Zweites Kapitel
Anna reckte und streckte sich wie eine rundum zufriedene Katze, sie saugte tief die frische Luft der Heidelandschaft ein und schüttelte ihre Beine aus und lief weiter. Sie lief jetzt schon den dritten Morgen, die Inhaber des kleinen Gasthofes zeigten sich sichtlich besorgt, dass man die junge Frau nicht übertreibt. Am frühen Morgen schon so herum rennen.
Das furchtbare Leiden ihres Vaters nach dem Schlaganfall, endlich der erlösende Tod, das Leid ihrer Mutter war natürlich noch vorhanden, dominierte sie aber nicht mehr. Anna arbeitete sich alles in der Firma von der Seele.
Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und grinste vergnügt in sich hinein, der von ihrem Chef angekündigte Vortrag vor dem Vorstand lief vorzüglich, trotz all ihres Kummers. Ihr Chef badete in ihrem Erfolg genüsslich mit. Anna gönnte es dem Mann, der war in Ordnung. Als sie dann ein paar Tage später ein Schreiben der Firmenleitung erhielt, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass ihr Vorschlag schnellst möglich realisiert wird und zum Schluss des Schreibens eine äußerst angenehme Gehaltsaufbesserung erwähnt wurde, war der Tag zu dem Tag überhaupt geworden. Schade war nur, dass ihre Mutter von ihrem Erfolg nichts mit bekam, sie lebte ganz in ihrer ureigenen Welt.
Anna blieb stehen, um den Sand aus ihren Schuhen zu schütteln, ihr knappes Trikot war klatsch nass und ihre Laufhose wies viele nasse Stellen auf. Sie lief den Weg zurück zum Gasthof, jetzt zupfte sie dauernd an dem nassen Trikot, das unangenehm an der Haut klebte. Anna sah an sich herunter, Mensch, was schwitzt sie! Die Frau vom Gasthof erwartete sie schon am Eingang mit einem großen Badetuch, um die junge Joggerin sofort darin einzuhüllen. Dankbar lächelt nahm Anna das Badetuch entgegen und ging die Treppe hoch zu ihrem kleinen, aber urgemütliches Zimmer. Sie zerrte die nassen Sachen herunter und ging erleichtert unter die Dusche. Genießerisch drehte sie sich unter dem kräftigen Wasserstrahl, bis ihre Haut ganz frisch prickelte.
Nach dem Tod ihres Vaters war nichts mehr so, wie es einmal gewesen war. Ihr gemütliches Zuhause kaputt, ihre Mutter restlos weggetreten, sogar die Arbeit wurde ihr zu viel!
Anna legte ihren Kopf nach hinten in den Nacken und ließ den warmen Wasserstrahl auf ihr Gesicht prasseln. Sie schnaufte tief durch, sie hat es gerade noch selber früh genug gemerkt, dass sie vor lauter Stress zickig wurde und ihre Mitarbeiter und Kollegen langsam aber sicher mehr als stinkig. Ich brauch Urlaub, schoss es ihr blitzartig durch den Kopf, sie fragte bei der Sekretärin nach einem Termin bei ihrem Chef, erhielt diesen sofort. Ihr Chef hörte ihr zu, zwei, drei Fragen noch und sie hatte drei lange Wochen Urlaub ab kommenden Montag. Sie brachte ihre Mutter zu ihrer Schwester und weg war sie. Anna trocknete sich mit einem behaglich weichen Badetuch ab, cremte sich mit einer herrlich duftenden Body Lotion ein, richtete sich die Haare, zog einen leichten, weit schwingenden Rock und eine luftige Bluse an und ging herunter zum Frühstück. In dem kleinen Esszimmer standen gerade mal sechs Tische, es war ein sehr gemütlicher Raum, etwas altmodisch, aber sehr, sehr gemütlich. Sie war der einzige Gast und die Frau von dem Gastwirt ließ es sich nicht nehmen, sie nach Strich und Faden zu verwöhnen.
Anna hatte schnell ihre Sachen gepackt, im Kofferraum verstaut und dann fuhr sie einfach los, ohne es bewusst zu wollen, geriet sie auf die Autobahn nach Norden und so fand sie durch puren Zufall diesen Gasthof. Anfänglich sahen die beiden älteren Gastleute etwas konsterniert, eine junge Frau ganz allein? Die Frau fragte Anna, wann ihr Mann nachkommt und der Gastwirt, ein wirklich ruhiger und eher wortkarger Mann, konnte es sich auch nicht verkneifen, Anna nach ihrem Mann zu fragen. Mit einem schmunzeln und ein paar erklärenden Worten konnte Anna die alten Leutchen beruhigen. Das erste Abendessen war Balsam für ihre wunde Seele, ruhig und unaufdringlich wurde das Essen serviert, der einfache Landwein schmeckte gut zu dem viel zu üppigen Essen und proppenvoll zwang sich Anna noch zu einem längeren Spaziergang. Für Anna war es ein unvergessliches Erlebnis, in dieser makellosen Stille des frühen Abends zu laufen, nur ein paar Vogelstimmen, kein Auto, kein rein gar nichts, es war einfach still. Als sie zum Gasthof zurück kam, setzte sie sich noch für einen Moment vor das Haus, bis der Abend zu kühl wurde und sie ins Haus schickte. Anna sagte dem Gastwirt noch vor dem schlafen gehen, dass es möglich sein könnte, dass sie morgen etwas länger schläft. Der nickte ihr nur freundlich zu und wünschte eine gute Nacht.
Am nächsten Morgen wurde Anna so etwas von gut ausgeschlafen wach, wie weg geworfen war der furchtbare Ballast, nicht vergessen, aber bewältigt. Mit ihrer früheren Gelassenheit machte sie sich für das joggen zu recht. Die Frau von dem Gasthaus schien etwas perplex ob ihres knappen Outfits, Anna hatte für einen Moment beinahe ein schlechtes Gewissen. Sie hätte daran denken müssen, dass die Leutchen etwas schockiert sein könnten. Mit Vergnügen lief Anna in den jungen, frischen Tag. Sie lief den markierten Trimmpfad, der ca. acht km lang sein sollte und Anna kam etwas außer Atem. Nass geschwitzt und nach Luft japsend kam sie in ihrem Gasthof an und erfuhr von dem Gastwirt, dass es ungefähr acht km sein könnten. Noch unter der Dusche schnappte sie heftig nach Luft, aber es ging ihr einfach gut. Sie klebte sich ein Pflaster auf eine wunde Stelle an linken Fuß, zog sich für das Frühstück an und freute sich auf den frischen, kräftigen Kaffee.
Die erste Woche ging ruhig dem Ende zu und Anna ging es immer besser. Sie genoss in aller Ruhe noch das Wochenende und fragte dann am Sonntagabend während des Abendessens die Gastleute nach in der näheren Umgebung liegenden Sehenswürdigkeiten.
Das dritte Kapitel folgt umgehend.
Texte: Fotos: Klaus Blochwitz
Tag der Veröffentlichung: 16.01.2011
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