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Prolog

Regen prasselt auf das Haus herunter, Blitz und Donner wechseln sich im Sekundentakt ab. Kein Mensch traut sich auf die Straße, aus Angst vor den alten Legenden. Die Alten erzählen in jeder stürmischen Nacht, dieselben Geschichten.

Ein Mädchen wird geboren.
Klein und zierlich.
Ihre Kraft wird die Menschheit befreien, von den Dämonen der Nacht.



Die Bewohner des entlegenen Dorfes Krutsch, warten und bangen vor ihren Kaminen. Das Holz neigt sich zur Neige und das Unwetter tobt noch immer in voller Lautstärke über die Dächer des Dorfes. Vereinzelnde Personen finden sich mit der Situation ab.
Plötzlich beginnt es zu hageln. Hagelkörner, so groß wie Hühnereier, schlagen Dellen in die Dächer und zertrümmern Fensterscheiben. Das Korn, auf den umliegenden Äckern, wird niedergepresst und unter einer dichten Hagelschicht begraben. Gleichzeitig beginnen die ersten Kinder vor Angst zu wimmern und suchten Schutz bei ihren Eltern.

In einem Haus am Waldrand stöhnt eine schwangere Frau auf. Es scheint, dass ihre Zeit gekommen ist. Verängstigt schaut sie aus dem Fenster, das noch intakt ist und betet, dass ihr Kind kein Mädchen wird, falls es in dieser Nacht zur Welt kommen sollte.
Normalerweise ist die Schwangere nicht abergläubisch, doch seit sie in Krutsch wohnt, sind ihr schon die seltsamsten Dinge passiert. Auch die alten Legenden tragen nicht dazu bei, dass sie sich entspannen kann. Jedoch war das schlimmste Ereignis bis jetzt, der Tod ihres Mannes. Kurz nachdem sie ihm die frohe Botschaft mitgeteilt hat, starb er an Herzversagen. Gesund, kräftig und durchtrainiert wie er war, war dieser Vorfall für die junge Frau nicht nachvollziehbar. Es gab keine Anzeichen, keine Vorwarnung, er kippt einfach beim Verlassen des Hauses um.
Nun war sie auf sich alleingestellt. Selbst die Hebamme würde in diesem Wetter nicht zum Haus am Waldrand gehen. Angst überfiel die werdende Mutter. Was würde noch auf sie zukommen?
Kurz vor Mitternacht legte das Unwetter noch an Intensität zu. Bäume gingen krachend zu Boden. Dächer und Ziegel wurden abgetragen. Die Dorfbewohner fielen in Panik und flüchteten in den Wald. Niemand bemerkte, dass das Haus am Waldrand, keinen Schaden genommen hatte. Alle anderen Häuser waren zerstört oder schwer beschädigt, nur das kleine Häuschen in dem sich die Schwangere ins Bett gelegt hat, blieb verschont. Als das Wetter draußen die erste Hauswand emporfliegen lies, kam ein kleines, zierliches Mädchen zur Welt. Grüne Augen schauten aus einem kleinen Gesicht empor. Pechschwarze Haare zierten vereinzelnd das kleine Köpfchen. Ihr Gebrüll kündigte den neuen Tag an.


-1-
Ich war eine Außenseiterin, eine Verfluchte. Ein Kind der Nacht, eine Tochter der Dämonen der Finsternis. Niemand wollte etwas mit mir zu tun haben. Zu meinem 12. Geburtstag tobte erneut ein Unwetter, welches dem zum Zeitpunkt meiner Geburt ähnelte. Diesmal starb wieder eine Person, meine Mutter. Auf die gleiche nicht nachvollziehbare Art und Weise wie damals mein Vater. Meine Mutter begann, fast zum gleichen Zeitpunkt als damals mein Vater umgekippt war, zu bluten und keiner konnte ihr helfen. Sie verblutete einfach vor den Augen der anderen.
Der Tod von beiden Elternteilen wurde mir angelastet. Viele im Dorf meinten, dass irgendetwas stimmte doch mit der Kleinen nicht, wenn ihre beiden kerngesunden Eltern auf mysteriöse Weise ums Leben kamen.
Noch in derselben Nacht wurde ich aus meinem Elternhaus getrieben und in den Wald hinein. Ich wurde aus dem Dorf verbannt, damit nicht noch mehr Menschen wegen mir sterben müssen. Die Dorfbewohner hatten schon vor dem nächsten größeren Unwetter Angst, das vielleicht einen von ihnen holen würde.
Verängstigt lief ich durch den Wald. Eulen flogen über meinen Kopf hinweg und schuhten unheimlich. Im Unterholz tummelten sich Mäuse und anderes Getier. Blätter raschelten unter den Bäumen und Äste knackten unter den Beinen der Waldbewohner. Zu so später Stunde traute sich kein Mensch mehr in den Wald. Nur ich war noch draußen.
Plötzlich verstummte jedes Geräusch. In der Ferne erklang ein Donnern. Blitzschnell huschten die Tiere des Waldes in den nächstbesten Unterschlupf. Das Schließen von Fensterläden erklang bis in den dichten Wald hinein. Währenddessen rollte der Donner auf den Wald zu. Binnen kurzer Zeit kam noch das Peitschen von Hagelkörnern hinzu. So schnell ich konnte, lief ich durch den Wald, auf der Suche nach einem passenden Unterschlupf für meinen kleinen, zierlichen Körper. Alle paar Schritte rutschte ich auf den glitschigen Untergrund oder flog über vereinzelnde Wurzeln. Ich konnte aufgrund der Dunkelheit nicht einmal die Hand vor meinen Augen sehen.
Nach fast fünf Minuten erreichte ich eine Lichtung, welche vom Mond erhellt wurde. Ein Wasserfall fiel rauschend rechts von ihr in einen großen See herab. Hinter dem fallenden Wasser entdeckte ich eine riesige Höhle. Schnell kletterte ich über die Steine und Felsbrocken und rutschte über die glitschigen Felsen in die Höhle hinab. Als ich wieder festen Boden berührte, entfesselte das Unwetter seine Kraft. Regen und Hagelkörner trommelten auf die Oberfläche des Sees, so dass Wasser in die Höhle schwappte und sich das Mädchen zurückziehen musste. Gleichzeitig tobte das Wetter auch über dem Dorf und zerstörte dieses binnen kurzem. Keine Mauer stand mehr, kein Lebewesen rührte sich mehr. Das Dorf war bis auf seine Grundfesten zerstört und ausgestorben.
Nur ich hatte neben den Tieren des Waldes überlebt. Die Höhle hinter dem Wasserfall hatte mir ausreichend Schutz gewährt. Als das Wetter vorübergezogen war, atmete ich erleichtert auf und folgte den Weg zurück zum Dorf. Dort fand ich nur noch die Trümmer der Häuser und vereinzelnde Leichen. Nur mein Elternhaus hatte wie durch ein Wunder keinen Schaden genommen. Rund um das Gemäuer war eine fast zehn Zentimeter hohe Hagelschicht, doch das Haus war unversehrt. Kein Fenster war in die Brüche gegangen, kein Kratzer war auf der Tür zu finden, keine Risse befanden sich in der Mauer oder am Dach und kein Dachziegel war geflogen oder verrutscht. Neben dem Haus klagen Baumriesen entwurzelt und das ganze Dorf in der Nähe machte einen trostlosen Eindruck.
Nun gab es nur noch mich, ein verbanntes Mädchen. Ein Kind der Nacht, welches die abergläubischen Dorfbewohner als Tochter der Finsternis bezeichnet hatten. Die Verbannung schien mir das Leben gerettet zu haben. Doch nun war ich auf sich alleine gestellt. Keiner würde mir mehr helfen können.
Langsam wandte ich mich wieder um und betrat erneut den Wald, um zur Lichtung zurückzukehren. Dort richtete ich mir einen Unterschlupf aus Geäst und Blättern. In der Nähe fand ich noch Waldbeeren und Wasser befand zu in Unmengen im See. Während meiner Kindheit hatte ich nie den Wald betreten wollen. Dieser erschien mir unheimlich und beängstigend. Jetzt betete ich mich in der Höhle hinter dem Wasserfall zur Ruhe und schlief in der Stille des Waldes ein. Mein Leben sollte nun hier stattfinden, im Wald, bei den Tieren.
Tagtäglich ging ich auf Nahrungssuche und lernte sogar Fallen zu stellen. Mit der Zeit lief ich mit den Rehen um die Wette und spielte mit den Hasen auf der Lichtung. Von den Füchsen lernte ich das Jagen und von den Vögeln, lernte ich die Wetterverhältnisse vorauszusehen. Langsam wuchs ich aus meinen Sachen heraus und verarbeitete Hirschleder, welches ich vorher über dem Feuer trocknete, zu neuen Kleidungsstücken.
Trotzdem wagte ich mich nicht zu den anderen Dörfern. Von Zeit zu Zeit kam eine Personengruppe vorbei und schaute das „Spuckdorf“, wie sie es nannten, an. Von meinem Versteck hörte ich, wie sie über mich herzogen. Einige verfluchten mich, andere beschimpften mich und der Rest hatte vor mir Angst, obwohl sie alle mich nicht kannten. Ich hatte auch schon von den alten Legenden gehört und hoffte, dass sie mich nicht für einen Dämon der Nacht hielten. Doch ich konnte mir keine Gewissheit verschaffen. Ich wollte das Risiko nicht eingehen und mich ihnen stellen. Stattdessen verzog ich mich wieder in den Wald und lebte mit meinen tierischen Freunden. Sie halfen mir bei meiner Nahrungssuche und nahmen mir es nicht übel, wenn ich von Zeit zu Zeit einen von ihnen tötete. Als Gegenleistung verarztete ich ihre Wunden, so gut es mit den wenigen Hilfsmitteln im Wald ging. So lebten wir gemeinsam und zufrieden.

