Skizzen zu Personen, Orten...:
Farruh
PROLOG
Tief dunkles Rot, unbeschreiblich helles Gelb und ein wunderschön leuchtender Sternehimmel. Die Abenddämmerung blies eine angenehme Brise über den See und lies ihn kleine Wellen schlagen, die leise plätschernd vor der kleinen Holzbank auf dem Sand zerstoben. Ich grub meine Zehen tiefer in den kühlen Sand. Lauschte dem Rascheln der Kiefern und seufzte leise. In der Ferne konnte ich Berge ausmachen, deren Gipfeln auch im Spätsommer noch mit Schnee bedeckt waren. Keine einzige Wolke versperrte den Blick auf den immer dunkler werdenden Abendhimmel. Ohne große Mühe konnte ich das Sternbild des Himmelsführers ausmachen. Jellowenkar, der Uralpha von uns Farruhs. Vor langer, langer Zeit schon aus dieser Welt geschieden. So viel hatte sich seitdem geändert. So viel mehr Leid und so wenig mehr Freude. Eine Insel im Zeichen des Krieges. Doch in diesem Augenblick war ich einfach nur glücklich. Keine Verantwortung mehr auf meinen Schultern, zumindest für diesen Augenblick. Keine Wut und keine Wunden, ob körperlich oder seelisch. An diesem Abend war ich einfach nur ich. Zwar war ich gerade ein Mensch, doch das änderte sich nicht an der Tatsache dass ich gerade Frieden mit der Welt um mich herum schloss. Diesen Abend schloss ich in meinem Herzen ein. Ganz tief und gut versteckt hinter den Bergen aus Hass und Angst. Der Mond spiegelte sich auf dem dunklen Wasser und ich verlor mich eine Zeitlang in dem Spiel aus Wellen und Licht.
„Woran denkst du gerade?“, seine dunkle, so schmerzlich vertraute Stimme holte mich in die Wirklichkeit zurück. Ich schwieg eine Zeitlang. Ich musste an ihn denken. Seine Vergangenheit und sein Leben. Wie viel schwerer ihn das Leben doch bestraft hatte als mich. Ich selbst fühlte mich wegen meines Schicksals nicht wie ein Farruh, ich hatte unsere Lebenseinstellung nicht verinnerlicht. Ich konnte nicht nach unserer Natur handeln. Ich war immer ein wenig mehr anders behandelt worden, deswegen hatte ich meinen inneren Frieden nicht finden können. Meine Gefühle rasten und brodelten wie die Wasserfälle in der Apakaly-Schlucht. Nein, ich war zwar ein Farruh doch nur äußerlich, innerlich glich ich einem Menschen. Solange er noch nicht in meinem Leben gewesen war, solange hatte mich dieses Gewissen an das Ende meiner Kräfte geführt. Jeden Tag hatte ich damit zu kämpfen gehabt. Jeden Tag, bis zu jenem, als er aus dem weißen Schiff gestiegen war. Ich hob den Blick und sprach die Worte aus, die mir so furchtbare Angst einjagten und die Gefühle, die ich mir nie zugestehen hatte wollen; „Auf der ganzen Erde, auf der ganzen Welt, in dem ganzen verdammten Universum wird es so jemanden wie dich, nie, nie, nie wieder geben. Niemals. Es wird niemals wieder jemand so perfektes und so einzigartiges leben. Nie. Du bist der Einzige, den es gibt. Der Einzige so wundervolle, der Einzige so unvergessliche. Es wird niemals wieder so jemanden wie dich geben. Es wird niemals wieder so jemanden geben, den ich so unvorstellbar und so einzigartig und so unglaublich endlos lieben werde wie dich.“
Ich hatte auf den See geblickt, voller Angst mich umzudrehen und in seinen glatten Augen jene Gefühle zu sehen, die ich erwartet hatte. Jene Gefühle die er mir bei unserer ersten Begegnung entgegengebracht hatte. Ich holte tief Luft. „Ich will dich. Und ich will dich nicht verlieren. Ich will dich nie verlieren. Es gibt nur dich, den ich wahrhaftig liebe.“
Ich sah nach einer Weile hoch. Sein großer Körper lehnte entspannt an der großen rauen Kiefer. Seine Arme hatte er hinten auf die Bank gestützt. Seine Augen sahen in die Ferne. Doch sein Blick war nach innen gerichtet. Ein leichter Windstoß wehte seine langen Haare vor sein altersloses Gesicht. Seine langen weißen Haare mit den eisblauen Strähnen.
