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Leseprobe

 Bastian Richter



Hercule Le Rat

Leben mit meiner Ratte


Teil 1 und 2

Copyright © Bastian Richter 2019/2020

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Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Sämtliche Figuren dieses Buches sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit Plüschtieren, Lebenden und Verstorbenen sind deshalb rein zufällig und nicht beabsichtigt. Alle beteiligten Plüschratten wurden artgerecht gehalten.

Zeichnungen: René Richter - Titelcollage: Bastian Richter 


 Zeichnung: René Richter

Der Champagner ist schal

Sie saßen abends auf dem Sofa vor dem Fernseher. Was eigentlich keiner besonderen Erwähnung bedurfte, weil sie das beinahe jeden Abend taten: Ein beinahe erwachsener 29-jähriger Berliner Junggeselle und seine in diesem Moment leicht überfressene Plüschratte, wie so viele in Berlin.

“Der Champagner ist schal!”

“Der Champagner ist schaaaal!”, äffte Bastian Hercule nach: “Für eine Ratte hast du einen sehr ausgesuchten Geschmack. Vor nicht allzu langer Zeit hast du mir noch von den Vorzügen lauwarmer und ausgeperlter Champagnerreste auf den Müllhalden von Paris vorgeschwärmt!”

Hercule streckte ungerührt fordernd seine Pfote mit der leeren Champagnerflöte in Bastians Richtung: “So als würden Franzosen halbvolle Champagnerflaschen wegwerfen. Der Champagner wird nicht frischer, wenn du mich warten lässt. Hol schnell eine Neue!”

“Der ist nicht schal, Hercule, das ist Prosecco, vom Aldi. Aus der Gegend um Italien. Den habe ich in die Champagnerflasche umgefüllt. Wir können nicht jeden Abend Champagner trinken!”

“Prosecco?! Und billig?! Den hast du mir untergeschoben?!” Hercule fuhr sich theatralisch mit der Pfote an die Stirn. “Das Leben ist zu kurz für billigen Champagner! Und ich werde hier sogar mit Prosecco abgespeist! Und wer sagt, dass wir nicht jeden Abend Champagner trinken können? Wer?”

“Da wäre zum Beispiel meine Bank.”  Insgeheim genoss Bastian Hercules kleinen Wutanfall. “Und im Übrigen wundert es mich, dass du nach vier Portionen Lasagne beim Sekt überhaupt noch einen Unterschied schmeckst.”

“Viereinhalb. Da war noch der Rest, den du für morgen in den Kühlschrank gestellt hattest. Aber lenk nicht ab: Was hat deine Bank gegen einen guten Qualitätschampagner?”

“Mathematisch fundierte Argumente zum Beispiel. Die Dame von der Kreditkartenfirma hat nur heiser gelacht, als ich um eine Erhöhung meines Kreditrahmens gebeten habe.” Hercule setzte sich gerade auf und sagte mit strengem Blick in Richtung Bastian: “Dann solltest du die wechseln, die Kreditkartenfirma! Wir brauchen eine Bank, die unseren Lebensstil voll und ganz unterstützt!”

“Ich brauche in erster Linie eine Bank, die mich trotz deines Lebensstils noch unterstützt, meine allerliebste Ratte! Und dieser Prosecco ist die einzige Alternative zu Wein aus dem TetraPak, die meine Bank und ich dir heute noch kredenzen werden.”

“Ich kann nicht glauben, dass ich ausgerechnet bei dir eingezogen bin!”, rief die Ratte die Augen gen Himmel gerichtet. “Es war deine Entscheidung.”, erwiderte Bastian liebevoll grinsend. 

Hercule stöhnte laut: “Wie retten wir jetzt diesen verkorksten Abend?” Bastian schmunzelte: “Ich finde ihn eigentlich noch immer recht amüsant.” “Wir sollten uns lieber überlegen, wie du eine Arbeit findest, die uns einen angemessenen Lebensstil ermöglicht. Was ist eigentlich mit deinem Studium? Machst du das immer noch?”