-2-
Eines Tages hörte ich ein fremdes Gebrüll. Vor einigen Tagen hatte ich Jäger angetroffen, die glitzernde Schlingen verlegten. Sie nannten es Metallschlingen und wollte damit auf die Jagd gehen. Von diesem Zeitpunkt an, verletzten sich meine Freunde immer häufiger. Die Schlingen schnitten in ihre Fesseln und die größeren Tiere blieben hängen. Der Rehbestand hatte schon drastisch abgenommen und ich versuchte so viele Schlingen wie möglich zu entfernen.
Nun folgte ich den fremden Lauten durch den Wald. Ich wusste, dass es ein Tier sein müsste, doch nicht welches. Nahe der Lichtung, am Rand des Waldes fand ich ein vierbeiniges, schwarzes Monster. Es schaute für mich fremd aus, doch ich hatte schon einige Menschen auf diesen Wesen sitzen sehen. Sie verwendeten es um sich fortzubewegen, ohne selber rennen zu müssen. Dieses Exemplar schien zierlicher und kleiner als die anderen zu sein. Vielleicht ein Jungstier. Doch sein ganzer Körperbau war anders als der von den anderen. Als ich näher ging, sah ich, dass eine Schlinge sich um seine Fessel festgezogen hatte. Blut trat aus der Wunde hervor. Hinter mir hörte ich ein Rascheln, doch als ich mich umdrehte, war nichts mehr zu hören und ich könnte auch nichts entdecken. Mit einem weiteren Schrei fesselte der Schwarze vor mir, wieder meine Aufmerksamkeit.
Vorsichtig ging ich näher und bückte mich um langsam die Schlinge zu öffnen. Während ich aufpasste, dass mich mein Gegenüber nicht traf, redete ich monoton auf ihn ein. Er kam mir seltsam vertraut vor und schien sich von meiner Stimme beruhigen zu lassen. Sein Gebrüll hatte aufgehört und er wartete bis ich ihn befreit hatte, um mit einen Satz davon zu springen. Kopfschüttelnd ging ich zum See, um mir das Blut abzuwaschen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass der Schwarze neugierig näher kam. Durstig machte er sich über das Wasser her und lies zu das ich seine Wunde auswusch. Diese war nicht tief, musste aber sehr schmerzen.
Meine Wut auf die Jäger wuchs wieder. Sie brauchten das Wild nicht für sich selber sondern liebten nur die Jagd. Die meistens erlegten Tiere blieben tot oder schwer verletzt im Wald liegen. Die Jäger hielten sich nicht an die Regeln der Natur sondern töten aus Spaß. Bedauerlicherweise war ich nicht in der Lage, etwas gegen sie zu unternehmen. Um jedoch den Schaden so gering wie möglich zu halten, zog ich mit meinen Freunden weiter und verließ mein zu Hause erneut. Irgendwann wollte ich hier wieder zurückkehren, doch es war für uns alle zu gefährlich geworden.
Zusammen mit dem Schwarzen trieb ich die Waldbewohner weiter in das Dickicht hinein. Wir zogen bis ans andere Ende des Waldes und hinterließen keine Fährte, weil wir den letzten Tag unserer Reise in einem Flusslauf gingen. Unser neuer Freund erwies sich als hilfreich. Er bemerkte sofort neue Gefahren und trieb die Jungtiere wieder in den Fluss hinein. Als ich müde wurde, kniete er sich vor mir nieder und lies mich auf seinen Rücken klettern. Erst da bemerkte ich, wie müde ich schon war und das er mir das Vorwärtskommen erleichterte. Er war schneller und ausdauernder als die Rehe und Hirsche, listiger als die Füchse und kräftiger als die Bären. Selbst die Intelligenz der Eulen konnte er problemlos schlagen.
Immer wenn wir Menschen begegneten, hörte ich die Kinder rufen: „Schaut euch diesen prächtigen Hengsten an. Mama, ist das ein Araber“. Ich wusste damit nichts anzufangen und trieb ihn mit meinen Schenkeln wieder in den Wald hinein. Auch bemerkte ich, dass sich die Welt außerhalb des Waldes veränderte. Die Leute in der Umgebung hatten Angst. Überall sprach man von einem bevorstehenden Krieg. Die Felder wurden von Männern in Metallkleidung geerntet, welche die Schmiede herstellten. Die Kinder schlugen mit Holzstecken aufeinander ein während die Männer ihnen dieses Verhalten mit riesigen Messern vormachten.
Als ich heimlich einen Hühnerstall plünderte, hörte ich, dass die Männer in dieser fremdartigen Kleidung Soldaten waren und vermutete eine Rüstung diese komische Kleidung sein sollte. Die langen, breiten Messer schienen Schwerter zu sein. Dies schien mir seltsam und unnötig, aber es ging mich nichts an. Außerdem sollten sich die Soldaten gruppieren und gegen andere Gruppen kämpfen. Es ging dabei jedoch nicht um Nahrung oder Verteidigung des Heimes. Irgendein Mann, welcher eine hohe Position inne hat, hatte diesen Kampf befohlen. Er wollte neues Land gewinnen und rief deswegen alle Männer zu den Waffen. Die Jünglinge sollten inzwischen lernten zu kämpfen.
Nach fast einem Jahr waren die Bauern verarmt und hungerten. Alle mussten die Armee durchfüttern und bezahlen. Keiner hatte mehr genug für sein eigenes Überleben. Die Jäger nahmen an Zahl zu, doch diesmal wurde das Wild als Nahrung für die hungrigen Familien gebraucht. Soldaten streifen immer häufiger durch den Wald um Nahrung zu finden. Ich verlor immer mehr Freunde und musste mir schleunigst etwas einfallen lassen. Der Wald war nicht mehr sicher für uns. Selbst den Schwarzen begannen sie zu jagen, doch dieser war zu schnell und wendig für die Soldaten. Schweren Herzens schwang ich mich auf seinen Rücken und trieb die Waldtiere erneut zusammen. Noch wusste ich nicht, wo wir hin sollten, überall hörte ich den Lärm der Kämpfenden und roch den metallischen Dunst des verströmten Blutes. Die Rehe wollte zeitweise nicht über ein Feld, welches vorher als Schlachtplatz hergehalten hatte. Verängstig folgten sie mir und dem Schwarzen und zusammen zogen wir ohne bestimmten Ziel herum.

-3-
Untertags versteckten wir uns im Gebüsch, hinter Felsen, in Höhlen oder Wäldern. Doch fanden wir nirgendwo eine sichere Bleibe. Der Krieg zog mit uns mit oder befand sich bereits vor uns. Hinter uns blieb nur noch ausgestorbenes, vertrocknetes Land zurück. Wir konnten uns schon bald kaum noch ernähren und verloren zunehmend an Kraft. Schon bald brachen die ersten Jungtiere zusammen und auch die Älteren waren am Ende ihrer Kraft. Vor unserem Aufbruch hatten wir Angst vor den Jägern, jetzt hatten wir Angst um unser Leben und dem zerstörten Landstreifen vor uns. Von Woche zu Woche verließen einzelne Tiergruppen unsere Kolonne. Ich konnte sie nicht davon abhalten, weil uns eine Spaltung der Gruppe das Überleben erleichterte.
Schon bald waren nur noch der Schwarze und ich übrig. Wir vermieden es einen anderen Wald aufzusuchen, weil mich das schlechte Gewissen wegen unseren vorherigen Weggefährten plagte. Ich vermisste das Durcheinander von Groß und Klein, den Streit zwischen Füchsen und Dachsen, das Gehhopse der Hasen und das ungeschickte Springer der Rehkitze. Ich vermisste alle alten Freunde, alle Tier des Waldes, welcher mir fast fünf Jahre ein zu Hause geboten hatte. Keine kam mehr zurück, jeder hatte einzeln oder in einer Gruppe unsere Truppe verlassen, aus Angst keine Nahrung mehr zu finden.
Der einzige Vorteil war, dass der Schwarze jetzt ausholen konnte. Er flog, mit mir auf seinem Rücken, über den Boden. Mindestens einmal in der Woche versuchten uns Soldaten einzuholen. Doch ihre klobigen Rösser konnten meinen Schwarzen nicht das Wasser reichen. Bevor die Soldaten noch ihre Pferde Schwung bringen konnten, hatte er schon eine Spurt hingelegt, der uns außer Sichtweite gebracht hatte.
Nach kurzer Zeit hatten wir die Hauptkampfplätze ausgemacht und mieden deren Umgebung. Manchmal hörten wir einen Kampf oder das Training der Truppen und schlugen einen großen Bogen um diesen Ort. Zu zweit ließ es sich leben, wir brauchten immer weniger Nahrung, wurden genügsamer als zuvor. Wasser wurde auch immer knapper. Die Flüsse waren verseucht aufgrund der vielen Leichen. Manchmal trafen wir noch eine Gruppe von unseren Kameraden, doch diese wollten uns nicht bemerken. Sie gaben uns anscheinend die Schuld, dass sie ihre Heimat verlassen mussten.
Nach einem halben Jahr, in welchem wir durch das Land strichen und 1½ Jahren Krieg ähnelte das einst fruchtbare Land einer Wüste. Leichen und Sterbende lagen am Boden statt Ackerpflanzen. Blut überschwemmte das Land statt Wasser. Es gab mehr vergiftete Wasserstellen als trinkbare. Die Bauern waren als Soldaten in den Krieg gezogen statt die Felder zu bestellen. Die Mädchen nähten und flickten die Hemden für die Krieger und die Schmiede waren fast den ganzen Tag mit der Rüstungsproduktion beschäftigt. Frauen kochten ständig statt auf Nahrungssuche zu gehen. Die Krieger war ständig am trainieren und halfen bei den Alltagsaufgaben nicht mit. Unmut und Frust war schon bald an der Tagesordnung. Alle waren hungrig und den Krieg leid. Sie sehnten das Ende dieser Zeit herbei, ihr Herrscher jedoch wollte noch mehr Land sein eigen nennen können und sein Streben kannte keine Grenzen. Schon bald mussten die Kühe, Schweine und anderes Geflügeltier herhalten, um die Massen zu ernähren.
Der Schwarze und ich ernährten uns inzwischen von Pilzen und Wurzeln. Er fand auch öfter eine brauchbare Wasserquelle als ich oder nahende Gefahr. Dafür war ich listiger und erkannte schneller Fluchtwege. Seine Beine brachten uns immer wieder aus der Gefahrenzone heraus und in unwegsames Gelände. Während er noch die Berge und Trampelpfade empor galoppierte, wurden unserer Verfolger langsamer. Sie konnten nicht mit ihm mithalten. Unsere Kondition wuchs von Tag zu Tag und war schon bald besser als die der besten Söldner. Zusammen überlisteten wir sie alle und hatten unseren Spaß dabei. Nur das gelegentliche Treffen mit unseren alten Kameraden trübte unseren Übermut.
Als wir schon so weit von unserem ursprünglichen Zuhause entfernt war, dass wir keine mehr trafen, gab es nichts mehr das uns aufhalten konnte. Wir spielten den Soldaten Streiche und versteckten ihre Waffen. In der Nacht zündeten wir die Zelte an und trieben die schlafenden Truppen auseinander. Wir rächten uns, weil der Krieg in dem sie kämpften, unsere Heimat zerstört und uns von dort vertrieben hatte. Unseren Frust ließen wir an jedem Lager aus, welches wir entdeckten.
Schon bald fürchteten die Soldaten den schwarzen Hengsten und seinen unbekannten Reiter. Wir schlugen meistens in der Dämmerung oder in der Nacht zu, manchmal auch während eines Gewitters. Die Dorfbewohner sprachen schon bald wieder über die alten Legenden und verschreckten, zu unseren Vergnügen, die hartgesottenen Kämpfer. Es war lustig zuzusehen, wie die kampferprobten Männer am Lagerfeuer zu zittern begannen.
Schon bald wollten die Generäle uns ausgeschaltet sehen. Sie wussten, dass ihre Schlachtrösser zu langsam waren und versuchten berittene Truppen anzuheuern. Ein Name wurde dabei immer öfter genannt: „Le Diablo“. Ein berittener Söldner, der für Geld tötete. Seine Stute sollte ebenfalls aus der Linie der Araber stammen und konnte es vielleicht mit meinem Schwarzen aufnehmen. Die ersten Hetzreden gegen uns wurden in den Lagern gerufen und unser kommender Untergang vorgefeiert. Mein schwarzer Freund begann bei diesem Gebrüll immer zu steigen und wieherte kampflustig den Truppen entgegen. Bei den ersten Malen, als er emporstieg rollte ich rücklings hinunter. Doch mittlerweile hatte ich es geschafft auf seinem Rücken zu bleiben, wenn er wieder einmal auf zwei Beinen durch die Gegend marschierte. Am schlimmsten war es, wenn er es auf einen Trampelpfad im Gebirge machte. Ich hatte jedes Mal Angst, dass er den Halt verlieren würde und wir gemeinsam den Hang hinunter fliegen würden. Doch er schaffte es immer wieder. Nach einem Monat hatte ich bei keiner seiner Eskapaden mehr Angst. Ich vertraute ihn blind und er mir. Der einzige Widerstand auf den wir trafen war „Le Diablo“, welcher inzwischen angekommen war und die Lagerränder mit weiteren Söldnereinheiten verstärken lies.

