Heute wollte Anna zu der Stadt fahren, die ihr von den Gastleuten so ans Herz gelegt worden ist. Eine schöne alte Stadt ist das, auch mit schönen Cafés und Geschäften. Man kann ganz gemütlich herum flanieren. Der Stadtkern ist für Autos komplett gesperrt worden. Sehr entspannt fuhr Anna los, ließ sich während der Fahrt von der einfachen Landschaft streicheln und besänftigen. Die Stadt war, wie von den Gastleuten beschrieben, autofreier Ortskern, auffallend sauber und die alten Häuser richtig schön renoviert. Die Kirche beherrschte wuchtig den kleinen Marktplatz, auf dem ein lebhaftes Treiben herrschte. Aus der obligatorischen Pizzeria gegenüber der Kirche kam die passende Musik, es war schon beinah kitschig! Anna bummelte durch die schmalen Straßen, blieb vor Schaufenstern stehen und fand sich irgendwie in der kühlen Stille der Kirche wieder.
Unvermittelt sah sich Anna wieder vor dem Bett Ihres Vaters stehen, anfangs konnte sie die schwachen Zeichen Ihres Vaters nicht deuten. Dann verstand sie, sie beugte sich vor, ganz nahe mit ihrem Ohr am Mund Ihres Vaters. Entsetzt fuhr sie hoch, sah Ihren Vater zu Tode erschreckt an. Ganz schwach, kaum fest zu stellen, nickte Ihr Vater bejahend mit seinem Kopf. Mit Tränen nassen Augen sah Anna Ihren Vater an, langsam hob sie ihre Hand und schloss den Tropf. Ein winziges und dankbares Lächeln zeigte sich für einen Sekunden Bruchteil auf dem Gesicht Ihres Vaters.
Seltsam erleichtert verließ Anna die Kirche.
Anna aß bei dem Italiener ein leckeres Nudelgericht und der Kellner schäkerte mit Anna unverblümt, Anna machte amüsiert mit und der junge Mann lief zur Höchstform auf. Als Anna beim bezahlen durchblicken ließ, dass sie nur zu Besuch in dieser Stadt ist, zeigte sich der junge Italiener tatsächlich betroffen. Freundlich winkte Anna noch mal zurück und suchte die Gasse, die sie zum historischen Rathaus führen sollte. Sie stand kurz darauf staunend vor dem Rathaus, da ist wirklich nicht übertrieben worden! Ein schönes Gebäude im gotischen Baustil, wirklich schön! Leider konnte man nur wenig von dem inneren des Rathauses besichtigen. Das Treppenhaus mit den zwei Treppen war schon beeindruckend.
Die letzten Urlaubstage vertrödelte Anna mit bequemem Nichtstun. Sie packte nach dem letzten Frühstück in aller Ruhe ihre Koffer, verstaute diese im Kofferraum ihres Autos, ein kurzer, herzlicher Abschied von den Gastleuten und schon fuhr sie Richtung Autobahn. Zum frühen Abend erreichte sie ihr zuhause. Meldete sich bei ihrer Tante und bat sie, ihrer Mutter auszurichten, dass sie morgen abgeholt wird. Anna richtete gut überlegt ihre Sachen für den ersten Arbeitstag, machte sich ein schnelles Abendessen und faulenzte den Abend herum.
Anna schellte bei ihrer Tante und erschrak heftig, als sie ihre Mutter sah, die Frau war schrecklich zusammen gefallen, reagierte kaum noch und bewegte sich hölzern. Teilnahmslos ließ sie sich in das Auto setzen und starrte während der ganzen Fahrt blicklos aus dem Auto. Hoffentlich bleibt mir mit Mutter das Elend wie mit Vater erspart, dachte Anna mit einem traurigen Blick auf die zusammen gesunkene Gestalt. Sorgenvoll verließ Anna ihre Mutter am Montagmorgen.
Die Mienen ihrer Kolleginnen und Kollegen hellten sich erleichtert auf, als sie Anna sahen, sie schien wieder die alte zu sein.
Es folgte ein kurzes Gespräch mit ihrem Chef und dann hatte der Alltag sie wieder. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten die angefallenen Unterlagen und Vorgänge gut sortiert auf den Schreibtisch gelegt, sorgfältig las Anna sich durch die Papiere. Zwischen durch rief sie den einen oder anderen Mitarbeiter ins Büro, um bei einigen Punkten nach zu fragen. Zufrieden fuhr Anna nach Feierabend nach Haus und nahm sich felsenfest vor, jetzt regelmäßig Urlaub zu nehmen. Das ist gut für sie und ist gut für die Firma.
Ihre Mutter hatte angefangen, Kartoffeln für das Abendessen zu schälen, Anna zog sich schnell um und packte mit an.
Der Sommer wurde bunt, der Herbst machte sich breit, ein paar schöne Tage machten den Übergang zum schmuddeligen Winter leichter. Anna hatte in ihrer Abteilung mächtig viel zu tun, Unterlagen mussten durch gearbeitet werden, Berechnungen angestellt, Beispiele erarbeitet werden. Kurz vor Weihnachten bekam Anna ein Schreiben von der Geschäftsleitung, in dem ihr kurz und bündig ihre Versetzung in die Zentrale mitgeteilt wurde. Sie war sofort entschlossen, die Versetzung anzunehmen, dass war ihre Chance schlechthin. Aber was macht sie mit ihrer Mutter, sie konnte auf keinen Fall alleine im Haus bleiben. Tägliches hin und her fahren verhinderte die Entfernung zwischen ihrem neuen Arbeitsort und ihrem Elternhaus. Selbst am Wochenende würde es zu einer Strapaze werden. Etwas gereizt knurrte Anna in sich hinein: „Ich habe einfach niemanden, mit dem ich darüber sprechen könnte. Alles muss ich alleine schaffen!“ Dann musste sie lachen: „Du dumme Kuh, genauso wolltest Du es doch, völlig unabhängig von allen.“
Kurz entschlossen rief sie ihre Tante an und erklärte ihr die Situation, Anna schlug der Frau vor, zu ihrer Mutter in das Haus zu ziehen, dann könnte sie die Miete für ihre Wohnung sparen und sie beide hätten mehr Platz und einen Garten dazu. Aber den Vorschlag lehnte ihre Tante sofort ab, dass würde ihr alles zu viel werden, ihre Schwester kann gerne zu ihr kommen, sie beide würden in der Wohnung schon zu Recht kommen.
In den kommenden Tagen regelte Anna alles, was durch den Umzug ihrer Mutter so anfiel. Apathisch ließ sich die Frau alles über sich ergehen, nur das sie zu ihrer Schwester kommt, weckte etwas Interesse, dann machen wir es uns richtig schön und gemütlich, sagte leise sie zu Anna und ihrer Schwester. Anna organisierte den Umzug ihrer Mutter, vieles blieb im Haus zurück, was keinen Platz in der kleinen Wohnung fand.
Anna stimmte der Versetzung zu!
Teil V folgt umgehend.
Texte: Cover: Klaus Blochwitz
Tag der Veröffentlichung: 17.02.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle, die mir am Herzen liegen.