“Du weißt sehr wohl, dass ich das immer noch mache, Hercule, zusätzlich zu meiner Arbeit am Computer.” “Dieser Bill Gates war irgendwie erfolgreicher damit.” “Du findest immer wieder so schöne und aufbauende Worte!”, erwiderte Bastian kichernd.

“Jetzt mal ehrlich, Bastian, als du mit diesem Webdesign angefangen hast, da war das noch irgendwie cool und neu. Jetzt ist es eher ein unterbezahlter Studentenjob, sowohl vom Status als auch von der Bezahlung her.” “Schmeicheleien bringen dich auch nicht weiter. Der Prosecco ist alles, was heute auf den Tisch kommt!”


Für einen Moment gab Bastian sich seinem Lieblings-Tagtraum hin und überlegte, wie er die Ratte gewinnbringend kleine Kunststückchen in der Einkaufspassage um die Ecke machen lassen könnte. Als sprechende Ratte würde Hercule dort sicher für viel Aufmerksamkeit sorgen. Wobei den meisten Passanten vermutlich entgehen würde, dass es das wahre Kunststück ist, ihn wieder zum Schweigen zu bringen.

“Nein, ich werde nicht durch einen brennenden Reifen springen!”, sagte Hercule unvermittelt und riss Bastian jäh aus seinen Träumen. “Woher weißt du…?” “...ich kenne dieses Gesicht! Dieses selige Grinsen hast du nur drauf, wenn du daran denkst, mich auf eBay zu versteigern oder vor den Neukölln-Arkaden Purzelbäume machen zu lassen. Und die Antwort auf beides ist: Nein!”

Bastian fühlte sich ertappt und sah betreten zu Boden: “Wie…” “...retten wir jetzt diesen verkorksten Abend?” , fiel ihm Hercule ins Wort. “Nein, aber danke, dass du mich hast ausreden lassen, Hercule!” “Bitte sehr!”, antwortete Hercule ungerührt. Und etwas ungehaltener: “Was jetzt? Wie?”

“Nichts.”, zuckte Bastian mit den Achseln. “Zickst du jetzt wieder?”, fragte die Ratte und piekste Bastian in den lasagnegefüllten Bauch. “Ich zicke nicht. Niemals!”, widersprach der: “Aber…” “Also doch! Du zickst!”

Gewinnmonopol

Bastian wirbelte die Würfel ungehalten über das Spielfeld: “Es macht einfach keinen Spaß, mit dir Monopoly zu spielen!” “Stör mich nicht schon wieder beim Geld zählen!”, erwiderte Hercule leicht genervt. Und legte nonchalant die fünf handgemalten 100.000-Euro-Scheine, die er hinter sein Ohr geklemmt hatte, auf den großen Haufen Scheine auf seiner Seite des Küchentisches. 

“Du schummelst, Hercule! Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht erlaubt ist, ein Fünfsternehotel auf die Mülldeponie Nord zu bauen.” “Sogar mit Ayurveda-Spa und allem drum und dran.”, grinste die Ratte frech zurück: “Du schuldest mir übrigens noch Kost, Logis und eine Ganzkörpermassage für deinen letzten Aufenthalt!”

“Das ist Wucher! 5.000 Euro für eine Übernachtung. Und die Massage, die du mir in Rechnung gestellt hast, hatte ich gar nicht!” “C’est inclus, die ist gratis mit inbegriffen.”, schmunzelte Hercule: “Ein Service des Hauses ‘Luxury Dream Palace Beach & Spa’ an der Norddeponie. Und es sind 10.000 Euro, weil ich alle 4 Mülldeponien besitze!”

“Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die Mülldeponien im Originalspiel Bahnhöfe sind und dass diese nicht automatisch bei Spielbeginn der Ratte zugeteilt werden!” “Jetzt werd nicht albern, Bastian, wer fährt denn heutzutage noch Bahn? Die Mülldeponien sind der wertvollste Teil der Stadt und natürlich gehören sie in die Obhut der Ratten! Wenn dir die Regeln nicht gefallen, dann geh doch noch eine Runde ins Gefängnis oder gib gleich auf! Ich bekomme sowieso langsam Hungi.”, sagte Hercule abschätzig, nahm einen übrig gebliebenen Kartoffelchip aus seinem Fell und aß ihn laut schmatzend.

