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Elef und Philia

Als ich ein Kind war, lebte ich in einem Haus.

Dort war es warm, ich bekam zu essen, es schützte mich – eigentlich war alles perfekt, kein Wunsch blieb offen.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich es bereits mein ganzes Leben gemacht hatte. Saß ich mit drei Jahren schon auf dem Fensterbrett und blickte in das Freie? Hatte ich schon damals den Wunsch, dort draußen zu sein, anstatt im Schutze des Hauses? Oder kam es plötzlich, von einem Tag auf den anderen?

Ich weiß es nicht.

Stets faszinierte mich die Welt, die sich außerhalb meiner gemütlichen Unterkunft befand. Stundenlang betrachtete ich sie, lechzte danach, sie zu betreten, sie kennenzulernen. Sie hatte eine unglaubliche Anziehungskraft auf mich. Die flüsternden Bäume wirkten lebendiger als der stumme Boden aus Holz. Der Wind und der Regen im Freien wirkten erfrischender als das lodernde Kaminfeuer innerhalb der beklemmenden Wände. Und die Vögel flogen um so vieles höher als sich das schmale Dach in den Himmel reckte.

 

Also ging ich hinaus.

 

Zuerst wagte ich mich nicht weit weg; ich blieb innerhalb der Lichtung, ich traute mich einige Schritte in den Wald. Ich liebte es. Das Gras unter meinen Füßen und die eisige Luft, die mich weckte.

 

Also ging ich weiter.

 

Ich ging weiter weg, folgte zuerst Wegen aus Erde, die mich durch die dicht angeordneten Baumstämme führten. Irgendwann hatte ich keine Angst mehr, von ihnen abzuweichen. Die unberührte Natur war beeindruckend. Ich verlor mich stunden-, ja, teilweise sogar tagelang in ihr. Bald war der Wald zu wenig für mich und ich wagte mich in die Berge vor. In diese unglaublichen Berge, die in den verschiedensten Farben leuchteten und bis in die Wolken reichten.

 

Irgendwann kehrte ich nicht mehr zurück.

 

Eines Tages packte ich alles, das mir wichtig war. Nein, das wäre falsch ausgedrückt – ich packte alles, das wichtig war. Ein wenig Verpflegung, falls ich nichts zu essen finden sollte. Warme Kleidung, um mich vor der Kälte zu schützen. Flaschen, in denen ich genügend Wasser für mehrere Tage transportieren konnte.

Es war unglaublich, in der Wildnis zu leben. Zum ersten Mal fühlte ich mich wirklich frei; mir gehörte jeder noch so kleine Winkel dieser Welt. Ich erkundete so viel mir möglich war, erklomm steile Bergwände und sonnte mich an Seen. Ich durchforstete Urwälder und durchquerte Wüsten.

Ja, die Welt war in Wirklichkeit klein. Und ich liebte sie. Und ich liebte es, sie zu erkunden.

Sie alleine zu genießen, vollkommen frei in ihr zu sein.

 

Manchmal sah ich Häuser. Einige waren klein, andere wiederum pompöse Villen.

Wenn ich besonders müde war oder das Wetter besonders kalt, verbrachte ich eine Nacht in einem dieser Häuser. Es beschützte mich, wie in meiner Kindheit, doch die gleiche Wärme wie einst schenkte es mir nicht. Nicht, dass ich diese Wärme gebraucht oder gewollt hätte.

In solchen Nächten dachte ich daran, wie es wäre, mein Leben wieder in einem Haus zu verbringen. Ich lag im Bett und dachte mir, dass es anders ist. Dass ich weniger Freiheit besäße, aber es auch seine Vorzüge hätte.

Jeden Morgen, wenn die Sonne mich wachkitzelte, musste ich über mich selbst schmunzeln. Wie albern es doch war. Damals war ich mir sicher, dass ich für ein Leben in der Freiheit – allein und wandernd – bestimmt war.

Nun weiß ich nichts mehr.

