt. Sogar eine stabile Tür schützt meine wenigen Habseligkeiten. Bisher habe ich dort einige Kisten mit Sachen, die ich momentan nicht benötige, einige leere Kartons und Überbleibsel der Renovierung untergestellt.
Außerdem noch eine alte wirklich schöne Kommode meiner Großmutter, diese bedeutet mir wirklich viel, doch leider passt sie so gar nicht zu der restlichen Einrichtung meiner Wohnung. Erst wollte ich die bei meinem Eltern stehen lassen, doch als ich diesen tollen Keller bei der Besichtigung sah, habe ich sie spontan eingepackt und mitgenommen. Es ist das einzige Erinnerungsstück, das ich noch von meiner Großmutter habe.
Eine Woche habe ich noch frei, bevor ich meinen ersten Arbeitstag habe. Da ich in den letzten Tagen wirklich geschuftet habe, um diese Wohnung wohnlich zu gestalten, gönne ich mir einen freien Nachmittag, an dem ich die nähere Umgebung ein wenig erforschen will. Bisher weiß ich nur, wo der nächste Supermarkt ist.
Mein Auto lasse bewusst stehen und gehe zu Fuß. Vielleicht gibt es in der Nähe ja auch ein nettes Bistro oder eine kleine Kneipe, in der ich nach der Arbeit ein kühles Bier genießen kann.
Mittlerweile ist es September und das Wetter wird immer schlechter. Heute ist es ein recht stürmischer Tag, sodass ich mir sicherheitshalber noch meinen dicken Mantel anziehe. Kaum habe ich meine Wohnungstür geöffnet und will einen Schritt nach draußen machen, wird mein Schritt durch einen Pappkarton gebremst. Ich bin verwirrt, ich habe nichts bestellt und kenne doch noch niemanden hier.
Ich hocke mich vor den Karton, um diesen genau unter die Lupe zu nehmen. Er ist nicht verschlossen und auch nicht adressiert. An der Seite klebt ein Zettel, den ich nun vorsichtig abreiße und lese. Doch anstatt dass ich nun Bescheid weiß, bin ich verwirrter als vorher.
Hallo Claus,
ich bin in eine recht missliche Lage gekommen und kann mich nicht um Rocky kümmern. Bitte passe gut auf ihn auf, ich hole ihn ab, sobald ich kann. Es tut mir leid, dass ich dich damit belästigen muss, doch weiß ich, dass ich mich auf dich verlassen kann. Ich melde mich bald bei dir. Gruß Jonas
Mein Name beginnt zwar auch mit einem C, doch heiße ich Curtis und nicht Claus.
Auf meinem Klingelschild habe ich nur C. Berger stehen. Es muss sich hierbei eindeutig um eine Verwechslung handeln.
Vorsichtig öffne ich die Kiste und schaue hinein, ein Paar brauner Augen schaut zurück. In der Kiste sitzt ein Hund, sein Fell ist weiß, durchsetzt von hell-braunen Flecken. Ein wirklich hübsches Tier, ich habe keine wirkliche Ahnung von Tieren, doch erscheint es mir, dass dieser kleine Kerl noch nicht ganz ausgewachsen ist. Ich habe wohl keine andere Wahl, als ihn erst einmal mit in die Wohnung zu nehmen, ich kann ihn ja wohl schlecht im kalten Treppenhaus sitzen lassen und ignorieren.
Nachdem ich die Kiste in mein Sportzimmer gebracht und meinen Mantel wieder an die Garderobe gehangen habe, hebe ich den kleinen Kerl aus der Kiste. Sein weiß-braunes Fell ist richtig weich. In der Kiste liegt auch noch ein Kissen, ich tippe mal darauf, dass es von seinem Herrchen ist. Doch mehr befindet sich in der Kiste nicht.
Wenigstens weiß ich den Namen von dem kleinen Kerl. Der Kleine kuschelt sich sofort an mich, ihm scheint kalt zu sein. Mit ihm auf dem Arm setze ich mich aufs Sofa und gönne dem Fellknäuel etwas Wärme, während ich mir meine nächsten Schritte überlege. Ich lasse meine Hand durch sein Fell gleiten, Rocky gibt genießende Laute von sich, es freut mich, dass er sich bei mir so wohl fühlt.
