1. Geschichte
Es war keine schöne Zeit oder der Froschkönig
Meine jüngere Schwester litt als kleines Mädchen furchtbar unter den traurigen Umständen, in denen wir damals nach dem Krieg lebten.
Die zwei Räume, in denen wir hausen mussten, waren feucht von dem ständigen tropfenden Wasser.
Das Haus war eigentlich eine Ruine, bis eben auf die zwei Räume, geschwärzte Mauern ragten in die Höhe und meine Schwester jammerte immer: „ Es riecht so verbrannt.“ Das Plumpsklo in einer windschiefen Hütte war ein Graus für sie und richtig waschen oder gar mal Baden waren unvorstellbare Genüsse.
Dünn waren wir ja alle, aber meine Schwester war noch dünner, magerer als wir, weil sie auch nicht alles aß! Es gab ja sowieso nicht viel und das wenige war auch nicht gerade immer das Leckerste.
Oft saß sie zusammen gekauert in der Zimmerecke und weinte still vor sich hin. Manchmal nahm ich das kleine Mädchen mit auf meine Streifzüge, aber schnell jammerte meine kleine Schwester schon nach einer kurzen Wegstrecke, dass sie nicht mehr laufen kann. Ich ließ sie auf meinen Rücken klettern, vom Gewicht spürte ich sie kaum.
Auf einen meiner Streifzüge fand ich mitten im Wald Felder, eines mit Möhren ( Karotten), Kohlrabi,
eine Pflanze kannte ich nicht, später erfuhr. ich, dass es Schwarzwurzeln waren, auch rote Bete war auf den Feld.
Ich nahm meine Schwester mit dahin, machte ihr einen gemütlichen Platz unter einen Baum und sagte zu ihr: „ Jetzt mach die Augen zu, gleich bringe ich Dir etwas feines!“
Lieb wie sie war, schloss sie ihre Augen und blieb erwartungsvoll brav sitzen. Ich zog aus dem Boden ein paar Möhren und schnitt einen Kohlrabi ab. Die Möhren schrappte ich und den Kohlrabi schnitt ich in kleine Stücke.
„ Streck Deine Hände aus.“ Brav streckte mir meine Schwester ihre flachen Hände entgegen und ich legte Scheiben von der Möhre und ein paar Stücke von dem Kohlrabi hinein. Das kleine Mädchen riss ihre Augen auf, als sie die Sachen in ihrer Hand spürte. Ich steckte ihr ein Stück Kohlrabi in den Mund: „ Ess schön, dass ist wirklich lecker!“ Tränen schossen ihr in die Augen, als sie den süßen Geschmack von dem jungen und zarten Kohlrabi schmeckte.
Ich musste meine Schwester bremsen, sie wollte gar nicht auf hören zu essen: „ Jetzt musst Du aber auf hören, sonst bekommst du Bauchweh!“ Ich kannte es aus eigener Erfahrung. Wir beide gingen noch so lange zu diesen Feldern, meine Schwester nannte es inzwischen „ Unser Paradies“, bis die Felder abgeerntet wurden.
Traurig sah mich meine Schwester an: „ Jetzt haben wir nichts mehr zu essen!“
„ Ich finde wieder etwas für uns“§ Versuchte ich sie zu trösten.
In den nächsten Tagen war es wie verhext, es war einfach nichts aufzutreiben, aus lauter Not nahm ich getrocknete Rübenschnitzel aus einem Pferdestall mit, Die süßlich schmeckenden Raspeln kamen ganz gut an. In einer Hausruine fand ich zwei Kinderbücher, die gab ich meiner Schwester, sie sah sich die Bilder an und ich musste ihr erklären, was die bedeuteten Eines Tages hatte wohl unsere Mutter ihr etwas daraus vorgelesen, denn meine Schwester fragte, ob ich wüsste, wo es Frösche gibt?
Etwas verwirrt sagte ich, dass ich schon weiß, wo es Frösche gibt.
Können wir da hingehen, meine Schwester sah mich so flehentlich an, dass ich nicht nein sagen konnte.