“Ich lade dich ganz sicher nicht schon wieder auf eine Pizza ein!” “Das wäre bei deinen bescheidenen Mitteln auch kaum machbar.”, sagte Hercule und blickte abschätzig auf Bastians Monopoly-Geldbündel auf der anderen Seite des Tisches. Hercule hüpfte von seinem Stuhl, watschelte zum Kühlschrank, öffnete die Tür und blickte erwartungsvoll zu Bastian herüber. “Was?”, erwiderte der ungerührt. “Hochheben!”, sagte Hercule und zeigte mit der Pfote auf das oberste Kühlschrankfach: “Ich habe dir doch schon mehrfach gesagt, dass du meine Snacklasagne nicht immer so weit oben in den Kühlschrank legen sollst!”

Bastian verdrehte die Augen, ging zu Hercule, hob ihn hoch und dann samt Lasagne rüber zur Mikrowelle. “Die Mikrowelle ist auch in sehr rattenunfreundlicher Höhe angebracht!”, moserte Hercule. “Genug Geld für einen Umbau hast du dir ja gerade zusammengeräubert...”, murmelte Bastian mit zusammengekniffenen Lippen. “...ehrlich verdient!”, widersprach Hercule: “Und du bist ein unglaublich schlechter Verlierer.”

“Und ich kann nicht glauben, dass du auf der Schlossallee eine Frittenbude aufgemacht hast!” Hercule blickte blasiert an Bastian vorbei: “Oui, zwölf Saucen nach Wahl, nur vom Feinsten!” “24 Euro für eine Portion Fritten liegt sogar noch knapp über dem, was ich vor zwei Jahren bei unserem Schweizurlaub in Ennethürbi bezahlt habe!” “Die Sauce geht extra.”, schob Hercule leicht beleidigt nach: “Und überhaupt: Lage, Lage, Lage! Schaust du keine Maklerdokus im Fernsehen?” 

“Im Gegensatz zu dir, Hercule, habe ich noch etwas Arbeit zu erledigen und kann nicht den ganzen Tag vor der Glotze herumlungern!” “Das hat dich im zweiten Semester doch auch nicht gestört, als wir ‘Buenos tiempos, malos tiempos’ gebingt haben, um unser Urlaubsspanisch für den Pauschalurlaub aufzupeppen!?” 

“Der Wortschatz ‘rachsüchtiges Flittchen’ war an der Strandbar dann leider nicht sonderlich hilfreich.”, knurrte Bastian gedankenverloren. “Mach dich nicht schlechter, also du ohnehin schon bist! Ich bin sicher, die Kellnerin zittert noch heute, so wie du ihr den Marsch geblasen hast, weil sie dir die falsche Sauce zu deinen Fritten gebracht hat!”, bemerkte Hercule anerkennend.

Noch im Satz stutzte Hercule und fügte dann an: “Apropos, du schuldest mir noch zweimal Fritten mit Sauce auf der Schlossallee!”, und dann gönnerhaft: “Ach lass mal, die Saucen sind heute inklusive!” “C’est inclus?”, fragte Bastian spitz.

“Äffst du mich etwa nach?”, fragte Hercule, zog eine Ereigniskarte und hielt sie Bastian freudig unter die Nase. “Verwöhnen Sie die Ratte mit einem Champagner-Treatment”, las Bastian ungläubig: “Das ist handgeschrieben! Das hast du reingemogelt!” “Ein Mysterium. Du bist dran mit Würfeln!”, sagte Hercule beleidigt und legte die Ereigniskarte auf seinen Stapel.