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Sein Einschreiten lies uns umdenken. Wir konnten nicht mehr ins Lager einfallen und für Durcheinander sorgen. Jeder Schritt musste sorgsam geplant werden. Trotzdem schafften wir es noch einmal pro Woche für Unordnung zu sorgen. Doch je mehr Männer an den Rändern positioniert wurden, desto schwieriger wurde es. Auch konnten wir keinen dauerhaften Lagerplatz mehr errichten, den wir hatten einen Verfolger: „Le Diablo“ höchst persönlich sollte zuerst uns zur Strecke bringen, bevor er in den Krieg ziehen konnte. Nun waren wir nicht nur ständig auf der Flucht, sondern hatten noch einen wütenden, frustrierten Verfolger im Nacken. Einen, der erst aufgeben würde, wenn seine Beute tot oder erlegt war. Also einen, der nie aufgab.
Schon nach einem Monat hatten sich die Lager unser seinem Kommando vollständig verändert. Es gab keine Lücken oder Schlupfwinkel mehr. Die einst gelangweilten Soldaten standen wachsam auf ihren Posten oder trainierten fleißig auf den Übungsplätzen. Selbst die Pferde wurden immer kräftiger und ausdauernder. Der Krieg neigte sich seinem Ende zu und der hiesige Herrscher schien zu gewinnen.
Doch ich wollte dies nicht zulassen, ich konnte dies nicht zulassen. In einer weiteren Nacht-und-Nebel-Aktion ritt ich ins feindliche Lager und sprach mit den dortigen Kommandanten. Die ganze Nacht berichtete ich ihn von der Ausrüstung, den Strategien auf den Trainingsplätzen, den Heeresanführern und geplanten Zielen. Interessiert hörte mir mein Gegenüber zu und fragte zwischendurch nach zusätzlichen Informationen. In der Morgendämmerung stieg ich wieder auf mein Pferd und ritt ins Gebirge. Dort fand ich gegen Mittag eine Höhle, in welcher ein Fluss sich entlang schlängelte und welche mit Beerensträuchern durchzogen war. Hier lies ich mich mit meinen schwarzen Freund nieder und wir ruhten uns nach langer Zeit endlich einmal richtig aus. Als ich mich gegen die Mauer lehnte und mich an dieser hinuntergleiten lies, lies ich die letzten Tage Revue-Passieren. Es kam mir schließlich seltsam vor, dass der Kommandant beim nennen von „Le Diablo“ plötzlich verstummte und sich für meine restlichen Informationen nicht mehr interessierte, nämlich den Lagerplatz der Truppen. Er hatte mich aus seinem Gedächtnis verbannt und plante irgendetwas. Welchem Anführer, würde das Lager seiner Gegner nicht interessieren, dafür aber eine einzelne Person?
Ich wünschte mir, dass ich endlich mit jemanden sprechen konnte. Doch war ich jetzt schon seit fast fünf Jahren eine Einzelgängerin. Niemand wollte etwas mit mir zu tun habe, weil ich zu den Verfluchten gehörte. Niemand gönnte mir meine Ruhe, weil sie mich als Tochter der Finsternis bezeichneten. Niemand würde je freundlich mit mir sprechen, weil ich den Tod zu ihnen brachte. Nun brachte ich wirklich den Tod in mein Land, ich war eine Verräterin geworden, eine Vogelfreie. Mich würde es nicht wundern, wenn die Jagd auf mich schon im vollen Gange wäre. Bis jetzt sollte mich „Le Diablo“ nur einfangen, wenn meine letzten Taten bekannt wurden, würde er mich töten. In diesem Punkt war ich mir völlig sicher, mein anstehender Tod war nun gewiss. Ich hatte niemanden, bei dem ich Zuflucht finden konnte und einen tödlichen Feind im Nacken, der mich sicherlich irgendwann einholen würde. Das Land konnte ich auch nicht verlassen, weil ich die fremde Sprache nicht beherrschte und mich so nicht vor drohendem Unheil verstecken konnte. Mir blieb also nichts anderes übrig als hier zu verweilen und meine Verfolger abzuhängen, was leichter gedacht als gemacht war. Jedoch wollte ich mich hier zuerst erholen und wieder zu Kräften kommen. Auch mein Schwarzer war bereits erschöpft und badete im Fluss. Die Beeren waren eine willkommene Abwechslung zu den Pilzen und Wurzeln, welche bisher auf unserer Speiseliste waren.
Draußen tobte ein Sturm, doch ich war zu müde um meine Umgebung zu registrieren. Der Hengst, mein ständiger Begleiter, lies sich neben mir nieder. Zusammen schliefen wir ein und überhören den näherkommenden Hufschlag. Ein Mann saß auf einer nervösen Araberstute ihm Höhleneingang und schaute sich um. Er suchte Schutz vor dem Unwetter. Als er mich und meinen Freund sah, ritt er neugierig näher. Der Donner übertönte die Schritte der Stute und ihr nervöses Schnauben. Kurz bevor die beiden uns erreichen konnten, roch mein Schwarzer die Stute und sprang auf. Erschrocken wich die Stute nach hinten und lies sich nur schwer wieder bändigen. Durch den plötzlichen Luftzug, der beim emporschnellen des Hengstes entstanden war, wachte ich auf und schaute mich um. Vor lauter Müdigkeit konnte ich zuerst nichts erkennen und erst durch den dritten Blitz im Höhleneingang im Hintergrund sah ich den Reiter mit seinem Pferd. Die Stute stieg auf ihre Hinterhand und kam uns aufgeregt entgegen. Ihr Reiter hatte Mühe sie wieder unter Kontrolle zu bekommen. Weit ausholend ging die Kleine auf mich zu und ich blieb erstarrt sitzen. Plötzlich übertönte ein wütendes Wiehern das Donnergrollen. Mein Hengst sprang zwischen mich und die Stute, wobei er sie fast zum Fall gebracht hatte. Wütend schaute uns der Reiter an und ich sprang auf, um die Schulter meines Kameraden zu untersuchen. Leichte Abschürfungen waren ersichtlich, wenn der Blitz die Höhle wieder erleuchtete, doch kein Blut. Schnell sammelte ich meine Waffen ein und sprang auf den Rücken meines Hengstes. Während uns die Stute ängstlich zitternd gegenüberstand, zitterte mein Pferd aus Erwartung für einen Kampf. Kampflustig warf er seinen Kopf in die Höhe und rollte ihn wieder abwärts. Gleichzeitig starrte ich den Reiter in die Augen. Er blieb gelassen auf seinem nervösen Reittier sitzen und lenkte sie mit seinen kräftigen Schenkeln von der Höhlenwand weg.


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„Kennst du eine Deserteurin, Jüngling?“, sprach er mich an. Erleichtert atmete ich durch, noch hatte er mich nicht erkannt und hielt mich für einen Jüngling. Absichtlich lies ich meine Stimme tiefer klingen und manchmal überschlagen während ich seine Frage verneinte und nach seinem Namen fragte. Ein raues Lachen erklang, welches mich erschauern lies. Seine Stimme ging mir unter die Haut, nicht weil ich Angst vor ihm hätte, sondern weil ein mir unbekanntes Gefühl erwachte. Ich hoffte nur, dass ich mich nicht in mein Gegenüber verlieben würde. „Le Diablo“ hatte mich gefunden und ich wollte nicht wissen, was mich erwarten würde, wenn er meine wahre Identität herausfand. Außerdem lies mich seine Stimme jetzt schon schwach werden, wenn sein Charakter auch noch anders war als alle anderen sagten, hatte ich ein wirkliches Problem zu lösen.
Draußen wurde der Sturm immer stärker und ich lies meinen Hengsten rückwärts in die Höhle gehen, damit die Stute mehr Platz hatte und vom Eingang weg konnte. Sie blieb immer noch auf Abstand zu meinen Schwarzen. Nun musste ich mir noch zusätzlich etwas ausdenken. Ich konnte zwar als schmächtiger, mittelgroßer Jüngling durchgehen, doch meine Haare würden mich verraten. Als „Le Diablo“ mir entgegen ritt, wendete ich schnell meinen Freund und ritt in die mir unbekannte Höhle hinein. Mit sicheren Schritten überwand er alle Unebenheiten und brachte mich in einen größeren Raum. Hier erhellten Glühwürmer die Wände und in der Mitte befand sich ein See. Schnell sprang ich vom Rücken des Schwarzen und nahm einen Dolch aus meiner Gürteltasche. Mit kurzen, schnellen Strichen schnitt ich mir mein langes Haar ab und warf es traurig in ein Loch in der Höhlenwand. Mit einem kurzen Blick in den See, schaute ich mein neues Spiegelbild an. Vorher waren mir meine langen, braunen Haare bis über die Hüfte gefallen und musste mit einen geflochtenen Zopf gebändigt werden. Jetzt vielen sie mir glatt bis auf die Schulter und verbargen dadurch einen Teil meines zierlichen Gesichts. Wenn ich dafür sorgte, dass sie nicht länger oder kürzer waren als jetzt und meinen Kopf immer leicht nach vorne beugte, konnte ich mein Geschlecht verbergen. So konnte ich „Le Diablo“ vielleicht abhängen. Erneut kamen die Schritte der Araberstute näher. Mit einem Blick über meine Schulter vergewisserte ich mich, dass sie ihren Reiter immer noch nicht unter ihren Hufen begraben hatte. Verzweifelt schaute ich zu meinen Freund, der angriffslustig auf die Stute wartete. Schnell griff ich in seine Mähne, den ich hatte trotz der vielen gemeinsamen Jahre, immer noch keinen Sattel oder Zaumzeug für ihn. Beruhigend strich ich ihn über den Hals und wartete ab. Was wohl auf mich zukommen würde?
„Le Diablo“ ritt die nervöse Stute auf den See zu und hielt neben mir an. Ich hatte Mühe, den Schwarzen auf meiner anderen Seite zu halten, denn er wollte sich zwischen mich und die Fremden stellen. So wie ich in einer gefährlichen Situation immer zwischen ihn und den Angreifern sprang, wollte er nun das Gleiche für mich tun. Schnell drängte ich ihn seitlich um den Abstand zwischen uns und den anderen zu vergrößern. Dadurch schien sich mein Freund zu beruhigen, blieb aber dennoch wachsam. Kopfschüttelnd schaute ich zu seinen tänzelnden Hufen hinab, wodurch ich nicht bemerkte, dass „Le Diablo“ von seiner Stute sprang und mich an den Schultern zu ihm drehte. Kalte, graue Augen starrten mich an und versuchten mein Geheimnis zu lüften.
Ich erschrak als sich seine Hände durch meine schwarze Bluse brannten. Er schien zu glauben, dass ich vor ihn Angst hatte und wich zurück. In Wirklichkeit hatte ich geglaubt, dass seine Hände mich durch die Bluse verbrannten und mein Herzschlag hatte sich erregt beschleunigt. Frustriert dachte ich mir, dass dieses Verhalten noch mein Verhängnis werden würde. Der erste Mann, der mich erregte, war mein Todfeind. Was könnte noch besser werden? Erneut schaute ich ihn in die Augen, die kurz bedrückt aufblitzten, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte. Dieses kurze Aufblitzen versetzte mir einen Stich ins Herz. Ich konnte nicht mit ansehen, wie er litt, doch konnte ich ihm auch nicht helfen ohne mich selbst zu gefährden. Es würde ein Balanceakt werden, wenn ich ihn nicht weiter zusetzen wollte und dennoch mein Geschlecht verbergen wollte.
Hilfesuchend schaute ich meinen Hengsten an, der kurz davor war die Stute oder den Mann zu attackieren. Als ich dies bemerkte, drängte ich ihn noch weiter weg und behielt dabei unsere Gegenüber im Auge. Nachdem sich die Anspannung im Körper des Schwarzen gelegt hatte, setzte ich mich zu seinen Füßen ans Seeufer. Müde schaute ich über den See und wünschte mir den weichen Waldboden um mich auszuruhen. Doch solange der Sturm und das Gewitter über uns tobten, konnte ich hier nicht weg. Solange musste ich „Le Diablo“ ausweichen und meinen Freund beruhigen.