KAPITEL 1- Ajugar
Der Regen tropfte unaufhörlich die nackten Felswände hinunter. Kalt und feucht war es in dieser Nacht, die sich kaum von den anderen Nächten unterschied. Außer dass es in dieser Nacht mehr Wasser gab. Jeder der sich noch halbwegs bewegen konnte saß an den Wänden und leckte die muffigen Tropfen ab. Ein Wassertropfen mehr, bedeutete ein Augenblick Leben mehr, ein Augenblick Schmerz mehr, ein Augenblick Trauer mehr. Doch immerhin einen Augenblick Leben mehr. So leicht konnte man den Überlebenswillen eines Farruhs nicht brechen. Überall in der Dunkelheit hörte man das Klirren der Eisenketten und das monotone Keuchen der Verletzten. Die Luft war erfüllt vom Gestank unzähliger Sklaven. Fauliges Blut, Eiter, Schweiß, Kot, verwesendes Fleisch, nasses Hundefell und dazu der durchdringende Geruch von Tod und Schmerz. Das ist mein Zuhause. Dort bin ich aufgewachsen. Meine Mutter ist wohl bei der Geburt gestorben und mein Vater könnte jeder sein. Die Wachen, unser Herr, die anderen Sklaven und Gefangenen. Das war mir aber inzwischen längst gelichgültig geworden. Ich rückte ein wenig näher an Emsy heran. Ihr Fell war klebrig von Blut und nass von den Regentropfen. Sie zitterte am ganzen Leib und hatte nicht einmal mehr die Kraft sich aufzurichten. Ein Farruh flößte ihr ein paar Tropfen Wasser ein. Am Geruch erkannte ich dass es Quisnok war. Quisnok Stammeshüter, gerade der älteste Farruh in unserer Zelle. Sein Leben betrug erstaunliche neunhundertachtundsiebzig Sommer und Winter. Da die Lebenserwartung als nicht in Gefangenschaft geborener Sklave des Tyrannen gerade einmal 4 Sommer und Winter betrug, war Quisnok eine Ausnahme. Man hatte ihn gefangen und vor guten 10 Sommern und Wintern erst in die Zelle gesteckt. Die Wächter behandelten ihn einigermaßen respektvoll und ab und an wurde er aus der Zelle geholt. Dann kam er völlig erschöpft wieder und erzählte dennoch keinem etwas davon, was mit ihm passiert war. Aber das Eigenartigste, das uns aufgefallen war, war das er trotzdem keine neuen äußerlichen Verletzungen hatte. Wir behandelten ihn als unseren Rudelsführer. In unserer Zellen waren 41 Farruhs untergebracht. Angekettet und in völliger Dunkelheit verbrachten wir die meiste Zeit unseres Lebens. Im Gegensatz zu unseren in Freiheit lebenden Artgenossen beherrschten wir den Farruhs eigentlich angeborenes Verhalten nicht. Wir waren nicht eins mit der Natur, wir beherrschten das Jagen nicht, wir hatten keinen Stolz. Das schlimmste, berichtete uns Quisnok eines Tages, war, dass wir die Geistessprache nicht beherrschten und uns nicht in Menschen verwandeln konnten. Er zeigte uns daraufhin die Geistessprache. Frei lebende Farruhs unterhalten sich durch ihre Gedanken. Sie reden im Geiste miteinander und können auch ihre Gefühle teilen. Außerdem können sie sich in Menschen verwandeln wenn es angebracht wäre. Doch da Farruhs tief verborgen in einem großen wilden Wald leben würden, hätten sie kaum Kontakt zu den wirklichen Menschen. Für uns war das alles zwar fremd, doch waren während unseres Lebens schon etliche ehemalige freie Farruhs, wie wir sie nannten, bei uns gewesen und hatte von dem unvorstellbaren Frieden der Farruhs mit sich und der Natur erzählt. Sie selbst wirkten irgendwie anders, frischer, lebendiger und kraftvoller. Doch sie lebten nicht lange, die Unterdrückung und das Unterwerfen des freien Willens hatten sie getötet. Als ich zum ersten Mal von einem freien Farruh von dieser völlig anderen Welt erzählen hörte, dachte ich er wäre verrückt geworden, wie dieser Sklavenmensch, der sich eines Tages, zwei Zellen weiter, bei lebendigem Leibe die Haut heruntergezogen und aufgefressen hatte. Diese Welt existierte doch gar nicht. Konnte nicht existieren. Zumindest hatte ich noch nie etwas Derartiges gesehen. Keine großen Wälder und keine freie Farruhs ohne Eisenketten und auch sonst nichts, was auch