Bastian würfelte, zog eine Karte, schaute ungläubig und hielt Hercule die Karte vor die Nase. “Besuchen Sie die Schweiz. Zahlen Sie pauschal 4.000 Franken. Wenn Sie Ausländer sind, verlassen sie das Land direkt ohne über ‘Los’ zu gehen!”, las Hercule. 

“Was bedeutet das nun schon wieder?”, fragt Bastian irritiert. “Dass alle Hotels und Restaurantbesuche eine Runde lang das Dreifache kosten, wir uns in einem absolut unverständlichen Dialekt unterhalten müssen und uns dabei misstrauisch anstarren müssen. Und alle Sonderwünsche gehen extra!”, grinste Hercule voller Vorfreude. “Das mach ich nicht mehr mit! Ich bin pleite! Im Spiel wie im echten Leben!” Entnervt warf Bastian die Würfel in die Mitte. 

“Du schuldest mir noch Miete für zwei Hotelübernachtungen im ‘South Dump Luxury Spa Resort’ auf meiner Süddeponie!” “Kann ich das mit grob gerechnet zehn Jahren Kost und Logis für eine überaus anspruchsvolle Plüschratte und vier, ach was, fünf warmen Mahlzeiten pro Tag im echten Leben verrechnen?” “Das isch nöd vorgsee!”, erwiderte Hercule spitz. “Meine Wohnung, meine Regeln!”, sagte Bastian und verschränkte seine Arme: “Ich kann es dir gerne auch noch auf eine Ereigniskarte schreiben!”  “Das ist auch meine Wohnung!”, maulte Hercule kleinlaut. “Ist es nicht. Und es ist auch meine Kreditkarte, mit der hier für alles bezahlt wird.”, sagte Bastian, zog eine Ereigniskarte unter dem Kartenstapel heraus und las vor: “Verrechnen Sie alle Spielschulden mit Ausgaben im echten Leben.“ “Du bluffst! Das steht da niemals!” Bastian hielt Hercule triumphierend die Karte unter die Nase. 

“Wann hast du das geschrieben?”, fragte Hercule maulig. “Ich bin eben gerne vorbereitet!” grinste Bastian. “Also gut, du gewinnst. Können wir jetzt endlich was zu essen bestellen, Bastian?” “Ich habe noch Brokkolisuppe für dich im Kühlschrank aufgehoben!” Hercule wurde kurz kreidebleich: “Übertreib es nicht!” Mit einem beherzten Griff schnappte er sich die Speisekarte und verschanzte sich mit Karte und dem Telefon im Bad.

 

Porno

“Sie geht nicht.” “Die geht schon noch, Hercule. Hab etwas Geduld!” “Geduld? Ich bin schon seit einer halben Stunde schwer unterzuckert! Ich musste schon 20 von den gelben Tabletten einwerfen!” “Das sind Smarties und keine Tabletten. Allein das sollte eine Unterzuckerung ausschließen! Und außerdem hast du nochmal mindestens so viele von den anderen Farben gegessen.” Hercule drehte sich zur Seite und sah Bastian empört an: “Ich achte eben auf eine ausgewogene Ernährung. Geht sie jetzt endlich?” “Frühestens um 17:20 Uhr.” “Warum dauert das denn so lange?” “Weil es Backpulver heißt und nicht Dynamit. Es soll die Torte aufgehen lassen und nicht sprengen!”

“Du hast da bestimmt irgendwas falsch gemacht!” “Ich habe alles gemacht wie im Rezept, Hercule!” “Als ich die Pornotorte heute früh auf YouTube entdeckt habe, wusste ich sofort, dass ich die haben will.” “Gut, Hercule, um fair zu sein, das würdest du zu fast jedem Lebensmittel sagen.” “Ist das denn die richtige Backform?” “28 Zentimeter, genau richtig für die Pornotorte.” “Das sind niemals 28 Zentimeter!” “Miss nach, wenn du mir nicht glaubst.” 