-6-
Fast eine Woche blieben wir in der Höhle, schwiegen uns an und ernährten uns von den Beeren und dem Seewasser, welches durch den Fluss erneuert wurde. Am Anfang versuchte „Le Diablo“ noch ein Gespräch mit mir zu beginnen, doch als ich weiterhin schwieg, hörte er mit seinen Versuchen auf. Doch behielt er mich weiterhin unter Beobachtung. Als sich das Wetter draußen verbesserte, ging ich, gefolgt von meinem Schwarzen, hinaus. Doch war der Boden draußen zu gefährlich, um jetzt schon wegreiten zu können. Zwar hatte mein Freund einen sicheren Tritt, doch wollte ich nichts riskieren.
Am dritten Tag bemerkte ich vom Höhleneingang eine Rauchsäule. Der Wind trug den Geruch in meine Richtung. Es roch nicht nach verbrannten Holz oder Pflanzen. Es roch nach Mörtel und Gemäuer, nach geschmolzenen Stahl und geschmolzenen Eisen. Der Krieg schien seinen Weg hierhergekommen zu sein. Unbemerkt stand plötzlich „Le Diablo“ neben mir. Seine Stute war gerade rossig, weswegen mein Hengst sich mehr um die Lady kümmerte als um mich. Sein Verhalten entlockte mir von Zeit zu Zeit ein Lächeln, doch es nervte auch, wenn ich meine Ruhe haben wollte und sich mein Feind immer wieder an mich heranschlich. Während der letzten drei Tage hatten wir ein Gespräch begonnen und ich glaubte herauslesen zu können, dass der Mann neben mir keine Freunde hatte sondern nur ängstliche Feinde. Keiner traute ihm, keiner wollte etwas mit ihm zu tun haben. Er wurde nur als Söldner gekauft und zog nach vollendeter Aufgabe wieder weiter. Nur seine Stute hing an ihm, so wie mein Hengst an mir. Fast zwei Köpfe großer ragte er neben mir empor und schaute mich an. Ich blieb ruhig stehen und beobachtete die Rauchsäule um die Entfernung einschätzten zu können und anschließend die Festigkeit des Bodens vor uns.
In ein, zwei Tagen konnte ich von hier fortreiten, wenn es kein weiteres Gewitter hatte. Mit einem Ruf befahl ich meinen Hengst hier zu bleiben und ging langsam Richtung Wald. Halb rutschend, halb laufend ging ich den Berg ins Tal hinab. Mitten im Gebirge hatte sich ein kleines Wäldchen gebildet, in dem Wild lebte. Von meiner Wanderschaft hatte ich neben meinen Dolch, hatte ich noch zwei Jagdmesser und ein Langschwert gefunden. Die Messer hatte ich in meine Schaftstiefel gesteckt und das Schwert hing in meine Gürtel und wurde durch seinen Griff fixiert. Steine rollten hinter mir ins Tal und ich wusste, dass ich wieder einmal mit „Le Diablo“ auf die Jagd gehen würde. Die Beeren liesen wir den Pferden, die noch nicht ins Tal gehen konnten. Stattdessen ernährten wir uns mit Wild und sammelten Waldfrüchte für unsere Pferde.
Nachdem der Boden endlich wieder durchgehend begehbar war, ritten wir ins Dorf. Dieses war komplett zerstört. Überall lagen Leichen und die Häuser waren bis auf die Grundfesten zerstört. Die meisten Männer waren geköpft oder aufgespießt, die Frauen lagen geschändet und erschossen neben den Kindern, die ebenfalls aufgespießt waren. Mir wurde von diesem Anblick übel und ich musste das Dorf schleunigst verlassen. Diese Leute waren zwar nicht von der gleichen Nationalität wie ich, doch sie hatten ein solches Schicksal nicht verdient. Keiner hatte solche Gräueltaten verdient. Ich würde nicht einmal meinem schlimmsten Feind ein solches Ende wünschen.
Verstört setzte ich mich im Wald vor einen großen Baum und lehnte mich an den Stamm. Tröstend strich mein Schwarzer mit seinem weichen Maul über mein Gesicht und beobachtete gleichzeitig die Umgebung. Er hatte zwar „Le Diablo“ und seine Stute Blitz akzeptiert, doch noch keine andere Person. Um den Anblick im Dorf zu vergessen, schloss ich meine Augen und dachte an die Zeit im Wald vor einigen Jahren zurück als ich noch alleine mit den Waldtieren war. Ein tröstender Arm legte sich um meine Schulter als sich „Le Diablo“ neben mir niederlies. Die Pferde zogen sich zurück und liesen uns alleine. Ruhig sprach er auf mich ein und versuchte mich zu trösten. Unbeholfen sprach er weiter auf mich ein und konnte spüren, dass er nicht wusste was er sagen oder machen sollte. Trotzdem fühlte ich mich getröstet und verstanden. Langsam schloss ich meine Augen und lehnte mich an seine breite, kräftige Schulter. Ich wollte mich nur ein bisschen ausruhen, doch stattdessen schlief ich ein.
Durch das Wiehern der Pferde wachte ich auf und schnellte empor. Schlagartig war ich wach und schaute mich um. Ein Lachen neben mir erklang und ich sah „Le Diablo“ noch neben mir sitzen, welcher mich für meine schnelle Reaktion lobte. Schnell wandte ich mich ab, denn mein Gesicht färbte sich verräterisch rot. Gleichzeitig überblickte ich noch einmal unsere Umgebung. Nirgendwo war etwas zu sehen, doch würden die Pferde nicht ohne Grund anschlagen. Langsam stand „Le Diablo“ auf und schaute sich ebenfalls um. Vögel schraken in der Nähe auf und flogen aus den Baumkronen in den Himmel empor.

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Ich konnte seine Umsicht und Kampfbereitschaft förmlich spüren. Der gutmütige, freundliche Charakterzug der letzten zwei Wochen war verschwunden und der gefürchtete Söldner trat wieder in Erscheinung. Verwundert schaute ich zu ihm empor. Kurz leuchteten seine Augen lachend auf als er näher an mich trat und mich an seinen Körper zog. Schon seit drei Tagen fragte ich mich, ob er bemerkt hatte, dass ich kein Jüngling sondern eine Frau war. Doch ich konnte ihn jetzt nicht fragen. Wir wurden beobachtete oder jemand kam in unsere Richtung. Jetzt hieß es abwarten und wachsam sein. Schnell vergewisserte ich mich, dass meine Waffen noch an ihren Platz waren, denn in letzter Zeit verwendete „Le Diablo“ diese genauso gerne wie ich. Sie waren schärfer als seine Waffen und konnten dadurch mehr Schaden verursachen.
Ein Hirsch brach durch das Gebüsch neben uns und schreckte die Pferde auf. Mit einem Pfiff riefen wir sie zurück und sprangen auf ihre Rücken. Nun hatten wir uns verraten und wurden bald wissen, wer uns entgegen kam. In letzter Zeit betrachtete ich „Le Diablo“ und Blitz nicht mehr als Feinde und Verfolger sondern als Freunde. Doch hoffte ich, dass er nie meine wahre Identität herausfinden würde. Mehrere Hufschläge erregten wieder meine Aufmerksamkeit und ich drehte meinen Hengsten in die Richtung aus welcher das Geräusch kam.
Schon bald darauf brachen mehrere Reiter aus dem Gebüsch. Soldaten des Königs. Ich war verloren, denn sie erkannte mich sofort. Verwundert schauten sie zwischen mir und „Le Diablo“ hin und her. Der Anführer der Truppe fragte schließlich den Mann neben mir, ob er gedenke die Deserteurin neben ihm irgendwann zum Lager zurückzubringen und sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Verwundert „Le Diablo“ auf mich herab und ich sah die Enttäuschung und den Schmerz des Verrats in seinen Augen. Hinter den Reitern kamen noch weitere aus dem Gebüsch und alle erkannten mich. Als ich eine Söldnerin zwischen ihnen entdeckte, rang ich um Luft. Die Kleine hatte mich schon einige Male zu einem Kampf herausgefordert und anfangs fast umgebracht. Nun waren wir gleich stark, schnell und listig. Doch wenn alle gleichzeitig angriffen, hatte ich keine Chance. Zusammen mit meinem Hengst konnte ich nicht gegen alle ankämpfen. Ich würde verlieren und vielleicht meinen Freund dabei verlieren. Der Schwarze war schon lange auf der Abschussliste der königlichen Soldaten.
Schnell trieb ich mein Pferd an und galoppierte durch den Wald. Ich wusste, dass er schneller als alle anderen Reittiere war und hoffte das „Le Diablo“ noch länger erstarrt stehen blieb. Als ich aus dem Wald ritt und die Ebene entlang galoppierte, hörte ich wie ein Pferd aufholte. Es konnte nur Blitz sein mit „Le Diablo“, der sich wieder unter Kontrolle gebracht hatte und nun wütend und enttäuscht mir nacheilte. Rechts vor mir sah ich eine Schlucht. Ich wusste, dass sie sehr breit war. Vielleicht fünf Meter und das in der Tiefe ein reisender Fluss mit zahlreichen Stromschnellen floss. Doch dies war der einzige rettende Weg. Ich trieb meine Schwarzen noch stärker an und nahm einen Sprung über die Schlucht in Angriff. Immer schneller bewegten sich die Beine meines Freundes über den Boden. Er hatte bereits meine Absicht erraten und konzentrierte sich auf den bevorstehenden Schwung. Hinter mir erklang eine bekannte Stimme, die mir befahl anzuhalten. Doch ich wollte nicht als Verräterin und Deserteurin verurteilt werden. Ich würde deswegen hingerichtet werden und niemand würde etwas diesem Urteil entgegen setzen. Immer größer wurden die Galoppsprünge meines Hengstes und er streckte sich noch weiter. Schließlich setzte er zum Sprung an. Seine kräftige Hinterhand landete zwischen seiner Vorderhand. Diese hob sich fast gleichzeitig empor, wobei einzelne Steine in die Schlucht fielen. Zuerst glaubte ich, dass er nicht mehr rechtzeitig emporschnellen konnte, so tief setzte er sich, doch plötzlich stieß er sich ab und schwebte über die Schlucht. Seine Vorderbeine landeten an der gegenüberliegenden Kante und erneut rollten Steine hinunter. Seine Hinterhand landete wieder zwischen seiner Vorderhand und er sprang erneut, um Abstand zwischen sich und dem Rand der Schlucht zu gewinnen. Hinter uns erklang ein Gefluche, das mir die Röte ins Gesicht trieb. Mit einem Schnaufen kam Blitz rutschend zum Stillstand und schaute uns hinterher. Erleichter fiel ich meinen Schwarzen um den Hals und war froh, dass wir im letzten Moment entkommen konnten.