Ich werde mich gleich mal auf den Weg durchs Haus machen und versuchen, etwas über meinen Vormieter herauszufinden. Da ich nicht glaube, dass der Familienvater gemeint ist, gehe ich davon aus, dass nur der direkte Vormieter gemeint sein kann, der nur einige Wochen hier gewohnt hat. Dieser Jonas hat wohl von dem plötzlichen Umzug noch nichts mitbekommen.
Ganz unten im Haus wohnt eine ältere Frau, sie macht auf mich einen sehr neugierigen Eindruck, sodass sie bestimmt etwas über den Vormieter weiß. Es dauerte eine Weile, doch schließlich konnte ich Rocky dazu überreden, ein paar Schlucke zu trinken. Den kleinen Kerl lege ich solange auf sein Kissen zurück in den Karton. Ich hoffe, dass er keinen Unsinn anstellt und die Wohnung und das Inventar heil lässt. Sicherheitshalber stelle ich die Kiste in die Küche und schließe die Tür hinter mir.
Im Erdgeschoss bei der alten Dame angekommen, atme ich noch einmal tief durch, bevor ich den Klingelknopf drücke. Die Tür öffnet sich schneller, als ich den Arm wieder zurückziehen kann. Ich befürchte, dass diese Frau den ganzen Tag nichts Besseres zu tun hat, als hinter ihrer Tür die Aktivitäten der Nachbarn zu beobachten.
„Herr Berger, wie schön, dass Sie mal vorbeischauen, um sich vorzustellen. Das machen die wenigsten jungen Leute heutzutage. Kommen Sie doch rein, kann ich Ihnen vielleicht einen Tee und ein Stück Kuchen anbieten?“ Irgendwie wundert es mich gar nicht, dass sie sofort weiß, wer ich bin.
Die Frau redet und redet, während sie weiter in ihre Wohnung geht und macht nur eine kurze Pause, um mich auffordernd anzuschauen, ihr doch zu folgen. Nach wenigen Minuten sitze ich bereits vor einem Teller mit Kuchen und einer Tasse dampfenden Tees.
Ich versuche nur noch mit einem halben Ohr zuzuhören, denn meine Nachbarin redet ohne Pause, mittlerweile hat sie mir ihre halbe Lebensgeschichte erzählt. Ich hoffe, dass sie bald mal eine kleine Pause macht, und ich vielleicht auch mal zu Wort komme. Mir bluten schon die Ohren.
Nach gefühlten sieben Stunden bin ich endlich wieder in meiner Wohnung, nach einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass ich fast zwei Stunden bei Frau Jäger verbracht habe. Das waren die längsten zwei Stunden meines Lebens. Neben der kompletten Lebensgeschichte habe ich allerdings auch erfahren, dass der Vormieter Claus Brenger hieß, und eigentlich länger hier wohnen wollte, er jedoch einen Job im Ausland bekommen hat und spontan ausgezogen ist.
Nachdem ich mir nun sicher bin, dass es sich hier wirklich um eine Verwechslung handelt, beschließe ich, den kleinen Kerl wenigstens für diese Woche zu behalten. Was dann mit ihm werden soll, weiß ich noch nicht, doch hoffe ich, dass der Unbekannte sich schnell meldet und Rocky wieder an sich nimmt.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, hat sich der Kleine in der Nacht doch tatsächlich unter meine Decke gekuschelt. Ich habe gestern Abend seinen Karton mit in mein Schlafzimmer mitgenommen, dass er nicht ganz so alleine ist.
Jetzt beschließe ich, erst mal einige Utensilien zu besorgen, damit sich der Fellhaufen hier wohlfühlen kann. Gestern Abend habe ich eine Paketschnur um sein Halsband geknotet, um überhaupt mit ihm raus zu können. Eine Steuermarke trägt der Kleine nicht, doch vielleicht hat er ja ein Implantat und man kann so herausfinden, wer sein Herrchen ist.
Nach dem Frühstück machen wir beide uns erst mal auf den Weg, um in einem Geschäft für Tierbedarf eine Grundausstattung für Rocky zu besorgen. Anschließend besuchen wir einen Tierarzt, leider hat Rocky kein Implantat, doch wenigstens ist er kerngesund. Die Tierärztin schätzt ihn auf ca. 6 Monate.