„ Es ist aber ein ziemlich langer Weg dorthin!“
„ Ich schaff das schon.“
Am nächsten Tag machten wir uns früh auf den Weg, in dem Wassergraben um die alte Wasserburg gab es jede Menge Frösche. Unterwegs fragte ich meine Schwester, was sie mit den Fröschen wollte, zum Essen war das doch nichts.
Meine Schwester erklärte mir mit ihrer piepsigen Stimme, in dem Buch steht, wenn ein Mädchen einen Frosch küsst, wird daraus ein Prinz. Den Prinz heirate ich dann und dann haben wir nie mehr Hunger und wir wohnen in einem Schloss.
Ich musste mich schnell umdrehen, damit meine Schwester nicht mein Lachen sieht. Ich nahm die kleine Hand und zusammen gingen wir durch den Schilf bis ans Ufer: „ Du weißt, dass nicht jeder Frosch ein verwunschener Prinz ist?“
Ernst nickte meine Schwester: „ Ich weiss, ich muss viele Frösche küssen, bis ich den Prinzen gefunden habe!“
2. Geschichte
Es war im zweiten Lehrjahr
Wie jeden Donnerstag hatten wir unseren Berufsschultag, Der Schulhof der großen Berufsschule war gerammelt voll von Schülerinnen und Schüler der drei Lehrjahre. Die Glocke schrillte, ich empfand sie wie jedes mal, äußerst unangenehm, zum Unterrichtsbeginn. Schnell waren alle in den Klassenräumen verschwunden.
In den zwei ersten Stunden war Buchführung angesagt, ich mochte Buchführung gerne, danach folgte die große zehn Uhr Pause. Zu Beginn der neuen Stunde kam der Direx in unseren Klassenraum, mit ihm ein hübsches Mädchen! Der Rock des Mädchens stand vor lauter Petticoats fast waagerecht und gab die schlanken Beine bis zu den Knien frei. Der rote Pullover schmiegte sich eng um ihren Busen. Die Köpfe aller Jungens zuckten hoch. Mir wurde ganz warm, sollte sie, sollte… das Mädchen steuerte mit kess wippenden Rock durch den schmalen Gang zwischen den Tischen genau auf mich zu und setzte sich doch tatsächlich neben mich!
Wie das damals noch üblich war, stellten wir uns gegenseitig vor, sie hieß Elke. Sie hatte ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden und sie beugte sich etwas zu mir, als sie zu mir sagte. „ Der Direx sagte mir, dass Du in Buchführung gut bist!“
Peng, ging es in meinem Kopf, aus der Traum. Aber ich war zu früh enttäuscht, Elke blieb beharrlich an meiner Seite, mehr als stolz marschierte ich in den Pausen mit dem hübschen Mädchen über den Schulhof. Die Blicke der vielen Schüler tat mir so etwas von gut.
Richtig nett sagte Elke zum Schulschluss auf Wiedersehen zu mir und ich hatte fast einen Knoten in der Zunge. Ich schwebte auf Wolke sieben in das Kaufhaus zurück, in dem ich meine Lehre machte.
Die Woche bis zum nächsten Donnerstag war mindestens zehn Jahre lang! Endlich, endlich war Donnerstag, ich war früh an der Schule, aber Elke war noch früher da. Freundlich lächelte sie mich an und gab mir die Hand. Ich verlor endlich meine Unsicherheit und konnte mich jetzt normal mit dem Mädchen unterhalten. Wieder hatte Elke so viele Petticoats unter ihrem Rock an, dass dieser wieder waagerecht hoch gedrückt wurde, mein lieber Scholli, hatte Elke tolle Beine! Jetzt erfuhr ich auch von ihr, dass sie in einem Stadtteil, genau entgegen gesetzt von meinem, auch in einem Kaufhaus ihre Lehre machte. Was war ich enttäuscht, das passte überhaupt nicht zusammen. Währen des Unterrichtes schaute ich öfter verstohlen zu dem hübschen Mädchen neben mir, erstaunt stellte ich fest, dass Elke richtig was auf den Kasten hatte. Das kaufmännische Rechnen stellte für sie überhaupt kein Problem da, ebenso wenig der Bereich Rechnungswesen.