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Fast ein Jahr konnten wir untertauchen. Wir lebten wie früher von den Waldfrüchten und tranken aus Flüssen und Seen. Ich war gerade achtzehn geworden und schätzte meinen schwarzen Freund auf neun. „Le Diablo“ war immer noch auf der Suche nach uns, doch wir hatten bisher Glück und waren im immer einige Schritte voraus. Der Krieg zog nun seit fast sechs Jahren durch das Land. Viele Leute waren geflüchtet, um als Deserteure in Ruhe zu leben, oder hatten sich einer der beiden kämpfenden Seiten angeschlossen.
Ich war dennoch die Landesverräterin Nummer 1, weswegen ich den gefürchtetsten Söldnern im Nacken hatte. Dieser fühlte sich wahrscheinlich von mir hintergangen und wollte mich deswegen sicherlich so schnell wie möglich zur Strecke bringen. Durch gelegentliche Kämpfe hatte ich meine Kampfkraft gestärkt und die andauernde Flucht hatte die Kondition von meinem Hengsten und mir gestärkt. Zeitweise erinnerte ich mich noch an die Zeit im Wald als ich mit 13 Jahren, meinen schwarzen Freund entdeckt und befreit hatte. Auch die Zeitspanne als ich mit den Waldbewohnern durch das Land strich, blieb mir weiterhin in Erinnerung und lies mich weitermachen. Nur die zwei Wochen mit „Le Diablo“ als wir noch Freunde waren, trübten mein Glück. Ich vermisste das gelegentliche Gespräch, seine Sticheleien und seinen schwarzen Humor. Obwohl er alle anderen verschreckte, hatte er mich nie ängstigen können. Jetzt hielt er mich mit Sicherheit für seinen Feind, doch ich wollte mich nur an den Leuten rächen, die mein Zuhause zerstört hatten und mich von dort vertrieben hatten. Ich wollte ihn nie verletzten und enttäuschen, doch würde er mir dies bestimmt nie glauben.
Von Zeit zu Zeit beobachtete ich die Soldaten und verschaffte mir einen momentanen Überblick über die Kriegsgeschehnisse. Manchmal glaubte ich auch Blitz in der Ferne entdeckt zu haben, doch dann wandte ich mich immer schnell ab und verließ die Gegend. Durch einen Zufall hatte ich erfahren, dass der König nicht nach Land gierte sondern seine Tochter wiederfinden wollte. Sie wurde vor fast 20 Jahren entführt und war bis jetzt wie verschollen. Niemand wusste, wo sich die Frau befand. Mittlerweile musste sie ungefähr 40 Jahre alt sein und vermisste sicherlich ihre Familie und ihre Heimat. Anfangs hatte man geglaubt, dass sie von Zuhause ausgerissen war, um einen Mann zu heiraten, den ihre Familie nicht akzeptieren wollte. Doch nach so langer Zeit vermutete man, dass sie entführt worden war. Der Krieg war Großteils eine Suche nach ihr. Als ich die Geschichte gehört hatte, machte ich mich auch auf die Suche nach der vermissten Königstochter. Manchmal hörte ich Schauermärchen über sie, doch waren alle Geschichten nicht glaubwürdig. Sie wiedersprachen den Zwischenfragen oder der Anfang war vollständig konträr zum Ende bzw. war der Verlauf unmöglich durchführbar. Einige glaubten weiterhin, dass das Mädchen ihren Verehrer geheiratete hat und nun in den Wirrnissen des Krieges glücklich mit dem Mann lebte. Ich hoffte, dass die romantische Variante der Wahrheit entsprach, doch gab es keine Beweise für irgendeine Möglichkeit.
Auch über mich wurden Schauermärchen erzählt. Da mich niemand kannte, konnte ich diesen Geschichten lauschen, wenn ich in ein Dorf kam und über Nacht blieb. Einige betrachteten mich als Mannsweib, dass mit den Teufel auf einem schwarzen Höllenpferd um die Wette ritt und alle verfluchte, die ihr über den Weg kamen. Andere zählten mich zu den Hexen, die arme Soldaten verwünschten und zum Tode verurteilten. Wenige sahen mich als eine Waldfee, welche die Tiere und Wälder schützen wollte und sich an denen rächte, welche die Natur zerstörten. Ich schloss mich bei diesen Gesprächen immer der letzten Meinung an, doch versuchte ich mich nie in Rage zu reden, denn ich konnte mich ansonsten verraten. Bisher kann mich die Bevölkerung nur von den Geschichten der Soldaten, die alle unterschiedlicher Meinung über mich waren.
„Le Diablo“ blieb bei diesen Geschichte auch nie unterwähnt. Seine Taten sprachen für sich. Unterschüttert sollte er weiterhin auf der Suche nach der Deserteurin und ihrem schwarzen Hengsten sein. Diese Verfolgung spaltete die Bevölkerung. Einige hielten zu mir und der Rest zu „Le Diablo“. Ein paar Leute auf der Seite von „Le Diablo“ hatten sich nur hinter ihm positioniert, weil sie glaubten, dass eine Frau nichts mit dem Krieg zu tun haben sollte und stattdessen für Haus und Herd sorgen sollte. Dieses Gerede machte mich immer wieder verrückt und ich beschloss schließlich nicht mehr in die Dörfer zu kommen. Ich holte mir meine Nahrung direkt von den wenigen Feldern oder aus dem Wald. Mein Leben als Einzelgängerin erlaubte mir so manche schnelle Entscheidung und lies den Abstand zwischen mir und den Kriegsgeschehnissen größer werden. Doch ich spürte, dass ich meinen hartnäckigen Verfolger immer noch nicht abschüttelt hatte.
Ich glaubte weiterhin, dass ich Blitz in der Ferne entdeckt hatte, welche in meine Richtung strebte. Dann suchte ich immer den nächsten Flusslauf auf und folgte im Wasser dem Fluss oder Ritt gegen die Strömung weiter. Der Krieg tobte weiterhin im Land und verarmte die arme Bevölkerung noch mehr. Die meisten Häuser mussten mindestens einmal neu erbaut werden und einige Dörfer wechselten ihren Standort. Zahlreiche fruchtbare Felder waren zerstört und sahen aus wie vertrockneter, rissiger Lehm. Dürre und starke Regengüsse wechselten sich ab und liesen die Dorfbewohner fluchen. Es war schwierig mit den wechselnden Perioden umzugehen. In einigen Jahren gab es keinen Tropfen Regen, in den nächsten Jahren wurden die Felder überflutet. Das Wetter spielte genauso verrückt wie einige der Soldaten, die keinen Unterschied zwischen Landsleuten und Feinden machten. Auch die Bevölkerung wurde mittlerweile nicht mehr von Gefolgsleuten des Krieges unterschieden. Zahlreiche Dörfer wurden überfallen und vernichtet. Diese Plünderungen und die Erschwernisse des Wetters machten das Leben für die Leute nicht leichter. Viele wurden zu Abtrünnigen und gestalteten eigenen Gesetze. Einige schlugen sich in die Wälder und hielten sich für eine pervertierte Variante von Robin Hood – nehmt es von alle und gebe es der eigenen Person. Zahlreiche Soldaten versuchten diesem Treiben Einhalt zu gebieten, doch sie blieben erfolglos. Erneut wurden Söldner erworben. Diesmal um die Bevölkerung wieder zu Verstand zu bringen, doch auch diese Versuche blieben ergebnislos.

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Als die Leute zu Wildern begannen und halbe Kadaver zurück liesen, setzte ich mir das Ziel, diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Ich schlug wieder nachts zu und ängstige die Dorfbewohner genauso wie die Abtrünnigen in den Wäldern. Schon bald war ich wieder ein Dämon der Nacht, eine Tochter der Finsternis. Doch mein Einschreiten brachte die Bevölkerung wieder zu Verstand. Sie bemerkten ihr Fehlverhalten und kehrten zu ihren vorherigen Verhalten zurück.
Dem Krieg konnte ich dennoch nichts entgegen setzen und traf auf „Le Diablo“ zu meinen zwanzigsten Geburtstag. Er schien in einen Hinterhalt gelockt worden zu sein und kämpfe um sein Überleben. Blitz wurde mit Schlingen zu Boden gezogen und schrie verängstig auf. Bei ihrem Wiehern spürte ich wie sich mein Hengst unter mir anspannt und angreifen wollte. Auch ich wollte den beiden helfen, denn ich konnte sowohl den Mann als auch seine Stute nicht vergessen. Obwohl ich mich vor ihm versteckte, konnte ich ihn nicht seinem Schicksal überlassen. In den letzten Jahren hatte ich noch zusätzliche Waffen gefunden. Einige Pistolen vervollständigen meine Waffensammlung und ich hatte gelernt mit den Schusswaffen umzugehen. Vom Rücken meines Hengstes beförderte ich vier Soldaten ins Jenseits während mein Hengst über den Boden schoss. Kurz vor der Stute hielt er an und ich sprang von seinem Rücken. Panisch schauten sich die Angreifer um und wurden von meinen Schwarzen vertrieben währen dich die Stute von ihren Fesseln befreite. Inzwischen flogen zwei Kugeln an meinen Kopf vorbei und Blitz schlug aufgebracht mit ihren Hufen in der Gegen herum. Als die letzte Schlinge aufgeschnitten war, sprang ich auf den Rücken meines Hengstes, um der aufspringenden Stute zu entkommen. Diese lief buckelnd in der Gegen herum und schreckte die Soldaten noch weiter auf. Mit blank gezogenem Schwert setzte ich ihnen auf meinen Hengsten nach. Einige fielen bei meinen Streichen tot zu Boden während der Rest floh. In meinen Rücken spürte ich zum Schluss den stechenden Blick von „Le Diablo“ der mich, wenn es möglich wäre, umgebracht hätte. Als er seine Stute verfolgte, trieb ich meinen Schwarzen weg. Noch bevor er Blitz erreicht hatte, waren wir verschwunden.
Nun traf ich ihn öfter und half ihm vom Hintergrund, meistens auf einem Baum sitzend. Ich war mir sicher, dass er wusste, wer die Schüsse abfeuerte, doch war ich immer weg, bevor er nur in meine Nähe kommen konnte. Die Flüsse, in denen wir flüchteten, hinterließen keine Spur von mir und meinem Pferd. Was „Le Diablo“ zusätzlich zu meinen damaligen Verrat verärgerte. Mittlerweile wehte mir mein Haar wieder den Rücken hinunter und ich wollte mich nicht mehr verstellen. Ich war eine Kriegerin und über die Landesgrenzen bekannt. Auch mein Hengst war eine Berühmtheit, mit der man im Kampf rechnen musste. Dennoch blieben wir Einzelgänger und schlossen uns keiner Gruppe an oder liesen uns an einem Platz nieder. Die erste Variante war zu gefährlich für unsere Mitreisenden, die andere gefährdete uns.

