Kurtchen und die Hochzeit ( 20 )
Die Zeit ging ins Land und Kurtchen stellte dann und wann doch überrascht fest, das die schlimmen Nachkriegsjahre immer mehr verblassten. Vergessen wird er diese Zeit wohl nie, aber jetzt war es nur noch Erinnerung. Er wohnte jetzt in einer richtigen, wenn auch kleinen Wohnung. Hatte durch die Arbeit ein geregeltes Einkommen, brauchte nicht mehr zu frieren und Hunger litt er auch nicht mehr.
Beruflich ging es mit Kurtchen Recht zügig aufwärts, auch Dank der Weiterbildung neben dem Beruf. Etwas nachteilig fand der junge Mann ab und zu die ständigen Versetzungen durch die Firma. Anderseits war es natürlich auch hoch interessant, auf diese Weise nicht nur Deutschland von Norden bis Süden kennen zu lernen, sondern auch große Teile von Europa.
Ein breites Grinsen erschien auf dem immer noch Recht schmalen Gesicht von Kurtchen als er an die Zeit in Skandinavien dachte oder erst mal Kopenhagen! Oha! Aber Mailand war auch nicht schlecht, noch immer grinste Kurtchen, he, erinnerte sich der junge Mann selber an das Einkaufszentrum in Regensburg, ja Sakra Deifi oder so ähnlich.
Genau genommen hatte Kurtchen mehr oder weniger in fast jeder größeren deutschen Stadt gearbeitet, sogar Herford war dabei. Aber jetzt war das alles Schnee von gestern, er griff nach dem Foto, das auf dem kleinen Schrank stand und sah sich das hübsche Gesicht der jungen Frau an. Schwarze Augen und schwarze Haare und ein rätselhaftes, kleines Lächeln auf den Lippen. Im August werden sie heiraten in Duisburg. In Duisburg haben sie sich auch kennen gelernt, anfangs etwas holperig, aber dann nahm ihre Beziehung Fahrt auf. Und jetzt werden sie in ein paar Wochen heiraten, Kurtchen staunte hin und wieder darüber.
Monate nach der Hochzeit dachte der frische Ehemann, dass es doch eine tolle Hochzeit war, auch für die Zeit. Seine junge Frau sah hinreißend in ihrem langen, weißen Brautkleid aus.Es war ihr großer Tag, Kurtchen hielt sich gerne etwas im Hintergrund. Die Wohnung der Schwiegereltern wurde komplett ausgeräumt, um Platz für die Hochzeitsgäste zu schaffen. Eigentlich lief alles gut geregelt, bis Kurtchens Kollegen eintrafen, Kollegen aus Essen, aus Wuppertal, aus Duisburg natürlich auch, aus Solingen, zwei kamen sogar aus der Zentrale zum Polterabend. Das war ein verrückter Abend, von dem noch Wochen lang gesprochen wurde.
Etwas enttäuscht war die Braut, weil die Hochzeit doch noch in dem Gemeindehaus statt fand, die neue Kirche war leider nicht rechtzeitig fertig geworden. Aber auch das alte Gemeindehaus hatte eine schöne breite Treppe hoch zum Eingang und einen langen Gang bis vor zum Altar. Die Orgel stimmte das Hochzeitslied an Die Braut genoss sichtlich ihren Auftritt, es war eine schöne und ergreifende Hochzeitfeier.
Die anschließende Hochzeitsfeier toppte es allerdings locker. Die kleine Wohnung war gerammelt voll, alles sprach wild durch einander und dann wurde die Braut entführt und dem Bräutigam wurde es von der Rennerei erst mal ordentlich schlecht, aber es wurde dennoch bis in den frühen Morgen gefeiert.
Einen Tag später ging das junge Ehepaar in die Wohnung in Essen und der Alltag nahm auch von den beiden jungen Leuten Besitz. Kurtchen arbeitete zu dieser Zeit in Essen, seine Frau dagegen noch in Duisburg.
Im nächsten Jahr wurde ihre Tochter geboren und der junge Vater wurde nach Köln versetzt.
Diese Versetzung kam Kurtchen gerade recht, da sie mit einer sehr erfreulichen Gehaltsaufbesserung verbunden war. Und die junge Familie konnte jeden Pfennig gebrauchen, Kurtchen staunte nicht schlecht, was so ein kleines Baby an Sachen benötigte.
Jetzt stand neben dem Foto seiner Frau auch ein Foto seiner kleinen Tochter auf dem kleinen Schrank.
Fotos: Klaus Blochwitz
Kurtchen und das Zigarettenschachteln – Kartenspiel ( 21 )
Vorsichtig beugte sich der junge Vater über sein kleines schlafendes Töchterchen. Ganz leise murmelte er, hallo, ich bin wieder da!
Behutsam rückte der junge Mann einen Sessel nahe zum Bettchen, setzte sich und sah versonnen seine kleine Tochter an. Er nahm ein kleines weiches Spielzeug aus dem Bettchen, dass zu nahe am Köpfchen des Babys lag.