Am dritten Donnerstag fasste ich alles an Mut zusammen und fragte Elke, ob wir uns vielleicht Sonntag treffen könnten?
„Ja gerne!“ lachte Elke mich mit blitzblanken Augen an. Ich war so weg getreten, dass ich von meinem Abteilungsleiter meinen ersten Anschiss bekam, weil ich einem Kunden etwas an Ware zeigte, was dieser gar nicht sehen wollte.
Der Sonntag kam, viel zu früh machte ich mich auf den Weg zu dem Springbrunnen, an dem wir uns verabredet hatten. Mit blubbernden Herzen kam ich in die Nähe des Springbrunnens und ich sah Elke aus der anderen Richtung kommen!!!!
Wir reichten uns zu Begrüßung die Hände und fragten uns Gegenseitig, ob es uns gut geht. Wieder hatte Elke ihre Haare mit Hilfe einer roten Schleife zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. Wieder hatte sie Unmengen Petticoats an, das Wippen ihres Rocks während des Laufens war ein Bild für die Götter. Nach den ersten Schritten hakte sich Elke bei mir ein, mir flog fast die Schädeldecke weg. Durch ihre hohen Absätze war sie fast auf Augenhöhe mit mir und ihre Augen strahlten mich an. Wir liefen und liefen durch die Straßen, bis Elke sagte, sie müsse jetzt nach Haus. Unheimlich lieb sagte sie auf wiedersehen, bis Donnerstag. Ich stotterte wieder wie blöd herum und sah Elke nach, bis sie in eine Seitenstraße verschwand.
Ich jubelte, ich schwebte auf Wolken, ich habe eine Freundin! Die folgenden Wochen und Monate waren für mich unbeschreiblich, bis Elke mich mit nach Haus nahm. Ich schluckte, mir war sofort klar, dass das das Ende war. Ihre Eltern sahen mich an wie ein Haufen alter Lumpen! Der Nachmittag war furchtbar.
Etwas später fragte Elke mich, wo ich wohne, ich log sie an, ich konnte ihr einfach nicht sagen, wo ich wirklich wohnte. Ich bekam Schweißausbrüche, Herzrasen und eine wahnsinnige Angst. Ich konnte ihr nicht mehr in die Augen sehen, mit den blödesten Ausreden blockte ich ihren Besuch bei mir ab.
Als der Wechsel in das dritte Lehrjahr bevor stand, sagte Elke mir und sie weinte dabei bitterlich, dass ihr Vater wieder von seiner Firma versetzt worden ist und sie nach da und da umziehen müssen.
3. Geschichte
Es war kurz vor der Prüfung
Langsam wurde ich jetzt auch etwas kribbelig, die Abschlussprüfung zum Einzelhandelskaufmann stand bevor. Ein Blick auf den Kalender zeigte, dass es gerade noch sechs Wochen waren!
Durch die Unruhe der Abschlussklassen summte die ganze Berufsschule und in den Pausen gab es natürlich nur ein Thema, die Prüfungen!
Ich war einer der letzten, der den Klassenraum zur Pause verließ, ein Schatten fiel auf mein Pult.
Erstaunt sah ich hoch und blickte in ein etwas ängstlich aussehendes Gesicht einer Mitschülerin.
Es war ein hochaufgeschossenes, dünnes Mädchen, die großen dunkelblauen, fast schwarzen Augen brannten in dem schmalen Gesicht. Das Mädchen war, wenn es überhaupt noch möglich war, sehr ärmlich gekleidet.