Hercule lief unruhig vor dem Ofen auf und ab “Ist da auch genügend Butter drin?” “Ein Pfund, auch wenn es mir schwer fiel, wie im Rezept angegeben.” “Und Schokolade? Und Kakao?” “Überaus reichlich, ja.” “Backpulver?” “Natürlich.” “Das Gute? Von Doktor Oetker?” “Natriumhydrogencarbonat.” “Was ist das?” “Backpulver.” “Von Doktor Oetker?” “Nein, vom Aldi.” “Das kann ja so nichts werden!” Hercule verdreht die Augen zur Decke und hielt sich hilfesuchend am Griff der Backofentür fest.

“Wie lange noch?” “Genau so lange wie eben minus zwei Minuten, Hercule!” “Wieso dauert das denn so lange?” “Das Natriumhydrogencarbonat reagiert unter Hitze und Feuchtigkeit und setzt dabei Kohlendioxydbläschen frei.” “Dank deines Vortrags kommt es mir noch länger vor!” 

Hercule kletterte die Schrankgriffe unter dem Backofen herunter, drehte hektisch trapsend eine weitere Runde um den Küchentisch und kletterte dann flux wieder die Küchenschrankwand zum Backofen hinauf: “Sie geht einfach nicht!” Bastian schaute besorgt  durch das Sichtfenster in das Ofenrohr hinein: “Das sieht in der Tat anders aus als auf dem Foto in diesem Backblog.” “Wir hätten einen Kuchen in Reserve kaufen sollen!” Bastian runzelte die Stirn und tippte Hercule mit dem Zeigefinger sanft an die Schulter: “Jetzt haben Sie mal etwas Zuversicht, junger Mann.” 

Der Kurzzeitwecker klingelte. “Fertig?”, fragte Hercule vorsichtig. “Ja, wir können die Torte jetzt rausholen und vorsichtig stürzen.” “Vielleicht wäre es besser, wenn du nicht mit der gerade fertig gebackenen Torte stürzt… Vorsicht hin oder her...?” “...auf eine Tortenplatte stürzen…” “Ach so. Naja, du bist immer so ungeschickt, Bastian… da dachte ich… aber mit Vorankündigung wäre in der Tat neu.” “Machst du mal den Ofen auf?”

Hercule klappte die Ofentür nach unten, hangelte sich am Griff zur Seite und sprang nach unten. Bastian nahm die Tortenform aus dem Ofen, ging hinüber zum Tisch und stürzte die Form und die Tortenplatte vorsichtig auf den Küchentisch.

Hercule und Bastian schauten neugierig. “Sollte sie jetzt nicht irgendwie… heraus ploppen?” Just in diesem Moment war ein leises Ploppen zu hören und die Silikonform bebte ganz leicht. “Nimm sie hoch, Bastian, nimm sie hoch!”, rief Hercule mit erregter Stimme. Bastian nahm die Form vorsichtig von der Tortenplatte und zum Vorschein kam ein Häufchen halbgare Schokoladencreme. “Die Pornotorte sieht in natura ganz anders aus als im Film.”, maulte Hercule. “Das hat sie vermutlich mit allen ihren Namensschwestern, die mit ‘Porno’ beginnen gemeinsam.”, flüsterte Bastian mit süffisantem Grinsen. “Wie?” “Nichts.” “Wie nichts?” “Nichts, Hercule!”

Hercule rannte zum Küchenschrank hinüber, kletterte an den Griffen zu Besteckschublade hinauf und holte von dort zwei Löffel zum Küchentisch: “Probieren!” “Sollten wir sie nicht erst abkühlen lassen?” “Ach was! Dann schmeckt sie nur genauso wie jetzt, nur in kalt.” Beide nahmen einen Löffel von der wabbeligen Tortenmasse. Hercule: “Besser als sie aussieht.” Bastian: “Nicht übel.” Hercule: “Nicht übel? Die ist fantastisch. Ich kann nicht mehr aufhören!” Hercule nahm noch zwei Löffel. “Solltest du aber.” “Ich kann nicht.” Hercule nahm noch einen Löffel. “Du hast schon die halbe Pornotorte!” “Iff weiff!” “Hercule, du bist sowas von pornosüchtig!”