 

Einmal, nicht so lange ist es her, stoß ich in Gefilde vor, die ich bis dahin nicht gekannt hatte. Die Natur umfing mich, wie sie es einst in den ersten Tagen der Freiheit getan hatte. Sie war neu; sie war einzigartig. Und ich wusste in diesem Moment, dass ich hier länger verweilen würde.

Ich streifte umher und erkundete meine neue Heimat auf Zeit. Und dann sah ich sie.

Eine Hütte. Aus dunklem Holz errichtet, die Fenster glühten orangerot in der Dunkelheit der Nacht. Mein Herz setzte einmal, zweimal aus. Ich glaube, meine Augen glühten erregt, als ich sie das erste Mal betrachtete. Ihre Anziehungskraft war mir schleierhaft; ich begriff sie nicht, konnte sie nicht verstehen. Gleichzeitig ergriff mich eine Begierde, die ich bis dorthin nicht gekannt hatte.

Die nächsten Tage hielt ich mich ständig in ihrer Nähe auf. Ich konnte nur an sie denken, wollte sie betreten. Doch gleichzeitig hatte ich Angst davor, ihr zu nahe zu kommen. Ich wagte es nicht einmal, sie längere Zeit zu beobachten.

Ich war nervös.

 

Schließlich dachte ich mir, dass diese Quasi-Besessenheit doch ziemlich … dumm war. Daher entfernte ich mich von dem Haus und der Umgebung. Wenn ich etwas Neues entdecken würde, dann würde ich diese Hütte vergessen. Da war ich mir sicher.

 

Doch es kam, wie es kommen musste: Die Sehnsucht nach etwas, das ich eigentlich gar nicht kannte, zerfraß mich.

Ich eilte zurück. Und dieses Mal zögerte ich nicht, die Hütte zu betreten.

Und sie stahl mir den Atem. Sie bestand aus einem Zimmer, offen hin bis zur Dachspitze, alles aus Holz. Ein Bett, ein Tisch mit Bänken, ein Kamin. Sie war perfekt.

Und da verließ ich die Hütte nicht mehr. Noch nie zuvor hatte ich mich irgendwo so wohl gefühlt. Das Bett war so gemütlich, das Kaminfeuer wärmte alle meine Glieder und das Essen, das mir von ihr gegeben wurde, füllte und versuchte mich wie keines zuvor.

Gleich zu anfangs flüsterte mir die Hütte zart zu, dass ich hier nicht ewig bleiben konnte. Dass sie eigentlich jemand Anderem gehöre.

Aufgrund dieses Wissens versuchte ich mit aller Kraft, mich nicht an sie zu gewöhnen. Ich versuchte, die Gemütlichkeit nicht zu sehr zu genießen.

Eines Nachts erwachte ich, weil durch die Decke des Betts die Kälte drang.

Die Tür der Hütte stand weit offen, der Kamin schwieg still, der erbarmungslose, winterliche Wind trieb den Schnee bis zu mir. Ich zitterte.

Und da wusste ich, dass  es Zeit war, zu gehen.

Ich zog meine dicke Jacke an und wagte mich, mit einem Blick zurück, ins Freie.

Und ich hasste es, draußen zu sein.

Tränen stiegen mir in die Augen, als ich an meine Hütte dachte. Noch nie fühlte ich mich so verloren, draußen, im Freien. In der Welt, von der ich dachte, dass sie meine sei.

Nun bin ich hier, in einem dichten Wald. Er sieht dem sehr ähnlich, in dem alles begann. Umgeben von Rehen und Eichhörnchen fühle ich mich so alleine, dass mein Herz schmerzt. Ich bin weit weg von meiner Hütte, die ich so lieb gewonnen hatte, die ich noch immer sehr vermisse. Und ich stehe hier im Wintersturm, zähneklappernd, und habe keinen Schutz. Ich erfriere.

Dabei hätte der Frühling doch schon so lange wieder beginnen sollen?

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.03.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme diese Geschichte einem hässlichen, leidenschaftlichen Frühlingstag in Argenentinien.

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