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Ein halbes Jahr nach unserem letzten Treffen wurde der König gefangen genommen. Es war inmitten eine Unwetters und an meinen 21. Geburtstag. Die Leibwache wurde niedergemetzelt und der König wurde verschleppt. Die Entführer wollten ein Mitglied der Königsfamilie für die Freiheit des Königs. Doch die Königin war tot und die Tochter immer noch verschollen. Das Land wurde in kurze in die Brüche gehen, wenn es keinen Halt mehr fand und der Herrscher weiterhin gefangen war. Die Soldaten desertieren oder hörten auf zu kämpfen. Die letzten Äcker wurden nicht mehr bestellt und die Kinder wurden zu Dieben ausgebildet. Die Bevölkerung fand keinen Halt mehr und verlor ihren Lebensmut.
Diese Wende konnte ich nicht zulassen. Ich war zwar wütend, über das Verhalten der Soldaten gegenüber den Tieren und der Umwelt, doch wusste ich mittlerweile, dass ein Übergriff von feindlicher Seite, noch mehr Zerstörung mit sich bringen würde. Nur der König konnte das Land wieder zu seiner alten Blüte zurückführen. Unser seiner Herrschaft würde sich die Natur wieder erholen und die Tierbestände sich wieder erneuern. Doch zuvor musste man ihn aus seiner Gefangenschaft befreien.
In eine Nacht-und-Nebel-Aktion brach ich das Schloss ein und stahl einige Kleider der verschollenen Königstochter. Sie passten mir wie angegossen. Einige Schmuckstücke vervollständigen meine Verkleidung. Lange übte ich im Damensitz zu reiten, obwohl ich immer noch keine Sattel hatte. Als ich diesen Sitz bewältigt, lies ich verlautbaren, dass ich die verschollene Enkelin des König war. Meine Mutter verstarb als glückliche Frau einige Jahre nach meiner Geburt. Sie lebte mit meinem Vater zusammen, doch starb dieser noch bevor die beiden heiraten konnten. Deswegen traute sie sich nicht in ihr Elternhaus zurück. Schon bald darauf glaubte jeder meine Geschichte und ich wurde von Soldaten zu den Feinden gebracht, um den König zu befreien.
Als ich den alten Mann sah, begann mein Herz zu rasen. Irgendwie schien er mir bekannt zu sein, doch ich war mich sicher, dass ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Mit einen Kopfschütteln brachte ich mich in die Realität zurück. Ich hatte eine Mission zu erfüllen. Meine Freiheit für die Freiheit des Königs und das Überleben von Land, Tieren und der Umwelt. Müde schaute mich der Herrscher an ohne mich wirklich zu beachten. Als er hörte, dass ich mich für seine Enkelin ausgab, betrachtete er mich genauer. Kurz flackerten seine Augen auf als würde ich ihn an jemanden erinnern, dann stieg er in die wartende Kutsche ein und fuhr nach Hause.
Nun war ich die Gefangene der feindlichen Armee und einige lüsterne Blicke und hinterlistige Grinser wurden mir entgegen geschleudert. Dabei lief es mir kalt den Rücken hinunter, doch ich hatte meinen Plan in die Tat umgesetzt. Das Land war gerettet, was nun mit mir passieren würde, sollte sich noch zeigen.
Vorerst wurde ich von meinem Pferd getrennt. Der Schwarze wurde aus dem Lager gejagt und durch Schüsse vertrieben. Ich hoffte, dass er dabei nicht getroffen wurde und er sich in Sicherheit bringen konnte. Im Anschluss wurde ich in ein Verlies geworfen. Der gestohlene Schmuck wanderte in die Kriegskasse der feindlichen Armee und ich wurde zu Brot und Wasser verurteilt. Die Zelle war tief unter der Erde in einer alten Burg. Ratten tummelten sich am Boden und Spinnweben säumten die Wände. Einige Hand- und Fußschellen rosteten an den Mauern und am Boden lag eine dichte Staubschichte. Die Deckenbalken waren morsch und schienen bald ihren Geist aufzugeben. Ich hoffte, dass ich vorher hier rauskam oder starb. Ich wollte nicht lebendig unter der herabstürzenden Decke begraben werden. Das Wasser war verschmutzt, doch trinkbar. Das Brot jedoch war alt und verschimmelt. Ich war es zu den Ratten in die Ecke. Die Messer an meinen Knöcheln wurden mir abgenommen, doch den Dolch an meiner Hüfte blieb unentdeckt. Das Schwert und die Pistolen hatte ich im Schloss zurückgelassen.

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Nach einer Woche begann die Folter. Zuerst wurde mir das Brot vorenthalten, doch hatte ich bis jetzt sowieso kaum etwas davon gegessen. Danach wurde mir vergiftetes Wasser vorgesetzt, welches ich lieber nicht anrührte. Durch einen vorlauten Wächter wurde ich zum Glück noch rechtszeitig gewarnt. Als mein Wille und meine Lebensgeister immer noch ungebrochen waren, fesselten sie mich an die Wand und schnitten mein Oberteil auf. Lachend begrapschten sie mich und machten obszöne Witze. Doch noch war ich vor ihnen sicher. Manchmal erzählten sie mir noch lachend über die Kriegsgeschehnisse und dass sie die Sieger des Krieges waren. Eine Woche hielt ich durch, dann brach ich zusammen und hing nur noch in den Fesseln. Mir wurde schwarz vor den Augen und ich bekam nichts mehr mit.

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Als ich wieder aufwachte, lag ich ihn einen Krankenhaus an einem Tropf geschlossen. Anscheinend wurde ich so mit Wasser und flüssig Nahrung versorgt. Mein ganzer Körper schmerzte und ich konnte mich nicht ohne Schmerzen bewegen. Erneut fiel ich in Ohnmacht.

Das nächste Mal als ich erwachte, blickte ich in das bedrückte Gesicht von „Le Diablo“, doch konnte ich meine Lider kaum heben geschweige denn reden.

Beim nächsten Erwachen erblickte ich einen nachdenklichen König, der mein Gesicht studierte. Neben ihn stand eine Krankenschwester, im Türrahmen lehnte „Le Diablo“ und neben mir stand jemand im weißen Kittel und kontrollierte anscheinend die Flüssigkeitsbehälter neben meinem Bett.

Nach fast einer Woche fiel ich nicht mehr in Ohnmacht, doch ich hing immer noch am Tropf. Nun verstellte ich mich und lies die anderen glauben, dass ich immer noch ohnmächtig im Bett lag. Währenddessen spürte ich, dass ich wieder stärker wurde und wartete ab.

Eine weitere Woche später begann ich mit den Krankenschwestern zu reden. Meine Stimme war noch rau, denn ich wurde immer noch über den Tropf ernährt, doch konnte ich sie überreden mir etwas zu trinken zu geben und auch etwas Brot. Nun wurde ich schneller wieder stärker. Schon bald stand ich auf und wanderte im Zimmer umher. Doch nur wenn ich alleine war. Während der restlichen Zeit spielte ich noch die Ohnmächtige oder Schwerkrankte, je nachdem wer ins Zimmer kam. Ich wollte weder mit dem König noch „Le Diablo“ reden, denn ich wusste nicht, ob sie meinen Plan herausgefunden hatten und mich deswegen verschonen würden oder ob sie mich sobald ich wieder gesund war, hinrichten liesen. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen.
Als ich wieder vollständig genesen war, versuchte ich die Besuchszeiten und Kontrollzeiten der Ärzte und Schwestern herauszufinden. Währenddessen spielte ich weiterhin die Ohnmächtige bzw. Schwerkranke. Nach fast einem Monat im Krankenhaus wusste ich über jede Bewegung in meiner Umgebung Bescheid. Besonders die Nachtschichten waren mir bekannt.
Eines Nachts sprang ich gegen Mitternacht aus dem Fenster und landete vom 1. Stock wie eine Katze auf dem Boden, ohne mich erneut zu verletzen. Schnell schlich ich im Schutz der Bäume entlang und floh aus der Hauptstadt. Ich wollte wissen wo mein Hengst war und wie es ihm ging. Der Rest war mir egal. Wie ein Dieb schlich ich durch die Gassen und nutzte jeden Schatten oder rannte über die Hausdächer. Niemand sah oder hörte mich. Beim Stallgebäude angekommen, brach ich die Tür auf und schaute in alle Boxen. Danach suchte ich die Koppeln auf, doch außer Blitz sah ich keinen Araber. Als die Stute mich wiedererkannte, erklang ihr Wiehern, welches mit Sicherheit ihren Besitzer aufmerksam machen würde.
Schnell rannte ich durch das Stadttor und versteckte mich im Gebüsch in der Nähe eines Flusses. Kurz darauf donnerten Hufe an mir vorbei und verklangen schon bald in der Ferne. Mir gegenüber lag ein Wald, in den ich flüchtete. ich war mir sicher, dass Blitz und „Le Diablo“ an mir vorbei geprescht waren, doch wollte ich ihnen nicht über den Weg laufen. Meine Freiheit war mir wichtiger als ein möglicher Verbündeter. Solange ich nicht wusste, ob ich immer noch gejagt werde, wollte ich niemanden treffen.
So schnell ich konnte, lief ich durch den Wald und traf auf der dahinterliegenden Lichtung eine Zigeunertruppe. Die Wagen standen im Kreis und bildeten so eine wirksame Barriere. Zwischen den Wagen sah ich Kinder laufen und mit den Hunden spielen. Jugendliche tanzten im Schein des Lagerfeuers und wurden von Musikanten begleitet. Die Erwachsenen saßen im Kreis um die Tanzenden oder standen in Gruppen zusammen und unterhielten sich. Seitlich standen mehrere Wachen und behielten eine Pferdekoppel im Auge. Als ich näher schlich, dreht der Wind und wehte meinen Geruch zu den Pferden. Plötzlich ertönt ein mir bekanntes Wiehern und eines der Pferde dreht förmlich durch. Wild um sich schlagend, machte es sich Platz und schreckte die Herde auf. Mehrere Pferde begannen zu wiehern und zurückzuweichen. Schnell sprang der Aufwiegler über den Zaun und riss beim Landen einige Zigeuner um. Lachend richtete ich mich auf, so ein Wirbelwind konnte nur mein Schwarzer sein und ich hatte Recht. Fröhlich wiehernd kam er auf mich zu und stoppte vor meinen Füßen. Die Wächter liefen hinter ihm her, doch als ich mich auf seinen Rücken schwang, blieben sie erstaunt stehen. Anscheinend hatte er alle Reiter abgeworfen und verletzt, so wie er es in jedem Lager oder im Kampf getan hatte.