Volltreffer

“Wir haben im Lotto gewonnen.” Bastian starrte gedankenverloren auf sein Smartphone. Hercule döste tief und fest auf seiner Bastmatte im Strandbad Grünau, in das sie wegen der Hitze geflüchtet waren, den breitkrempigen Hut über die Schnauze gestülpt: “Wä?” “Wir haben im Lotto gewonnen!”, Bastian wurde langsam etwas wacher: “Steht in der SMS hier.” Hercule setzte sich auf und der Hut fiel ihm dabei von der Nase: “Wieviel?” “Das steht da nicht. Nur, dass wir gewonnen haben.” “Dann schau schnell auf die Webseite!” “Ich habe kein Netz. Ich habe vergessen, mein Prepaid-Konto aufzuladen.” Hercule verdrehte die Augen: “Der Herr Multimillionär hat kein Geld auf seinem Prepaidkonto!” “Als ich losging, wusste ich ja noch nicht, dass ich später Millionär sein würde.”, sagte Bastian entschuldigend.

“Wir.”, fügte Hercule nachdrücklich hinzu: “Wir müssen schnell nach Hause. Da können wir nachschauen, wieviel es wirklich ist.” Bastian und Hercule packten hektisch ihre Badesachen zusammen, stürmten durch den Ausgang zur Tramhaltestelle an der Sportpromenade und warteten ungeduldig. “Wann kommt die denn endlich?”, fragte Bastian nervös. Hercule schaute ein wenig abfällig auf das rostige Haltestellenschild: “Mir scheint, die Stadt Berlin hat schon länger nicht mehr im Lotto gewonnen. Können wir nicht ein Taxi rufen?” “Nein, Hercule, ich möchte erst wissen, wieviel ich gewonnen habe.” “Wir.”

“Sicher, wir. Ist das da hinten die 68?” Hercule hielt die Pfote über seine Augen, um trotz der prallen Sonne besser sehen zu können: “Ja, das ist sie.” “Was zuckelt die denn heute so langsam?”, monierte Bastian genervt. “Also als Erstes kaufe ich mir ein italienisches Restaurant!” “Zur Selbstversorgung?” Hercule nickte. Beide bestiegen die 68. Die Tram setzte sich laut quietschend in Bewegung. “Aber du hast quasi Wohnrecht in der Pizzeria Primavera in der Sonnenallee, Hercule… Wozu ein eigenes Restaurant?” “Auch wieder wahr.”

“Als wenn ich im Lotto gewinnen würde…” “Wir!” “...ja, wir, dann würde ich mir zuallererst…” “...die Geheimratsecken auffüllen lassen?” “Nein. Wieso?” Bastian schaute verunsichert in sein Spiegelbild im Fenster der Straßenbahn: “Nein, also ich würde zuerst…. zuerst würde ich eine große Reise machen!” “Alle Vororte von Berlin in 7 Tagen?” “Nein, Hercule, richtig, die ganze Welt.” “Aber du hasst reisen? Und du magst kein ausländisches Essen! Wir gehen in Neukölln immer nur zum Dönermann oder zur Pizzeria. Und beim Chinesen nimmst du dein Bami Goreng immer Gutsherren Art!” Bastian nickte stumm. Die 68 rumpelte um die Ecke am Bahnhof Grünau. Hercule und Bastian gingen bei Rot über die Fußgängerampel zum Bahnhof. “Wenn wir schnell laufen, erwischen wir noch die 46 nach Neukölln!” “Du läufst freiwillig schnell, Hercule?” “Ja, ich will endlich wissen, wieviel ich gewonnen habe!” “Wir.”