nur annähernd an ungebundene und freiere Lebensumstände erinnert hätte. Doch als immer mal wieder freie Farruhs auftauchten und davon erzählten, schien es doch nicht so fern von der Wirklichkeit. Aber trotzdem war es nur ein unerfülltes Wunschdenken. Mittlerweile zählte ich an die vierzehn Sommer und Winter. Mehr als 15 Sommer und Winter überlebte selbst ein in Gefangenschaft geborener Farruh nicht. Ich leckte Emsy kurz über das Fell und ließ sie in der Obhut Quisnok zurück. Zwar musste jeder selbst schauen wie er am besten überleben konnte, dennoch galt in dieser Zelle, das Überleben des Einzelnen versichert das Überleben aller. Wenn mehr arbeiteten war die Arbeit schneller und vor allem leichter beendet, als dass ein Einziger die Arbeit von fünfen übernahm. Emsy zählte schon an die zehn Sommer und Winter und war generell sehr schmächtig. Sie würde den nächsten Winter nicht überleben. So traurig es auch war, so unvermeidbar war es. Viele waren schon im Laufe meines kurzen Lebens gestorben, so dass ich keinen überflüssigen Tropfen Wasser mehr dafür verschwendete. Ich horchte noch lange auf das Tropfen und Klirren in den Zellen, bis meine Augen zufielen und ich in den wohlbekannten Wachtraum verfiel. Seit meinem dritten Sommer schlief ich nicht mehr, es war gefährlich zu einzuschlafen. Man verpasste unter anderem das Essen und den Morgenappell, weil man zu erschöpft war, um aufzuwachen, deswegen hatten wir uns angewöhnt in einer Art Dämmerungszustand die Nacht zu verbringen. Denn wenn man dies verpasste, gab es weit schlimmere Bestrafungen als Schläge und Prügel. Mitten in meinem Wachtraum schreckte ich auf. Das bekannte Schlurfen der Wächter war nicht der Grund was mich dazu veranlasste die Augen aufzuschlagen. Es war eher der unübliche Geruch und Geräusche die sie begleiteten. Ein Raunen, ein Flüstern, fast schon ein Zischen. Dazu ein fast blumiger Duft, der völlig fehl am Platz schien. Ich spürte ein Regen um mich herum. Die anderen hatten die Veränderung auch gespürt. Gespannt saß ich da und starrte angestrengt mit meinen übermüdeten Augen in die Richtung, in der ich die Wächter vermutete. Erste Lichtfetzten tauchten in der Nacht auf. Die Wächter kamen mit ihren Fackeln. Wegen dem ungewohnten Licht kniff ich meine Augen zusammen. Sie passierten unsere Zelle, wobei wir einen kurzen Blick auf eine Gestalt zwischen ihnen erhaschten. Merkwürdig schleierhaft erschien sie mir. Fast durchsichtig. Solch eine Gestalt hatte ich hier unten noch nie gesehen. Als sie fast vorbei waren, blickte sich die Gestalt um. Mitten in unsere Zelle hinein. Wir wagten es nicht uns zu bewegen. Seine Augen waren schwarz, ohne Pupille. Sein restlicher Körper in schmutziges weiß gehüllt. Angst bereitete sich in mir aus. Ich blickte auf den Boden bis sich die Geräusche verloren. „Quisnok, was war das?“, fragte ich zögerlich in die darauffolgende Dunkelheit. Dieser brummte kurz und man hörte seine Kette über den Boden schleifen als er sich in Richtung Zellentür drehte. „Das weiß ich nicht. Manch einer sagt, es wäre ein Geist der Elemente. Sie sind unsterblich. Mächtige Magier können sich ihrer bemächtigen und somit auch die Elemente bezwingen. Aber heutzutage gibt es keine Magier mehr. Nur ihre Geister leben noch und verbreiten Angst und Schrecken. Andere sagen, es wäre ein Wesen aus einem der unerreichbaren Länder. Sie könnten fliegen und würden die Kunst der Täuschung beherrschen. Also, wie ihr seht; lauter Humbug. Vielleicht ist es auch nur ein Mensch mit einer tödlichen Krankheit. Haltet euch lieber fern davon.“ Er legte sich wieder hin und sagte nichts mehr. Das Thema war damit beendet. Wenn unser Rudelführer nichts mehr dazu zu sagen hatte, war die Sache es nicht wert weiter darüber nach zu grübeln. Ich gab mich damit zufrieden und legte mich ebenfalls hin. Das ungute Gefühl der Angst ebbte ab und langsam döste ich wieder ein.
