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Die Zeitung, die Sie gerade lesen, der Bleistift, den Sie zum Ausfüllen eines Sudoku-Kästchen benutzen, die Batterie, die in diesem Moment Ihre Armbanduhr ticken lässt – dies alles sind die Errungenschaften aus der Zeit der Aufklärung. Die Aufklärung war nicht nur irgendeine geschichtliche Epoche, die uns nicht mehr berührt, sondern hinterlässt auch heute überall ihre Spuren. Medizinische Entdeckungen, Elektrogeräte und das sozial-demokratische Gesellschaftssystem gehen aus ihr hervor. Denn Aufklärung ist keine feste Zeitspanne, die einfach nach einer gewissen Zeit endet. Seit dem Beginn der Aufklärung 1720 ist sie ein fortlaufender Prozess. Für die Menschheit ist die Aufklärung ein Segen: Eigenständigkeit und Fortschritt hat sie uns gebracht. Es gibt beinahe unendlich viele Beispiele, was durch die Aufklärung der Menschheit verbessert wurde. Sei es in Sachen Technik oder Ethik. Wir schmücken uns mit der Aufklärung und ihren bisherigen Ergebnissen, doch jede Medaille hat eine Kehrseite. So auch die Aufklärung.
Denn wenn man ehrlich ist, muss man bei der Aufzählung auch Dinge wie Atomwaffen, systematische Genozide, Kriegschiffe und -güter nennen. Obwohl viele Erfindungen zum Schutz der Menschheit und zur Bewahrung von Leben dienen sollten, ist ein Missbrauch nie ausgeschlossen. Doch es ist es falsch dafür die gesamte Aufklärung und das selbstständige Denken der Menschen zu verdammen, da letzten Endes der Mensch allein für seine Taten verantwortlich ist. Verantwortung ist das Stichwort – Jeder Fortschritt, jede Errungenschaft bringt neue Verantwortung mit sich und es liegt an uns, ihr gerecht zu werden. Je weiter sich die Gesellschaft strukturiert und je mehr Erfindungen es gibt, desto mehr wächst die Verantwortung der Menschheit. Doch was ist, wenn wir sie nicht tragen können? Ist dann unsere Technik bereits aufgeklärter als unser Verstand? Und warum wollen einige Menschen diese Verantwortung nicht tragen? Oder können sie es nicht?
Offen bleibt da zum Beispiel der Widerspruch zwischen Aufklärung und der Kirche, beziehungsweise der Religion im Allgemeinen. Religion zwingt die Menschen trotz aller Moderne zurück auf eine veraltete Weise des Lebens und des Denkens. Sie fliegen im Jumbojet durch die Welt oder mit der NASA ins All und behaupten dennoch, dass es da jemanden gäbe, dem die Welt gehöre und der über sie bestimme. Wie können wir in einer so entwickelten Welt des 21. Jahrhunderts leben und unsere Vorbilder in der Zeit von vor 2000 Jahren suchen? Wieso lacht man heute über die Naivität der Germanen bezüglich ihrer Naturgötter, wenn wir doch im Grunde das gleiche tun? Warum braucht der so ausgeprägte Verstand des Menschen den Glauben, nicht allein, nicht ohne einen Gott, zu sein? Und ist es nicht gerade der Glaube, der uns davon abhält, uns weiterzuentwickeln? Hält man an der These fest, dass es einen oder auch mehrere Götter gäbe, warum sollte sich dann die Menschheit dazu bewegen, etwas an der Welt zu verändern? Gott hat doch eh das letzte Wort und all unsere Errungenschaften wären unwichtig. Wenn wir alle ewig sind, wozu leben wir dann? Alles, was wir täten wäre unbedeutend, da es ja keine Auswirkungen hat. Nur durch die begrenzte Lebenszeit macht unser Handeln einen Sinn. Denn das, was wir tun, wird seine Auswirkungen haben. Unser Handeln kann dadurch vielleicht nicht ewig, aber eine lange Zeit bewahrt werden, aber wir nicht.
Oder sind einige Menschen einfach nur zu bequem, sich um die Aufklärung zu bemühen? Sind sie so verankert in ihrer Religion oder in ihrer Tradition, dass ihnen alles Neue nur Angst macht und es viel zu anstrengend wäre, über Neues allein nachzudenken? Doch sollte man die Aufklärung ihnen dann aufzwingen? Und ist es überhaupt im Sinne der Aufklärung, Leuten die Aufklärung aufzuzwingen? Wer bestimmt, wann man aufgeklärt ist und wann nicht? Und wer darf entscheiden, was positiv an der Aufklärung ist und was negativ? Oder liegt es doch in der Betrachtung eines jeden einzelnen?
Max Frisch sagte einmal: „Wenn Sie Macht hätten zu befehlen, was Ihnen heute richtig scheint, würden Sie es befehlen, gegen den Widerspruch der Mehrheit? Ja oder Nein.“ Und, würden Sie? Ist es aufgeklärt, den Menschen eine Meinung aufzuerlegen? Besinnt man sich auf die Absichten der Aufklärung ist es das nicht.
Und gleich darauf stellte er die Gegenfrage: Warum nicht, wenn es Ihnen richtig scheint?
Ja, warum nicht? Weil sich der Einzelne dann entscheiden muss: Lebt er zusammen mit unaufgeklärten Menschen und bleibt allein bei seiner Auffassung der Aufklärung oder zwingt er sie zur Aufklärung, um diese zu verbreiten und endet mit einer der Aufklärung entgegen gesetzten Diktatur?
Aufklärung bleibt letztendlich auch nur ein relativer Begriff, der von den Menschen geprägt wird. Genau wie Liebe, Freundschaft und Vertrauen kann er nicht definiert werden. Und durch Zwang würde die Aufklärung keine Zukunft haben. Denn Aufklärung ist eine Sache des Verstandes und der Ansichten. Wenn man nicht hinter ihnen steht, sind sie bedeutungslos. Der Mensch muss seine Aufklärung selbst finden, denn er muss mit ihr leben und auch mit ihr sterben können.

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Tag der Veröffentlichung: 04.08.2009

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