Wieder zu Hause richte ich ihm in meinem Wohnzimmer eine kleine Ecke ein, die sein neues Zuhause sein soll. Ich denke, wir werden gut miteinander klarkommen.
3.) Der Eindringling
Mittlerweile sind mehr als zwei Wochen vergangen, seitdem Rocky bei mir eingezogen. Leider oder sollte ich sagen zum Glück hat sich der Halter noch nicht gemeldet. Gestern waren wir beim Tierarzt und ich habe ihn chippen lassen, außerdem habe ich eine Steuermarke besorgt, sodass der Haltung wirklich nichts im Wege steht. Es war zwar nicht ganz einfach und es bedurfte einer Tricks, doch am Ende habe ich es geschafft.
Ich habe es schon mal gesagt, ich bin ein Pedant und alles muss seine Ordnung bei mir haben. Irgendjemand hat diesen kleinen Kerl bei mir abgegeben und sich seitdem nicht mehr bei mir gemeldet. Die ersten Tage dachte ich ja noch, dass es sich nur um ein bis zwei Tage handelt, doch mittlerweile glaube ich nicht mehr daran, dass jemand den kleinen Kerl zurückfordert. Ich habe viel gegrübelt, welche Unwegsamkeiten das Leben mit sich bringen kann, um diesen kleinen Kerl theoretisch auszusetzen. Denn als was anderes kann ich diese Aktion des Halters nicht mehr bezeichnen.
Ein Krankenhausaufenthalt wäre denkbar, doch gibt es auch im Krankenhaus Telefone, um mal nach dem Kleinen zu fragen. Soweit ich das bisher mitbekommen habe, habe ich die Telefonnummer des Vormieters behalten. Denn als ich letzte Woche beim Pizzaservice in der Gegend angerufen habe, wurde ich namentlich begrüßt, doch nicht mit meinem Namen, sondern mit dem des Vormieters.
Gefängnis wäre auch noch eine Möglichkeit, doch auch dort gibt es sicher Telefone und jeder Mensch hat wohl Familie, Freunde oder wenigstens einen Kumpel, den man beauftragen könnte, sich bei mir bezüglich des Kleinen zu melden.
Weitere Möglichkeiten, die infrage kommen könnten, sind mir nicht eingefallen. Ich weiß, dass es wahrscheinlich nicht richtig ist, dass ich ihn nun adoptiert habe, doch habe ich diesen kleinen Kerl wirklich lieb gewonnen. Ich habe den Eindruck, er fühlt sich bei mir echt wohl.
Ich kann ihn jederzeit alleine lassen und vor einigen Tagen haben wir begonnen, kleine Kommandos zu lernen. Ich bin wirklich erstaunt, wie sehr er sich schon auf mich eingestellt hat. Er lernt wirklich schnell.
Vor einer Woche habe ich angefangen zu arbeiten, ich wusste den ersten Tag nicht wohin mit meinem neuen Kumpel, doch blieb mir nichts anderes übrig, als es drauf ankommen zu lassen. Ich war wirklich überrascht, als ich in meiner Pause heimkam, saß er schwanzwedelnd vor der Tür und begrüßte mich freudig. Er hatte wirklich nichts angestellt. Nachdem ich schnell mit ihm eine Runde um den Block gedreht habe, habe ich ihm noch ein Leckerchen dagelassen und bin wieder aufgebrochen. Am Nachmittag erwartete mich wieder dasselbe Bild. Spätestens da habe ich mich in ihn verliebt.
In meinem Job läuft alles bestens, mit meinen neuen Kollegen komme ich gut klar und auch der Chef ist wirklich nett, auch wenn ich diesen nicht viel sehe. Ich habe meinem Chef erklärt, dass es sein kann, dass ich in den ersten Tagen nicht ganz so pünktlich aus der Pause wiederkomme, doch hat er sehr verständnisvoll reagiert. Es wäre gar kein Problem, solange ich die Zeit entweder zu Hause oder nachmittags nacharbeiten würde. Zu Hause arbeiten? Das überraschte mich wirklich, doch schien es hier zur Normalität zu gehören, früher zu gehen und dafür seine Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Der Firmenhauptsitz ist in Holland, und dort ist es üblicher als hier bei uns, Rücksicht auf die persönlichen Belange der Mitarbeiter zu nehmen. Diese sollen sich in der Firma wohlfühlen und auch gerne zur Arbeit kommen.