Das altbekannte Tönen des großen Gongs ließ mich aus meinem Dämmerzustand erwachen. Ich spürte, wie sich die anderen ebenfalls rührten. Keiner sagte auch nur ein Wort. Schweigend warteten wir wie jeden Tag auf die Wächter. Sie kamen mit ihren Fackeln und prügelten jeden aus der Zelle der nicht schnell genug auf die Beine kam. Ich nahm meinen Platz vor Emsy in der Schlange ein. Langsam und von der Kette behindert trotteten wir den großen Eisentoren entgegen. Ein Zischen und ein dumpfer Schmerz auf meinem Rücken erinnerten mich daran, den Kopf zu senken. Greller Sonnenschein und trockene Luft schlug uns entgegen als wir nach draußen traten. Jeder wurde von der langen Eisenkette und Augenblicke später, mit Schlägen an ein längeres Seil gebunden. Mit einem lauten Peitschenknall setze ich mich mit den anderen in Bewegung. Langsam aber stetig bewegten wir den übergroßen Sandstein in Richtung des großen Platzes, auf dem ein neues Bauwerk errichtet wurde. Alle Sklaven unseres Zellenblockes wurden zu diesem Zweck gebraucht. Seit acht Sommern und Wintern arbeitete ich schon für diese Halle. Sie hatte schon jetzt unvorstellbare Ausmaße. Ich konnte ihr Ende schon gar nicht mehr ausmachen. Mittlerweile besaß es schon drei Ebenen. Unter stetigen Prügeln und Schlägen schleiften wir den Stein den nie endend wollenden Pfad entlang. Die Wächter und Krieger ritten auf ihren breiten Streitrossen um uns überlegener zu sein, doch dennoch reichten die größten unter den Farruhs bis zu den Schultern der Reiter. Was uns aber nie angestachelt hätte uns gegen unsere Herren aufzulehnen. Sie hatten schon ihre Methoden die Herrscharen der Sklaven unter Kontrolle zu halten. Uns Farruhs, hatten sie zum Beispiel schwere Geschirre aus Eisen und Blei umgelegt. Nach einer Weile gewöhnte man sich an sie, doch sie zerrissen die Haut und an den aufgeriebenen Stellen wuchs auch das Fell nicht mehr nach. Vor allem hatte sie es auf unsere Rückenmähne abgesehen. Sie nahmen es für ihre Rüstungen als Schmuck und machten daraus unter anderem Seile und Schnüre. Qusinok hatte uns erzählt, das freie Farruhs nur dann jemanden zu ihrem Volk zählten, wenn derjenige eine Rückenmähne besaß, die doppelt so groß wie er selbst war. Demnach zählte hier wohl kein Einziger zum Volk der Farruhs. Es kümmerte uns aber ehrlich gesagt auch nicht viel. Wir hatten keinen Kontakt zu den freien Farruhs, falls es sie denn gäbe, und wenn dann würde uns das auch nicht sehr interessieren. Wir konnten unser Leben nicht ändern. Wir lebten schon immer als Sklaven.
Tag der Veröffentlichung: 03.06.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch ist an alle diejenigen gewidmet, die so wie ich oft Zuflucht in ihrer Fantasiewelt suchen... Eine andere Welt, andere Persönlichkeiten nach eigenen Maßstäben... Eine Traumwelt, in der alles nach den eigenen Regeln passiert.