Mit leiser Stimme fragte sie mich, ob ich ihr bei der Buchführung helfen würde, es ginge jetzt ja auf die Prüfung zu und sie habe darin noch einige Probleme. Das Mädchen machte ängstlich eine kurze Pause und fuhr dann mit noch leiserer Stimme fort: „ Ich kann Dir aber nichts dafür geben!“
Sekunden später drehte sie sich weg und ich hielt sie schnell an ihrem Arm fest: „ Warte, ich habe doch noch gar nichts gesagt!“
Das Mädchen blieb abgewandt stehen, „ Ich helfe Dir, keine Frage und Du brauchst mir auch nichts dafür geben!“
„ Wirklich?“ Ungläubig sah mich das Mädchen an, „ Du hilfst mir wirklich?“
Wir einigten uns so, dass ich am Samstag nach Feierabend zu ihr komme, ich war froh darüber, denn zu mir nach hause konnte ich das Mädchen unmöglich kommen lassen.
Sie wohnte in der Nähe meiner Lehrfirma und so war ich recht schnell dort. Ich klopfte an die Haustür und sofort wurde die Tür geöffnet und das Mädchen sagte mit puterroten Kopf: „ Komm herein!“
Ich fragte mich im Stillen, warum sie so einen roten Kopf bekommen hatte!?
Die Wohnküche war ärmlich angerichtet, aber sauber und aufgeräumt, das Mädchen zeigte zum Küchentisch, auf dem schon ihre Bücher lagen.
Ich zeichnete auf ein Blatt Papier einige T-Konten und schrieb die Kontonummern dazu, schob das Blatt Papier zu dem Mädchen und gab ihr einfache Buchungssätze dazu. Die einfachen Buchungssätze hatte sie im Griff, ich nannte ihr weitere Buchungssätze und da wurde sie dann unruhig. Nach meiner Erklärung sah das Mädchen erleichtert aus,sie hatte es begriffen! Ich hatte mit einem Anspitzer, einem Radiergummi und ein paar Stiften drei Konten benannt und ihr dazu gesagt: „ Wenn Du von einem Konto etwas weg nimmst und einem anderen Konto zu fügst, hast Du Deinen Buchungssatz!“ Das Mädchen sah mich mit großen Augen an : „ Zum Beispiel: Lager an Kasse und Bank!“
„ Richtig!“ Erfreut sah ich das Mädchen an, „ Genauso!“
Jetzt waren wir ein wenig warm geworden und ich fragte das Mädchen nach ihrem Namen und sagte ihr meinen.
„ Ich heiße Angelika und ich weiß wie Du heißt!“ Wieder wurde sie puterrot dabei.
Wir verblieben so, dass ich am nächsten Samstag wieder komme und dann wollen wir an die drei und vierfach Buchungssätze heran, später dann auch noch kurz die Durchschreibebuchführung und das in Mode kommende amerikanische Journal.durch gehen.
Bei meinem zweiten Besuch stellte ihre Mutter einen Teller mit selbst gebackenen Kuchen auf den Küchentisch, dessen Platte schon ganz weiß gescheuert war.
Angelika hatte den DIN A3 Bogen vor sich liegen, auf dem ich viele T Konten gezeichnet hatte.
Während sie die Buchungssätze, die ich ihr nannte, auf die Konten eintrug, stand ich hinter ihr und sah über ihre Schulter zu.
Angelika hatte ihr Haar zu zwei dicken Zöpfen geflochten und um ihren Kopf gelegt. Ich sah auch, wie sich ihre Schulterblätter spitz durch die dünne Bluse drückte. Ich sah einen Fehler, beugte mich vor und legte dabei meine Hand auf ihre Schulter, ich spürte, wie sie zusammen zuckte, mit dem Finger zeigte ich auf den Bogen.
Angelika nickte nur und korrigierte den falschen Buchungssatz.
Nach meinen vierten Besuch fragte mich Angelika, sie hatte wohl ihren ganzen Mut zusammen genommen, ob wir am Sonntag zusammen spazieren gehen könnten. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, manchmal fiel bei mir der Groschen wirklich Pfennig weise.
An meiner Reaktion spürte sie sofort, dass ich nicht wollte, nicht konnte, ihre Augen füllten sich mit Tränen: „ Du denkst immer noch an Elke!“ Stumm nickte ich und Angelika schloss leise die Haustür.
Texte: Klaus Blochwitz
Bildmaterialien: Klaus Blochwitz
Tag der Veröffentlichung: 02.12.2011
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