Als ich vor ca. einem Jahr meine Diagnose bekam, habe ich gedacht, mich trifft der Schlag. HIV! Ich habe absolut keine Ahnung, wie ich daran geraten sein soll. Ich war immer vorsichtig. Nie ungeschützten Verkehr gehabt. Nie besoffen einfach hirnlos mit jemandem mitgegangen. In jedem Club passte ich auf meinen Drink auf, damit ich nicht irgendwann einmal bewusstlos in einer Gasse aufwache. Beim Alkohol habe ich auch immer auf ein gesundes Maß geachtet, mich nie sinnlos besoffen, wenn, dann nur, wenn ich zu Hause oder in vertrauensvoller Umgebung war. Ich habe mich leider nicht regelmäßig testen lassen, da ich immer vorsichtig war, wirklich.
Die letzte Untersuchung, bei der noch alles ok war, ist schon einige Jahre her. Doch es lag nichts Dramatisches vor, ich brauchte nur eine Art Gesundheitszeugnis vor Antritt meiner Lehrstelle. Dabei habe ich dann gleich einen Bluttest und andere Untersuchungen machen lassen. Alle Ergebnisse waren zufriedenstellend. Ich bin meines Wissens nie mit jemandem in Berührung gekommen, der diesen heimtückischen Virus in sich trug.
Eigentlich war es nur ein Zufall, dass ich zum Arzt bin und überhaupt diesen Test habe mitmachen lassen. Bei meiner Mutter wurde eine Schilddrüsenerkrankung festgestellt und ich wollte ausschließen, dass auch ich diese vererbbare Krankheit habe. Mit meiner Schilddrüse ist alles ok, doch hat der Doc dabei diesen furchtbaren Virus entdeckt. Glücklicherweise wurde es jedoch erkannt, und ich konnte noch rechtzeitig mit der Therapie beginnen. Momentan geht es mir gut, was die Gesundheit angeht. Abgesehen von den ganzen Tabletten, die ich nun tagein, tagaus schlucken muss. Doch hat jede Therapieform auch ihre Schattenseiten, in meinem Fall sind es die beschissenen Nebenwirkungen, die mir das Leben schwer machen.
Die Diagnose hat mich einsam werden lassen, nicht die Diagnose an sich, sondern die Auswirkungen. Meine Familie war schon nicht begeistert darüber, dass ich schwul bin, doch hatte ich noch genügend Kontakt und Vertrauen zu ihnen, um ihnen meine Diagnose mitzuteilen. Ich hätte es lieber nicht tun sollen. Denn meine Familie hat mich sofort vor die Tür gesetzt und sich jeden Kontakt mit mir verboten. Das Verhalten meiner Familie hat mich weitaus mehr geschockt als die Diagnose. Doch ändern konnte ich daran nichts. Mir blieb nichts anderes übrig, als es hinzunehmen. Ich habe noch ein paar Mal angerufen, doch niemand ist rangegangen, und als ich einen Brief schrieb, kam dieser ungeöffnet zurück.
Meine Freunde versicherten mir, dass meine Diagnose nichts an unserer Freundschaft ändern würde. Doch nachdem ich aus dem Fußballverein geschmissen wurde und ich viele Verabredungen aufgrund der Nebenwirkungen absagen musste, haben sich auch meine sogenannten Freunde langsam, aber sicher von mir zurückgezogen. Doch dabei war es mir gerade am Anfang gar nicht möglich, das Haus zu verlassen. Ich brauchte in meiner näheren Umgebung ständig ein WC oder einen Eimer, es war echt grausam. Das konnte sich keiner lange mit ansehen. Ja, es ist schon ein Unterschied, eine Diagnose gesagt zu bekommen oder die Nebenwirkungen mitzuerleben. Freunde sind mir so nicht geblieben, meinen Job habe ich auch verloren. Offiziell war einfach kein Geld mehr da und meine Stelle wurde gestrichen, doch weiß ich es besser. Denn keine 3 Monate nach meiner Entlassung wurde ein neuer Mitarbeiter gesucht. Genau für die Stelle, die ja angeblich gestrichen wurde. Ich hätte vielleicht dagegen angehen und klagen können, doch wollte ich nicht unter Menschen arbeiten, die mich unbedingt loswerden wollten. Das wäre kein tolles Arbeitsklima gewesen. Außerdem hätte ich mir den Anwalt für den Prozess nicht leisten können. So habe ich nichts unternommen. Familie weg, Job los, Freunde, die sich nur dann und wann mal meldeten, und diese tolle Krankheit nicht zu vergessen. Ich dachte, mein Leben wäre im Arsch. Einige Monate habe ich in Selbstmitleid gebadet, geheult und mich verkrochen. Meinem Arzt gefielen die Veränderungen gar nicht, denn mein seelisches Tief hatte sich scheinbar auch auf die Ergebnisse der regelmäßigen Kontrollen ausgewirkt. Er bestand darauf, dass ich dringend wieder raus musste. Ich solle unter Leute, mir einen Job suchen, ein Tier aus dem Tierheim holen oder einer Selbsthilfegruppe beitreten.
Unter Leute gehen, als wenn das so einfach wäre. Was sollte ich denn da bitte tun? Sinnlos im Park spazieren gehen? Essen gehen, das ich eh nicht vertragen und wieder von mir geben würde? Einen Job suchen, ich müsste meine Krankheit angeben und das würde jeden Chef von einer Anstellung abhalten. Das konnte ich mir gleich sparen. Blieben nur noch das Tierheim und die Selbsthilfegruppe. Da ich keine Ahnung hatte, wie viel Zeit mir noch bleiben würde, ehe die Krankheit ausbricht und ich einen kleinen Hund nicht retten wollte, um ihn hinterher eh wieder im Stich zu lassen, habe ich mich gegen das Tierheim entschieden.
Blieb also nur noch die Selbsthilfegruppe übrig. Doch wollte ich mich keinesfalls einmal wöchentlich mit anderen Betroffenen treffen. Das würde mich alles nur noch mehr runterziehen, wenn ich mir die ganzen traurigen Geschichten anhören müsste. Vor allem, was sollte ich sagen? „Hi, ich bin Jonathan, und ich habe nicht die geringste Idee, wie ich mich infiziert habe?“ Verdammt, das haben mir meine Familie und Freunde schon nicht geglaubt. Doch ich wusste, dass dieser Doc recht hatte. Mich einzuschließen und mit niemandem mehr zu reden, wäre sicherlich nicht gesund. Auch sollte ich mich dringend mehr bewegen.
Vereine schieden aus, ich bin aus einem
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Lana Hartmann
Bildmaterialien: Bildmaterialien Privatfoto Caro Sodar, Bearbeitung Caro Sodar.
Lektorat: Bernd Frielingsdorf
Tag der Veröffentlichung: 30.09.2014
ISBN: 978-3-7368-5201-3
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