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Einige Zigeuner verließen das Lager und schauten sich nach der Lärmquelle um. Als sie mich auf den Rücken meines Freundes sahen, blieben sie genauso wie die Wächter stehen und schauten uns bewundernd entgegen. Die Kinder stellten sich hinter ihre Eltern und Verwandten und starrten mein Teufelspferd an. Lachend blickte ich auf ihn herab und freute mich, dass er gesund und munter war. Es schien ihm hier gut gegangen zu sein, obwohl er sicherlich für einige Verletzungen verantwortlich war.
Als sich die erste Aufregung gelegt hatte, lud mich das fahrende Volk zu sich ans Lagerfeuer ein. Mein Hengst blieb inzwischen freilaufend in der Nähe und machte von Zeit zu Zeit einen ausgelassenen Luftsprung. Inzwischen hatte sich auch die restliche Pferdeherde beruhigt und die vorherige Ruhe wieder eingestellt. Ich bekam Speis und Trank vorgesetzt und durfte den Tanzenden zusehen. Einige Zigeuner sprachen mich auch an, doch meistens verstand ich wegen der fremden Sprache kein Wort. Trotzdem hatte ich meinen Spaß und freute mich neue Freunde gefunden zu haben. Kurz überlegte ich mich, ob ich mich der Truppe anschließen sollte, doch war es für alle Anwesenden zu gefährlich, wenn ich länger bleiben würde.
Am nächsten Morgen verabschiedete ich mich schweren Herzens und zog mit einen Versorgungspaket von dannen. Zu zweit zogen wir uns wieder in den Wald zurück und lebten von der Natur. Wie schon früher liefen wir über die Ebenen und wanderten durch die Wälder oder erklommen Berge. Doch vermisste ich das Gespräch mit anderen Menschen, ein fröhliches Lachen und sogar gelegentliche Streitereien. Ich wünschte mir nun mehr denn je, Teil einer Gesellschaft zu sein. Irgendwo dazuzugehören und nicht mehr als Einzelgänger durch das Land zu streifen. Mein neues Ziel war meine damalige Heimat, das vereinzelnd stehende Häuschen, der Wald mit der Lichtung und dem Wasserfall, welcher eine Höhle versteckte.

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Erneut traf ich auf „Le Diablo“ als ich gerade von meinem heimatlichen Wasserfall in den See sprang. Den Hengsten hatte ich mittlerweile Tornado getauft, weil er wie ein Wirbelsturm durch das Land lief und kämpfen konnte wie ein Teufel. Zuerst merkte ich nichts und lies das Wasser über mir zusammenschwappen. Doch als ich den See verließ, stand ich ihm gegenüber. Graue, ehemals kalte Augen, leuchteten mir warm entgegen. Aus dem Augenwinkel sah ich unsere Pferde nebeneinander grasen. Fragend schaute ich mein Gegenüber an. Ich wollte wissen, was er hier suchte, warum er mich nicht endlich in Ruhe lassen konnte. Plötzlich lag ich in seinen Armen und seine Lippen senkten sich auf meine. Verträumt ließ ich mich von ihm küssen und drängte mich noch stärker an seinen muskulösen Körper. Stahlharte Arme umschlossen mich zärtlich und drückten mich noch dichter an seinen Körper. Als ich keine Luft mehr hatte, lehnte ich mich zurück. Ich bog meine Rücken durch, lehnte meinen Kopf nach hinten und schaute ihn direkt in die Augen. Ein weiteres Lächeln kam mir entgegen. Ich hatte ihn noch nie so ausgelassen gesehen und wusste nicht wie ich mit all dem umgehen sollte.
Plötzlich hörte ich weitere Reiter näher kommen und wollte mich aus seiner Umarmung befreien. Einerseits wollte ich bleiben wo ich war, doch andererseits hatte ich Angst, was sie mit mir vorhatten, wie sie reagieren würden, wenn sie mich fassten. Kurz blickte ich mich um und fand meinen Hengst hinter mir. Mit einem Pfiff lockte ich ihn zu mir. Vor dem galoppierenden Pferd zurückweichend, lies mich „Le Diablo“ los und ich rettete mich auf Tornados Rücken. Am Ufer des Sees wartete ich ab, wer noch kommen würde. Ein Soldat nach dem anderen durchbrach das Gebüsch um die Lichtung und schließlich auch der König. Verwirrt schaute ich auf den Mann neben mir herab. Doch dieser stieg gerade auf seine Stute und drehte mir deswegen den Rücken zu.
Als die Soldaten näher kamen, drehte ich meinen Hengst um und preschte davon, dicht gefolgt von Blitz und ihren Besitzer. Als ich ausreichend Abstand zu den Soldaten hatte, hielt ich auf einen Hügel außerhalb des Waldes. Erneut warf ich „Le Diablo“ einen fragenden Blick zu. Dieser hielt seine Stute neben meinen Hengst und schaute mich nur an. Nervös schaute ich mich um, mir war diese Situation nicht geheuer und ich wollte endlich wissen, was nun auf mich zukommen würde. Beruhigend strich er mir über die Wange und drängte Blitz näher an Tornado heran. In der Ferne erspähte ich wieder die Reiter und den König. Die Gruppe hielt am Waldrand und der König ritt mir entgegen. Noch bevor er bei mir angelangt war, wendete ich Tornado erneut und ritt vom Wald weg. Einmal im weiten Bogen umritt ich den mir bekannten Wald und kam zu meinem Elternhaus. Das Dorf in der Nähe war wieder aufgebaut und Kinder tummelten sich auf den Straßen, doch niemand traute sich in die Nähe meines Elternhauses, denn es sollte dort spucken. Diesmal hörte ich niemanden hinter mir reiten. Als ich endlich am Haus ankam, öffnete ich die Tür und schaute mich um. Überall lag Staub, doch das Mobiliar schien noch in Ordnung zu sein. Wenn ich endlich Ruhe und Frieden fand, wollte ich mich hier niederlassen. Doch vorerst musste ich alle Männer hinter mir abhängen.
Ich wollte gerade das Haus verlassen als ein Mann in den Türrahmen trat. Es gab keinen zweiten Eingang, dass wusste ich noch. Außerdem konnte ich aufgrund des momentanen Sonnenstandes nicht erkennten, wem ich gegenüberstand. Als ich das wiehern zweier Pferde erkannte, wusste ich, dass der Mann mir gegenüber kein anderer als „Le Diablo“ war. Schließlich machte er einen schmächtigeren Mann Platz und blockierte danach wieder die Tür. Kurz überlegte ich, ob ich eines der Fenster öffnen und rechtzeitig hindurch kommen könnte oder mich meine Verfolger auch hierbei hindern würden.
Mit ausgestreckten Händen kam mir der König entgegen und ich blieb wie erstarrt stehen. Plötzlich landete ich in seinen Armen und wurde fest gedrückt. Ich spürte seine Tränen an meiner Wange entlanglaufen. Verwundert blieb ich stehen und wusste nicht, wie ich jetzt handeln sollte. Sollte ich mich befreien und wieder fliehen oder warten was der König mit mir vorhatte. Noch als ich überlegte, drückte mich der König etwas nach hinten und sah mich an. Ich bemerkte dabei, dass ich etwas größer als der Herrscher war, doch es störte mich nicht, ich war es gewohnt zu anderen herabzublicken. Nur „Le Diablo“ war deutlich größer als ich. Die meisten Soldaten waren kleiner oder fast gleichgroß wie ich. Einige wenige überragten mich um einige Zentimeter, doch musste ich zu keinen von den Kriegern Aufsehen. Erneut lachte der König auf und schaute mich von oben bis unten an. Ich kam mir wie eine Zuchtstute auf dem Markt vor und verspannte mich. Diese Spannung schien Tornado draußen bemerkt zu haben und er versuchte sich durch die Tür zu drängen. Doch als der Wächter nicht die Tür freigab, legte er seinen Kopf dessen Schulter und schaute herein. Verzweifelt blickte ich meinen Hengst an und hoffte, dass er mich schleunigst von hier fortbringen würde. Doch ich wusste nicht, wie ich hier herauskommen konnte.

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Inzwischen waren die Soldaten auch angekommen und umzingelten das Haus. Neugierige Dorfbewohner versuchten durch den Kreis zu dringen, doch vergebens. Im Gebäude riss ich mich los und stand den beiden Männern wütend gegenüber. Wollten sie mich überlisten oder nur verärgern? Was hatten sie vor und warum strahlten mich beide so an?
„Du wirst „Le Diablo“ ehelichen.“ sprach der König mich plötzlich an. Ich blieb wie eine Salzsäule stehen und rang nach Atem. Ich hatte nichts gegen den Söldner. Im Gegenteil, ich hatte mich in diesen Griesgram verliebt, doch wollte ich keinen Befehl über mein zukünftiges Leben annehmen. Außerdem sollte mich der Mann, den ich heiraten würde genauso lieben wie ich ihn. Zwar glaubte ich, dass ich den Krieger im Türrahmen erregte, doch nicht, dass er mich liebte. Ich, mit Sicherheit, ein erfreulicher Zeitvertreib für ihn, doch nicht mehr.
„Le Diablo“ schien meinen Atemzug missverstanden zu haben und das freudige Strahlen erlosch. Traurig schaute ich über den Kopf des Königs an die Wand und wich den Blicken beider Männer aus. Langsam ging ich rückwärts um Abstand zu gewinnen. Dabei stieß ich an eine Kommode und warf ein Bild um. Ich griff hinter mich und schaute den Bilderrahmen an. Dort waren meine beiden Eltern abgebildet. Beide strahlten um die Wette und meine Mutter war bereits mit mir schwanger. Tränen rollten meine Wangen herab und ich vermisste sie noch stärker als bisher.
Als ich wieder aufsah, stand der König mir direkt gegenüber und nahm mir das Bild ab. Erstarrt blickte er es an. „Also ist es wahr. Du bist meine verschollene Enkelin.“ Erstaunt blickte ich ihn an, wusste er nicht, dass ich dieses Gerücht nur in die Welt gesetzt hatte, um ihn zu befreien und das Land, welches ich so liebte, zu retten. Er blickte mich erneut an und begann zu erzählen: „Meine Tochter lief mit einem Zigeuner davon. Ich wollte damals keinen Nichtadeligen als Schwiegersohn haben, doch am Schluss wäre mir jeder Mann Recht gewesen, wenn sie geblieben wäre. Jedoch war es bereits zu spät. Sie waren gemeinsam durchgebrannt. Ich ließ sie fast 14 Jahre suche, dann brach der Krieg aus und ich musste mich auf mein Land und dessen Bevölkerung konzentrieren. Als ich dann von einer Deserteurin erfuhr, heuerte ich „Le Diablo“ an. Er sollte die junge Frau zur Vernunft bringen. Doch stattdessen lernte er sie besser kennen und lies sie entkommen. Ich orderte ihn an sie zu verfolgen, egal was es kostete und wie lange es dauerte. Sie sollte endlich gefasst werden, um nicht noch weitere Informationen in feindliche Hände zu spielen und unsere Lager aufzumischen. Danach wurde ich gefangen genommen und bangte um mein Land und die Leute. Als du dann dich als meine verschollene Enkelin ausgabst, konnte ich es vorerst nicht glauben. Meintest du es ernst oder nicht. Wenn nicht, warum wolltest du mich dann befreien? Dein Gesicht gab nichts über deine Gedanken preis. Dennoch wollte ich dich so schnell wie möglich wieder befreien. Ich konnte mir bereits denken, was auf dich zukommen würde, wenn du dort länger bleiben solltest. Doch meine Berater liesen sich anfangs nicht davon überzeugen, dass du nun auf unserer Seite stehen solltest. Auch „Le Diablo“ war noch erzürnt, weil er glaubte, dass du ihn hintergangen und seine Gutgläubigkeit ausgenützt hattest. Als ich schließlich alle davon überzeugt hatte, dass du keine Gefahr für uns mehr darstellst, machten wir uns auf den Weg. Bei unserer Ankunft, warst du bereits Ohnmächtig und hingst erschöpft in deinen Fesseln. Die Wächter waren für meine Soldaten und „Le Diablo“ kein Problem. Sie waren schnell überwältigt und stecken nun im Kerker des Schlosses. Nachdem wir dich bereits hatten, brachten wir dich in ein Krankenhaus. Kurz bevor zu flüchtetest, überlegten wir, ob deine Ohnmacht nicht gespielt war. Doch wir waren erneut zu langsam, du warst in der Nacht geflohen. „Le Diablo“ machte sich bereits in dieser Nacht auf die Suche nach dir. Meine Soldaten und ich verfolgten dich am nächsten Tag. Durch einen Zufall trafen wir die Zigeunertruppe aus welcher dein Vater stammt. Sie hatten dich wiedererkannt. Du hast anscheinend das Geschick mit den Tieren von deinem Vater geerbt und die Schönheit deiner Mutter. Durch die Zigeuner erfuhren wir von deinem Elternhaus, welches sie vor deiner Geburt noch besucht hatten und von der alten Legende, welche besagt, dass ein Mädchen geboren wird, klein und zierlich. Dieses Mädchen sollte die Menschheit befreien, von den Dämonen der Nacht. Du hast unser Land, unser Volk befreit als du dich für mich geopfert hast. Du hast das erkaltete Herz von einem Söldner aufgetaut, der dich nun mit jeder Faser seines Herzens, mit Leib und Seele liebt. Du hast nicht nur den Feind besiegt, sondern auch das Leben so vieler Menschen erhellt. Ich bin stolz dein Großvater sein zu dürfen und würde mich freuen, wenn du als Prinzessin an meinen Hof kommen würdest.“