Doch kann ich mich auf meinen kleinen Schatz verlassen, sodass ich diese Vergünstigung bisher nicht in Anspruch nehmen musste. Sollte es doch einmal nötig werden, schließlich kann auch ein Hund, vor allem wenn er noch so klein ist, schnell mal krank werden, habe ich mir mein Arbeitszimmer fertig eingerichtet und eingeräumt. Die letzten Kisten sind nun auch endlich ausgepackt, und diese werde ich nun schnell noch in den Keller bringen, um dann mit meinem Kleinen eine schöne große Runde durch den nahe gelegenen Park zu drehen.
Auch wenn es schon empfindlich kalt geworden ist, schließlich ist es schon Oktober, freue ich mich, etwas an die frische Luft zu kommen. Ich wickle mich regelrecht in meinen Mantel, schnappe mir die Kisten und Rocky.
Als ich in den Kellergang komme, wird Rocky richtig aufgeregt. Er bellt und rennt aufgeregt den Gang hinunter bis zu meinem Kellerraum. Er setzt sich davor und kratzt mit seinen Pfoten aufgeregt an die Tür. Ich war noch nie mit ihm hier unten, er kann doch gar nicht wissen, wo mein Raum liegt. So aufgedreht kenne ich ihn nur, wenn ich zu spät von der Arbeit komme und er ganz dringend raus muss.
Ich stelle meine Kisten zur Seite und rufe Rocky zu mir, doch hört er zum ersten Mal, seit dem er bei mir ist, nicht auf mich, was mich nur noch mehr verwundert. Ich gehe zu ihm, nehme ihn auf den Arm, um ihn zu beruhigen und schließe meinen Kellerraum auf. Doch als ich die Tür vorsichtig öffne, springt er sofort von meinem Arm und rennt wie ein Wiesel bis in die hinterste Ecke. Das Licht braucht eine Weile, bis es seine volle Stärke erreicht hat und im ersten Moment kann ich ihn gar nicht mehr sehen. Erst beim zweiten Blick sehe ich seine kleinen Beinchen unter der Kommode. Diese hatte ich an die Wand gestellt, und nun ist sie so weit vorgerückt, dass der Kleine dahinter kann. Dort bellt er sich die Seele aus dem Leib und jault und quiekt ganz aufgeregt.
Vorsichtig nähere ich mich der Kommode und werfe einen Blick von oben hinter diese. Im ersten Moment schrecke ich zurück, als ich dahinter einen Kerl erblicke, der mich ganz schüchtern und mindestens genauso erschrocken anblickt. Doch renne ich nicht wie ein aufgeschrecktes Huhn weg, sondern stelle mich der Situation, schließlich bin ich ein Mann und kein Mädchen.
Ich gehe einige Schritte um die Kommode herum und schaue mir den Eindringling erst einmal genauer an, bevor ich mich dazu durchringen kann, ihn anzusprechen. Er scheint nicht gerade sehr groß zu sein, doch kann ich wenig von ihm erkennen. Der einzige Grund, warum ich nicht gleich auf ihn losstürme und ihn am Kragen aus der Ecke zerre, ist, dass Rocky sich vertrauensvoll an ihn drückt, während er immer noch immer vor Freude quiekt. Der Fremde krault ihn, ich glaube fast, dass sich die beiden kennen.
„Wer bist du und was hast du in meinem Keller zu suchen?“
„Dein Keller? Aber… warum dein Keller? Wo ist Claus?“
„Claus wohnt schon seit Wochen nicht mehr hier! Wie kommst in meinen Keller?“
Ich bin mir ganz sicher, dass ich das letzte Mal abgeschlossen habe, doch so langsam lichtet sich meine Verwirrung und ich habe so eine vage Ahnung, dass dies der Besitzer des kleinen Rockys sein könnte. Ich fordere ihn auf, seine schützende Position hinter der Kommode aufzugeben und zu mir in Licht zu kommen. Es fällt ihm sichtbar schwer, seine Deckung aufzugeben, doch ändert es nichts an meiner Forderung, der ich nun noch einmal deutlich und etwas lauter Nachdruck verleihe.