Schnaufend stürzten sie die Treppen zum Bahnsteig nach oben, wo Bastian nur noch die Rücklichter der ausfahrenden S-Bahn sah: “Die fährt doch sonst nie pünktlich. Jetzt müssen wir nochmal zehn Minuten warten.” Hercule kam schnaufend die Treppen hinauf hinterher und ließ sich auf die Bank am Bahnsteig plumpsen: “Mit dem Taxi wäre das nicht passiert!” “Erst wenn ich weiß, wieviel ich gewonne habe, Hercule! Das sagte ich doch schon.” “Wir.” 

Hercule schaute verträumt ins Weite: “Im Zentrum von Rom gibt es das perfekte Haus. Es befindet sich genau im Schnittpunkt zwischen vier Pizzerien…” “Und da würdest du gerne wohnen?” “Jjjjjjjja!” “Aber du könntest dich nie für eine Pizzeria entscheiden, wenn sie alle gleich weit weg sind?” Hercule zuckte mit den Schultern: “Ich könnte würfeln!” “Und was wäre daran besser als an unserer jetzigen Wohnung? Jimmys Pizzeria liegt da auch direkt um die Ecke?” Hercule schmatzte lautstark: “Der Teig! Nichts gegen Jimmy, aber er hat kein Gefühl für Hefe und Mehl.” “Das könnte daran liegen, dass ihm Eros Ramazotti bei seiner Geburt in Antalya nicht unbedingt in die Wiege gelegt wurde.” Die nächste S-Bahn rumpelte heran.

“Auf jeden Fall möchte ich so einen riesigen Schokoladenbrunnen.”, sagte Hercule, als er auf den S-Bahn-Sitz sprang: “So zwei Meter hoch und einen Meter breit, wie wir den auf dem Bild in Venedig gesehen haben.” “Keine gute Idee. Du würdest dich nur ständig einsauen und für so viele Waschmaschinengänge ist dein Plüsch ganz sicher nicht ausgelegt!” “Auch nicht mit Schutzkleidung?”, quengelte Hercule. “Mit Schutzkleidung in die Waschmaschine?” “Nein, an den Schokobrunnen!” “Das klappt niemals. Du kannst dich dann doch wieder nicht beherrschen.” Hercule nickte verschämt. 

“Also wenn ich jetzt ganz groß im Lotto gewonnen hätte…” Hercule: “Wir!” “Jaja, wir. Also dann würde ich zuallererst…” “...dein Studium beenden?” Bastian stutzte: “Wie? Nein. Ganz sicher nicht. Ich würde mir diesen neuen Supercomputer mal genauer anschauen…” “...um dann noch mehr Zeit vor deinem Schreibtisch zu verbringen und in der einsamen Finsternis deines Arbeitszimmers Bitcoins zu schürfen?” “Ich… nein… wie kommst du immer auf sowas?” “Dann um bei deiner Modelleisenbahnsimulation noch mehr Züge gleichzeitig fahren lassen zu können als jetzt?” “Schon eher.” “Dann lass uns Eines schon mal klarstellen, Bastian, wenn wir im Lotto gewinnen, dann verwalte ich unsere Ausgaben!” “Wir. Ich. Ich meine ich. Also nicht du.” Hercule knurrte.

Der Zug rollte in Neukölln ein. Hercule zerrte Bastian aus dem Zug: “Gibt es da drüben nicht noch dieses Internetcafé, da wo sie immer die Terrorverdächtigen live im Fernsehen finden?” “Ich glaube schon, Hercule. Warum fragst du?” “Naja, bis nach Hause haben wir es noch eine Viertelstunde zu Fuß. Im Internetcafé wüssten wir gleich, wieviel wir gewonnen haben.” Bastian kramte in seiner Hosentasche und fand ein paar Münzen: “Das sollte reichen!” “Oh, der Herr Millionär hat heute wieder seine Spendierhosen an!”, kicherte Hercule. Beide spurteten über den Fußgängerüberweg an die andere Seite der Karl-Marx-Straße.