Nachdenklich drehte Kurt das kleine Spielzeug in seinen großen Händen, was es inzwischen nicht alles gab.
Plötzlich war er in seiner Jugend, ein dürrer Junge mit ewig hungrigen Magen und Augen. Er hatte da was aufgeschnappt, da schwirrte etwas in der Luft herum, er musste unbedingt wissen, um was es sich handelt.
Äußerst vorsichtig näherte sich Kurtchen einer Gruppe größerer Jungens und konnte, bevor ihn der unvermeidliche Tritt von einem der großen Jungens traf, erfahren, dass es etwas mit Zigarettenschachteln zu tun hat.
Besonders begehrt waren englische und amerikanische Zigarettenmarken. Der magere Junge rieb sich den nicht vorhandenen Hintern, der von dem Tritt noch schmerzte. Er konnte sich einfach keinen Reim darauf machen.
Wie ein Frettchen schlich Kurtchen in den nächsten Tagen herum, um etwas in Erfahrung zu bringen. Keiner wusste nichts genaues. Er seufzte tief auf, es half alles nichts, er musste noch mal an die größeren Jungs heran, selbst auf die Gefahr hin, einen weiteren Tritt zu bekommen. Nach kurzer Suche fand er die Gruppe Jungens in der Sandgrube. Sie saßen im Kreis und spielten mit irgend etwas irgend was.
Der dürre Junge legte sich in das Gras und robbte langsam bis an den Rand der Sandgrube und befand sich fast oberhalb der Jungens. Er blieb eine ganze Zeit liegen und erfuhr alles!
Die großen Jungen hatten sich aus Zigarettenschachteln Karten geschnitten und spielten damit. Der erste legte eine Karte in die Mitte, der nächste Junge legte seine Karte darauf, der nächste folgte und der nächste. Einer der Jungen schrie begeistert auf, er hatte die gleiche Karte auf den Stapel in der Mitte gelegt und kassierte jetzt den ganzen Kartenstapel ein. Aus dem Gespräch er der Jungen erfuhr die Spielregeln und auch wie wild die großen Jungen auf die englischen und amerikanischen Zigarettenschachteln waren.
Vergnügt vor sich hin pfeifend ging der dünne, kleine Junge nach Haus. Da könnte doch etwas für ihn heraus springen!
Wie fast jeden Tag lümmelte er in der Kaserne der englischen Soldaten herum, hellwach flitzten seine Augen hin und her, Da war es! Einer der Soldaten warf seine Zigarettenschachtel in den großen Mülleimer und schon war Kurtchen da und holte die Schachtel aus der Tonne und nicht nur eine. Es stank zwar furchtbar aus der Tonne, aber das war so etwas von egal. Der Junge stopfte die Schachteln in sein Hemd und als einer Soldaten sah, was der Junge da machte, winkte er ihn zu sich und nahm ihn mit.
In der Kantine stand eine weitere Mülltonne! Der Soldat grinste und Kurtchen suchte die Schachteln aus dem Müll.
Vor Vergnügen hüpfte der Junge wie ein angesäuseltes Karnickel nach Haus. Mit aller größter Vorsicht holte er die Schere aus dem Kasten ( Mutters „gute“ Schneider Schere!) und verschwand im Schuppen. Fein säuberlich schnitt er die Schachteln aus einander und hatte dann einen hübschen Packen Karten in der Hand. Die Namen der Zigaretten konnte er ja noch nicht lesen, aber es waren auf jeden Fall englische!
Der Junge steckte sorgfältig fünf Zigaretten – Karten ein und machte sich auf der Suche nach den großen Jungen. Diesmal saßen sie am Waldessrand im Gras. Sehr vorsichtig ging der Junge näher und bevor einer der großen Jungen etwas sagen konnte, hielt er die Karten hoch. Wie gestochen kamen die Großen auf ihn zu gerannt, ihm wurde mächtig bange in der Hose. Aber die Jungen waren nur wild auf die Karten und schnell waren die Jungen Handels einig. Für die fünf Karten bekam der kleine Junge eine gute Fletsche und drei Karabiner Haken.
Für den nächsten Tausch forderte er etwas essbares und auch das wurde sang und klanglos akzeptiert. Der nächste Tag war für Kurtchen ein Feiertag! Mit einer Papiertüte voll mit Einweckgläser ging er wie auf Wolken nach Haus. Heute Abend wird endlich mal wieder richtig gegessen.
Der junge Mann schreckte aus seinen Gedanken, seine Tochter quängelte in ihrem Bettchen und wurde von Kurt hoch erfreut heraus genommen.
Fotos: Klaus Blochwitz
Das waren Kurtchens Erinnerungen!
Texte: Cover und Fotos: Klaus Blochwitz
Tag der Veröffentlichung: 31.01.2011
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