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Staunend und sprachlos schaute ich von einem Mann zum nächsten. Der König war mein Großvater, also war ich eine Prinzessin, die Thronerbin. Mein Leben sollte nun am Hofe stattfinden, doch konnte ich mir das nicht vorstellen. Ich liebte das Landleben, die Natur, das Miteinander mit den Tieren und konnte mir ein Leben am Hofe nicht vorstellen. Ich würde es nicht unbeschadet überleben. Außerdem sollte mich dieser Söldner, der die Tür meines Elternhauses blockierte, lieben. Wirklich lieben. Doch warum sagte er nicht, warum stand er nur im Türrahmen und sprach nicht.
Als ich erneut zu ihm blickte, setzte er endlich zum Reden an. „Wenn du erlaubst, werde ich als deine persönliche Wache an deiner Seite bleiben. Für mich ist das Leben am Hofe, die höfische Etikette zwar kein Leben, doch wenn du dich dafür entscheidest und mich an deiner Seite akzeptieren kannst, werde ich bleiben. Solange wie du mich dort haben willst. Ich hab mich in die Verliebt als ich dich das erste Mal gesehen habe. Damals hab ich nicht glauben wollen, dass ich mich in einen Jüngling verliebt habe. Doch mein Körper schien dich bereits in deiner wahren Gestalt erkannt zu haben. Als ich dann geglaubt habe, dass du mich hintergangen und nur mit mir gespielt hast, war ich wütend. Doch ich war auch verliebt und konnte dich nicht vergessen. Ich versuchte dich einzuholen um mit dir zu sprechen. Eine Lösung für das Durcheinander zu finden, welches du verursacht hast. Damals hätte ich mir noch vorstellen können, dass ich meinen Job hinschmeißen würde um dich zu retten. Ich hätte dich vor allen beschützt, wenn du meine Gefühle erwidert hättest. Doch eine Prinzessin verdient etwas Besseres als mich, keinen griesgrämigen Söldner, der für Geld tötet.“
Nun war ich wirklich platt. Hat dieser Mann seine Liebe zu mir gestanden, hatte ich wirklich seine Worte vernommen. Nach seinem „Es ist wahr.“ konnte ich nicht mehr an mir halten. Ich flog in seine Arme und lies mich von ihm küssen. Stürmisch drängte ich mich an ihn und konnte mein Glück nicht fassen. Der Mann, den ich liebte, liebte mich genauso stark wie ich ihn. Außerdem war nun sicher, dass ich keine Tochter des Teufels oder sonst irgendeine bösartige Kreatur war. Die Dorfbewohner vor acht Jahren lagen falsch, ich sollte Licht und Liebe in das Leben der Menschen bringen, nicht Tod und Verdammnis. So betrachtet, hatte mein Leben einen Sinn. Doch mir war es egal, solange ich den Mann bekommen konnte, den ich liebte.
Mit einem schelmischen Lächeln blickte ich zu ihm auf und blickte anschließend mit dem gleichen Lächeln über meine Schulter zu meinem Großvater. Nachdem ich meinen Kopf an die Schulter meines Liebsten geschmiegt hatte, begann ich nun zu sprechen. „Ich kann mir kein Leben am Hofe vorstellen. Ich bin ein Landmädchen und hab es zur Kriegerin geschafft. Mein Leben findet in der Natur statt und ich wäre fast mit den Zigeunern mitgegangen, hätte ich nicht geglaubt, dass ich die Truppe durch meine Anwesenheit in Gefahr bringen würde.“ Verstehend nickte mir mein Großvater zu. Der König erkannte, dass ich nicht als Prinzessin an seinen Hof kommen würde, doch ich blieb dennoch eine Prinzessin. Langsam wandte ich meinen Kopf wieder um und sprach weiter, „Außerdem werde ich niemanden heiraten, denn ich nicht liebe. Der Befehl des Königs ist mir in dieser Hinsicht völlig egal, auch wenn der König mein Großvater ist, so ist es meine Entscheidung, wenn ich heiraten werde und wenn nicht. Für mich gehört wahre, aufrichtige Liebe zu einem glücklichen Eheleben und ein Gehorsam aufgrund irgendeines Befehls.“ Die vorher glücklich strahlenden silbernen Augen verloren wieder ihren Glanz, doch ich konnte nicht aufhören zu Lächeln. „Außerdem sollte ein gewisser, geliebter Mann mir endlich einen Heiratsantrag machen, wenn er es schon geschafft hat, mir seine Liebe zu gestehen oder soll ich vor Wut noch explodieren.“
Schon landete ich wieder in einer heißen Umarmung und musste nach einen zärtlichen Kuss nach Luft ringen. Ich fand es ungerecht, dass er mehr Atem hatte als ich. Gerade als ich spürte wie er auf die Knie fallen wollte, sprach ich weiter, „Doch vorher will ich endlich wissen wie du heißt.“ „Chris McKenzie, und du?“ „Kyra.“ „Und weiter?“ „Mal sehen. Kommt auf die folgenden Ereignisse an.“ Plötzlich lachten beide Männer auf und einer fiel nun endlich vor mir in die Knie. Ein stolzer Krieger machte mir den langersehnten Heiratsantrag, welchen ich strahlend annahm.

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Nach unserer Hochzeit lebten wir in meine Elternhaus und renovierten alles. Wir brauchten kein Geld von meinen Großvater, obwohl dieser uns sicherlich gerne finanziell unterstützt hätte. Chris hatte sich im Laufe der Jahre ein erhebliches Vermögen verdient, welches ich großzügig in unser Haus steckte. Einmal fragte er mich, ob ich mit dem Nestbau endlich fertig wäre. Doch ich hatte noch ein Zimmer in Planung, dieses würde er vorerst nicht zu Gesicht bekommen.
Im Winter zogen wir für zwei, drei Monate ins Schloss und wärmten uns am Kamin, den Rest des Jahres verbrachten wir am Land. Gingen schwimmen und jagen, ritten gemeinsam um die Wette oder legten uns einfach an die Lichtung. Manchmal sprang ich noch vom Wasserfall und ängste dadurch immer wieder meinen Ehemann. Dieser bemutterte mich und steckte mich beim kleinsten Kratzer ins Bett.
Als ich merkte, dass ich schwanger war, lies ich es lächelnd über mich ergehen, doch zuvor protestierte ich ständig. Nachdem ich mit meinen Protesten aufhörte, glaube Chris, dass ich ernsthaft krank war. Doch ich lächelte nur und wartete bis er auf die Jagd ging. Während dieser Zeit richtete ich im letzten Raum ein Kinderzimmer ein. Nachdem ich nach fast zwei Wochen fertig war, überlies ich mich vollständig der Fürsorge meines Geliebten. Einmal stöhnte ich absichtlich als er nach Hause kam und bekam ein Monat Bettruhe verschrieben. Als sich Chris an mein Bett setzte, klopfte ich nur an die Kante und wartete, dass er sich zu mir ins Bett begab. Schnell überrumpelte ich ihn, so dass er sich neben mir aufstützen musste, dass er mich nicht völlig unter sich begrub. Ängstlich schaute er auf mich herab, doch seine Liebe zu mir strahlte weiterhin aus seinen Augen. Lachend blickte ich Freude strahlend zu ihm empor. „Weist du, ich glaub ich bin noch so zirka acht Monate krankt, sofern man meinen jetzigen Zustand als Krankheit abtun kann.“ Fast fünf Minuten brauchte Chris um meine Worte zu verstehen, erst dann bekam ich meinen langersehnten Kuss. Obwohl er nun wusste, dass ich nicht krank war, konnte ich eine Woche lang unser Bett nicht verlassen. Zuerst wollte er zwar noch wissen, ab welchen Zeitpunkt er dem Kind schaden konnte. Doch sobald ich ihn beruhigt hatte, blieb mir kaum noch genug Luft zum Atmen, so sehr hielt er mich auf Trab. Mein Essen bekam ich weiterhin ans Bett serviert und mein persönlicher Bodyguard und Krankenpfleger verlies fast nie das Bett.
Erst nach einer Woche schaffte ich es, endlich wieder zum Alltag zurückzukehren, doch die Nächte gehörten uns weiterhin. Während ich die vernachlässigte Hausarbeit übernahm, informierte Chris meinen Großvater, der sofort losfuhr als er die Nachricht erhalten hatte. Er blieb ein Monat bei uns am Land und erholte sich vom Stress am Hofe während beide Männer meinen wachsenden Bauch beobachteten. Nach seinem langen Besuch, kam er nun regelmäßig zu uns aufs Land und verfolgte meine Schwangerschaft. Die Bevölkerung wurde nun langsam auf eine schwangere Prinzessin vorbereitet und jeder freute sich über diese frohe Botschaft.
Nach einer schwierigen Geburt hörte ich nicht mehr auf zu strahlen. Ich hatte eine zauberhafte Tochter, eine mich liebenden Geliebten und einen fürsorglichen Großvater. Niemand nannte mich mehr Tochter der Finsternis, Hexe oder so ähnlich. Ich war die erklärte Prinzessin, doch blieb ich ein Landmädchen. Außerdem nahm ich mir vor mit meiner Tochter und Chris einige Zeit mit den Zigeunern zu ziehen. Doch erst wenn unsere Kleine größer war, damit sie auch alles richtig mitbekommen konnte.

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Tag der Veröffentlichung: 25.06.2010

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