Bastian: “Zum Glück hat der Laden noch überlebt.” Hercule: “Dank treuer Stammkundschaft aus Nahost, wenn man den Nachrichten Glauben schenken darf. Ist das da hinten ein Röhrenmonitor?” “Ja, und Windows 95, dem Bildschirm nach zu urteilen.” Hercule eilte zu dem unbenutzten Computer hinüber und hämmerte auf der Tastatur herum: “Wie ist dein Passwort?” Bastian schaute sich misstrauisch um: “Das werde ich dir hier doch nicht hier in aller Öffentlichkeit verraten!” “Also 12345.” Bastian druckste und Hercule tippte: “Das dauert ja ewig, bis das lädt!”

Hercule tippt hektisch mit der Pfote auf dem Tisch herum und Bastian schaute ihm gespannt über die Schulter: “Da! Da kommt es! Klick rechts oben auf ‘Mein Spielkonto’!” Hercule schob die altersschwache Maus laut quietschend nach rechts oben und haute kräftig auf die Maustaste. Bastian setzte Hercule auf den Boden herunter und setzte sich selbst gespannt auf den Stuhl: “7,39 Euro.” Hercule: “7,39 Millionen Euro?” Und lauter: “Juchu wir sind reich!!!” Die finsteren Blicke der anderen Besucher waren jetzt fest auf die beiden gerichtet. “Nein nein, Hercule, ohne Millionen, nur sieben Euro neununddreißig.” “Oh.” Hercule erstarrte. Die Blicke der anderen Besucher waren immer noch auf sie gerichtet. “Wir sollten vielleicht schnell von hier verschwinden, bevor man uns hier noch für reich hält.”, meinte Bastian etwas niedergeschlagen.

Sie gingen schweigend aus dem Internetcafé und liefen Richtung Norden nach Hause. Am Richardplatz angekommen hüpfte Hercule auf eine der Bänke: “Immerhin, 8 Euro.” “Sieben Euro neununddreißig.” “Das reicht für ein fürstliches Abendessen bei Jimmys Pizzeria.” “Ja abzüglich zweimal zwei Euro achtzig für die S-Bahn.” “Du bist immer so vernünftig, Bastian!” “Und abzüglich 1 Euro für das Internercafé.” “Macht?” “79 Cent.” Hercule rutschte in sich zusammen. Bastian tätschelte ihn auf die Schulter: “Wird schon!” “Ich mag dich auch, wenn du kein Millionär bist!”, grinste ihn Hercule von unten schräg an. “Gönnen wir uns von dem Gewinn heute Abend eine schöne Tütensuppe?” Hercule verschränkte die Pfoten vor dem gewölbten Bauch: “Übertreib’s nicht!”

 



 Zeichnung: René Richter

Hercule and the Art of Recycling

Bastian hatte den Müll gestern Abend - wie er glaubte - von Hercule unbemerkt nach unten gebracht. Aber da kannte er die Ratte schlecht! Über Nacht hatte Hercule die schweren Säcke wieder nach oben gewuchtet und deren Inhalt auf dem Küchenboden neu sortiert. Nun war es Zeit, Bastian zu Rede zu stellen: “Bastiaaaaaaan! Wach auf!”

“Wie spät ist es? Lass mich schlafen!”, röchelte Bastian mit verquollenen Augen. “Es ist vier Uhr sechsundvierzig. Steh auf! Wir müssen über deine Einstellung gegenüber unserem Planeten reden!”

Ein Kissen flog in Hercules Richtung, ein zweites verfehlte ihn nur knapp: “Wir wissen beide, dass dein Vorrat an Kissen begrenzt ist! Der an Planeten hingegen schon!”, rief Hercule mit strengem Blick und schaltete den Deckenfluter ein. Das wiederum wurde einer Spinne zum Verhängnis, die jetzt laut knisternd auf dem Deckenfluter geröstet wurde.

“Hier stinkt’s!”, rief Bastian angewidert und warf das letzte ihm verbliebene Kissen in Hercules Richtung. Der öffnete flux die Fenster: “Die Decke wirfst du besser nicht. Es ist kalt draußen!”

“Warum…?”, wimmerte Bastian aus Richtung Bett.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 09.03.2023
ISBN: 978-3-7554-3506-8

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