Als er vor mir steht, bin ich doch etwas überrascht, so klein, wie ich im ersten Moment dachte, ist er gar nicht, bis auf wenige Zentimeter ist er so groß wie ich. Ich schätze, er misst 1,80 Meter, doch wirkt er extrem schmächtig. Auch schaut er nicht gerade aus wie das blühende Leben, scheinbar lebt er schon einige Zeit in verschiedenen Kellern. Seine Klamotten sehen schmuddelig aus, als wenn er auf der Straße lebt.
„Also Klartext, wer bist du?“
„Ich heiße Jonas.“
„Was machst du in meinem Keller?“
„Ich habe hier nur übernachtet und nichts angefasst, ehrlich, ich habe auch nichts geklaut.“
„Das habe ich dir gar nicht unterstellt, doch wie bist du hier reingekommen? Bist du etwa eingebrochen?“
Erschrocken, regelrecht verängstigt, schaut er mich an, und schüttelt aufgeregt den Kopf.
„Ich habe einen Schlüssel, Claus hat ihn mir gegeben, für Notfälle.“
„Hast du keinen anderen Platz, wo du hinkannst? Hast du mir Rocky vor die Tür gestellt?“
„Nein, ich weiß sonst nicht, wo ich hinkann, draußen ist es so kalt und Claus hat gesagt, wenn ich mal nicht weiß wohin, dann kann ich gerne seinen Keller nutzen. Für mich ist das ja ok, aber nicht für Rocky. Deshalb habe ich ihn nach oben gebracht. Ich dachte doch, Claus wohnt da.“
„Tja, es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber Herr Brenger wohnt hier schon seit Wochen nicht mehr. Er musste wohl recht schnell ins Ausland ziehen.“
„Aber… aber… wo soll ich denn jetzt hin? Ich hab doch niemanden, schmeißt du mich raus? Muss ich jetzt auf die Straße?“
So aufgeregt und fast verzweifelt, wie er wirkt, fällt es mir echt schwer, ihn auf die Straße zu werfen. Zudem sich mein Kleiner immer noch vertrauensvoll an ihn drückt.
„Pass auf, so spontan werde ich nun keine Entscheidung treffen. Ich will, dass du hier auf mich wartest, bis ich wiederkomme, dann reden wir weiter. Ich gehe in der Zwischenzeit in den Park eine Runde mit Rocky drehen. Wenn du nicht mehr hier bist, wenn ich wiederkomme, dann leg den Schlüssel auf die Kommode, ich habe keine Lust, auch noch das Schloss auswechseln zu müssen.“
Er macht einige Schritte auf mich zu und schnappt sich meine Hand, um diese zu drücken und zu schütteln, er dankt mir mit Worten und seinen Gesten, das beeindruckt mich schon ein wenig. Ich entziehe ihm meine Hand. „Ich habe nicht gesagt, dass du bleiben darfst, sondern nur, dass ich drüber nachdenke. Und du denkst inzwischen über Alternativen nach. Solltest du immer noch hier sein, wenn ich wiederkomme, will ich wissen, warum du keine andere Möglichkeit finden konntest und was dich in meinen Keller gebracht hat. Okay?“
Jonas nickt nur, während ich Rocky rufe, der natürlich nicht kommt, sondern noch eine ausdrucksstarke Aufforderung meinerseits braucht, bis er mir endlich folgt.
Beim Gang nach oben fällt mein Blick auf die Kisten, die immer noch an der Wand stehen, doch lasse ich diese nun, wo sie sind, da ich ja eh gleich wieder hier bin und dann kann ich diese immer noch aufräumen.
4.) Die Entscheidung
Als ich im Park ankomme, setze ich mich nahe der großen Hundewiese auf
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Lana Harmann
Bildmaterialien: Caro Sodar
Lektorat: Bernd Frielingsdorf
Tag der Veröffentlichung: 29.11.2014
ISBN: 978-3-7368-6010-0
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